Читать книгу Die Bibliothek - Jürgen Schwarz Blum - Страница 7
III
ОглавлениеWieder war ein neuer Tag angebrochen und wieder war ich in der Bibliothek. Dieser Gang lag etwas abseits. Die Regale waren besonders verstaubt. Sogar der Boden wies eine leichte Staubschicht auf, als wenn noch nicht einmal die Reinigungskräfte hier noch durchgingen. Vielleicht lag es daran, dass dieser Raum geradezu eine Sackgasse war. Im Untergeschoss gelegen war er der letzte am Ende des Gebäudeflügels. Daher ging auch niemand hindurch, um zu einem der anderen Säle zu gelangen. Da das Gelände zum Hof mit dem Garten abfiel, gab es auf dieser Seite des Raumes auch Fenster normaler Größe. Dadurch war der Raum genauso hell wie die Räumlichkeiten in den oberen Etagen. Eine als Notausgang gekennzeichnete Tür führte mit ein paar Stufen in den Garten.
Der Gang endete an der Gebäudewand, an der natürlich ebenfalls Regale aufgestellt waren. Das letzte Regal auf der linken Seite des Gangs selbst fiel mir auf, da es einen sehr unordentlichen Eindruck machte. Ich wischte die Staubweben zur Seite. Von Spinnen kamen die bestimmt nicht, denn auch die Spinnen hatten sich sicherlich in betriebsamere Gegenden verzogen. Auf den einzelnen Ebenen sah es aus, als wenn ein Sturmwind hier sein Werk verrichtet hatte. Dem widersprachen nur die Staubschichten. Ich richtete schief stehende Bücher wieder auf und stellte dieses oder jenes Buch ordentlicher hin.
Als ich dann einige Bücher auf der zweiten Ebene von unten entlang der Kante des Regalbodens ausrichtete, entdeckte ich zwei Bücher, die hinter die vorne stehende Reihe der Bücher geschoben waren. Es gab da eine kleine Lücke zwischen den Büchern, so dass ich sie sehen konnte. Dort, in zweiter Reihe, waren sie nebeneinander gestellt worden, von einer unbekannten, helfenden, mitfühlenden Hand. Ganz dicht aneinander geschmiegt waren sie, und so stützten sie sich gegenseitig, genossen den Sonnenstrahl, der von den Fenstern durch drei nur teilweise befüllte Regale und deren Lücken sanft auf sie fiel. Vielleicht wollten sie sich auch ein wenig verstecken vor zu aufdringlichen Menschen.
Vorsichtig nahm ich die beiden Bücher heraus, um ein wenig in ihnen zu lesen. Beide waren relativ schmale Bändchen. Das eine Buch war etwas größer, höher und ein klein wenig breiter, als das andere. Es hatte einen dunkelgrünen Leineneinband, dessen schwarz gehaltene Beschriftung dadurch schwer zu erkennen war. Es handelte von einem David Stumm, der Bücher katalogisierte. Wo er das tat, erfuhren die Leser nicht. Der Katalog mit den Bucheinträgen war aber schon vollständig gefüllt. Wenn nun ein neues, weiteres Buch mit aufgenommen werden sollte, suchte Herr Stumm die Stelle, an der er es einfügen wollte und verschob alle weiteren vorhandenen Einträge um eine Position. Da dafür im ersten Katalog kein Platz mehr vorhanden war, wurden diese Verschiebungen entsprechend in einem zweiten Katalog notiert. Das hinzuzufügende Buch selbst aber trug er in einem dritten Katalog ein, der wiederum die zugehörige Verschiebung in Katalog Nummer Zwei referenzierte.
Wie dieses als das Stumme System bezeichnete Verfahren tatsächlich funktionieren sollte, war mir allerdings nicht klar. Es blieb geradezu stumm mir gegenüber. Aber Herr Stumm versicherte, dass in seinem Katalog noch jedes Buch einen Platz bekommen konnte, sofern es nur schon einer Zahl zugeordnet worden war.
Dann schaute ich auch in das andere Buch. Es war ein Taschenbuch mit einem verstärkten Pappeinband. Es war farblich in einem verschwommenen Muster von eher dunklen Blautönen gestaltet. Es ergab sich ein abstraktes und weniger ein konkretes Titelbild. Es hieß Meer Zeit und war mit dem Untertitel Roman einer wirklichen Zeit versehen worden. Enthielt der Titel einen Schreibfehler? Das Papier war schon sehr vergilbt. Es musste schon einige Jahrzehnte alt sein.
Das Buch war von derselben Autorin, Ulricka N. Ohn, geschrieben wie das zum Stummen Katalogsystem. Von der hatte ich noch nicht gehört. Es handelte vom Meer, glaubte ich. Der Titel war wohl doch richtig geschrieben. Und es handelte davon, dass die beiden Protagonisten eine Reise dorthin, ans Meer, planten und vielleicht auch durchführten. Es war irgendwie noch obskurer als das Buch mit dem Stummen System. Gerade das fesselte mich.
Leise und vorsichtig blätterte ich die Seiten um. Nach einer Weile stellte ich beide Bücher zurück, da ich sie nicht weiter stören wollte. Ich achtete darauf, sie genau so, wie sie zuvor gestanden hatten, abzustellen. Ich versprach, sie morgen wieder zu besuchen.