Читать книгу Hexlein Rumsum - Jutta E. Schröder - Страница 8
Wie alles begann
ОглавлениеDunkel und kalt war es und doch schwitzte die Frau. Sie trug auf ihren Arm ein kleines Mädchen mit feuerrotem Haar, dessen große, grüne Augen die Mutter verängstigt ansahen.
Die Frau drückte ihre kleine Tochter so eng an sich, als wollte man ihr das Kind gleich aus den Armen reißen. Die Mutter weinte und blickte unsicher zurück, dahin, wo sie ihre Söhne bei ihrem machthungrigen Mann zurücklassen musste. Sie konnte die Buben nicht mitnehmen, so gerne sie es getan hätte. Doch nun war es zu spät, schon wurde sie entdeckt und es begann eine Hetzjagd nach ihr. Ihr Mann führte die brüllende Schar an. Plötzlich brannte eine Scheune und gleich darauf noch ein Haus. Die Flammen sprangen auf die eng stehenden Häuser über und es war eine Feuersbrunst entfacht. Man hatte, dieser armen Frau, ganz schnell alles angehängt, sie hätte das Feuer gelegt.
So rannte sie in den Wald und sah wie ein Haus nach dem anderen vom Feuer verzehrt wurde. Eine glühende Hitze kam von dem Dorf herüber, so dass die beiden gut daran taten, noch tiefer in den Wald zu verschwinden.
Immer weiter ging sie hinein und je tiefer sie in den Wald kamen, umso kälter wurde es ihnen. Die Kräfte der Frau schwanden und das Mädchen schlief in ihren Armen. Ja, wo sollte sie nur hingehen? Als sie eine Höhle fand, suchte sie dort Unterschlupf. Müde vom laufen und tragen der Tochter schlief sie bald ein.
Irgendwann wurde sie aber von einem Stupsen und von Gekicher geweckt.
„Was machst du hier?“
„Steh auf und hau ab!“, kam es von der anderen Seite. Das war keine sehr schöne Begrüßung.
„Bitte tut mir nichts, ich wollte mich nur ausruhen“, antwortete die verängstigte Mutter.
„He, was ist das?“, eine Gestalt sah sich das schlafende Mädchen an.
„Gib uns das Kind, du wirst es nicht brauchen können, wenn du auf der Flucht bist“, sagte die Bucklige. Sie sah der Mutter in die Augen und erkannte dass diese Hilfe brauchte.
„Gib sie schon her, das Mädchen wird eine von uns werden. Glaub mir, sie wird es bei uns besser haben als bei dir.“ Sie zwinkerte der Mutter freundlich zu, und noch eh sie antworten konnte, waren die beiden Alten mit ihrer Tochter verschwunden. Doch sie kam nicht mehr zum Trauern, denn schon hörte sie die Meute und das Hundegebell. Also jagte sie davon und lief, was ihre Beine hergaben.
Die beiden alten Weiber standen vor einer Burg, welche von hohen Mauern umgeben war. Die Alten murmelten einige für uns unverständliche Worte und schon kam die Brücke herunter. Sie gingen hinein und konnten schon von weitem lautes Kindergeschrei hören. Das war ein Durcheinander, und ein Geschrei, dass einem fast das Trommelfell hätte platzen können.
„RUHE“, schrie die Bucklige. Da schauten aus allen Fenstern und Ritzen kleine und große Augen hervor. Im nächsten Moment schon kam aus vielen Kindermündern: „Oberhexe Clemens und Villbeta sind wieder da“. Mit viel Gepolter und Gerenne kamen alle Kinder auf die beiden alten Hexen zu und schon hatte sich die ganze Kinderschar versammelt.
Alle riefen durcheinander: „Ist es ein Junge. Nein, kein Junge, ein Mädchen. Ein Mädchen.“
„Beruhigt euch. Wir haben ein kleines Mädchen. Schaut wie es schläft. Es ist so erschöpft, es wird Angst haben wenn es aufwacht“, sagte Oberhexe Clemens. Bei diesen Worten wachte das kleine Mädchen auf und schaute ziemlich verschreckt in die vielen kleinen leuchtenden Kinderaugen.
„Mama“, rief sie nun ganz leise. Ein größeres Mädchen kam und drängelte die anderen weg. Sie sah sich die Kleine an und sagte: „Ich werde mich um Rumsum kümmern“.
„Rumsum?“ Alle schauten sich fragend an.
„Doch, ja dieser Name passt“, gab die Bucklige von sich.
„Wie kommst du darauf, Bobola?“, fragte die Oberhexe lächelnd.
„Na, sie hat so schönes rotes Haar und ein niedliches Gesicht, das zum Knuddeln ist“, gab sie stolz und laut allen kund.
„Na, dann ist es so. Wir haben eine kleine Hexe Rumsum in unserer Mitte. Bobola, du wirst dich um sie kümmern, bis sie alles kann und weiß, was sie können und wissen muss.
Aber jetzt: Alle auf eure Plätze und Ruhe für heute Nacht“, rief Clemens. Schwupp-die wupp waren sie alle verschwunden. Die Bucklige schaute aber noch nach, ob wirklich alle brav in ihren Betten waren. Als sie dann bei Bobola noch einen Blick rein warf, war sie sehr überrascht, wie diese mit Rumsum zu Recht kam, denn die Kleine wimmerte noch nach ihrer Mutter.
Am Morgen waren alle auf den Beinen. Alle Kinder liefen durcheinander – zumindest sah es so aus, doch wenn man genauer hinschaute, so hatte ein jedes seine Aufgaben, die sie mit großer Hingabe erfüllten. Ohne diese Aufgabenaufteilung wäre das alles zusammen gebrochen. Die einen räumten auf. Die anderen wischten Staub. Wieder einige putzten die Böden. Einige größere kümmerten sich um die Kleinen. Es ging so, wie es auch in einer guten Familie gehen sollte, wo jeder zum Gelingen beitrugt.
Als dann die beiden alten Hexen auftauchten, ging alles blitzschnell. Schon saßen die Kinder im großen Saal auf dem Boden und warteten bis der Unterricht losging.
Es schwirrten Bücher in der Luft herum und ein jedes Kind griff danach. Alle freuten sich wieder, was Neues zu lernen. Bobola hatte ein dickes Buch erhascht und las darin. Rumsum schaute erstaunt. Die schönen, interessanten Bilder die darin waren, gefielen ihr.
„Nicht nur Bilder anschauen, du musst lesen, Rumsum, “ sagte Bobola.
„Lesen? Ich kann das doch gar nicht. Ich bin doch noch zu klein“, plapperte Rumsum.
„Na, dann bring ich dir das bei, es ist ganz leicht“, antwortete Bobola ganz stolz. Doch Rumsum tat sich sehr schwer mit dem Lernen.
Es vergingen einige Wochen und Monate, aber Rumsum hatte es noch nicht geschafft, die Buchstaben miteinander in Wörtern zu verbinden. Es wollte einfach nicht gelingen. So gab sie auf.
Aber das Hexen lernen, das wollte sie unbedingt. Bobola las ihr immer wieder vor. Doch manch einen kleinen Zauber hätte Rumsum doch lieber selber und alleine ausprobiert.
Die Oberhexe bekam das alles mit. Sie holte Rumsum und Bobola zu sich. Als die beiden Hexenkinder vor ihr standen, sah sie über ihre Brille und begann: „Ich finde es lobenswert Bobola, wie du dich bemühst, dass du der kleinen Rumsum immer vorliest. Doch ich glaube Rumsum braucht ihr eigenes Hexenbuch. Ab heute wirst du der kleinen Rumsum nicht mehr vorlesen, hast du mich verstanden? Wehe, ich sehe das du ihr vorliest! Rumsum muss es alleine schaffen. So und nun zu dir Rumsum. Hier ist ein Buch angekommen. Es ist sehr groß. Dein Vater hat es weg geworfen. Er hat erfahren dass du in einer Hexenschule untergekommen bist. Aber keine Angst, er wird dich nicht finden. Dieses Buch gehörte vorher deiner Mutter und Hexenbücher finden immer ihre Besitzer, sie finden den Weg alleine. Weil deine Mutter nicht mehr lebt, hat sich das Buch verschlossen und stattdessen dich aufgespürt. Ich frage dich jetzt, kleine Rumsum. - Willst du das Buch haben?“ Rumsum stand mit ihren weit aufgerissenen grünen Augen da. Als sie das riesengroße Hexenbuch sah, tippelte sie mit ihren Füßen unruhig hin und her. Die Oberhexe sagte noch: „Aber du musst auch lernen, darin zu lesen, hörst du mich Rumsum?“ Weil Rumsum immer noch nicht antwortete, bekam sie einen Stoß von Bobola.
„Ja ich will es haben. Ich werde lesen lernen. Ganz bestimmt“, sagte sie jetzt mit lauter, fester Stimme. Also überreichte Oberhexe Clemens ihr das wirklich große und sehr schwere Buch. Sogar Bobola staunte nicht schlecht.
„Wou, das ist ja ein tolles Hexenbuch. Komm lass uns mal reinschauen, was alles drin steht“, sagte Bobola neugierig. Rumsum reichte ihr das Buch, aber Bobola konnte es gar nicht öffnen, es ging einfach nicht auf.
„Tja, Rumsum du hast ein wirklich kluges Buch. Das lässt sich offensichtlich nur von dir öffnen wenn du alleine bist und selber darinnen liest. Ja das nennt man Pech“, gab Bobola lachend und frech von sich. Dann ging sie weg und dachte über diese merkwürdige Sache nach, denn so ein Hexenbuch war ihr bisher noch nie untergekommen.
Rumsum stand erstmal traurig da. Wie sollte sie darin lesen? So setzte sie sich in eine Ecke und nahm sich das Hexenbuch auf den Schoss. Plötzlich sprang es auf und gab seinen wunderbaren Inhalt preis. So viele schöne Bilder waren da zu sehen und die Buchstaben waren herrlich verziert und es war so viel zu lesen. Vor lauter Neugier versuchte das Hexlein zu entziffern was sie sah, sie stotterte und plapperte, doch sie verstand nicht, was sie las. Schon rollten ihr die Tränen herunter. In diesem Moment vernahm sie eine Stimme: „Gib nicht auf, du wirst das schaffen. Lerne und glaub mir, eines Tages verstehst du auch was du liest“.
„Wo bist du?“ Rumsum schaute sich suchend um.
„Ich lieg auf deinem Schoß“.
„Oh, du kannst reden?“
„Das mach ich eigentlich nicht gern. Aber da ich ja praktisch dir gehöre, kann ich mich mit dir unterhalten. Komm schon, lern weiter und dann werde ich dir einen Zauber zeigen, der dir in Notlagen hilft.“
Ab diesem Zeitpunkt lernte Rumsum sehr fleißig, plötzlich fiel der Groschen und sie konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen. Das Buch zeigte ihr die Geheimnisse der Buchstaben. Je mehr sie las umso klüger wurde sie. Ja und sie eignete sich Wissen an. Zugleich lernte Rumsum die tollsten Zaubersprüche, wenn sie in ihrem großen Buch blätterte, denn Zaubern, das war ihr das Wichtigste, da war sie in ihrem Element.
So vergingen die Jahre, Rumsum konnte bereits hervorragend zaubern und manches Hexlein war sogar ein bisschen neidisch auf sie. Keine andere hatte nämlich ein so großes, ausführliches und umfangreiches Lehrbuch.
Aber es gab da ein Problem: Rumsum wuchs nicht, sie wurde nicht größer. Warum? Das wusste Keiner. Doch lesen und zaubern, das konnte sie wie keine andere.
Ihre beste Freundin war - na wer? Das könnt ihr euch doch denken, klar, das war Bobola.
Im Laufe der Zeit schloss eine Hexe nach der anderen die Hexenschule ab. Am Schluss war nur noch die kleine Rumsum übrig.
Eines Tages kam die Oberhexe mit der Buckligen auf sie zu.
„Rumsum, wir wollen uns noch ein bisschen in der Welt umsehen. Wenn du willst kannst du in der Burg bleiben und sie zu deinem zu Hause machen“.
„Aber Oberhexe Clemens, dann bin ich ja ganz allein!“, sagte Rumsum verzweifelt.
„Such dir Freunde oder lade dir Freunde ein. Das kannst du. Man kann alles, man muss es nur ausprobieren!“, lachten die beiden Hexen und so verschwanden sie.
Nun war Rumsum alleine. Die Einsamkeit machte ihr zu schaffen, denn sogar Bobola war mitgegangen, sie hatte jetzt ihre eigene Erdhöhle gefunden, wie sie es schon lange wollte.
So kam Rumsum auf den Gedanken, ihren Vater zu besuchen. Ob das eine gute Idee war? Oder ob sie das lieber wieder vergessen hätte sollen? Wer weiß? Aber nein, sie setzte den Gedanken in die Tat um. Denn sie wollte unbedingt wissen, warum der Vater damals die Mutter verfolgte. So packte sie den nächst besten Besen, schwang sich darauf, sprach einen Zauberspruch und flog durch die Lüfte.
Als sie ihr Heimatdorf sah, erschauderte sie, denn das kleine Städtchen war nicht mehr aufgebaut worden und man sah auch keine Menschen. So durchstreifte sie die Gegend und schaute in alle Winkel und in die wenigen Häuser, die noch standen.
Völlig unerwartet stand auf einmal ein sehr alter Mann vor ihr. Er fragte: „Was macht denn ein Kind hier alleine? Hast du dich verlaufen oder verirrt?“
„Nein, ich suche jemanden“, gab sie charmant zur Antwort.
„Hier ist außer mir niemand“, antwortete der Mann verbittert.
„Kanntet Ihr noch den Bürgermeister dieses Städtchens?“ Rumsum schaute den Alten fragend an.
„Wieso? Was willst du von ihm“?
„Ich hätte ihm gerne ein paar Fragen gestellt“.
„Nun, ich bin der ehemalige Bürgermeister - was für Fragen hast du denn“?
„Oh dann kann ich dich ja fragen? Ich hätte gern gewusst, was aus deiner Familie wurde“?
„Was geht das dich an. Das war vor langer Zeit. Meine Frau war eine Hexe, aber das wusste ich lange nicht. Bis ich eines Tages eher heimkam und sie in einem sehr großen, schweren Buch lesen sah, welches in einer mir unbekannten Schrift geschrieben war. Da wusste ich, dass sie eine Hexe war. Welche Frau kann schon lesen? Hexen können lesen. Sie hatte einen Zauber über meine Tochter gesprochen und darüber wurde ich sehr wütend. Schnell lief sie mit meiner Tochter davon und wenn ich nicht gekommen wäre, hätte sie wohl auch meine Söhne mitgenommen. Die mich auch verlassen haben“.
„Und was ist aus der Mutter geworden“?
„Wir jagten sie. Doch sie entkam. Die halbe Stadt stand in Flammen. Das war ihre Schuld. Später holten wir sie ein. Doch sie war alleine. Sie hatte meine Tochter nicht mehr. Niemand wusste, wo sie hingekommen war. Bevor wir sie ergreifen konnten, sprang sie von einem hohen Abhang hinunter. Später verließen alle die Stadt. Weil sie glaubten, sie sei verflucht. Nun weißt du, warum keiner mehr hier ist. Wenn mir je wieder eine Hexe begegnet, zünde ich sie persönlich an“, berichtete er voller Wut.
In seine Augen stand soviel Hass, dass Rumsum bei dieser Rede erschrak. Das bemerkte der Alte. Schon packte er Rumsum und ehe sie sich versah, war sie in einem alten Haus eingesperrt.
„Lass mich sofort hier raus, ich habe dir nichts getan“, tobte sie.
„Das könnte dir so passen, du leine Hexe, du Missgeburt“, lachte der Alte und zündete seelenruhig das Haus an. Wenig später stand es hell in Flammen. Rumsum sah durch die Öffnungen einen wahnsinnigen alten Mann herumtanzen. Sie verstand die Welt nicht mehr. Im allerletzten Moment fiel ihr in ihrer Notlage ein Zauberspruch ein und sie rief laut:
„Hokus Pokus Besenstiel.
Flieg herbei, komm schnell ans Ziel.
Hol mich aus dem Flammenmeer,
dein Hexlein braucht dich, viel zu sehr!“
Gleich kam ihr Besen angeflogen, er sauste durch ein geschlossenes Fenster. Es zerbrachen die Glasscheiben, diese klirrten und die Flammen wurden dadurch noch größer. Er suchte in den Flammen seine Hexe.
Ach, war sie froh dass der Besen so schnell verfügbar war. Sofort schwang sie sich drauf und flog aus den Flammen. Zornig sprach sie aus der Luft über ihren Vater, der ihr so fremd war, einen Zauberspruch.
Dann lachte sie, wie es Hexen machen, die Freude haben, wenn ihnen was tolles gelungen ist.
Doch sogleich verlor sie ihr gutes Herz und die Erinnerung an ihre Familie. Im selben Augenblick stand der Vater als Wildschwein in der verlassenen Stadt. Er sprang wild und böse grunzend herum und machte das solange, bis er nicht mehr konnte und Besinnungslos umfiel. Von diesem Tage an, war ihr der Besen ein richtiger Freund geworden und bekam seinen Namen "Rumpelpumpel".
Rumsum flog zufrieden zurück in ihre Burg und lebte seitdem dort.