Читать книгу Logbuch – Teil 2 – Anthologie – Hochseefischerei – Küsten- und Hochseeschifffahrt - Jürgen Ruszkowski - Страница 5
ОглавлениеHans Herz: Hochseefischerei um 1958
So kam ich auf Anraten eines Seemannes auf die Idee, es einmal mit einem Fischdampfer zu versuchen. Es war im Sommer des Jahres 1958. Damals traf ich im Seemannsheim Hamburg-Altona einen älteren Fahrensmann, der beim Bier von echten Seeleuten der heutigen Zeit schwärmte. Damit waren Fahrensleute auf Fischdampfern gemeint. Dort könne ich mit dem Status Jungmann (2. Lehrjahr) bereits als Leichtmatrose einsteigen, was allerdings nur bei der Fischerei gelte. Das verhieß höhere Heuer. Zudem gäbe es auch Fangprämien-Prozente. Neugierig geworden, begab ich mich zum Heuerstall für Fischereifahrzeuge am Fischmarkt in Hamburg-Altona. Mir wurde ein neuer Fischdampfer mit Fahrtgebiet Nordatlantik zugewiesen. Es war der FD „HANS PICKENPACK“ der Hamburger Reederei Fock & Pickenpack, vom Stapel gelaufen bei der Norderwerft im Jahre 1957 – also damals brandneu. Besatzung: 26 Mann. – Siehe Bild! –
Länge: 66,70 m, Breite: 9,63 m, BRT 751, NRT 325, Korb: 5700, PS: 1560, 13,6 kn, 26 Mann Besatzung.
FD „HANS PICKENPACK“– Dank für Bildrecht: World Ship Society – Sammlung Biedekarken
Das Fahrt- und Fanggebiet sollte Island / Grönland sein. Ich sagte zu und wurde als letztes Besatzungsmitglied für die anstehende Seereise amtlich gemustert. An Bord wurden schon die notwendigen Reisevorbereitungen getroffen. Wir schleppten und verstauten Proviant und andere wichtige Dinge für die geplante etwa sechswöchige Seereise. Danach wurde Brennstoff gebunkert. Man sprach von einer Seereise von mehreren tausend Seemeilen.
Die Fahrten auf diesem Schiff sind mir in besonderer Erinnerung geblieben. Sie sind mit dem Bordleben auf Frachtschiffen nicht zu vergleichen. Hier bestimmt der gefundene Fischgrund, d. h. die Verdiensterwartung die Stimmung an Bord. Guter Fang: alles gut. Schlechter Fang: „Polen offen“! Reibereien gehörten einfach dazu. Gängiger Spruch war: „Een vort Mul - oder wat?“ So eine Sechswochenreise kann sich hinziehen. Ein Entrinnen gibt es nicht. Man lernt schnell zu überleben. Nach der Proviantübernahme nahm meine erste Reise ihren Anfang.
Nach dem Auslaufen folgten Erklärungen des zweiten Steuermanns zum Schiff und den einzelnen Aufgabenbereichen im schnellen Durchlauf. Es wurde dargestellt, dass das Bordleben auf einem Fischdampfer mit dem eines Frachtschiffes nicht zu vergleichen sei. Frachtschiffe beförderten eben Ladung vom Hafen A zum Hafen B, während Fischdampfer Fanggründe suchten. Die Schiffsführung eines Fischdampfers habe daher eine Doppelaufgabe. Der Kapitän sei Nautiker und Fischer in einer Person. Ein lohnender Fang garantiere entsprechende Fangprozente. Am Fangergebnis werde ein Fischdampfer-Kapitän gemessen.
Schnell hatte ich begriffen, dass ein Leichtmatrose auf einem Fischdampfer gleich Kochsmaat war, also an Deck und in der Kombüse beschäftigt wurde. Hinzu kamen Aufgaben wie „aufbacken“ - also Teller auf den Tisch bringen und abzuräumen (Backschafter). Ich war wieder mit einem Schiffsjungen auf einem Kümo vergleichbar (Lappendudel). Aber auch an Deck gab es allerlei zu tun. In dieser rauen Männerwelt galt es, sich zu arrangieren. Davon später.
Die Seereise führte uns zunächst an den oberhalb Schottlands gelegenen Shetlands vorbei zu den dänischen Färöer Inseln im Atlantik. Dort warteten noch etwa 12 Fischarbeiter, um bei uns einzusteigen. Sie waren für das filetieren bzw. die Weiterverarbeitung des zu erwartenden Fangs unter Vertrag genommen und hatten den Fisch am Fließband zu Filetstücken zu verarbeiten, bevor der in Kartons verpackt und tiefgefroren wurde.
Nachdem die Männer von den Färöers an Bord waren, nahmen wir Kurs auf Island – Grönland. Die große Suche nach Fischgründen begann. Nun kam es auf den Kapitän an, dem man große Erfahrung im Fischfang nachsagte. Zwar gab es schon damals technische Hilfsmittel, z. B. Fischortungsgeräte, (Fischlupen), Echolot, Radar und anderes, doch der Joker war stets der Alte. Der besaß die notwendigen Kenntnisse von Meeresströmungen, der Beschaffenheit des Meeresgrundes und verfügte im Idealfall über ein besonderes Gespür für Fischgründe. Alles hängt von seinen Fähigkeiten ab. Die Stimmung an Bord wird maßgeblich von ihm bestimmt.
Schweres Wetter im Nord-Atlantik war immer wieder ein Erlebnis der besonderen Art. Fischdampfer suchen keinen Schutzhafen, sondern reiten den Sturm mit dem Kopf gegen die See ab. Das hatte ich so noch nicht erlebt. Da wird noch echte Seefahrt gelebt. Mich ergriff ein Gefühl von Faszination und Angst, wenn unser Schiff in gewaltige Wellenberge eintauchte, um sich dann wieder aufzubäumen wie ein Wildpferd. Von der Kommandobrücke war dies sehr gut zu beobachten. - Fischdampfer sind sehr seetüchtig und stabil gebaut. Außerdem haben sie eine sehr leistungsfähige Maschine, die schließlich auch das Schleppen von Netzen über dem Meeresgrund schaffen muss.
Im Übrigen waren nicht alle unsere Fischarbeiter seefest. Die kotzten sich im Waschraum die Seele aus dem Leib und lagen dabei übereinander. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte mich zu ihnen gesellt. Dabei glaubte ich bis dahin, meine Seekrankheit bereits überwunden zu haben. Die älteren Fahrensmänner zeigten sich bei schwerem Seegang durchweg unbeeindruckt. Beklemmungen wurde von allen bei Nebel und Schneetreiben empfunden. Der Alte blieb dann Tag und Nacht auf der Brücke. Die erfahrenen Seeleute hatten vor einer Grundberührung mit treibendem Eis allerdings große Sorge. Von solchen Erlebnissen sollte auch ich nicht verschont bleiben.
Unter Grönland ging der Koch, der sich bei so einem schweren Wetter leichtsinnig auf das Bootsdeck gewagt hatte, um an seine Kartoffelkiste zu gelangen, über Bord. Danach kochte ein Alt-Matrose.
Um die Mannschaft nicht mit Fisch zu beköstigen, den sie nicht mehr sehen konnte - zumal wir alle lang anhaltend danach rochen, fuhr ein Schwein im Hock mit, das mit Fischabfällen gefüttert wurde. Anschließend wurde Schlachtfest gefeiert.
War ein Fischschwarm aufgebracht, wurde es an Deck lebendig. Regelmäßig waren dann auch andere Fischereifahrzeuge verschiedener Nationalitäten in Sichtweite. Man beobachtete sich offensichtlich gegenseitig.
Außerdem war unser schwimmendes Hospital „MS MEERKATZE“ in der Nähe. Es handelte sich um einen zum Schutzboot umgebauten Fischdampfer. Bei Unfällen oder ernsthaften Krankheiten wurden die Betroffenen von der Besatzung bei jedem Wetter in Sicherheit gebracht. War der Einsatz eines Schlauchbootes wegen zu hohen Wellengangs und Kentergefahr nicht möglich, wurde der Mann mittels Hosenboje auf das Schutzfahrzeug geholt. Einen solchen Einsatz habe ich persönlich miterlebt. Unser zweiter Steuermann erlitt einen Magendurchbruch und bedurfte dringend der entsprechenden Behandlung. Von dieser Rettungsaktion bin ich noch heute beeindruckt.
Das Fischen begann, nachdem die Maschine gestoppt und das Schiff langsam beigedreht hatte, um die Steuerbordseite nach Luv (der Wind zugewandten Seite) zu halten. Von dort wurde das Schleppnetz zu Wasser gebracht. Es bestand aus den zentnerschweren Bomberkugeln, die das Netz über dem Meeresboden halten und den Leichtmetallkugeln, die den Auftrieb gaben. Um das Schleppnetz seitlich zu öffnen, war es mit zwei Scherbrettern ausgestattet. Die notwendige Leinenlänge wurde von der Winsch abgetrommelt. Erst wenn die Leine (Kurrleine) singend straff stand, nahm das Schiff langsam seine Schleppfahrt auf. Das Kurren hatte begonnen. Nach einer vom Kapitän bestimmten Schleppzeit wurde das Netz langsam eingeholt und danach das Schiff erneut gestoppt und wieder beigedreht. Alle Männer standen nun an der Verschanzung (Reling), um das volle Netz an die Bordwand zu ziehen. Erst dann konnte die Winde das Netz in dem bogenförmigen Galgen an Bord hieven. Der zweite Steuermann öffnete mit einem schnellen Ruck den am unteren Teil des Netzes befindlichen Spezialknoten (Steert) und sprang blitzschnell aus der Gefahrenzone. Aus dem so geöffneten Netz prasselte machtvoll der Fang an Deck. Die Fische wurden sogleich in die einzelnen Abgrenzungen geschaufelt, die an Deck durch Planken in Metallschienen vorbereitet waren. Es wurde Kabeljau, Rotbarsch, Seelachs, Katzenfische und sonstiges Meeresgetier aus dem Meer geholt. Fische sortieren war mit anderen auch meine Arbeit. Das geschah mit Mistforken und Schaufeln. Zeitgleich flickten und reparierten einige Matrosen das Netz, um es danach schnellstens wieder außenbords zu bringen. War es am Meeresgrund, nahm unser Schiff langsam die Schleppfahrt wieder auf. Nun galt es, den Fisch schnellstens von Deck auf das Förderband und damit zur weiteren Verarbeitung zu bringen.
An Backbordseite standen die Fischarbeiter am Fließband und filetierten Rotbarsch und Kabeljau. Unterhalb dieses Laufbands waren Trichter angeordnet. Der geköpfte und filetierte Fisch wurde durch diese Öffnungen der Fischmehlanlage zugeführt. Im Maschinenraum war das gesamte Maschinenpersonal mit dem Binden und Schleppen von Fischmehlsäcken beschäftigt. Die Fischleber lieferte schließlich Lebertran. Die einzelnen Arbeitsgänge dazu sind mir nicht mehr genau in Erinnerung geblieben. (Tranofen im Dom – Raum an Steuerbordseite im Decksaufbau?) Die Filetstücke wurden in flachen Kartons tief gefroren. Im letzten Arbeitsgang kamen die Platten in größere Kartons, die dann in einem Tiefkühlraum gestapelt lagerten.
Noch heute ist mir das Schuften über viele Stunden mit kurzen Unterbrechungen unter Bedingungen, die von überkommenden Seen, Kälte und rutschigem Deck durch Fischkot bestimmt war, gegenwärtig. Das Arbeiten an Deck war eine einzige Schinderei. Solange Fisch gefangen wurde, gab es kaum Schlaf. Schwerstarbeit im Rhythmus von 18 bis 20 Stunden und mehr. Das konnte auch bis zu 30 Stunden durchgehen. Um das alles irgendwie erträglich zu machen, kam mittels Tonband über Decklautsprecher Musik. Der damals gängige Schlager „Eine Reise ins Glück“ ist mir heute noch im Ohr. Dazu gab es hervorragende Verpflegung und unbegrenzt rabenschwarzen Kaffee. Ein gehöriger Schuss „Hochprozentiges“ war selbstverständlich. Es half uns über einiges hinweg.
Unter Deck war gelegentlich auch einiges los. Auf Fischdampfern gibt es eben, wie überall in der Seefahrt, biedere, fleißige und friedfertige Fahrensleute. Ein paar besonders streitbare Gestalten gab es auch anderswo. Während meiner Fahrzeit auf diesem Schiff eben aber auch hier. War bei einigen Typen der notwendige Alkoholpegel erreicht, traten sie in Aktion. Auslöser der Randale war oft ein von ihnen geglaubtes schlechtes Fangergebnis. Das musste nicht wirklich zutreffen. Schon die Vermutung wurde zur Begründung der Rauflust. Gewissen Kameraden ging man dann besser aus dem Weg.
An Bord gab es drei so genannte Führerfiguren, gegen die sich selbst die Schiffsführung kaum durchsetzen konnte. Es waren drei ungleiche Typen. Karl Meyer, genannt Kuddel, war ein mächtiges Schwergewicht, stark wie ein Bär, aber ausgesprochen gutmütig. „Kuddel“ stammte aus Hamburg-Finkenwerder, war etwa 1,75 m groß und mit seinen etwa 130 kg ein echtes Schwergewicht. Mühelos hob er die Vierzentnerkugeln (Bomber), die das Schleppnetz auf dem Meeresgrund halten, über ein Hindernis. Allerdings war er auch einfältig. Wurde er jedoch mal richtig wütend, was selten geschah, ließ er unter lautem Geheul seine Riesenfäuste auf die Back (Tisch) niedersausen und greinte laut. Wo er hinlangte, wuchs kein Seegras mehr. - Mit ihm habe ich mich angefreundet. ;-) Aufgrund meines freundschaftlichen Verhältnisses zu Kuddel, dem ich eingeredet hatte, dass ich seinen Kopf und er den Rest stelle, war ich auf der sicheren Seite des Lebens. Kuddel passte auf mich auf, wie auf seinen Augapfel. Kuddel hielt seine schützende Hand über mich. Er erklärte jedem Streithammel an Bord, dass man mich in Ruhe zu lassen hätte. Sein Spruch: „Den Jungen fasst mir keiner an!“, wurde ernst genommen. Hatte ich mal einen Kinnhaken erwischt, so zahlte Kuddel mit ganzem Einsatz zurück. Das war für die übrigen Matrosen stets eine willkommene Abwechslung. Doch alles hat seinen Preis im Leben. ;-) K. war der dritte Mann eines Trios an Bord, mit dem sich nicht einmal die Schiffsführung anlegte. Der „lange Fred“, nach eigenen Erzählungen ehemaliger Jurastudent und Strafgefangener und im Knast weitergebildet, galt als brutaler, intelligenter und gefährlicher Schläger. Der dritte Mann, Hasso, war ein im Gesicht völlig vernarbter Flaschenhals-Fighter und Hobby-Zuhälter. Letzterer war ein übler, stets schlecht gelaunter und streitsüchtiger Typ. Gern prahlte er mit Erlebnissen aus seiner Zuhälterzeit. Kämpfe mit Messern und abgebrochenen Bierflaschen hatten sein Gesicht gezeichnet. Auch die Maschinisten machten gelegentlich gern Randale. Gegen dieses so genannte Trio wagte keiner aufzumucken, und niemand legte sich mit dem Trio an.
Nach erneuter Suche ging es weiter mit Kurs auf Neu-Fundland. Auch hier war uns das Fischerglück hold. Nach erneutem Fang war die Plackerei dann endgültig beendet. Alles war unter Dach und Fach und das Deck gereinigt. Nun steuerten wir die Bunkerstation an der Südküste Grönlands, nahe Kap Farvel an. Nach Treibstoffübernahme fuhren wir die Färöer an, um unsere Gastarbeiter nach Hause zu bringen. Alsdann ging es auf Heimreise mit Kurs auf Hamburg. Der letzte Seetörn verlief von einigen Sturmtiefs abgesehen ohne besondere Vorkommnisse. Immerhin hatten wir einen guten Fang gemacht, und die Stimmung an Bord war gelöst. Nach gut einer Woche liefen wir in den Fischereihafen Hamburg-Altona ein. Die Fangreise hatte insgesamt sechs Wochen gedauert.
Ein guter Brauch nach gutem Fang war es, die Besatzung daran teilhaben zu lassen. Als besondere Anerkennung wurden Platten von tief gefrorenem Fisch an jeden einzelnen verteilt. Diese durften dann (nicht ganz legal) auch den privaten Aufkäufern, die sich regelmäßig bei einlaufenden Fischdampfern einfanden, angeboten werden.
Der erste Landgang war damit gesichert und wurde ausgiebig wahrgenommen. Der Kapitän fuhr nach Hause, der Rest der Mannschaft aber suchte umgehend die erste Kneipe am Fischmarkt auf. Dann folgte der Gang zum Zahlbüro. Andere gastfreundliche Häuser wurden spätere Ziele.
Nachdem das Schiff entladen und gereinigt war, blieb es stets insgesamt fünf Tage im Hafen. Danach fing alles wieder von vorn an.
Landgänge nach einer sechswöchigen Fangreise waren also fünf Tage am Stück möglich, weil während der Zeit des Löschens kein Schiffsbetrieb stattfand. Selbst der Strom an Bord war während dieser Zeit ausgeschaltet. Also zog man, von der Schiffsführung abgesehen, fünf Tage und Nächte von Kneipe zu Kneipe durch St. Pauli und über den Fischmarkt. Geschlafen wurde, wie es kam - meist nur stundenweise.
Kuddel, Hasso und Fred nahmen mich in ihre Mitte, weil sie mit mir, wie sie sagten, etwas Besonderes vorhatten. Wir marschierten schnurstracks zum bekannten Lokal „Silbersack“ in St. Pauli, um dort „Klarschiff“ zu machen. Hier hingen einige ehemalige Matrosen (inzwischen Schauerleute) herum, mit denen noch eine Rechnung offen wäre. Meine Aufgabe bestand nun darin, in das Lokal zu marschieren und mit einem dieser mir genau beschriebenen Männer Ärger anzufangen. Nach Androhung von Prügel sollte ich dann das Weite suchen - also durch die Schwingtür nach draußen flitzen. Das Trio würde dann meinen Verfolger abfangen, um mir zu helfen. Anschließend wollten sie das Lokal aufklaren. Ich hätte mich in der Kneipe „Schmales Handtuch“ auf der Reeperbahn bis zum Eintreffen meiner Retter niederzulassen. Falls ich mich jedoch weigern würde, hätte ich eine besonders unangenehme Seereise zu erwarten. Sie hatten mich überzeugt. Also sauste ich in die Pinte und erklärte dem mir beschriebenen Seemann, dass er seinen Hocker zu räumen habe, weil das der mir angestammte Platz sei. Dieser lachte nur und fragte, ob da jemand etwas gesagt habe. Daraufhin zählte ich laut bis zehn und riss ihm dann blitzschnell den Hocker unter dem Hintern weg, um sogleich wie ein geölter Blitz in Richtung Schwingtür zu sausen. Der Mann setzte sofort nach und lief in die Faust des hereinkommenden Kuddel. Wie es weiter ging, habe ich nicht mehr erlebt. Mein Weg führte mich schnurstracks zum „Schmalen Handtuch“. Ich wurde von den Dreien nach Ankunft hoch gelobt und den ganzen Abend freigehalten. Ich hatte nun meinen Stellenwert und war damit auf der sicheren Seite des Lebens.
Monate später hatten wir im Nordatlantik nicht nur mit Sturm zu kämpfen. Hinzu kam kam eine Grundberührung mit einem unter der Wasseroberfläche schwimmenden Eisberg. Zum ersten Mal sah ich gestandene Fahrensleute kalkweiß und angstvoll. Mich beschlich dabei eine nicht näher beschreibbare Furcht, zumal wir an Deck und an den Aufbauten einen dicken Eispanzer hatten. Die Gefahr des Kenterns wurde ernsthaft diskutiert. Zwar kamen wir glimpflich davon, mussten aber nach Einlaufen Hamburg nach Löschung der Ladung umgehend in die Werft, um den Schaden nach Grundberührung begutachten zu lassen. Das sollte einige Wochen dauern. Ich musterte ab und kehrte der Fischerei für immer den Rücken, bevor ich begann, mich daran zu gewöhnen. Fortan fuhr ich nur noch auf Frachtschiffen.
Die Kneipen am Fischmarkt und in St. Pauli kannte ich aber danach wie meine Westentasche. Die Fahrten mit der HANS PICKENPACK sind mir unauslöschlich im Gedächtnis geblieben.
Als nächstes blieb ich einige Wochen im Seemannsheim Hamburg-Altona an der Großen Elbstraße. Hier lernte ich einen jungen Fahrensmann kennen, der – wie ich – zunächst von der Seefahrt genug hatte. Er stammte aus Luxemburg und wollte per Autostopp nach Hause gelangen. Nach durchzechter Nacht, kam ich seiner Bitte nach, sich ihm anzuschließen. So landete ich beim Arbeitsamt in Luxemburg. Dort verstand man meine Berufsbezeichnung ‚Seemann’ als Sähmann und vermittelte mich als Fremdarbeiter auf einen Bauernhof. Ich hatte Kühe zu melken, Schweineställe auszumisten sowie Rüben zu ziehen, eine grausige Vorstellung für jeden Seemann, für mich insbesondere, da ich diesen Anforderungen nicht annähernd gewachsen war. Die Kühe keilten schon aus, wenn ich mit meinem Eimer ankam. Rüben zog ich mit lautem „Hauruck“ und beiden Händen einzeln. Die Bäuerin, ein Schwergewicht im Gegensatz zum Bauern, der eher klein und mickrig war, latschte mir gelegentlich mal eine mit der flachen Hand. Eines Tages sollte ich einen vor dem Anwesen befindlichen Misthaufen begradigen. Ich stieg mit meinen hohen Fischereistiefeln, bewaffnet mit einer Mistforke und einer Schaufel auf diesen Mistberg und versuchte die gewünschte Begradigung herzustellen. Als es mir mit der Forke nicht gelingen wollte, nahm ich die Schaufel zur Hand und klopfte die Häufchen damit grade. Mein Tun wurde von einem alten, fast zahnlosen Nachbarbauern mit zunehmender Erheiterung beobachtet. Schließlich warf ich ihm die Mistforke von oben so vor die Füße, dass diese im Boden stecken blieb. Der alte Landwirt suchte schleunigst das Weite. Kurze Zeit später wurde ich mit der Fremdenpolizei abgeholt und des Landes verwiesen. Vorwurf: Versuchte Körperverletzung eines Bauern. Wie ich gekommen, so fuhr ich von der Grenze Luxemburg wieder per Anhalter nach Hamburg, um mich diesmal beim „Großen Heuerstall“, also bei „Max“ zu melden. Schließlich wollte ich die „große weite Welt“ hinaus.
Hans Herz viele Jahre später bei einer Jubiläumsveranstaltung der Firma Pickenpack