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Der Teufel hat Kirmes

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Den ganzen Tag über ist kein Wind gegangen. Ruhiges Herbstwetter macht mich schwermütig. Es liegt an der Weise wie die Luft die Töne weiterleitet. Würde man mich in Tiefschlaf versetzen und im Frühherbst auftauen, allein an den Tönen der Welt, die von draußen heran fliegen, könnte ich den Frühherbst erkennen. Was an mein Ohr dringt, sind Moll-Klänge. Über der ganzen Stadt liegt Moll, als hätten sich alle traurigen Gedanken der Menschen zu ihren Köpfen zu einer einzigen schweren Wolke geballt. Es macht keine Freude durch diesen Smog zu bummeln.

Doch jetzt, in dieser Minute, ist Wind aufgekommen, verbläst die Melancholie, die Stadt klingt wieder in Dur. Im Westen zeigt sich ein prächtiges Abendrot. Wir nehmen zu unserem Abendbummel die Kamera mit. In der Parterrewohnung lebt ein junges Paar. Durch deren Wohnungstür dringt ein leises Klirren wie von Porzellan, als würde ein Teeservice von der Küche ins Wohnzimmer getragen. Es ist ein bisschen früh für die Romantik der herbstlichen Teezeremonie, die braucht Sturm und Kälte. An einem grauen, stürmischen Novembertag ist es ganz heimelig rund um den Lichtschein einer Kerze. Ein Teelicht bei Sonnenschein hingegen sieht albern aus.

Das findet mein Unternachbar wohl auch. Er hat nämlich kurz hinter uns das Haus verlassen und kommt raschen Schrittes heran, grüßt im Vorbeigehen und eilt weiter. Er trägt eine schwarze Trainingshose mit weißen Seitenstreifen und ein zinnoberrotes T-Shirt, ist aber für den Anlass absolut passend gekleidet, denn er hält in der Hand ein lackiertes Drahtkörbchen, worin etwa acht leere Bierflaschen wackeln. Sie werden stabilisiert durch zwei leere Cola-Dosen. Und ich habe es beim ihm zuhause zur Teezeremonie anklingen gehört gehabt zu haben gemeint. Meinst du, ich soll mir mal die Ohren auspusten lassen? Ich wollte nicht tun, was mein Unternachbar macht, im Freizeitoutfit zum Kiosk laufen und leere Flaschen abgeben. Die im Kiosk sind ganz unfreundlich, wenn man Leergut hinbringt. Aber mein Unternachbar ist so ein smarter Yuppie, den interessiert das gar nicht.

Ich würde übrigens gern hier am Lichtenbergplatz in einem der schönen Gründerzeitgebäude wohnen, schon allein wegen Lichtenberg und der Postadresse. Der runde Platz ist zudem ganz hübsch, obwohl er nicht so lebendig wirkt wie ein Platz sein müsste, der nach dem schillernden Kopf Lichtenberg benannt ist. Da schieben Mütter aufgeregt plappernde Kinder aus einer Haustür. Sie tragen Kronen aus Goldfolie, sind wohl auf einem Kindergeburtstag gewesen. Auf der anderen Seite des Lichtenbergplatzes schiebt eine Mutter mit Kopftuch ihr Fahrrad lang. Neben ihr trottet ein kleiner Junge. Sie hat ihn offenbar auch von Freunden abgeholt und ermahnt ihn, er dürfe nicht halbnackt auf der Straße rumlaufen. „Dann bist du morgen krank, aber du musst doch in die Schule. Schule ist wichtig!“, sagt sie. Der Junge schaut erstaunt zu ihr auf und sagt nichts. Upps, da tröpfelt ein bisschen Regen. Wenn die Sonne scheint und es gleichzeitig regnet, dann heißt es im Rheinland: “Dä Düvel hätt Kirmes” (Der Teufel hat Kirmes).

Das Licht der Abendsonne adelt sogar die Wohn- und Bürotürme des Ihmezentrums. Es ist im Stil des Brutalismus gebaut, passt sowieso wunderbar in unsere Zeit. Angenommen, über den Türmen würde sich ein Regenbogen wölben, wie jetzt eben, man sieht sogar den äußeren Bogen. Wusstest du, dass der Äußere immer da, aber nur selten gut zu sehen ist? Bei ihm sind die Farbfolgen genau umgehrt. Zwei Regenbögen über dem Ihmezentrum, man könnte glatt denken, ist alles halb so wild. Auch Brutal kann seine Schönheit haben. Aber der Glanz ist nicht irdisch, gehört also weder dem Ihmezentrum noch dem Rest der Welt.

Meinem Unternachbarn haben sie übrigens unter der Woche das Auto abgeschleppt. Es war dem Verbuddeln der Zukunft durch die Telekom im Wege. Als die provisorischen Halteverbotsschilder aufgestellt wurden, war er geschäftlich in Spanien und Portugal gewesen. Er hatte also völlig schuldlos der Zukunft den Weg verbaut. Jetzt soll er trotzdem 250 Euro Abschleppgebühren bezahlen. “Wir müssen dagegen mit dem Anwalt vorgehen”, sagt er. Auto gegen Internet. Das gibt einen interessanten Rechtsstreit um die Zukunft.

Guten Abend

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