Читать книгу Mondgruß - Juna Herold - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеSchweiß. Der mir in feinen Bahnen den Rücken herunterläuft, obwohl ich mich nur auf der Stelle bewege. Mich würde gerade brennend interessieren, warum ich locker die Treppen bis in den dritten Stock hinauf spurten kann, aber schon bei einer so einfachen Yoga-Übung wie dem Mondgruß ins Schwitzen komme, dass ich schier davonfließe.
„Fühlt eure Energie, spannt eure Oberschenkel an, Nase und Stirn berühren die Knie, ihr müsst die Spannung spüren. Ja, so ist es richtig, ihr dürft zwischen den Schultern nicht durchhängen.“
Luc, der nicht nur den Kurs leitet, sondern auch Inhaber der Yoga-Schule ist, wandert durch die Reihen der Teilnehmerinnen und korrigiert hier und da Positionen. Seine schmeichelnde Stimme versucht, noch tiefer in mein Bewusstsein einzudringen, schafft es aber nicht, weil ich mich gerade zum tausendsten Mal frage, warum ich mir das hier überhaupt antue. Ein kurzer Blick nach links beantwortet mir diese Frage.
Vera zuliebe. Meine beste Freundin folgt den Erläuterungen des Trainers mit einer Hingabe, als ginge es hier nicht um Yoga, sondern um das Geheimnis der ewigen Jugend, nach dem sie schon so lange vergeblich sucht. Als ob sie sich darüber mit ihren knapp fünfunddreißig Jahren und dieser traumhaften Figur Sorgen machen müsste! Silbe für Silbe saugt Vera die Worte unseres Kursleiters in sich auf und je tiefer er ihr in den Ausschnitt guckt, desto zufriedener sieht sie aus.
Ich dagegen werde von hinten wieder aussehen wie ein übergroßes Streifenhörnchen, und das Einzige, was nachher bei mir alles aufgesaugt hat, wird mein T-Shirt gewesen sein.
„Spürt die Harmonie in eurem Körper, mit euch selbst und eurer Umgebung. Ihr dürft loslassen, ihr müsst nichts entscheiden. Legt eure Konzentration in den Bauch, den Sitz der Sonnenenergie.“
Vera macht bestimmt schon alles richtig, trotzdem bleibt Luc bei ihr wieder einmal länger als notwendig stehen und fährt mit seiner Hand ihren schmalen Rücken hinunter.
„Ja, so ist es gut, ich spüre die Energie“, flüstert er Vera ins Ohr.
Ein Glück, dass wir hier in der letzten Reihe stehen, geht es mir durch den Kopf, denn dieses intime Getuschel muss wirklich niemand mitbekommen. Ich verdrehe genervt die Augen und tue so, als hätte ich nichts gesehen. Gleich wird er Schluss machen, ich weiß es.
„So, meine Damen, ich glaube, das war genug für heute, die Stunde ist um“, sagt er und mir hätte eigentlich gerade nur noch gefehlt, dass er dabei nicht in die Hände klatscht wie die alten Sportlehrerinnen in der Schule.
An sich kann ich ihn ja gut verstehen, denn an mir und meinem Mondgruß hätte ich heute an seiner Stelle auch nichts mehr korrigiert. Stattdessen habe ich gerade auch nur noch einen Wunsch: schnell raus aus diesen engen, feuchten Klamotten!
Ich lege meine Matte auf den Stapel zurück und rolle mein Handtuch zusammen. Auf dem Gang höre ich schon, dass sich die anderen Frauen nicht mehr in der Umkleide, sondern schon ratschend im Duschraum befinden und das nicht ohne Grund, denn hier lohnt es sich tatsächlich schnell zu sein. Irgendetwas stimmt mit der Warmwasserversorgung nicht, denn für die Nachzügler in der zweiten Duschrunde ist das Wasser jedes Mal zu kalt.
Wie immer waren Vera und ich zu langsam.
„Yeah“, macht sie und hält sich die leere Wasserflasche vor die Nase.
„Das kannst du laut sagen“, bestätige ich, lasse mich neben sie auf die Bank fallen und trinke auch einen großen Schluck. Selbst nach dem ist bei mir aber immer noch die Hälfte in der Flasche, obwohl ich viel mehr in mich hineinfüllen müsste als meine beste Freundin. Die schafft es tatsächlich, auch am Ende einer solchen Stunde noch auszusehen wie frisch aus dem Ei gepellt.
„Ich habe echt langsam das Gefühl“, sage ich und wische mir über die Stirn, „dass das hier nicht so ganz das Richtige für mich ist.“
„Was? Wenn man schwitzt wie ein Schwein, ist es doch genau richtig“, entgegnet Vera.
„Frau Hoffmann“, sage ich mit gespielter Empörung, „ich danke Ihnen für das Schwein! Bis gerade eben dachte ich noch, dass ich aussehe wie ein Streifenhörnchen.“
„Dreh dich mal um, Frau Weiss!“, befiehlt mir Vera und ich tue wie geheißen.
Sie wiegt den Kopf. „Meine liebe Fi, du siehst eher aus wie ein geflecktes Streifenhörnchen.“
Ich sehe sie strafend an. Sie weiß genau, dass ich auf Fi allergisch reagiere, weil mich das an die schöne Fiona aus Vier Hochzeiten und ein Todesfall erinnert, und für diesen Vergleich bin ich erstens zu rotblond und zweitens viel zu pummelig. Außerdem heiße ich Sophia und nicht Fiona.
Vera zuckt mit den Schultern und macht ihr Schmollgesicht. „Du wolltest hören, wie du von hinten aussiehst. Ich war nur ehrlich.“
„Ach, ich meinte doch meinen Spitznamen“, beschwichtige ich schnell, damit sie nicht gleich wieder beleidigt sein muss, und krame in der Tasche nach meinem Duschbad, das sich wie immer versteckt hat.
„Oh, sorry, Fi rutscht mir immer noch so raus. Ich werde an mir arbeiten, liebe Sophia.“
„Na, geht doch!“ Ich halte triumphierend mein Duschbad hoch. „Aber sag mal ernsthaft, das gibt’s doch echt nicht, dass man sich für total fit hält und dann bei ein paar lockeren Entspannungsübungen so versagt!“
„Entspannungsübungen nennst du das hier? Lass dir das mal von Luc genauer erklären! Die innere Energie auf die Mitte zu konzentrieren kostet unglaublich viel Kraft und da schwitzt man eben als Anfänger. Aber ich merke schon, dass es jedes Mal einfacher wird. Überhaupt wird die Kondition ganz generell besser.“
Ich schaue Vera an und weiß plötzlich sehr genau, auf welche Art von Kondition sie hinausmöchte, die da bei ihr ganz generell besser wird.
Aber um die zu beweisen, bräuchte man ihrer Ansicht nach erstens ein Bett und zweitens einen Mann darin. Ein derartiges Wesen hat man aber schon lange nicht mehr an meiner Seite gesehen, geschweige denn in meinem Bett.
Gleich wird sie mich wieder darauf hinweisen, dass ihr mein letzter bemannter Sex entschieden zu lang her ist, auch das sehe ich ihr gerade ganz genau an.
„Solltest du übrigens auch endlich mal wieder ausprobieren, das tut echt gut“, sagt sie prompt und nickt, als müsste sie damit ihre eigenen Worte bestätigen. „Sex hält nämlich Leib und Seele zusammen.“
„Essen, meine Liebe, Leib und Seele hält man mit Essen zusammen.“
„Ach was“, entgegnet sie grinsend. „Ohne Sex kein Leben.“
Ich grinse auch. Wie könnte ich da widersprechen? „Neues auf jeden Fall“, schmunzle ich.
„Ich glaube, du stellst dich gerade wieder einmal absichtlich dümmer, als du bist.“ Sie schnappt sich ihr Handtuch und die edle Spezialcremedusche aus dem Kosmetikladen. „Oder hast du schon vergessen, wie das überhaupt geht?“
„Ich weiß schon noch, wie das geht, keine Sorge“, antworte ich, weil ich weiß, zu welchen Ausführungen ihrerseits mein Schweigen an der Stelle führen würde.
Leider kommen gerade keine Duscherinnen in die Umkleide zurück und sorgen dafür, dass ich mit Vera das Thema Die Männer und Sophias Chancen, ihr todgeweihtes Sexualleben wiederzubeleben nicht weiter vertiefen muss. Um mein nur nach außen hin stillgelegtes Liebesleben sollte sie sich wirklich keine ernsteren Gedanken machen, ich bin schließlich auch mit der Do-it-yourself-Variante glücklich und zufrieden.
Ich versuche jetzt einfach mein Glück, ihrem Vortrag zu entkommen, indem ich mir mein nicht ganz so edles Duschbad aus dem Supermarkt und das Handtuch schnappe und von der Bank aufstehe. Vera auch, dem Himmel sei Dank.
„Du weißt ja, dass ich mich umsehe, wo ich geh und steh“, sage ich auf dem Weg zur Dusche und nur ich selbst weiß, dass das nicht ganz ehrlich ist.
„So? Weiß ich das? Ich meine das schon ernst. Schau dich mal an! Du bist jetzt in den besten Jahren, jünger wirst du bestimmt nicht mehr, glaub es mir. Wenn du mal alt und runzelig bist, schaut dich bestimmt keiner mehr an!“
„Ist ja schon gut, du alte Schachtel“, lache ich und treibe Vera vor mir her über den Gang.
Fürs Erste ist damit das Thema abgehakt, diesmal hatte ich Glück. Wenn ich an einer solchen Stelle Pech habe, rät sie mir zu einer Kontaktanzeige im Käseblatt, zu einer der vielen Dating-Agenturen oder sogar zum Speed-Dating. Alles schon dagewesen, insofern bin ich gerade vergleichsweise ungeschoren davongekommen.
„Na?“, fragt Vera unsere Kurskolleginnen, die schon fertig geduscht haben. „Habt ihr uns diesmal noch was im Boiler gelassen?“
„Geht gerade noch so“, antwortet eine, wickelt sich ihr riesiges Saunatuch zweimal um ihren Traumbody und trippelt auf Zehenspitzen hinaus.
„Tse, Angst vor Fußpilz, aber dann ewig duschen“, lästert Vera. „Und warum haben sie aufgehört? Weil das Wasser wahrscheinlich schon wieder so kurz ist!“ Sie hält Daumen und Zeigefinger im Abstand von fünf Zentimetern.
Ich finde es lustig, wenn eine Frau die Wassertemperatur wie ein Mann anzeigt. Mir macht das kalte Wasser nichts aus. Wenn ich hier nur zu einer Katzenwäsche komme, habe ich wenigstens einen guten Grund, daheim noch einmal ausgiebiger zu duschen.
Unvorsichtigerweise dreht Vera den Hahn voll auf.
„Iiiih“, quiekt sie und springt zurück. „Das ist ja noch viel kürzer als gedacht! Das reicht nicht für eine Dusche.“
„Wir gehen also zusammen heim?“, frage ich scheinheilig, obwohl ich die Antwort kenne.
„Nee, das hieß nur, dass ich auf die nächste Runde warmes Wasser warte. Irgendwann wird der Boiler das ja wohl wieder haben, oder?“
Ich weiß Bescheid und schmunzle in mich hinein.
„Außerdem“, sagt Vera und schaut dabei unglaublich ernst, „muss ich dieses Problem dringend mit Luc besprechen. Wenn ihm das nicht bald jemand sagt, wird das warme Wasser hier bis zum Sankt Nimmerleinstag nicht für seine ganzen Damen reichen.“
Ich nicke begeistert. „Das musst du ihm sagen! Wenn nicht du, wer denn sonst!“
Vera kneift die Augen zusammen. „Was auch immer du damit gerade andeuten möchtest …“
„Ich wollte sagen: Nein, meine Liebe, es macht mir nichts aus, alleine heimzugehen. Ich werde es schaffen, großes Indianerehrenwort.“
„Bist ein Schatz.“
Ich muss über Veras Augenaufschlag grinsen. Mit dem erreicht sie bestimmt alles, was sie will. Alles. Und heute wird es nicht anders sein als in den letzten sechs Wochen: Wir sind von diesem Kurs am Mittwochabend noch nicht ein einziges Mal zusammen heimgegangen.
„Ich wünsch dir was …“, sage ich honigsüß, obwohl ich eigentlich ich wünsch euch was hätte sagen wollen, und hole mir einen Schmatzer links und einen rechts ab.
Der Rest der Nacht gehört Luc, dem jungen, blonden Charmeur, das wissen wir beide, und ich mache mich alleine auf den Heimweg.
Luc, der eigentlich Lukas heißt, ist heute Abend ein glücklicher Mann. Sympathisch ist er mir auch, mehr aber nicht. Ich finde ihn eher seltsam. Zum Beispiel, weil er es für nötig gehalten hat, irgendwo in seinem Stammbaum eine französische Wurzel auszugraben. Mit der Begründung, dass Luc für den Inhaber eines Yoga-Studios doch viel edler klingt als Lukas. Als ausgewachsener Startrek-Fan hat er sich natürlich auch darüber gefreut, dass ihn die Variante seines Vornamens dem legendären Captain Jean-Luc Picard ein Stück näher gebracht hat. Das hat er aber bestimmt erst so klar erkannt, als Vera es ihm gesagt hat.
„Mit Glatze kann ich mir dich gut vorstellen“, hat sie ihm am Eröffnungsabend seines Studios zugeraunt.
Durchaus berechtigt in meinen Augen, angesichts seiner bereits in jungen Jahren sehr ausgeprägten Geheimratsecken, denn älter als 25 scheint er mir nicht zu sein.
Er hat ihr daraufhin mit seinem Prosecco-Glas zugeprostet und ihr tief in die Augen gesehen. So war das. Denn wie es der Zufall so wollte, gibt es in diesem Studio nach unserem Kurs von halb acht bis neun keinen weiteren mehr und so darf auch Luc danach nach Hause gehen. Das tut er seit der zweiten Kursstunde schon nicht mehr alleine, denn in der ist er Vera endgültig verfallen. Nicht umgekehrt, da bin ich mir ganz sicher. Vera ist nämlich nicht für lange Beziehungen gemacht und er muss sich letztendlich auf etwas gefasst machen, sollte er ihr das eines Tages sagen, dass er in ihr die Liebe seines Lebens sieht. Manchmal habe ich mir schon überlegt, ob ich ihm die Wahrheit über Vera vielleicht lieber gleich erzählen sollte, schließlich bin ich – im Gegensatz zu diesem armen Tropf - in ihre Ansichten über Sex ohne Liebe eingeweiht. Aber dann sehe ich ihn wieder vor mir, so verliebt und genau aus dem Grund so unbeirrbar, dass ich es lieber bleiben lasse. Er würde mir ja doch nicht glauben und mir mit Sicherheit erklären, dass er sie schon noch davon überzeugen wird, der einzig Richtige zu sein. Und umgekehrt sie die einzig Richtige für ihn. Ich denke inzwischen: Bonne chance, Luc. Denn mehr als Glück kann ich ihm an der Stelle wirklich nicht wünschen.
Vera sonnt sich jedenfalls derzeit in seiner Anbetung für sie und sie steht auf Glatze. Noch hat Luc Haare auf dem Kopf, die Frage ist nur, wie lange noch, weil ich den leisen Verdacht habe, dass sie schon jede Woche etwas kürzer werden. Bis zu Jean-Luc Picard fehlen zwar noch ein paar Stufen mit dem Haarschneider, aber das bekommt Vera auch bald hin, wie ich sie kenne.
Ein bisschen dauert es noch, denn im Gegensatz zu Vera ist Luc kein Freund von schnellen Taten. Zwischen den beiden scheint es ganz gut zu klappen und wenn man ihr glauben darf es ist sogar die pure Harmonie. Was aber kein Wunder ist bei der inneren Energie, die Vera für ihn sammelt. Wahrscheinlich die ganze Woche, so wie sie strahlt.
Es zahlt sich immer wieder aus, was Vera und ich von Anfang an ausgemacht haben: Sobald sich bei einer von uns beiden irgendein Geturtel abzeichnet, räumt die andere – also ich - unaufgefordert das Feld. Praktischerweise ist unser Männergeschmack so grundverschieden, dass es mir noch nie schwergefallen ist zu gehen, wenn Vera jemanden an Land beziehungsweise ins Bett ziehen wollte.
Mit keiner ihrer Eroberungen hatte ich danach irgendwelche Tagträume, was man sonst von mir nicht gerade behaupten kann. Manchmal reicht schon ein vertrauter Geruch oder eine winzige Geste irgendeines Mannes und ich kann mich hingeben. Natürlich nur in Gedanken und völlig unsichtbar für alle anderen. Woher sollen die auch wissen, was mein Beckenboden gerade so treibt und mit wem?
Ja, neutral zu schauen kann man üben, denke ich dann immer und frage mich, wie viele Frauen das wohl außer mir noch so gut können.
Ich halte mich jedenfalls lieber von Männern fern, weil ich eine Frau bin, bei der das Herz das Sagen hat, ob und wann sie einen Typen näher an sich heranlässt.
Das sieht Vera ein bisschen anders. Sie sagt, dass wir Menschen zum Spaß haben auf Erden sind und dass sie nicht jedes Mal auf die große Liebe warten kann, wenn sie gerade Sex haben will. Und den braucht sie, weil er sie jung hält, das sagt sie auch. Vera holt sich neue Männer also in der gleichen Menge, wie sie sich neue Handtaschen kauft, und das sind bei ihr nicht gerade wenige. Sex ist für sie nur das, was er ist: nämlich Sex.
„Mit mir gibt es keinen Streit und keine faulen Kompromisse“, hat sie mir schon erklärt. „Wer das versucht, dem zeige ich, wo die Tür ist, das ist ganz einfach. Ich kann das Leben leben, das sich alle Frauen wünschen.“
An der Stelle habe ich nur ein einziges Mal zweifelnd meine Augenbrauen gehoben, weil ich da noch dachte, dass es etwas helfen könnte, Vera zu sagen: Du darfst nicht einfach von dir auf andere Frauen schließen.
„Na gut, die allermeisten Frauen wünschen es sich und beneiden mich darum“, hat sie sich korrigiert. „Und das alles nur, weil sie sich wegen ihrer ganzen prüden Erziehung nicht trauen, so zu leben wie ich. Es ist doch eigentlich ganz einfach, natürlich zu sein.“
„Ich bin nicht prüde erzogen worden und die Dinge sind ganz bestimmt nicht so einfach, wie du tust“, habe ich gesagt und danach das erste Mal von dem mausgrauen Sofa gehört, das sie seit ihrer Ausbildung zur Raumausstatterin kennt und oft zitiert. Das ist dann, wenn Vera zu mir sagt: „Weißt du, wie du klingst? Wie das Ehepaar von Loriot, das sich endlich nach hundert Jahren das Sofa neu beziehen lassen will, aber in der alten Farbe. Denn eigentlich waren sie ja mit dem Mausgrau ganz zufrieden.“
Als sie das so zu mir gesagt hat, kam ich mir richtig klein und dumm vor und habe mich gefragt, ob meine Welt nur für mich so bunt aussieht. Ist sie es in Wirklichkeit gar nicht?
Inzwischen denke ich, dass ich meine Welt auch weiterhin so sehen möchte und das ist dann eben nicht so, wie sie die Welt sieht.
Ich habe den einen Mann, der für mich bestimmt war, schon getroffen und jetzt ist er tot, ich lebe aber noch und habe nur noch meine Erinnerungen an ihn. Die müssen mir genügen, weil ich keine One-night-stands und schon gar keine Affären mag, die irgendwo auf der anderen Seite ein Lebensglück oder ein Familienidyll zerstören. In Veras Augen bin ich, was das betrifft, schrecklich altmodisch und unaufgeschlossen, aber auch damit muss ich leben. Es geht ja nicht anders, wenn ich mich nicht um hundertachtzig Grad verändern möchte.
Deswegen sprechen wir das Thema so selten wie möglich an, weil wir uns über Sex und Liebe nie einigen werden. Müssen wir aber auch nicht, wir haben genügend andere Gemeinsamkeiten.
Mein Handy piept und ich muss gleich nachsehen, ob die SMS nur Werbung ist oder etwas Interessantes. Die Nachricht ist von Vera.
Süße, ich habe eine überraschung für dich. Darfst dich schon mal darauf freuen. Morgen abend bei mir? Dann gibt es details. Bussi vera
Als ich Vera bei einer Wohnungsbesichtigung kennenlernte, war sie nur die wahnsinnig gutaussehende, dezent geschminkte und mit einem Kostüm aus der Boutique bekleidete Frau. Sie hat mich ein paar Sekunden lang angeschaut und dann gesagt: „Ich glaube, Sie brauchen diese Wohnung dringender als ich.“
Ich war ihr damals nicht böse, denn an dem Tag und so kurz nach Thomas‘ Tod habe ich wirklich ziemlich bescheiden ausgesehen.
Als Vera und ich uns schon etwas besser kannten, habe ich erfahren, dass die Wohnung sowieso nur eine Zwischenlösung für sie gewesen wäre.
„Die war nichts für mich, nur für den Fall der Fälle. Also wenn sich mein Ex das mit seiner Hütte noch länger überlegt hätte. Aber ich konnte ihn dann doch schnell davon überzeugen, dass er das Ding hier nicht mehr brauchen kann, wenn er sowieso nach Namibia geht. Außerdem war das die billigere Lösung für ihn, mehr wollte ich doch gar nicht herausholen aus dieser Ehe. Den ganzen Rest habe ich ihm überlassen, das war sozusagen meine Spende, so eine Art Entwicklungshilfe, wenn man das so nennen möchte. Nur für ihn leider nicht von der Steuer absetzbar.“
Ich glaube, an der Stelle wollte sie von mir ein großes Lob für ihre unglaubliche Großzügigkeit hören.
Stattdessen habe ich gefragt: „Wenn er sich in Namibia seinen Lebenstraum als Arzt verwirklicht hat, hätte er das nicht viel lieber mit dir zusammen gemacht?“
Ihr Gesicht hat nicht sehr erfreut ausgesehen, das weiß ich noch.
„So hat sich das bei ihm auch angehört, als ich ihm gesagt habe, dass ich nicht mitgehe. Aber mal ganz im Vertrauen: Sowas muss er mich ja wohl vor der Hochzeit fragen, oder? Hat doch nicht jeder automatisch Lust auf ein Leben bei den Wilden in der Einöde. Aber zum Glück haben sich unsere Anwälte ganz schnell darauf verständigt, dass das Ganze von Anfang an ein Missverständnis war. Und da hatte ich ja wohl ein Recht auf ein kleines Trostpflaster. Diese zwei Jahre Ehe mit ihm waren schließlich im groben Irrtum, meinst du nicht auch?“, war ihre Frage und ich habe auch darauf in ihren Augen nicht richtig geantwortet, auch wenn ich mir nicht gemerkt habe, was ich damals gesagt habe.
Seitdem weiß ich allerdings, wie lang Vera ungefähr nicht mehr mit einem spricht, wenn sie einmal richtig schmollt. Aber danach ist sie dann wieder so, als wäre nichts gewesen. Alles vergeben und vergessen.
Vera durfte also aus ihrer Sicht völlig zurecht den Bungalow ihres dritten Ex-Mannes ihr neues Zuhause nennen, weil der ihn ohnehin nicht mehr brauchte. Daraufhin hat sie ihre andere Geschichte verkauft, weil sie die dadurch wiederum nicht mehr brauchte.
Für die andere Geschichte, ihr kleines Penthouse, - das Zugewinnstück aus zweiter Ehe, - hat sie schnell einen Abnehmer gefunden, der dafür wahrscheinlich sein ganzes Vermögen auf einmal losgeworden ist. Ich möchte auch gar nicht wissen, wie Vera das wieder geschafft hat. Aber hat sie erreicht, was sie wollte, sagt sie, denn durch diesen Deal machen ihr jetzt endlich auch die niedrigen Guthabenzinsen, die einem die geizigen Banken für das mühsam vom Munde abgesparte und vertrauensvoll bei ihnen deponierte Vermögen bezahlen, nichts mehr aus.
„Jetzt ist genug Geld da, das für mich arbeitet, jetzt muss ich nicht mehr selber oder wenn, dann nur zum Spaß. Und wenn es mal ganz dick kommen sollte, kann ich immer noch wieder das Haus von einem älteren Ehepaar in neuem Mausgrau herrichten. Das habe ich schließlich mal irgendwann vor Urzeiten gelernt.“
Vor Urzeiten hört sich immer an, als wäre sie schon dreiundneunzig, dabei hält sie sich nur mit Mitte 30 schon für zu alt für diese Welt und sagt immer öfter Dinge wie: „Wenn ich es selber schon nicht mehr lange bin, dann müssen es wenigstens meine Männer sein. Knackig und zum Fithalten.“
Die Jungbrunnen, die ihr gefallen, angelt sich Vera, bevor die überhaupt wissen, wie ihnen geschieht. Sie ist so schnell, dass ich auch immer erst gar nicht mitbekomme, dass sich schon wieder etwas anbahnt und das, obwohl ich mit meinen 29 Jahren eigentlich noch schnell genug dafür sein müsste, dass mir solche Dinge in meiner Umgebung nicht entgehen.
Bei Luc war das auch so. Hätten wir um einen Tisch gesessen, hätte ich anschließend Stein und Bein geschworen, dass Vera eine Meisterin unter dem Tisch gewesen sein musste. Aber es war ein Stehempfang und die Angelpartie hat sozusagen in aller Öffentlichkeit stattgefunden. Und mit welchem Erfolg!
Ihr Einsatz lohnt sich aus ihrer Sicht, denn Vera braucht im Gegensatz zu mir den bemannten Hormonrausch. Sie investiert keine großen Gefühle, eine Prise prickelndes Abenteuer reicht ihr zum Frischhalten vollkommen aus und ob es bei einem neuen Typen Aussicht auf Erfolg hat oder sie es besser lassen sollte, fragt sie immer ihr Horoskop.
Ich gönne ihr das alles, schließlich ist es das, was sie braucht: ein bis zwei Mal in der Woche ein heißes Date mit Übernachtung und Frühstück und gut ist es.
Ich dagegen denke noch viel zu oft an Tommy. Er war meine große Liebe, an ihn habe ich mein Herz verschenkt und er hat es mitgenommen. Vor zwei Jahren schon, drei Monate nach unserer Hochzeit, und ich kann es manchmal selbst nicht glauben, wie lang das alles schon wieder her ist. Aber die Erde dreht sich weiter, auch ohne ihn und wenn es an manchen Tagen schwer fällt. Es geht immer weiter und es gibt Tage, da beschwere ich mich bei ihm, dass er mich alleingelassen hat.
Wie müde mich das Yoga heute gemacht hat, wird mir erst bewusst, als ich die Haustüre aufsperre und herausfinden möchte, womit ich mich auf dem Heimweg beschäftigt habe. Da kam gerade ein Gedanke zum anderen, bis ich bei Tommy angelangt bin. Das Problem habe ich sonst eigentlich nicht mehr so oft.
Eine kurze, sehr warme Dusche wird es jetzt trotz der Müdigkeit noch geben und ich weiß auch schon genau, wie ich mich vergnügen werde. Mein Massageduschkopf ist sehr flexibel, er stellt sich auf mich und meine Wünsche ein. Da gibt es bei Bedarf einen harten Strahl oder ein paar sanfte außen, das genügt mir für die Erfüllung vollkommen.
Eines ist jedenfalls sicher, den Mondgruß, den Luc mir gerade noch beim Verabschieden mit einem charmanten Lächeln ans Herz gelegt hat, wird es bei mir vor dem Schlafengehen nicht mehr geben, den kann er mit Vera alleine turnen. Der ist mir zu anstrengend und geschwitzt habe ich heute schon mehr als genug. Es werden eher die sanften Wasserstrahlen werden.
Auf Veras per SMS angekündigte Überraschung bin ich allerdings tatsächlich ein klein wenig gespannt. Werden wir uns gemeinsam darüber freuen oder hat nur sie ihren Spaß?
Wenigstens muss ich dieses Mal nur bis morgen Abend darauf warten, das heißt im Klartext: nur einmal schlafen. Und, dem Himmel sei Dank, habe ich morgen eine Menge Arbeit vor mir. Es müsste also sogar für mich zu schaffen sein, die Spannung auszuhalten.