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Helen stand vor ihrem Kleiderschrank und warf ein Oberteil nach dem anderen auf das Bett, wo schon ein Stapel mit Röcken und Hosen lag. Dann fiel ihr Blick in den Wandspiegel. Endlich saßen ihre störrischen Locken so auf ihrem Kopf, wie sie es wollte. Ihre Haare waren hochgesteckt, bis auf einige Strähnchen. Außerdem steckten zwei azurblaue Federn keck in der Haarpracht. Sie war schon geschminkt und erkannte sich selbst kaum wieder. Helen lachte ihr Spiegelbild an.

Der Radiowecker neben ihrem Bett verkündete, dass es bereits 22:43 Uhr war. Helen hatte noch immer kein passendes Outfit gefunden. Nervös stöberte sie den Kleiderstapel durch. Während des Föhnens hatte Fabian ihr versprochen, auch zu der Party zu kommen. Zum Abschied hatte er ihr ein Küsschen auf die Wange gegeben und Helen wäre beinahe umgekippt, hätte Fabian sie nicht am Ellenbogen festgehalten. Sie entschied sich für einen kurzen dunkelblauen Seidenrock und ein türkisfarbenes Oberteil mit Wasserfallausschnitt.

Sie schaute erneut auf die Uhr. In zwei Minuten fuhr die Tram. Mit ihren 8-cm-Riemchensandalen konnte sie die niemals rechtzeitig erreichen. Also schrieb sie Yvonne noch eine SMS, dass sie sich verspätete.

Vor dem Eingang des Club Indochine wartete ihre Mitbewohnerin bereits. „Wow. Wer sind Sie und was haben Sie mit meiner Freundin gemacht?“, witzelte sie. „Du siehst fantastisch aus! Du musst Fabian aber inspiriert haben! Der hat sich ja richtig verausgabt!“

Helen grinste, ohne es zu wollen, von einem Ohr zum anderen. „Apropos, wie lief es bei dir mit Eric und der Einzelprobe?“

Yvonne machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sagen wir so: Die Choreografie können wir jetzt perfekt. Aber zum Liebestanz nach der Probe sind wir nicht gekommen.“ Yvonne seufzte. „Komm, lass uns reingehen.“

Auch Helen fröstelte in der noch frischen Sommerluft und wollte sobald wie möglich ins Innere des exotischen Clubs. Unerwartet blieb Yvonne stehen und umarmte Helen. „Schön, dass du wieder du selbst bist!“ Sie löste sich und nahm ihre Hand. „Und gut, dass ich dich auf die Gästeliste habe setzen lassen!“ Lachend zog sie Helen zum Eingang.

Drinnen steppte bereits der Bär. Es war die After-Show-Party zu einer Musicalpremiere und Yvonne wurde gleich an der Garderobe stürmisch von einer Kollegin begrüßt. Helen wartete etwas abseits auf ihre Freundin. Sie ertappte sich dabei, wie sie sich ständig umschaute, um nach einer bestimmten Person Ausschau zu halten. Auch Yvonne hatte es bemerkt und kam zu ihr.

„Wen suchst du?“

„Niemanden. Ich kenne hier doch keinen“, schwindelte Helen. Dann entdeckte sie ihn. Fabian trug ein schwarzes Shirt, unter dem sich seine kräftigen Schultern und Arme abzeichneten. Er stand mit dem Rücken zu ihr an der Bar. Helen spürte ihr Herz schneller schlagen und blickte kurz zu Yvonne. „Ich geh mal eben Fabian begrüßen.“ Sie lächelte und ließ ihre Freundin mit offenem Mund stehen.

Als Helen die kleine Treppe nach unten zur Bar erreicht hatte, drehte Fabian sich um. Er erkannte sie und sprang von seinem Barhocker auf. Helen fühlte sich wie vom Blitz getroffen. Sie suchte Halt am Treppengeländer, griff aber ins Leere. Der Absatz einer Sandale streifte eine Stufenkante und sie verlor das Gleichgewicht. Fabian reagierte augenblicklich. Wie ein Pfeil schoss er nach vorne und fing sie mit den Armen auf. Helen klammerte sich an ihm fest.

Vorsichtig half er ihr auf die Beine. „Hast du dir etwas getan?“

Helens Knöchel schmerzte, ließ sich aber bewegen. „Nein“, stammelte sie und spürte, wie sie knallrot anlief. Sie hatte das Gefühl, dass sämtliche Leute sie anstarrten, und meinte, aufgeregtes Tuscheln zu hören. Sie senkte den Blick, starrte auf den Boden und wünschte sich, auf der Stelle in demselben zu versinken.

„Was machst du denn für Sachen?“, Yvonne kam herangeeilt. „Oh je! Bleib genau so stehen.“ Sie lief um ihre Freundin herum und drängelte sich an ihre Seite.

Auch Fabian schien gesehen zu haben, was Yvonne entdeckt hatte, und lächelte verlegen. Helen blickte an sich hinunter. Ihr Rock war am Seitenschlitz aufgerissen. Ein Zipfel hatte sich an einer Schraube im Geländer eingeklemmt und gab den Blick bis zu ihrem Po frei. Vorsichtig nestelte Yvonne bereits an dem Stoff herum, um ihn zu lösen. Helen starrte Fabian mit schreckgeweiteten Augen an.

„Bis das Malheur behoben ist, werde ich uns mal ein paar Drinks besorgen“, schlug er höflich vor und entfernte sich wie ein wahrer Gentleman. „Was hältst du von Gin Tonic?“, fragte er im Gehen.

„Hört sich gut an.“ Helens Stimme zitterte.

„Und für deine Freundin?“

„Ein Havanna wäre super. Danke!“, kam es von der beschäftigten Yvonne zurück.

Helen starrte ihm hinterher.

„Hallo, Helen?“ Yvonnes Worte schienen, aus weiter Ferne zu kommen. Erst als Yvonne sie in den Arm knuffte, erwachte sie aus der Trance.

„Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als ob ein Meteorit eingeschlagen wäre.“ Yvonne hatte den Rock gelöst und wartete wohl bereits einige Zeit auf eine Reaktion.

Verlegen zuckte Helen mir ihren Schultern.

„Oh nein!“, rief Yvonne bestürzt. „Du bist verliebt! Du hast den gleichen Schafsblick, wie damals bei Stefan.“

Helen riss ihren Blick von Fabians Rücken los. Einen Moment rang sie mit sich, aber ihrer Freundin konnte sie sowieso nichts vormachen. „Ich glaub, du hast recht. Ist er nicht fantastisch?“, flüsterte sie aufgeregt. Nach Yvonnes Gesichtsausdruck zu urteilen, schien sie das leider anders zu sehen. Verunsichert erkundigte sich Helen: „War das nicht dein Plan? Ich könnte wetten, dass du dir das genau so vorgestellt hast, als du mich zu diesem traumhaft aussehenden, supersympathischen Fabian geschickt hast. Und es ist dir gelungen!“ Helen strahlte sie an. Heute konnte ihr nichts die Laune verderben, kein zerrissener Rock und keine kritische Freundin. „Ich musste einfach nur raus aus meinem Versteck. Du hattest recht und ich danke dir dafür!“ Helen konnte ihren Gefühlsausbruch nicht länger zurückhalten.

„Es war ganz sicher nicht meine Absicht, dich mit Fabian zu verbandeln!“, brachte Yvonne nach einigen Sekunden ernst hervor.

Helen biss sich kurz auf die Unterlippe. „Egal, ich kann es jedenfalls nicht ändern: Das Kribbeln ist wieder da.“

„Doch nicht wegen ihm!“, ereiferte sich Yvonne plötzlich.

„Was ist denn los?“ Helen war verwirrt. „Erst soll ich mir einen neuen Mann suchen und nun passt er dir nicht.“

Yvonne legte eine Hand auf ihren Arm. „Versprich mir bitte, dass du nicht böse sein wirst!“

Helen versuchte, sie abzuschütteln, aber Yvonne ließ nicht locker. „Ich verspreche gar nichts!“, entgegnet sie trotzig. „Ich will wissen, was los ist!“

„Na gut“, gab Yvonne auf. „Er ist schwul.“

Helen blieb der Mund offen stehen. Sie hatte das garantiert falsch verstanden. „Wer ist schwul?“

„Fabian“, klärte Yvonne sie mitfühlend aber bestimmt auf.

Das war nicht möglich. Nicht, nachdem er so intensiv mit ihr geflirtet hatte. Yvonne musste etwas missverstanden haben. „Ganz sicher nicht“, versuchte sie, sich selbst zu beruhigen. Aber der Blick ihrer Freundin verriet ihr, dass sie wusste, wovon sie sprach.

„Eine gute Bekannte, die sich wie du in ihn verknallt hat, hat es mir erzählt.“ Yvonne zog Helen zu sich heran und umarmte sie.

Fabian drängelte sich an die Theke und bestellte die Drinks. Er atmete tief durch, bevor er sich mit den Gläsern auf den Rückweg machte.

„Du Arme!“, konnte Fabian Helens Freundin sagen hören. Die beiden Frauen standen mit dem Rücken zu ihm. Ungewollt belauschte er ihr Gespräch. „Tut mir leid, dass es dich so schlimm erwischt hat.“

Hatte Helen sich doch etwas bei dem Sturz getan? Gerade wollte er sich bemerkbar machen, als er die Freundin sagen hörte: „Ich hätte dir vorher erzählen sollen, dass er schwul ist!“ Fabian stockte der Atem und sah, wie Helen sich straffte. „Ich werde jetzt gehen.“

Schnell drängelte sich Fabian zu ihnen durch. „Hier dein Drink.“ Er streckte Helen ein Glas entgegen und versuchte, ihrem Blick standzuhalten. Er las Schrecken und Enttäuschung in ihren Augen. Das hatte er nicht gewollt! Fieberhaft suchte er nach den richtigen Worten. Seine Lippen bewegten sich, aber er bekam keinen Ton heraus. Wie hätte er es ihr auch erklären sollen?

Ich sollte sie gehen lassen, befahl sich Fabian. Das wäre für sie und mich das Beste. Ich sollte auf der Stelle diese Frau vergessen, die mich seit heute Nachmittag durcheinandergebracht hat, wie keine zuvor. Doch er konnte sich nicht von ihrem Anblick losreißen. Völlig ratlos stand Fabian im Menschengetümmel des Clubs und um ihn zuckten die Lichter der Discokugel. Zum ersten Mal in seinem Leben bereute er die riesige Lüge, die er über sich in die Welt gesetzt hatte. Er würde sich nur die Finger verbrennen, ahnte er, und dabei stand so viel für ihn auf dem Spiel.

Verliebt bis in die Haarspitzen

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