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ОглавлениеWährend die Pröpstin und der Stiftshauptmann sich in vertrautem Gespräch zueinander neigten und die Äbtissin träumerisch in die Ferne blickte, trat eine Kammerjungfrau ein, nahte sich der Fürstin und sprach nach einer halben Kniebeuge leise Worte zu ihr.
Eine freudige Überraschung strahlte aus Juttas Antlitz, und nachdem sich auf einen Wink die Kammerfrau wieder entfernt hatte, rief die Äbtissin schier jubelnd den anderen beiden zu: „Was meint ihr, welche Meldung ich soeben erhielt? – Graf Albrecht von Regenstein ist im Schloßhof vom Pferd gestiegen. Nun bin ich begierig zu hören, ob er nach Halberstadt zum Bischof reiten wird.“
„Da komm' ich schnurstracks her, gnädigste Domina!“ klang es augenblicks von der offenen Tür, und auf der Schwelle erschien Graf Albrechts hohe Gestalt, von Kopf zu Fuß im Panzerhemd, das aus lauter kleinen Eisenringen geflochten war, und über welches sich ein kurzer, ärmelloser Waffenrock von dunkelroter Farbe schmiegte.
„Habt Ihr ihm zugesagt oder abgesagt?“ frug die Äbtissin dem Eintretenden lebhaft entgegen.
„Keines von beidem war nach der Zwiesprach, die ich mit ihm hatte, noch vonnöten!“ erwiderte der Graf.
„Hattet Ihr Streit mit dem Bischof?“
„Man könnte es fast so nennen!“ lachte er, indem er auf eine Handbewegung der Äbtissin ihr gegenüber am Tische Platz nahm. „Denkt Euch, Domina, wie mir der Gesalbte des Herrn in die Wolle gegriffen hat! Vor etlichen Monden bietet er mir Burg Schwanebeck zum Tausch gegen Schloß Emersleben, weil jenes allernächst bei Halberstadt und dieses unserem Hause Crottorf bequemer liegt. Ich war es zufrieden, und wir wechseln die Handfesten darüber aus. Wie er mir die seinige schickt, sehe ich nur nach der Unterschrift des Bischofs und werfe das Ding ungelesen in den Kasten. Jetzt fordert er mich auf, als sein Lehensträger zur Inthronisation zu kommen. Lehensträger? denk' ich und reibe mir die Augen, du des Bischofs Lehensträger? Da fährt mir's wie ein Blitz durch den Kopf, ich hole die Schwanebecker Schrift hervor, und meiner Seele! es ist kein Kaufbrief, sondern nur ein Lehensbrief über die Burg. Ich springe in den Sattel, jage hinüber und stelle den Bischof zur Rede. Da antwortet er mir: er wäre nicht geständig, etwas Verbindliches Kaufs halber mit mir verhandelt zu haben; Kirchengut wäre ihm nicht feil, das könnte er nur zu Lehen geben; ich hätte es ja schwarz auf weiß. Solcher Untreue hatte ich mich nicht versehen, wollte den Tausch rückgängig machen und meine sechshundert Mark Wersilber heraus haben, die ich ihm noch darauf gegeben hatte. Aber der ehrsame Herr lachte mich aus, er hätte meinen gesiegelten Kaufbrief, und Schloß Emersleben wäre in guten Händen. – Was sagt Ihr zu dem Stücklein, Domina?“
„Ein Schelmenstück ist es!“ erwiderte die Äbtissin.
„Nicht wahr? Nun ich habe ihm den Hafer ausgedroschen und mir den Handel ins Achtbuch geschrieben“, sagte der Graf in aufloderndem Zorne.
„Als Andenken daran, daß Ihr es nicht vergeßt, habt Ihr ja nun auch Schwanebeck zu Lehen, Herr Graf“, spottete Kunigunde.
„Ich danke Euch für den Trost, gefühlvollste aller Pröpstinnen!“ versetzte der Graf.
Die Äbtissin aber wandte sich zu ihrem Kanzler und sagte: „Nun, Herr Stiftshauptmann, heißt das Farbe halten?“
„Der hochwürdigste Bischof ist ein weltläufiger und gar geschwinder Herr“, erwiderte der also Gefragte. „Ihr habt ihn bei dem Tauschgeschäft wohl falsch verstanden, Herr Graf; denn er pflegt sonst vornehm und gering reinen Wein einzuschenken.“
„Hütet Euch, daß ein solcher Ehrentrunk nicht auch einmal an Euch gelangt, Herr Willekin!“ warnte der Graf. „Ihr Herren Quedlinburger scheint zwar mit dem Bischof auf einem sehr guten Fuß zu stehen.“
„Warum sollten wir nicht? er hat uns nie ein Leids getan.“
„Aber er macht Euch Leute zu Feinden, die besser Eure Freunde wären!“
„Ad exemplum den edlen Grafen Albrecht von Regenstein. Ihr habt es uns merken lassen, Herr Graf!“
„Daß Euch das Wetter, Herr! Ihr sollt es noch anders merken!“ brauste der Graf und stieß mit dem Schwert auf den Boden.
„Heia! was gibt es zwischen euch, ihr Herren?“ frug die Äbtissin lachend.
„O ich habe noch einen anderen Span mit dem Bischof“, erwiderte der Graf finster. „Er ist meiner Gerichtsbarkeit ins Gehege gekommen, hat hier in der Stadt ohne mein Wissen und Willen ein geistlich Gericht bestellt, und der Rat scheint mit ihm unter einer Decke zu stecken, denn er läßt ihn gewähren und leistet ihm Vorschub mit seinem Aftergericht. Zwei Hintersassen waren vor meine Dingbank geladen, haben sich aber nicht gestellt, sondern hier in der Stadt vom Rektor an Sankt Ägidien Recht genommen. Da habe ich mir als Geiseln ein paar Quedlinburger gefangen und eingelegt.“
„Die aber ganz unschuldig sind“, warf der Stiftshauptmann ein.
„So liefert mir die Schuldigen aus, daß ich ihrem Beschulden nach mit ihnen verfahren kann. Bis dahin und so lange Ihr ein bischöflich Gericht in Euren Mauern duldet, will ich der Stadt Fein sein“, entgegnete der Graf mit großer Heftigkeit.
„Habt Ihr dem Bischof seinen Übergriff nicht vorgehalten?“ frug die Äbtissin.
„Mit recht deutlichen Worten, gnädige Domina!“ erwiderte der Graf und bewegte dabei zum größeren Nachdruck nickend das Haupt. „Wißt Ihr, was er mir darauf antwortete? – Geistlich Recht ginge vor weltlich Recht, sein Krummstab reichte weiter als mein Schwert!“
„Und Ihr?“
„Ich schlug mit der Faust auf den Tisch, daß er krachte, und schrie den Bischof an: Dann sehet zu, wie sich krumm und grade miteinander verträgt! Danach saß ich flugs auf, trabte hierher – und da bin ich!“
„Und dabei laßt Ihrs bewenden?“
„Daß ich ein Narr wäre!“ lachte der Graf. „Ehe mein hinterlistiger Namensvetter auf seinem bischöflichen Throne sitzt, sitz' ich wieder in Schloß Emersleben, und wenn ich jeden einzelnen seiner eingenisteten Pfaffenknechte kopfüber von den Zingeln in den Graben werfen soll. Bin ich damit fertig, so kommen die Herren Quedlinburger an die Reihe. Ich will ihnen zeigen, wer hier Gerichtsherr ist, ich oder der Bischof!“
„Gräfin Kunigunde“, sprach die Äbtissin sich rasch erhebend, „wir gehen nicht nach Halberstadt!“
„Domina!!“
„Wir gehen nicht nach Halberstadt!“ wiederholte sie herrisch befehlend.
„Jesus, mein Beistand! das kann Euer Ernst nicht sein!“ jammerte Kunigunde, „es wäre nicht zu verantworten!“
„Ihr braucht es ja nicht zu verantworten, das tu' ich!“ erwiderte Jutta.
Die Pröpstin seufzte und sandte einen verzweifelten Blick gen Himmel.
Der Stiftshauptmann rückte ärgerlich auf seinem Sessel und begann: „Aber unter welchem Vorwande, gnädigste Frau –“
„Vorwand?“ sagte Graf Albrecht, der sich zugleich mit der Äbtissin erhoben hatte, „braucht es eines Vorwandes, wenn die Fürstin von Quedlinburg den Bischof von Halberstadt meiden will? Aber wenn Ihr darum verlegen seid, Herr Stiftshauptmann, so will ich Euch einen Vorwand sagen. Dem Bischof fehlt die Konfirmation des Heiligen Stuhles. Der Papst hat den Herzog Albrecht nicht bestätigt und wird ihn nie bestätigen.“
„Wie wollt Ihr das wissen, Herr Graf?“ frug die Pröpstin herausfordernd dazwischen.
„Das schreibt, Herr Willekin!“ gebot aber schnell die Äbtissin. „Schreibt dem Bischof, nächst des Kaisers Majestät wäre der heilige Vater unser Oberherr; wir könnten uns daher an einer Weihe nicht beteiligen, die ohne den päpstlichen Segen in unseren Augen keine rechte Weihe wäre.“
„Gut, gut!“ frohlockte der Graf.
Der Stiftshauptmann schüttelte den grauen Kopf und sagte: „So erlaubt wenigstens, gnädige Fürstin, daß ich nach Halberstadt reite und Eure Ablehnung beim hochwürdigsten Bischof mit allem Glimpf selber ausrichte.“
„Tut das, Herr Stiftshauptmann!“ erwiderte die Äbtissin, „meinen Willen wißt Ihr.“
„Das soll nicht geschehen“, widersprach der Graf.
„Herr Willekin reitet nach Halberstadt“, befahl die Äbtissin erhobenen Hauptes. „Euer Einspruch ändert daran nichts, Herr Graf!“
Graf Albrecht lachte hell auf: „Meinetwegen, laßt ihn auf allen vieren zum Bischof kriechen, hochgebietende Fürstin und Domina!“
Der Äbtissin schoß das Blut in die Wangen; zürnend wandte sie sich ab.
Der Stiftshauptmann war beleidigt aufgefahren, zu einer raschen Erwiderung bereit, aber ein stolzer Blick des Grafen band ihm die Zunge. Mit einem gnädigen Nicken gab die Äbtissin ihm Urlaub; er verließ das Gemach und begab sich von der Burg hinab in die Stadt zu geheimer Unterredung mit dem Bürgermeister und einigen Ratsherren.
Gräfin Kunigunde freute sich über die dem Grafen erteilte Zurechtweisung ebenso sehr, wie sie der Äbtissin die darauf erfolgte Antwort desselben gönnte. Selber jedoch verstimmt, daß sie mit ihrem schon so oft erprobten Rate nicht durchgedrungen war und die Äbtissin unter dem Einflusse des übermütigen Grafen von Regenstein wieder einmal einen großen Fehler beging, zog auch sie sich nach einem sparsamen Gruße zurück und ließ die Äbtissin mit ihrem mächtigen Schutzvogt allein.
Graf Albrecht machte eine tiefe Verbeugung hinter der mürrisch Davonsegelnden her und sagte dann: „Die Gunst unserer holdseligen Pröpstin hab' ich einmal wieder verspielt und muß nun ihre Ungnade tragen.“
Die Äbtissin antwortete nicht; sie stand am Fenster und schmollte. Des Grafen höhnisches Lachen hatte sie sehr empfindlich berührt, und sie wartete nun auf ein versöhnendes Wort aus seinem Munde. Hatte er denn nicht gemerkt, was in ihrem Schwanken zwischen Annahme und Ablehnung der bischöflichen Einladung den Ausschlag gegeben hatte? Freilich, – seiner großen Erregtheit mußte man etwas zugute halten, und Jutta hatte ihn gereizt. Das tat ihr jetzt leid, und an ihr war es, nun wieder einzulenken. Er mußte noch etwas Besonderes auf dem Herzen haben, daß er nicht ging. Sie wollte ihm zu Hilfe kommen.
Sich zu ihm wendend sprach sie ein wenig schüchtern: „Herr Graf, was glaubt Ihr, daß der Bischof tun wird, wenn wir beide nicht zu seiner Weihe kommen?“
Der Graf zuckte die Achseln und erwiderte: „Zunächst wird er sich gründlich darüber ärgern, und das gönn' ich ihm.“
„Wird er meine Bedenken wegen des Papstes gelten lassen?“ frug die Äbtissin weiter.
„Schwerlich“, versetzte der Graf.
„Aber dann wird er nach einem anderen Grunde suchen, vielleicht wähnen, daß ich nur Euch – daß nach Eurem Streite –“
„Daß Ihr nur mir zu Liebe wegbliebet?“ ergänzte der Graf. „Nun, laßt ihn doch in dem Irrtum, er hat ja keine Gewalt über Euch.“
Jutta schwieg und machte sinnend einige Schritte auf und ab. Endlich sagte sie: „Was meint Ihr, Herr Graf, wenn ich schon vorher zum Bischof ginge und versuchte, euch zwei miteinander zu befrieden?“
„Ich sage Euch so freundlichen Willens und Erbietens großen Dank, Domina!“ erwiderte der Graf, „aber ich nehme das Opfer nicht an.“
„Das Opfer, Graf Albrecht, bring' ich Euch gern“, sprach Jutta, „Ihr habt mir schon mehr als eins gebracht.“
„Dafür bin ich Euer Schutzvogt, Domina!“
„So laßt mich auch einmal Euer Schutzvogt sein!“ bar sie fast schmeichelnd.
„Nein, nein! Ihr dürft nicht nach Halberstadt, am allerwenigsten meinetwegen“, entschied der Graf. „Der Bischof will keinen Frieden mit mir. Und wenn Ihr darum selber zu ihm kämet und mit der Wärme, die ich an Euch kenne, meine Sache bei ihm führtet, so würde er denken –“ Er vollendete nicht und preßte die Lippen zusammen, als sollte das Wort nicht darüber hinaus.
„Nun? was denn? was würde er denken?“
„Ich bring' es kaum heraus“, sagte der Graf.
„Sprecht es nur aus, Graf Albrecht“, lächelte Jutta dicht vor ihm stehend mit leuchtendem Blick, und ihre Brust hob sich in raschem Atemgange.
„Ihr werdet mich auslachen.“
„Wartet das ab!“ sprach sie leise, mit tiefem Erröten die Augen niederschlagend.
„Er würde denken, – daß ich mich vor ihm fürchte!“ stieß der Graf heraus.
Die Äbtissin hatte etwas ganz anderes erwartet. Sie trat einen Schritt zurück. „Ja, ja, – ganz recht, – Ihr habt ganz recht, – was sollte er auch anders denken?“ sprach sie vor sich hinstarrend. Plötzlich warf sie den Kopf hoch und sagte schnell: „Übrigens könnten wir Euch auch kaum verteidigen, Herr Graf; es kommen zu viele Klagen über Euch.“
„Die Verteidigung gegen meine Kläger führ' ich am liebsten selber, Domina!“ erwiderte der Graf bestimmt.
„Wenig kümmert uns, was Ihr in Eurer Grafschaft tut, aber im Stiftsgebiet solltet Ihr billig Frieden halten“, sprach sie in verweisendem Tone.
„Ist Euer Frieden gestört, gnädige Frau?“
„Ihr umlauert unsre gute Stadt Quedlinburg und fangt ihre Bürger weg. Das ist Friedensbruch, Herr Graf! Aber das nicht allein. Die Mönche von Sankt Wipertihausen tun gar übel hier unter unseren Augen. Ihr wüstes Treiben ist ein Ärgernis für Rat und Bürgerschaft“, erwiderte die Äbtissin immer heftiger werdend.
„Und das soll meine Schuld sein?“
„Ihr haltet die Hand über sie, habt ihr Kloster befestigt wie einen Burgstall. Was soll das? Habt Ihr nicht genug an der Gunteckenburg hier dicht vor den Toden der Stadt?“
„Aha!“ lachte der Graf, „da hängen die Glocken, die mir so liebliche Vesper läuten! Rat und Bürgerschaft schilt den unbequemen, allzu wachsamen Nachbar. Gnädigste Domina, laßt's Euch nur gefallen, wenn ich Eure gute Stadt Quedlinburg scharf im Auge behalte; es ist nicht für mich, sondern für Euch. Denen da unten schwillt der Kamm gewaltig, seit sie zum Hansabund gehören; jetzt sind sie mir widerhaarig, nächstens bedrohen sie Euch, wenn wir ihnen nicht fest auf dem Dache sitzen.“
Da blickte sie ihn wieder freundlich an und sagte: „Ist's so gemeint? in der Sorge um mich? Das hab' ich nicht gewußt, das hatt' ich nicht gedacht, Graf Albrecht!“
„Was soll ich viel Rühmens darum machen!“ erwiderte er. „Aber eins wollt ich noch fragen, Domina. Ist's Euch bekannt, wie es auf der Lauenburg aussieht?“
Die Lauenburg! Also darum war er bei ihr geblieben. Ein rascher Gedanke kreiste hinter Juttas von dunklem Haar umwallter Stirn, und sie sagte bedächtig: „Ich weiß, Leutfried liegt schwer danieder; wir werden bald einen neuen Burgvogt einsetzen müssen.“
„Es ist ein wichtiger Platz, Domina! Die Lauenburg verlangt einen sicheren Mann“, bemerkte der Graf.
„Den ich seinerzeit zu finden hoffe“, gab sie lächelnd zur Antwort und fügte einer Erwiderung ihm zuvorkommend, mit beredtem Blick hinzu: „Habt Geduld wie ich; nicht hinter Eurem Rücken geb ich die Burg in andere Hände.“
„Dessen getröst' ich mich, Domina! Lebt wohl!“
„Auf Wiedersehen, Herr Graf!“
Sie reichte ihm die Hand, und Graf Albrecht ging.
Die Äbtissin stand mitten im Zimmer und blickte ihm nach. „Die Lauenburg!“ lächelte sie und drohte mit dem Finger nach der geschlossenen Tür.
Der Graf ritt den steilen Weg vom Schloßberg vergnügten Sinnes hinab. Er hatte erreicht, weswegen er gekommen war: die Äbtissin fuhr so wenig zur Inthronisation wie er und seine Brüder. Er lachte sich ins Fäustchen, indem er dachte, wie der Bischof sich fuchsen würde, wenn die Ersten und Mächtigsten im Gau bei seiner Weihe fehlten. Mochten dann die lieben Vettern, die Grafen von Blankenburg, die ja den Regensteinern in allen Dingen das Widerspiel hielten, mitsamt den Wernigerödern sich dort breit machen und dem dünkelhaften Bischof Weihrauch streuen, so viel sie wollten. Ob die anderen Harzgrafen aus dem Schwabengau und Helmgau erscheinen würden, war immerhin sehr zweifelhaft; sicher nicht, wenn ihnen Albrecht eine abratende Botschaft sandte. Der Bischof sollte sich umsehen nach allen denen, die fehlten, und dem Grafen war es gerade recht, wenn jener von Willekin von Herrkestorf erfuhr, wie es nur sein, Albrechts Werk war, daß die Äbtissin von Quedlinburg mit ihren vornehmen Kapitularinnen ausblieb. Dann mochte der geistliche Herr nur an Schwanebeck denken und an seinen langen Krummstab, mit dem er dem Grafen von Regenstein zu drohen gewagt hatte.
Und was die Lauenburg betraf, die mit ihrem Gebiet teils an den Stadtforst der Quedlinburger, teils an die großen Harzforsten der Blankenburger Vettern grenzte, – nun, die Äbtissin hatte ihm ja versprochen, nicht ohne seinen Rat den neuen Burgvogt zu wählen. Das wäre da oben in den waldumrauschten Bergen so ein Horst für seinen herzlieben Siegfried, den jüngsten, blühendsten, blondesten der sechs Regensteiner Brüder. Und Jutta? Welchen Wunsch würde sie ihm nicht erfüllen? Hatte er doch heute wieder recht deutlich gesehen, wie sehr sie ihm gewogen war. Ja, er war überzeugt, daß die schönheitsstolze, sehnsuchtsdurchglühte Domina ihren reichsunmittelbaren Fürstenthron lieber heute als morgen mit einem andern, weniger einsamen Platze vertauschte, wenn –
„Ho! ho! ho! Brun! Brun! was ist denn?“ sprach der Graf laut zu seinem Braunen und klopfte ihm den kräftigen Hals, um das scheuende Tier zu beruhigen. Es hatte, von einem Steinwurf getroffen, plötzlich ein paar heftige Sprünge gemacht, deren Ursache dem Reiter verborgen blieb, denn der Bube, der den Stein geschleudert hatte, der Sohn eines der vom Grafen gefangen gehaltenen Quedlinburger, hielt sich versteckt.
„Das kommt davon, wenn man sich mit eitlen Gedanken trägt, statt sein Rößlein am Zügel zu haben“, sagte der Graf im Weiterreiten zu sich selber. „Wenn die das gesehen hätte, an die ich in dem Augenblick dachte!“
Sie hatte es gesehen, auch den Steinwurf. Die Äbtissin folgte von ihrem Fenster aus dem langsam Dahinreitenden mit den Augen und hatte ihre Freude daran, wie sich die Sonnenstrahlen auf der blanken Eisenhaube des Ritters blitzend spiegelten. Als sie nun das kleine Abenteuer des im Sattel Träumenden gewahrte, rief sie empört: „O diese nichtswürdige Brut! Er hat ganz recht, dies Stadtvolk muß kurz gehalten werden, sonst schlägt es über die Stränge!“
Bald sah sie, wie der Graf vor dem Zugange zur Gunteckenburg hielt, die zwischen dem Münzenberge und dem Wipertikloster lag. Er ließ sich den Vogt herausrufen und sprach lange mit ihm ohne vom Pferde zu steigen. Dann trabte er dem Kloster zu, und in den Hof desselben einreitend, entschwand er ihren Blicken.
„Nun geht er doch wieder zu diesen argen ›Kindern unserer Liebe‹, – so pflegte die selige Bertradis die Mönche zu nennen, mit denen sie im steten Kampfe lag – oder will er dem sündhaften Prior nur unser zunehmendes Mißfallen verkünden?“ sprach sie zu sich. „Geh nur, Heldenherz! Dir folg ich auf jedem Wege.“
Im Klosterhofe sprang der Graf aus den Bügeln. Ein Laienbruder nahm ihm das Roß ab und frug: „Soll ich Brun abzäunen, Herr?“
„Nein“, antwortete der Graf, „ich halte nur kurze Rast, um einen Vespertrunk zu tun und euch die Glatzen zu scheuern. Wo ist der würdige Bavo?“
„Im – im –“
„Im Refektorium natürlich!“ lachte der Graf, „bei feuchter Abendmette; das konnte ich mir denken.“
„Herr, morgen ist der Tag des heiligen Eustathius des Standhaften“, sagte der Bruder.
„Und den müßt ihr ja feiern!“ erwiderte Graf Albrecht. „Gut! helfen wir bei den Vigilien Eustathius des Standhaften!“
Und er trat in das Klostergebäude.