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Prolog

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Burg Meißen

November 1191

Vom hohen Turm der Burg erhob sich ein Rabe. Laut krächzend flog er in einem weiten Kreis um den Bergfried. Am Rande der Wiese ließ er sich endlich nieder. Die Sonne wollte sich gerade über den Horizont erheben, als sich eine schwarze Wolke vor sie schob und die Nacht für eine kurze Zeit zurückholte.

Am Fenster hoch oben in der Kemenate stand eine junge Frau und verfolgte den Flug des Vogels. Lioba von Lichtenwalde zuckte zusammen, als der Himmel sich verfinsterte. Sollte dies ein schlechtes Omen sein? Heute war der Tag der Wahrheit gekommen. Und dennoch, sie würde noch einmal genauso handeln. Ihre Gedanken schweiften ab, zurück zu jenem schicksalhaften Tag, als sie dem jungen Ritter Hero von Lingenburg begegnet war.

Lioba war fünfzehn Jahre alt. Ihr Vater hatte sie für die Ehe mit Isbert von Lichtenwalde bestimmt. Der Ritter stammte aus einem alten schwäbischen Adelsgeschlecht, dessen Linie im Mannesstamm bereits erloschen war. Die Mutter Isberts, Isolde, war die Schwester des letzten Grafen gewesen. Nachdem dieser kinderlos starb, zog Kaiser Friedrich Barbarossa das Lehen als erledigt ein und unterstellte die Ländereien der Krone. Isolde wurde nach dem Willen des Kaisers mit Marquard, einem seiner Gefolgsmänner vermählt. Marquard war ein rauer Geselle, der sich vor allem im Heiligen Land große Verdienste erworben hatte und der deshalb ehrfürchtig Marquard Heidenreich genannte wurde. Immer stand er an der Seite des Herrschers und beschützte diesen mit Leib und Leben. Der Kaiser belehnte ihn dafür mit Ländereien in der Nähe der neugegründeten Stadt Freiberg. Marquard sollte als Vasall des dortigen Markgrafen das Gebiet an der böhmischen Grenze urbar machen. Noch umgab dichter Wald die ersten Siedlungen, die zugezogene Bauernsöhne aus Niedersachsen und Franken hier an der Grenze errichtet hatten. Sie brauchten einen Adligen, der sie mit seinem Schwert vor Angriffen beschützen konnte. Marquard schickte einige seiner Gefolgsmänner dorthin, und nach und nach lichtete sich der Wald und die Befestigung, die sie bauten, hieß fortan Lichtenwalde. Doch irgendwie geriet sein Besitz mit der Zeit in Vergessenheit, da er nie Gelegenheit hatte, sich dort sesshaft zu machen. Auch in Freiberg, wo er ein Stadthaus besaß, hielt sich der Ritter selten auf, da er eigentlich immer an der Seite des Kaisers weilte. Sein einziger überlebender Sohn, Isbert, wurde dem Haushalt Barbarossas eingegliedert und erhielt hier seine Ausbildung zum Knappen. Der mutige und talentierte junge Mann fiel dem Kaiser alsbald auf, und so beschloss er, diesen zu fördern. Im Laufe der Jahre wurde Isbert zu einem vertrauten Kämpfer Barbarossas. Als Knappe seines Vaters zog er mit dem Kaiser nach Italien. Als Barbarossa 1176 in der Schlacht bei Legnano eine Niederlage erlitt, retteten Marquard und Isbert dem Kaiser das Leben. Sie schmuggelten Friedrich an den Wachen der Lombarden vorbei und geleiteten ihn sicher nach Pavia. Für seinen Einsatz belohnte Barbarossa den jungen Isbert mit den Rittersporen.

Bald darauf sollte die Vermählung von Isbert und Lioba stattfinden. An der Seite des Bräutigams ritt sein Waffengefährte Hero, eine lichte Gestalt unter all den düsteren Gesellen, die Isbert begleiteten. Während dieser selbst von kräftiger Statur und mit dunklem Haar und Bart war, hatte Hero einen schlanken hohen Wuchs, war ein heller Punkt im Gefolge des Ritters. Liobas Herz begann zu schlagen als sie ihn sah, und nur zu schmerzlich wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass sie noch am selben Tage die Braut des dunklen Ritters werden würde.

Fast vierzehn Jahre waren seitdem vergangen. Sie bemühte sich, Isbert eine gute Frau zu sein. Doch das Glück stand nicht auf ihrer Seite. Sie schenke ihrem Gemahl bereits im ersten Jahr ihrer Ehe einen Sohn. Aber der Ritter weilte selten zu Hause. Isbert, nun ein Gefolgsmann Dietrichs, dem Bruder des Markgrafen Albrecht von Meißen, zog es vor, meistens an dessen Seite zu sein. Nur allzu oft war er für viele Monate fern vom Hofe. Dietrich, der auch Graf von Weißenfels war, verstand sich mit seinem Bruder schlecht. Beide beanspruchten nach dem Tode ihres Vaters Otto die Markgrafenkrone. König Heinrich, der Sohn Barbarossas, sprach sie dem älteren Bruder Albrecht zu, obwohl es der verstorbene Otto anders verfügt hatte und der jüngere das Erbe erhalten sollte. Immer wieder kam es zu Gefechten zwischen den Brüdern und oft musste sich Dietrich nach Weißenfels zurückziehen, um neue Kräfte zu sammeln.

Seine Ländereien an der böhmischen Grenze vernachlässigte Isbert deshalb genauso wie dereinst sein Vater. Marquard war mit dem Kaiser vor einem Jahr zu einem Kreuzzug aufgebrochen, von dem er, genau wie Friedrich, nicht mehr zurückkehrte und sein Sohn hatte den Besitz in Lichtenwalde sowie das Stadthaus geerbt. Lioba gehörte zum Gefolge der alten Markgräfin Hedwig, der Witwe Ottos. Da Hero im Dienste des Markgrafen stand, begegneten sie sich oft. Und trotz, dass sie sich der Tatsache bewusst waren, eine große Sünde zu begehen, wurden sie ein Liebespaar und Lioba bald darauf schwanger. Doch ihr Mann war schon seit Monaten nicht zu Hause. Jedermann würde sofort erkennen, dass das Kind nicht von ihm sein konnte. In ihrer Not suchte sie eine alte Kräuterfrau auf, die ihr eine entsprechende Mixtur verabreichte. Unter großen Qualen verlor sie das Kind, und sie zahlte einen hohen Preis dafür, der weit über die wenigen Pfennige hinausging, die sie für das Gebräu gegeben hatte. Nie wieder sollte sie ein Kind gebären, konnte sie das Unrecht, dass sie an ihrem Mann begangen hatte, wieder gut machen. Sie wandte sich von Hero ab, ihr Gewissen ließ es nicht mehr zu, dass sie ihren Mann hinterging. Doch Hero liebte Lioba auf seine Weise. Sein Stolz hinderte ihn daran, zu akzeptieren, dass die Frau ihn einfach verließ und auch noch seines Kindes beraubte. Er vergaß, dass es nicht seine Frau war, sondern die seines Gefährten, und er begann, Lioba zu verfolgen und mit seiner Forderung, dass sie in sein Bett zurückkehren sollte, zu quälen. In ihrer Not wandte sich Lioba an Markgräfin Sophie. Sie bat diese, ihren Gemahl zu überreden, Hero mit einer Mission weit fort zu schicken. Doch die Markgräfin war eine fromme Frau und sie hielt es für ihre Pflicht, verirrte Sünder wieder auf den rechten Weg zu bringen und im Namen Gottes zu bestrafen.

So erfuhr Albrecht von der Sache. Er war ein nüchterner Mann, der an seinem Hofe keine Ungereimtheiten duldete. In der Absicht, bei dieser Gelegenheit gleich mehr über die Umtriebe seines Bruders Dietrich zu erfahren, mit dem Isbert oft zusammen war, konfrontierte er den Ritter mit den Tatsachen von Liobas Treuebruch. Doch stand Isbert seine Ehre als Mann im Weg. Wohl war ihm bewusst gewesen, dass zwischen seiner Frau und Hero etwas Verbotenes vor sich ging, doch hatte er stets seine Augen davor verschlossen, aus Angst, dass die Wahrheit zu schmerzlich sein würde. Er mochte Lioba, aber er wusste auch, wie schwer es für sie gewesen war, ihm an den Hof Albrechts zu folgen, von den Ufern des Rheins an den Rand des finsteren Dunkelwaldes. Zu oft ließ er sie allein, und er ahnte, dass dieselben Bedürfnisse, die von Zeit zu Zeit einen Mann befielen, auch einer Frau nicht fremd waren. Die tiefe Zuneigung zwischen Lioba und Hero war ihm nicht entgangen, doch er ignorierte diese Tatsache einfach. Das bereute er jetzt. Der Markgraf sagte ihm auf den Kopf zu, dass seine Frau ihm Hörner aufsetzte. Und so etwas konnte ein edler Ritter nicht auf sich sitzen lassen. Ihm blieben zwei Möglichkeiten. Entweder Hero zum Zweikampf zu fordern, was das Eingeständnis gewesen wäre, dass er von seiner Frau hintergangen worden war. Doch dass wollte er seinem minderjährigen Sohn nicht antun, denn alle Welt hätte dann an dessen legitimer Herkunft gezweifelt. Oder Albrecht der Lüge zu bezichtigen, was dem eigenen Todesurteil gleichkam, da ein Markgraf nicht lügt. Dennoch entschied sich Isbert für letzteres, entschied er sich für seinen Sohn und Erben.

Der Markgraf schäumte vor Wut und beschuldigte Isbert des Verrats und der Verschwörung mit seinem Bruder Dietrich. Nur allzu willig ließen sich Zeugen finden, die für ein paar Groschen bereit waren, alles auszusagen. Da es nicht anging, dass der Markgraf selbst einen Zweikampf auf Leben und Tod mit einem Vasallen ausfocht, bestimmte er einen Kämpen: Hero von Lingenburg.

Der Rabe erhob sich mit einem weiteren Krächzen und flog auf die Bäume zu, die das Ufer des großen Flusses am Fuße der Burg säumten. Hier entschwand er den Blicken Liobas im dunklen Dickicht der Blätter.

Zeit der Könige

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