Читать книгу Gesammelte Erzählungen - Jules Verne - Страница 97
ОглавлениеDer Ausdruck »Höhle« ist offenbar nicht passend, um diesen unermeßlichen Raum zu bezeichnen. Aber wer sich in die Abgründe des Erdballs hinabwagt, für den reichen die Worte der menschlichen Sprache nicht mehr aus!
Ich wußte übrigens nicht, durch welche geologische Tatsache ich das Vorhandensein einer solchen Aushöhlung erklären sollte. War es möglich, daß dieselbe durch das Erkalten des Erdkörpers entstand? Ich kannte wohl aus den Berichten der Reisenden einige berühmte Grotten, aber keine von solcher Ausdehnung.
A. von Humboldt hat die Grotte zu Guachara in Columbia untersucht, und eine Strecke von zweitausendfünfhundert Fuß ausgekundet; wenn dabei nicht hinsichtlich ihrer Tiefe ein Geheimniß vorbehalten blieb, so erstreckte sie sich wahrscheinlich nicht viel weiter. Die ungeheure Mammut-Grotte in Kentucky zeigte wohl riesenhafte Verhältnisse, denn ihre Wölbung erhob sich fünfhundert Fuß über einen unergründlichen See, und es sind Reisende darin über hundert Kilometer weit gedrungen, ohne das Ende zu finden. Aber was wollten diese Höhlen neben derjenigen bedeuten, welche ich damals bewunderte, mit ihrem Dunsthimmel, ihrer elektrischen Beleuchtung und einem ungeheuren Meer innerhalb ihres Schoßes? Für diesen unermeßlichen Umfang reichte meine Phantasie nicht aus.
Alle diese Wunder betrachtete ich im Stillen. Es mangelte mir der Ausdruck für meine Empfindungen, denn für neue Lebenserscheinungen fehlte die Bezeichnung. Ich betrachtete, dachte nach, bewunderte mit einer Bestürzung, zu der sich einiger Schrecken gesellte.
Das Unerwartete dieses Anblicks rief die Farbe der Gesundheit wieder auf mein Angesicht, und ich war im Zug mich durch Erstaunen zu kurieren und meine Genesung durch diese neue therapeutische Methode zu vollenden; zudem belebte mich die Lebenskraft einer sehr dichten Luft, indem sie meinen Lungen mehr Sauerstoff zuführte.
Es ist leicht begreiflich, daß nach einer siebenundvierzigtägigen Einkerkerung in einem engen Gange ein unendlicher Genuß darin lag, diesen Seewind voll salzhaltiger Feuchtigkeit einzuatmen.
Darum hatte ich auch nicht zu bereuen, daß ich aus meiner dunkeln Grotte herausgekommen war. Mein Oheim, der schon an solche Wunder gewöhnt war, geriet nicht mehr in Erstaunen.
»Fühlst Du Dich stark genug zu einem kleinen Spaziergang? fragte er mich.
– Ja, gewiß, erwiderte ich; es wird mir höchst angenehm sein.
– Nun, so nimm meinen Arm, Axel, wir wollen uns längs dem Ufer halten.«
Voll Eifer nahm ich’s an, und wir begannen an der neuen Meeresküste zu wandeln. Links bildeten steile, über einander getürmte Felsen eine riesenhafte Gruppe von wundervoller Wirkung, an deren Seiten zahllose Kaskaden mit klarem, rauschendem Wasser herabströmten. Einige leichte Dünste, die zwischen den Felsen hervordrangen, zeigten warme Quellen an, und Bäche rieselten sanft zu dem gemeinschaftlichen Becken.
Unter diesen Bächen erkannte ich unseren treuen Reisegefährten, den Hansbach, der sich gemächlich in dem Meer verlief, als hätte er seit Anfang der Welt es so gemacht.
»Er wird von nun an uns fehlen, sagte ich seufzend.
– Bah! erwiderte der Professor, ob dieser oder ein anderer, gleichviel.«
Die Antwort kam mir etwas undankbar vor.
Aber in dem Augenblick erregte ein unerwarteter Anblick meine Aufmerksamkeit. In einer Entfernung von hundert Schritten, an der Ecke eines hohen Vorgebirgs, lag vor unseren Augen ein hoher, dichter Wald. Derselbe bestand aus Bäumen mittlerer Höhe von einem Wuchs gleich regelmäßigen Sonnenschirmen mit deutlich abgezirkelten Umrissen; die Lichtströmung schien ihrem Laube nicht beizukommen, denn trotz eines Windes blieben sie unbeweglich, wie ein Gebüsch versteinerter Zedern.
Ich beeilte mich hinzukommen, ich wußte diese ganz sonderbaren Wesen nicht zu benennen. Gehörten sie nicht zu den bereits bekannten zweimalhundertausend Pflanzengattungen, und mußte man ihnen in der Flora der Sumpfgewächse eine besondere Stelle anweisen? Nein. Als wir nahe kamen, war meine Überraschung so groß, als mein Erstaunen.
In der Tat hatten wir Produkte der Erde vor uns, aber von riesenhaftem Maßstab. Mein Oheim wußte sie sogleich richtig zu benennen.
»Nur ein Wald von Champignons«, sagte er.
Und er täuschte sich nicht. Nun mache man sich einen Begriff, welche Entwickelung diese teuren Pflanzen in warmer, feuchter Umgebung erreichen können. Ich wußte, daß nach Bulliard das Lycoperdon giganteum acht bis neun Fuß Umfang erreichen kann; hier aber waren weiße Champignons, dreißig bis vierzig Fuß hoch, mit einer Kappe von entsprechendem Durchmesser. Sie standen da zu Tausenden. Kein Lichtstrahl drang durch ihren dichten Schatten und es herrschte völliges Dunkel unter diesen Domen, die gleich runden Dächern einer afrikanischen Stadt neben einander gereiht waren.