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Teen Creeps

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I won't end up like them at all.

This town will take you kissing trees,

before you see the forest bleed.

Teen creeps I've tried to hold it back.

No Age, Teen Creeps

Fremd, groß und neuartig kamen mir die Umbrüche in meinem Leben vor… Die unmittelbare Abspaltung, das automatische Weggehen von den verschiedenen Freundeskreisen, nachdem ich die staatlichen Konformierungsanstalten hinter mir gelassen hatte und den Kontakt zu den Schulkameraden langsam verlor. Stattdessen musste ich mich nun mit den Spinnern an der Arbeit herumschlagen… In meinem naiven Argwohn betrachtete ich die Umstände als den Beginn einer fortwährenden Desillusionierung, die mit dem häufig in Gesprächen Älterer und Gleichaltriger, in Filmen, Büchern und sonstwo aufgeschnapptem Begriff »Erwachsenwerden« verbunden zu sein schien… Ich maß diesen Wandlungen erhebliche Bedeutung bei.

Es bleiben eine Gruppe länger bekannter Freunde übrig, die zu meiner Schulzeit und auch noch eine Weile danach feste Faktoren im pittoresken Vorstadtleben darstellten, und auch im örtlichen Vereinsleben hatten sie sich bereits seit der Grundschulzeit etabliert… Alles schien stur und einspurig in vorgelegten Gleisen zu fahren… Die Mehrheit unter ihnen spielte Handball bei der TSG. Diese sogenannte »Turn- und Sportgemeinschaft« wäre weniger euphemistisch betitelt gewesen mit einer Veräußerung des wahren Endzwecks der dortigen Zusammenkünfte, der sich meist erst nach den Hampeleien auf dem Spielfeld herausstellte… »Trink- und Saufgemeinschaft«… Schon von der Grundschule an, war mir die allübliche Vereinsmeierei zuwider… Die Leute dort in der Turnhalle waren alt und hässlich… Die konnten einen regelrecht in Schreckstarre versetzen. Sie verhielten sich nicht wie Erwachsene, tanzten, sprangen plötzlich auf und krakeelten herum und sie schrien die Kinder und Jugendlichen an, die, dieses Verhalten unterstützend, verbissen und schwitzend einem saublöden, schmutzigen und abgewetzten Ball hinterher hechelten… Ich wollte da nicht mitmachen… Gott sei Dank, versuchten meine Alten nicht mich dafür zu begeistern… Mussten wohl selber Muffensausen davon bekommen haben.

Später erkannte ich schließlich, dass einige meiner Freunde durch ihre Zugehörigkeit zu den verschiedenen Verbänden vor allem Kontakte zu knüpfen suchten und, was noch sehr viel besser war, Mädchen kennenlernen konnten… Bald verkehrten in reger Abwechslung die unterschiedlichsten Gören mit uns… Für mich immer wieder neue schöne Gesichter, die allen anderen bereits vertraut und verbunden waren. Zum ersten Mal verfluchte ich sie… Mitsamt ihrem Nutze der Angepasstheit.

Meistens hingen wir rum, bei mir im Kellerzimmer, in Saschas Kellerzimmer, in der Kellerbar des Großvaters eines anderen Freundes… Überhaupt mit frappierender Häufigkeit in Kellerräumen… Oder auf der Straße, gelegentlich verbunden mit Ausflügen in die umliegenden Dörfer, um die Mädels dort zu besuchen, die oft im Dachgeschoss ihre Herberge hatten. Wir tranken unterhielten uns, rauchten Shi-Sha… Die gruben die Mädchen an und flirteten mit ihnen… Wo hatten sie das gelernt? Was das Flirten anging, war ich total auf dem Holzweg… Mein Bild von den Mädchen beschränkte sich darauf, sie in zwei Kategorien einzuteilen… Engel oder Nutten… Meistens fingen sie als Nutten an, wandelten sich aber bei näherer Betrachtung und hoffnungslos romantischer Verklärung meinerseits bald zu Engeln… Wachsende, strahlende Begehrlichkeiten… Ich war stets höflich, nett und hörte brav zu, wenn sie von ihren kleinen Sorgen und ihrem pubertärem Mädchenzeug redeten… Angetrieben von der Hoffnung, ihnen auf diese Weise näher zu kommen und verschränkt auf den Glauben, sie würden sich bald für mich interessieren… Immer verrückter wurde ich nach ihnen, sah nichts mehr außer den Engel in ihnen. Eingeleitet von einem ungeschickt dahergestammelten Annäherungsversuch, indem ich sie in einer halbwegs von der Gruppe isolierten Situation zur Rede stellte, beendete ich die Sache für mich… Dann fielen sie wieder in den Rang der Nutte zurück… Ich begann zu beobachten, wie die anderen Jungs sich die größten Dreistigkeiten bei den Mädels erlaubten und wie sie dafür von ihnen belohnt wurden. Mit Zuwendung und neckischen Zärtlichkeiten… Ich kam aber nicht dahinter… Blieb nur ein Zuschauer bei dem Spiel, dessen Regeln ich nicht begriff.

Die Höhle war voll und ihr antiquierter Charme eingehüllt in Zigarettenqualm und dem Geruch von Bier und Schnaps und dem Hall unserer schwerer werdenden Zungen… Dem angetörnten, jugendlichen Gesprächsstoff… Ein kleiner Raum, in den man durch den provisorisch wirkenden Wintergarten des Hauses gelangen konnte, voll ausgerüstet mit einer Sitzbank in der einen Hälfte des Raums, zwei Tischen und ein paar Stühlen, gefliestem Boden, einer betagten Musikanlage, einem alten Fernseher und einer Bar in einer Nische neben der Tür, mit Kühlschrank, Eisfach, einer Zapfanlage aus fleckigem Messing, im Rücken eine Spüle und ein dunkler Eichenschrank für die zahlreichen Gläser. Knapp unter der Decke befanden sich Zierregale, an die Wände rings im Raum angebracht, auf denen Fläschchen mit Schnapssorten aus aller Herren Länder und längst vergessenen Tagen aufgereiht waren… Viele von diesen kleinen Schätzen wurden irgendwann später, von ungebetenen Besuchern, während einer Geburtstagsfeier, zerstört… Die komplette Einrichtung stammte wohl noch aus den Siebziger Jahren und es hatte etwas von einer verrauchten, schummrigen und würdelos gealterten Eckkaschemme… Wir fanden es gemütlich dort unten, wie wir an den Tischen saßen, in einer Versammlung von vielleicht zehn oder zwölf Leuten, und die Biergläser und das Hochprozentige vor uns aufgereiht sahen.

Ein Würfelbecher ging herum… Neben den Gesprächen in alle Richtungen über den Tisch hinweg, wendete man sich seinem Nachbar entgegen, wenn dieser einem die CD-Hülle mit dem Becher darauf anreichte und hatte meist schon wieder die Zahl vergessen, die man mit dem eigenen Wurf überbieten sollte.

Je mehr ich getrunken hatte, desto misstrauischer wurde ich meinem Nebenmann gegenüber.

»Was hast du?…« Und ich nahm, vorsichtig genug, die abgedeckten Würfel nicht umzuwerfen, die Fracht mit zwei Händen entgegen… »Fünfundsechzig…« Ich sah meiner Nachbarin in die Augen… »Fünfundsechszig?! Na klar, haste ja immer…« Ließ sie selbst noch einmal unter den Becher sehen… »Ganz sicher?…« Und versuchte weiter aus dem dunklen Blau ihrer Iris zu lesen… Sie wendete sich etwas ab… Zuckte mit den Schultern… Ich überlegte kurz, ob es ihr erster oder bereits ihr zweiter Wurf war. Das konnte entscheidend sein. Aber ich hatte es nicht mitbekommen… Ich hob auf… Fünfundsechzig.

»Hmm, ja… Noch einen für mich…« Es galt zwischen Bier und Schnaps zu wählen… Ich entschied mich einen Kurzen als Strafe für meine Fehleinschätzung zu trinken… Kopf in den Nacken… Schwupp… Kurz warten… Nicht das Gesicht verziehen… Einen Schluck Bier hinterher… Nur fürs gute Gewissen.

Bald gab ich mir immer weniger Mühe, die Vorgänge des Spiels zu verfolgen. Schnaps und Bier taten ihre Wirkung… Und drängten mir immer deutlicher das Gefühl des Verlangens auf, diesem gerade neben mir sitzenden Mädchen gegenüber, das so richtig schmutzig zu den Späßen Lachen konnte, die um mich herum geschahen… Eine Brünette mit blauen Augen, die wie die Jungs Handball spielte und meinem Empfinden nach schon in den Stand des Engels aufgestiegen war… Sie begleitete die Gruppe seit einer Weile.

Mit fortschreitender Zeit begann die Versammlung, sich langsam aufzulösen. In unregelmäßigen Abständen rückten die Gäste vom Tisch ab, sagten Ade und schlugen sich hinaus in die Nacht. Das Mädchen blieb. Wir hatten aufgehört zu spielen. Sie schwieg und schaute nachdenklich in ihr Glas, während die verbliebenen Freunde um den Gastgeber und mich keine Schwierigkeiten hatten, sich gegenseitig bei Laune zu halten… Man musste die Chance nutzen… Ich glaubte zu dieser Stunde fest daran, eine günstige Situation aufgefunden zu haben… Man musste es wagen… Jetzt oder nie. Also sagte ich zu ihr, ich müsse sie wegen etwas sprechen und bat sie mir nach draußen zu folgen… Vor der Tür fragte ich sie in naiver Erwartung, ob sie mit mir zusammen sein wolle… Einfach so gerade heraus… Haha! Sie wies mich natürlich ab. Wütend und enttäuscht, forderte ich sie auf mir zu sagen warum und verstand die Welt nicht mehr.

»Schau mal ich find dich ja voll nett und so«, sagte sie… »Aber du bist einfach nicht mein Typ.« Ich glaubte, dass sie mich sogar etwas mitleidig ansah… Wir standen auf der Straße und sie trat von einem Bein aufs andere… Rücklings schwang ich mich auf einen gemauerten Pfeiler, der den Eckpunkt eines Gartenzauns bildete.

»Aber wir sollten trotzdem Freunde bleiben.« Na, klar… Ich sah ihr kurz ins Gesicht, wie sie so dastand und sich nicht entscheiden konnte, ob es an der Zeit wäre wieder reinzugehen, zu den Anderen, oder den Heimweg anzutreten. Dann blickte ich über ihren Kopf hinweg dem geschwärzten Firmament entgegen… Zündete mir eine Zigarette an… Millionen von verwirrten Jungs wurden auf diese Weise abgespeist. Das machte einen noch wahnsinniger. Junge Männer wollten sich nicht damit z ufrieden geben immer nur der gute Freund zu sein. Sie wollten doch nur ein bisschen Vögeln, um dann damit vor den anderen angeben zu können. Sie wollten ihre Jugend auskosten. Doch wie zur Hölle nochmal stellte man das an?… Das zeigte einem doch niemand… Oder doch? Oder hatten sie nicht richtig hingesehen?… Man hatte ihnen immer nur eingehämmert, wie man sich zu verhalten hatte, wie man ein netter Junge wurde. Mädchen wurden ihnen als scheue, keusche Wesen erklärt, die man gefälligst auch so zu behandeln hatte. Wenn man fragte warum man noch nie eine Freundin gehabt habe, bekam man gesagt, dass sich irgendwann die Richtige finden würde… Wie ein zarter Engel gleich, würde sie an einem schicksalhaften Tag vom Himmel herabgleiten und sich einem in die Arme legen… Grenzenloser Schwachsinn!

Sie ging. Ich blieb mit meiner dumpfen Wut zurück.

Wieder drinnen und kaum die Türe zur Kellerbar hinter mir geschlossen, bei den erstaunt dreinblickenden Jungs und Sascha, der mich von seinem Stammplatz über das Bierglas hinweg anschaute und sofort zu wissen schien was vorgefallen war, wurde ich von gellenden Stimmen empfangen.

»Ey was war denn da jetzt los.« Und… »Na, haste Tanja im Gebüsch vergessen, oder was?«, plärrten diese Stimmen.

Sascha begleitet mich auf dem Heimweg. Der Marsch löschte nicht die Wirkung des Alkohols… Zumal wir vorher noch eine Literflasche, mehr als halb voll mit Mische als Proviant eingepackt hatten. Fast schon Zuhause angekommen, schaffte ich es meinen Begleiter dazu zu drängen sein letztes Gras in einem Joint zu verbauen, den er sich mit mir zu teilen habe… Ich sagte ihm das würde mich entspannen. Er riet mir davon ab, aber ich drängte ihn immer mehr dazu. Schließlich rauchten wir unseren Joint und der arme Junge war auch schon ziemlich betrunken, bekam gewaltig einen davon ab und musste fürchterlich kotzen. Ich gab mir die Schuld dafür und gewissermaßen war es ja auch so gewesen… Kaum, dass wir wieder im Zimmer gewesen waren ging das los. Zum Glück gab es im Keller ein Klo… Brachte ihn, nachdem er seinen Magen halbwegs beruhigt hatte nach Hause, sah im hinterher, wie er mit Gummibeinen zur Haustür wankte, die Treppen hinauf stakste, ging und verkroch mich danach selbst ins Bett.

Über die Arbeit und den ganzen anderen Blödsinn, der mich noch bedrängte vergaß ich das Mädchen… Sie tauchte ab und zu wieder auf… Es störte keinen… Nichts war geschehen, was der Rede wert gewesen wäre… Später legte sie sich einen Stecher zu, der wesentlich älter war als sie selbst. Sie wurde nicht glücklich mit ihm. Nachdem sie sich getrennt hatten ging sie auseinander wie ein Hefekloß… Ich fühlte mich plötzlich als Gewinner… Höhöhö!

So lief es jedenfalls eine ganze Weile bei uns. Die Mädchen kamen und gingen, ließen sich auf Flirts ein, wurden zu Freundinnen und verschwanden wieder aus unserem Leben. Die Konstante blieb mein engster Freundeskreis.

Ich habe die Richtung gefunden und bin eine Weile gelaufen… Jetzt befinde ich mich in dem Teil der Stadt, zu dem zurückzufinden ich vor Sonnenaufgang noch nicht geglaubt habe und in welchem sich das Appartmenthaus befindet, in dem ich ein Zimmer bezogen habe… Es ist eines von vielen und ich bin es müde die Stufen des an einen Wall gestützten Plattenbaus hinaufzusteigen… Fünfunddreißig Quadratmeter… Lauter Studenten nebenan, deren Behausungen sich um nicht ganz zehn Quadratmeter Flächenverringerung von der Meinen unterscheiden… Und ein paar alleinstehende Hartz-Vier Empfänger… Wand an Wand gemeinsam einsam… Haha!… Ein Witzfigurenkabinett… Ich gehe lieber weiter. Welche Richtung ist mir egal… Vielleicht aus der Stadt heraus… Ich greife in die Taschen meiner Hose, die vom Schweiß gestärkt ihre Ausbeulungen beibehalten, und fische mein Portemonnaie herbei, hole eine Münze aus dem Kleingeldfach und werfe sie in die Luft… Kopf… Ich werde weitergehen… Warum auch nicht? Währenddessen kann ich meine Reminiszenzen fortführen. Scheint mir leichtfällig, über die eigene Jugend hinwegzusehen. Die Erinnerungen sind heller als erwartet… Und heute… Ganz schön finster in meinem Schädel gegenüber der aufgehen wollenden Sonne… Mit gelber Zunge und schwarzem Atem lachender Rauch… Es scheint mir aber nicht wirklich komisch… Man könnte zwar… Aber… Schwefelbelag… Rußiger Atem… Staubiger Atem… Amen.

Bevor ich meine Ausbildung beginnen durfte, stand für mich noch einiges an Bürokratie auf dem Programm… Damit verbunden war eine Untersuchung bei meiner Hausärztin. Sie zählte zu der Sorte grobschlächtige, alternative und intellektuelle Ärztin, die ihren wuchtigen Leib am liebsten in hippieesken Leinenfummel hüllte. Ein Relikt der 68er Bewegung, das mit eiserner Überzeugung homöopathische Heilmethoden praktizierte… Sie trug die Haare kurz geschnitten und in einem Ton gefärbt, den man am besten als Altweiberviolett bezeichnen konnte… Die Praxis befand sich in dem selbstverständlich originalgetreu restaurierten Fachwerk eines ehemaligen Bauernhauses, im Kern des von der Vorstadt umwachsenen, langsam unkenntlich werdenden Dorfes. Das Wartezimmer war vollgestopft mit sebstbemaltem Holzspielzeug und allerlei wissenschaftlichen und halbwissenschaftlichen Magazinen und bildender Lektüre in den hölzernen Bücherregalen… Geschichte, Kultur, Soziologie, Kinderbücher mit Ökomärchencharakter… An den Wänden hingen vergrößerte Urlaubsfotos von weiß der Teufel wo, die die Natur in all ihrer unberührten Pracht zeigten und sichtbar machen sollten, wie gut man doch als Ärztin leben konnte. Ich erinnere mich, wie es dazu kam, dass ich zum ersten Mal in die Praxis geschleppt wurde.

Ich war etwa sieben oder acht und gerade aus dem Schulbus ausgestiegen und befand mich auf dem Weg nach Hause. Die Praxis lag gegenüber der Bushaltestelle, auf der anderen Straßenseite. Ein paar Schritte hatte ich vom Heimweg hinter mich gebracht, als mich entsetzliche Magenkrämpfe überkamen und ich in einer Seitenstraße zusammenbrach. Etwa fünf Minuten vergingen auf dem Asphalt liegend, während ich mich in Schmerzen wand. Eine ältere Dame kam vorbei, nahm sich meiner an und schleppte mich in die Praxis… Unter einem Arm mich, unter dem anderen ihre Einkaufstasche… Die Hippieärztin führte Untersuchungen durch und zitierte meine Großmutter herbei, damals noch fit und quicklebendig… Und dann?… Lücken der Kindheit… Weiß kaum noch was, außer dass ihre Heilmethoden tatsächlich bei mir anschlugen… Nach Abschluss der Behandlung bekam ich nie wieder diese spontanen Magenkrämpfe, die mich über zwei Jahre lang verfolgt hatten und bei denen andere Ärzte den ersten Verdacht auf Blinddarm gelegt, nach den Untersuchungen aber konturlose Diagnosen abgegeben und ratlos Medikamente verschrieben hatten.

Von da an ging ich, wenn sich der Umstand ergab, dass ich ärztliche Hilfe benötigte, nur noch in diese Praxis… Es war mir wirklich fremd und unbehaglich, sogar noch diesem eigentlich warmen, erdig und freundlich gestaltetem Wartezimmer. Arztpraxen sind meist kalt und haben diese klinische Distanziertheit. Man muss ständig warten, wird kurz und kratzig aufgerufen, lässt trockene Formalitäten über sich ergehen und setzt sich wieder hin, um noch länger warten zu dürfen… Bis man endlich das bekommt, weswegen man sich überhaupt in die Praxis gewagt hat, ist man schon völlig fickrig und zerknautscht, der Hintern ganz platt vom vielen herumsitzen und übergeschnappt, wegen den vielen keuchenden Kranken und hypochondrischen Privatpatienten um einen herum, die anlässlich jedes quer sitzenden Furzes zum Doktor rennen… Während man selbst sich nur in allergrößter Not schon halbtot in die Praxis schleppt, eher noch aus Demut und mit größtem Pflichtbewusstsein an der Arbeit erscheint, weil einem schließlich das Wohl der Firma so sehr am Herzen liegt, dass man auf eine saubere Genesung verzichtet… Lieber Tabletten fressen… Wird schon laufen… Da wird einem ganz Schwindlig vor Elend und Untertanengeist.

Die Untersuchung, die meine Gesundheitliche Tauglichkeit zur Ausübung der erwählten Pflicht bescheinigen sollte, bestand aus wiegen, messen, atmen, husten, vielerlei Befragungen bezüglich meiner körperlichen Stärken und Schwächen und einer Urinprobe, welche mir am meisten Sorgen bereitete… Etwas verschüchtert fragte ich, auf was denn genau mein Urin untersucht werden würde… Und dachte dabei an das Marihuana, das ich bisher verqualmt hatte… Fast schon spöttisch und wissend prüfendem Blick schaute mich die Ärztin an und redete mir freundlich schmunzelnd zu, ich solle mir keine Sorgen darum machen, sie wolle nicht herausfinden ob ich gekifft hätte.

Erleichterung für mich, alles andere war mir sowieso egal. Der Test ergab, dass ich ohne weiteres für den Beruf geeignet wäre und man gab mir die Formulare zum Unterschreiben und Einreichen beim Arbeitgeber mit… Halleluja!

Nachdem ich meine Papiere weitergegeben hatte, arbeitete ich noch für ein paar Wochen. Bald darauf war die Berufsvorbereitung vorbei, das schändliche Praktikantendreieck wurde von meiner Arbeitskleidung entfernt, ich bekam endlich meinen Namen auf den Latz genäht und besiegelte mein Schicksal, indem ich meine ungeübte Unterschrift auf den Ausbildungsvertrag zeichnete. Mir bleib sogar noch etwas Urlaub übrig, der mir noch restlich von meiner Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ausstand. Es sollte der letzte Urlaub werden, für den ich nicht mehr erbittert kämpfen musste.

Es lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, was ich mit der Zeit angestellt habe. Ähnlich meiner flüchtigen Gedanken, der kurzweiligen Eindrücke, ähnlich meiner Launen und aus der Leistengegend aufwallenden Gelüste, sprengten die Wochen im Veitstanz an mir vorbei… Wie ging das hinterher noch weiter?… Ich habs gleich.

Die folgenden Arbeitswochen waren schrecklich öde, nicht mehr unterbrochen von den zwei Urlaubstagen, die ich zuvor bei meinem Bildungsträger und in der Schule verbracht hatte… Schnell hatte der baumelnde Tagesverlauf meines Urlaubs zur Gewöhnung geführt… Lange dauerte es, bis ich mich wieder an das frühe Aufstehen gewöhnte… Oh die süße Trägheit… Montagmorgens fiel es mir so schwer wie noch nie zuvor, meinen müden Kadaver endlich mal aus dem Bett zu werfen. Es war lächerlich! Ich wartete bis zur letzten Minute mit dem Aufstehen… So als könne mein Bett mich vor dem kalten grauen Alltag bewahren… Wälzte mich im Bett herum, wobei ich argwöhnisch schielend die Uhr im Blick behielt und dabei zusah, wie die letzten Minuten gnadenlos und unaufhaltsam abliefen… Kurz wieder eingeschlafen… Scheiße! Panik! Schon so spät?!… Mit flauen Gefühl im Magen warf ich die Decke beiseite und musste das Frühstück entbehren… Teufel auch!… Dermaßen schwer war mir das noch nie gefallen.

Man muss jedoch sagen, immerhin hatte ich Glück, was meinen Arbeitsweg anging… Zehn Minuten Fußmarsch von zu Hause aus und ich war dort. Nicht anders als mein Arbeitskollege Christoph, der in der Gegend wohnte, jedoch jeden Morgen die Strecke von gerade mal fünfhundert Meter mit seinem geliebten zweier Golf zurücklegte… Warum nicht zeigen, dass es einem gut ging?

Um kurz vor acht kam ich die Straße entlang und sah die Kollegen an mir vorbeifahren und auf den Hof abbiegen. Aus einiger Entfernung versuchte ich die Lage auszumachen, beobachtete die Aktivitäten auf dem Hof, erspähte aus der Ferne, ob das Licht an war (im Winter) oder, ob die Tore offen standen (im Sommer) und hoffte somit eine innere Vorbereitung auf das, was da kommen würde, erzielen zu können… Meine Strategie funktionierte mehr schlecht als recht… Die Füße trugen mich immer näher und obwohl ich eigentlich hätte umdrehen wollen, überquerte ich letztendlich die Straße, ging schnell zum Umkleideraum Schrägstrich Lager Schrägstrich Müllhalde und legte die muffige Kluft an den sauberen Leib. So begann jeder verdammte Wochentag.

Im ersten Lehrjahr dachte ich es könne nicht viel dröger werden. Ich wusch Autos, gerne auch bei ein paar Grad unter Null, machte jeden Winkel der Werkstatt eine Million Mal sauber, mähte den Rasen, zupfte Unkraut aus, säuberte die Toilette, sortierte unzählige versiffte und verrostete Schrauben und Muttern, half bei allen Projekten, die meinen Vorgesetzten in den Sinn kamen, aber rein gar nichts mit meinem Beruf zu tun hatten, räumte Lager ein und aus und wusch Regale sauber… Gelegentlich wurde ich im Affekt angekläfft, wenn ich eine Lakaienarbeit fertig hatte und die Dreistigkeit besaß, das garstige Fuhrwerken des Wiesels zu unterbrechen, indem ich eine neue Beschäftigung erbat… Wie im Praktikum… Ich war tatsächlich überrascht.

Sobald es sich aber dünne machte, sah ich meinen Kollegen bei den Reparaturen zu, war immer um Hilfeleistung bemüht und stellte Fragen wo ich nur konnte, ließ mir von ihnen ihr Handwerk erklären, prägte mir ihre Handgriffe und Fachausdrücke ein und träumte davon irgendwann, vielleicht im dritten Lehrjahr, mal selbst Hand an einen Motor oder ein Getriebe legen zu dürfen… Dabei gingen scheinbar die Stunden am schnellsten vorüber.

Langsam, aber sicher entwickelte ich ein Gespür für aufkommendes Unheil, konnte mit einiger Zuverlässigkeit wittern, dass sich Ärger anbahnte. Die Ausgangssituationen waren nahezu immer die gleichen. Gab es Schwierigkeiten, egal welcher Art, bei einer Reparatur, so stieß unser aller Freund und Wohltäter das Wiesel hinzu. Nicht etwa, um uns gutmütig zu helfen, als vielmehr uns bei der Arbeit zu behindern… Uns die Nerven mit einem Winkelschleifer zu zerreiben. Mit seiner Unfähigkeit, wie ein gesunder und besonnener Mensch zu denken und zu handeln, machte er uns nicht selten ganze Arbeitswochen zur Hölle. Seltsamerweise gingen die Reparaturen der Kollegen mit seiner Hilfe öfter in die Hose, als ohne sein Beisein… Man konnte sich nicht sicher darüber sein, ob er es bemerkte… Am Anfang meiner Zeit in dieser Anstalt war ich jedoch zum Glück nur derjenige der allenfalls danebengestanden hatte, wenn es um die Schuldfrage für eines der Fabrizierten Malheure ging… Man konnte mir nicht viel anhängen.

Das Wiesel hielt regelmäßig Kontrollgänge durch die Werkstatt ab und mit den geschulten Augen eines Aasgeiers sah es sofort, wenn etwas nicht ganz rund lief. Doch anstatt sich die Problematik erklären zu lassen und gemeinsam nach Lösungsvorschlägen zu suchen, riss er uns mit Nachdruck das Werkzeug aus der Hand, fest davon überzeugt jegliche Problematik auf Anhieb zu verstehen. Und so nahm das Elend dann seinen Lauf.

Weitere Beobachtungen stellte ich an, während ich unschuldig Werkzeug herbei reichte und meinem Chef zusah, wie er gleich einem verlausten Marder im Motorraum oder unterm Auto wühlte. Der Rest der Belegschaft mühte sich verzweifelt ab, ihm irgendwie zur Hand zu gehen… Vorsichtig taktierend und auf den unausweichlichen Wutanfall gefasst, der alle einlenkenden Argumentationen und Versuche zur Beruhigung der Situation unmöglich machen würde… Nein, wenn man halbwegs für voll genommen werden wollte, musste man Feuer mit Feuer bekämpfen… Man musste das Wiesel anschreien. Eine Tatsache, die mir erst später bewusst wurde, und die ich mir erst noch viel später zu Nutzen machen konnte. Aber auch dieses Vorgehen hatte seinen Preis.

Die Verhältnisse zu den Kollegen änderten sich vorerst nicht. Ich favorisierte weiterhin Alex, den älteren Leidensgenossen. Er blieb es, an dessen Seite ich mich stellte, wenn er einen Wagen reparierte. Er ließ mich anpacken, erteilte mir Aufgaben und gab sich Mühe mir etwas beizubringen… Der Andere verstand es, sein Handwerk auf seine Weise zu tun, und zwar sehr gut. Manchmal bildete ich mir ein, er habe Fehler vermeiden wolle, die durch mein Mitwirken hätten entstehen können. Aber das sollte sich mit der Zeit ändern… Jedenfalls sah man mich meist an der Seite von Alex. Meine lieben Arbeitgeber bemerkten das und bestellten mich zu einem Gespräch ins Büro.

Die Worte meiner Chefin waren… »Halt dich bei der Arbeit lieber an Christoph, der Alex ist ne Schlampe.«

Eine Überraschung wäre diese offen ausgesprochene Denunzierung gewesen, wäre sie tatsächlich um meiner positiven Entwicklung willen ausgesprochen worden. Viel näher lag mir die Vermutung, dass diese Empfehlung an mich den niederen Hintergrund hatte, dass die beiden Macker Alex' Art nicht ausstehen konnten. Im Fall, dass ihm Fehler bei der Arbeit unterliefen, reagierte er auf ihren Tadel wohl nicht so wie sie es sich erhofften. Er war zu der Zeit immerhin der einzige, der dem ausgemachten Wahnsinn, dem ganzen Terror, diplomatisch gegenüberstand und dem ebenso gerne mal die Stirn bot. Somit war er ihnen ein Dorn im Auge, obwohl er doch für sie arbeitete und dabei wesentlich mehr Geld reinbrachte als er verdiente, ich von ihm nie einen Ausfall wegen Krankheit erlebt hatte und er viele Fertigkeiten mit sich brachte… Ein Dorn im Auge einfach nur, weil er nicht auf der ganzen Linie nach ihrer Pfeife tanzte.

Aus der Sicht der Mehrheit der Vorgesetzten, hätte der ideale Arbeitnehmer wohl so ausgesehen… Der/die ideale Arbeitnehmer/in erledigt seine/ihre Arbeit stets in Perfektion. Der/die ideale Arbeitnehmer/in verfügt über keinerlei Privatleben; er oder sie hält sich Tag und Nacht für die betrieblichen Belange bereit. Er/Sie lässt sich jede erdenkliche Schikane gefallen und erledigt jede Arbeit, die ihr/ihm aufgetragen wird und auch solche, die mit seinem/ihrem erlernten Beruf nicht das geringste zu schaffen haben, stets zur vollsten Zufriedenheit. Der/die ideale Arbeitnehmer/in hat keinen Gehaltsanspruch. Er/Sie schläft in oder, sofern es die räumlich-betrieblichen Gegebenheiten verlangen, vor der Firma… Ach was! Er/Sie schläft überhaupt gar nicht! Lebenszweck des/der idealen Arbeitnehmers/in ist einzig und allein das Wohl und Gedeihen der Firma. Etwaige Verschwendung der Kapazitäten des/der idealen Arbeitnehmers/in, die sich im Ermessensversuch betreffend der betrieblichen Zweckdienlichkeit der ihm/ihr aufgetragenen Arbeiten durch den/die ideale/n Arbeitnehmers/in veräußern sind nicht zulässig. Alleinige Ermessensgewalt hat der Arbeitgeber. Der/die ideale Arbeitnehmer/in braucht keine Pausen, spricht niemals Wiederworte und ist gehorsam bis auf den Tod. Am besten sieht er oder sie noch perfekt aus und stellt sich genauso sexuell zur Verfügung wie jeden Funken seiner/ihrer körperlichen und geistigen Ressourcen. Der/die ideale Arbeitnehmer/in isst und trinkt nichts und geht folglich niemals seine/ihre Notdurft verrichten, einzig Geld fällt aus seinem/ihrem wohlriechenden Arschloch.

Kurzum, der ideale Arbeitnehmer durfte kein Mensch sein. So wurde man schließlich auch betitelt, nämlich als »Arbeitskraft«… Und genau so kam man sich in dieser Firma auch vor… Unter diesen Hundsfotzen… Wie eine menschliche Ware… Selbst wenn unsere Vorgesetzten zwischendurch immer wieder versuchten ihre menschliche Maske feilzubieten, indem sie uns mit minimalen Gefälligkeiten und kleinen Versprechungen bei der Stange hielten, ließ sich später nicht mehr darüber hinwegsehen… Die Masken trugen Anfangs dazu bei, mich zu täuschen… Für Zeit zu Zeit gelang es meinen verehrten Vorgesetzten, dass ich mir ein wenig Wertschätzung ihrerseits einbildete. Doch in ihrer waren Natur waren sie wie fleischfressende Pflanzen, die ihre Opfer erst durch betörenden Duft anlockten, dann jedoch ihr hässliches Maul aufrissen, sie verschlangen, aussaugten und die Überreste wegwarfen, um sich hinterher über ihre Wertlosigkeit und den faden Nachgeschmack auszulassen.

Als kleiner Lichtblick in dieser Tristesse traten die Wochen hervor, in denen ich Berufsschule hatte. Das war einmal im Monat, wenn nicht gerade Ferien waren. Die Berufsschule war beinah wie Urlaub für mich, daher meine Freude über diese Gelegenheiten. Erst da merkte ich wie angenehm es sein konnte, zur Schule zu gehen, anstatt arbeiten zu müssen.

Es war eine andere Welt als auf der Gesamtschule. Eine Welt fast ohne Mädchen. Die wenigen Menschen weiblichen Geschlechts waren kaum als solche erkennbar. An meinem ersten Tag pilgerte ich über das Gelände, suchte das Gebäude, in dem die Einteilung der neuen Klassen stattfinden sollte, und hatte schon so viel Verspätung, dass keiner mehr auf dem Hof anzutreffen war, den ich nach dem Weg hätte fragen können. Mithilfe meines Vorwissens um die Architektur, den räumlichen Aufbau des Komplexes, welches ich mir bei meiner Zeit bei der Berufsvorbereitung angeeignet hatte, fand ich mit einiger Verspätung das Klassenzimmer und platzte herein… Berstende Schwüle körperlicher Ausdünstungen… Überall Leiber… Köpfe drehten sich zur Tür und sahen mich fragend an… Die Vorstellung hatte begonnen… Angenervt stellte ich mich den beiden instruierenden Lehrkörpern, nahm mir einen freien Stuhl und setzte mich in den ungeschützten Raum neben einen Einzeltisch, auf dem sich bereits zwei paar Ellenbogen stützten. Die Einteilung lief reibungslos und strukturiert ab, genau wie man es von einem routinierten Bildungsinstitut erwartete. Sobald der Organisationsprozess vorbei war, wurde die Gruppe zweigeteilt. Meine Klasse umfasste mehr als fünfundzwanzig Lehrlinge… Ein wirr zusammengewürfelter Haufen unbekannter Gesichter, von welchen ich nicht wusste wie ich es mit ihnen zu halten hatte. Nervös mit dem Hosenboden scharrend, saßen sie auf ihren Stühlen und bemühten sich um einen konstanten Lautstärkepegel. Auch für die Lehrer mussten sie anfangs nicht mehr als eine ungeformte Masse dargestellt haben, an die sie sich erst einmal zu gewöhnen hätten… Über den Gedanken hinweg erschrak ich vor mir selbst… Hatte ich mich ernsthaft in einen Lehrer hineinversetzt?… Mir fiel das große Glück zu, den Sitzplatz neben ein paar Gesellen gefunden zu haben, die sich schon kannten… Ihr heiterdoofes Gesabbel attackierte unablässig von der Seite meine Ohren… Lass dich davon nicht stören… Ignoriere es… Ich hielt sie von vornherein allesamt für Idioten… Die erste Woche verging und änderte nichts daran… Dann die zweite Woche… Keine Veränderung meiner Ansichten… In der dritten und vierten Blockwoche begann ich meine Einstellung zu hinterfragen. War diese Neigung zur fast pauschalen Verurteilung nicht neu? Hatte ich mich schon immer schwer mit der Eingliederung in eine neue Gemeinschaft getan?… Wohl ja… Zumindest was größere Gruppen betraf. Dort stellte ich mich erst einmal an den Rand, um die Dynamiken zu beobachten und wenn ich zweifelhafte Geselligkeit meiden konnte, dann mied ich sie auch… Diese Art erschwerte einem vielleicht das Finden von Freundschaften… Erleichterte aber im Grunde das Meiden von menschlichem Bodensatz… Eine Vorgehensweise, die mir an der Arbeit unmöglich war… Man konnte sich nicht immer die Menschen aussuchen, mit denen man sich zu umgeben hatte.

Immer mehr drängte sich mir die Frage auf, ob es jemand aus der Klasse es wert sei, von mir näher kennen gelernt zu werden… War ich ein Narzisst?… Nein!… Es war noch zu chaotisch. Ich musste noch abwarten, warten, dass sich eine Struktur abzeichnete. Irgendwann würden sie alle kleine Grüppchen bilden und es würde sich eine Art der Hierarchie bilden, wie man sie in allen Klassenverbänden wiederfand. Ich würde einfach beobachten und sehen wie die Leute so tickten.

Blockunterricht… Das System hatte seine Vorzüge. Schon am Freitagabend vor der Berufsschulwoche freute ich mich darauf, dachte jedes Mal auf dem Heimweg… »So! Geschafft! Jetzt könnt ihr mich erst mal eine Woche lang nicht mehr trietzen. Höhöhö!… Sauhaufen! Am Arsch lecken könnt ihr mich!… Höhö!«

Das frühe Aufstehen machte mir plötzlich nichts mehr aus. Es fiel mir sogar leichter, mich aus dem Bett zu werfen, mich fertig zu machen und mich in die kühle, junge Luft des neuen Tages zu begeben. Ich nahm mir wieder Zeit zum Duschen, verbrachte das Frühstück in Ruhe und zog mich mit Sorgfalt und Gemach an und die Spuren des Schlafes beseitigte ich wie ein Mensch, wissend, dass ich in den befleckten Aufzug der Unterdrückten, gleich den Kleidern von Sklaven, die keine anderes Leinen besaßen, da sie ohnehin nur für die Bewältigung ihres täglichen, unsäglichen Dienst lebten, nicht sehr bald wieder einzusteigen hatte.

Gegen sieben Uhr verließ ich das Haus und begab mich zur Haltestelle, wo ich, auf den Bus wartend meine erste Zigarette rauchte. Man brauchte circa eine Stunde, einschließlich des Fußweges, zur im innersten Schlund der Stadt gelegenen Schule. An Jeder der vielen Haltestellen auf dem Weg stiegen mehr und mehr müde Gesichter zu… Schüler, Studierende, Arbeiter… All die Menschen, die das Leben und der Erwerb in den frühen Morgenstunden auf die kaugummiverklebten Bürgersteige spülten. All die immergleichen Gestalten, noch im Halbschlaf, deren erste bittere Melodie am Morgen das Klingeln des Weckers war. All die Namenlosen die gelangweilt dasaßen im überfüllten Bus. Das sonore Dröhnen des Dieselmotors ließ Hämmer und Ambosse und Steigbügel in ihren Gehörgängen, sofern sie nicht von Kopfhörern verstopft waren, taktlos aufeinander dengeln, bis sie ausstiegen und hastig an die Orte ihrer Pflichten eilten… Es baute richtig auf, mich eine ganze Woche lang zumindest nicht zu den Arbeitern zählen müssen… Und dann eines Tages, wenn sie alt geworden wären und sich geschafft hätten… Was würdem sie sagen? Wenn sie zurückblickten, würden dies bestimmt nicht die Momente sein, an die sie sich erinnern würden, nicht die Geschichten, die sie erzählen würden… Nein, es würden völlig andere, rar gesäte Augenblicke sein… Würde ich vielleicht einmal so wie sie werden?… War ich es nicht schon?… Stieg ich doch, genau wie sie alle, an meiner Haltestelle aus und verschwand zwischen den Häuserzeilen, auf den Schultern den Rucksack mit meinen Büchern.

In den Parkbuchten, auf den Bürgersteigen vorm Schulgelände, hauptsächlich aber in der Auffahrt machte ich die Klassenkameraden aus, stellte mich nahe an den Rand ihrer Ansammlungen und rauchte die zweite Zigarette, bevor man in das Klassenzimmer ging… Dort blieb für den Rest des Tages… Für das, was man uns beibrachte, musste man nicht extra den Raum wechseln. Man hatte seine Arbeitshefte und die Sachbücher, die als Nachschlagewerk dienten, mit allerlei Fachtheorie und obendrein jeder Menge ergänzender Aufgaben… Aufgaben, die man nie löste. Zeit war knapp und dennoch wurde oft nahezu verschwenderisch damit umgegangen. Fing der Unterricht endlich einmal an, blieb gerade einmal die Zeit ein paar Aufgaben im Arbeitsheft zu lösen, die sich an den gängigen Lernfeldern orientierten… Im Laufe der Ausbildung vierzehn Lernfelder… Mit Aufgaben lösen war nicht gemeint, dass man sich die Antworten auf die vielen Fragen hätte selber erarbeiten müssen. Nein! Der gängige Habitus gestaltete sich folgendermaßen… Der jeweilige Fachpauker projizierte die Lösungen für die Aufgaben mittels Overhead-Projektor an die Wand, einige davon ließen sich kurz und zügig besprechen, bevor die Lösungen aufgedeckt wurden… Je nachdem, wie gnädig die Uhr gegenüber der Schülerschaft war… Dann hieß es Augen auf und abgeschrieben… Und vielleicht nie wieder draufgeschaut… Man könnte sagen, es ging recht locker zu. Wesentlich lockerer als ich es von der Gesamtschule gewohnt war. Doch wer nicht hinterherkam, oder nicht hinterherkommen wollte, der hatte gelitten. Man erwartete jetzt von uns, dass wir plötzlich erwachsen genug waren, uns selbst um unser Wohl zu kümmern. Nicht alle waren so weit, mit dieser Freiheit umzugehen, und blieben auf der Strecke. Einige verließen die Schule und verloren ihren Ausbildungsplatz. Andere brauchten wesentlich länger als nötig, um ihre Ausbildung, letztendlich auf einer halben Arschbacke abgesessen, zu bestehen. Man hätte aber nicht allen von ihnen Vorwürfe machen können.

Da war zum Beispiel einer, der stets dann zur Schule erschien, wenn der Akku seines Handys tiefentleert war und er das Stromnetz der Schule für sein Ladegerät benötigte… Etwa ein Mal in einer Blockwoche, wenn überhaupt, geschah das. Während sein Telefon an der Steckdose hing schlief er meistens, spielte auf einem seiner zahlreichen anderen Handys herum oder hing regungslos auf dem Stuhl, das Gesicht so schlaff und leer, dass daneben noch jedes ausgestopfte Tier quicklebendig wirkte… Seine Gelassenheit war fast zu beneiden, wäre sie nicht um den Preis des Hirntodes zustandegekommen… Nach vielen, stets nutzlosen und mit immer weniger Enthusiasmus vorgetragenen Ermahnungen flog er raus. Ich fragte mich was er wohl anfangen wollte?… Auf einem Baum leben und Ameisen fressen? Vielleicht würde er ja Versicherungsfachangestellter werden… Irgendeine Art Büroangestellter… Kassierer bei Aldi oder Lidl… Reinigungskraft… Oder Gemeindepolitiker.

Einige der Schüler waren schlicht überfordert. Sie schafften es nicht, hatten Zeit ihres Lebens nicht einmal gelernt wie man lernt. Da saßen Leute, die sich, um Sackhaaresbreite und mit mehr Glück als Verstand, zu ihrem Hauptschulabschluss durchgewrungen hatten. In der Werkstatt stießen diese Kandidaten in der Regel auf keine großen Schwierigkeiten… Jeder der die entsprechenden motorischen Fähigkeiten besaß, mit Werkzeug umzugehen und bei sich behalten konnte, wo welches Teil am Auto saß, vermochte es, alte gegen neue Teile zu tauschen… Doch wenn es darum ging, systematisch in einem vieladrig verstrickten System Fehlerquellen auszuschließen, oder ein elektrisches oder mechanisches Funktionsprinzip zu durchschauen, sah man sich die Spreu vom Weizen trennen… Die Mehrheit von ihnen schaltete dann ab, tat so, als wäre es scheißegal. Reparieren konnten sie ohnehin fast alles, sofern man ihnen sagte, was genau defekt war… Reparaturleitfäden konnte man überall finden… In den Archiven der Werkstätten… Im Netz… In der einschlägigen Literatur… Bei den Gesellen erfragt… Und so weiter.

Vereinzelt gab es noch ein paar arme Tropfe, die zwar begreifen wollten, es aber schlicht und ergreifend nicht konnten. Das war ihnen schrecklich peinlich und kränkte sie in ihrem Stolz. Der Lehrer frage sie aus, versuchte sie auf den Weg zu bringen, bemühte sich um Erklärung… Verzog das Gesicht… Nach einer Weile wendete er seine Blicke zur Uhr, selbst peinlich berührt… Nur selten blieb genug Zeit, es allen wirklich begreiflich zu machen und so gab sich der Lehrer spätestens dann zufrieden, wenn sie ihn aus Scham oder Desinteresse anlogen, indem sie behaupteten, begriffen zu haben.

Gedanklich widmete ich mich denen, die wollten, aber nicht konnten… Wie gingen sie wohl damit um, wie und wieso machten sie dennoch weiter? Erwachten sie jeden Morgen mit dem Gefühl, dass ihnen weniger Zeit gegeben war, reif zu werden, als nötig gewesen wäre?… Zerstreuung gab es zu genüge, aber es gab keinen Weg zurück. Also passte man sich an oder ließ es bleiben… Leicht gesagt… Was sollte man machen, wenn das Leben in Wirklichkeit kurz wäre? Und der Sand in der Uhr riesele von oben herunter und man würde davon begraben werden. Was sollte man machen, wenn der Tag einem zunächst vorkäme wie ein erigierter Pferdeschwanz… Lang und hart… Und man am Ende am liebsten nur noch der Ablenkung frönen wollte, sich ärgernd, dass der vermaledeite Gaul bald schon wieder geil darauf werden würde, einen mit Anlauf in den Arsch zu pöllern?… Man müsste von Rechtswegen lernen, versuchen mitzukommen, weiter zu kommen… Ständige Selbstverbesserung, um eines schönen Tages an Geld zu kommen… Na, klar… Was sollte man machen, wenn man unvorbereitet in die Welt geworfen worden wäre?… So unvorbereitet wie mir einige meiner Mitschüler vorkamen… Was hatten sie getrieben all die Jahre in der Schule? Was hatte unser Schulsystem so mit ihnen getrieben? Was hatten ihnen BGJs und BVBs und was nicht alles für berufsvorbereitende Maßnahmen gebracht, wenn sie doch ihren Beruf verfehlt, eine für ihre Qualifikationen unpassende Laufbahn eingeschlagen hatten? Waren sie am Ende den selben Wunschvorstellung hinterhergejagt wie ich?

Aber auch denen, die vorgaben, dass es ihnen scheißegal war… Irgendeine Richtung würden sie nehmen… Irgendeinen Weg würden sie gehen… Irgendwohin würden sie alle gehen.

Für den Augenblick, den ich auf den Versuch verwendete, sie zu erfassen… Ihre Motivationen… Die Leiden, die ich ihnen beimaß… Fühlte ich mich ihnen verbunden und war es aber doch nicht… Etwas stimmte nicht… Etwas war verdreht.

Wie empfanden sie den schwindelerregenden Kreislauf?… Die mit zuverlässiger aber ungnädiger Routine wie am Stamm schon halb verfaultes Herbstlaub fallenden Kalenderblätter. Die fünf Tage Arbeit, dann das Wochenende und jeden verschlafen, abgestorbenen, wehmütigen Sonntag. Wurden sie heimgesucht oder nicht heimgesucht von Dämonen? Wissend und verdrängend, oder nichts von beidem? Den unvermeidlichen Anbruch des nächsten Tages so lange wie möglich aufschiebend?… Das sengende Ticken der Uhr… Kraftlose Gewissheit und Demut um Mitternacht. Dunkelheit und dann das Morgengrauen. Der Kreislauf schließt sich… Man verschweigt es… Versucht zu funktionieren… Halt! Das war ja ich selbst… Oder bin ich es?… Ich… Ich bin… Gerade ein wenig vom Weg abgekommen, scheint mir.

Die Durchfallquote bei den Gesellenprüfungen zum Kfz-Mechatroniker lag bei etwas um die vierzig Prozent, die Lehrlinge, die auf dem Weg dahin ausgeschieden sind, nicht mitgezählt… In regelmäßigen Abständen zählte ich die Klasse durch… Im Verlaufe des ersten Lehrjahres waren wir auf zwanzig zusammengeschrumpft… Weniger Leute die es zu beobachten galt.

Meine Ausbildung hatte einen Monat später begonnen als normal… Rückblickend fällt es auf… Mein Leben war geprägt von verspäteten Ereignissen, verspäteten Einsichten, verspätete Liebe… Hiebe… Das verspätete, an vorgelebten Irsinnigkeiten abgeschaute, unreflektierte Streben nach undurchdachtem und undenkbar werdenden Glück… Das Wiesel ergötze sich weiterhin an der Möglichkeit, seine Belegschaft mit der Grundsanierung der heruntergekommenen Mietwohnung zu beschäftigen. Es verschwendete meine Lehrzeit… Welche wiederum eine Verschwendung von Lebenszeit bedeutete… Letzteres war mir noch nicht klar geworden… Das kam wiederum später.

Nachdem wir die Baustelle in der Mietwohnung unter einem endlos wütenden Herbsthimmel begonnen, den verregneten Winter verwendet und im Frühjahr immer noch nicht zu ende gebracht hatten, kam der Sommer. Nicht ausschließlich auf die Ersparnis von Heizkosten bedacht, stellte der große Macker den antiquierten Dieselofen ab und bald darauf öffnete sich die nächste Baugrube, gleichsam einem Schlund der Hölle.

Den Sommer über wurden wir damit beschäftigt, das krumme und schiefe Dreckloch von Keller, in ein etwas weniger krummes und schiefes Dreckloch von Keller zu verwandeln. Wir ließen dafür das Projekt im zweiten Stock erst einmal ruhen… Nicht ahnend was mich als nächstes erwartete war ich fast dankbar dafür. Dort oben hatten sich massenhaft negative Energien gesammelt und die Luft raunte nach immer neuen Entladungen schal und dick wie die Eier eines Pubertierenden.

Wir nahmen uns Raum für Raum vor und schleiften all die irrationalen, verstaubten Gerätschaften und den Unrat von einem in den anderen… Die ganze Heizung unsicher auf einer Palette stehend, den Kompressor in Einzelteilen… Motor und Kessel… Regale und genug Kleinkram für einen gut sortierten Heimwerkerbasar. Alles wurde herausgezerrt und anderswo aufgetürmt. Zwischendurch stürmte mal einer in die Werkstatt, sah nach dem Rechten, schob eine eilige Reparatur ein und musste dabei aufpassen, dass derjenige nicht über die Sachen stolperte, welche notdürftig in alle zur Verfügung stehenden Ecken geräumt worden waren und bis in die Arbeitsplätze hinausragten.

Pünktlich zur Beendigung der Vorarbeiten, brachen die heißesten Tage des Jahres an… Im Schwimmbad amüsierte sich mit Sicherheit jeder halbwegs freie Mensch, egal ob im Schul- oder Rentenalter. Bei uns hingegen zog man es vor, im Dreck zu baden sowie, eine Staublunge zu bekommen… Wenn ich mir die Nase putzte, kam jedes Mal eine schleimige, schwarzgraue Masse heraus, die man gut als Mörtel hätte verwenden können… Die größte Plackerei verursachten mit Abstand die Ausschachtungsarbeiten… Schwielen, verdampfender Schweiß und Agonie bei dreißig Grad im Schatten. Schweres Gerät wurde herbeigeschafft. Wir schufteten zu viert auf vier Quadratmeter Raum im Heizungskeller, dann auf sechs im Lager… Und hoben Pflastersteine, Beton, und Bauschutt aus, deformierte Ziegel und Steine so groß wie ein Pferdekopf… Es hätte mich nicht gewundert, wenn man auf ein Bombe gestoßen wäre… Oh wären sie doch nur!… Der Boden wehrte sich, als hätte er denken und fühlen können und hegte den Wunsch, uns zerbrechen zu sehen. Ich operierte an zwei Fronten. Mit einer quietschenden, alten Schubkarre raste ich zwischen der Kellertür und einem Bauschuttcontainer hin und her, wo ich die schier endlosen Mengen Schutt und Erde ablud, während die Kollegen im Schweiße ihres Angesichts immer mehr totes Material aus dem Verschlag herausholten und in eine zweite, schon bereit stehende Schubkarre schaufelten… Abends fühlte ich mich so, als hätte ich genug Material abtransportiert, um ein neues Haus damit aufzuschütten… Alex bediente eine riesige, prähistorische Aushebemaschine, die von einem Motor angetrieben wurde, der einem glatt das Trommelfell zerpflücken wollte. Nicht genug, fabrizierte das Gerät eine solche Menge Qualm, dass es vor der geöffneten Tür zum Hof, dem einzigen Luftloch, aussah als stünde der ganze Keller in Flammen… Drinnen tränten einem die Augen und man rang mit dem Schwindel sowie dem Gefühl, einfach umkippen zu wollen… Der arme Kerl hob sich fast einen Bruch mit dem verdammten Ding. Er vermochte für fünf Sekunden damit auf den leblosen Boden einhämmern. Dann stand er kurz vor einem Bandscheibenvorfall und musste erst einmal fünf Minuten Pause einlegen, bevor er sein verzweifeltes Werk von Neuem beginnen konnte. Neben all dem stand auch noch das Wiesel, gab Befehle und packte hin und wieder dazwischen… Sofern es nicht mehr zu leugnen war, dass einer seiner Ackergäule zusammenzubrechen drohte… Immerhin brachte er uns hin und wieder kalte Getränke… Man musste es ihm hoch anrechnen.

Das vorläufige Ende vom Lied war ebenso lachhaft grotesk wie zum Verzweifeln… Eine vom Leben schlecht geschriebene Tragödie ohne Zuschauer und inszeniert durch einen Irren… Ein Fahrmischer rollte vor, um die ausgeschachteten Räume mit Beton aufzugießen. Alle Augen waren auf die graue Pampe gerichtet… Zähflüssig gluckernd, immer weiter und weiter aufsteigend lief es ein… Sobald das Zeug ausgehärtet war, bestätigte sich, was die Kollegen und ich insgeheim schon vermutet hatten… Vielleicht fünf bis zehn Zentimeter Raumgewinn… Das Wiesel hatte die Männer zu viel Beton eingießen lassen… Immer rein! Man hatte es ja bezahlt… Schließlich kamen noch die Fliesen dazu sowie die eigens vorgenommene Verkleidung der gewölbten Decke des Heizungskellers… Wobei wir jede der verwendeten Rigipsplatten gefühlte hundert Mal anpassen mussten, aufgrund der schiefen Wände und der Unzahl von Rohren für Wasser, Heizung und Druckluft, die ein kupfernes Labyrinth unter der Decke und an den Wänden bildeten… Der gewonnene Raum war auf zwei Zentimeter in der Horizontalen gesunken… Blut, Schweiß und Tränen, gemarterte Knochen! Für Nichts!

Der Spaß sollte noch eine Weile dauern… Die Luft noch muffig vom trocknenden Beton, legten wir auch im Lager Schrägstrich Umkleideraum Schrägstrich geräumte Müllhalde los. Über dem Grund wölbte sich die brüchig aussehende Decke, deren maroden Farbschichten ich zusammen mit dem Gesellen, bewehrt mit Spachteln, Besen und Eimern, zu Leibe rückte… Unsere Stimmen hallten durchs Gemäuer, solange, bis man eine angemessenere Aufgabe für ihn fand. Über Kopf kratzte ich im Alleingang die vermurksten Malerarbeiten aus Jahrzehnten ab… Stundenlang ging das. Immer ältere Schichten kamen zum Vorschein… Sollte das ganze Haus etwas aus Farbe bestehen? Endlich glaubte man, noch die letzten lockeren Reste abgekratzt zu haben. Doch später beim Streichen lösten sich noch immer alte Schichten von Putz und Farbe ab und blieben an meiner Rolle kleben, so dass ich wieder und wieder überollen musste. Berührte ich dabei die Fläche, auf welcher der neue Anstrich scheinbar gehalten hatte… Ratsch! Platsch!… Da rieselte mir das Zeug auch schon wieder ins Gesicht… Nicht anders war es beim Streichen der Wände. Hier löste sich der Putz, bröckelte ab und gab die sandige Unterhaut des alten Fachwerkgemäuers frei, die wie das Wundwasser einer Schürfwunde heraustrieb. Es war wie immer, egal was man anfasste, ein verzweifelter Kampf mit dem undankbaren Material.

Nebenbei lief schemenhaft der Werkstattbetrieb, sowie der Pannenhilfs- und Abschleppdienst. Die Auftragslage hatte mit dem Beginn des Sommers stagniert. Die paar Kunden, die noch zu uns kamen, mussten aber bedient werden und wenn ein Anruf vom Autoclub reinkam, sprang ohnehin sofort alles auf wie von Hornissen gestochen, schmiss Säge, Hammer, Bohrmaschine oder Pinsel aus der Hand, setzte sich hektisch in Bewegung, zog sich die Uniform vom Automobilclub an, sprang in ein Gefährt und setzte donnernd auf die Straße… Oder eilte, sich die Klamotten abklopfend, rüber zu den Kunden in die Werkstatt… Vorbildlich, wie an unsrer Arbeitskraft kein halber Cent verschwendet wurde.

Die Renovierungsarbeiten währten fast das gesamte erste Jahr meiner Ausbildung. Der Herbst klopfte schon an die Tür und so wurde es endlich Zeit, die Heizung wieder anzuschließen.

Wir zerrten das veraltete Monstrum auf der Palette zum ursprünglichen Ort zurück, nutzten dabei jeden Zentimeter unseres begrenzten Raumes zum Rangieren… Vor… Zurück… Wieder und wieder… Sicherlich war es die klügste Vorgehensweise, das Ungetüm zuletzt, aber mit der geballten Überzeugungskraft unserer Flüche und unseres wimmerndem Zorns, in Position zu bringen… Überall lag schon wieder Werkzeug und Unrat auf dem bisschen Boden, der noch nicht von den Regalen eingenommen war, und alle paar Minuten sprang der verfluchte Kompressor an, kompromisslos seinen Lärm ausspuckend, die Druckluftanlage einer zumeist leeren Werkstatt versorgend.

Während Alex und das Wiesel die Heizung anschlossen, war ich damit beschäftigt, ein wenig Ordnung in das Chaos um uns herum zu bringen. Zwischendurch ließ man mich immer wieder losflitzen, um weiteres Werkzeug herbeizuholen und meinen Händen entreißen zu lassen… Dann hockte ich mich zurück auf den Boden und sortierte Materialien… Stur blickte ich vor meine Füße, in dem Versuch, mich nicht von den lautstarken Agitationen gegen die Heizung verstören zu lassen… Unmöglich… Man konnte förmlich spüren wie die Luft sich mit Kampfeszorn anreicherte… Zum Schluss mussten die Beiden das Abzugsrohr anbringen, das aus mehreren scharfkantigen Blechzylindern bestand und Heizung und Schornstein miteinander verbinden sollte… Nachdem sie das Rohr mehrmals verschoben, verdreht, zusammen und auseinandergebaut, mit Hämmern zurechtgedengelt und einzelne Glieder gekürzt hatten, passte es nach wie vor nicht wie es sollte. Das Wiesel steigerte verbissen die Arbeitswut, brüllte uns Anweisungen zu, die wir panisch befolgten und behämmerte, schäumend und mit aller und Kraft, die in ihm steckte, das Material. Halb mit dem Aufräumen fertig geworden sprang ich hin und her, ließ mich anweisen, dem Spinner und meinem Leidensgenossen zu helfen und betrachtete eine zunehmende Deformierung des Bleches. Beklemmt aber nicht ohne Faszination, sah ich mit an, wie sie mit vereinten Kräften zwei Hälften verbinden wollten… Man stieß mich beiseite… Gleich würde der Wutanfall folgen… Also robbte ich auf dem Hosenboden sitzend rückwärts und begann die vorige Arbeit fortzusetzen, nur um den Augenblick darauf ein metallisch schabendes Geräusch zu hören… Ich blickte auf… Die beiden Elemente waren ineinander gefahren und das Wiesel, welches im selben Moment dabei war, mit den blanken Fingern die beiden aufeinander stehenden Kanten derselben zusammen zu pressen, stieß ein erleichtertes Stöhnen aus… Wir warteten regungslos… Sein Gesicht verfärbte sich, die Lippen bildeten eine Sichel, die Muskulatur um die Augen verkrampfte… Wir warteten… Aus dem Moment bedeutungsvoller Stille erwuchs plötzlich eine Gotteserkenntnis, an der uns das Wiesel durch einen erschütternden Schrei teilhaben ließ… »OOHH GOTT!…« Dann mit gesteigerter Vehemenz noch einmal… »OOOOHH GOOTT!!!« Mit rotem Kopf und einem irren Glänzen in den Augen wand es sich zu uns herüber, hielt uns anklagend seine blutenden, geklemmten Finger entgegen und schüttelte sie, dass Tropfen von der roten Suppe in die Luft spritzten… Nun… Wie sollte man reagieren?.. Die Furcht massakriert zu werden war auf dem Höhepunkt, kippte aber schließlich über als das Wiesel nicht uns an die Gurgel ging, sondern nach dem Heizungsrohr in Alex gelähmten Händen langte, es an sich riss, zu Boden warf und fünf sechs Mal mit tyrannischer Gewalt darauf ein prügelte.

Mein Kollege drehte sich, während es von den Schlägen nur so schepperte, zu mir um, unsere ungläubigen Blicke trafen aufeinander und wir konzentrierten zugleich einiges Beherrschungsvermögen drauf, ein aufkeimendes Lachen zu unterdrücken… Ruhig bleiben… Kein Benzin ins Feuer werfen… Nach der Entladung gelang es den Beiden, ihre Arbeit zu beenden, das Abzugsrohr passte endlich korrekt an seinen Platz. Das Schönste daran, der lieblichste Streich wohlwollenden Schicksals, war jedoch, dass sich der Schwerverletzte nach getaner Arbeit verzog und für den Rest des Tages nicht wiederkehrte.

Waren wir im Heizungskeller, ohne Schaden nehmen zu müssen, noch einmal davongekommen, häuften sich in der darauffolgenden Zeit Situationen, die nicht mehr gut ausgingen… Das Wiesel beherrschte die Gemüter peitschenschwingend, mit blankem Terror. So ließ es jeden von uns immerzu rotieren und keine Minute verging ohne sein Beisein. Der Druck war bald kaum noch auszuhalten und musste das Gefüge der Firma auseinanderreißen, bildete ich mir ein… Wenn nicht… Ein Ventil.

Im Affekt kam es zu einigen heftigen Auseinandersetzungen zwischen Alex, dem Wiesel und seinem Hausdrachen… Sie machten den armen Hund regelrecht zur Sau. Trotz all dem, versuchte er immer wieder vernünftig gegen die ihm vorgeworfenen Unzulänglichkeiten zu argumentieren. Es entging mir und Christoph nicht, wie sie Alex beinahe täglich nach Feierabend ins Büro riefen, um mit ihm zu diskutieren… Christophs Versuche die Vorgänge auszuleuchten, hatten sich auf eine halbe Stunde gemeinsamer Zeit im Pausenraum zu beschränken und wurden nur ausweichend beantwortet… Alex meinte daraufhin stets, er habe das höllische Arbeitsklima angesprochen, worauf es nur zu noch mehr Gekeife und wirren Belehrungen gekommen wäre.

Da kam das bevorstehende Ende von Christophs Ausbildung dem abgebrochenen Despoten gerade Recht… Hockte wahrscheinlich tagelang in seinem Wieselbau herum und geilte sich an seinem Vorhaben auf… Es musste ja so kommen. Sie feuerten Alex kurz vor Weihnachten. Zwei Gesellen wollte die Firma nicht aushalten.

Gerne hätte ich wissen wollen, wie sie die Entlassung begründeten… Dachte, dass dabei ein Arbeitsvertrag, der bis in den letzten Buchstaben der hintersten Klausel menschenunwürdig war, eine tragende Rolle spielte. Alex wollte jedenfalls noch bis zum Ende der Kündigungsfrist weiterarbeiten, entschied gegen die Einreichung einer Krankmeldung. Sie schickten ihn weg… Seltsam aber… Was passte denn schon ins Bild?… Ich stellte mir vor, wie er wohl mehr als froh gewesen sein mochte, endlich dieser Knochenmühle entkommen zu sein… Stellte mir vor wie er erhobenen Hauptes vom Hof gegangen sein musste… Sah ihn aber nie mehr wieder und dachte bange an die Zeit, die mir in dieser Firma noch bevorstehen sollte.

Was verbirgt sich hinter Neujahrsfeiern, außer dem Wunsch die Vergangenheit zu begraben?… Zu verschütten! Haha!… Wer klopft sich nicht selbst auf die Schulter und sagt… Es ist überstanden?… Und vielleicht… Harren wir dem was da kommt… Und gackert sardonisch und trunken vor sich hin… Geblendet von den Explosionen am Firmament… Instabile Feuerblumen, deren einziger Zweck es ist, groß tönend und rapide vor der Kälte des ewigen Nachthimmels zu vergehen.

Wer arbeiten geht muss auch Feiern, für Ablenkung sorgen, sich mal den Kopf freisaufen oder so was in der Richtung… Das Jahr geht zu Ende, dass Neue kann bestenfalls nicht schlimmer werden… Mit diesem Trugschluss konditionierte ich mich selbst… Ausgefeilte Pläne oder fernere Organisationen waren ausgeschlossen. Wegfahren war ausgeschlossen. Urlaub zwischen den Jahren ebenso ausgeschlossen… Ein fürchterliches Besäufnis, mit anschließenden Entgleisungen geradezu psychotischer Art, war jedoch durchaus möglich.

Ich drückte eine Zigarette im Blumenbeet neben der Einfahrt zur Garage aus… Einen Aschenbecher dort aufzustellen, bevor die Jungs und die Schnalle kommen würden, kam mir in den Sinn, während ich den erdigen Stumpen drinnen in die Mülltone warf. Wieder in meinem Zimmer begutachtete ich die im Voraus besorgten und säuberlich bereit gestellten Alkoholika… Irgendwie freute ich mich darauf… Es machte aber zugleich etwas nervös… Es würde das erste Mal sein, dass wir in größerem Kreis bei mir zu Hause Silvester feierten… Die Male, die es davor gegeben hatte, waren wir maximal drei oder vier Leute gewesen, von denen keiner über Nacht blieb… Am nächsten Morgen erhob ich mich dann und frühstückte Wodka-Cola, bevor ich, gemäß dem Ordnungssinn der verehrten Nachbarschaft, das Chaos auf der Straße zu beseitigen hatte… Selbst an Neujahr waren die nicht totzukriegen… Verfluchte Sesselfurzer… Den höllischen Kater mit dem Frühstück nur halbwegs übertüncht schleppte ich mich durch die ganze Nachbarschaft. Zuerst mit Besen und Kehrblech… Dann auf dem Rücken eine große Leiter tragend, die ich brauchte, um auf eine Zeile von aneinandergereihten Garagen zu klettern, auf der einige Feuerwerkskörper aus der vergangenen Nacht lagen. Diese giftig signalroten Fremdkörper mussten ein schier beleidigender Anblick für meine liebe Nachbarin gewesen sein, deren prüfende Blicke aus dem Dachfenster des Nachts mich dummerweise zwischen den Jungs ausgemacht hatten, beobachtend wie wir Böller auf die Garagen hinauf schleuderten und die sich des Morgens wiederholten, um den Grad der Verwüstung auszumessen und darüber die Strafe der Übeltäter zu beschließen, die das Wohl des ganzen Viertels geschändet hatten… Ein saukomisches Bild muss das abgegeben haben… Ich stellte die Leiter an, kraxelte noch wacklig in den Beinen mit Eimer und Kehrblech bewaffnet auf die Garagen und spielte vor den Augen aller, die zivilisiert besprengten Räume vor der eigenen Haustür fröhlich pfeifend kehrenden, Schaulustigen das Dienstmädchen und Ärgerte mich tot… Fühlte mich abgemurkst… Alles wegen zwei Feuerwerkskörpern und obwohl nicht eine der Garagen der Nachbarin, die mich auf offener Straße mit Geifer bespuckt hatte, selbst gehörte.

Es hat etwas unbefriedigend Masochistisches, den Gastgeber auf einer Hausparty spielen zu wollen… Bald darauf, auf das bevorstehende Gelage, würde ich mir darüber im Klaren sein.

Kaum dass der Aschenbecher bereitstand, hörte ich Stimmen aus einiger Entfernung und bewegte mich darauf zu. Ein paar Typen und ein einziges Mädel kamen eng aneinander gedrängt aus dem Dunkel und traten in den Schein der Laternen ein… Begrüßungen… Hinterher öffnete ich die Tür und sah zu, wie alles herein trottete… Das Mädchen ganz zuletzt.

»Hier feiern wir?«, fragte sie, mein Zimmer mit ihren Schritten abmessend und die zusammengewürfelte Einrichtung betrachtend, während alle anderen ihre angetrauten Plätze einnahmen.

»Dieser Raum ist so gut wie schalldicht… Und sowieso sind meine Alten nicht zu Haus… Wir können so lange machen wie wir wollen«, gab ich großspurig zurück und setzte mich auf meinen ausgebeulten Fernsehsessel.

Die ersten Biere wurden aus den Kästen geholt, der Fernseher flimmerte im Hintergrund… Seichte Unterhaltung vor dem großen Spektakel. Darauf beflissen sich einen anzutrinken, saßen mit mir nunmehr sechs Leute im Raum. Marie hatte sich neben Sascha, Marcel und Dennis auf das Sofa hinter den kniehohen Tisch mit seiner verkratzten Glasplatte gequetscht, ein weiterer Gast auf einem der dem Esszimmer meiner Alten entwendeten Stühle, die zu beiden Enden des Tisches standen.

Nach etwa einer Stunde des Biertrinkens, gab man sich ein einen Ruck und fing an die Longdrinkgläser zu befüllen. Die Party war definitiv am Laufen… Die Abstände, in denen man zum Rauchen vor die Tür ging, verkürzten sich… Man trank und lachte, unterhielt sich und wurde zusehends betrunkener.

Das Konzept, innerhalb der geschlossenen Gruppe vor die Tür zu gehen, hatte bald an Bedeutung verloren. Ich war Sascha gefolgt, der sich zwischendurch immer wieder zwecks Telefonats ausklinkte und verweilte mit ihm unter dem Schein der Lampe vor der Garage… Drinnen blieb der Rest sich selbst überlassen… »Hey sag mal… Wann kommt eigentlich der Macker?«

»Ist doch sein Geburtstag heute«, erinnerte mich Sascha… »Der ist noch mit Mama und Papa und seinen Schwestern unterwegs… Lässt es locker angehen.«

»Wir haben schon bald zwölf… Wann kommt er denn? Hast du mit ihm telefoniert?«, fragte ich, ihm damit den Hintergrund seiner mysteriösen Telefonate zu entlocken suchend.

»Ja auch…« Er nahm einen letzten Zug von der Zigarette und wollte sie schon von sich werfen, worauf ich ihn mit einem Kopfzeig auf den Aschenbecher aufmerksam machte. Er drückte sie an mir vorbeigehend, hastig stochernd darin aus und verschwand nach drinnen… Was wollte er mir verschweigen? Sollte es nur ihn betreffen? Meine Gedanken kreisten orientierungslos um die Situation herum. Ich versuchte mich an sein Verhalten bisher zu erinnern. Er hatte schnell viel getrunken… Quatsch… Hatte nichts zu bedeuten, das… Unser aller Vorhaben beschränkte sich schließlich auf ein Besäufnis.

Später, nachdem wir unsere paar Raketen, von der kalt glänzenden Straße aus, in den diffusen Nachthimmel geschossen hatten, das kurzweilige Lichterspektakel billig, bunt und diffus in der Schwärze aufgeglänzt hatte und im Rauch vergangen war, saßen wir sehr bald wieder um den Tisch herum und ein Würfelbecher und ein Set Karten wechselte die immer fahriger zugreifenden Hände. Sascha goss sich nach… Verschwand auf Toilette… Kam wieder… Sein Telefon klingelte… Er türmte und nahm den Drink mit nach draußen… Stürzte wenig später wieder herein… Goss sich wieder nach und fing an unartikulierte Halbsätze in die Gesichter seiner Nachbarn zu gröhlen. Derweil versuchte ich mich selbst mit immer größeren Schwierigkeiten, in die zerstreuten Gespräche zu integrieren… Marie sah amüsiert in die Runde, und schien ihren Spaß an dem Aufruhr zu haben, den sie mit hellem Klang in der Stimme kommentierte… Hin und wieder auch ironisch mahnend, wenn jemand gröberen Blödsinn veranstaltete… Jemand anderes riss das Fenster auf und bat darum, eine Zigarette davor rauchen zu dürfen… Ich ließ gewähren und suchte nach der Flasche Schnaps, die ich vor einiger Zeit beiseitegestellt hatte, annehmend, man würde sich noch daran erinnern, dass sie für meinem persönlichen Bedarf bestimmt sein sollte… Ich fand sie leer unter dem Tisch liegend vor… Mit rapidem Schwung öffnete sich die Zimmertür, schlug von der Wand ein Stück zurück, und wurde nur aufgehalten von einer gleichzeitig zum Selbstschutz und zur Begrüßung vorgehaltenen Hand… Somit alle Aufmerksamkeit auf seine Ankunft lenkend, betrat endlich Macker, leicht schwankend und der Versammlung feierliche Blicke zuwerfend, den Raum und ließ sich beglückwünschen… Ihm folgte ein vom Suff bereits so eingenommenes Mädchen, dass es nicht einmal die Anwesenden bemerkte, als es wie etwas wirbelloses erschlaffend an ihm vorbei stolperte und in unmittelbarer Nähe des Fernsehers zu Boden ging… Hilflos angesichts des allgemeinen Getümmels, stand ich als letzter auf und sprach meine Glückwünsche aus… In der Hand, die ich nicht drückte, hielt er eine Literflasche Rum… Es würde wohl noch eine Weile so weitergehen… Ich nahm dem Geburtstagskind den Rum ab… »Ist ja schön, dass du auch an deinen Gastgeber gedacht hast…« Und beugte mich damit zum Tisch herüber… »Hast sicher nichts dagegen, wenn ich den mal probiere…« Drehte den Verschluss herunter und schenkte mir ein.

»Wer isn die Schnapsleiche die du da mitangeschleppt hast?«

»Die?… Die is in Ordnung… Lass die sich mal erholen.«

Mit zunehmendem Rausch und wachsendem Chaos erfuhr auch der Ärger eine Steigerung… Ein paar Gläser waren umgefallen, zwei dabei zu Bruch gegangen und Marcel war ungeschickt in die Kabel der Musikanlage gestiegen und hatte sie dabei herausgerissen… Vor dem Fenster sammelten sich die Zigaretten… Die Kellertür donnerte in einem fort, von Saschas anhaltenden Ausflügen ins Freie… Irgendwann war ich so weit… Was sollte es?… War ja auf meinem eigenen Mist gewachsen… Aber… Alles war so surreal, wie ein Traum der schön begonnen hatte und in einem unkontrollierbaren Desaster, gleich einem zügellosen Albtraum, enden würde… Wie war es mir anfangs nur gelungen, mich auf den Gedanken einzulassen, man könnte auch als Gastgeber auf einer Hausparty Spaß haben?… Man müsste einfach loslassen… Scheiß doch drauf.

Sascha, gerade hatte er sich noch lautstark mit Marie unterhalten, sauste von seinem Platz in die Höhe und machte mit voller Schlagseite einen Satz auf mich zu. Er ging neben mir in die Hocke, legte einen Arm um meine Schulter, stützte sich mit der Faust des anderen auf den Boden und seine Lippen näherten sich verschwörerisch gespitzt meinem Ohr.

»Ich hätt schon Bock jezz einn surauchn… Du?…« Warum jetzt?… Er musste unsere letzte Eskapade schon verdrängt haben… Oder er hatte, ähnlich wie ich einen devianten Spaß daran empfunden… »Awer ichchch habmein Zeuch suhause jelassn…«

Zu der Zeit verbargen wir geradezu paranoid, dass wir gelegentlich gern mal einen durchzogen… Ein paar der Jungs wussten Bescheid… Aber die Mädels… Wir hielten das für eine sensible Angelegenheit.

»Und jetzt? Ich hab meins im Zimmer versteckt… Das kann ich unmöglich jetzt herbeiholen…«

»Hassrecht… Nichjezz… Wo Marie da is…«

Im nächsten Augenblick klingelte sein Telefon, er stand auf, spuckte ein angenervt fragendes »Hallo?!« in den Hörer und machte sich daran, das Zimmer zu verlassen.

Es überkam mich mit gebieterischer Gewalt, den Spekulationen über den Grund seiner Gespräche zu entrinnen, die schon in aller Munde waren und um die Frage kreisten, ob er denn ein Mädchen hätte, von dem man nichts wisse… Was eine nicht zu unterschätzende Bedrohung darstellen konnte… Ich erhob mich… Die Garagentür wurde derart aufgerissen, dass ich dachte sie würde aus den Angeln fliegen… Ich würde es für mich selbst herausfinden… Und setzte ihm hinterher.

Die Tür war weit geöfffnet aber man sah niemanden davorstehen. Gellende Laute schlugen sich von der mittlerweile beruhigten Straße kommend ums Haus. Die Entfernung und ungefähre Richtung bedeuteten, dass er gerannt sein musste. Nach einigen Schritten sah ich ihn weiter die Straße herunter, auf dem Bürgersteig vor dem Garten eines Nachbarhauses. Vermutlich hatte er von etwas unerfreulichem Wind bekommen… Warum sonst würde er so herumschreien?… Aber was?… Im Herannähern beobachtete ich, wie er auf und ab ging, dabei das Handy ans Ohr gepresst und mit der Zigarette in der freien Hand herumwirbelte.

»Mann du weißt doch was ich meine!…« Seine Stimme war plötzlich wieder klar geworden. Die Worte stampften als fest geschlossene Laute in der Kälte… »Versuch nicht dich rauszureden!…« Als er mich herannahen sah hielt er beschwichtigend die Hand aus.

»Na, dass du Scheiße gelabert hast!«

Ich wartete darauf, dass er auflegen würde und mich darüber aufklären, mit wem er auf der anderen Seite des Äthers argumentierte.

»So ein dreckiger Dummschwätzer! Der plappert alles Mögliche aus… Kann einfach seinen Rand nicht halten!«

»War das etwa der mit dem komischen Namen? Der vom Handball? Der blonde mit dem Entenarsch, der Schrumpfnudel und dem Wasserkopf?…« Sascha nickte… »Wie heißt er noch gleich?… Munkel?«

»Ja! Scheiße nochmal! Warum haben wir nur ausgerechnet dem was zu Rauchen besorgt?«

Offenbar hatte der Dummschwätzer einem der anderen Jungs aus dem Handballverein vertrauliche Informationen über unseren gelegentlichen Zeitvertreib weitergegeben… An einen, der eine ebenso große Traschtrine war… Nun erschien Saschas Sorge berechtigt, das Gerede könne sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Wer hatte schon Lust von seinen Vereinskollegen, zu einem Gespräch über die Gefahren des Drogenkonsums einberufen, geschweige denn abschätzig als verkorkster Kiffer belächelt zu werden… Aber hatte es wirklich etwas mit mir zu tun?… War es gleichwohl ein Belang meines Ansehens?… Musste es wohl… Tatsächlich schien die Meinung anderer Leute über uns eine gewisse Wichtigkeit zu haben… Die Freuden des wohlbehüteten Zusammenlebens mit der Gemeinschaft. Freuden der Koexistenz mit Gaffern und Schwätzern.

Wir gingen wieder rein, aber von da an lag der Eklat, die drohende Entlarvung wie ein Schatten über unseren Gemütern… Wir beschlossen, uns richtig volllaufen zu lassen, angesichts dieses drohenden Debakels… Bald folgte ein weiterer Anruf… Sascha hatte sich in den Kopf gesetzt, den Dummschwätzer durch Drohungen zum Schweigen zu bringen… Zu jenem Zeitpunkt, da schon alles ausgesprochen war?

Ich folgte ihm wieder nach draußen, um das Gespräch zu verfolgen und versuchte, schon ziemlich besoffen, durch mein Zureden die Situation zu entschärfen. Stattdessen… Brachte ich es nur zu unüberlegtem Gestammel, mit dem ich ihn in seinen Plänen bekräftigte.

»Hey Sascha… Sascha! Sascha hör mir zu… Wir schnappen uns den nomma… Awer nich jezz… Jezz wolln wir doch feiern…« Drohend wiederholte er einen Teil meiner Worte ins Telefon… »Ey du weißt irgendwann treffe ich dich noch mal auf der Straße«, warnte er noch und legte auf… Dann sah er mich mit seinem vor Wut bebenden Gesicht an.

»Mann Sascha lassas sein. Wir lassn uns doch wegn dem Wichser nich den ganzen Awend verderwen. Ffffrüheroderscchpäter schnappen wir uns den nommal… Wartssnurab.«

Währenddessen hatten ein paar der anderen noch das letzte bisschen Wind bekommen, indem sie uns gefolgt waren und das seltsame Spektakel aus sicherer Ferne betrachtet hatten. Sie schleiften uns wieder mit rein. Die Party musste am Leben erhalten werden.

Zu allem Übel hatte Marie, die Nichtraucherin war und an unseren wunderlichen Aktivitäten scheinbar nur oberflächlich interessiert, sich dazu entschlossen, ihre unbeaufsichtigte Zeit zu nutzen, indem sie ein wenig mein Zimmer erkundete. Gerade wieder zur Tür herein, sah man sie in meinem Drogenversteck herumkramen.

»Na was haben wir denn hier?«, sagte sie, sich zu uns umdrehend und hielt ein Plastikbeutelchen Gras, dass sie provokativ, zwischen dem von sich gestreckten Daumen und Zeigefinger, baumeln ließ… Die Angst aufgrund dieses Fundes für das Mädchen nicht mehr als Sexualpartner in Frage zu kommen, war genauso bescheuert wie uneinsichtig um meine sowieso bescheidenen Chancen, doch sie übermannte mich mit absoluter Gewalt… Sie schien in ähnlichem Maße auch Sascha übermannt zu haben, denn er machte auf den Fersen kehrt verließ fluchtartig das Haus.

Ich steigerte mich schließlich in eine sonderbare Wutfantasie hinein, versuchte tunlichst allen Beobachtern meines betrunkenen Wahns klarzumachen wie egal mir doch sei, dass die Party derart aus dem Ruder gelaufen war, bemühte mich um eine Rechtfertigung für das Kiffen und begann damit, nur noch im Flüsterton zu sprechen… Solange bis ich mich gar nicht mehr darum zu bemühen brauchte, wurde meine Stimme doch irgendwann von selbst heiser… Dermaßen geblendet, bekam ich es zuerst nicht mit, dass ich wie ein plappernder Irrer einen Monolog hielt, gegenüber Leuten, die sich größte Mühe geben mussten, sich vor Lachen nicht zu bepissen und es mich nicht bemerken zu lassen.

Es verbleiben nur noch ein oder zwei Stunden bis zum Sonnenaufgang. Irgendetwas geschah, dass die letzten kümmerlichen Barrieren der Beherrschung in meinem Kopf niederrissen. Ich stand von meinem Platz auf, gab noch irgendetwas wütendes und dummes von mir, dann ging ich schnell in eine Abwärtsbewegung und schlug mit der rechten Faust auf den Boden. Kurz fuhr ein heftiger Schmerz durch meinen Arm. Erschrocken fluchte ich und betrachtete meine Hand. Der Schreck und der Schmerz holten mich wieder ein paar Schritte an die Realität heran. Mit voller Kraft hatte ich auf die harten Fliesen, die nur von einem dünnen Teppich bedeckt waren, geschlagen.

Das letzte bisschen Spaß war vernichtet… Von mir totgeschlagen. Die verbliebenen Gäste saßen größtenteils fassungslos herum und beobachteten ein Häufchen Elend, das auf dem Teppich vor dem Tisch hockte und ungläubig und ängstlich die immer dicker werdende Hand abtastete… Das bald mit einer Befragung anfing, ob man es für einen Bruch hielte und verzweifelt versuchte, sich zu beruhigen sich einredete, dass seine Hand nur geprellt sein müsse, es sich aber selbst nicht so ganz glauben wollte… Schließlich hatte ich mir schon einmal zwei Mittelhandknochen der rechten gebrochen. Mit vierzehn bei einer Schlägerei in der Schule… Das Fühlte sich so verdammt ähnlich an… Und sie beobachteten mich, dieses Häufchen Elend und wussten nicht, was tun.

Marie setzte sich zu mir… »Mensch was machst du denn auch für eine Scheiße?…« Und umarmte mich ein bisschen… »Komm her lass mich mal sehen«, sagte sie, langte nach meiner Hand zog sie zur Betrachtung heran und lachte dabei mitleidig… Hexenwerk!… Sie war die ganze Zeit über so gut wie nüchtern geblieben… Was hatte die für eine Geduld.

»Kannst du eine Faust ballen?…« Ich versuchte es… »Tut es weh?…« Und sie tastete die Knochen hinter den Gelenken ab… »Und wenn die die Finger bewegst?«

»Ich weiß nicht«, sagte ich und versuchte, es halbwegs besonnen klingen zu lassen… »Es tut schon weh aber… Der Alkohol…«

»Der betäubt. Ja… Damit solltest du auf jeden Fall morgen zum Arzt… Komm, wir helfen dir noch ein Bisschen beim Aufräumen«, beschloss sie letztendlich.

Die Verbleibenden folgten ihrem Beschluss. Wir beseitigten die gröbsten Nachweise unseres amateurhaften Gelages.

Oh, die Jugend! Oh, die Kontrollverluste, die noch echt waren… Im Unwillen dazu entstanden… Unfreiwillige Komik. Man könnte fast darüber… Naja… Man sollte nicht gleich sentimental werden.

Der Nächste Tag gestaltete sich als einziges Bereuen, das mit dem Aufwachen spät nachmittags begann und einherging mit dem Gefühl vom bösen, schwarzen Affen Exzess vergewaltigt geworden zu sein, dieser Vergewaltigung dabei auch noch zugestimmt zu haben… In der Benebelung… Und hinterher, halbtot und zusätzlich verunsichert wegen meiner Hand, auch nach dem Vergehen des Rausches noch nicht wieder ich selbst zu sein.

Nachdem ich aufgestanden war, verbunkerte ich mich zunächst in meinem Kellerzimmer, zog meine Vorhänge zu, saß apathisch herum und befühlte meine geschwollene Hand. Die Finger konnte ich kaum bewegen, es schmerzte nicht sehr stark, doch ich bildete mir ein, von den nächtlichen Ausartungen und dem ganzen Fusel immer noch betäubt zu sein. Ich tastete den Mittelhandknochen unterm kleinen Finger ab und meinte, eine Bruchstelle fühlen zu können… Was würde bloß am folgenden Tage sein, wenn ich wieder zur Arbeit musste?… Ein schweißtreibendes Grauen davor zerrte an meinen Eingeweiden, dem Magen, der Lunge und mir wurde davon noch übler als mir so schon war… Von dem schalen Geruch des Zimmers, das noch nicht befreit worden war, von den Ausdünstungen, die dort drinnen tobten… Der Tisch verkrustet von Staub, Bier, Schnaps, Krümeln und was noch für Überresten der Nacht… Von dem Wissen darum, wie meine Arbeitgeber allein auf Ausfälle bedingt durch Krankheit reagierten… Auf dem Weg, eine Dusche zu nehmen, fiel meinem Magen ein, dass er doch noch unbedingt etwas loswerden musste… Bis zur offenstehenden Schüssel schaffte ich es im Eilschritt, da fing die Soße an mir zwischen den Fingern meiner den Mund verschließenden Hand durchzulaufen, dass ich mich mich hastig dem Porzellan entgegenstürzte und mit dem Kopf vor den Deckel prallte… Ein giftig saurer Schwall… Tränen in den Augen… Mein Arm lag auf dem Rand der Toilette. Angewidert als ich sah, dass noch Pisse halbtrocken darauf klebte, kam es mir fast noch einmal hoch… Ich fühlte mich wie ein reuiger Säufer, erschlagen von einem Delirium des Kummers und nichts da, um dagegen anzusaufen… Brauchte wirklich eine vernünftige Ausrede… Dieses Jahr sollte ich achtzehn werden… Warum veranstaltete ich nur solchen Schwachsinn?… Da hatte kein Heizungsrohr auf dem Boden gelegen, an dem ich mich aus Blödheit selbst verletzt hatte… Warum also?… Es war wertlos, in jenem Moment noch danach zu fragen… Auch danach… Wichtiger war die Ausrede, die ich versuchen musste, in meinem ausgehöhlten vertrockneten Schädel gedeihen zu lassen.

Draußen hatte sich längst der Schatten der nächsten Nacht über das Land gelegt und das Haus war still. Sodann schleppte ich mich erst einmal hoch zu meinen Alten, um sie mit meinem Übel zu konfrontieren. Doch meine Scham war zu groß, um ihnen die Wahrheit darüber zu erzählen… Konnte man ja auch schlecht sagen… »Hallo hier bin ich! Hab mich gestern im Suff selbst verstümmelt! Wie gehts euch so?«

Ich hatte mir einen Schwindel überlegt… Eine offizielle Version, der Geschehnisse, an die ich mich selbst nur noch vage erinnerte und die es galt, den Vorgesetzten und meinen Eltern glaubhaft zu machen. Vorsichtig öffnete ich die Wohnzimmertür… Da saßen alle beisammen, bei gedämpftem Licht und vor dem lautlos geschalteten Fernseher und wirkten auf mich wie stumme Richter vor einer Anhörung… Beklemmend.

Ich erzählte ihnen, es wäre beim Feuerwerk passiert, dass ich ausgerutscht wäre und dabei auf die geballte Faust gefallen, mit der ich versucht hätte, den Sturz abzufangen. Am nächsten Morgen würde ich erst einmal zur Arbeit gehen und dann dort sogleich meine Hand präsentieren. Erst danach würde ich den Arzt aufsuchen… Schüttelnde Köpfe… Ernste Minen… Sie nahmen es mir ab, ohne dass eine große Diskussion entstand… Sie saßen einfach da, eine Müdigkeit in der Haltung und den Gesichtern, die Strenge und Besorgnis erweichte, sie abschmelzen ließ… Diesen Umstand nutzte ich, indem ich schnellstmöglich unter die Bettdecke kroch und versuchte Schlaf zu finden… Dringend brauchte ich das seichte Vergessen… Vielleicht würde am nächsten Morgen alles wieder ganz anders aussehen.

Verspätet aufgewacht, quälte ich mich am nächsten Morgen mit meiner krummen Pfote in die Klamotten und trat den Weg zu meinen Peinigern an, der mir vorkam wie ein unaufhaltsames Fließband, auf das ich mit den Füßen festgeklebt war, mit vor Aufregung nervösem Magen und zitternd wie ein Junkie auf Entzug, immer näher dem Schlund eines Ofens heranrückend… Würde man mir die Angst ansehen können? Wie würden meine Symptome ausgelegt werden?… Kaum in der Werkstatt angekommen und gerade auf dem Weg zum Umziehen, dadurch versuchend guten Willen vorzutäuschen, sah ich aus den dunklen Kriechtiermausoleen des Kellers das Wiesel hervortauchen. Geradezu groteske Fröhlichkeit erging sich, aufbrennend im ungesunden Leuchtstofflicht der Werkstatt, auf den vergrämten, faltigen Zügen seiner Zuchthäuslervisage. Noch nicht ahnend, was folgen würde, wurde es aufgehalten von Christoph, der seinen Weg kreuzte und auf den es zum Überraschungsangriff überging, indem es ihn stellte und mit energischem Händedruck begrüßte… Der ganze Kerl schüttelte sich mit und blickte verwirrt drein… Scheinbar war es eine der seltenen Okkasionen, zu der es sich in gut gelaunter Stimmung befand… Die Beiden wanden sich mir entgegen. Wie angewurzelt blieb ich neben dem Werkzeugschrank mit dem verstaubten Radio stehen… Und hielt zaghaft meine ramponierte Hand hoch, sobald sie die letzte schützende Distanz überbrückt hatten… Da hatten sie sich nun vor mir aufgebaut… Ich erwartete kochendes Blut… Einen kolossalen Wutanfall und drakonische Bestrafung, sah ich doch, wie sich augenblicklich die Gesichter verfinsterten. Christoph verschwand in die andere Halle und entsagte mir somit seinen Beistand.

Das Wiesel holte tief Luft, wobei es seine schiefen, gelben Zähne zeigte und ich schoss in verzweifelter Gegenwehr die einstudierten Worte meiner Notlüge wie Salven von mir.

Zu meiner Erleichterung kaufte man mir meine Geschichte ab. Natürlich zweifelte ich nicht, dass es Hintergedanken gegeben hatte aber, man sprach mich nie wieder auf den Hergang des »Unfalls« an.

Der Macker räumte entrüstet das Feld, die Werkstattüre flog zu und die Tore zitterten wie ein verängstigtes Tier in der Falle, stampfende Schritte auf den Treppen zum Wohnhaus, zuletzt krachte die Haustür in die Angel… Feiner Zug von ihm, seinen Hass und seine Wut dieses Mal am Gemäuer auszulassen… Alles war wie geplant verlaufen und so machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause, um mich in anständige Klamotten zu werfen und anschließend meine Diagnose einzuholen… Wie man es mir schon prophezeit hatte… Ein Besuch bei meinem neuen Hausarzt, dem ich mich anvertraut hatte, nachdem die Hippietante zur Privatpatientendoktorin geworden war… Erneutes betasten… Ein kurzes Gespräch, bei dem der Mann mit Halbglatze nebenher hastig über bürokratischen Korrespondenzen fluchte, zwischendurch seine Fragen zum Unfallhergang auf mich einprasseln ließ, sich dann wieder empörte, er hätte mittlerweile mehr mit dem Papierkrieg und den Krankenkassen zu tun, als dass ihm noch Zeit für die vielen Patienten übrig bleib… Viele seiner Ärztekollegen zögen sogar schon externe Firmen hinzu, die sich dafür bezahlen ließen, sich um den anfallenden Papierkram zu kümmern… Raus aus dem Untersuchungszimmer… Zum Empfang… Da winkte mir eine Auszubildende schon mit der Überweisung entgegen… Mit dem Bus in die Stadt… Ein Irrlauf über die verwinkelten Krankenhausflure… Warten… Röntgen… Erneutes Warten zwischen schlaffen Gesichtern und eingeknickten Betriebsunfällen, Bandagen und Gipsen… Krücken… Dem allgemeinen Siechtum.

Nach der Prozedur saß ich ganz benommen daheim, war selbst eingegipst und betrachtete mit gemischten Gefühlen den gelben Schein, wissend, dass er zwar einerseits eine Befreiung darstellte, mich aber andererseits zu einem weiteren Vorsprechen bei den Schakalen im Büro nötigen würde.

Was denn nun aus mir werden solle, hieß es dort und die Luft war dick von Zigarettenqualm und der unausgesprochenen und empathiefreien Sorge dieser Hyänen, dem eigenen Vorteil beraubt worden zu sein… Ich würde wohl kaum wieder arbeiten können mit meiner gebrochenen Hand… Na, klar… Sie gaben sich besorgt, heuchelten Mitleid… Einer weniger, der die Freuden der Vernichtung durch Arbeit genießen durfte… Ich argumentierte zaghaft und trocken… Knochen wuchsen wieder zusammen… Und das würde schon wieder werden… Und da wäre ich mir sicher… Diese und andere Worte hatte ich mir sorgfältig zurechtgelegt, während nebenher der Gedanke in mir wütete, dass die kleinen Risse in der Psyche viel schwerer heilten… Manchmal überhaupt nicht… Oder kamen wir alle etwa schon bekloppt auf die Welt?… Was, wenn das Beklopptsein der Normalzustand war?

Linkswichsen… Daran hatte ich mich in den folgenden Wochen zu gewöhnen… Nicht so unbequem wie die Vorstellung, beide Hände gebrochen zu haben… Der Mensch gewöhnte sich an vieles… Nachdem der erste Trubel überstanden war und ich erst einmal Abstand von den Geschehnissen an der Arbeit gewonnen hatte, war das Leben plötzlich sehr entspannt. Alles was ich tat, war alle paar Wochen zur Berufsschule zu erscheinen und dazwischen so richtig anständig und aufrichtig zu verlottern… Tage zogen gemächlich vorbei und die Zeit wurde durch Marihuana-Räusche gedehnt und gestreckt… Rumlungern an den Wochenenden… Herrlichkeit! Wahre Herrlichkeit!

Doch der unheilige Gral der Gesellschaft, die angestrebte Vollbeschäftigung, nach der scheinbar alle außer meiner selbst auf der Suche waren, zwang mich dazu, den größten Teil der Zeit allein im Zimmer zu verbringen und mich um einen Zeitvertreib zu bemühen… Das Fernsehen hing mir irgendwann zum Halse raus… Nichts war beschämender als die Spottbilder und Scheusale, die gestellten, traurigen Zerrbilder hässlicher Halbwahrheiten, die von mittags bis abends und spät in die Nacht aus dem Äther flimmerten… Man wollte am liebsten alles gleich zum Teufel jagen, das ganze drastisch dreist debile Schmierentheater mitsamt der Scheißkiste zum Fenster rauswerfen.

Also begann ich zu lesen… Und hörte auch nach meiner Genesung damit nicht auf… Nach und nach arbeitete ich mich durch die gebundenen Romane meines Vaters und Großvaters, unter denen man alles Mögliche zwischen Hoch- und Unterhaltungsliteratur fand, und, weil das Leben noch nicht schrecklich genug war, nahm ich mir den einen oder anderen Horroroman vor, der noch als zerlesenes Taschenbuch irgendwo im Regal vergilbte.

Bei der nächsten routinemäßigen Untersuchung im Krankenhaus fanden die Ärzte heraus, dass mein Mittelhandknochen falsch zusammenwuchs. Um eine Verkrümmung zu vermeiden, sollte ich mich einer Operation unterziehen. Man gab mir eine Menge Formulare mit, die ich auszufüllen und abzugeben hatte. Eine Woche später bekam ich einen Termin, bei dessen Wahrnehmung, man einen weiteren Stapel Papier auf meinem Schoß deponierte… Und ich schwang den Kugelschreiber… Auf unrecyceltem Papier! Dekadente Bürokratie! Die Regenwälder! Ihr bigotten Schweinepriester!… Und man schob mich auf der Operationsbahre von Station zu Station und gab mir ein Beruhigungsmittel, in einem Luftschleusenartigen Vorraum zum Operationssaal, dass mich binnen Minuten wegdösen ließ… Ich bekam noch mit, wie mit Operationsmasken verhüllte Gesichter die Vollnarkose vorbereiteten, dann gingen bei mir die Lichter aus.

Benommen und mit taubem Arm aus Gummi, wachte ich wieder auf. Man hatte mir den Mittelhandknochen erneut gebrochen und ihn mit zwei Metallstiften fixiert. Noch mehr Zeit für mich, in der ich nicht zur Arbeit gehen brauchte.

Doch nach Wochen voll der Zerstreuung musste es auch einmal weitergehen. Es gestaltete sich so langweilig und trostlos wie zuvor. So unvermittelt war ich wieder in der alten Routine drin, dass es mir schnell kaum noch ins Bewusstsein kam, wie lange ich doch zuvor abwesend gewesen war. In den ersten Wochen gab man sich größte Mühe, mich die volle Breitseite meiner Unbeliebtheit spüren zu lassen, ehe man bemerkte, dass die Ausbildung eine befristete Gelegenheit zur Ausbeutung darstellte und man mich endlich so langsam an die, für meine Ausbildung relevanten, Aufgaben heranließ… Im nassen Frühling die Räderwechsel-Saison.

Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, die richtige Arbeit zu tun und etwas zu lernen, was meinem Lehrberuf entsprach… Man zeigte mir hauptsächlich den Umgang mit den Reifenmontage-Maschinen und dem Gerät zum Auswuchten der Räder. Bald waren die Finger blau, von den anfänglichen Schwierigkeiten beim Anschlagen der Auswuchtgewichte auf die Stahlfelgen.

»Ungelerntes Fleisch muss ab«, jauchzte das Wiesel, hechelte ein sadistisches Lachen, pflückte mir das Werkzeug aus den Händen, klemmte das Schlaggewicht in Position und demonstrierte… »Willste ma nen alten Hasen sehen? Häh?…« BANG! BANG! BANG!… »So macht man das!…« BANG! BANG!

Man konnte mich gar nicht oft genug einweisen, sprang um mich herum, und hin und her. So zwang mich deren Geduldslosigkeit dazu, schnell Fortschritte nachzuweisen, nur, um nicht wie ein kompletter Idiot dazustehen.

Dann war Ostern vorbei… Der Kollege sah mir zu, verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf… Drehte sich mit Grausen ab… Da kroch ich um das Gelände der Werkstatt herum und kratzte mit einem Küchenmesser bewaffnet das Unkraut aus den Fugen des Pflasters heraus, wusch Autos bis meine Hände verschrumpelten und aufrissen, drückte mich in der Werkstatt herum und räumte auf und machte sauber, dass man vom Fußboden hätte essen können… Das Wiesel gab mir eine alte klapprige Leiter und ließ mich alle Lampen an der Decke und an den Wänden sauber waschen… Zweifelnd, mit Lappen und einem Putzeimer voll Wasser in der Hand, die verpfuschte Elektrik betrachtend, sah ich mich schon zuckend von der Leiter fallen… »LOS LOS! Hier wird nicht getrödelt!«, keifte es dann von unten.

Man wusste meist schon Bescheid, wenn plötzlich ein Fluch durch die Werkstatt hallte, so deutlich wie ein Vorbote der Apokalypse… Dann gab es erniedrigende Vorträge über den Umgang mit Betriebseigentum. Jedes Mal wurde der Schuldige über die Kosten von Arbeitsmaterial aufgeklärt, hin und wieder begleitet von der Drohung, beim nächsten Vorfall eine Neuanschaffung aus eigener Tasche zahlen zu müssen… Und jedes Mal galt es bis dahin, den entstandenen Bruch irgendwie zusammenzuflicken.

Der Kollege und ich waren gerade zusammen mit dem Wiesel an einem Auto zugange, als wieder einer der Druckluftschläuche, die regelmäßig von ihren Kupplungen runter sausten und zischend auf alles im Raum Befindliche einpeitschten, den Geist aufgab… Es gab einen Knall, ein Jeder zuckte zusammen, Verbindungsstück und Schellen flogen durch die Werkstatt, der Schlauch bäumte sich auf und wurde gerade noch durch mich, der ich zum Anschluss hetzte, von seiner Versorgung getrennt, bevor er uns mit seinen Hieben das Fürchten gelehrt hätte.

»Du weißt, was du zu tun hast!«, schlug es mir von der Seite ins Ohr, schon wetzte ich los, kramte einen der verstaubten Verbinder aus einer Schublade und machte mich daran, den Schlauch zu reparieren. Als ich fertig war schloss ich ihn wieder an das Druckluftnetz an und schaute meinem Kollegen bei der Arbeit zu. Ein paar Minuten später kam das Wiesel wieder heran, faselte irgendwelche Anweisungen daher, lief wild durch die Halle und trat dabei auf dem gerade erst repariertem Stück Schlauch herum. Aus der zuvor erst reparierten Stelle ertönte urplötzlich ein Zischen… Dann ein widerwärtiges Fauchen von der Seite.

»Kannst du deinen Scheiß nicht gescheit reparieren!? Alles macht ihr nur auf dem halben Arsch!«

Und weil ich wirklich überrascht über diesen plötzlichen Wutausbruch war, fiel mir keine durchdachte Antwort ein.

»Es hat ja bis eben funktioniert. Mir ist aber nicht eingefallen, drauf herumzutrampeln, ums zu testen…«

Da platzte ihm der Kragen… »WÄÄÄS?! Ich hab mir in meiner Lehrzeit ja schon was geleistet! Aber SOOWAS hätte ich mir NIE erlauben können! DASDARFJAWOHLNICHSEIN!!!« Und so weiter und so weiter… Und es funkelte mich irre an und hob die Arme wie zum Paukenschlag. Der Kollege grinste mir hämisch, Schutz nehmend im Motorraum versenkt, über die Schultern des Wiesels entgegen, dass mich mit sich in den Maschinenraum schleppte und mir zeigte wie es so einen Luftschlauch reparierte und wie ich es demnächst verdammt noch mal auch zu tun hatte. Den Rest des Tages scheuchte es mich dann vor sich her und erteilte mir die abstrusesten Drecksarbeiten, damit ich auch ja nicht zur Ruhe kam. Das sollte es mich Lehren, derartige Unverschämtheiten zukünftig zu unterbinden.

Auch der Baustellenwahnsinn ging von neuem los. Nun hatte das Wiesel die großartige Idee das wellige Konglomerat aus teilweise bereits zerstörtem Beton und Estrich, welches mehrmals mit Fußbodenfarbe überstrichen worden war und den Boden der Beiden Werkstatthallen und des Werkzeug- und Maschinenraumes bildete, mit Fliesen auszulegen… Das Elend dauerte tagelang und selbstverständlich legten wir die Fliesen selbst. Palettenweise wurden die herangeschafft… Die einzelne Fliese maß etwa zehn mal zwanzig Zentimeter… Und auf dem Hof neben der Werkstatt abgestellt, zwischen Unfallwagen, ausgedienter Werkstatteinrichtung und allerlei sonstigem Gerümpel, das das Laub der Bäume aus dem Nachbargarten fing… Außerdem der in der Werkstatt anfallende Schrott, der fachmännisch zwischengelagert in einer Badewanne Rost ansetzte, bis ein Schrotti sich seiner erbarmte.

Während alles damit beschäftigt war Fliesen zu legen, Kleber anzurühren und auf den Boden zu klatschen und Fliesen zurechtzuschneiden, machte ich den Handlanger, nahm Sechstausend mal den Weg zwischen Werkstatt und Hinterhof und schleppte neue Pakete Fliesen an, stets erpicht auf Vermeidung einer Kollisionen, denn von den drei Leuten neben mir selbst ging jeder wie ein Brummkreisel durch das Gemäuer… Das änderte sich, sobald man bemerkte, dass man die eignen Wege ebenso auf mich abwälzen konnte. Zwischen den einzelnen Versorgungsfuhren eilte ich herbei, ging neben den Leuten in die Knie und ließ mir die Maße für die Fliesen geben, die zurechtgeschnitten werden sollten… Dann los in den Raum, wo das Mannsweib an der Schneidemaschine stand… Maße durchgeben, warten… Warten… Ein Geräusch wie zu einem Kreischen verstärktes Zähneknirschen… Und nachdem sie das Stück Stein zurechtgeschnitten hatte, durfte ich endlich die Maßanfertigung an ihren Bestimmungsort bringen… Und wehe, wenn es nicht passte, dann ging ein großes Zanken los und keiner wollte einen Fehler gemacht haben, weder das Wiesel beim Maßnehmen noch das Mannsweib beim Schneiden und ich, als kreuzdämlicher Überbringer, konnte nun wirklich nichts falsch gemacht haben. Nach fünf Minuten Geplärre und erneutem Messen und Schneiden, war das Theater dann wieder vorbei… Und ich freute mich schon auf die nächste Vorstellung, während ich wieder umhereilte und mich trietzen ließ, gefangen zwischen den Fronten von dreifachem Wahnsinn und nackter Angst.

Der Kollege und das Wiesel arbeiteten sich Reihe für Reihe vor… Einen ganzen Tag lang war ich damit beschäftigt, kroch auf Knien durch die Halle und säuberte die Fliesen einzeln, während hinter mir die Leute immer wieder neuen Dreck hereinbrachten… Liquidieren, massakrieren, ausmerzen hätte ich sie gewollt… Ständig sah ich auf die Uhr… Vier Stunden auf den Knien. Das Wiesel kam an mir vorbei und besah mit kritischer Mine meine Arbeit… Meine Blicke wurden unterdessen angezogen, von den Gummischonern über seiner Arbeitshose.

»Die sind alle in Gebrauch!«, ließ es mich wissen, sah zu mir herunter und bemerkte den Ärger in meinem Gesicht… Die Bockigkeit… Vielleicht sogar den Tötungswunsch, den ich gegen es hegte.

»Können wir vielleicht welche besorgen?«

»Ach stell dich nit an! Bist doch noch jung!«, kläffte es und zog von dannen.

Nachdem ich beinahe neun Stunden so verbracht hatte, war zum Feierabend alles steril. Ich humpelte heimwärts.

Am nächsten Tag die selbe elende Prozedur. Diesmal sollte ich die Fliesen mit Versiegelung bestreichen. Man gab mir eine Lackrolle und ich legte los. Zwischendurch wurde, um die Trocknung zu beschleunigen, ein Heizgebläse angestellt. Nach fünfminütiger Pause ließ man mich wieder von vorn anfangen. Drinnen herrschte eine Luft wie in der Gaskammer… Das ging über zwei weitere Tage… Raum für Raum, Fliese für Fliese… Freitagabend schleppte ich mich mit pochenden Kniegelenken und schwindelig im Schädel Heim.

Noch am selben Freitagabend, nachdem ich gegessen und mir den Dreck von den Knochen gewaschen hatte, sollte ich den Tribut für meinen Untertanengeist und die Plackerei auf dem Boden zahlen.

Wir versammelten uns wieder einmal in der Kellerbar meines Freundes, um dort die Schrecken der vergangenen Woche zu ersäufen… Warum sonst soff sich beinah Jedermann den ich kannte am Wochenende mindestens einmal die Hucke voll? Natürlich wollte man auch ein bisschen Spaß haben. So ließ sich einfach leichter abschalten… Die Flasche war ein treuer Begleiter von unverdautem Stress und Ausbeutung. Diese drei sauren Brüder… Wechselten sich nur kurz ab, doch verrichteten sie alle ein ähnlich zerstörerisches Werk. Manche Leute behaupteten, wir würden ohne das Saufen einfach wahnsinnig werden… Ich stellte mir das als den Grund dafür vor, warum mein Chef so ein cholerischer Hundesohn war… Zumindest behauptete er immer, er würde nie etwas trinken. Gerne prahlte er damit. Das kam mir sehr verdächtig vor… Traue keinem Mann, der keinen Alkohol trinkt, fiel mir ein.

Die Schwächungen der vergangenen Tage vom Suff überdeckt, wankte ich die Treppe zu dem im Erdgeschoss befindlichen Klo wieder hinab. Ein Tritt verfehlte eine Stufe, die Muskeln schafften es nicht, den unerwarteten Satz nach unten zu dämpfen, das Bein verdrehte sich, ich spürte wie meine Kniescheibe sich ausklinkte und landete mit dem Gesicht auf den Stufen… Nun war ich geschädigt… Wieder einmal… Meine Gute Laune war mit einem Vorschlaghammer zertrümmert worden und ich sah mich schon wieder beim Arzt sitzen. Noch dazu würden diese undankbaren Arschficker in der Firma mich mit Tritten und freudigem Geifer im Maul rauswerfen. Sie würden sich am Montag auf mich werfen und das was noch von mir übrig war zerfleischen.

In einem bedauernswerten Zustand nahm man mich mit zur Bushaltestelle und brachte mich Heim… Den Rest des Wochenendes verbrachte ich frustriert in meinem Zimmer und malte mir aus, was ich am Montag tun würde… Irgendwie hatten diese selbstsüchtigen Affen, da in ihrer Bruchbude von Werkstatt, ja selbst schuld an meinem Zustand. Sie sollten mir vor Freude den Arsch lecken, wenn ich wiederkam, um mir ihren Scheiß gefallen zu lassen. Hätte dieser Geizhals nicht einfach ein paar Knieschoner besorgen können, und alles wäre ganz anders gekommen… Nun sollten sie doch darauf verzichten, mich auszubeuten… Von Bettwanzen sollte der aufgefressen werden… An seinem Geiz ersticken und vom Blitz getroffen werden dabei!… Ich versuchte mir Hoffnung zu machen.

Das Wiesel warf mich natürlich nicht raus. Die Sorgen des Wochenendes waren für die Katz. Im Büro fletschten sie die Zähne… Da musste ich durch.

»Du bist ja mehr krank, als dass du an der Arbeit bist!…« Und… »Das war das letzte Mal, dass du hier krank machst!…« Eine halbe Stunde Drohungen und wütendes Gezeter ließ ich über mich ergehen, bevor ich endlich draußen war.

Vier Wochen dauerte es und ich konnte wieder ohne Probleme laufen. In dieser Zeit humpelte ich von Bus zu Bus, von Bahn zu Bahn, zu den Ärzten, setzte mich über Stunden in ihre stickigen, hoffnungslos überfüllten Praxen und wartete, bis ich schwarz wurde… Sie steckten mich gut festgezurrt in die Röhre… Kernspintomografie… Das ratterte und krachte, dass ich mir vorstellte, wie das Gebäude über dem Apparat zusammenstürzte… Sie fanden nichts Außergewöhnliches. Der Orthopäde meinte es läge an Überanstrengung und verordnete mir eine Kniestütze, riet mir Ruhe zu halten und einmal wöchentlich wiederzukommen… Dieses französische Gefühl jagte mich… Und das war eine Ausgeburt jenes scheußlichen Prinzips, das mir damals in diffuser Ausführung seiner Gestalt geläufig wurde… Jener ewigen Wiederkunft… Déjà-vu, so nannte ich es der Einfachheit halber… Schon gesehen… Aber nicht bloß als Bekanntheitstäuschung, denn es stimmte ja… Schon gesehen hatte ich ähnliches… Schon erlebt, besser… Hätte dann Déjà-vécu heißen müssen… Ja… Schon erlebt. Mehrfach erlebt!… Bei jedem meiner Besuche, saßen mehr Menschen im Wartezimmer. Unter dem kalten Licht der Leuchtröhren, beklagten sie sich, fingen an, einander zu fragen, wie lange man denn schon warte und die Luft stank förmlich nach dem Pesthauch ihrer Ausdünstungen und der Unmut… Es war ansteckend… Wütend verließ ich den schlauchartigen Raum, nachdem man mich fast drei Stunden in diesem Pferch für die Siechenden hatte warten lassen, und pfiff auf das Gutachten des Doktors.

Sobald ich kuriert war, ging die Plackerei weiter. Ein einziges, gleichförmiges Vorbeirauschen grauer Schemen… Fünf-Tage-Wochen… Lähmender Stillstand, treibender Aufruhr… Vergessen an den Wochenenden… Ungewiss war der Zeitpunkt des Feierabends… Tag für Tag… Jeden Morgen erwachte ich müde und am Abend fiel ich erschlafft zu Bett… Das große Ziel lag noch trübe, kaum erkennbar am fernen, blassen Horizont… Menschen wurden in Zwangswesten gesteckt und in einen vernebelten Abgrund geworfen… Man war ein Fremder in einer Welt von Fremden… Darauf wartend, dass die Rot glühenden Wolken des Stadthimmels ihr nachtträchtiges Licht in den Abgrund sinken lassen würden.

Dies ist eine lausige Stadt… Überhaupt, die ganze Welt ein lausiger, abgekehrter Schemen und ich stehe irgendwo dazwischen, zwischen mir und der abgerückten Welt, in einem schmerzempfindlichen und verspannten Vakuum… Es ist mal wieder soweit… Kontaktlos, so deutlich… Wo sind meine Botenstoffe?… Die polternden zellophanummantelten Hauptstraßen umgehend, findet man selten mehr, als Todesäcker, adrette Behausungen und Baustellen, abseits des erkalteten Neon- und Diodenlichtspuks. Da vor mir erstreckt sich so ein kläglicher Versuch, etwas Neues aus altbekannten Materialien zu erheben. Schotter und steife Erde, Betonelemente, ruhendes Gerät wie eiserne Zweifel und abweisendes Zaungeflecht… Sie ist unbelebt an diesem Sonntagvormittag, die Baustelle. Und da steht auch einer dieser hellblauen Plastiksärge für Menschen und deren Exkremente… Wobei die Unterscheidung… Der Ausscheidende, die Ausscheidungen… Gar nicht so weit voneinander weg. Haha… Zum Lachen ists… Ich öffne bereits die Tür, mit nur dem einen Ziel, die restlichen Substanzen loszuwerden, die mir übriggeblieben sind… Loswerden ist das falsche Wort… Ich schließe die Tür, rieche kaum etwas hier drinnen, krame den Flyer aus meiner Gesäßtasche und das Beutelchen mit dem Pulver aus meinem Portemonnaie. Eine Art teuflischer Schalksnarr, eine blau breit grinsende Fratze, mitsamt verstrickter Narrenkappe und mit halb gesenkten verkniffenen Lidern ist darauf aufgedruckt, das Siegel und Maskottchen eines Headshops… Da ist auch noch ein kleines Bömbchen, in Hanfpapier gewickelt. Ich habe nichts zu trinken, um es ordnungsgemäß runterzuspülen, wickele das Papier vorsichtig auf und vermische die gelblichen Kristalle wahllos mit dem Amphetamin… Kann mir ja einreden, dies würde die Energiereserven wachkitzeln, die es mir abverlangt, den bevorstehenden Weg hinter mich zu bringen… Schein gerollt, also rein damit… Es brennt kaum noch… Nase betäubt… Wie weit bin ich überhaupt gekommen?… Andere Frage als zu Beginn meiner Tour… Wie bin ich überhaupt so weit gekommen, war die doch?… War sie… Ist sie… Das Schloss entriegelt. Der Türgriff in meiner Hand. Ich trete hinaus aus dem unwahrnehmbaren, aber vermutlich doch vorhandenen Plastik-, Chlor- und Pissegeruch des Baustellenklos und lasse die Türe los, die von selbst in ihr Schloss fällt… Weg von hier und raus aus der lausigen Stadt… Hoffentlich fällt mir bald ein wie es mit mir weitergegangen ist… Schmutz… Wie ich… Dieser Ort… Alle Orte sind so schmutzig… So unglaublich verdreckt.

Im Sommer reichte einem der Dreck bis hoch in die Achselhöhlen und die Hände waren, trotz Handschuhen, schon nach zwei Tagen Arbeit nicht mehr sauber zu kriegen. Man schwitzte und stank und fürchtete, sich bald in einem ähnlichen Zustand zu befinden, wie die besiegte Armada von blechernen Schikanen, die da anrückte. Rostlauben, so ungepflegt, dass sie vom zitternden Flügelschlagen darin versteckten Ungeziefers fortgetragen werden mussten. Vorsätzlich auf Wartungsunfreundlichkeit konstruiert von schlauen Ingenieuren… Jaja, man musste gewisse Abstriche machen, beim Fahrzeugbau, die mit den Ansprüchen der Wirtschaftlichkeit, des Komforts und der Ästhetik verwoben waren… Welcher Komfort? Welche Ästhetik?… Bruch unsäglicher Hinterhältigkeit und undankbares Material an allen Ecken und Enden… Im Pampersbomber irgendeines verhutzelten Männchens sah es aus als hätte es einen Hund, groß wie ein Kalb, über Tage darin eingesperrt und es roch als wäre das Tier auch darin verendet und liegengeblieben… Ich sollte den Heckscheibenwischer ausbauen, atmete durch den Mund und strich mir meine spritschluckenden Amischlitten endgültig aus dem Kopf.

Es war wohl mehr als nur Pech, dass die saisonal bedingte Stagnation der Auftragslage mit dem Umzug der ungeliebten Familie meines Arbeitgebers zusammenfiel. Damit war es so weit, dass man ihm als Umzugskommando dienen musste… Was für Einfälle… Ein weiterer Beweis für den unerschöpflichen Unternehmergeist des Wiesels… Die Werkstatt wurde über mehrere Tage gegen Mittag dichtgemacht und man schwärmte aus… Jeder, der fahren durfte, nahm sich ein Auto. Ein Abschleppwagen wurde auch mitgenommen, schließlich musste man reagieren können, wenn das Telefon klingelte und ein Auftrag reinkam… Die alte, im Nordosten der Stadt gelegene Wohnung musste geräumt und renoviert werden. Trotz dem üblichen Gescheuche und den hoffnungslosen Versuchen, die Schlacht vor dem Abendrot zu beenden, dauerte es bis acht oder neun Uhr… Niemand, auch nicht einer aus der Sippschaft des Wiesels, machte einen ernsthaften Versuch, sich über das vorgelegte Tempo zu beschweren… Alles folgte dem Willen des Despoten. Haufenweise Möbel und Gerümpel schleppten wir aus dem engen Altbau heraus, selbst den verstaubten Keller befreiten wir vom Kram. Und was da alles zum Vorschein kam!… Die Sammelwut musste tief im Erbmaterial der Familie angelegt sein. Die Frage zwang sich mir auf, warum man überhaupt umzog, wenn sich damit unweigerlich ein Ab- und Wiederneuaufbau des über die Jahre hinweg sorgsam angehorteten Materials verband, welches für die Errichtung eines Atomschutzbunkers gereicht hätte… Wahrscheinlich hatte man während des Hortens keine Zeit gefunden, daran zu denken… Vielleicht sollte ich bei mir Zuhause mal ausmisten, fiel mir ein… Dann transportierten wir den Kram, ein paar Straßen weiter, zu der neuen Wohnung, die sich in einem Plattenbau befand. Immerhin verfügte der über einen kleinen Aufzug, dessen zu geringe Kapazität sich jedoch bei genauerer Begutachtung herausstellte und man war gezwungen, das Treppenhaus zu nehmen. Rauf da! Mit all dem Kram auf dem Buckel… Sechster Stock… Herrliche Aussicht.

Bei der Entkernung im Altbau, leisteten unerwartet die Tapeten den größten Widerstand. Das Zimmer schwamm nur so in der klebrig weißen, mit Chemikalien versetzten Brühe, die wir in immer neuen und neuen Arbeitsgängen mit Schwämmen an den Wänden verteilten. Als das nicht helfen wollte, begannen wir die Tapete mit Messern einzuritzen… Schnitten ein siebartiges Raster aus tausend Messerstrichen, dann griffen wir wieder zum Schwamm und rieben die klebrige, warme Brühe in die Ritzen. Äonen vergingen und die Hände wurden einem dabei taub und aufgequollen die Haut und die Arme steif… Die Mühen halfen, das Entfernen der Tapeten dem Abknibbeln des Etiketts an einer Flasche gleich zu machen… Vielleicht half auch der dichte, wie Naturdünger oder vielleicht Guano riechende Qualm des Tabaks, den der Bruder des Wiesels ausstieß.

Überhaupt war die Sippschaft des Wiesels bis ins letzte Glied verkorkst, dass man dachte drei Generationen Inzucht hätten geistige Degeneration derartigen Kalibers hervorgebracht… Und gegenseitigen Hass… Einer intrigierte gegen den anderen… Und alle zusammen gegen den Bruder des Wiesels, der es nicht lassen konnte, alle viertel Stunde die Arbeit zu unterbrechen, sich so hinsetzten, dass jeder daran teilhaben durfte, und die neusten Geschichten seines nie enden wollenden Haders mit dem Arbeitsamt zum Besten zu geben. Das Wiesel, reagierte mit drastischen Gehässigkeiten, um bloß allen klar zu machen, wer es in der Familie zu etwas gebracht hatte. Seine Frau ließ sich den Spaß nicht nehmen und machte gleich mit… Da konnte man nun wirklich was lernen… Vorausgesetzt man hätte die Ruhe gehabt, mitzuschreiben… Das reinste Familienidyll!

Das alte Mütterchen, schlich wehleidig durch die nackte Altbauwohnung und erzählte ihrerseits Geschichten… Die Familienchronik seit 1900… Die Erinnerungen, die so unzertrennlich mit den Räumen verbunden waren… Anekdoten über die Söhne und ihre längst vergangenen Lausbubereien und über den tyrannischen Vater… Die Entbehrungen… Die Appelle an den Bruder, er solle sich ein Beispiel am Wiesel nehmen… Es war wie in einem Roman… Der tyrannische Vater war nach seinem Tod von dem tyrannischen Sohn abgelöst worden, der jetzt seinerseits die Familie fertig machte. Ein Festmarsch der Stereotype… Man verwies die alte Frau barsch auf ihren Platz, einen zurückgelassenen Stuhl in der Küche, zurück… Es wurde gearbeitet.

Trotz alldem versammelten sich die Mitglieder dieser Bilderbuchfamilie immer mal wieder. Meist geschah das, wenn die alte Rostlaube, des Bruders mit billigsten Mitteln zusammengeflickt werden musste… Und immer wieder kündigte man es uns mit unheilvollem Unterton an, wie den Ausbruch einer Seuche… Ich fragte mich, ob das die Art des Bruders darstellte, sich für die ihm angetanen Feindseligkeiten zu rächen.

Der Glaube, ich würde nie wieder ein Auto zu Gesicht bekommen, mauerte sich in meine Gedanken ein und hinter dieser Mauer hörte ich mich ein beständiges, von der Mauer zurückgeworfenes Echo fragen, wie nur das Wiesel den Laden am Laufen hielte… Zwar bezahlte es uns mies, aber nicht alle seine Ausgaben ließen sich von Ersparnissen durch das Vergeben von Dumpinglöhnen wettmachen, irgendwo musste ja Geld herkommen, damit es sich seinen Dosenfraß leisten und seine Autos und den Lkw unterhalten konnte… Die Unsummen an Geld, die es für Baumaterialien, Benzin und Diesel, die ständigen Investitionen in seinen Fuhrpark und lauter technische Spielereien für seinen Haushalt herauswarf… Konnte es das allen Ernstes einsparen, indem es kein Werkzeug anschaffte?… Spezialwerkzeug wurde mit Mühe und Not selbst gebaut… Sechs Jahre lang mussten ich und andere Bremskolben mit einer umgebauten Schraubzwinge zurückstellen… So lernte man improvisieren… Wie viel konnte man sparen, indem man Privatkleidung entbehrte… Sie verbrachten vierundzwanzig mal sieben mal zweiundfünfzig in Arbeitskluft, ergänzt durch ein paar geschmacklose alte Lumpen, die schon in den frühen Neunzigern lächerlich gewesen sein mussten… Einmal im Monat fuhren sie nachmittags los, um Tiefkühlkost, Konserven und Dosenfutter auf Vorrat zu besorgen. Kamen sie wieder, musste man ihnen helfen, den überladenen Pannenwagen auszuräumen und die bis zum Platzen aufgeblähten Taschen in die Wohnung zu schleppen… So hatte ich mir schon immer das Leben als Unternehmer vorgestellt.

Es gab vereinzelt Zeiten, da gingen selbst dem Wiesel die Ideen aus, mit denen es die Belegschaft unter Strom hielt. Für gewöhnlich verkroch es sich dann in der Wohnung. Es ließ uns für eine Weile allein, schlich sich jedoch immer wieder heran, um zu sehen, wie man sich die Zeit totschlug. Ich beobachtete den Kollegen in toten Winkeln, sicher vor den Kameras versteckt und wie er von dort aus lauschte, ob jemand kam. Manchmal tat ich es ihm gleich… Ähnlich wie damals Schmörgel, nahm ich mir immer Putzzeug mit ins Versteck, das mir ein Alibi verschaffen sollte, sorgte aber dafür, dass immer ein Häufchen Dreck auf meiner Kehrschaufel zu sehen war, oder dass Schränke abgerückt und befeuchtet waren… Das funktionierte gerade im Winter gut, wenn die Tore die Kälte vom Eindringen abhielten. Man konnte sich dann in einer Ecke der Werkstatt verschanzen und die Tore im Blick behalten, so war man schon früh vor den Vorgesetzten gewarnt und im Falle einer Feindsicht fing man schnell damit an, einen beschäftigten Eindruck zu machen… Diese Tage zogen sich jedoch, gerade wegen des Nichtstuns, wie ein unendlicher Kaugummifaden gnadenlos in die Länge… Der lahmende Gang der Zeiger… In meiner Verzweiflung putzte, fegte und bohnerte ich alles, was sich in den Räumen befand… Ich bekam die tollsten Einfälle… Das Werkzeug, die Schränke und Schubläden, die Hebebühnen, die Türen, die Fenster, die Autos, jeden Raum fegte ich zwei Millionen Mal aus, putzte das Klo, den Pausenraum, schnappte mir eine Leiter und putzte die Lampen… Den Ölwagen, die Ölwannen, Ölfässer und die Tore der beiden Hallen, den Abgastester, die Aschenbecher… Und was noch alles.

Zu allem Übel passierte es an solchen Tagen oft genug, dass kurz vor Feierabend, mit dem Geifer eines tollwütigen Affen vor dem Maul, irgendein Spinner aus dem Nichts auftauchte, weil ihm plötzlich eingefallen war, dass es an seiner verdreckten Rostlaube noch etwas zu reparieren gab… Ich erinnere mich beispielhaft an ein kategorisches Spektakel… Besser: Debakel.

Mit heulendem Motor kam ein schmutzig weißer, verrosteter Lieferwagen angeschossen und parkte direkt unter der bei Dunkelheit angeleuchteten Freiheitsstatue, die am Dach der Werkstatt, vor der Treppe zum Wohnhaus, auf ihrem Sockel thronend den Arm in die Luft reckte. Der Karren dampfte wie der Kühlturm eines Atomkraftwerks und unten lief das Kühlwasser in Strömen aus. Kaum eine Sekunde nachdem der Besitzer des Wagens ausgestiegen war, eilte das Wiesel auch schon zur Haustür hinaus und die Treppe herunter. Man kannte den Besitzer des Wagens… Er war Fliesenleger und Stammkunde der Werkstatt… Und wusste schon genau, dass nichts Gutes blühte, sobald er mit der heruntergewirtschafteten Kiste angefahren kam… Sofort schickte das Wiesel uns auf Gefechtsposition und ehe man sich versah stand der Wagen auf der Hebebühne. Das Leck, aus dem das Kühlwasser ausdrang, war schnell gefunden. Der Zeiger stand auf fünf vor Sechs. Doch anstatt die Sache auf sich beruhen zu lassen und den Wagen am nächsten Tag zu reparieren, hieß es sofort ran an die Arbeit… Aber bitte mit Feuereifer! Los! Los!

Der Motor des Wagens war unter der Fahrerkabine verbaut. Man konnte ihn nur von unten oder durch eine Wartungsklappe im Fahrgastraum erreichen. Die Hebebühne schraubte den Wagen der Decke entgegen, während man mich in die Fahrkabine befahl, damit ich von oben durch die Wartungsklappe leuchten und etwas Platz machen konnte. An Kabeln, Rohren, porösen Keilriemen und veröltem Metall vorbei, sah ich das Wiesel, zusammen mit dem Kollegen, unter dem Auto hantieren. Eine der Wasserleitungen war durchgerostet… Natürlich war es wie so oft gerade die am schwersten zugängliche Leitung… Die ganze Hebebühne wackelte und knarzte, als sie dort unten anfingen, sich eine Bresche durch das Gewirr im Motorraum zu schlagen. Immer mehr Teile landeten auf dem Boden, Ratschen knarrten und man schnaubte, schraubte, fluchte und prustete… Da hatte sich mal wieder jemand überschätzt… Bald lag ich mit dem Bauch auf dem Motor und mein Arm versank mitsamt der Lampe immer tiefer in dem schwarzen Schlund, wand sich an scharfen Kanten und heißem Metall vorbei… Ob ich ihn da wohl je rausbekommen würde?… Jetzt bloß nicht die Lampe fallen lassen, dachte ich wie blöde in einem fort.

»Hier unten sieht man NICHTS! Schläfst du da oben?!«, blökte es von unten hoch. Ich erschrak, die Haut berührte etwas Heißes und die Lampe fiel.

»AUUFHEEBÄÄÄÄN!« Ich schnellte hoch, wühlte mich aus dem Wageninneren hervor und sprang die Bühne herunter… Erst als ich wieder oben war bemerkte ich die blutende Schramme, die sich über den gesamten Unterarm zog und die Brandstelle direkt daneben… Das Rütteln und Wüten ging weiter, zwischendurch kommandierte man mich herunter, um abwechselnd zu assistieren oder Werkzeug herbeizuholen.

Bald war man selbst wie alles andere von oben bis unten mit dem klebrigen Kühlwasser eingeschmiert… Die Soße quoll aus dem klaffenden Brustkorb des Wagens, als wolle dieser sich somit seiner Vergewaltigung erwehren. Immer wieder bekam jemand was ins Gesicht und gab entrüstete Laute von sich. Man konnte kaum noch das Werkzeug halten, wurde aber immer hastiger angetrieben. Nach einer Stunde des Entsetzens und der Agonie, war das Rohr halbwegs zugängig, von der Spritzwand abgeschraubt und freigelegt. Das Wiesel erteilte dem Kollegen die Anweisung, eine Flex herbeizuholen und das verrostete Stück Rohr herauszuschneiden… Es wolle dann ein Stück Schlauch zwischen die intakten Teile der Wasserleitung setzen… Ich eilte los, überreichte die Maschine dem Wiesel, welches sie seinerseits in die roten und zitternden Hände des Kollegen abgab, und nahm einen Sicherheitsabstand ein. Es schien mir noch immer höllisch eng da unten und er würde unmöglich gerade schneiden können. Hinzu kamen noch das nervöse Gehüpfe und irritierende Gestikulieren des Wiesels, das dem armen Kerl schlussendlich befehlend an die Arme griff und ihn somit in Stellung zwang… Gespanntes Warten meinerseits.

»Das Ding verkantet sich, wenn ich so schneide.«

»Schneid endlich!…«

Mit Höllenlärm und Funkenflug ging das Sägen los.

Wie vorausgesagt verkantete sich die Flex, der überspannten Muskelgewalt des Kollegen trotzend, fing an auszuschlagen und sauste binnen einer zehntel Sekunde zerstörungswütig dreimal in dem Spalt zwischen Motor und Spritzwand hin und her. Braungelbe Flüssigkeit tropfte am Ort eines der Einschläge herab. Eine Bremsleitung war getroffen… Es folgte ein atemloser Moment der Stille, in dem sich die Züge des Wiesels bis zur Unkenntlichkeit verzogen, als es seinen Kopf wieder in den Motorraum steckte… Unser Entsetzen war unbeschreiblich. Das Wiesel riss beide Arme in die Luft und wieder herunter und schrie… »ACH NEEEEIIN!…« Schubste den verstörten Gesellen beiseite und fauchte der beschädigten Bremsleitung entgegen… »SCHEIßE! SCHEIßE!…« Drehte sich um und fuhr den Gesellen zähnefletschend an… »Kannst du denn deine Saupfoten nich stillhalten?!«

Ich versuchte auf Abstand zu gehen und sah Christoph wie einen getretenen Hund dastehen, die Flex noch in den zitternden, verschmierten Händen… Die Trennscheibe war nur noch ein Fetzen.

»Nun brings auch zu Ende!« Und er besorgte eine neue Scheibe… Mit viel Glück gelang es ihm, das Kühlrohr zu entzweien.

Nach dem Abflauen der Tobsuchtexplosion und nachdem es all die Verwünschungen losgeworden war, zu welchen sein Wortschatz es befähigte, zerrte das Wiesel eine Schublade auf, wuchtete eine Werkzeugbox heraus, drehte sich zu mir und warf sie mir in die Hände.

»Das Bördelgerät bereitmachen! LOS LOS!«

Wir mussten die Enden zweier Bremsleitungen bündig abschneiden, bördeln und Schraubverbindungen dazwischensetzen. Das alles unter dem Wagen stehend, während die Suppe weiter und weiter auf uns herabtropfte… Zum Schluss dann noch das Kühlsystem reparieren und den ganzen Kram wieder zusammenbauen, Kühlwasser auffüllen… Dabei angetrieben von der Bedrohung erneuter Wutanfälle… Überall lag in der Hektik herbeigeholtes Werkzeug verstreut herum, so dass man viermal danach gucken musste, wenn man etwas brauchte. Es war der reinste Höllenritt… Für die nächsten zwei Stunden verlor die Zeit jede Bedeutung, jeden sachlichen, greifbaren Gehalt.

Die Uhr zeigte zehn nach halb neun als ich zur Haustür hereinkam und alles, was zwischen dem Entgleiten der Flex und meinem Heimweg geschehen war, gedanklich nicht mehr rekonstruieren konnte oder wollte… Völlig geschunden und nervlich am Ende… Ich wusste nur, dass es vorbei war, und neuer Schmutz für die nächste Säuberungsaktion entstanden.

Nachdem ich ein paar Brocken Essen in meinen noch aufgeregten Magen gewürgt und geduscht hatte, malte ich mir im Stillen meines Zimmers aus, wie ich auf vielfältige Art und Weise das Wiesel abmurksen könnte… Ihm den Garaus machen, dem Mistvieh! Auf ein Schindanger werfen!… Dabei spielten große Metallrohre, die wir in der Werkstatt als Hebelwerkzeug benutzten, eine Rolle… Ich würde ihm damit den Schädel zertrümmern, seine hässliche Fratze zu Mus prügeln… Mir könnte beim Flexen, wenn er neben mir stand, plötzlich die Maschine entgleiten und selbige würde sich in seiner Visage wiederfinden… Lange Schraubenzieher würden sich sicherlich auch gut als Stichwaffe eignen… Ein paar leidenschaftliche Hiebe in den schmierigen Wanst des Wiesels wären sicher befreiend gewesen… Dass es nur so spritzt!… Ich hätte es niederschlagen und in der Altöltonne ersäufen können… Hätte ihm mit dem Schraubstock die Scheiße aus dem Hirn quetschen können… Ihm Bremsflüssigkeit oder Batteriesäure eintrichtern können, um zu sehen wie es seine verätzten Innereien auskotzt und dabei noch ein wenig auf es eintreten… Hähähä! Dem räudigen Mistvieh hätte ich zu gerne mit einer Brechstange den Schädel gespalten, oder ihm einfach die Kehle mit einem stumpfen Teppichmesser aufgeschnitten und ihn seine herrlich saubere Werkstatt mit seiner eigenen Suppe bespritzen lassen. Hätte seinen Kadaver auch unter der Hebebühne einklemmen und selbige dann langsam nach unten fahren können… Ich hätte ihm mit dem Gasbrenner langsam das verdorbene Fleisch von den Knochen sengen, oder ihm mit dem Vorschlaghammer die Knochen zertrümmern können… Hach… Es hätte hunderte von Möglichkeiten gegeben, alle gingen sie mir durch den Kopf… Aber wäre es nicht eine pragmatischere Strafe, ihn seinem kümmerlichen, ärgerlichen Dasein zu überlassen?… Was aber, wenn dieser Satansadjutant vom Ärger zehrte?… Was, wenn er es auf perverse Art genoss?

Lowlife

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