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STÖRENFRIED

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BEI YVES ST. LAURENT IN PARIS 1962

Ich wartete im Treppenhaus am Hintereingang zur Wohnung von meinem Boss, dem amerikanischen Fotografen und Filmemacher William Klein. Er wollte zu einer Modenschau gehen, um eine Sequenz für seinen Dokumentarfilm über die Haute Couture zu drehen. Ich sollte ihn begleiten und Fotos machen, die er als Einblendungen in dem Film, der fürs Fernsehen bestimmt war, verwenden wollte.

Als Mr. Klein die Tür öffnete, fühlte ich mich in meinen Künstlerklamotten sofort unwohl. Er trug ein elegantes Jackett und, noch erstaunlicher, eine Krawatte. So hatte ich ihn noch nie gesehen, und ich arbeitete schon seit einem Jahr für ihn als Assistent. Gewöhnlich kleidete er sich genauso salopp wie ich. Doch für den bevorstehenden Anlass war dieser Stil – ich trug zum Beispiel an dem Tag ein schwarzes Hemd und eine Cordjacke – anscheinend höchst unpassend. So, meinte Mr. Klein dann auch, könne ich nicht zu Yves St. Laurent gehen.

Ich hatte keine genaue Vorstellung von einer Modenschau. Derartige Dinge interessierten mich eigentlich nicht. Aber ein paar Gedanken mehr hinsichtlich meiner Aufmachung hätte ich mir wohl schon machen sollen. Nun, ich war jung und rebellisch, trieb mich in meiner Privatzeit in den Bohème-Kreisen von Saint-Germain-des-Pres herum und beschäftigte mich als Fotograf seit längerer Zeit fast ausschließlich mit dem Liebesleben von Rock’n’Roll-Fans in den proletarischen Randbezirken des Pariser Ostens. Doch nun sollte ich im vornehmen Westen der Stadt fotografieren, einem mir vollkommen fremden Terrain. Aber ich war natürlich froh, dass ich für Kleins Film Fotos machen durfte, musste ich doch sonst fast immer nur in seinem Studio in der Dunkelkammer stehen.

Während ich mich schon zur Wendeltreppe wandte, versicherte ich Mr. Klein, dass ich mich eiligst umziehen würde, und erklomm schnell die zwei Etagen zu meinem Wohnquartier, einer ehemaligen »chambre de bonne« im Dachgeschoss. Mr. Klein hatte mir das »Dienstmädchenzimmer« zur Verfügung gestellt. Es war eine recht primitive Behausung, ohne fließend Wasser und ohne Toilette. Beides befand sich am Ende des Etagenflurs. Aber als Jugendlicher empfand ich das alles nicht als Problem. Ich hatte ein Dach über dem Kopf, war dem langweiligen Hamburg entkommen, hatte einen Job – und noch dazu bei einem berühmten Meister meines Metiers – und vor allem, ich lebte wie im Chanson »Sous le ciel de Paris«, unter dem Himmel von Paris!

Ein Problem hatte ich allerdings in meiner gegenwärtigen Situation: Was sollte ich bloß anziehen? Weder mein zweites Cordjackett noch erst recht nicht meine Lederjacke würden mich im 16. Arrondissement präsentierwürdig aussehen lassen. Es kam nur der Anzug in Frage, den ich mir im letzten Jahr auf dem Flohmarkt gekauft, aber nur ein einziges Mal getragen hatte. Das schöne graublau gestreifte Muster und sein tadelloser Zustand – obgleich der Anzug aus den Dreißigerjahren zu stammen schien – hatten mich seinerzeit zum Kauf verführt, mir war dann aber zu Hause aufgefallen, dass das Jackett eigentlich viel zu kurz war. Auch die Hose sah an mir unmöglich aus, denn dummerweise hatte ich sie mal einem Freund geliehen, der sie mit seinem dicken Po und seinen stämmigen Schenkeln völlig ausgebeult hatte. Nun, es gab keine Alternative, ich musste das schlecht sitzende Kleidungsstück tragen. Wenigstens strahlte ich oberhalb der Taille eine gewisse Eleganz aus. Auf alle Fälle würde ich versuchen, mich bei der modebewussten Hautevolee stets so diskret wie möglich im Hintergrund zu halten. Hemd? Mein weißes. Krawatte? Natürlich keine. Eine derartige Konzession an das Bürgertum war mir dann doch zu viel.

Es war damals streng verboten, die Kollektionen der verschiedenen Couturiers zu fotografieren, geschweige denn zu filmen. Doch William Klein, der auch häufig Fotos für die Vogue machte und daher ebenfalls in den Haute-Couture-Kreisen als genial angesehen wurde, hatte von Monsieur St. Laurent eine einmalige Erlaubnis zum Filmen erhalten, die auch meine Anwesenheit als Fotograf mit einschloss. Meine Fotos durften allerdings nur innerhalb des Films verwendet werden. Dessen Sendetermin würde ja in jedem Fall jenseits des Zeitraums liegen, in dem ein Kopieren der Kleidungsstücke befürchtet wurde.

Vor dem Haus von Yves St. Laurent lungerte eine Schar von Paparazzi. Im Foyer des noblen Mode-Etablissements standen mehrere in graue Kostüme bzw. Anzüge gekleidete Damen und Herren: das Empfangspersonal. Einer der Herren führte Mr. Klein und mich zum Arbeitsbereich in die erste Etage. Wir durchquerten mehrere Räume, gingen durch verschiedene Gänge und stiegen über kleine Treppen auf und ab. Überall hingen Kleider, und auf dem Boden lagen offene Kartons mit diversen Mode-Accessoires. Durch eine offene Tür konnte ich einige Mannequins sehen, die gerade geschminkt und frisiert wurden.

Schließlich gelangten wir in einen größeren Raum, in dem wir den Geschäftsführer des St. Laurent-Hauses, Pierre Bergé, trafen, den Mr. Klein persönlich kannte. Er führte uns zum anderen Ende des Raumes, wo er einen Vorhang zur Seite nahm und die dahinterliegende Tür einen Spalt öffnete. Ich konnte zwei ineinander übergehende Salons erspähen; die große Schiebetür zwischen den beiden Räumen stand offen. Hier sollte also das große Ereignis stattfinden. Die Reihen von goldlackierten Stühlen entlang der stoffbespannten Wände waren noch unbesetzt.

Ich fing an, mich in meinem Anzug vom Flohmarkt immer unwohler zu fühlen.

Monsieur Bergé zeigte uns, an welche jeweiligen Plätze wir uns später begeben könnten: Mr. Klein in die Ecke des zweiten, ich auf den letzten Stuhl des ersten Salons. Die Mannequins würden in der Mitte der Salons auf und ab gehen, informierte uns der Geschäftsführer und bat uns, während er die Tür wieder schloss, um äußerste Diskretion beim Ausüben unserer Tätigkeiten.

Mr. Klein wollte zunächst die Ankunft der Gäste vor dem Haus filmen. Er machte seine Kamera drehfertig, und ich hängte mir meine Pentax mit einem Weitwinkelobjektiv um den Hals. Meine Fototasche mit extra Filmen und meinem Teleobjektiv stellte ich in eine Ecke am anderen Ende des Raumes.

Auf der Straße entstiegen immer mehr distinguierte Damen – und ab und zu Herren – ihren Luxusautos, um zum Tempeleingang ihres neuen jungen Modegurus zu rauschen, wobei sie versuchten, die Paparazzi zu ignorieren. Ich brauchte mich glücklicherweise nicht unter meine hektischen Berufskollegen zu mischen, denn es kam meinem Boss darauf an, die gesamte Atmosphäre dieses ganzen Modezirkus’ zu dokumentieren. Als sich der Menschenauflauf auf der Straße lichtete, eilten Mr. Klein und ich zu unseren Plätzen in den Salons.

Ich saß gleich neben dem Ausgang zum Treppenhaus. Sobald das Defilee der Mannequins beginnen würde, sollte ich mich beim Fotografieren vor allem auf die Gesichtsausdrücke der Zuschauerinnen konzentrieren. In meiner Schusslinie zu den mir zugewandten Gästen auf der gegenüberliegenden Seite des Salons hätte ich, wenn ich aufstehen würde, einen mehr oder weniger klaren Blick auf die erste Reihe. Jede der dort mit einer Aura der Erhabenheit thronenden Society Ladies sah aus, als gebühre nur ihr der Titel »Glamourkönigin im Modereich«. Es konkurrierten: die Jetset-Aristokratin Vicomtesse de Ribes, die Kosmetiklegende Helena Rubinstein, die in den Hochadel eingeheiratete Schwester von Jackie Kennedy, Prinzessin Radziwill, der Ballett- und Revue-Star Zizi Jeanmaire und die italienische Leinwandschönheit Elsa Martinelli. Nur die Gesichter und Namen der Tänzerin und der Schauspielerin waren mir geläufig, wer die anderen furchteinflößenden Damen waren, erfuhr ich erst später.

Alle Stühle in beiden Salons schienen nun besetzt zu sein, und das Defilee stand unmittelbar bevor. Einer der Empfangsherren schloss gerade die Tür neben mir, als mir plötzlich zu meinem Entsetzen einfiel, dass sich ja noch meine Fototasche mit den dringend benötigten Filmen und dem Teleobjektiv in dem anderen Raum befand. Das hatte ich nun davon, dass ich mir ständig Gedanken um mein Aussehen in dem Anzug machte, anstatt mich auf meinen Job zu konzentrieren.

Wie sollte ich jetzt an meine Fototasche gelangen? Ein Gang durch das Treppenhaus und durch das Labyrinth der Räume und Gänge würde nicht nur entschieden zu lange dauern, ich würde auch riskieren, mich zu verlaufen. Sollte ich es wagen, dort vorne links einfach durch die Tür zu gehen?

Meine Überlegungen wurden schlagartig überflüssig, denn eben diese Tür wurde gerade von einem anderen Herrn im grauen Anzug geöffnet. Mit zeremoniell wirkender Gestik befestigte er die beiden Türflügel an den jeweiligen Wandhaken. Ein gewisses Raunen ging durch die Salons. Nun trennte nur noch ein Vorhang das Publikum von den heiß erwarteten Kleiderkreationen.

Jetzt war alles zu spät! Klein würde mich feuern. Ich hatte die Spitzen der Modegesellschaft vor mir und würde keine Fotos machen. Den Film in meiner Kamera hatte ich draußen vor dem Haus so gut wie verknipst, und außerdem waren für mein Weitwinkelobjektiv die prominenten Damen ohnehin viel zu weit entfernt.

Aber dann schien es, als gäbe es doch noch eine Chance, dass der heutige Tag vielleicht nicht der letzte in meiner fotografischen Karriere werden würde. Dort rechts, im zweiten Salon, war eine der grau gekleideten Empfangsdamen erschienen und fing an, eine Art Ansprache zu halten. Die wohlerzogenen Damen und Herren wandten sich ihr höflich zu. Eine perfekte Ablenkung! Ohne weiter zu überlegen, eilte ich blitzschnell hinter meiner Reihe von Stühlen nach links bis zur Wand und ging dann, um eine eventuell entstehende Aufmerksamkeit auf ein Minimum zu beschränken, ganz gemächlich auf die offene Tür zu. Da sich die vornehme Gesellschaft synchron zur plappernden Empfangsdame gedreht hatte, gelangte ich so gut wie unbemerkt bis zum Vorhang.

Diskret zog ich den schweren Stoff nur so weit zur Seite, dass ich gerade noch durchschlüpfen konnte. Und erstarrte. Vor meiner Nase war das erschrockene Gesicht von Yves St. Laurent, der anscheinend gerade durch die Spalte des Vorhangs seine erlesene Kundschaft observiert hatte. Ich hauchte »Pardon« und schlich mich an dem Modemeister vorbei, konnte aber nur ein paar Schritte machen, denn mein Weg wurde von einem Menschengewimmel blockiert: Mannequins in prachtvollen Kleidern, emsige Frauen in weißen Kitteln und fuchtelnde Männer in Hemdsärmeln füllten den ganzen Raum. Die Frauen zupften an den Kleidern, die Männer an den Frisuren der statuesken Präsentiermädchen. Trotz der visuellen Hektik herrschte eine seltsame Stille. Wenn überhaupt gesprochen wurde, dann nur in flüsternden Tönen.

Mit leisen »Pardons« drängelte ich mich durch die Heerscharen der Haute Couture, bis ich endlich die Ecke erreichte, in die ich meine Fototasche gestellt hatte. Doch – oh, mein Gott! – sie war nicht da! Meine Tasche war verschwunden! Dort, wo ich sie hingestellt hatte, stand nun ein Gestell mit Kleiderbügeln. Auf dem Boden, entlang der Wand, lagen große und kleine Kartons und Schachteln. Und diverse Taschen. Aber keine davon war meine.

Ich spürte Panik in mir hochsteigen. Hatte ich eben noch die gedämpfte Stimme der Empfangsdame gehört, so drang jetzt bereits Applaus aus den Salons. Und dann herrschte mit einem Mal Totenstille. Jeden Moment würde sich der Vorhang öffnen und das Defilee beginnen. Dann würde es unmöglich sein, an meinen Platz zurückzugelangen. Meine Blicke schnellten verwirrt durch den Raum und … Da war sie ja! Dort, in der anderen Ecke, lag meine Fototasche. In meiner Aufregung musste ich die Orientierung verloren haben und hatte in der falschen Ecke gesucht. Ich stürzte mich auf meine Tasche, riss sie an mich und schlängelte und drängelte mich wieder durch das Couture-Chaos, konnte aber diesmal keine »Pardons« hervorbringen, da mir der Schock über den vermeintlichen Verlust meiner Arbeitsutensilien immer noch in den Gliedern saß und mir die Kehle zuschnürte. Endlich war der Vorhang in fast greifbarer Nähe. Und, dem Himmel sei Dank, noch geschlossen. Nur noch ein Hindernis musste überwunden werden: Monsieur St. Laurent, der jetzt wieder durch den Spalt im Vorhang spähte. Ich räusperte mich, um ein verständliches »Pardon« hervorbringen zu können, was mir dann auch – allerdings in zu hoher Tonlage – gelang.

Der leidgeprüfte Modeschöpfer drehte sich um. Statt geschockt musste sein Gesichtsausdruck nun wohl eher als zornig beschrieben werden. Er presste seine Hände zusammen, faltete und schüttelte sie heftig hin und her, richtete seinen Blick zu irgendeiner Himmelsmacht und stöhnte dann die Klageworte: »Ah, ce jeune homme!!!« Er trat aber zurück, und ich öffnete vorsichtig den Vorhang.

Hunderte von erwartungsvollen Blicken richteten sich auf mich. Die Elite der internationalen Modewelt – ganz auf exquisite Eleganz und Ästhetik eingestellt – musste nun den Anblick einer ausgebeulten Hose und eines lächerlich kurzen Jacketts ertragen.


Helena Rubinstein und Zizi Jeanmaire.

Irgendwie habe ich es zurück auf meinen Platz geschafft. Paralysiert von Scham- und Schuldgefühlen war ich zunächst nicht in der Lage, gute Fotos zu machen. Erst allmählich konnte ich mich wieder auf Bildkompositionen konzentrieren, und es gelang mir schließlich auch, im richtigen Moment Reaktionen auf den Gesichtern hinter den stolzierenden Mannequins einzufangen.


Durch die Vermittlung von William Klein erhielt ich in den folgenden Jahren mehrere Aufträge als selbstständiger Fotograf, und er engagierte mich als »photographe de plateau«, als er 1966 seinen ersten Spielfilm, Qui êtes-vous, Polly Maggoo?, eine Satire über die Modebranche, drehte. Es war mein erster Auftrag als Filmset-Fotograf, und eine meiner Aufnahmen von der Hauptdarstellerin Dorothy McGowan, einem amerikanischen Supermodel, wurde das Filmplakat-Foto.


Wie ich John Lennon die Haare schnitt, vor Romy Schneider davonlief und Catherine Deneuve zum Lachen brachte

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