Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre - Band 7 - Jörn Kolder - Страница 3
Frieder Bergmann wird Bundeskanzler und verzweifelt an BRABBEL Deutschland
Оглавление„…. und versichere Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine ganze Kraft in den Dienst des deutschen Volkes sowie der europäischen Gemeinschaft zu stellen und rastlos daran zu arbeiten, dass der Wohlstand unseres Landes weiter wächst, und die Sicherheit in Europa und der Welt wieder erstarkt. Lassen Sie es mich auf den Punkt bringen: ein starkes Deutschland ist Garant für mehr Sicherheit! Nein, meine Damen und Herren von den Linken und Grünen, Sie müssen jetzt nicht buhen! Deutschland wird kein Hegemon sein, sondern Primus Inter Pares! Was? Sie wissen nicht, was das bedeutet? Dann setzen Sie sich doch noch einmal auf die Schulbank, es scheint ja dringend erforderlich zu sein! Ich bin Europäer mit Leib und Seele und werde niemals zulassen, dass es weiter Ungleichgewichte in Europa geben wird! Und dafür muss auch Deutschland seinen Beitrag leisten! Nein, meine Damen und Herren von der CDU und CSU. Europa ist nicht zum Nulltarif zu bekommen! Wer Prosperität will kann das nicht nur zu Lasten von anderen erreichen. Und auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, können nicht unbegrenzt in die Kasse greifen, um soziale Wohltaten zu vollbringen. Wir sollten uns eins über Parteigrenzen hinweg sagen: es geht um unser Land in der Mitte Europas, und weil es nicht isoliert existieren kann bitte ich um Ihre Mithilfe, dass wir unser Ziel der europäischen Einheit erreichen. Ja, wir müssen unseren Nachbarn auch weiterhin die Hand reichen und uns nicht über nationale Eigenarten und anderes Verhalten erregen. Sehen Sie, ich war letztes Jahr mit meiner Familie in Frankreich im Urlaub. Was habe ich dort erlebt? Ich habe freundliche und hilfsbereite Menschen getroffen, habe eine ganz andere Art des Lebens kennengelernt. Blicken Sie doch einmal über den Tellerrand und haben nicht immer bloß Weißwurst und Bier im Blick. Nein, Herr Seedoofer, Sie können Ihr Bier trotzdem weiterhin trinken, Sie müssen nicht auf Wein umsteigen. Und statt Baguette können Sie Ihre Brezeln knabbern.
Ich habe meine Agenda ganz klar erläutert. Durch den Wegfall der Umsatzsteuer werden wir erhebliche Wachstumsschübe haben und unsere Volkswirtschaft wird gewaltig aufblühen (Beifall von CDU und CSU). Das wird auch dazu führen, dass mehr Menschen in Beschäftigung kommen und prekäre Arbeitsverhältnisse wegfallen, weil die Menschen dann angemessen entlohnt werden können (Beifall von der SPD und den Linken). Durch die Hinwendung zu Hochtechnologien wird es möglich werden, speziell im Bereich des Umweltschutzes deutlich weiter voranzukommen (Beifall von den Grünen). Und was mir wichtig ist, ist der weitere Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur. Dort müssen wir unbedingt an Tempo zulegen, wenn wir den Anschluss nicht verlieren wollen.
Was mir besonders am Herzen liegt ist die Inklusion behinderter Mitbürger. Wir müssen den vielen guten Worten jetzt endlich Taten folgen lassen. Die Steuern sprudeln und ich werde den Haushalttitel kräftig erhöhen (starker Beifall aller Fraktionen). Lassen Sie mich unbedingt bitte noch eine Sache erwähnen. Die von uns alle hochgeschätzte Altkanzlerin Anke Meckel hat die Geschicke Europas jetzt in Brüssel in die Hand genommen. Sie wissen ganz genau, dass sie durchsetzungsfähig ist, und die Interessen unseres Landes dort wahrnehmen wird. Lassen Sie uns also daran arbeiten, dass unser Land zu einem Ort der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Hochkultur werden wird, in dem sich seine Bürger wohlfühlen und gut leben können!“
Frieder Bergmann verließ das Rednerpult und nahm auf seinem Sitz im Plenarsaal Platz. Während er dorthin ging hatte ihn heftiger Beifall begleitet. Nach dem er vor kurzem mit überwältigender Mehrheit zum Kanzler gewählt worden war hatte er erst einmal das Terrain sondiert und schnell festgestellt, dass er sich nicht großartig umstellen werden müsste. Alles kannte er schon aus seiner Zeit als Verteidigungsminister und konnte ziemlich gelassen an die Dinge herangehen. Sein Büroleiter Herbert Büchsenschuss zog im Hintergrund die Fäden und hielt mit taktischen Geschick viel von Bergmann fern, so dass sich dieser erst einmal mit dem internationalen Parkett vertraut machen konnte. Anke Meckel hatte ihm vor seiner Wahl empfohlen, sich die Chinesen warm zu halten, und diese mit dem Projekt „BER-Flughafen“ zu ködern. Bergmann selbst hielt das für einen guten Einstieg, denn die Bauarbeiten an der total verkorksten Investruine waren fast vollständig zum Erliegen gekommen. Offenbar hatte dort niemand eine Idee wie es weitergehen sollte, geschweige denn einen realistischen Plan. Das wohl auch noch Schmiergelder geflossen waren und ein Hochstapler die verflixte Entrauchungsanlage projektiert hatte machte für Bergmann das Maß endgültig voll. Da war selbst der Einsatz des alten und durchtriebenen Fuchses Mähtorn vergebens gewesen. Frieder Bergmann hatte seinen Dienstreiseauftrag vom Kabinett ohne Mühe absegnen lassen. Sinngemäß lautete dieser so:
Komplettabriss und Neubau des Flughafens innerhalb von 18 Monaten
Zusätzlich Aufbau einer Magnetschwebebahn vom Flughafen bis Zentrumsnähe
Kostenrahmen 3 Milliarden Euro
Vertragsstrafe bei Fristüberschreitung:
10 Millionen Euro pro Verzugstag
In seinem Gefolge würden Experten mitreisen, die sich um die Details kümmern sollten. Bergmann war die Reise nicht geheuer, denn er würde nach China kaum mit dem Auto oder dem Schiff fahren können, denn für den Kanzler war Zeit ja Geld.
„Das wird nicht anders gehen als wie beim Flug mit der MiG 29“ hatte Herbert Büchsenschuss zu ihm gesagt „dein Leibarzt wird dich soweit sedieren, dass dir alles am Arsch vorbeigeht, aber du noch entscheidungsfähig bleibst. Dann wird er dir ein Schlafmittel verabreichen und du wirst erst kurz vor der Landung wieder munter. Du wirst eine Aufbauspritze bekommen, so dass du dann sofort wieder voll da bist. Dann ziehen sich die Experten zurück und beraten mit den Chinesen. Du hast dann die Aufgabe, den hochrangigen Funktionären bei einem Essen ein bisschen um den Bart zu gehen und die für Industrieprojekte scharf zu machen, die wir selbst nicht realisieren wollen oder können. Drei sind besonders wichtig: die Sache mit unseren Atomkraftwerken, das heißt deren Abriss, das atomare Endlager, aber bitte nicht bei uns, und die Nord-Süd-Energietrasse. Wie du weißt, trinken die Chinesen vor allem bei Geschäftsessen gern einen und manchmal artet das in ein regelrechtes Kampftrinken aus. Du musst also gut vorbereitet sein, dass du auch dann noch die Kontrolle behältst, wenn es dann richtig zur Sache geht.“
„Willst du damit etwa sagen, dass ich jetzt anfangen soll, mir jeden Abend eine Flasche Schnaps reinzuhauen?“
„Genau. Darum geht es.“
„Wie bitte? Wie soll ich denn da früh aus den Federn kommen? Also, ich trink‘ schon gern mal einen aber doch nicht eine ganze Flasche Schnaps!“
„Frieder, es geht um Deutschlands Zukunft! Da kannst du dich nicht drücken!“
„Also wenn ich ab sofort nur noch an der Flasche hänge bin ich doch in ein paar Wochen ein Fall für die anonymen Alkoholiker.“
„Quatsch. Du reist in 10 Tagen ab. Bis dahin trainierst du und trinkst die Schlitzaugen dann locker unter den Tisch. Vorher musst du denen aber die problematischen Projekte schmackhaft machen. Übrigens: es wird Mao Tai geben, den kennst du ja schon.“
„Oh ja“ antwortete Bergmann aufstöhnend „der hat fast 60 Prozent und haut mächtig rein.“
„Na eben“ erwiderte Büchsenschuss „du wirst dich doch nicht von diesen mickrigen Chinesen schlagen lassen. Du fängst heute Abend 19 Uhr mit der ersten Flasche an. Die Fahrbereitschaft hat sie bereits in deine Wohnung gebracht. Ich rufe dich dann aller Stunden an und teste dein Reaktionsvermögen. Alles klar?“
„Ja, aber was soll ich denn meiner Frau sagen?“
„Die Wahrheit. Noch einmal: es geht um Deutschland!“
„Ich verstehe ja durchaus, dass zu deinen dienstlichen Aufgaben auch mal ein Umtrunk gehören wird“ sagte Petra Bergmann am Abend zu ihrem Mann „aber das, was du vorhast, geht aus medizinischer Sicht eindeutig zu weit!“
„Was will ich denn machen“ antwortete Bergmann und goss sich das zweite Glas Mao Tai ein „es geht um deutsche Interessen. Die sind nun mal ein höheres Gut als meine Leber. Außerdem schmeckt der Mao Tai gar nicht schlecht. Willst du mal probieren?“
„Niemals.“
„Na gut. Das würde den Test ja auch verfälschen. Es ist jetzt kurz vor 20 Uhr, Herbert wird gleich anrufen.“
Petra Bergmann ging zum Nachtdienst im Krankenhaus.
Punkt 20 Uhr meldete sich Büchsenschuss an Bergmanns Kryptohandy.
„Wie ist die Lage Frieder?“
„Bestens.“
„Wie ist die Quadratwurzel aus 144.“
„12.“
„Wie nennt man einen Ausdruck wie „ein weißer Schimmel“?“
„Eine Tautologie.“
„Okay. Bis in einer Stunde wieder.“
Frieder Bergmann hatte es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht und trank den nächsten Mao Tai. Gar nicht übel das Zeug dachte er sich und verfolgte eine Sendung über gepanschten Alkohol in der Türkei. Warum die sich dort immer so die Rübe vollhauen fragte er sich verständnislos und nahm den nächsten Mao Tai zu sich. Das Telefon klingelte um 21 Uhr wieder.
„Wie ist die Lage Frieder?“
„Bestens.“
„Wann steht ein Fußballspieler im Abseits?“
„Wenn er zum Zeitpunkt der Ballabgabe hinter dem letzten Spieler der gegnerischen Mannschaft steht.“
„Kinetische Energie ist?“
„Ähm, ähm, hat irgendwas mit Masse zu tun. Du, Herbert, ich war in Physik nicht so gut.“
„Okay, bis in einer Stunde.“
Bergmann nuckelte an seinem Mao Tai und geriet jetzt in leicht euphorische Stimmung. Im Fernsehen lief eine Reportage über Organtransplantationen. Die Schnapsflasche war zu einem Viertel leer. Unscharfes Bild heute dachte sich Bergmann und nahm einen weiteren Schnaps. Muss ich mal den Fernsehmonteur bestellen, so geht das doch nicht. Ich drücke hier fast 50 Euro im Monat für die Flatrate ab und dann verschwimmen auch noch die Bilder. Ach ja, fiel ihm ein, die Internetinitiative muss ich ja auch noch anschieben. Ich gehe jetzt gleich mal die Downloadgeschwindigkeit testen nahm er sich vor und erhob sich. Dabei kam er etwas aus dem Gleichgewicht und lief in leichten Schlängellinien und vor sich hin kichernd in sein Arbeitszimmer. Als der Computer hochgefahren war startete er einen DSL Speed Test. Das Ergebnis war: 2,5 Mbit pro Sekunde. Bergmann schaute fassungslos auf den Monitor. Man hatte ihm aber eine Geschwindigkeit von 25 Mbit pro Sekunde verkauft! Vor Wut über das miese Ergebnis ging er ins Wohnzimmer zurück und trank noch einen Mao Tai. Im Fernsehen wurde gerade gezeigt, wie eine Leber transplantiert wurde. Bergmann kippte den nächsten Schnaps hinunter und erregte sich wieder über das schlechte Bild. Die haben wohl versucht einen Stereoeffekt einzubauen vermutete er, denn ihm kam es so vor, als würden sich zwei identische Bilder immer wieder überlagern, und dann das obere mal nach rechts, und dann nach links wegrutschen. Auch das klappt in Deutschland nicht sagte er sich verbittert, große Fresse von wegen technologisch führend, aber nicht mal in der Lage, eine vernünftige Internetgeschwindigkeit und einigermaßen passablen Fernsehempfang hinzukriegen. Gleich morgen lasse ich mir diese Pfeifen von BRABBEL Deutschland kommen und mache die rund. Wenn das schon hier in der Stadt nicht klappt, wie soll das erst in den Dörfern zugehen. Frieder Bergmanns Frust stieg immer mehr an, denn der Fernseher zeigte jetzt nicht bloß zwei, sondern vier sich immer wieder überlagernde Bilder. Die Mao Tai Flasche war halb leer. Um 22 Uhr klingelte das Telefon.
„Wie ist die Lage Frieder?“
„Ich will morgen den Betriebsdirektor, ähm, den Parteisekretär, ähm, den Chef von BRABBEL Deutschland sprechen Herbert. Stell‘ dir vor, ähm, Fern.. Fernseher zeigt vier Bilder. Un Internet geht viel zu lahm, ähm, zu langsam.“
„Wieviel ist 16 mal 3?“
„167.“
„Okay Frieder. Schluss für heute. Gute Nacht.“
Frieder Bergmann hatte etwas Mühe den Fernseher auszuschalten, dann nahm er noch einen letzten Mao Tai und wankte ins Schlafzimmer. Warum er seinen Schlafanzug nicht angezogen hatte konnte er sich am nächsten Morgen nicht erklären.
Gegen 9 Uhr saß Bergmann mit mächtigen Kopfschmerzen an seinem Schreibtisch.
„Machen Sie dem Chef erst mal einen Kamillentee“ befahl Herbert Büchsenschuss einer Sekretärin „er hatte gestern eine bis in die Nacht andauernde und anstrengende Beratung.“
Als die Frau gegangen war fragte er:
„Wieviel?“
„Was, wieviel?“
„Wieviel Schnaps?“
„Ne halbe Flasche.“
„Na bitte. Du hast dich noch einigermaßen verständlich geäußert. Bis es nach China geht bist du trainiert genug, um die Typen dort unter den Tisch zu trinken.“
„Herbert, ich hab‘ Kopfschmerzen. Wenn ich heute wieder so viel schlucken soll wird es mir morgen nicht anders gehen.“
„Doch, es wird dir anders gehen. Nach und nach wirst du dich daran gewöhnen.“
„Muss das wirklich sein, Herbert?“
„Es geht um Deutschland!“
„Okay. Was liegt heute an?“
„In einer Stunde kommt der Vorstandsvorsitzende von BRABBEL Deutschland. Du wolltest ja dringend mit ihm reden.“
„Ähm, was wollte ich gleich mit dem besprechen?“
„Du hast etwas von schlechtem Fernsehempfang und lahmer Internetverbindung gesagt.“
„Ach ja, stimmt. Was die bieten ist eine totale Mogelpackung. Den mache ich rund!“
„Sie müssen das so verstehen Herr Bundeskanzler“ sagte der in einen teuren Anzug gekleidete Mann „es heißt im Vertrag eindeutig „bis zu 25 Mbit“. Das bedeutet also, dass wir unter günstigen Bedingungen schon mal in Einzelfällen die 25 Mbit schaffen. Oft kommt das zwar nicht vor, aber manchmal klappt es doch.“
„Dann liegt der Schluss nahe“ erwiderte der von furchtbaren Kopfschmerzen geplagte Frieder Bergmann „dass wir mit unserer Internetinitiative gar nicht vorankommen und Sie Ihre Kunden, also auch mich, bewusst täuschen. “
„Keineswegs“ lächelte der Mann zurück „wenn Sie sagen würden, bis 2018 werden wir die Arbeitslosenzahlen „bis zu“ 30 Prozent senken, heißt das doch auch nichts anderes. Wenn Sie 10 Prozent schaffen liegen Sie doch durchaus richtig, aber auch wenn es nur 1 Prozent ist haben Sie nicht die Unwahrheit gesagt.“
„Wie bitte“ fuhr Bergmann hoch „Sie unterstellen mir, dass ich die Unwahrheit sagen würde?“
„Natürlich nicht“ erwiderte sein Gesprächspartner lässig „aber sehen Sie doch, wir beide sind Verkäufer. Bei Ihnen geht es um manchmal unpopuläre politische Entscheidungen. Ich drehe den Leuten Produkte an, die nicht das bringen, was angepriesen wird. Wenn einer der Kunden aufmuckt lassen wir den in unseren Hotlines verhungern. „Stellt euch blöd“ sage ich meinen Leuten immer wieder. Nehmt immer wieder die Daten und die Beschwerden dieser Störenfriede erneut auf, auch wenn die das euch schon x-mal mitgeteilt haben. Wenn einer ausrastet, weil er meinetwegen schon fünfmal angerufen hat und nicht weiterkommt, dann freut euch zwar, dass er jetzt die Nerven verloren hat, aber bleibt höflich und locker. Jetzt habt ihr ihn nämlich genau dort, wo er hinsollte. Verstehen Sie? Jetzt hat selbst der letzte der renitenten Kunden begriffen, dass er bei uns nicht durchkommt. Alle haben natürlich Verträge mit einer langen Kündigungsfrist. Ich sehe das immer wieder mit Freude vor meinem geistigen Auge, wie die wütenden Leute dann hektisch ihre Vertragsunterlagen durchsehen und verblüfft feststellen müssen, dass Sie mindestens zwei Jahre gar nicht zu einem anderen Anbieter wechseln können. Das finde ich total witzig! Die meisten geben dann auf und resignieren. Die paar, die dann noch weiter rumstänkern wollen werden an besonders geschulte Mitarbeiter verwiesen, die ihnen mit irgendwelchen unverständlichen technischen Begriffen klar machen, dass sie eigentlich viel zu blöd sind, um die Hintergründe unserer komplexen technischen Leistung überhaupt zu begreifen. Ihnen wird dann versprochen, dass sich die Leistung verbessern wird, aber das ist nur Propaganda. Manche dieser Typen sind wirklich hartnäckig und denken, dass sie mit einer Klage Erfolg haben. Aber unsere Verträge sind wasserdicht. Kein Einziger der Kläger hat jemals Erfolg gehabt, und das wird sich auch nicht ändern, solange ich der Chef bin“ beschloss der Mann stolz seinen Vortrag.
„Und was bedeutet das für mich“ fragte Bergmann ernüchtert und verzweifelt.
„Sie bekommen natürlich eine Sonderbetreuung, Herr Bundeskanzler. Wir kriegen das schon hin. Rufen Sie mal heute Abend diese Nummer an. Haben Sie sonst noch was auf dem Herzen? Nein? Dann darf ich mich verabschieden. Einen schönen Tag noch.“
Nachdem Frieder Bergmann gegen 19 Uhr von seinem Fahrer zu Hause abgesetzt worden war, und dieser ihm noch eine Flasche Mao Tai in die Hand gedrückt hatte aß er einen Happen und begann sich der noch halbvollen ersten Flasche zu widmen. Petra hatte Dienst. Bergmann strich den Zettel mit der Nummer der Hotline glatt, trank noch einen Mao Tai und wählte.
„Guten Tag, BRABBEL Deutschland, Sie sprechen mit Gabriela Petermannova, was kann ich für Sie tun?“
Die Frau sprach mit tschechischem Akzent.
„Ähm, Bergmann, Frieder Bergmann. Meine Internetgeschwindigkeit ist zu langsam.“
„Wie schnell ist die Verbindung?“
„2,5 Mbit.“
„Das ist doch aber gut! Ganz hervorragend!“
„Ähm, ich habe einen Vertrag über 25 Mbit.“
„Bis zu 25 Mbit.“
„Ja, das hat mir Ihr Chef auch schon gesagt. Aber 2,5 ist zu langsam.“
„Wie können Sie das beweisen?“
„Ich habe einen Speed Test gemacht.“
„Dann schicken Sie uns bitte einen Sreenshot davon. Messen Sie bitte zu verschiedenen Zeiten und fertigen Sie immer einen Screenshot an. Am besten, Sie messen aller drei Stunden.“
„Ähm, ich bin tagsüber auf Arbeit und kann das nicht tun.“
„Dann tut es mir leid für Sie. Ohne Beweislage kann ich nichts in die Wege leiten.“
„Hören Sie mal zu“ steigerte sich Bergmann in Rage „ich bin der Bundeskanzler und habe Wichtigeres zu tun, als hier irgendwelche Screenshot anzufertigen.“
„Sie sind also der Bundeskanzler? Interessant. Darf ich Ihre Vertragsnummer erfahren?“
„Hab ich nicht zur Hand.“
„Dann suchen Sie diese bitte heraus und melden sich wieder bei uns. Guten Abend.“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Frieder Bergmann kochte vor Wut und kippte einen Mao Tai hinter. Herbert Büchsenschuss rief an.
„Wie ist die Lage Frieder?“
„Ich habe gerade bei BRABBEL Deutschland wegen meinem Internetanschluss angerufen und die lassen mich dort auflaufen.“
„Setze dich durch! Schließlich bist du der Bundeskanzler.“
„Ich versuch’s.“
„Wie kommst du mit dem Mao Tai voran?“
„Wird immer besser. Aber ich muss jetzt erst mal meine Vertragsnummer suchen. Bis später.“
„Bis später.“
Frieder Bergmann stand hilflos vor dem Schrank, in welchem Petra ihre Vertragsunterlagen aufbewahrte. Glücklicherweise hatte sie die Ordnerrücken beschriftet, so dass er den Ordner „Telefon/Internet/Fernsehen“ herauszog. Er blätterte die Unterlagen durch und fand ein Papier welches er für den Vertrag hielt. Die Nummer lautete 14061958-4389. Bergmann trank noch einen Mao Tai und wählte.
„Guten Tag, BRABBEL Deutschland, Sie sprechen mit Pavel Brzechkowskryschki, was kann ich für Sie tun?“
Der Mann sprach mit polnischem Akzent.
„Ähm, Bergmann, Frieder Bergmann. Meine Internetgeschwindigkeit ist zu langsam.“
„Wie können Sie das beweisen?“
„Ich habe einen Speed Test gemacht.“
„Dann schicken Sie uns bitte einen Sreenshot davon. Messen Sie bitte zu verschiedenen Zeiten und fertigen Sie immer einen Screenshot an. Am besten, Sie messen aller drei Stunden.“
„Das hat mir Ihre Kollegin auch schon gesagt. Ich bin tagsüber auf Arbeit und kann das nicht tun.“
„Dann tut es mir leid für Sie. Ohne Beweislage kann ich Ihnen nicht helfen.“
„Hören Sie mal zu“ brüllte Bergmann ins Telefon „ich bin der Bundeskanzler“
„Sie sind also der Bundeskanzler? Interessant. Darf ich Ihre Vertragsnummer erfahren?“
„14061958-4389.“
„Einen Moment bitte. Hm, der Vertrag läuft auf eine Petra Bergmann. Woher soll ich wissen, dass Sie überhaupt befugt sind, sich bei uns zu melden?“
„Das ist meine Frau.“
„Wie können Sie das beweisen?“
„Soll ich Ihnen etwa die Heiratsurkunde zuschicken“ schrie Frieder Bergmann wie enthemmt in den Telefonhörer.“
„Genau, darum wollte ich Sie gerade bitten.“
„Das ist jetzt nicht Ihr Ernst“ rastete Bergmann aus „erst soll ich Screenshots machen und dann auch noch beweisen, dass ich mit meiner Frau verheiratet bin! Haben Sie noch alle Latten am Zaun? Sie sprechen mit dem Bundeskanzler!“
„Dann darf ich Sie bitten mir ein Dokument zuzustellen aus dem hervorgeht, dass Sie der Bundeskanzler sind. Das ist aber eigentlich gar nicht notwendig, denn wir behandeln alle Kunden mit unserem vorbildlichen Service gleich. Da spielt es keine Rolle, ob einer Geschäftsführer ist oder Müllfahrer.“
„Bei wem kann ich mich über Sie beschweren“ tobte Bergmann.
„Ich gebe Ihnen jetzt gleich eine Nummer, wo Sie Ihre Beschwerde vortragen können. Diese lautet: 0800 4502398742. Einen schönen Abend noch.“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Bergmann zerriss den Zettel mit der Vertragsnummer erregt in kleine Fetzen.
Frieder Bergmanns Blutdruck war enorm angestiegen und er trank zur Beruhigung gleich zwei Mao Tai hintereinander. Herbert Büchsenschuss rief an.
„Wie ist die Lage Frieder? Wie kommst du mit BRABBEL Deutschland voran?“
„Herbert, die erste Flasche ist leer. Ich fange jetzt die zweite an. Die treiben mich noch in den Wahnsinn.“
„Setze dich durch, Frieder, du bist der Bundeskanzler.“
„Ich versuch’s.“
Bergmann genehmigte sich noch einen Mao Tai und wählte.
„Guten Tag, BRABBEL Deutschland, Sie sprechen mit Tatjana Iwanova, was kann ich für Sie tun?“
Die Frau sprach mit russischem Akzent.
„Ich möchte mich über einen gewissen Pavel Brechdurchfall oder so ähnlich beschweren.“
„Einen Moment bitte. Ich sehe einmal nach, ob ein Kollege mit so einem Namen bei uns arbeitet. …. Tut mir leid, ein Pavel Brechdurchfall ist nicht bei uns beschäftigt. Haben Sie etwas dagegen, dass wir das Gespräch zur Verbesserung der Qualität unserer Beratung aufzeichnen?“
„Nein, können Sie ruhig machen. Der Name war so ähnlich wie Brechdurchfall. Also der fing irgendwie mit Brech an.“
„Einen Moment bitte. Ich sehe noch einmal nach. …. Wir haben einen Pavel Brzechwolnitschki, einen Pavel Brzechdurchbrzky und einen Pavel Brzechkowskryschki. Welcher soll es denn sein?“
„Weiß ich doch nicht“ wurde Bergmann lauter „nehmen Sie mal den zweiten.“
„Gut. Was werfen Sie meinem Kollegen vor? Aber geben Sie mir bitte vorher noch Ihre Vertragsnummer.“
„Das kann nicht wahr sein“ brüllte Bergmann „die habe ich diesem Brechdurchfall vor zehn Minuten schon einmal gegeben. Sehen Sie unter Petra Bergmann nach! Aber dalli!“
„Bitte mäßigen Sie sich. Ich mache hier auch nur meine Arbeit. Einen Moment bitte. …. Ja, eine Petra Bergmann ist Kundin bei uns. Wie können Sie nachweisen, dass Sie überhaupt berechtigt sind, für die Vertragsinhaberin zu sprechen?“
„Jetzt reicht‘s mir aber“ brüllte Frieder Bergmann jetzt wie besessen „erst wird man hier von überforderten Ausländern total verarscht und dann will man sich beschweren und wird wieder abgebügelt. Ich will mich über diesen Brechdurchfall beschweren, und zwar sofort! Da werden Hilfskräfte aus dem Osten eingestellt, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben und deswegen wahrscheinlich auch nicht viel kosten. Da braucht man sich über diesen beschissenen Service ja nicht zu wundern!“
„Bitte mäßigen Sie sich. Ich notiere mir mal Ihre Telefonnummer. Das Band läuft ja ohnehin für den Gesprächsmitschnitt weiter. Ich stelle also fest, dass Sie meine und die Arbeit der anderen ausländischen Mitarbeiter herabwürdigen wollen. Haben Sie etwa ein Problem mit ausländischen Mitbürgern?“
Bergmann hatte unterdessen einen weiteren Mao Tai gekippt und geriet immer mehr in Brass.
„Der einzige Deutsche in Ihrer Familie war sicher bloß ein deutscher Schäferhund, stimmt’s“ schrie er ins Telefon „und dann spucken Sie auch noch große Töne. Ich will mich über den Brechdurchfall und Sie beschweren! Ich bin der Bundeskanzler!“
„Jetzt hör‘ mir mal zu du Früchtchen“ brüllte Tatjana Iwanova zurück „oder soll ich dich besser Faschist nennen? Hä? Was bildest du dir eigentlich ein wer du bist? Der Bundeskanzler? Ein beschissener kleiner Kunde bist du, der gerade mal 50 Euro Umsatz im Monat bringt! Du bist nur ein klitzekleiner Umsatzkacker! Viel zu schade um die Zeit, sich mit dir abzugeben. Leck mich doch!“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Frieder Bergmann wankte zur Mao Tai Flasche und setzte sie an den Mund an. Als er sie auf den Tisch zurückstellte sah er, dass sie zur Hälfte leer war. Er hatte bis jetzt eine Flasche Mao Tai geschafft. Herbert Büchsenschuss rief an.
„Wie ist die Lage Frieder? Hast du die Typen von BRABBEL Deutschland rund gemacht?“
Bergmann erinnerte sich an seine harschen Worte und an den Tonbandmitschnitt. Kleinlaut sagte er:
„Ich bin ausgerastet Herbert. Ich hab‘ eine Tante dort mächtig beschimpft?“
„Auf welche Art?“
„Ähm, das waren alles Ausländer dort, und über die bin ich dann hergezogen. Ähm, und das Gespräch wurde mitgeschnitten.“
„Bist du denn verrückt geworden Frieder! Wenn das in die Klatschpresse gelangt hast du ein Problem, aber ein riesengroßes! Gegen ausländische Mitbürger zu hetzen! Gerade du, als Bundeskanzler! Rufe sofort wieder an und entschuldige dich.“
Bergmann wählte.
„Guten Tag, BRABBEL Deutschland, Sie sprechen mit Tatjana Iwanova, was kann ich für Sie tun?“
„Ähm, Bergmann, wir hatten soeben miteinander gesprochen.“
„Ich erinnere mich sehr gut daran, sehr, sehr gut“ kam es eiskalt zurück „ich bereite gerade den Gesprächsmitschnitt für den Versand an unsere Zentrale vor.“
„Ähm, ich möchte mich entschuldigen. Ich habe ein bisschen die Nerven verloren und ich möchte Ihnen sagen, dass ich mir die Integration von Ausländern als Bundeskanzler besonders auf die Fahnen geschrieben habe. Deutschland muss mehr tun, damit solche qualifizierten Kräfte wie Sie zu uns kommen. Glauben Sie mir, ich bin Europäer durch und durch, das verlangt mein Amt geradezu von mir. Ähm, können wir die Sache nicht einfach vergessen?“
„Wollen Sie sich noch über irgendetwas oder irgendwen beschweren?“
„Keinesfalls. Ihr Service hat geradezu Vorbildcharakter. Ich fühle mich bei BRABBEL Deutschland bestens aufgehoben. Ich danke Ihnen für die vorbildliche Beratung. Ähm, und der Mitschnitt?“
„Lösche ich, aber wenn Sie hier noch ein einziges Mal anrufen lasse ich Sie so auflaufen, dass Sie sich nie wieder davon erholen werden, verstanden?“
„Ja, natürlich. Ihnen noch einen schönen Abend.“
Bergmann hörte noch „so ein blödes Arschloch, gibt sich als Bundeskanzler aus“, dann folgte schallendes Lachen und die Verbindung wurde abrupt getrennt.
Herbert Büchsenschuss rief an.
„Wie ist die Lage Frieder? Hast du die Sache mit BRABBEL Deutschland wieder hingebogen?“
„Ja. Ich hab‘ jetzt ne ganze Flasche weg und geh‘ ins Bett. Mir reicht’s für heute.“
„Denke daran, morgen berät das Kabinett zur Internetinitiative.“
„Geht klar. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
„… muss noch einiges getan werden, um den internationalen Standard zu erreichen“ sagte Frieder Bergmann während der Kabinettssitzung zur Internetinitiative und kämpfte gegen Kopfschmerzen und einen furchtbaren Brand an.
„Ich habe selbst feststellen können, dass einige Anbieter noch Aufholbedarf haben, aber andere schon ganz gut dastehen, wie zum Beispiel BRABBEL Deutschland.“
„Meinen Sie das im Ernst“ fragte der Innenminister überrascht „ich wollte mich dort einmal über eine schlechte Internetgeschwindigkeit beschweren und bin vollkommen verarscht worden. Da waren nur unbedarfte Ausländer am Telefon die mich von einem zum anderen Mitarbeiter vermittelt haben. Am Ende habe ich dann aufgegeben.“
„Sie sollten Ihre Worte besser abwägen“ erwiderte Frieder Bergmann „da kann man ganz schnell in die rechte Ecke gestellt werden, wenn man sich herablassend über ausländische äußert. Ich würde mich niemals so im Ton vergreifen!“
Die kommenden Abende arbeitete Frieder Bergmann weiter an seiner Trinkfestigkeit und fühlte sich für seine Reise nach China in dieser Hinsicht gut gerüstet.