Читать книгу Das Arrangement - Justin C. Skylark - Страница 8
II.
ОглавлениеEs geschah am Montagabend.
Nach Feierabend besorgte ich ein paar Lebensmittel. Zu Hause angekommen fand ich wie gewohnt einen Zettel von Robert vor. Meist schrieb er mir einen Hinweis, dass er im Club war und beabsichtigte, zu einer bestimmten Uhrzeit zurück zu sein. So wusste ich, ob wir gemeinsam oder getrennt zu Abend essen würden.
An diesem Tag versprach mir seine Notiz, dass er spätestens um 20 Uhr nach Hause kommen würde. Dementsprechend euphorisch stieg ich in meine Trainingskleidung und ging eine Runde joggen. Obwohl ich mich in der Praxis physisch betätigte, war das Laufen etwas, dem ich gern nach Dienstschluss nachging, um den Ballast des Tages abzuschütteln. Natürlich auch, um mir meine Fitness zu bewahren. Robert mochte meinen trainierten Körper. Ich wollte nicht nur für ihn in Schuss bleiben. Eine definierte Figur war ebenfalls gut für das Ego. Nicht, dass ich davon nicht genug hatte, aber mit fortschreitendem Alter war es nicht mehr so leicht, attraktiv zu sein.
Das war mir bewusst geworden, als Robert das erste Mal von François erzählt hatte; von dem jungen Typen, der beim Vortanzen alle anderen Anwärter auf den Job in den Schatten gestellt hatte. Er hatte von dem hübschen Gesicht berichtet, dem unwiderstehlichen Lächeln und dem makellosen Body. Am Anfang hatte ich mich noch darüber amüsiert, aber da die Schwärmerei nicht aufhörte und seine allabendlichen Nächte im Club länger wurden, hatte sich eine gewisse Skepsis eingestellt.
Inzwischen lagen die Karten offen auf dem Tisch. Ich hatte einen Nebenbuhler – dementsprechend hart ging ich mit mir selbst ins Gericht.
Ich achtete vermehrt auf gesunde Ernährung, versuchte auch, Robert einzubinden. Selten ließ ich mich gehen. Weder im Outfit noch in der Pflege meines Körpers.
Kurzgesagt: Ich hatte Angst, meinen Mann zu verlieren und tat alles dafür, um ihm weiterhin zu gefallen.
Aber an diesem besagten Montag war nahezu alles perfekt. Das Wochenende war schön gewesen. Die positiven Schwingungen hallten nach. Roberts Notiz ließ vermuten, dass er ebenso empfand, und so startete ich in freudiger Erwartung in den Abend.
Nach dem Joggen kleidete ich mich edel, trug das beste Parfum auf, das ich besaß, und begab mich in die Küche. Ich wollte uns etwas kochen, etwas Gesundes, etwas, das nicht im Magen lag, denn schweres Essen konnte sich negativ auf den weiteren Verlauf des Abends auswirken.
Ich garte zartes Hühnchenfleisch und schnitt Tomaten, Paprika und Zucchini in kleine Stücke, hatte vor, einen leckeren Auflauf zu machen.
Mittendrin klingelte das Handy und Roberts Nummer wurde angezeigt. Ich seufzte mit einer schlimmen Vorahnung. Es kamen nur zwei Dinge in Betracht: Entweder wollte er mir sagen, dass er auf dem Weg war oder dass er sich verspäten würde.
Dementsprechend nahm ich das Gespräch missmutig entgegen. „Ja? Was gibt es?“
Zu meinem Erstaunen meldete sich nicht Robert am anderen Ende, sondern eine Frau.
„Entschuldigen Sie, aber spreche ich mit Herrn Becker?“
Ich stutzte und mein Herz machte einen unnatürlichen Sprung. „Ja …“
„Hier ist Schwester Annett aus dem Zentralklinikum, Notaufnahme. Sie sind der Lebensgefährte von Herrn Robert Saxen?“
Für einen Moment setzte mein Herzschlag aus. „Ich bin sein Ehemann, ja, ist etwas passiert?“
Der Puls schlug mir wummernd gegen den Hals. Ich schob die Pfanne vom Herd und presste das Handy fest an mein Ohr.
„Bleiben Sie ruhig“, bat die Schwester. „Es ist ihm nichts Schlimmes zugestoßen, aber Herr Saxen ist gestürzt und musste zum Röntgen. Er bat mich, Sie anzurufen.“
Ich atmete aus und stützte mich auf die Küchenablage. Obwohl ihre Worte beruhigten, schlug die Nachricht wie eine Bombe ein. „Was ist mit ihm?“, fragte ich panisch.
„Irgendetwas mit seinem Fuß“, versicherte sie mir. „Sie sollen sich nicht aufregen, hat er gesagt, es sei nicht so schlimm.“
Nicht schlimm? Er war im Krankenhaus! Aber das war typisch für Robert. Er war einer der wenigen, der sich auch mit einer Grippe zur Arbeit schleppte, jemand, der sein Leid nie zugab und immer positiv dachte.
„Ich komme!“, sagte ich kurz entschlossen. „Richten Sie ihm das bitte aus. Ich bin unterwegs!“
*
Im rasanten Fahrstil nahm ich den Weg mit meinem Golf in Richtung Klinik auf. Der Feierabendverkehr war vorüber und die Straßen leer. Auch bekam ich sofort einen Parkplatz dicht am Krankenhaus. Kopflos folgte ich den Hinweisschildern zum Röntgen. Doch nirgends eine Spur von Robert.
In der Eingangshalle wandte ich mich dann an den Infotresen. Mir wurde gesagt, dass mein Partner die Röntgenabteilung inzwischen verlassen hatte und auf die Privatstation der Chirurgie verlegt worden war.
Ich machte mir nicht die Mühe, auf den Fahrstuhl zu warten, und erklomm die Treppen in den vierten Stock. Im Schwesternzimmer bekam ich weitere Auskunft und schließlich stand ich vor dem Zimmer, in dem Robert untergebracht war.
Ich klopfte nicht an, sondern stürmte hinein. Mit Erleichterung sah ich auf den ersten Blick, dass er wach war und im Gesicht nicht verletzt. Er lächelte sogar. Aber ebenso sprang mir die Person ins Auge, die dicht neben dem Bett auf einem Stuhl saß: François.
Meine Sorge drang in den Hintergrund. Bis auf den linken Fuß, der bandagiert auf einem Kissen ruhte, ging es Robert allem Anschein nach blendend.
„Was machst du denn für Sachen?“, stieß ich hervor.
Mit hastigen Schritten nahm ich Kurs auf das Bett. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.
„Oh, Nielo, das ist schön, dass du so schnell gekommen bist. Bitte, beruhige dich, es ist nicht so schrecklich, wie es aussieht.“
Ich richtete mich auf und sah ihn strafend an. Schrecklich war, dass er nicht allein war und ich mir absolut bescheuert vorkam.
„Und was will der hier?“ Mit einer Kopfbewegung zur Rechten deutete ich auf François, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Ich hatte ihn nicht einmal gegrüßt. Wieso auch? Es war Montag. Ein Wochentag, an dem er sich zurückzuhalten hatte.
„Es ist im Club passiert“, berichtete Robert. „Ich bin auf den Stufen nach unten umgeknickt. François war so freundlich, mich zu fahren.“
Er zwinkerte seinem Begleiter zu.
„Okay, aber nun bin ich hier“, gab ich unmissverständlich zu verstehen. Sofort hörte ich ein Stuhlrücken hinter mir und François’ sanfte Stimme.
„Dann werde ich zurückfahren. Die nächste Show beginnt ja auch bald.“
Aus dem Augenwinkel registrierte ich, wie er sich zu Robert vorbeugte. Ich sah sofort weg und schloss sogar die Augen, damit ich den Abschiedskuss nicht miterleben musste.
„Bitte sei so lieb und nimm den Wagen und lass ihn am Club stehen.“
„Mach ich, Robert, gute Besserung.“
Abwartend starrte ich an die helle Wand mit dem grässlichen Bild. Ich hörte Kleidung rascheln und schnelle Schritte. Erst nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, drehte ich mich wieder zu Robert hin.
„Großartig!“, schnauzte ich. „Da lasse ich alles stehen und liegen, eile hierher und er sitzt an deinem Bett und hält Händchen!“
Erneut wich ich Roberts Blick aus, aber diesmal, weil ich seine braunen Hundeaugen kannte, die mich binnen weniger Sekunden besänftigen konnten.
„Er hatte gerade Zeit und kennt sich mit dem Wagen aus“, erklärte er.
Missmutig hielt ich den Kopf abgewandt. „Ihr hättet einen Krankenwagen oder ein Taxi rufen können.“
„So schlimm ist es auch nicht.“
Gefasst atmete ich durch und besann mich der Situation. War mein Aufruhr unpassend? Ich sah mir Roberts Fuß an. Er schien am Knöchel geschwollen. Ein Kühlelement lag obenauf. „Was ist denn damit? Kannst du laufen?“
„Er ist nicht gebrochen“, schilderte Robert. „Vermutlich verstaucht, aber das reicht. Richtig auftreten kann ich nicht.“
„Und nun?“ Ich zog die Jacke aus und umkreiste das Bett, setzte mich auf den Stuhl, auf dem soeben noch François gesessen hatte. Ein Fehler! Die Sitzfläche war warm. Sofort stand ich wieder auf und tauschte die Sitzgelegenheit gegen eine andere aus.
Mir entging nicht, wie Robert die Augenbrauen anhob, doch er äußerte sich nicht zu meinem Verhalten.
„Du musst nicht hierbleiben, oder?“
„Keine Ahnung.“ Just ging die Tür auf und eine Krankenschwester kam herein. Lächelnd reichte sie Robert sein Handy entgegen.
„Ihren Mann habe ich angerufen …“
„Ja.“ Ich hob die Hand. „Das bin ich, vielen Dank nochmals.“
Die Schwester nickte. „Und Ihr Sohn ist eben los?“
„Das war nicht sein Sohn!“, entwich es mir postwendend.
„Ein guter Freund“, schaltete sich Robert dazwischen, und schon war er dabei, auf dem Display des Handys herumzutippen, vermutlich, um sicherzustellen, dass in seiner Abwesenheit nichts im Club geschehen war.
„Der Arzt meint, es ist besser, wenn Sie eine Nacht zur Beobachtung bleiben. Zudem legt er Ihnen gleich einen speziellen Druckverband an.“
Robert sah entsetzt auf. Ich wusste, was er dachte und er sprach es auch sofort aus. „Bin ich damit denn mobil? Kann ich arbeiten? Wie lange dauert sowas?“
„Das besprechen Sie lieber mit dem Arzt.“
Robert stöhnte entnervt und die Schwester ging. „Großartig“, entwich es ihm. „Das bedeutet nichts Gutes.“
„Das wird schon“, tröstete ich. Nun fasste ich nach seiner Hand und streichelte sie. „Sei froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist.“
Demzufolge fuhr ich ohne Robert nach Hause. Vorbei die Vorstellung von einem romantischen Abend. Stattdessen musste mir François begegnen und Salz in die Wunde streuen.
Während der Fahrt baute sich die Wut auf ihn abermals auf. Was bildete er sich ein, am Anfang der Woche den Gutmenschen zu spielen?
„Ihr Sohn …“, äffte ich die Schwester laut nach. „Dass ich nicht lache …“
Mit quietschenden Reifen fuhr ich in die Garage. Mit Wucht stieß ich die Wagentür hinter mir zu. Mir war egal, ob die Nachbarn etwas von meiner schlechten Laune mitbekamen. Der Abend war gelaufen …
In der Küche sah ich auf die Lebensmittel, die in meiner Abwesenheit an Glanz verloren hatten. Am liebsten hätte ich die Pfanne mit dem Fleisch durch die Küche geschmissen, aber das wäre eine Sauerei geworden. Da ich jedoch nicht wusste, wohin mit meinem Zorn, machte ich dort weiter, wo ich vor wenigen Stunden aufgehört hatte. Ich packte das Küchenmesser und stach es in die Tomaten. Hektisch und grob schnitt ich das Gemüse in Scheiben und stellte mir vor, dass es François’ Körper wäre, den ich zerteilte.
*
Am nächsten Tag sah die Welt schon anders aus. Nachdem ich in der Praxis ein paar Kunden abgefertigt und den restlichen Arbeitstag meinen Angestellten überlassen hatte, holte ich Robert aus dem Krankenhaus ab.
Seinen Erzählungen nach hatte er kein Auge zugetan, was weniger an den Schmerzen gelegen hatte, sondern an den Sorgen, die er sich um die Geschäfte machte. Auf der Fahrt nach Hause führte er das erste Gespräch mit Piet.
„Ich kann die Bestellung heute nicht persönlich checken, werde aber ein Auge drauf werfen. Am besten schickst du mir ein Fax. Ich sende es dir unterschrieben zurück, ja … Wer ist ausgefallen? Aha, wieso das … Okay, ich habe von zu Hause einen Zugriff auf die Dienstpläne, die kontrolliere ich nachher … Aha, also will er reduzieren? Dann fällt er ja nächstes Wochenende auch aus … Das sehe ich mir an. Allenfalls müssen wir ein paar Shows streichen … Die Bewerber?“ Sein Redeschwall unterbrach mit einem Stocken. „Weiß nicht, ob ich das schaffe; bin krankgeschrieben. Vielleicht kann François sich dem annehmen, das kläre ich …“
Ich schenkte ihm einen bissigen Blick und sah wieder auf die Straße.
„Ach, der Wagen, ja, den holen wir auch ab. Lass ihn am besten erstmal im Hof stehen.“
Ich bog ab und preschte durch die verkehrsberuhigte Zone, bis wir an unserem Haus angekommen waren. Dann erst beendete Robert das Gespräch. Er wirkte gestresst, dabei sollte er sich schonen. Ächzend stieg er aus und stemmte sich auf die Krücken.
„Soll ich dir helfen?“, fragte ich sogleich.
Er winkte ab. „Nein, das geht. Komme mir ohnehin schon vor wie ein Invalide.“ Ich hechtete voraus und hielt ihm die Tür auf. Bewusst nahm ich nicht den Weg über den Keller, denn die Garage war natürlich mit dem Wohnhaus verbunden. Aber Robert sollte so wenig Stufen wie möglich gehen müssen. Zudem wollte ich das Untergeschoss nicht öfter betreten als nötig.
Womöglich würde ich dem Untermieter begegnen. Das musste echt nicht sein.
Es reichte schon aus, dass ich gezwungen war, in die untersten Räume zu gehen, um Wäsche zu waschen oder etwas aus dem Vorratskeller zu holen.
Ab und zu hing der Geruch seines Aftershaves in der Luft, ein Duft, den ich mittlerweile verabscheute.
Am schlimmsten war es, drangen Geräusche aus der Einliegerwohnung ins Erdgeschoss: laute Musik, nach der François vermutlich seine Tanzübungen vollzog oder Gelächter, wenn er Freunde geladen hatte.
Diese Störfaktoren waren schrecklich und kamen mit Übelkeit daher, denn war es still, konnte ich manchmal vergessen, dass da noch jemand mit uns im Haus wohnte.
Robert hangelte sich auf das Sofa und verschnaufte. Missbilligend lehnte er die Krücken neben sich auf das Polster. „Als Erstes müssen diese abscheulichen Dinger verschwinden“, meinte er. „Damit fühle ich mich ganz krank.“
„Du bist krank“, stellte ich klar.
Er überhörte das und runzelte die Stirn. „Ich glaube, ich habe noch irgendwo diesen Gehstock von Onkel Hubert; diesen schwarzen edlen, kannst du dich erinnern?“
Ich grinste schief. „Und mit dem siehst du weniger krank aus, oder was?“
„Der verleiht mir zumindest die nötige Würde.“ Wieder griff er nach dem Handy und tippte darauf herum. Kurz telefonierte er. Ehrlich gesagt war mir nie bewusst gewesen, um was er sich im Club alles kümmern musste. Das war wie ein nicht endender Rattenschwanz. „Wo ist was kaputt?“, hörte ich ihn fragen. „Sag das dem Hausmeister. Wenn es was Größeres ist, muss eine Firma her, aber nicht ohne Kostenvoranschlag. … Drink der Woche? Das entscheide du, ich verlasse mich auf dich … Wie sind denn die neuen Flyer geworden? … Ja? Super … Sorg dafür, dass sie in der Fußgängerzone verteilt werden, am besten Freitagabend …“
So ging es eine Weile, bis ich ihn ermahnte, und er aufhörte, zu telefonieren. „Dann bring mir bitte den Laptop. Ich muss die E-Mails checken.“
Nachfolgend spielte ich den Laufburschen für ihn; pendelte einige Male zwischen Arbeits- und Wohnzimmer hin und her, druckte Unterlagen aus, holte ihm Ordner und schickte Faxe los, bis er am frühen Abend auf dem Sofa einnickte.
Zum Abendessen weckte ich ihn wieder. Zu seiner Überraschung hatte ich den schwarzen Gehstock tatsächlich im hintersten Winkel des Kleiderschrankes gefunden. Ein wirklich edles Stück mit silbernem Knauf. Auch humpelnd machte Robert damit eine gute Figur.
Trotzdem legte sich seine Anspannung nicht. Beim Essen schielte er unentwegt auf die Uhr oder das Handy, bis mir der Kragen platzte.
„Du machst mich wahnsinnig …“
„Tut mir leid.“ Er schob das Mobiltelefon wenige Zentimeter von sich. „Ich will nur sichergehen, dass alles läuft, während ich weg bin.“
„Die werden doch wohl mal ein paar Tage ohne dich auskommen“, moserte ich. „Piet ist ein fähiger Mitarbeiter.“
„An der Bar, ja“, pflichtete mir Robert bei.
„Ich habe immer gesagt, du sollst dir einen Stellvertreter an Bord holen.“
„Ach!“ Robert winkte ab, sein Gesichtsausdruck wurde richtig grimmig. So sah ich ihn selten. „Ich habe es einmal mit einem Teilhaber versucht, das langte mir.“ Er nahm einen großen Schluck aus dem Weinglas. „Nein, ich habe lieber alles selbst in der Hand.“
Er tat einen Bissen und schluckte hektisch. „Vielleicht kannst du mich morgen kurz hinfahren.“
„Du bist krankgeschrieben“, erinnerte ich ihn. „Und du sollst den Fuß vorerst nicht belasten, hat der Arzt gesagt.“
„Ich brauche Unterlagen aus dem Büro und es laufen Vorstellungsgespräche. Außerdem will ich den BMW in unserer Garage haben.“
„Das kann Piet doch auch erledigen“, antwortete ich.
„Das mit dem Wagen nicht, abgesehen davon hat er genug zu tun.“ Robert starrte wieder auf das Handy. Ich sah ihm an, dass er überlegte. „Es gibt nicht viele, die sich bei mir im Büro auskennen und die ich dort hineinlasse.“ Er sah mich an und ich ihn. Das reichte aus. Ich wusste, was er in Erwägung zog.
„Denk nicht einmal daran!“, ermahnte ich ihn.
„Warum nicht? Er ist ohnehin jeden Tag dort und wohnt hier. Er kann mir die Sachen bringen.“
„Nein …“
„Das ist albern, Nielo“, entgegnete er und legte das Besteck beiseite. Entstand etwa ein Streit? Wegen ihm? Schon wieder?
„Es ist nicht albern, sich an Abmachungen zu halten“, konterte ich. „Nur weil du krank bist, heißt es nicht, dass Regeln gebrochen werden können.“
„Er soll mir lediglich ein paar Unterlagen bringen“, erwiderte Robert mit angespannter Stimme. „Ich sage ihm auch, dass er sie in den Briefkasten werfen soll.“
Ich schüttelte den Kopf. „Kommt nicht in Frage.“ Mein Entschluss stand fest. „Ich lasse nicht zu, dass sich der ganze Club das Maul zerreißt. Womöglich sehen sie in ihm deinen neuen Stellvertreter!“ Mit Nachdruck stieß ich ein künstliches Lachen aus.
Robert seufzte und senkte den Kopf. Genug, um mich an meine Pflichten als sein Partner zu erinnern.
„Ich werde morgen in den Club gehen“, beschloss ich, ohne mir im Klaren zu sein, was für einen Weg ich mir damit aufhalste. „Schreib auf, was du brauchst und was ich machen soll. So schwer wird das wohl nicht sein.“
*
Nach einer Stippvisite in meiner Praxis nahm ich mir am nächsten Tag ein Taxi für den Weg in den Club. Da ich vorhatte, den BMW nach Hause zu fahren, verzichtete ich auf die Fahrt mit meinem Golf.
Es war später Nachmittag und die Öffnungszeit des Etablissements war nur noch wenige Minuten entfernt. Es gab sogar schon Gäste, die vor dem Eingang warteten.
Ich hingegen stieg aus dem Taxi und marschierte schnurstracks auf das Gebäude zu. An der Tür wurde mir jedoch der Zugang verwehrt.
„Halt!“ Ein Türsteher hielt mich zurück. „Der Club öffnet erst um 17 Uhr.“
Es war zehn vor fünf. „Umso besser, zeitig nach dem Rechten zu gucken“, erwiderte ich und erntete einen verblüfften Gesichtsausdruck meines Gegenübers.
Doch er schien sich schnell seiner Aufgaben bewusst zu werden und zückte ein Funkgerät.
„Ich brauche mal Verstärkung am Eingang“, sprach er gewissenhaft.
„Nun wird es interessant“, äußerte ich mich mit einem Lächeln.
Keine zehn Sekunden später trat ein weiterer Wachmann in Erscheinung. Es war Gerry. Den kannte sogar ich.
„Mensch, klar kann er rein, weißt du nicht, wer das ist?“, zischte er seinem Kollegen hinter vorgehaltener Hand zu. „Das ist Roberts Ehemann.“
Es war richtig amüsant, den ersten Wächter ein wenig geschockt zu erleben. Er trat auf der Stelle zur Seite und wies mir den Weg. „Sorry“, stammelte er. „Ich wusste nicht, dass Sie kommen. Robert ist krank.“
„Ja, deswegen bin ich hier!“, tönte ich. Ohne die Männer noch mal anzusehen, begab ich mich durch den Eingang und stieg die Treppe hinab in Richtung Club. Ob Robert auf diesen Stufen gefallen war? In Begleitung von François? Ob der ihn nach dem Fall aufgerichtet und gestützt hatte? Ehrlich gesagt wollte ich das nicht so genau wissen.
„Nielo!?“ Auch Piet sah überrascht auf, als ich mich an den Tresen lehnte und prüfend umsah. Hatte Robert mein Erscheinen nicht angekündigt? „Wie geht es Robert?“, lautete seine nächste Frage. Da der Einlass kurz bevorstand, steckte er bereits in seinem knappen Höschen. Und natürlich hing wieder eine bunte Krawatte über der nackten Brust. Dem Trend angepasst trug er die Haare mit einem Caesar Cut. Das war Geschmacksache.
„Er muss den Fuß schonen“, berichtete ich. „Aber das hat er dir ja sicher am Telefon erzählt, so oft wie ihr telefoniert.“ Oh je, ich klang so schnippisch wie ein neidisches Weib. Unaufgefordert schob ich den Zettel auf den Tisch. Fein säuberlich hatte Robert mir darauf notiert, welche Unterlagen er benötigte. Piet überflog die Notizen und nickte. „Die Rechnungen für den Einkauf habe ich hier, die anderen Sachen findest du im Büro. Hast du den Schlüssel?“
Ich zog das besagte Bund aus der Hosentasche und klimperte damit herum. „Aber ich benötige noch den Schlüssel für den Wagen.“
„Oh …“ Piet machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Was war denn nicht in Ordnung?
„Der Wagen steht im Hof.“
„Ja, und?“ Mit den Händen tat ich eine fragende Geste. „Wo liegt das Problem?“
„Die Einfahrt ist extrem eng. Robert hat schon eine Schramme in den Lack gefahren.“
Ich nickte, denn dieser Makel war mir bestens bekannt. Ich sah in der Angelegenheit jedoch kein Hindernis.
„Ich werde das schon schaffen.“ Auffordernd hielt ich Piet die offene Handfläche entgegen.
„Den Schlüssel hat François“, erklärte mir Piet allerdings.
Auch das noch. Ich atmete tief durch und ließ mir meinen Unmut nicht anmerken. „Und wo finde ich den?“
Piet sah mich so verdattert an, dass es mir unangenehm war. „Na, in seiner Garderobe. Er bereitet sich für die Show vor.“
„Klar.“ Ich lachte aufgesetzt.
Nachdem ich mir die nötigen Akten aus dem Büro besorgt und Piet alle erforderlichen Schriftstücke zusammengesucht hatte, ließ ich mir den Weg zum Hinterhof zeigen. Dort stand der Wagen als einziges Gefährt. Die Angestellten mussten woanders parken, denn der Parkplatz war zu klein für weitere Autos. Ich stellte den Karton mit den Unterlagen erst einmal auf dem Boden ab. Ein prüfender Blick bestätigte mir, dass die Einfahrt tatsächlich verdammt eng war, doch das hinderte mich nicht daran, nochmals in den Club zu gehen und den Wagenschlüssel zu organisieren.
Immerhin wusste ich, wo sich die Umkleideräume der Tänzer und Kellner befanden. Was ich bis dato noch nicht gewusst hatte, war, dass François ein eigenes Zimmer besaß. Aber klar, als Liebchen des Chefs und heimlicher Star des Clubs genoss man natürlich ein paar Extras. Ob er hier geschlafen hatte, bevor er in unsere Einliegerwohnung gezogen war?
Es haftete sogar ein Namensschild an seiner Umkleidekabine. Absolut lächerlich!
Ich klopfte nur sporadisch an und öffnete die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten.
„Ja?“, ertönte es, da stand ich aber schon im Raum.
Piet hatte erwähnt, dass sich François in der Vorbereitung für die Abendshow befand, dennoch war ich etwas erschrocken, als ich ihn halb nackt erblickte. Er trug wieder einen String, der an der Vorderseite lediglich sein bestes Stück bedeckte, dazu ein Achselshirt aus Netzstoff. Ohne Probleme konnte ich durch die grobmaschigen Löcher auf seinen Oberkörper sehen.
„Ich brauche den Schlüssel für den Wagen“, sagte ich, ohne zu grüßen. Nachfolgend sah ich ihm nicht einmal ins Gesicht, sondern visierte den Kleiderständer an, der auf Bügeln seine Bühnenkleidung trug. Konnte man die Fetzen von Chiffon und Tüll überhaupt Kleidung nennen?
„Hi, ja, klar …“, erklang als Antwort.
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, dass er sich einer Tasche zuwandte, die auf dem Boden stand. Er bückte sich und wühlte darin.
Ich riskierte einen Blick und sah sofort wieder weg, denn er streckte mir tatsächlich seinen nackten Arsch entgegen. Tat er das mit Absicht oder merkte er nicht, wie unpassend er sich verhielt?
Na ja, als Pole- und Striptease-Tänzer hatte man wohl ohnehin keine Scheu, vor Fremden blankzuziehen. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie viele Typen ihn schon angetatscht und befummelt hatten. Das war widerlich. Und diese widerliche Person ging mit meinem Ehemann ins Bett!
Auf nackten Sohlen tapste er heran. Ich war ein Stückchen größer als er oder lag es daran, dass ich Schuhe trug und er barfuß lief?
„Hier“, sagte er und reichte mir den besagten Schlüssel. Ich sah ihm nur kurz in die Augen, nur einen winzigen Moment und doch erkannte ich Fragen und Sorgen in ihnen. „Wie geht es Robert denn?“, schob er wie erwartet nach.
Ich steckte den Schlüssel ein und vermied jeden weiteren Blickkontakt. Es war besser so. Ich wollte mir nicht vor Augen führen, was mich tagtäglich quälte.
„Kannst ihn Freitag selbst fragen“, antwortete ich hämisch.
„Nielo, bitte, ich will doch nur wissen, wie es ihm geht“, winselte er. Ich ignorierte das; hatte ohnehin viel zu viel Zeit mit ihm vertrödelt. „Schönen Abend noch“, wünschte ich mit einem ironischen Unterton und machte auf dem Absatz kehrt.
„Soll ich dir mit dem Wagen helfen?“, rief er mir nach. „Die Einfahrt ist eng.“
Ich ignorierte das.
*
Das ging leichter als gedacht, sagte ich mir, während ich zum Hinterausgang schlenderte. Der Club hatte inzwischen geöffnet und die ersten Männer tummelten sich vor der Bühne. Dieser Laden lebte von der Show und nackter Haut. Ich hingegen war froh, nicht darauf angewiesen zu sein, denn zu Hause wartete Robert auf mich – und das noch zwei volle Tage. Es hatte also auch Vorteile, dass er krankgeschrieben war.
Emotional beflügelt trat ich auf den Wagen zu, öffnete ihn und verstaute den Karton mit den Unterlagen im Kofferraum. Irrte ich mich oder sah mich der Türsteher prüfender an als nötig? Wusste er womöglich auch nicht, wer ich war?
Vielleicht sollte ich in Zukunft öfter mal Präsenz zeigen, damit den Angestellten klar wurde, wer der erste Mann in Robert Saxens Leben war.
Ich startete den BMW und rollte die Augen, kaum erklang das dumpfe Geräusch des doppelten Auspuffs. Ich hasste es, herumzufahren wie ein Prolet. Mit der Lautstärke eines Wagens musste ich gewiss nichts kompensieren und Robert sowieso nicht.
Ich schaltete in den ersten Gang und fuhr los. Ja, sie hatten recht gehabt. Die Einfahrt war tierisch eng, sodass die Abstandsmelder an allen Seiten des Wagens Alarm schlugen. Womit ich nicht gerechnet hatte, waren die Schlaglöcher, die den BMW nach wenigen Metern zum Schaukeln brachten. Ich war noch nicht einmal in der Mitte der Zufahrt angelangt, schon kratzte der rechte Seitenspiegel an der Häuserwand entlang. „Verflucht!“
Ich stoppte. Vorbei war das Gefühl des triumphalen Erfolgs.
Zudem konnte ich nicht einmal aussteigen, um mir den Defekt anzusehen, denn neben der Fahrertür existierte nur ein schmaler Spalt, durch den ich niemals gepasst hätte.
Vorsichtig legte ich den Fuß auf das Gaspedal, dazu drehte ich das Lenkrad wagemutig nach links.
Sofort erfasste ich das nächste Schlagloch und streifte die Wand mit der linken Vorderseite.
„Das gibt es doch nicht!“, fluchte ich. Im Rückspiegel sah ich, dass der Türsteher auf dem Hinterhof mit vor dem Bauch verschränkten Armen zusah, wie ich mich abmühte.
„Na, super …“ Ich linste über die Kühlerhaube nach vorn. Auch der weitere Weg wies Unebenheiten auf. Ich kam mir vor wie in einer Blechdose.
Resigniert schaltete ich den Rückwärtsgang ein und setzte zurück, nicht, ohne nochmals den Spiegel an die Wand zu fahren.
Egal … Sollte Robert zusehen, wie er den Wagen bekam. Ich wollte ihn nicht noch mehr ruinieren.
Zurück auf dem Hof stand ich aus und schlug die Wagentür wütend zu.
Unaufgefordert gesellte sich der Mann der Security zu mir. Entgegen meiner Erwartung ließ er keinen blöden Kommentar los, sondern nickte mit Anteilnahme.
„Ist eine beschissene Ausfahrt hier, den modernen Autos nicht angepasst.“
„Hier sollte man gar nicht mehr parken dürfen, außer man fährt einen Trabant!“ Meine Stimme bebte vor Anspannung.
Mein Gegenüber stimmte mir zu, aber er zeigte Zuversicht und deutete auf sein Funkgerät. „Ich habe den Kollegen kontaktiert. Er sagt François Bescheid, der fährt den Wagen raus.“
Für einen Moment blieb mir die Spucke weg. „Äh, nein … Das ist nicht nötig.“
Es war zu spät. Die Tür des Hintereingangs öffnete sich und François erschien. Gekleidet mit Morgenmantel und dünnen Latschen. Ohne Zweifel hatte man ihn aus der Garderobe geholt und selbstverständlich hatte er sich für die Aktion auf dem Hof so kurz vor dem Auftritt nicht mehr in Straßenkleidung geschmissen.
Seine Lider schimmerten in glänzenden Farben, er hatte Rouge aufgelegt und lächelte sanft. „Das kriegen wir hin, kein Problem.“
Er nahm mir den Wagenschlüssel aus der Hand, wobei sich unsere Finger berührten. Seine Fingerkuppen waren warm und ich ballte sofort eine Faust, um das Gefühl des Kontakts auszublenden.
Er schwang sich hinter das Steuer, ließ den Wagen aufheulen und chauffierte ihn im Schneckentempo durch die viel zu enge Passage.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er am anderen Ende angelangt war und wieder ausstieg, doch zumindest hatte er keine weitere Delle in den Lack gefahren.
Ich kam mir vor wie ein Idiot.
„So, das war’s!“ Er gab mir den Schlüssel zurück. „Schönen Abend noch und liebe Grüße an Robert.“ Dann sprintete er zur Tür und verschwand.
Verdattert sah ich ihm nach. Der Türsteher beschäftigte sich mit seinem Handy. Die angespannte Lage war vorbei. „Das werde ich ihm bestimmt nicht ausrichten“, zischte ich, marschierte zum Wagen und fuhr schnittig davon.
*
Wie angenommen saß Robert mit erwartungsvoll geweiteten Augen und einem breiten Lächeln im Gesicht auf dem Sofa, kaum erblickte er den Karton in meinen Händen.
In seiner Lage hätte er fernsehen, rätseln oder lesen können, aber nein, er hatte lieber gewartet, bis ich mit Arbeit nach Hause kam. Ja, er war ein Arbeitstier, dem der Erfolg nicht vor die Füße gefallen war. Eigentlich hätte ich stolz auf ihn sein sollen, wenn nicht dieser bittere Beigeschmack blieb, bei dem Wissen, mit was er sein Geld verdiente.
„Hast du alles bekommen?“, fragte er und ich nickte.
„Schöne Grüße von Piet. Du kannst ihm alles faxen. Er kümmert sich um die Bestellung und alles Weitere. Post, Dienstpläne, Reparaturaufträge und die Akten sind auch dabei.“ Ich stellte den Karton in Reichweite auf den Tisch, in der Annahme, dass sich Robert sofort an die Arbeit machen würde. Handy und Laptop lagen schon neben ihm auf dem Sofa. „Und der Wagen?“
„Steht in der Garage.“
„Super!“
„So super ist das nicht“, erwiderte ich. „Beim Rausfahren aus dem Hof habe ich den rechten Seitenspiegel demoliert und die linke Frontschürze beschädigt.“
Sein Lächeln verschwand sofort. Für ein paar Sekunden blieb sein Mund offen stehen.
„Was?“, entwich es ihm heiser. „Aber wieso hat denn François den Wagen nicht rausgefahren?“
„Doch …“, gestand ich und bekam dabei die Zähne kaum auseinander. „Aber erst, als es schon passiert war.“
„Hat dir denn niemand gesagt, dass …“
„Doch!“ Ich unterbrach ihn harsch. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht mehr davon reden. Vor allem, weil es schon wieder Dinge betraf, an die ich nicht denken wollte. Robert bemerkte das offensichtlich, denn er seufzte nur und beschwerte sich nicht weiter.
„Ich wollte den Wagen ohnehin verkaufen, habe ja selbst eine Schramme reingefahren.“ Er lachte leise und widmete sich dem Karton.
„Es tut mir leid“, sagte ich abschließend und er winkte ab.
„Nicht so schlimm.“ Sein folgendes Zwinkern war liebevoll.
„Okay.“ Ich atmete tief durch und sortierte die Gedanken. „Was wollen wir denn essen? Lust auf Pizza?“ Dass Robert mit seinem verletzten Fuß nicht in der Küche stehen konnte, war klar. Somit hatte ich beschlossen, das Kochen für den Rest der Woche zu übernehmen. Ohnehin lag es überwiegend an mir, was auf den Tellern landete.
„Bestell doch etwas beim Italiener!“, rief er mir zu. „Dann musst du dich nicht noch mehr abmühen für mich.“
„Stimmt, eigentlich reicht es mir für heute.“ Schmunzelnd zog ich mein Handy aus der Hosentasche und öffnete die App des Pizzadienstes. „Was willst du denn haben?“
Robert antwortete zuerst nicht. Er war schon in die Unterlagen vertieft und trug seine Brille. Das war immer ein Zeichen dafür, dass er sich wichtige Dinge zu Gemüte führte. „Mir reicht ein Pastateller und Salat“, murmelte er, aber plötzlich sah er auf. „Ach, was ist denn eigentlich mit dem Vorstellungsgespräch?“
Shit! Das hatte ich total vergessen.
„Das ist doch erst morgen, oder?“, stammelte ich. Robert nickte. Notgedrungen biss ich in den sauren Apfel. „Wenn es so wichtig ist, fahre ich nochmal hin.“
Eine Stunde später saßen wir am gedeckten Tisch bei Kerzenschein, Musik von Andrea Bocelli und aßen unsere italienische Lieferung.
Robert sah entspannt aus, was daran lag, dass er den ganzen Tag auf dem Sofa gelegen und seinen Fuß geschont hatte. Doch wenn er aufstand, um ein paar Schritte zu gehen, sah ich ihm an, dass er Schmerzen hatte. Und er verzichtete sogar auf das obligatorische Glas Wein zum Essen, da er eine Tablette einnehmen musste.
Ich schätzte ihn nicht nur als Partner, sondern auch als perfekte Gesellschaft, denn er war kein Mann, der sofort aufsprang, kaum war der Teller leergegessen. Er benötigte weder Radio noch Fernsehapparat. Problemlos konnten wir stundenlang beieinander sitzen, uns unterhalten und nichts vermissen. Er war ein angenehmer Gesprächspartner, der zuhören und Verständnis zeigen konnte. An diesem Abend bemerkte ich, dass er etwas auf der Seele hatte.
Unaufgefordert schenkte er mir Wein nach, während er sich am Wasser bediente. Ich ließ ihm Zeit.
Nachdem er das Besteck auf den Teller gelegt und einen Schluck getrunken hatte, rückte er mit seinem Anliegen heraus.
„Ich wollte dich um etwas bitten …“
„Ja?“ Ich nahm den letzten Bissen und legte das Besteck ebenfalls ab. Hatte er mir weiteren Wein eingeschenkt, um mich gefügig zu machen? Er atmete angestrengt. Was er sagen wollte, fiel ihm sichtlich nicht leicht.
„Es geht um das Wochenende.“
Sofort läuteten bei mir sämtliche Alarmglocken. „Aha, ich bin ganz Ohr.“ Ich lehnte mich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Eine ablehnende Geste, dabei hatte er noch nicht einmal gesagt, worum es ging.
„François hat Samstag Geburtstag.“
„Schön für ihn“, erwiderte ich bissig. Der Groll brodelte unter meiner Brust. Warum fiel das Thema immer wieder auf diesen Kerl?
„Ja, wir hatten eine Party geplant, im Club, mit geladenen Gästen …“
„Und?“ Fragend hob ich die Schultern an. Was er mir damit sagen wollte, verstand ich nicht. Oder wollte ich es nicht begreifen?
„Dann ist es also in Ordnung, dass ich zur Feier gehe?“ Seine Gesichtsmuskeln bebten erfreut.
„Äh, nein … Es ist Samstag“, erinnerte ich ihn. „Das ist gegen die Abmachung.“
Sogleich wich die Freude aus seinem Gesicht. „Es ist doch sein Geburtstag.“
„Ist mir sowas von egal, das glaubst du gar nicht“, zischte ich und nahm einen großen Schluck Wein, war froh, dass Robert mir nachgeschenkt hatte.
„Er wird doch nur ein Mal 25 Jahre …“
Eine Aussage, die mich nicht beeindruckte. Es war eher eine Schande, dass er das Argument brachte. Robert war 45 und ich 35. François hätte tatsächlich sein Sohn sein können.
„Es ist mir egal, wie alt er ist oder wird“, bekräftigte ich meinen Standpunkt.
„Bitte, Nielo, das Jahr hat um die 50 Wochenenden, da kannst du doch ein Mal eine Ausnahme machen.“
„Ja, und schon sind es zwei Ausnahmen, dann drei …“ Ich blieb konsequent. „Nein, wir haben ein Arrangement und das bleibt unantastbar.“
Er neigte den Kopf, visierte mich aber mit seinen braunen Augen an. „Ist das dein letztes Wort?“
„Ja.“ Ich behielt die Arme vor dem Bauch und verdeutlichte meine Abwehrhaltung. „Ihr habt den Freitag zusammen. Das ist in Ordnung. Das ist die Regel. Ihr könnt reinfeiern. Das reicht doch.“
„Okay.“ Er gab klein bei, aber es schwang Unzufriedenheit in seiner Stimme mit. Trotzdem beendete er die Diskussion. Vermutlich entsann er sich daran, wie konsequent ich sein konnte. Mit Sicherheit dachte er an die Phase unserer Trennung zurück und bestimmt wollte er nicht noch einmal erleben, dass ich in ein Hotel zog.
Er stand auf und sammelte die Teller zusammen. Ohne Gehstock humpelte er in die Küche. Das sah so fürchterlich aus, dass ich aufsprang und ihm das Geschirr aus der Hand nahm.
„Lass, ich mache das schon.“
„Danke“, entwich es ihm. Seine Finger zitterten.
Am nächsten Tag sollte er noch einen Termin beim Arzt haben und ich hoffte, dass der ihn weiter krankschreiben würde.
Ich wollte nicht, dass er zur Geburtstagsfeier ging. Irgendetwas in mir sagte, dass es nicht gut sein würde. Ohnehin: Sollte er sich nicht noch etwas schonen?
Kurz trafen sich unsere Blicke und ich las in seinen Augen, wie enttäuscht er war, wie traurig und geknickt.
*
Am nächsten Tag musste ich erneut in den Club fahren, um das Bewerbungsgespräch abzuhandeln. Bewusst parkte ich nicht im Hinterhof. Auch musste ich mich diesmal nicht bei den Türstehern erklären und konnte ohne Umschweife den Haupteingang passieren.
Es war nachmittags, dennoch waren einige Angestellte dabei, den Laden für den Abend auf Vordermann zu bringen.
Die Bühne und die Tanzfläche waren hell beleuchtet. Ich sah einen farbigen, schlanken Mann in legerer Kleidung mittig im Raum stehen, daneben ein weiterer Kerl, der in engen Jeans steckte und eine Strickjacke trug, die bis zu seinen Kniekehlen reichte. In einer Hand hielt er eine Zigarette, was ungewöhnlich war, denn eigentlich herrschte im Club bis auf einen abgetrennten Bereich Rauchverbot. Die Kapuze der Jacke war über seinen Kopf gezogen, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Aber kaum näherte ich mich den beiden, drehte sich der rauchende Typ um: Es war François.
„Oh, Nielo, super, dass du da bist“, sagte er. Mit einer schnellen Bewegung hatte er die Zigarette in einen Aschenbecher gedrückt und die Kapuze vom Kopf gestrichen. Er lächelte. Meinte er, nur, weil ich jetzt öfter vorbeikam, würden wir beste Freunde werden?
Ich nickte lediglich zur Begrüßung. Mein Augenmerk richtete sich eher auf den farbigen Mann.
„Ja, das ist Simon. Er möchte als Tänzer anfangen. Wenn es geht in Vollzeit“, berichtete François.
„Mhm, hat mir Robert gesagt“, nuschelte ich.
Der besagte Simon stellte sich vor. François reichte mir die Mappe entgegen. Sie enthielt einen Lebenslauf, ein paar Fotos und ein offizielles Bewerbungsschreiben.
Ich blätterte die Unterlagen nur sporadisch durch. „Das wird sich Robert ansehen“, beschloss ich und klemmte die Mappe unter den Arm. Fragend sah ich die Männer vor mir an.
„Ja, dann wäre es wohl nicht schlecht, wenn du uns etwas vortanzt, oder?“ François nickte Simon ermunternd zu, danach blickte er mich an, als erwartete er einen Zuspruch.
„Deswegen bin ich hier, oder nicht?“, antwortete ich hölzern.
„Mit oder ohne?“, erkundigte sich Simon. Erneut sahen mich beide an, woraufhin ich mit den Schultern zuckte. „Mir eigentlich egal …“
„Äh, wir sind ja im Nachtclub“, schaltete sich François ein. „Du solltest uns vorab mal zeigen, was du zu bieten hast.“
Simon nickte und fasste sich sofort an die Klamotten. „Kein Problem.“
Ich biss mir auf die Zunge. Was sollte ich hier eigentlich, wenn François sowieso alles managte?
Von mir aus konnte sonst wer im Club arbeiten, das interessierte mich nicht die Bohne. Auf der anderen Seite war ich hergekommen, um Robert zu ersetzen. Das durfte ich nicht vergessen.
Inzwischen war Simon bis auf die Unterhose entkleidet. Er war trainiert, hatte ein Sixpack und war sichtlich gut ausgestattet, so wie man es von einem Tänzer im Schwulenclub erwartete. Das gab einen Pluspunkt. Auch François schien zufrieden mit dem, was er sah. Er hob eine Hand und gab dem DJ ein Zeichen. Kurz darauf erklang Dancefloormusik. Simon setzte sich in Bewegung. Mit grazilen und passenden Tanzschritten begab er sich in Richtung Polestange.
Ich bemerkte, wie François mich beobachtete. Das passte mir überhaupt nicht.
„Und?“, fragte er schließlich, während sich Simon um die Stange rankte wie eine Schlange.
Ja, der Tänzer war nicht übel, aber deswegen musste ich mich noch längst nicht zu einem Dialog bequemen. Ich zückte mein Handy und filmte die Darbietung.
„Robert wird es sich zu Hause ansehen und eine Entscheidung treffen.“
„Okay.“ François sagte nichts weiter. Nach fünf Minuten gab ich dem Mann hinter der Musikanlage ein Zeichen und die Musik verstummte. Simon kam mit flinken Schritten auf uns zu. Ich nickte.
„Kannst dich anziehen. Der Boss meldet sich bei dir.“
„Vielen Dank“, gab Simon zurück, langte nach seiner Kleidung und streifte sie über.
Für mich war die Sache gelaufen.
„Ja, dann schönen Tag noch!“, gab ich von mir, ohne die Männer anzusehen. Ich drehte mich um und ging.
„Warte, Nielo!“, ertönte François’ Stimme hinter mir. Unweigerlich blieb ich stehen. Was wollte er noch? Konnte er mich nicht in Ruhe lassen? Ich drehte mich nur ansatzweise zu ihm um. „Was?“
„Du bist natürlich eingeladen zu meiner Party am Samstag“, sagte er. „Du kommst doch, oder?“
„Warum sollte ich?“, erwiderte ich. Einen abwertenden Blick konnte ich mir nicht verkneifen.
„Ja, also, ich dachte …“
„Ich muss los“, zischte ich und drehte mich wieder um.
Auf dem Nachhauseweg wurde mir nicht zum ersten Mal bewusst, was für ein Arsch ich war.
Normalerweise hatte ich keine Probleme mit meinen Mitmenschen, aber François ließ ich spüren, wie sehr mir seine Person gegen den Strich ging.
Vermutlich war es höflich von ihm, mich zu seiner Party einzuladen. Was war dagegen einzuwenden? Eigentlich war es ein netter Schachzug, mich dorthin zu bitten. Er hätte es auch sein lassen können, um mehr Zeit mit Robert zu haben.
Doch ich konnte meinen inneren Schweinehund einfach nicht überwinden. Wir hatten Regeln aufgestellt, oder nicht? Unbedingt wollte ich mich daran halten. Und ja, ich hatte Angst, dass alles aus den Rudern laufen und ich die Kontrolle verlieren würde. Das durfte auf keinen Fall geschehen.
Ich hatte nicht vor, zur Party zu gehen.
Wir hatten die Abmachung und ich hielt mich daran.
Zu Hause präsentierte ich Robert die Mappe sowie das Tanzvideo. Er sah sich beides hoch interessiert an. „Super, Nielo“, lobte er mich. „Das hast du super gemacht.“ Er war absolut in seinem Metier. „Und einen farbigen Tänzer wollte ich schon immer haben. Ich werde ihm eine Zusage erteilen.“ Schon langte er nach dem Laptop, um dem Bewerber eine E-Mail zu schreiben.
Mich zog es derweilen in die Küche, wo ich mir einen Kaffee holte und darüber grübelte, was es zum Abendessen geben sollte.
„Und sonst?“, hakte Robert nach, ohne den Blick vom Laptop abzuwenden. „Was hat François gesagt?“
„Er fand ihn wohl auch passend“, erwiderte ich knapp.
„Sonst nichts?“
Kurz wartete ich ab, bis der Vollautomat zu rauschen aufhörte. „Er hat mich zur Party eingeladen, aber ich habe abgelehnt.“
„Nielo …“ Nun sah Robert auf und blickte mich über die Lesebrille hinweg an, als hätte ich etwas ausgefressen.
„Was?“, tönte ich daraufhin. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich euch dort beim Händchenhalten zusehe.“
„Du weißt genau, dass wir das nicht öffentlich machen.“
Nein, nicht öffentlich … Lieber im Büro hinter geschlossener Tür, während sich die anderen ohnehin denken können, was abgeht, dachte ich bei mir. Eine kurze Stille entstand.
Robert räusperte sich plötzlich und nahm die Brille ab. „Höre ich aus deinen Worten heraus, dass du es mir doch erlaubst, hinzugehen?“
Ich antwortete nicht sofort, trank stattdessen einen Schluck Kaffee und sortierte das Chaos in meinem Kopf.
Um nichts in der Welt wollte ich einbrechen. Ich wollte nicht schwach werden, aber auf der anderen Seite …
„Was hat der Arzt denn heute gesagt?“, lieferte ich zuerst eine Gegenfrage. Das war taktisch klug. So konnte ich mir etwas Raum für die passende Antwort lassen.
Robert nickte. „Er war zufrieden. Aber ich soll mich weiter schonen und darf kein Auto fahren.“
„Na schön …“ Ich stieß mich von der Küchenzeile ab und trat vor ihn ins Wohnzimmer. Das Arschloch in mir verabschiedete sich für den akuten Entschluss. Ich wollte nicht schwach wirken, sondern Stärke zeigen.
„Wenn du dir ein Taxi nimmst, kannst du von mir aus für ein paar Stunden auf die Party gehen, aber mehr nicht. Geschlafen wird zu Hause.“
Die Anspannung fiel sichtbar von ihm ab. „Danke, Nielo.“