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Life’s a Bitch

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Life’s a bitch and then you die.

That's why we get high.

Cause you never know,

when you're gonna go.

NAS, Life´s a Bitch

Es hatte mich regelrecht umgehauen… Mein Atem hatte kurzzeitig ausgesetzt, nachdem ich beherzt und ahnungslos die gelbe, fast schon wie ein solider Stoff aussehende Rauchsäule mit einem hastigen Zug eingesogen hatte… Atze, die hinterhältige Sau, hatte die Vorarbeit mit geübten Lungen besorgt und hielt mir die Pfeife hin… »Los jetzt, bevor der Rauch kalt wird… Dann wirds eklig«, hatte er mir bedeutet.

Dann war ich, hustend bemüht den Qualm wieder von mir zu geben, begleitet von Atzes Lachen, der mir die Pfeife abnahm, mit zugekniffenen Augen auf die kühle Oberfläche des Ledersofas gesunken… Und hörte, während der erste, heftige Schwindel langsam abbaute und unwirklicher wurde, der Musik zu… Den entschleunigten Bässen. Ab und zu überkam mich wieder der Hustenreiz und ich griff nach der Flasche Bier, die vor mir auf dem von hundert Händen bekritzelten und bemalten Tisch stand, neben dem Aschenbecher, und der Wasserpfeife mit der bräunlichen Brühe darin… Atze leerte den Kopf für mich und setzte sich in seinen Sessel.

In jenem statischen Refugium der Intoxikation versank ich langsam in Betrachtungen… Osterferien… Eine so völlig andere Bedeutung dieses Begriffs hatte ich mir noch vor einem Jahr, vor Beginn der Ausbildung, nicht träumen lassen… Wochenlang nur Arbeit, Arbeit, Arbeit… Es würde einen vielleicht noch bescheuert machen… Eine noch längere Periode würden die Sommerferien bringen… Dann doch lieber zur Berufsschule gehen… Und dann verglich ich diese Art des Marihuanarausches mit den ersten Erfahrungen, die ich mit dreizehn im Schwimmbad mit der Droge gemacht hatte… Und lachte wie betäubt in mich hinein… Beim ersten Mal knallts nicht, hatten sie alle gesagt… Es war weder etwas spektakuläres, noch irgendetwas lustiges oder besonderes daran gewesen, nicht so wie ich es mir erhofft hatte. Es erfasste mich nichts, was einem veränderten Bewusstseinszustand glich, oder zumindest nichts, was mein präpubertäres Gehirn als einen solchen wahrgenommen hätte… Und nun… Das war schon etwas anderes als die Wirkung eines Joints.

Sascha saß aufrecht neben mir und befühlte die frisch befüllten Beutel, die ihm Atze herübergeschoben hatte, öffnete einen davon und streute etwas auf ein Papier, dass auf dem Tisch lag. Ich dachte an das eilige Treffen mit Sascha, an den Weg, den wir zu Fuß über die Felder in dieses Dorf außerhalb unseres Wohngebietes zurückgelegt hatten und sah ihm zu, wie er das Gras mit Tabak vermischte… Träge griff ich zu dem anderen Beutel, den er neben sich auf das Sofa gelegt hatte. Er blickte von dem Papier auf, zu mir herüber, so als wäre er kurz abgelenkt… Starr blieb ich sitzen, nickte Atze zu, der mich aus seinem Sessel beobachtend angrinste, steckte den Beutel ein, und ließ den Fokus meines Blickes durch die Staudammwände des Zimmers hindurch ins Unendliche gleiten… Das künstliche Gefühl von Isolation, zusammen in einem Raum mit anderen, war überwältigend. Gleichzeitig wusste ich, dass man so gut wie unmöglich je wirklich allein sein konnte… Unweigerlich fiel mir die Arbeit wieder ein… Eine ziellose Hatz von Woche zu Woche… Ziellos? Nein, es gab ein Ziel… Nebelartig schwebte mir vor, dass es meine Aufgabe, oder mein Ziel sein sollte, den Mist durchzuziehen… Doch dieses Ziel befand sich hinter der Spitze eines drohenden Berges, bewachsen von Glut und kalten Klingen, dahinter die trüben Spähren der Linderung, die mir so unerkennbar schienen… Der Aufstieg… Ein Gefühl, was mir wesentlich näher war, als der noch so ungreifbare Moment des Sieges… Der Linderung… Das Ziel… War mir nie zuvor unwirklicher vorgekommen, als in diesem Moment des stillen Nachdenkens.

»Sag mal Atze«, sprach Saschas Stimme in den Raum hinein… »Was hast du eigentlich so getrieben nach der Schule?«

»Ach, alles Mögliche. Ich hab ne Lehre als Koch angefangen, aber der Laden is… Naja… Ich hab Ärger mit den Bullen bekommen, Führerschein is auch weg und da haben die mich rausgeworfen… Jetzt, fahr ich halt mit den Öffentlichen, jobbe nen bisschen und verdien auch so genug Kohle, nebenbei…« Sascha nickte ihm zu und kramte sein Feuerzeug herbei, schüttelte die Arme und Schultern, wie jemand der sich zum Sport locker machte und sah die vor sich stehende Pfeife an… Es gab keine weiteren Fragen angesichts Atzes wie einstudiert wirkender Beschreibung seiner Umstände.

»Hier draußen is ja sonst nich viel los und irgendwer muss die Leute ja versorgen… Hätte nicht gedacht, dass ich euch Beiden so mal wieder treffe, nach der Schule.«

Eine gewisse Freude beschwingte seine Stimme, die gleichzeitig ein leichtes Amüsement nicht verbarg… Dann kam die unvermeidliche Frage.

»Wie lange rauchter denn schon?«

»Was meinst du?…« Und Sascha sah fragend zu mir herüber. Ich richtete mich ein wenig auf und griff nach meinem Bier… »Eineinhalb, zwei Jahre… Meist an den Wochenenden…« Und überlegte, in wie weit das noch zutraf… »Oder zum Feierabend.«

»In der Stadt hamse einen hochgenommen, hab ich gehört.« Sascha biss sich auf die verschränkte Unterlippe und blickte ab, bevor er die indirekte Frage beantwortete.

»Ja habs auch gehört… Vom Klassenkameraden aus der Berufsschule, bei dem ich immer geholt habe… Und der hat seins wohl von dem bekommen«, gab er zu.

»Ist immer gut, wenn man noch andere Quellen bereit hat.«

Die Pfeife blubberte… Es würde wohl ein langer Sommer werden… Er würde wohl noch viel länger werden, wenn meinem Gnadengesuch um Urlaub vielleicht doch noch fruchtbaren Boden erreichen würde… Zu mehr als einem… »Wir müssen erst mal sehen wie es mit den Aufträgen aussieht…« Hatte es nicht gereicht… Ich würde die Hoffnung wohl aufgeben und stupide weitermachen müssen… Mich in der Werkstatt kaputtschwitzen und erst des Abends abhauen können, um mir ein bisschen Frieden, Spaß und ein von Cannabiskonsum verzerrtes Zeitgefühl zu gönnen.

Durch den Rauch, den Sascha ausgestoßen und sich danach mir ganz ähnlich zurück aufs Sofa gesetzt hatte, und der sich langsam kräuselnd ausbreitete, betrachtete ich diesen ehemaligen Schulkameraden, der zwei Jahre eher mit seinem Realabschluss abgegangen war, jetzt in sein Handy vertieft, irgendwelche Nachrichten schreibend… Und versuchte mich zu erinnern, welche Rolle er damals in dieser zusammengeworfenen Gemeinschaft Heranwachsender gespielt hatte.

Zuerst bemerkte ich ihn auf den Gängen vor den Werkräumen, wie er in mit Aufnähern übersäten Baggyjeans und einem labbrigen roten T-Shirt herumlungerte… Dann entdeckte er kurzweilig eine rechte Gesinnung, hörte sich Landser, die Weißen Wölfe und weiß der Geier was an… Spuckte vor dem Klo auf und ab tretend und eine Zigarette in der Handhöhle haltend vor mir aus, da ich als Punk aufgemacht an ihm vorbeigehend sein Feindbild verkörperte… Etwas später besann er sich zurück auf Hip Hop und Kiffen… Wurde mal mit diesen und jenen Unruhestiftern gesehen, zu denen er auf perfide Art kurzweilige Freundschaften aufbaute.

Atze legte sein Handy weg und ließ eine neue Runde Bier durchgehen… Total zugedröhnt mit schwerem Schädel, beobachtete ich, wie er eine dicke Platte Braunes hervorholte und sie präsentierte… Er redete fachsimpelnd über Hasch… Den Produktionsprozess… Wie sie die Harze pressen würden… Über Herkunftsorte… Afghanistan… Marokko… Den Libanon.

Zu späterer Stunde und bei dickerer Luft, war man letztlich wie katatonisch und mit dem Sofa verwachsen. Die Musik drang leiser ans Ohr, als noch im frühen Stadium des Rausches, und spielte doch tieferen Wiederklang in den dahinterliegenden Windungen, wo sich mir ungeahnte, zähflüssige Welten auftaten… Wo ein Gedanke den anderen jagte und wo ich kaum noch Notwendigkeit empfand, mit meiner Umwelt zu interagieren… Man konnte problemlos abschalten… Zumindest für eine Weile.

Eine unartikulierte Stimme drang dumpf durch das Gebälk von oben. Die Blicke schnellten auf, verweilten suchend und wanderten dann von Gesicht zu Gesicht… Atze war es, der daraufhin das Wort ergriff.

»Mein Vatter brüllt schon wieder… Ich will ihm mal sein Fläschchen geben«, witzelte er müde, sah Sascha und mich an und wieder zur Decke des Kellerraums hinauf, wobei er sein Basecap ein wenig aus der Stirn rückte, und lachte kurz, abgehackt und gleichgültig vor sich hin… »Jungs, hat mich gefreut…« Ein Lächeln bezog seine schmalen, blassen Lippen… »Bis bald mal wieder…« Und er stand auf, ging am Tisch vorbei und holte zu einem großzügigen Handschlag aus… Dann begab er sich nach oben… »Ihr wisst ja wo die Tür ist.«

Zutiefst beeindruckt und bereit, es auf eine Wiederholung des Geschehenen anzulegen, unterhielt ich mich mit Sascha, während wir aus dem Dorf hinaus spazierten, das Backsteinhaus, mit dem abblätternden gelben Anstrich verträumten Schrittes hinter uns ließen.

»Hat gutes Gras, der Atze…«

Sascha bestätigte mit Kopfnicken.

»Was hattern fürn Kurs gegeben?… Hast dus beim Abwiegen gesehen?«

»Achter Kurs… Dafür ists wirklich nicht schlecht… Der Weg zu ihm ist auch nicht so weit wie zu meinem Kollegen in der Stadt… Weißt ja, der wohnt da hinten die Holländische raus…« Ich war niemals mitgekommen. Jetzt konnte ich bei Bedarf auch ohne Hilfe Saschas das Kraut besorgen. Atze hatte mir seine Nummer gegeben… Wir schwiegen… Vor uns erstreckte sich der Weg hügelaufwärts in die Dunkelheit.

Ich weiß nicht, wie viele Male ich diesen Weg in den folgenden Monaten des Frühlings und bis in den Herbst hinein hinter mich gebracht habe… Es dauerte meistens circa eine halbe bis zu einer Stunde, je nach dem gewählten Tempo, welches damit zusammenhing, wie verschallert man war… Zuletzt trennten sich Saschas und meine Wege vor seiner Tür, ich ging das letzte Stück bis zum dunklen, schlafenden Zuhause und legte mich zu Bett… Versank in einen wohligen, tiefen und traumlosen Schlaf… Und der Wecker wartete auf seinen Einsatz.

Gegen Abend an den Wochenenden, und zuweilen bis in die frühe Nacht unter der Woche, war das Geschäft, wie er es gegenüber anderen bezeichnete, für Atze erledigt… Er nahm dann nur noch Gespräche entgegen, die von denjenigen kamen, die er als seine Freunde bezeichnete… Und beantwortete Nachrichten nur, falls ihm gerade danach war… Schwalle, ein weiterer Bekannter aus Schultagen, und seitdem seines Zeichens Kumpan Atzes, hatte sich, neben mir und Sascha, die wir geschlossen und in Schweigsamkeit, über den Besuch unserer Parallelwelt gegenüber Dritten, den Fußmarsch angetreten waren, dort eingefunden. Die Musik bildete ein Hintergrundrauschen, aber wollte nicht so richtig zu mir durchdringen.

Um mich herum mühte sich alles mit den eigenen Vorräten und den ausliegenden Utensilien ab, dann wurde die Bong aus ihrer Ecke neben dem Sofa hervorgeholt und man zündete sich einen Kopf an. Nachdem die Pfeife die Runde gemacht hatte, fiel auf, dass ich gerade das letzte Bier ausgetrunken hatte… Es war Sonntag. Man sah sich einem existenziellen Problem gegenüberstehen, zu dessen Lösung sich Atze breitmäulig ausließ.

»Scheiße!… Wir gehen mal rüber in die Kneipe und trinken da was«… Und alles blickte ihn eine Weile fragend an.

»Nein wir werden uns bestimmt nicht an dem Bier vom Vatter vergreifen…« Und nach einer Pause setzte er hinzu, wie um sich zu rechtfertigen… »Ich hab nur keinen Bock, dass der wieder patzig wird… Hab auch so schon genug Arbeit mit dem.«

In den vergangenen Wochen, seit dem ersten Treffen bei ihm, hatte ich nie eine Regung im Haus bemerkt, die nicht von Atze selbst oder einem seiner Gäste und Kunden kam… Sein Vater schien ein Gespenst zu sein, dass, wenn überhaupt, erst sehr spät zum Leben erwachte… Atze ging stets sehr lakonisch und überlegen damit um… Sofern er sich überhaupt etwas anmerken ließ.

»Is es voll da drüben?«, wollte Sascha wissen, der die argwöhnischen Blicke Schwalles auf den Vorschlag hin bemerkt hatte.

»Nee, da sitzen immer nur die selben alten Suffköppe rum und merken eigentlich gar nicht was um sie herum geschieht… Bier kostet eins sechzig.«

»Na das is doch mal nen Wort«, befand ich und wollte schon Anstalten machen loszugehen, als sich Schwalle zum ersten Mal seit zwanzig Minuten, die er wortlos vor sich hin oder in sein Handy starrend verbracht hatte, knarzend wieder zu Wort meldete.

»Ich nehm mal noch was Ott mit… Wir können da auf dem Klo bauen und einen paffen.«

Man hatte gerade die dritte Runde Bier bestellt, da warf Schwalle den Vorschlag in die Runde, doch endlich mal runter aufs Klo zu gehen und einen Dübel zu fabrizieren… Es wäre angebracht das allseitige Vorhaben in zwei Runden aufzuteilen. Atze, der die dafür nötigen Utensilien einstecken hatte, und Schwalle sollten die erste Runde machen. Man sah einen Augenblick ins Glas, verfolgte die im Gerstensaft aufsteigenden Kohlensäurebläschen… Dann hört man das schrille Geräusch eines abrückenden Stuhls und sah Atze nach, wie er Richtung Toilette ging, um alleine vorzudrehen, während Schwalle Sascha und ich weiter an unseren Bieren nuckelten… Nach ein paar Schlucken stand auch Schwalle auf, ließ ein leeres Glas zurück und zockelte Richtung Klo.

Sascha und ich beobachteten das, sich auf gelegentlich nickende Köpfe und nach Biergläsern greifende Hände beschränkende, Geschehen in der Kneipe… Wir befanden uns in sicherer Position, saßen nahe am Eingangsbereich mit Blick nach draußen auf die Straße und den gegenüberliegenden Kirchhof, hatten die Bar im Blick und genug Abstand zum restlichen Volk, welches auf drei Tische weit in dem holzvertäfelten Raum verteilt saß… Bazillenträger mit breitgeschlagenen, grindigen Pranken und engstirnigen Klotzvisagen… Sieben oder acht bierselige Dörfler, die ihre besten Jahre schon lange hinter sich hatten und sich wahrscheinlich jeden Abend aufs Neue die selben alten Geschichten von vor zwanzig Jahren erzählten, nun aber ihrer eigenen Worte müde geworden waren, während ihre verhärmten Weiber daheim vor dem Fernseher saßen, die bebrillten Fratzen ausdruckslos an die Mattscheibe geklebt, sich an irgendwelchen durchgestylten, weichgesichtigen Soap-Sunnyboys aufgeilten und sich die trockene Pflaume rieben, bevor der jeweilige Alte besoffen nach Hause kam und sie sich wieder gegenseitig ertragen mussten… Bisweilen ertönte ein tuberkulöses Husten.

Sascha machte Anstalten, die nächste Runde Bier zu bestellen, doch setzte sich wieder auf seinen Platz, von seinem Vorhaben abgehalten durch den Eindruck des hinter der Theke hervorkommenden Wirtes… Schnellen, entschlossenen Schrittes bewegte der sich durch den Saal und steuerte an unserem Tisch vorbei, auf die Türe zum Flur zu.

»Der wird doch wohl jetzt nicht zu den Klos gehen?«, sagte ich zu ihm und nahm meinen letzten Schluck Bier.

»Wir werdens als erste erfahren…« Da hatte er wohl recht… Etwa eine Minute später kam der Wirt wieder, stellte sich hinter seine schmierige Theke und zapfte ein paar Bier für die immerdurstige Stammkundschaft, stellte diese parat und blickte kritisch in die Runde… Er beobachtete seine Gäste… Stille beherrschte den Raum… Nur von draußen war Hundegebell, gedämpft, ebenso träge wie die Stille und jedes Reden über den Tischen unterschlagend, hörbar geworden… Die Überwachungsprozedur des Wirts dauerte keine zwei Minuten, da sah man ihn die letzten gezapften Gläser abstellen, stehen lassen und erneut durch die Türe zum Flur verschwinden… Und fing an sich zu fragen was er da machte.

Atze und Schwalle kamen vom Klo zurück und setzten sich wieder an den Tisch. Das rot geäderte Weiß ihrer Augen, ein Stück weiter unten die dicken Tränensäcke und noch ein Stück weiter unten ihre gelblichen Zähne, grinsten aus den Gesichtern.

»Was war denn los?«

»Ja erzählt mal, hat er euch erwischt?«

»Ach, von wegen erwischt«, blies Atze die Worte geringschätzig über den Tisch… »Mitgeraucht hatter!…« Und er lachte und erzählte die Abläufe aus seiner Perspektive… Sie hatten die Lunte gerade angezündet, als sie hörten wie die Tür aufging. Der Wirt, der ein bisschen aussah wie ein dicklicher Mexikaner, kam herein und schaute den Beiden verdutzt ins Gesicht. Sie gaben sich keine Blöße, begrüßten ihn freundlich und fragten wie es ihm gehe… »Wenn ihr hier schon kiffen müsst dann stellt euch wenigstens ans Fenster und blast den Qualm nach draußen…« War alles, was der korpulente, falsche Mexikaner zu sagen hatte. Dann machte er kehrt und kam wieder nach oben. Die Zwei taten wie ihnen geheißen und sogen bei geöffnetem Fenster weiter am Joint. Nachdem er nachgeschaut hatte, ob in der Wirtsstube niemand das Bedürfnis verspürte seinen Platz in näherer Zeit zu verlassen, begab er sich zurück aufs Klo, ging direkt auf die Beiden zu, gab ihnen die Hand, stellte sich vor und fragte, ob er ein paar Züge abhaben könne… Es wäre dumm gewesen, wenn sie ihm diesen Wunsch ausgeschlagen hätten… Und so rauchten sie den Dübel zusammen mit dem Wirt zu Ende.

Selbst erfuhr ich, während meiner Zeit in der Parallelwelt, nichts von greifbarer oder vertrauenswürdiger Substanz von diesem Kerl, nichts über sein Alter, nichts über seine Herkunft oder dergleichen, einzig, dass er die Kneipe offenbar gepachtet hatte… Ein Experiment und nicht viel mehr sei das, sagte er bei der Gelegenheit zu mir… In der Zwischenzeit fand dieser, meiner Schätzung nach etwa dreißigjährige Typ, der Aufgrund seines Aussehens den Spitznamen Esé verpasst bekam, immer öfter Gelegenheiten, bei Atze abzuhängen und sich nach allen Regeln der Kunst aufzudrängen… Meistens kaufte er Dope von ihm… Seine Gesellschaft kam mir auf eine Art störend vor, die fortwährend von der geringschätzigen Weise, auf die er mit anderen umging und einer, nur schwer auszumachenden, aber scheinbar doch vorhandenen Bedrohung, die er darzustellen schien, unterfüttert wurde… Oft trug er eine Waffe bei sich. Entweder war es ein pervers großes Messer, oder auch eine Pistole, die er sich nicht schämte zu präsentieren… Großspurig machte er sich auf einer der Sitzgelegenheiten breit, grinste einen verschlichen an und gab unterschwellige, abfällige Bemerkungen zum Geschehen innerhalb des Zimmers von sich, während Atze mit der Pistole herumhantierte… »Ist nicht geladen was?…« Und er nahm das Magazin heraus… Es störte mich, dass diese neue Erscheinung mir so einfach mein Rauscherleben zunichtemachte… Es fiel mir schwerer, mich gehen zu lassen… Gleichzeitig bemüht meine innere Anspannung nicht durchscheinen zu lassen, beobachtete ich das Geschehen und versuchte eine Rolle zu spielen, in die ich mich nicht ausreichend hineinversetzt hatte… Atze schien hingegen von ihm fasziniert… Und er überraschte mich, indem er selbst eine Waffe hervorholte… »Ist ja nur ne Gas, was du da hast«, quittierte Esé… »Damit komm ich weiter als du mit deiner Ungeladenen.« Und der falsche Mexikaner nickte… »Munition hab ich daheim.«

So etwas wie Glück, vielleicht eine Art Derivat des Originalwirkstoffes und von temporärer Wirkung, traf mich unerwartet, als mir mein lang ersehnter Sommerurlaub letztendlich doch noch gewährt wurde. Es war wie ein Wunder. Man musste hart kämpfen für jeden freien Tag… Jede freie Stunde!… Wenn man es mal genau betrachtet… Schließlich brauchten die Vorgesetzten einen für all die blödsinnigen Plackereien, die man für sie verrichten sollte… Doch als wertloser Azubi hatte ich zumindest etwas mehr Glück als der gute Kollege mit seinem Gesellenbrief, was den Urlaub betraf… Die zwei Wochen, die man mir gewährte, waren die großzügigste Entbehrung seit langem… Eine Tat von wahren Philanthropen!… Nun hieß es an der Arbeit durchhalten… Warten auf die vierzehn Tage, die wie eine Erlösung auf Zeit bevorstanden… Und die Besuche bei Atze… Und doch besorgten mich in den folgenden Wochen bis zum Ende des Sommers einige Verwirrungen, vornehmlich sozialer Art.

Ein paar meiner Freunde bekamen zur gleichen Zeit und sogar darüber hinaus Urlaub… Man hatte sich bezüglich des angestrebten Zeitraumes im Voraus abgesprochen, voll guter Hoffnung die Beantragung gemacht und ähnlich lange auf die Bewilligung gewartet, währenddessen man sich wie gezwungen sporadisch getroffen hatte und halbherzig mit der Planung eines gemeinsamen Trips nach Miregalwohin liebäugelte… Es kam zu Aufschiebungen angesichts der Ungewissheit, sowie in Teilen zur Einsicht über die mangelnden finanziellen Mittel und zur Rückbesinnung auf Heimaturlaub… Die anderen verfolgten die Pläne weiter, die jetzt nicht mehr Angelegenheit der Heimaturlauber, respektive meiner Selbst und Saschas waren.

Zuerst fiel mir gar nicht auf, wie viele Leute aus dem größeren Freundeskreis über die Ferien das Weite suchten… Die Geschehnisse in der Parallelwelt hatten mich mehr und mehr für sich eingenommen… Bestimmend forderten sie mich heraus… Ihr Wesen, schien sich mir noch nicht zu einer Befriedigung genügend erschlossen zu haben, und regte weiterhin zur Neugierde an… Wer waren überhaupt jene, die notgedrungen mit ihren Alten in den Urlaub fahren würden? Jene, die in ihren Gärten saßen und nichts Besseres vorhatten, als sich etwas Fleisch auf den Grill zu legen und dummfröhlich und mit tropfenden Mäulern darüber zu kichern… Jene, die nichts davon wussten… Jene, dass waren die anderen… Diese anderen, die waren nur ein anderer Teil der Hölle, der ungleich kälter nur so vor sich hin glühte, ohne zu entflammen… Jene, die waren eine Kontrollinstanz ohne Selbstkontrolle… Jene interessierten nicht… Drauf geschissen! Wieso sollte man sich denn ständig melden? Das hätten die Fotzen ja auch selber mal besorgen können, wenn ihnen etwas daran gelegen hätte… Viel mehr brauchte ich den Kontakt zu etwas völlig anderem, die neuartigen Flammen innerhalb der Parallelwelt, die mir so viel heißer brannten.

Ohne Begleitung hatte ich mich auf den Weg in die Parallelwelt gemacht. Da parkte ein unbekannter Wagen in der Einfahrt vor der Tür zur Kellerwohnung und neben dem anderen Wagen, den Atze nach Verlust seines Führerscheins abgemeldet und stehen gelassen hatte… Unwahrscheinlich, dass er jemals den Idiotentest ablegen würde… Hinter dem Türglas sah ich eine Bewegung, worauf sich diese so ruckartig öffnete, dass ich einen Ausfallschritt auf dem gegossenen Betonsockel davor machen musste, der eiligen Gestalt ausweichend, die sich seitwärts an mir vorbei schob, die Tür hinter sich zuwarf und zu dem unbekannten Wagen ging, der Momente später angelassen wurde und zäh knirschend davonrollte.

Auf mein Klopfen hin ließ man mich ein… Atze empfing mich mit gewohnt ausladender Geste.

»Na sowas, schon da?!…« Ich gab ihm die Hand und begrüßte auch Schwalle und seine zierliche dunkelhaarige Freundin, die sich, zuvor eng aneinandergelegt, während meiner Begrüßung voneinander gelöst hatten, und setzte mich auf das Sofa neben sie.

»Wann hastn angerufen?«, fragte mich der Gastgeber und sah etwas irritiert auf seine Uhr, bevor er sich auf die Vorderkante seines Sessels setzte, sich über den Tisch beugend, auf dem einer dieser Zierspiegel mit dem Werbelogo eines Whiskyfabrikanten lag.

»War vor nen bisschen mehr als ner Stunde… Vielleicht eineinhalb.«

Er griff nach einem Einmachglas. In dem befand sich ein gelblich weißer Klumpen. Er öffnete es und steckte seinen Führerschein hinein, grub damit im Inneren und holte einen Teil der darin befindlichen Masse heraus, die er auf der Spiegelfläche abdrückte und wie mit einer Maurerkelle oder einem Spachtel zu einer glatten Schicht zog.

»Sag mal Atze, ich muss mal dumm fragen«, leitete ich ein… »Was machst du da eigentlich?«

»Ich will ne kleine Diät einlegen und hab mir nen Hilfsmittelchen besorgt«, ließ er mich wissen und streichelte dabei über den schwammigen Bauch unter seinem weiten T-Shirt, der so gar nicht zu seiner ansonsten schlanken Statur und dem schmalen, weißblonden Gesicht mit der Hakennase passte.

»Der Kerl, den du eben hast rausgehen sehen, hats mir freundlicherweise vorbei gebracht.«

Er legte den Führerschein beiseite und verschloss das Einmachglas, um es danach an mich weiterzureichen.

»Hier, gib das mal der Julie, die weiß wos hinkommt…« Und ich wog das Glas in den Händen und hielt es der zierlichen Dunkelhaarigen hin, die aufstand, es entgegennahm, einen ironischen Knicks vollführte und sich, die Beine ihres Freundes übersteigend, der zum Bau einer Tüte tief zurück in die Lehne des Sofas in eine fast liegende Position gesunken war, zum Kühlschrank begab, wo sie es deponierte.

»Willste auch ne Nase Nazikoks?«

»Nazikoks?…« Auf Atzes Frage hin sah ich Julie nicht mehr nach, wechselte die Blickrichtung.

»Speed, Mann!… Amphe, Pep, Schnelles…«

Atze sah ungeduldig auf den Spiegel herunter und schabte mit der Kante einer weiteren, aus seiner, ebenfalls neben dem Spiegel liegenden Geldbörse gezogenen, Karte über seinen Führerschein, an dem Reste der Substanz klebten… Es rieselte auf den Spiegel.

»Das Zeug muss noch einen Moment trocknen.«

Unsicher über den Gehalt seines Angebotes und die Tragweite beider möglichen Entscheidungen, sah ich zu Schwalle und Julie herüber, die sich einander wieder angenähert hatten und zusammen an der fertiggestellten Tüte sogen.

»Das is deine Sache…« Julie, in jenem Moment von einem Arm ihres Freundes umschlungen und an dessen Brust gelegt, hielt mir die glühende Spitze des Joints entgegen von der der Rauch aufsteigend drohend hypnotisierende Spiralen zeichnete.

»Aber rauchen brauchste dann nicht auch noch«, warf Schwalle beißend hervor und griff seinem Mädchen an den Ellenbogen, woraufhin es ihm den Stängel zwischen die Finger seiner zurückgezogenen und klauenhaft in der Schwebe stehenden Hand reichte… Geränderte Augen sahen mich an.

»Ach was erzählste denn?! Kommt doch gut zusammen!…« Atze zu Schwalle… Und ich schaute zuerst den Zwischenrufer, dann wieder Schwalle an, der nun den Joint schützend in der hohlen Hand hielt und zog.

»Okay… Warum nicht?«, sagte ich, mich eilig Atze wieder zuwendend und sah mir an, wie die weiteren Vorbereitungen aussehen würden… Er nahm zwei Bier aus dem Kasten unter dem Tisch, öffnete Beide und gab mir eines davon… Bald begann er die Schicht auf dem Spiegelglas aufzuschaben und rieb noch einmal mit dem Führerschein darüber… Den er ohnehin nicht mehr vorzeigen würde… Und legte die nunmehr Pulverförmige Substanz zu vielen grob hingestreckten Bahnen.

»Haste nen Geldschein einstecken?«, fragte er mich mit den nunmehr freien Händen auf sein Werk deutend… »Meine sind hierfür draufgegangen…« Und ich gab ihm einen Zwanziger aus meiner Tasche.

»Ich behalte den mal gleich ein, für das Ott, weswegen du gekommen bist und für das hier auf dem Spiegel… Sind ja hier nich bei der Wohlfahrt…« Er rollte den Schein zusammen und beugte sich über eine der Bahnen… Ein übertriebenes, gieriges Schniefen… Schnellte hoch, kniff die Augen zusammen, mit theatralischer Geste den Kopf in den Nacken werfend, und rümpfte die Nase und sog Luft ein… Nur Blinzeln in Atzes zurückgeneigtem Gesicht. Dann wurde mir der Schein hingehalten.

Zuerst spürte ich nichts, außer einem Brennen auf der Nasenschleimhaut, welches sich bald legte… Die Minuten vergingen… Etwas ungeduldig wartete ich auf den Wirkungseintritt und zündete mir eine Zigarette an… Dann bemerkte ich einen bitteren Geschmack, der sich an meinen Gaumen geheftet hatte und nahm mir ein Bier… Bald begann ich ohne Interpunktion zu sprechen.

»Heysagmalkannichnocheinehaben Ichglaubdaswirktnochnichsoganz…«

Atze lachte… »Aber klar doch.«

Und ich machte den Rest der Zeit so weiter, ungekannten Gefallen an lauter unnatürlich weit ausholenden Redseligkeiten findend… Ein paar Bahnen später kam ich dahinter… Speed war die perfekte Droge für den Zeitgeist… Man hätte es auch gut an der Arbeit nehmen können, dachte ich mir… Würde gar nicht auffallen… Dieser Rausch war der Geist der Leistungsgesellschaft, wie ich ihn mir nicht deutlicher vorstellen konnte… Äußerliche und innerliche Unruhe, vermischt mit emotionaler Kühle und dem Gefühl der Überlegenheit gegenüber jeder erdenklichen Situation… Man war sechs Meter groß, immer auf Draht und alles schien durchschaubar und absehbar zu werden. Alles was man sagte und dachte war wichtig. Man wurde zeitweise ganz heimtückisch, berechnend und zielgerichtet… Neun Meter groß und man nahm sich, was man zu brauchen meinte und kam sich vor wie ein Fels in dem konformen Wahnsinn. Listig und funktional wie das anorganische Fleisch der Maschinen und Prozessoren… Konzentration und Fokussierung. Zwölf Meter groß und… Zack, zack! Die Hände sausten und schwitzten, der Kiefer malmte, die Zähne klapperten. Fixe Ideen brausten auf. An die Arbeit! Zack, zack! Und die Grauen Windungen rackerten sich ab wie ein Trakt voller Blendgranaten. Alle Sicherungsstifte auf einmal gezogen… Los gehts! Impulsfeuer, Verknüpfungen und elektronische Erquickung. Zack, zack! Bumm, bumm! Berge versetzen! Bäume außreißen! Kilometerlange Papierrollen volltippen! Autos kaputtreparieren! Aaaahh!

Das Pärchen verließ bald die Wohnung und ließ mich und Atze biertrinkend, plappernd und zappelnd vor der Spielkonsole zurück… Neben ihm selbst und seinem etablierten Freundeskreis, ging, während der sogenannten Geschäftszeiten, deren Beginn, Ausdehnung und Beendigung sehr flexibel zu sein schien, vielerlei anderes, mehr als fragwürdiges Volk, in der Wohnung aus und ein, um sich sein Zeug zu beschaffen… Doch dann, anstatt das Weite zu suchen, sich zu verpissen und die erworbene Ware in den eigenen vier Wänden zu rauchen, wie es sich für halbwegs erwachsene Leute, die sie zum größten Teil auch waren, gehörte, noch über weite Teile der Abende im Zimmer blieben und versuchten ihre Weltanschauungen oder Anekdoten aus ihrem Alltag mitzuteilen.

Regelmäßig kam ein abgemagerter Typ vorbei. Man wusste schon, dass er jeden Moment schellen würde, bevor er überhaupt vor der Tür stand, da seine Ankunft jeden Abend von dem Bellen seines Kampfhundes angekündigt wurde. Wenn Atze nun, ahnungsvoll schon im Voraus lamentierend seine Pflicht tat und die Tür öffnete, kam der Hund zuerst hereingesprungen und zog sein wüst keifendes, jedoch körperlich mit der Kraft des Tieres überfordertes Herrchen hinter sich her. Irgendwie schaffte der Typ es zwar den Köter zurückzuhalten, doch dann lag Atze oft schon am Boden, überwältigt von dieser Kalbsdogge, die ihn niedergesprungen hatte. In so einem Fall konnte damit gerechnet werden, dass man sich für ein bis zwei Stunden nicht mehr regen durfte, ohne von dem argwöhnischen Mistvieh knurrend in die Schranken gewiesen zu werden. Der Köter stank die Bude voll und sein Halter saß grinsend da und es hätte einen auch kaum gewundert, wenn er das Vieh im Wohnzimmer sein Revier hätte markieren lassen.

Ein anderer kam nur hin und wieder herein und versuchte, statt sein Gras gegen Bares zu erwerben, mit allen Anwesenden, die etwas davon in der Tasche hatten, Tauschhandel einzufädeln. Meist rief er, bevor er vorbeikam, an und wurde schon am Telefon abgewimmelt. Doch irgendwann stieg er dahinter und kam, ungeachtet der Tatsache, dass Atze ihm mitgeteilt hatte er sei nicht daheim, vorbei… Er schlich sich dann an die Tür heran und man sah aus dem abgedunkelten Inneren, durch das Milchglas hindurch, eine Silhouette, die aufmerksam in die Wohnung hinein zu lauschen schien. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sich dort Leute befinden mussten, rüttelte er zunächst an der Tür… Atze, der einen Autospiegel vor seinem Fenster angebracht hatte, in welchem er aus einem sicheren Winkel hinter dem erhöht gelegenen Fenster heraus, mehr oder weniger gut erkennen konnte, wer vor der Tür stand, hatte sich angewöhnt einen Blick in seinen improvisierten Türspion zu werfen, bevor er jemanden hineinließ. Doch der Kerl bleib energisch und fing an Sturm zu läuten. Nachdem man zum wiederholten Male von ihm belästigt worden war, trat Atze mit der versammelten Mannschaft im Rücken vor die Tür, schubste den entsetzten Störenfried herum und jagte ihn unter Androhung gröber Mittel und mit vorgehaltener Gaspistole davon… Bei diesem speziellen Fall konnten man sich derartige Mittel leisten… Aber es gab auch härtere Brocken, ungleich bedrohlicher und unangenehmer, deren bloße Anwesenheit, wenn sie auch meist von kurzer Dauer war, einschüchternd sein konnte… Des Öfteren konnte man Atze die Phrase, man könne sich seine Kundschaft nicht aussuchen, rekapitulieren hören. In der Regel sobald mit dem Fortgehen der Fremdlinge und Aushilfsgangster wieder der Normalbetrieb eingekehrt war.

Und ich wohnte dem wüsten Treiben für viele Stunden, bis spät in die Nacht hinein, bei… Stets wanderte der Spiegel mit dem Schnellen in ein Versteck auf dem Wohnzimmerschrank, und wurde wieder hervorgeholt, sobald man wieder unter sich war… Das wäre Eigenbedarf meinte Atze zu mir… Er habe kein Interesse daran, alle Welt würde annehmen er handle auch mit dem Zeug.

Vielleicht bemerkte ich zum Schluss, nachdem ich für einige Zeit nichts mehr von dem die Schleimhäute brennenden Zeug genommen hatte, dass ich langsam blöd wurde… Und versuchte dagegen anzukämpfen… Man kann nicht… Und dann, erdrückt vom langsamen Runterkommen, hat man nichts mehr zu sagen und kann nichts mehr tun… Alle Speicher leer… Am besten irgendwo verkriechen… Die Antiklimax des Amphetamins… Die sich umkehrenden Zustände… Und dann… Hoffen… Warten… Bis die Speicher wieder voll sind.

Mit von dem vielen Bier, das wir getrunken hatten, gefüllten Magen, aber ohne das Gefühl betrunken zu sein, ging ich, nach einem hastigen Weg wieder daheim, ins Bett… Und fand keinen Schlaf.

In den vorangegangenen Monaten hatte ich ein paar Dinge über Drogen und die damit verbundenen Rauschzustände gelernt… Ein Gewinn? Ja vielleicht… Aber, trotz der flüchtigen Anwesenheit vereinzelter Kundinnen und Julies, die sich zu meiner Beruhigung in festen Händen befand, war ich doch eher damit beschäftigt mich im Marihuanarausch zu vergraben, in dessen klebrigen, abgeschotteten Sphären ich mich noch immer in Sicherheit wog… Wie um mir meine Mängel an Sozialkompetenz zu verdeutlichen trat plötzlich dieser blonde Backfisch auf den Plan, von dem mir alle weismachen wollten, dass er sich in mich verguckt hatte… Ohhgottooohgott! Die Frauen!… Sie waren für mich immer noch fremde Wesen… Ich hatte nichts vorzuweisen und begann mich darüber zu zerfressen… Lief seit drei oder vier Jahren in den selben schlabbrigen alten Klamotten herum und mangels Vorhandensein eines Haarschnitts stülpte ich meinem bekifften Schädel eine Truckercap über… Das schien nicht ungewöhnlich zu sein in diesen Kreisen… Jackie… Jacqueline… Ausgerechnet… Sie sah ganz vertretbar aus, nicht hässlich aber auch nichts besonders hübsch… Sie war kein Engel und auch keine Nutte… Sie erschien mir innerhalb der kurzen Zeit, in der sie die Parallelwelt frequentierte, viel mehr als Pflicht… Ich sollte mich an ihr beweisen… Natürlich war ich scharf darauf, sie flachzulegen… Aber wie denn nur!? Himmel, Arsch und Zwirn!… Alles wovon ich glaubte, dass es damit verbunden sei… Die Vorbereitungen, das Getue, die Anstrengungen, die Schauspielerei… Nervenraubendes Gebalze!… Mal wieder… Zum Totlachen war die Misere, in der ich mich befand… Ein sardonischer Lachkrampf… Wahrhaft!… Es sollte noch vier weitere Jahre, einige Unfälle und Sex gegen Bezahlung kosten, bis ich endlich… Aber besser chronologisch vorgehen… Keine Abkürzungen nehmen… Es wird ohnehin noch dauern, bis ich dieser verfluchten Stadt entkommen bin.

Am Tage unseres siebten oder achten gemeinsamen Aufeinandertreffens, hatte sich die Parallelwelt in die heimischen Gefilde Schwalles verlagert… Die eher bürgerlichen Verhältnisse dort, erlaubten es Mädchen aufzunehmen, ohne sie gleich am Anfang zu verschrecken… Sofern man welche gefunden hatte, die nicht schon auf den ersten Blick wegliefen… Man war befreit von der Sorge, dass irgendein Spinner vor der Tür auftauchen und versuchen würde, sich Eintritt zu verschaffen… Da saßen diese zwei kaum bekannten Frauengestalten auf den herbeigeholten Stühlen gegenüber des Sofas, von denen die eine immer wieder zu mir herüber schaute… Fast immer, wenn ich sie traf, hatte sie ihre fette Freundin dabei… Es wollte sich mir nie ganz erschließen. Fast schien es eine Notwendigkeit zu sein, unter solchen »Besten Freundinnen« wie man sie so häufig antraf, dass die eine von beiden schön oder wenigstens noch einigermaßen gutaussehend war, während die andere den unausweichlichen Gegenpart der Schönen darstellte… Der unattraktive Gegenpart, der das hübsche Mädchen zu nahezu jeder Gegebenheit begleitete, hatte entweder erhebliche Gewichts- oder Gesichtsprobleme, oder war ein mausgraues Mauerblümchen, das jedweder äußerlichen Reize entbehrte… Man konnte sagen, fast schon zu traurig anzusehen… Ich verhielt mich ähnlich, wie in den vorangegangenen Konfrontationen, indem ich so tat, als wäre mir ihre Anwesenheit egal, nur die nötigsten Worte wechselte, beobachtete und mich abschätzig gab… Auf diese Art, bildete ich mir ein, würde ich als der alles gewahrende Herr der Situation erscheinen… Cool wie ein Gefrierschrank wollte ich sein… Aber wie hinter meinem Rücken eingefädelt kam mir dieses Aufeinandertreffen vor.

Am geöffneten Fenster stand Sascha, der zur Abwechslung versuchte den umgebenden Dämpfen zu entkommen, und wie sehnsüchtig dem Asphalt vor dem Haus beim Ausbrüten seiner Fieberträume zusah, jedoch rasch in die Klaustrophobie des Zimmers zurück geholt wurde, von Atze, der, die Pfeife wie ein Whiskyglas schwenkend, zwischen den Füßen der Anwesenden hin und her ging und alle Träumereien mit einem gebündelten Strahl Realität aus seiner Schornsteinkehle erstickte. Vor der Giftgaswolke zurückweichend, stieß Sascha sich den Kopf an der geneigten Decke des Dachzimmers und ließ sich leise schimpfend neben mich ins Sofa fallen. Schwalle steckte seinen Kopf über die Lehne hinweg, schlug Sascha kumpelhaft mit der flachen Hand auf die Brust und flüsterte mir etwas ins Ohr.

»Die Blonde da steht auf dich…« Und ich sah mir die Backfische auf ihren Stühlen an, wie sie tuschelten und kicherten, und das bekiffte, mindestens genau so kindische Gehabe um sie herum, in gegenseitiger Übereinkunft zu verurteilen schienen… War das nicht abstrus?… War ich normal?… Oder gab ich ständig anderen die Schuld?… Waren die normal?… Warum bloß kamen die hierher und taten uns alles nach?… Wie konnte Schwalle nur wissen?… Er kannte ja noch nicht einmal ihren Namen?… Kannte ich?…

»Mutprobe!«, kündigte Atze an… »Wer von euch will sich auch mal an der Pfeife probieren?«

Nach langem hin und her ließ sich die dicke Brünette dazu überreden, die sich mit der Blonden bis vor kurzem noch einen Joint geteilt hatte… Atze, heimtückisch und schadenfroh wie er zuweilen war, streute ihr heimlich einen Kopf voll mit Tabak von der übelsten Sorte, während Schwalle die beiden Mädchen ablenkte… Endlich gab er sie frei und sie wuchtete ihre Fleischmassen zu Atze herüber.

»Also du musst nur hier halten«, sagte der zu ihr… »Und hier den Finger aufs Kickloch…« Und demonstrierte wie man das Gerät zu halten hatte… »Was machst du?«, wollte sie wissen, nachdem sie die Pfeife angenommen hatte… »Ich zünd den Kopf für dich…« Dankbar und kleinmütig sah sie ihn an… »Und wenn ich Stop sage, setzt du kurz ab, atmest schnell noch einmal durch und ziehst das Rohr blank…« Ein längerer Moment unschuldigen Argwohns… »Wie blank?…« Atze grinste… »Einfach den Mund wieder drauf pressen und tief Luftholen.«

Und endlich zückte er sein Feuerzeug… Jetzt gab es kein zurück mehr für sie… Es blubberte… Mit der vom Unterdruck angezogenen Flamme brachte Atze den Tabak zum Glühen… Und da stand eine gemeingefährliche, dicke Rauchsäule in dem Apparat, die sich die Dicke, ganz aufgekratzt und, wie um die bevorstehende Blamage perfekt zu machen, ohne Rücksicht auf Verluste reinschmetterte… Dieses französische Gefühl… Fast sah ich mich selbst dort neben Atze stehen.

Nach einem infernalischen Hustenanfall, bei dem sie wie besoffen durch das Zimmer gewankt war, tastend nach dem Stuhl neben ihrer mehr belustigten, als erschrockenen Freundin suchend, saß sie benommen auf dem Sofa, abwechselnd hustend und nach Luft schnappend… Unter Einwirkung der Gewalt ihres plötzlichen Aufstehens, wenig später, fiel der Stuhl gegen den Kleiderschrank und man sah sie zur Tür herausstürzen… Man hörte sie durch die dünnen Wände des Fertighauses hindurch, den Toilettendeckel gegen den Spülkasten werfen… Klong! Würg! Kotz!… Die hatte es erwischt.

»Los setz dich neben sie, sprich mit ihr«, feixte Atze von hinter meinem Rücken und deutete auf die Blonde, die bestürzt durch die geöffnete Zimmertür sah, sich aber nicht sofort zum Aufstehen für ihre dicke Freundin entschloss… Da marschierte Schwalle aber schon ins Bad.

»Is nich wahr! AATZÄÄÄH!…« Und auf seinen Ausruf Atze und die Blonde hinterher.

Sie kamen wieder, tapsten durch das Zimmer und sahen aus wie eine einen Unfallort, mitsamt der einzigen Überlebenden, verlassende Gruppe… Die Dicke an die Blonde geklammert, sie stützend und ihre Sachen zusammensuchend, Atze daneben, um dem Desaster im Bad zu entgehen und Sascha der herbeieilte, um dem Opfer ein Kaugummi anzubieten. Die nun doch etwas ärgerlich dreinschauende Blonde meinte, sie müssten unsere Runde verlassen, mit der offensichtlichen Begründung, dass es ihrer Freundin verflucht schlecht ginge… Schwalles Verwünschungen aus dem Bad signalisierten überdeutlich die Notwendigkeit eines Aufbruchs… Und die Narren verließen allesamt das im Erbrochenen versinkende Schiff und ließen einzig dessen Kapitän und Putzfrau zurück.

Die Dicke ging neben Sascha her, der versuchte, sie von ihrem Zustand abzulenken und ihr die Geschehnisse als Unfall zu verkaufen, neben der Dicken die Blonde, und ließ sich ein Stück zurück fallen, nachdem ihre Freundin allen breit und quengelnd erklärt hatte, wo genau sie im Dorf wohne, neben der blonden ich selbst, sie musternd, wie sie immer wieder nach mir blickte, irgendwo weiter abseits Atze, mit den Händen in den Taschen, einzig auf seinen slackerhaften Gang konzentriert.

»Find ich nett, dass ihr uns nach Hause bringt.«

Bald hatte ich ihre Signale verstanden und blieb mit der Blonden, ein Stück hinter den anderen zurück und begann ein Gespräch mit ihr… Einfallsreich wie ich war, begann ich mit der Frage, die jedes weibliche Wesen, aller Länder und Kulturkreise zu Anfang einer jeden Konversation schmachtend erwartete.

»Wie alt bist du eigentlich?«

»Sechzehn…« Und ich wusste nicht was ich mit dieser Aussage anfangen sollte… War das gut? War das schlecht für mich?… Nein, wohl eher von Vorteil.

»Zwei Jahre jünger als ich«, gab ich zurück, sogleich hoffend, damit meine hypothetische Überlegenheit des Alters, meine reife an Erfahrung deutlich machen zu können.

Unter der hoch stehenden Sonne kochten die von Schlaglöchern zerfurchten Nebenstraßen des Dorfes, dessen mürbes Konglomerat von schäbigen Fassaden, von Bauernhöfen, und vorgelagerten, ummauerten Misthaufen, von Schmeißfliegen zappelnd, aus denen die Gülle ölig auf die Straße lief, Verschlägen und Scheunen für geschundenes Vieh und magere Pferde, verschandelnden Anbauten und umschalten Fachwerkhäusern wie eine ausgebreitete riesenhafte Mülldeponie, den Dunst von Kuhmist, schwärender Langeweile, Frust, Borniertheit und all den Dramen und Tragödien, die sich hinter diesen Fassaden und Holzbrettern abspielten, von sich gab… Atze verschwand in dem Planzen- und Bierfriedhof, dem stickigen Untergrund seiner Wohnung.

Und ich bemühte mich, ein Gespräch anzufangen und es dann im Gang zu halten. Das Haus ihrer Freundin rückte näher und näher… Ich sprach ein Thema nach dem anderen an. Es war hoffnungslos! Wir scheiterten bereits daran, uns ganz simpel zu unterhalten… Kleinlaut und verstohlen sprach sie halbfertige Antworten… Ich kam mir lächerlich vor… Du stocksteifer Hammel, du!… Schrie es fortwährend aus meinem Inneren… Und ich fragte mich, was ich denn eigentlich zu bieten hätte… Und das Gefühl, ein totaler Versager zu sein, ließ mich nicht los… So bleib unser Gespräch ein beklemmend vorsichtiges Abtasten… Und dann… Das Haus ihrer Freundin… Die Schwelle unseres Scheidens, dachte ich mir.

»Ich bring sie noch kurz rein«, sagte sie. Wie benommen stand ich auf der sengenden Straße und sah die Mädchen die Treppe herauf gehen… Fühlte mich geschlagen… Die Tür ging auf… Die Dicke trottete ins Haus… Und Jackie… Jackie drehte sich um.

»So, die sind wir los«, sagte sie und lachte… Da fiel es mir wie Schuppen vor die Augen.

»Du magst sie gar nicht so sehr, nicht wahr?…« Hoffentlich lag ich richtig… Oh bitte, oh bitte…

»Naja… Sie ist ganz gut als Freundin in der Schule… Zum Helfen und so… Aber so anhänglich.«

»Wie ein kleiner dicker Hund?«

»Naja… Ein Hund geht nicht ins Badezimmer zum Kotzen…«

Und wir beschickerten uns darüber, was bei Schwalle vorgefallen war und ich sagte zu ihr, dass in jedem von uns ein kleiner Hund stecken müsse… Sie schien zu begreifen was ich meinte, trotzdem ich es ungeschickt und hastig vorgetragen hatte… Auf dem Weg zu ihr nach Hause machten wir auf einem kümmerlichen und kinderlosen Spielplatz halt und verbrachten dort ein oder zwei Stunden… Dort ließ ich mir ihre Nummer geben… Bemüht, das Zittern meiner Finger zu verbergen, während ich diesen großen Schritt auf meine Mannwerdung hinzu tat, tippte ich sie in mein Telefon… Und ihren Spitznamen… Jackie… Und wir machten aus, in der nächsten Zeit alle zusammen eine Feier an dem dem Dorf nahegelegen See zu veranstalten und dort zu Zelten. Ich schlug ihr vor, sie könne bei mir im Zelt schlafen, nachdem sie anmerkte, dass sie selbst keines habe. Das schien mir ein sicherer, fast schon diabolischer Plan zu sein… Und ich rieb mir innerlich die Hände, als sie zu meiner größten Verwunderung darauf einschlug. Von diesem verheißungsvollen Handschlag ermutigt, dachte ich bei mir, ich könne gar nicht mehr verlieren, und wenn wir erst einmal beisammen im Zelt wären, ungestört in einem echten Refugium, käme der Rest schon von alleine… Dennoch kümmerte ich mich bis dahin nicht, ein Treffen außerhalb von Atzes Bude zu arrangieren… So eingeschlossen war ich bereits in dieser Welt, dass mich selbst die überkommenden Resignationen derer Bewohner nicht vom Ausweichen abhielten.

Ich sollte Jackie in den darauffolgenden Wochen noch ein paarmal bei Atze wiedertreffen, der sich gezwungen sah, sein Geschäft einzudämmen… Die Bullen hätten ihm einen Besuch abgestattet, erzählte er… Wegen einer Lappalie… Ruhestörung… Er habe Glück gehabt, denn als der Streifenwagen vor dem Haus parkte, hatte er bereits reinen Tisch gemacht… Man müsse vorsichtig sein… Schon der kleinste Stein, könne die Lawine ins Rollen bringen… Diese verdammten Bauerntrampel, sagte er… Kaum zwei Wochen später stiftete er eines der Nachbarskinder an, den Anzeigern die Luft aus den Reifen zu lassen… Bezahlt habe er den Jungen dafür… Und lachte sich ins Fäustchen… Er war wohl selbst ein Kind und konnte es einfach nicht lassen.

Sooft sie hereintrat, geschah es mit augenzwinkernder Vorsicht, die Runde sondierend… Ich nahm sie in Empfang und versuchte sie gleichzeitig von dem Geschehen innerhalb der Parallelwelt abzuschirmen, nur für mich empfänglich zu machen, nachdem ich zumeist für bereits ein bis zwei Stunden mit den Kollegen in der Parallelwelt herumgehangen hatte, deren Farben immer mehr und mehr an Leuchtkraft einbüßten, deren Feuer immer unwirklicher schien, wie eine Projektion von etwas Fernem, das in den letzten Zügen lag und bald gänzlich verschwinden würde, und war breit wie ein König mit rostiger und schief gezackter Krone… Sie kam mit mir am Tisch vorbei, setzte sich neben mich auf das Sofa. Aber dennoch war eine Distanz zwischen. Eine Distanz, die mir Unbehagen einflößte… Beobachtet kam ich mir vor… Und wir wussten, sehr bald nach den ersten ausgesprochenen Bemerkungen, nichts mehr miteinander anzufangen, sahen in die Runde, rauchten zusammen, gingen raus, kamen wieder rein und erlahmten in den auf und ab gehenden Wogen des Rausches wie Treibgut… Und vertrösteten einander… Alles lief auf das Treffen am See hinaus.

Man schraubte sich gerade ein paar Bier in den Kopf und saß mal wieder bei Atze im Keller, als Sascha einen Anruf erhielt. Ein paar unserer aus dem Urlaub zurückgekehrten Kollegen befanden sich ganz in der Nähe der Parallelwelt. Sie machten eine kleine Feier im Gartenhäuschen derjenigen Freundin, die mich gut eineinhalb Jahre zuvor abgewiesen hatte… Wie in grauer Vorzeit kam es mir vor… Sie hatten reichlich Flüssiges und Grillgut zusammengetragen. Wir wurden auch eingeladen. Es war wie ein Ticket zurück in die alten Zeiten. Die Einladung kam unerwartet. Hatten wir doch den Kontakt zwar nicht völlig abgebrochen, aber auf ein Minimum beschränkt. Wir waren wirklich vorsichtig geworden. Keiner außer uns selbst sollte genau wissen, was wir in unserer Freizeit so trieben. Wir hielten uns sehr bedeckt. Dennoch! Man hatte uns nicht vergessen.

Für eine Weile hielt sich eine Diskussion, bevor wir uns dann doch entschieden die Party zu besuchen. Vorher hatten wir uns nur ein oder zwei Joints mittelmäßigen Krauts geteilt. Man merkte kaum etwas, war nicht faul geworden also warum nicht hingehen, hieß es. Nur Atze empörte sich und ließ verlauten, dass er nicht viel von unseren anderen Freunden und deren Art von Zeitvertreib hielt. Er meinte wir würden nicht viel verpassen, wenn wir nicht dorthin gingen. Er hatte wohl keine Lust allein zuhause rumzuhocken. Man verpasste sich ein paar Augentropfen, damit man nicht mit flammend roten Augen dort auflief. Dann machten wir uns auf den Weg… Ein paar Straßen weiter… Vorbei an der einzigen Bushaltestelle des schäbig pittoresken Örtchens.

Die Feier war zum Zeitpunkt unserer Ankunft bereits im fortgeschrittenen Stadium. Man hörte ausgelassenes, betrunkenes Gelächter, an das man sich annäherte, über das bis an den Rand der Felder ausgestreckte Grundstück schleichend. Mit einem Gefühl beschwingter Überlegenheit schritten wir gemächlich auf die versammelte Gesellschaft zu.

»Na da sind ja die Freibiergesichter!«, empfing man uns mit stichelnder Herzlichkeit… Es stimmte, wir hatten nichts Trinkbares mitgebracht… Hatten das hohle Gewölbe der Parallelwelt unter dem ausgesprochenen Vorsatz verlassen, uns auf Kosten der Anderen einen anzutrinken… Der Grill stand vor der Gartenlaube, mit den an der Rückwand aufgebauten Tischen und den Sitzbänken, die bis zu zwanzig Leuten ausreichend Platz boten, und wurde gerade für Runde zwei vorbereitet. Überall standen die Freunde, Bekannten und Unbekannten herum… Marcel am Bierkasten, Marie an die Hütte gelehnt uns verschlagen zuzwinkernd… Ihr Freund kehrte uns den Rücken… Verschiedene Kreise hatten sich gebildet. Es wurde unter Zuhilfenahme allerlei groß ausholender Gesten geredet, gegessen, getrunken, gelacht und angestoßen. Vorm Grill standen die Grillmeister, mit schwarz verkohlten Zangen und Halbliter Bierflaschen bewaffnet, und wendeten das Fleisch. Aus der Hütte kam Musik… Charts… Was für eine heruntergespulte Scheiße… Man begrüßte sich gegenseitig mit Handschlägen und Umarmungen. Alles schien wie immer zu sein. Die Mehrheit der Gäste waren einem geselligen Schwips verfallen… Schnell die Begrüßungen abgefertigt, machten Sascha und ich die Biervorräte aus und wir versorgten uns.

Sobald es dunkel wurde, verlagerte sich das Geschehen in die Hütte. Man machte sich über das kalte Buffet her, das aus fettigen Chips und kleinen Käsehäppchen bestand… Die hatten wirklich nichts auslassen können… Flaschen, Sekt, Liköre, Wein und Spirituosen wurden hervorgeholt, Kartenspiele, Würfelbecher und Würfel… Sascha wechselte ein paar Satzfetzen mit der Gastgeberin und ihrer erdebeerblonden Freundin, bevor wir uns etwas abseits setzten, und neben unseren Bieren zwei Londrinkgläser bereit machten und das Geschehen um uns herum beobachteten. An diesem Abend wurde es etwas kühler als sonst. Man machte sich einander abwechselnd am Gasofen zu schaffen, rätselte um die Funktion des Gerätes, bevor es endlich entflammte und die Luft langsam mit seinem hitzigen Tremor erfüllen wollte… Man schloss die Türe, damit die Wärme gefangen gehalten werden, und sich zu einer aufgewühlten Hitze steigern konnte… Das Trinkgelage ging weiter… Vor dem Fenster sah man Foma, Marcel und ein, zwei andere, sich unterhaltend, wechselweise durch das Fenster herein sehend, umweht von dem Essenrauch der letzten verglühenden Brocken Grillkohle, die abtropfendes Fett verdunsten ließen, und sich in bemühter Gegenwehr gegen die Erkaltung befanden… Foma, die Brille dicht an den braunen Augen, die Arme vor seinem gedrungenen, muskulösen Oberkörper verschränkt, blickte mit stummen und bewegten Lippen fortwährend zu Sascha und mir herein, wie wir verstohlen in unserer Ecke saßen und zeigte sein schwarzes stacheliges Haar und sein etwas blasses aber kräftig geschnittenes Gesicht.

Das Geschehen kam mir komisch vor… Ich selbst kam mir unfreiwillig komisch vor… Zuerst fühlte ich mich beklemmend gelangweilt, ein schwindsüchtiges Gefühl, immer deutlicher abgelöst von einem Unwohlsein… Fehl am Platz und ohnmächtig isoliert, wie ich so da saß, mit Sascha gegen alles verschworen, und beobachtete, aber keine Anstalten machen wollte mich auf die beschwingte Einigkeit, die wirren, rauschenden Gespräche kreuz und quer durch die Gartenhütte und das überfreudige, irre Gelächter einzulassen… Immer wieder drang Jemand für einen Moment in die Isolation ein und redete beschwipsten Stuss… Sie machten zweideutige Bemerkungen, die ich versuchte zu verstehen… Zu ergründen, ob etwas verstecktes hinter den Worten lag… Vielleicht verkleidete Rügen oder offensive Nachrede… Bald konnte man die Luft schneiden. Die Aschenbecher füllten sich in Sekundenbruchteilen. Alle lachten sie, funkelten sich aus glänzenden Augen gegenseitig durch den Nebel an… Und ich kam mir immer mehr und mehr beobachtet vor… Die Flasche billigen Whiskys wechselte meine und Saschas Hände… Man wehrte sich mit weiteren Drinks, doch die ethanolbefeuerte Ausgelassenheit wollte nicht übergreifen… Sie waren unsere Freunde, doch schienen sie wie lächerliche, trunkene Karikaturen ihrer selbst… Die Anderen, die Anderen, die Anderen… Die in der Hölle saßen, auf den Flammen eins Gemeinschaftsscheiterhaufens und lachten und klatschten… Ich ging dazu über, mich flatterhaft auf die Kosten der Anderen zu amüsieren… Sascha und ich kommentierten bald gemeinsam das Geschehen, mit zueinander geduckten Köpfen abschätzig, um uns selbst zu belustigen.

»Kommt her Leute und besauft euch auch, kommt schon habt euch alle gegenseitig lieb und habt Spaß miteinander, zeigt euch gegenseitig, was für tolle Leute ihr doch alle seid. Kommt her Leute es ist unsere heilige Pflicht uns das Leben mal so richtig schön zu saufen«, kompromittierte ich die Anderen gegenüber Sascha, der zwischen mir und ihnen hin und her sah, meinen Worten folgend, die Lippen gekräuselt… Sie waren wie balzende Tiere. Wir hielten uns für immun… Ich lachte, zeigte auf einen Jeden und beschrieb, züngelnd und an meinen Bier saugend dessen derzeitigen Pegel.

Etwas später stand Sascha auf und wankte zwischen den Fronten umher und ich klammerte mich derweil an mein Glas… Die Hölle ist ein Narrenhaus voller Betrunkener, dachte ich… Plötzlich fraß sich mein Gewissen durch den Schutzmantel aus Spott, den ich mir so mühsam errichtet und ganz verkniffen so lange aufrecht erhalten hatte… Vor dem Fenster suchte ich die Beobachter und sah nur noch Dunkelheit… Und ich sah in die Runde und kam mir ungeheuer gehässig vor… Sascha kam wieder an die stille Ecke des langen Tisches und nahm Platz… Und da fiel mir ein, dass ebenso gut ich ein Teil der Hölle für alle deren Bewohner hätte sein können… Wir schwiegen… Sahen zu… Sahen ab… Betretene Blicke auf die eigenen Gläser gerichtet, die sich leerten und füllten, doch nichts ausrichteten… Die Normalwelt mit der anderen mir bekannten vergleichend, fragte ich mich, wie viel besser ich zwischen all dem dastand… Und dachte an die vielen Bierkästen bei Atze… Und an die Lästereien über die ehemaligen Schulkameraden und über die Bewohner der Parallelwelt, die einen erheblichen Teil des Gesprächsstoffes innerhalb derselben ausmachten… Die Gedanken irrten schwindelnd hin und her, prallten rücksichtslos von einer Wand zur anderen… Und ich stellte mir diese dummen Fragen… Warum konnte ich mich nur so begrenzt wohlfühlen? War ich denn so kaputt? So verklemmt und hochmütig?

Irgendwann wurde es mir zu anstrengend. Alles ging in einem verschwommenen Strudel unter… Fetzen von Gesprächen hier und da… Noch eine Mische… Gelächter… Der Wunsch nach Ruhe… Ich redete auf Sascha ein, versuchte ihn davon zu überzeugen, einen sauberen Abgang hinzulegen und so begaben wir uns hinaus auf den niedergetretenen Rasen vor der Hütte… Gelächter und Gekreisch auch in der Dunkelheit… Ein Teil der Gäste war auf das riesige, neben den Garagen gelegene Trampolin im Vorhof des Hauses gestiegen und hüpfte kichernd darauf herum… In dieser durchlärmten Nacht konstituierten Sascha und ich… Erkaltend und losgelöst von dem Schwindel im Inneren des Gartenhauses… Es gab zwei Möglichkeiten… Entweder wir zogen diesem überschwänglichen Zerstreuungsversuch davon und hingen noch ein wenig bei Atze ab, oder wir griffen doch noch zu und versuchten uns der Allgemeinheit anzupassen, uns mit ihr zu verbinden.

Wir flohen die Flucht… Auf halbem Weg zurück in die Parallelwelt und zu deren einsamen, alleingelassenen Regenten wurden wir aufgehalten. Zwei Freunde von der Party, die uns von allen der dort anwesenden noch am nächsten standen, waren uns gefolgt… Foma und Marcel… Sie hatten Wind bekommen… Da standen wir nun zusammen, umringt vom Gebälk der Häuser, die mit leeren Augen glotzten, um uns herum das spärliche Licht der Laternen, neben uns der versiffte, mit kindisch obszönen Graffiti besprenkelte Unterstand der Bushaltestelle, unzählige ausgespuckte Kaugummis und Zigarettenstummel zu unseren Füßen, über uns der schwarze, sternlose Himmel. Foma fragte warum wir uns so klammheimlich verdrückt hätten… Die Luft war dick… Alkoholnebel… Und zusätzlich angefüllt von drohenden Streitigkeiten… Wir wären zur Party gekommen, hätten uns merkwürdig verhalten und wären ohne ein Wort wieder gegangen. Legten sie uns die Karten auf den Tisch.

»Ihr meldet euch nicht mehr. Wenn man euch anruft, tut ihr so als würdet ihr nichts machen, haltet euch völlig bedeckt, weicht ständig aus… Ihr geht Gesprächen und Kontakten aus dem Weg. Ihr seid wahrscheinlich nur noch am Kiffen...« Ein Hauch von Schuldbewusstsein ging durch mich und vielleicht auch Sascha durch... »Was ist eigentlich los?«

Er hatte leider völlig recht… Doch wie hasste ich solche Diskussionen… Sie verschafften mir Ohnmacht, Wortlosigkeit und Überdruss… Und doch, schienen sie irgendwie nötig zu sein, von Zeit zu Zeit… Stillschweigend sog ich an einer Zigarette, hoffend, mich so aus der Diskussion heraushalten zu können. Die selbst körperlich ineinander verschlungenen Fronten der Argumentation bildeten Foma und Sascha, dessen taube Zunge kaum eines geltenden Wiederwortes fähig war. Wie hätte er es auch leugnen sollen?… Foma stand vor ihm, dicht an dicht und zeigte seine Kehle, wissend um seine Stärke und dass man ihn nicht angreifen könne… Der gute Mann hatte uns Durchschaut. Aus war es mit der eingebildeten Überlegenheit.

Schließlich gab Sascha klein bei. »Okay«, lenkte er zu allen Punkten der Anklage ein… »Geb ich dir recht…« Doch Foma war sich nicht sicher, ob das genügte und ob auch durchdrang, was er sagte… Also machte er weiter. Er hielt uns den Spiegel vor.

»Was macht ihr überhaupt die ganze Zeit beim Atze?«, fragte Marcel, wissen wollend was noch, außer dem ersten Punkt der Anklage.

»Glaubt ihr denn wir kriegen das nicht mit?…« Das Gespräch wurde einseitig… »Wollt ihr euch vor euren Freunden verstecken?«

Gemäß seinen Erfahrungen schien ihm ein Urteil über unseren Freund und Kiffkumpanen in jedem Fall zuzustehen. Schließlich kannte er ihn länger als wir. Noch vor zwei oder drei Jahren, bevor Sascha und ich regelmäßig mit Atze verkehrten, waren Foma und Atze unzertrennlich gewesen. Bis Foma irgendwann gemerkt hatte, dass sein damaliger Freund ein wandelnder Magnet für Schwierigkeiten aller Art war. Auch wenn es nicht seine Absicht sei, erklärte er beschwörend, Atze würde einen mit sich hinunter ziehen… Und ich fragte mich, wie dieses Unten genau aussehen würde… Und hatte all das raus gemusst?… Und musste erst der Alkohol, die Hemschwellen durchbrechen und die Zungen lockern?… In wie weit hatte mein eigenes Verhalten dazu beigetragen?… Die Leute, die Gemeinschaften, dachte ich… Man konnte nicht in alle von ihnen hinein sehen… Konnte den Leuten nur vor den Kopf schauen. In der Masse verwuchsen sie miteinander zu einer unüberschaubaren Gewalt, zu einem Fremdkörper mit einer Vielzahl autonomer Köpfe und Gliedmaßen, greifender und abweisender Hände… Einem oberflächlich schizophrenen Wesen, dessen Charaktere von im Grunde gleichartigen Wünschen angetrieben wurden, dabei jedoch nicht über eine einheitliche Schulung verfügten, die sie dazu befähigte, auf gemeinsamen Pfade zur Erfüllung dieses geteilten Wunsches zu gelangen… Scham wallte in mir auf… Man müsste sich doch arrangieren können… Und ich kam mir gewaltsam moralisiert vor… Freunde und die sogenannte Gemeinschaft, das waren… Aspekte der sozialen Kontrolle.

»Der Kerl kriegt nichts auf die Reihe. Yebanko! Auch wenn du aus Mitleid mit ihm abhängst, wird niemand es dir danken. Ich kenn ihn lange genug! Glaub mir ich weiß wie er ist! Es ist Zeitverschwendung. Ihr glaubt mir gar nicht, was ihr alles verpasst…« Und er ratterte ein oder zwei Anekdoten runter, um uns unsere Versäumnisse zu veranschaulichen.

»Der Atze hat doch noch nie in seinem Leben auch nur an ner Möse gerochen«, sagte er dann… »Meidet den Typen! Ich kenn euch doch! Ihr könntet viel mehr anstellen als den ganzen Tag nur rumzuhängen, euch zuzudröhnen und alle anderen zu ignorieren. Ihr tretet auf der Stelle! Ich sags euch! Bljad!«

Wie das so ist, wenn man vom Teufel spricht, kommt er schleichend um die Ecke. Immerhin wohnte er ja nur ein paar Häuser weiter. Das hatte uns gerade noch gefehlt. Zunächst begrüßten er und Foma sich noch halbherzig. Dann gingen die Diskussionen weiter. Atze mischte sich ein. Er geriet mit Foma aneinander… Sie schnautzten einander an… Foma, der nicht faul gewesen war und sehen ließ, was er sich in der Muckibude antrainiert hatte, schubste den Kontrahenten mühelos von sich, worauf der ungeschickt torkelte, beinahe über die eigenen Füße fiel und auf Abstand ging… Doch er hörte nicht auf, trotz seiner Unterlegenheit wie von Sinnen die Klappe aufzureißen, und bellte Beschimpfungen… Es würde eskalieren… Ein erneutes Annähern der Kontrahenten… Sascha, selbst noch der Kräftigste von allen, ging endlich dazwischen, da Foma mit geballten Fäusten und einem schmetternden »Poshel ty na chuj!« auf Atze losging, und brachte die Beiden auseinander… Atze nahm einen Schluck von seinem mitgebrachten Bier und spuckte aus, während er gleichzeitig ein paar Schritte zurück machte, murmelte mehr beleidigt als drohend noch irgendetwas unverständliches in sich hinein, bleib stehen und saugte dann betreten an seinem Bier, so als bereute er den an die Straße verschwendeten Schluck.

Kurz darauf löste man sich auf. Sascha und ich zogen mit dem Geschlagenen ab und brachten ihn bis zur Haustür… Die andere Partei ging zurück zur Feier… Sie sagten, wir sollen uns melden… Noch auf dem Rückweg, versuchte Atze das niedergerissene Bollwerk seiner Coolness mit großen Tönen zu überspielen… »Guck dir den Kasachen doch mal an. Was will der denn der Muskelzwerg? Meint sich aufspielen zu können! Soll froh sein, dass er keine gekriegt hat! Den hätt ich schon noch umgehauen!…« Eine Szene wie im Paviankäfig… Zum Lachen eigentlich… Und doch stieß es mir übel auf… Und ich begab mich auf den Weg nach Hause.

Lowlife

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