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Kapitel 12

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Akkon

Sommer 1195

Nach dem Verlust der Stadt Jerusalem an Saladin im Jahre 1187 war Akkon zur Hauptstadt des Königreichs Jerusalem geworden. Hier befand sich auch der Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens.

Dietrich hielt sich bereits seit Mai in Akkon auf. Obwohl er vor dem Reichstag in Bari den Kaiser verlassen hatte, wollte er dessen Bemühungen, den Orden als militärische Organisation für seine Kreuzzugszwecke einzuspannen, unterstützen. Vielleicht gelang es ihm ja, den Kaiser doch noch umzustimmen, dass er ihm die Markgrafenkrone gab und sein Bruder Albrecht den Kürzeren zog. Er musste nur alles zur Zufriedenheit des Kaisers vorantreiben. Er würde es Heinrich schon beweisen, dass er der bessere Kandidat für die Markgrafenwürde war.

Es war ein heißer Junitag. Dietrich saß an seinem Schreibtisch und sah einige Papiere durch. Als es klopfte, fuhr er erschrocken zusammen. Sehr selten kam es vor, dass er während seiner Arbeit gestört wurde.

„Was gibt`s?“, fragte er deshalb auch ungehalten.

„Herr, der Bruder Pförtner schickt mich. Es ist ein Besucher für Euch unten“, kam es unsicher von der anderen Seite der Tür.

„Soll warten“, antwortete Dietrich, schon wieder in die Lektüre seiner Korrespondenz vertieft.

„Wie Ihr befehlt, Herr“, sagte der Diener und wunderte sich darüber, dass sein Herr nicht einmal den Namen seines Besuchers wissen wollte. Doch der Graf hörte ihn bereits nicht mehr.

Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und die Hitze fand sogar Eingang in die sonst so kühlen Räume des Ordenshauses. Auf dem Tisch stapelten sich etliche Briefe. Dietrich wischte sich den Schweiß von der Stirn, nahm die hübsche kleine Glocke, die vor ihm aus dem Tisch stand, zur Hand und läutete. Welch nette Erfindung, dachte er bei sich. Fast augenblicklich erschien der Laienbruder, der dem Grafen bei seiner Arbeit behilflich war.

„Bruder Johannes, bringt mir etwas Wein. Die Hitze heute ist unerträglich.“ Dietrich zögerte. Da war doch noch irgendetwas gewesen. Er dachte angestrengt nach.

„Sag, was wollte der Diener vorhin von mir? Hat er nicht etwas von einem Besucher gefaselt?“

„In der Tat, Euer Gnaden“, antwortete der Mann. „Unten im Empfangsraum wartet seit geraumer Zeit ein junger Mann und wünscht Euch zu sprechen. Da er seine Identität nicht nachweisen konnte, haben wir ihn in die Kammer rechts neben der Tür gebracht.“ Johannes grinste.

„Schick ihn herauf, mit der nötigen Bewachung, wenn es sein muss. Nimm am besten Modorok mit“, antwortete Dietrich. „Aber bring mir vorher den Wein!“, rief er Johannes hinterher.

Nachdem Nicolas das Schiff verlassen hatte, begab er sich schnurstracks zur Ordensburg, in der Hoffnung hier Dietrich anzutreffen. Es war nicht sonderlich schwer gewesen, den richtigen Weg zu finden, wie eine einzige mächtige Festung beherrschten Mauern die gesamte Stadt und umschlossen diese vom Hafen aus mit einer teilweisen Dicke von 150 Metern. Templer, Johanniter, Malteser und nun auch die Deutschherren hatten der Stadt ihren Stempel aufgedrückt und sie zu einem mächtigen Bollwerk gegen die Heiden ausgebaut. Dort oben sah er in bestimmten Abständen bewaffnete Wächter patrouillieren. Doch dieser Umstand erschreckte ihn nicht, sondern gab ihm eher das Gefühl, sprichwörtlich in einem sicheren Hafen angekommen zu sein.

Eine lange Gasse, gesäumt von steinernen Häusern, die gleichsam Teil der Festung waren, führte in das Innere der Stadt. Gewölbe bildeten den unteren Teil der meisten Gebäude. In ihnen hatten Händler ihre Stände errichtet und boten hier ihre Waren feil. Neben den Auslagen mit frischen Früchten und Gewürzen, mit Teppichen und bunten Stoffen gab es auch solche, an denen Ampullen mit Weihwasser und kleine Tonfiguren angeboten wurden, welche die Pilger als Andenken an die Kreuzfahrerstadt oder zur Rettung ihres eigenen Seelenheils kauften.

Westlich der gewaltigen Anlage des Templerordens, die ein eigenes Quartier für die Ritter und deren gesamtes Gefolge beherbergte, hatte der Deutsche Orden ein festes Haus errichtet. Noch dominierte die von allen Christen genutzte St. Andreaskirche der Templer das Areal, aber eine große Baustelle verwies darauf, dass auch der deutsche Orden bald eine eigene Kathedrale haben würde. Die sich anschließende östlich gelegene große Anlage der Johanniter beherbergte allein sieben Rittersäle und ein riesiges Refektorium. Das dagegen sich noch recht bescheiden ausnehmende Deutschherrenhaus war von einer eigenen Mauer umgeben. Ein großes Tor aus massiven Holzbohlen verwehrte den Eingang. Ein Glockenzug, wie Nicolas ihn schon zu Hause im Kloster Altzella gesehen hatte, war die einzige Möglichkeit, sich Gehör, wenn schon nicht Zutritt, zu verschaffen.

Nicolas zog mehrmals kräftig an dem Seilzug. Im Innern ertönte der hohle Klang einer Glocke. Mit klopfendem Herzen wartete er, ob sich etwas tun würde. Nach einer schier endlosen Zeit wurde eine kleine Klappe im mittleren Teil des Tores geöffnet und das bärtige Gesicht eines Mönches schaute ihm entgegen. „Was willst du?“, fragte dieser mit ungeduldiger Stimme und einem unverkennbar niederdeutschen Dialekt. Nicolas kapierte zumindest soviel, dass er nach seinem Begehr gefragt worden war.

„Ich bin ein Bote aus Meißen und hoffe, Herrn Dietrich von Wettin hier zu finden“, antwortete er, in der Hoffnung, dass der Mönch ihn verstand.

„Kannst du das beweisen? Wir können schließlich nicht jeden dahergelaufenen Strolch hereinlassen.“

Nicolas schluckte. Wie sollte er den Kerl davon überzeugen, dass er in der Tat ein Mann des Grafen war?

„Führ mich zu deinem Herrn, der wird bestätigen, wer ich bin“, versuchte er es erneut. Doch der Mönch war wenig überzeugt von Nicolas` Worten.

„Damit du ihn dann versuchst zu ermorden, was“, höhnte er.

„Wie soll das gehen? Du kannst mich ja vorher nach Waffen untersuchen.“ Nicolas drohte die Stimme zu versagen. Schnell blinzelte er die Tränen weg, die ihm in die Augen traten. Nun war er endlich bis hierher vorgedrungen. Sollte er wirklich an diesem Tor scheitern?

„Frag den Grafen nach Nicolas von Lichtenwalde und sag ihm, dass ich hier unten am Tor stehe. Er wird es dir danken.“ Der junge Mann sah den Mönch mit flehendem Blick an.

Das Gesicht des Bärtigen verschwand und die Klappe schloss sich. Für einen kurzen Moment zweifelte Nicolas, dass sich etwas tun würde. Doch da öffnete sich eine kleine Tür neben dem Tor, die er bisher gar nicht wahrgenommen hatte. Der Mönch bedeutete ihm, einzutreten. Nicolas gelangte in einen hohen gepflasterten Durchgang, der sich hinter der Mauer auftat. Links und rechts sah er Türen, die in die Mauer hineinzuführen schienen. Unweigerlich drängte sich ihm der Gedanke auf, wo diese Türen wohl hinführen würden, als er auch schon unsanft von dem Mönch gepackt und durch den rechten dieser Eingänge in einen niedrigen fensterlosen Raum geschoben wurde, den einzig eine kleine Funzel an der Wand spärlich erhellte.

Dumpfe, feuchte Luft umfing ihn. Eine lange Bank stand an der hinteren Wand des Raumes. Nicolas setzte sich und wartete. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis die Tür wieder geöffnet wurde und eine hohe Gestalt in einem Kettenhemd den Raum betrat. Gespannt harrte Nicolas, was nun folgen würde. Aber mit dem, was dann geschah, hatte er am allerwenigsten gerechnet. Die Gestalt bewegte sich mit nahezu rasender Geschwindigkeit und einem lauten Schrei auf ihn zu. Nicolas sträubten sich die Haare. Er meinte, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Wochenlange Entbehrung und banges Hoffen, doch noch zu Dietrich zu gelangen, sollten nun durch sein jähes Ende einen Abschluss finden. Sein ganzer Körper spannte sich an, und er war entschlossen, sich seinem Schicksal nicht kampflos zu ergeben. Der Mönch hatte ihn letztendlich doch nicht nach Waffen untersucht. Aber bevor er seinen Dolch, den er vorsorglich seit seinen Erlebnissen auf dem Schiff griffbereit im Wams versteckt trug, hervorziehen konnte, fand er sich in den Armen des Riesen wieder, was ihm allerdings recht seltsam vorkam. Zu verdutzt, um sich zu wehren, wartete er einfach ab.

„Nicolas, Nicolas!“ Dem Hünen schien die Stimme zu versagen. „Ich fasse es nicht. Oh, Nicolas, dass du es bist, wer hätte das gedacht!“ Langsam drang es in sein Bewusstsein, dass er diese Stimme kannte. Und dann traf es ihn schlagartig. Es war sein Freund Modorok, der ihn da umarmte.

„Modorok?“, fragte er fast zögerlich. „Bist du es wirklich?“ Der Bursche hatte in der Tat einiges an Gewicht zugelegt, seit er ihn das letzte Mal in Sizilien sah. Mit Sicherheit trainierte er viel, und das Kettenhemd tat sein Übriges. Groß und kräftig war er ja schon immer gewesen.

„Nie hätte ich gedacht, dass ich dich hier in Outremer treffen würde. Hat der Kaiser dich geschickt, oder warum bist du hier?“ Einen Arm um Nicolas Schultern legend, führte er ihn aus dem Raum. Ihn nicht loslassend und immer weitere Fragen stellend, wie es ihm gelungen sei, hierher zu kommen, zerrte er Nicolas über einen großen gepflasterten Hof direkt auf ein großes Gebäude zu. „Wenn du mich zu Wort kommen lässt, erkläre ich dir, warum ich hier bin“, sagte er lachend. „Doch ich würde gern als erstes Herrn Dietrich sehen wollen, denn ich habe ihm einiges zu berichten. Und bevor ich alles zweimal erzähle, wirst du also noch etwas warten müssen.“ Nicolas schmunzelte, kannte er doch das ungeduldige Naturell seines Freundes zu gut.

„Gut. Komm mit“, forderte ihn Modorok auf und wies auf die Tür, an der zwei Bewaffnete Wache standen. Er nickte ihnen kurz zu und bedeutete Nicolas, hineinzugehen. Sie gelangten in eine große Halle, an deren Wänden mehrere Bänke und Stühle aufgereiht waren. Auf einigen saßen Männer, die auf irgendetwas zu warten schienen. „Boten, Gesandte aber auch Bittsteller“, sagte sein Freund. „Sie hoffen, zum Großmeister vorgelassen zu werden. Immer wichtiger wird die Stellung des Ordens hier. Doch komm, Dietrich ist in einem der Räume im oberen Stockwerk.“ Sie gingen eine breite, geländerlose steinerne Treppe hinauf, die von Fackeln hell erleuchtet wurde. Oben schloss sich ein langer Flur an, von dem aus mehrere Türen in diverse Räume führten. Vor der dritten Tür blieb Modorok stehen und klopfte leise in einem bestimmten Rhythmus an. „Ja!“, erklang es kurz hinter der Tür.

„Ich bin es, Herr, Modorok. Ich habe einen Gast mitgebracht, den Ihr sicher gerne sehen würdet.“ Er konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen.

Mit Schwung wurde die Tür nach innen geöffnet und vor Nicolas stand Dietrich von Wettin, angetan mit einem schlichten, langen Gewand, ein kurzes Schwert lose um die Hüften gegürtet. Dietrichs Augenbrauen schnellten erstaunt nach oben.

„Du hier, Nicolas?“, fragte er erstaunt. „Was ist passiert, wo ist der Auensteiner?“ Nicolas verbeugte sich leicht vor seinem Herrn, denn er hatte nicht vergessen, dass er diesem Respekt zollte, wo auch immer er sich befand. „Tot“, sagte er ohne Umschweife. Dietrich runzelte die Stirn. Bevor Nicolas zu einer weiteren Erklärung ansetzen konnte, forderte er diesen auf: „Sprich, was ist passiert? Warum ist der Auensteiner tot? Ich hatte euch schon vor einigen Wochen hier erwartet. Was hat das alles zu bedeuten?“

Nicolas nahm allen Mut zusammen. „Euer Bote erreichte uns in Bari. Der Kaiser hatte den Entschluss gefasst, nach dem Reichstag in die deutschen Lande zurückzukehren und für seinen Kreuzzug zu werben. Die deutschen Fürsten schienen noch nicht allzu überzeugt und er wollte sie mit neuen Versprechungen die weibliche Erbfolge betreffend überreden. Den Beginn des Kreuzzuges hat er auf Weihnachten im nächsten Jahr festgelegt.“

Dietrich wurde blass. Das könnte unter Umständen bedeuten, dass der Kaiser seinen Bruder Albrecht als Markgraf für immer bestätigte. Das hieß in diesem Falle, dass auch dessen Tochter nach seinem Tod berechtigt war, die Nachfolge als Markgräfin anzutreten. Und er saß hier in dieser Hölle und hatte gehofft, dass Heinrich sich nach dem Reichstag ebenfalls nach Akkon begeben würde. Doch seine Rechnung war nicht aufgegangen. Nun musste er versuchen, schnellstmöglich nach Meißen zurück zu gelangen. Doch das würde Monate dauern. Was in dieser Zeit nicht alles passieren konnte.

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