Читать книгу Logbuch – Teil 2 – Anthologie – Hochseefischerei – Küsten- und Hochseeschifffahrt - Jürgen Ruszkowski - Страница 4

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Hans Herz: Meeresrauschen– Erlebniserinnerungen aus den Seefahrtsjahren 1958 – 1964

Geboren im September des Kriegsjahres 1941 und aufgewachsen in den Nachkriegsjahren bis 1950 in Leeuwarden (Westfriesland – Niederlande) und danach an der holländischen Grenze in Niedersachsen. Zeiten der Vorurteile, der Mangelwirtschaft und Perspektivlosigkeit. Das Wort „Auswandern“ hatte damals eine eigene Faszination und Dynamik. Man schielte nach so genannten reichen Ländern. Besonders lukrativ schienen Ziele wie USA, Kanada oder Australien.

„Fernweh!“ war nicht nur ein Schlagwort. Schlagersänger wie Freddy Quinn, Lolita und andere, die mit ihren Liedern Sehnsüchte und Wunschträume wie die „große weite Welt erleben!“ erweckten, ließen manches Herz höher schlagen. Meines war auch dabei!

Ich wollte in die Welt hinaus, und nichts und niemand sollte mich davon abhalten! Nachdem ich meine Eltern von der Sinnlosigkeit ihres Widerstands überzeugt hatte, (z. B. durch scheinbaren Hungerstreik und ähnliche Aktionen) durfte ich den Beruf des Seemanns erlernen.

So nahmen meine Eltern zusätzliche Kosten für die Vorausausbildung (wie Fahrt, Kleidung etc.) auf sich, obgleich sie selbst kaum genug zum Leben hatten. Schließlich gab es noch meine beiden jüngeren Brüder zu versorgen. Kurz, die Dinge nahmen ihren Lauf. 15jährig bestieg ich im Frühjahr 1958 den Zug nach Hamburg und meldete mich in der Schiffsjungenschule Hamburg-Finkenwerder.

Dort galt es erst einmal, eine besondere praktische Aufnahmeprüfung zu bestehen. Grundvoraussetzung für den künftigen Fahrensmann war die Feststellung völliger Schwindelfreiheit. Die war bewiesen, wenn der Schiffsmast, der vor der Seemannschule aufgebaut war, problemlos erklommen wurde und auch der Abstieg ohne Schwierigkeiten vonstatten ging. Letzteres wurde zur Nagelprobe. Wie beim Bergsteigen ist stets der Abstieg am schwersten. Es kam hinzu, dass man sein mitgebrachtes Gepäck mit hoch und wieder hinunter bringen musste. Wohl dem, der nicht viel hatte. Mein Hab und Gut passte in den mitgebrachten Rucksack, den mein Vater aus dem Krieg mit heimgebracht hatte. Andere hatten da mehr zu bieten. Von den 12 Aspiranten fielen vier durch diese Prüfung. Die anderen wurden eingekleidet, d. h. uniformiert: Bluse, Latzhose, Troyer und Pudelmütze gehörten dazu.


Die praktische Ausbildung stand stets im Vordergrund. So z. B. Knoten und Spleißen üben, pullen (das Rudern mit einem Rettungskutter auf der Elbe – einschließlich Manöver „Mann über Bord“) und sonstige so genannte „Praktische Seemannschaft“. Allerdings wurde auch großer Wert auf das Erlernen und Erkennen von Seeschifffahrtzeichen und -regeln sowie Schiffsaufbau u. ä. gelegt. Unsere Ausbilder nannten sich, wie auf Seeschiffen üblich, auch Kapitän (Schulleiter Herr Mund), Schiffsoffiziere (Lehrer in Theorie) sowie Bootsmann (Unterweiser in Seemannschaft). Wie in den fünfziger Jahren üblich, kamen unsere Ausbilder sämtlich aus der Reichskriegsmarine. Zimperlich gingen die mit uns nicht gerade um. Aber das war zu dieser Zeit auch auf den Seeschiffen nicht anders. Wir sollten also auf das Leben auf See vorbereitet werden. Doch das Bordleben ist vielfältig und unterschiedlich. Es kommt eben darauf an, auf welcher Art Seeschiff man sich befindet, etwa Küstenmotorschiff, Dickschiff, Fischereifahrzeug, Fahrgastschiff oder Kombi (Passagier und Frachtschiff). Die Aufzählung ist unvollständig!


Zunächst kam ich auf ein so genanntes Kümo (Küstenmotorschiff), wir nannten das „Kleine Fahrt“. Kurz vor Abschluss der Schiffsjungen-Schulausbildung wurde uns „hoher Besuch“ gemeldet. Dieser Besuch bestand zumeist aus Schiffsführern, die gleichzeitig Schiffseigner waren - und zwar von zumeist nicht sonderlich lukrativen Kümos.


Mich hat ein Kapitän namens Klünder geworben. Sein Schiff war winzig und ein zum Motorfrachtschiff umgebauter Fischlogger mit Hilfssegel. Es führte den Namen der Ehefrau, also MS „ELFRIEDE KLÜNDER". Besatzungsstärke mit mir drei Mann. Der „Alte“ war wirklich ein Alter, weil damals schon 72 Jahre. Der Deck- und Maschinenmann war älter als 50 Jahre. Er hatte den Titel „Bestmann“, den er wohl aus der Fischerei mitgebracht hatte. Nun kam ich als Moses dazu.

Leider bin ich nicht mehr im Besitz eines Fotos der ELFRIEDE KLÜNDER - bei dem obigen Lichtbild handelt es sich um ein Küstenmotorschiff, auf dem ich nur kurze Zeit fuhr.

Noch einige Anmerkungen zur ELFRIEDE KLÜNDER – erstes Schiff – erste Eindrücke: Bettzeug musste man damals mitbringen, meine Eltern hatten daran wohl nicht gedacht - und ich schon gar nicht! Ich schlief vorn im so genannten Kabelgatt. Dreiteilige Matratzen dienten in der Koje als Unterlage - eine ganzteilige Matratze war als Zudecke gedacht. Da eine Matratze naturgemäß absteht, deckte ich meine linke und rechte Seite mit Kleidung zu. Eine Wandverkleidung in der Koje gab es nicht. Metall der Kojenseite war Innenteil der Schiffsaußenhaut. Wasser holte ich im Eimer von achtern nach vorn. Das Ruderhaus wurde mittels Koksofen geheizt. Der Koks musste in regelmäßigen Abständen im Eimer aus dem vorderen Schiffsteil geholt werden, natürlich auch auf See. Einige Male hat mich der Bestmann aus der vollgelaufenen Gangbord gefischt, nachdem mir die übergekommene See die Füße weggerissen hatte. Der Eimer war dann allerdings immer leer. In England holten wir Gießerkoks – in Schweden bekamen wir Schnittholz. Gern fuhr der Alte durch die Inselgruppen (Schären) Schwedens, weil er da abends den Anker fallen lassen konnte, den der Bestmann und ich mühevoll von Hand mittels Pumpenschwengel wieder einholen mussten. Das dauerte je nach Kettenlänge schon einige Zeit (Frühsportersatz).

Weihnachten des Jahres 1958 verbrachten wir in Leer / Ostfriesland. Der Alte legte unseren „Schlickrutscher“ an die Pier und verabschiedete sich mit seinem Bestmann nach Hause. Ich blieb an Bord, weil ich mit meinen Eltern zu der Zeit Probleme hatte. Strom und Heizung gab es an Bord während der Liegezeit nicht. Licht war durch eine Petroleumlampe in meinem Kabuff gesichert. Nachdem ich den Heiligabend ziellos durch die leeren Straßen Leers gestromert war, traf ich rein zufällig ein nettes Mädchen, das ebenso ziellos herumlief, weil sie, wie sie erklärte, ihrem Elternhaus (Bauernhof) entlaufen war. Gemeinsam waren wir nicht mehr einsam. Wir machten es uns an Bord der ELFRIEDE KLÜNDER bei einer Flasche Rotwein gemütlich. Auch uns läuteten so „die Glocken der Liebe zur Weihnachtszeit“ ;-). Nach Neujahr habe ich dann gekündigt. Auf diesem Schiff fuhr ich insgesamt neun Monate. Gelernt habe ich hier vor allem spleißen, knoten, ordentlich Berichtsheft zu führen und nicht zuletzt Graupensuppe zu kochen ;-). Mein monatlicher Verdienst belief sich als Schiffsjunge auf 60 DM Brutto plus Überstunden. Der Käptn war stets bestrebt, durch großzügige Lohnvorauszahlungen ein „Soll“ zu halten, um eine Abmusterung zu erschweren.

1959 musterte ich im Januar auf dem nächsten Kümo an, wieder ein so genannter Partikulier – also Kapitän gleich Eigentümer. Auch hier hatte die Ehefrau bei der Namensgebung des Schiffes Pate gestanden. Es war das MS „ELKE FRESE“.

Noch lag es auf der Werft, weil es eigentlich verschrottet werden sollte. Kaptain Frese hatte aber gute Beziehungen durch Verwandtschaft bei der Seeberufsgenossenschaft und bei einer Bank, wie er anmerkte. So wurde das Schiff eben wieder fahrtüchtig gemacht - auch mit Zementbestreichung an undichten Stellen. Die Besatzung bestand neben dem Alten noch aus dem Steuermann (Patentinhaber A 2) meiner Wenigkeit (befördert zum Jungmann) und drei 16- und 17-jährigen Jugendlichen aus einem Erziehungsheim, für die der Käptn gebürgt hatte (sehr billige Arbeitskräfte). Unsere erste Arbeit bestand aus dem Filzen der zur Abwrackung aufgelegten Schiffe – im Klartext: mitnehmen („zapzarap“), was brauchbar war, vom Fender bis zum Ofenrohr.

Die erste Fahrt ging nach Hull in England. Dort wurde Koks für Antwerpen geladen. Es folgten mehrere Fahrten in der Nord- und Ostsee. Nennenswerte Ereignisse gab es nicht zu berichten, wenn man davon absieht, dass das Schiff ständig kleine Wassereinbrüche im Kabelgatt hatte, weil der Zement nicht dauerhaft abdichtete. Während einer Kanaldurchfahrt (Nord-Ostsee-Kanal) war das Schiff nur schwer auf Kurs zu halten, weil das so genannte Kettenruder sehr ungenau reagierte, ein Graus für jeden Rudergänger und Lotsen. Ich war zum so genannten Gefechtsrudergänger gekürt – die Gefechte fanden überwiegend mit den Lotsen statt. Einer – etwas klein geraten – ging entnervt in Rendsburg vorzeitig von Bord. Sein Nachfolger, ein sehr großer Mann, kommentierte die Nervosität seines Vorgängers mir gegenüber so: „Aal de Lüt, wo de Kopp so dicht bien Mors sitt, de bent aal een beetje krabbelig.“ (All die Leute, bei denen der Kopf so dicht beim Hintern sitzt, sind etwas kribbelig) Dieser Spruch hat mich bis zum heutigen Tag begleitet.

Da in Rendsburg regelmäßig Proviant genommen und gebunkert wurde, nahm ich die Gelegenheit wahr, um in den Sack zu hauen, also abzumustern. Das Mittagessen vor meinem Abgang wurde mir vom Kaptain mit einer Handbewegung von der Back gefegt. Sein Kommentar: „Wer geht, hat hier auch nicht mehr zu fressen!“ Der Abschied fiel mir nach fünf Monaten so besonders leicht. Die Jungs aus dem Erziehungsheim hatten dagegen keine Wahl. Sie erhielten übrigens 50 DM Monatslohn. Für mich rauchten danach noch viele andere Schiffsschornsteine.


Logbuch – Teil 2 – Anthologie – Hochseefischerei – Küsten- und Hochseeschifffahrt

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