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20 Jahre zu vor
ОглавлениеDie Zeit schreibt das Jahr 1980. Es ist Sommer. Ein Tag wie es ihn nur im Sommer geben kann, herrlicher Sonnenschein, strahlend blauer Himmel. Im Hause Senior Haiser herrscht große Aufregung. „Johanna beeile dich, sonst kommt ihr zu spät zu eurer eigenen Trauung.“ Mutter Haiser steht im Flur des alten Bauernhauses in Müß und schaut ungeduldig nach oben. „Wo bleibt ihr denn nur? Macht mal zu, dass Auto ist auch schon da.“ Vater Haiser hat sich schick gemacht. In einem grauen Anzug, einem Hemd in Altrosa sowie einem breiten Schlips dazu, tritt er nervös von einem Fuß auf den anderen. „Ich glaube ich brauche noch einen Schluck aus der Pulle, man ist mir mulmig im Magen.“ „Heiratest du oder deine Tochter“, antwortet die Mutter. Sie schüttelt den Kopf und sagt ganz leise, „Männer“! Der angehende Schwiegersohn dagegen, steht vor dem Haus und raucht eine Zigarette nach der anderen. Dabei schaut Jens in den blauen Himmel, „Ach was für ein Tag!“ Was hatten ihn die Hochzeitsvorbereitungen für Nerven gekostet! Zunächst gab es für den langen Jens keinen passenden Anzug zukaufen. Nicht in der Stadt, nicht anderswo. Nur weil er der Verkäuferin im Herrenbekleidungsgeschäft leidtat, kam man dann doch noch zu einer Lösung. Das Jacko eines Anzugs in einer größeren Bekleidungsgröße und die Hose von einem kleineren Anzug. Dann war da noch die Sache mit dem Schlips. Jens sträubte sich, so ein „Olles Ding“ wie er es nannte, zukaufen. Auch hier einigte man sich letztendlich auf eine Fliege. Und das allergrößte Problem, waren die Eheringe. Wohl gab es Ringe in der Stadt, aber nicht für Jens. So lang wie er war, so groß erschienen auch die Hände. Erst die Erbstücke vom Großvater halfen, dass der Goldschmied für Jens einen Ring anfertigen konnte.
Nun ist endlich soweit, heuet heiratet Jens seine Jugendliebe, Johanna. Lange genug hat er um die Liebe zu Johanna gekämpft. Johanna und er kennen sich seit dem Kindegarten. Es war Liebe auf dem ersten Blick, sozusagen bereits im Sandkasten. Sie mochten sich ohne viele Worte. Viel Zeit ist seitdem vergangen. Sie haben gemeinsam die Polytechnische Schule besucht und erfolgreich ihren 10 Klassenabschluss gemeistert. Jens hat eine Lehre als Elektriker absolviert und seine große Liebe ist Verkäuferin geworden. Nie haben sie sich aus den Augen verloren. Vor genau einem Jahr nun bat Jens um die Hand der Tochter von Familie Haiser. Er, der aus einem Heim kam und nichts besaß als sich selbst. Er wagte es, die angesehene Familie Haiser um die Hand der Tochter Johanna zu fragen. Entgegen seiner Vorstellung, sagten die Haisers nicht nein. Im Gegenteil, man nahm Jens freudig im Kreise der Familie auf. Seit einigen Wochen nun wohnen sie gemeinsam aber jeder in einem anderen Zimmer, unter dem Dach der Eltern. Johannes Eltern leben in einem alten Bauernhaus am Rande von Schwerin. Sie haben das Haus schon von ihren Eltern geerbt. Die Großeltern wiederum von deren Eltern und somit ist das Haus seit vier Generationen in Familienbesitz. Mit einem Reetdach gedeckt, fällt es in der Dorfstraße jedem Betrachter ins Auge.
Den Haisers geht es richtig gut. Die Eltern arbeiten beide im Ministerium für Landwirtschaft. Dass ihre Tochter, ihr einziges Kind nur Verkäuferin gelernt hat, gefällt ihnen zunächst nicht. Aber was tut man nicht alles für die geliebte Tochter. Die Haisers verehren ihr Kind abgöttisch. Und alles was Johanna will, wird für selbstverständlich getan. So manch einer Familie im Dorf sind die Haisers ein Dorn im Auge. Neidisch ist man. Zur Hochzeit ganz ohne Wissen des Brautpaares, werden sie den alten „Trabbi“ der Brauteltern geschenkt bekommen. Die Haisers haben dafür die Aussicht auf einen fast neuen „Wartburg 354“. Besorgt, um tausend Ecken, von einem alten Kumpel. Eigentümer eines neuen Warburgs sein zu dürfen, entspricht nur wenigen privilegierten Mitbürgern in dieser sozialistischen Gesellschaft. Aber was macht nicht alles, um der Tochter willen. Wie dem auch sei, wenn nur alles so klappt, wie die Haisers sich es vorgestellt haben. Endlich erscheint Johanna auf dem oberen Treppenabsatz, im Hintergrund steht ihre beste Freundin. Vater und Mutter schauen stolz nach oben. „Ach sieht unsere Tochter nicht schön aus? Wie Lilli Marlen, nur viel schöner.“ Die langen blonden Haare liegen in großen Wellen auf den Schultern. Ein kleiner zarter Haarreif schmückt den Kopf und ein schneeweißes langes Brautkleid bestückt mit weisen Stoffrosen geben der Braut ein elfenhaftes Aussehen. Mit ihren gerade mal 50 kg Körpergewicht sieht sie zauberhaft aus. Betont langsam geht Johanna die steile Treppe nach unten, ihre Freundin Marlies folgt ihr. Ein Duft von Opium umgibt die junge schöne Frau. Beim Anblick der Tochter, laufen Mama Haiser die Tränen, so sehr ist sie vom Aussehen ihrer Tochter ergriffen. „Nun Mädel, was heulst du jetzt schon, ist doch noch nicht soweit.“ Vater Bernd versteht die Ergriffenheit seiner Frau nicht. Er kann sich nicht erinnern, dass seine Mutter an seinem Hochzeitstag geheult hätte. „Typisch Weiber“, mault Bernd und geht seiner Tochter voraus nach draußen, wo mit Spannung der Bräutigam wartet. Jens verschlägt es die Sprache. Wortlos schaut er zu seiner zukünftigen Frau. „Oh man, ich bin hin und weg, schaust du schön aus!“ So viel Glück auf einmal, Jens kann es kaum fassen. Immer wieder muss er seine Johanna anschauen. Wie schön sie doch ist, seine Johanna. Schwiegermutter hat Recht, wenn sie behauptet, dass Johanna einer Elfe gleicht. Mit ihren knapp 1,60 muss sich der Bräutigam bücken, möchte er die Braut auf den Mund küssen. „So liebes Brautpaar ab ins Auto, ansonsten findet die Trauung ohne euch statt. Die Zeit bleibt nicht stehen.“ Vater Bernd hat ein Machtwort gesprochen. Für die Fahrt zum Standesamt steht ein „weißer Kugelporsche“, sprich ein „Trabant 500“ bereit. Liebevoll geschmückt mit roten Rosen. „Steigt ein, ich werde euch chauffieren.“ Galant bittet Vater Bernd das Brautpaar zum Wagen. Doch wie soll ein 1,90m großer Mann auf dem Rücksitz Platz finden? Dem Bräutigam ständen die Knie bis an die Ohren. „Nein so geht das nicht“, sagt der Brautvater nun verärgert. „Musst eben vorn bei mir sitzen, geht eben nicht anders!“ So hatte Vater Bernd es sich zwar nicht vorgestellt, aber an die Größe seines Schwiegersohnes hatte er nicht gedacht. Endlich sitzt Jens neben dem Brautvater und die Braut alleinauf dem Rücksitz. Die übrigen Gäste folgen mit dem geliehenen Wagen des Nachbarn zum Standesamt. Die Fahrt geht mit viel Gehupe durch die Altstadt bis zum Standesamt. Während der Tour will Jens unbedingt erfahren, wo der Schwiegervater den Trabant aufgetrieben hat. „Nee mein lieber zukünftiger Schwiegersohn, du kannst gewiss alles essen, aber nicht alles wissen. Hab halt so meine Beziehungen.“ Mehr will er nicht verraten. Am Ziel angekommen, wartet die nächste Überraschung auf das verblüffte Brautpaar. Soweit sich Johanna und Jens erinnern, sollte es eine Trauung im engsten Kreise der Familie werden. Was hier vor dem Standesamt wartet, übertrifft bei weitem der Vorstellung einer kleinen Familienfeier. Vater Bernd steigt aus dem „Kugelporsche“ und hilft seiner Tochter aus dem Auto. Dann läuft er geschwind um das Auto, um auch seinen Schwiegersohn behilflich zu sein. Vor der Treppe stehen in Spalier Verwandte, Bekannte und die besten Freunde. Wer hatte sie wohl alle eingeladen? Jens schaut seinen zukünftigen Schwiegervater an, der jedoch zuckt mit den Schultern, als wüsste er von nichts. „Weiter, weiter gehen nicht stehen bleiben, staunen könnt ihr nach der Trauung“. Behutsam schiebt er das Brautpaar vor sich her. Vorbei an die vielen Gäste, hoch in das große Trauzimmer des hiesigen Stadesamtes von Schwerin. Nach einigen Minuten des Wartens, öffnen sich die großen Flügeltüren und eine Standesbeamtin bittet die Hochzeitsgesellschaft herein. Ihr fallen fast die Augen aus dem schön gepflegten Kopf, als sie das Gefolge des Hochzeitspaares erblickt. „So viele! Ich glaube fest, dass die Stühle nicht ausreichen werden! Leicht verwirrt, bittet sie das Brautpaar und die Hochzeitsgäste in den Saal. „Das Brautpaar nimmt vorn am Tisch Platz, dann die Eltern, Onkel und Tanten und die Freunde. Verärgert über sich selbst, was sie daherredet, versucht die Standesbeamtin ihre Worte zurück in die richtige Bahn zu lenken. Als alle im Saal einen Platz gefunden haben, atmet die gestresste Standesbeamtin durch, „Gott sei Dank“. Schließlich hat sie für jede Trauung nur 20 Minuten. Leise wird die Tür von außen verschlossen. Musik erklingt und die Standesbeamtin erhebt sich von ihrem Stuhl, um das Brautpaar zu begrüßen. Johanna und Jens aber befinden sich im „siebenten Himmel“ und müssen erst durch ein Räuspern der Standesbeamtin zurück in den Trauungssaal beordert werden. „Darf ich dann beginnen? Liebes Brautpaar…“Während der Rede der Standesbeamtin schaut sich das Brautpaar unentwegt an. Dass Frau Mama hinter ihnen heftig schnäuzt, bemerken die beide nicht. So sehr sind sie mit sich beschäftigt. Erst als die Musik verstummt, horchen beide auf. Vater Bernd stupst seine Tochter an, beugt sich zu ihr vor und flüstert verärgert, „Man hört endlich zu, verliebt sein könnt ihr hinterher so ewig.“
Jens und Johanna antwortet auf die Frage der Standesbeamtin, ob sie den Bund der Ehe eingehen wollen. Natürlich beantworten die zwei die Frage mit einem zärtlichen Ja! Vor lauter Aufregung und weil die Finger von Jens geschwollen sind, bekommt die Braut den Ehering nicht über den Finger gestreift. Sie schwitzt Blut und Wasser. Hilfesuchend schaut sie die Standesbeamtin an. Diese nickt wohlwollend. Johanna versucht es ein letztes Mal. Die Anstrengung hat sich gelohnt, endlich sitzt der Ring da, wo er hinsoll. Jens hat weniger Schwierigkeiten. Beim ersten Versuch rutscht der Ehering an seinen Platz. „Das Brautpaar darf sich nun küssen“, verkündet die Standesbeamtin. Sichtlich erleichtert küsst Jens seine Ehefrau Johanna ganz vorsichtig, als wäre sie aus Porzellan auf den Mund. Verliebt bis über beide Ohren schaut sich das eben getraute Paar an. Sie müssen jetzt nur noch die Heiratsurkunden unterschreiben und dann ist die Trauung im Standesamt von Schwerin beendet. Und wieder öffnen sich die großen Flügeltüren des Saales und die Hochzeitsgesellschaft begibt sich nach unten. Hier erwartet sie ein Fotograf, auch ein Freund von Vater Bernd. Der soll nun das junge Glück im Bild festhalten. Nachdem alle Fotos im „Kasten“ sind, geht es weiter mit den Überraschungen. Nicht nach Haus, wie das junge Paar sich denkt, geht es mit Pfaffenteichfähre über den See. Denn hier auf der anderen Seite gibt es einen Fotografen mit professioneller Erfahrung. Hier sollen die richtigen Hochzeitsfotos gemacht werden. Der Rest der Gesellschaft fährt unterdessen nach Müß zurück. Haisers haben nicht nur ein schickes altes Bauernhaus, dazu gehört ein großes Grundstück mit viel Garten und einem Schwimmteich. Während man im Standesamt von Schwerin heiratet, haben unzählige Heinzelmännchen den Garten für eine richtige Hochzeitsfeier vorbereitet. Es macht schon was aus, wenn das nötige Kleingeld dazu vorhanden ist. Pünktlich zum Mittagstisch erscheinen die Jungvermählten. Mit einem riesigen „Hallo“ werden sie begrüßt. Nachbars Kinder haben einen Blumenkorb in den Händen und bewerfen die jungen Eheleute mit Rosenblättern. Onkel Hans aus Hamburg, natürlich wurde er auch eingeladen, filmt ohne Ende mit seinem Camcorder. Auch so was Neumodisches aus dem Westen, was hier noch keiner kennt. Johanna und Jens kommen aus dem Staunen nicht heraus. Nun fehlt nur noch das Hochzeitsgeschenk der Eltern von Johanna. Bevor zu Tisch gebeten wird, lässt Vater Bernd ein leeres Sektglas klingen. Er bittet um die Aufmerksamkeit der Hochzeitsgäste. Alle schauen gespannt zu ihm hin. Was jetzt wohl kommt? Keiner ahnt etwas, nur die Mama von Johanna ist eingeweiht. Vater Bern erhebt sich vom Hochzeitstisch. So dass alle Gäste ihn sehen können. „Liebes Brautpaar, liebe Gäste“, erschallen seine Worte. „Heut nun haben sich unsere von uns über aller geliebten Tochter und den uns lieb gewordenen Schwiegersohn das „Jawort“ gegeben. Wir haben lange darüber nachgedacht, womit wir den jungen Eheleuten eine Freude machen können. Geschirr, Bettzeug, Geld? Dass schaffen sich die beiden selber an. Aber ein Auto! Dafür reicht es sicherlich noch nicht. Ja und somit schenken wir euch unseren „Trabant“. Würden nicht die Schwalben zwitschern, würde man denken, die Welt sei menschenleer. So still ist es augenblicklich. Vater Bernd holt die Gäste aus ihrem Staunen zurück. „Na ja, ist ja nicht das neuste Auto, aber für den Anfang soll es genügen“, dabei zieht er langsam mit Bedacht ein großes weißes Tuch von einem Auto herunter. Geschmückt mit vielen Rosen und einer großen roten Schleife steht er da, der Trabbi von Familie Senior Haiser. Junior Haiser glaubt nicht, was er sieht. Nie hätte er sich ausmalen können, ein Auto zu besitzen, nie! Jens war stets Bescheidenheit gewohnt. War er nicht in einem Kinderheim groß geworden? Jens hatte keine Eltern mehr, warum wusste er nicht, hatte aber auch nie nachgefragt. Er hatte seine Liebe in Zippendorf am Strand als Heimkind kennen gelernt. Und wie der Zufall es wollte, besuchten sie die gleiche Schule auf dem Dreesch in Schwerin. Und bereits in der ersten Klasse schwor er, dass er nur seine Johanna ehelichen würde.
Die Stille wird durch heftiges Klatschen beendet. Johanna und Jens gehen zu Bernd und Ingrid. „Danke, danke, ich weiß gar nicht, was ich sonst noch sagen soll“, stammelt Jens. Johanna küsst den Papa und die Mama und das reicht ihr als Danksagung. „Jetzt habe ich Hunger, Papa, bitte lass uns nun essen“, mahnt Johanna. Eine lange Tafel steht mitten im Garten, gedeckt mit kulinarischen Leckerbissen, die man zu dieser Zeit in diesem Land auftreiben kann. Jetzt hört man ein: „Ah, oh, lecker“! Bevor Johanna sondieren kann, was es so an schönen Dingen zu essen gibt, bittet der Brautvater noch einmal um Aufmerksamkeit. „Nun liebes Brautpaar, liebe Freunde, werte Gäste. Ich will jetzt keine lange Rede schwingen. Sicher habt ihr alle bereits großen Hunger. Nur eines sei schnell erwähnt. Wir, die Brauteltern wünschen den jung Vermählten alles Glück der Welt. Das sie immer zu einander stehen, auch wenn der Haussegen dann und wann schief hängt. Wir wünschen euch ganz viele Kinder und Gesundheit und ein langes Leben.“ Nun muss sich der Brautvater schnäuzen, die Tränen halten nicht an. „Sind eben Freudentränen“, erklärt er entschuldigend für sein plötzlich aufkommendes Gefühl. „Ein Tost auf das Brautpaar und nun wünschen ich einen guten Appetit.“ Endlich hat Johanna die Möglichkeit zu schauen, was die Eltern alles aufgetischt haben. Da sind ihre Schillerlocken, Schrimps, Rotbarschfilet, Wildgulasch, Kroketten und anderes. Dankbar schaut sie zu den Eltern. Die haben wohl den gesamten Delikatessenladen aus der Stadt leer gekauft. Jens interessiert weniger, was auf dem Tisch steht, mehr, dass er satt wird. Jens hat stets Hunger. In so einen langen Kerl passt eben eine Menge rein. „Guten Appetit, mein Engel. Lass es dir schmecken.“ Johanna schaut ihren Jens an, „Du auch min lieber Schatz.“ Vater Bernd achtet mit Argusaugen während der Tischzeit darauf, dass immer genug zu trinken nachgeschenkt wird. Die Gäste werden lauter, ein Zeichen für ihn, dass man wohl alle Hochzeitsgäste satt bekommen hat. Zeit für ihn, noch einmal ein Sektglas erklingen zulassen. Die nächste Überraschung wird angekündigt. Ja man kann sagen, die Haisers haben bis ins kleinste Detail die Hochzeit ihrer einzigen Tochter gut geplant und vorbereitet. „Liebes Brautpaar, damit der Tag für euch und natürlich für unsere Gäste ein unvergesslicher Tag wird, haben wir noch eine Überraschung parat. Um 14 Uhr werden wir mit der „weißen Flotte“ eine Schiffsfahrt über den Schweriner See machen. Dazu sind alle recht herzlich eingeladen. An Bord wird Kaffee und Kuchen serviert. Zum Abend werden wir wieder zurück sein und in gemütlicher Stimmung den Tag ausklingen lassen.“ Heftiger Beifall bestätigt Vater Bernd sein organisatorisches Talent. Dem Brautpaar fällt dazu nichts ein. Sie sind einfach von den vielen neuen Eindrücken überwältigt. Vom Haus der Eltern bis zur Schiffsanlegestelle geht man zirka 10 Minuten zu Fuß. Da der Hochzeitszug die alte Dorfstraße gehen muss, gibt es viele Schaulustige, die dem Hochzeitspaar zurufen und ordentlich klatschen. Man kennt sich eben ein Leben lang. Der Ausflugsdampfer liegt bereits an der Schiffsanlegestelle. Johannas Vater hat wirklich an alles gedacht! Dieses Schiff fährt eigens nur für die Hochzeitsgesellschaft, was unverkennbar zu sehen ist. Girlanden und Luftballons schmücken den Dampfer. Die Schiffscrew erwartet bereits seine Gäste. Auch hier an Bord ist alles wunderschön eingedeckt. Eine Einmannkapelle sorgt für seemännische Unterhaltung. Johanna schaut ihren Jens an. „Ist das nicht einfach alles wunderbar? Mein Vater hat sich ganz schön in Unkosten gestürzt. Schau Jens, da ist Kaninchenwerder. Da müssen wir mal hin, mit Papas Boot.“ Jens nickt nur, „Ja mein Schatz, machen wir gewiss. Doch heut ist heut und das wollen wir genießen. An Morgen können wir später denken. Prost mein Schatz.“ Zärtlich drückt Jens seine Ehefrau an sich. Plötzlich hebt er sie hoch, „So kannst du besser die Insel sehen, oder?“ „Lass mich wieder runter, bitte bitte. Ich habe Angst, dass du mich fallen lässt und dann auch gleich ins Wasser.“ Jens muss lachen, „Nee mein Schatz, dich lass ich nie wieder los, gleich gar nicht fallen, und außerdem bist du ein Fliegengewicht. Dich spüre ich kaum.“ Eben ausgesprochen hebt er seine Braut auf ein Neues in die Höhe. Da Johanna die ganze Hochzeitsgesellschaft mit ihrem lauten Schreien auf sich aufmerksam macht, lässt Jens sie flugs nach unter. „Besser?“ Johanna nickt. Die Fahrt mit dem Schiff geht vom Schweriner Innensee durch den Kanal am Paulsdamm bis in den Außensee. Von hier aus können die Gäste einen Blick auf das Schloss „Willi Grad“ werfen. Der Kapitän ist nicht nur ein guter Schiffsführer, er ist gleichzeitig ein begabter Reiseführer auf See. So erfahren die Gäste viel über ihr Land und ihrem See. Alles hat ein Ende und so auch die Kaffefahrt. „Schade“, meint Johanna, „ich wäre gern noch auf dem Wasser geblieben. Man kann so weit schauen.“ In der Zwischenzeit haben die unheimlichen fleißigen Heinzelmännchen von Herr Haiser Senior ihr Tageswerk vollbracht. Für einen gemütlichen Abend ist gesorgt. Der Tag begann mit herrlichem Sonnenschein. Die Sonne meint es gut mit den Hochzeitsgärten und schickt jetzt ihre Abendstrahlen, als wären sie eigens nur für die hiesige Gesellschaft. Hannes der „Schallplattenaufleger“ vom Retgendorfer Zeltplatz macht sich seit Minuten warm. Hannes ist wie Jens im Kinderheim aufgewachsen. Die beide verbindet eine lange Freundschaft. Zur Ehren von Jens und Johanna darf er heut die Platten auflegen. Gern stände er statt Jens vordem Altar. Johanna hatte sich bereits im Sandkasten für seinen Freund entschieden. Hannes musste, ober wollte oder nicht, sich mit dem Part des guten Freundes abfinden. Mit den Jahren gelang es ihm, heut nun ist er der beste Freund der Jungvermählten. Er kennt ihren Musikgeschmack und will das Brautpaar heut Abend nicht enttäuschen. Ein Blick von Brautvater Bernd und Hannes weiß, dass er nun loslegen darf. Inzwischen sind alle Gäste im Garten eingetroffen. Manch einer noch schwatzend über die schöne und gelungene Schiffsfahrt. Doch Bernd stellt sich in Position und lässt nun bereits zum vierten Mal das Sektglas klingen. „Meine lieben Freunde, liebe Gäste, ach eben alle Anwesenden. Ist das nicht ein schöner Tag heut? Hat es bis eben allen gefallen? Wenn nicht, bitte raustreten! Keiner? Na ja, ist auch besser so.“ Zustimmendes Gelächter ermuntert Vater Bernd weiter zu sprechen. „Ich wollte nur kurz erwähnen, dass ich noch einen schönen Abend wünsche, mit einem kräftigen Happen zur Stärkung, einem guten Schluck hinterher und flotter Unterhaltung mit Hannes dem Plattenaufleger.“ Vater Bernd greift zu einem Bier, „So liebe Frau, ich habe für meinen Teil meine Pflichten erfüllt und gehe nun zum gemütlichen Abend über, prost!“ Mutter Ingrid legt ihren Arm auf die Schulter ihres Mannes und raunt ihm liebevoll zu, „ Haste wirklich alles ganz toll organisiert, wirklich, ein gelungener Tag! Danke mein lieber Mann.“ „Und nun bitte ich das Brautpaar zum Brauttanz“. Hannes legt eigens dafür einen Titel von Roy Black auf: Ganz in weiß mit einem Blumenstrauß… Gefühlvoll führt Jens seine Angetraute durch den Tanz. Sie schauen sich dabei tief in die Augen und vergessen alles um sich herum. „Glücklich, mein Schatz?“ Johanna beantwortet die Frage mit einem innigen Kuss, dabei haucht sie ein überzeugendes „Ja“. „Ich freue mich auf die Nacht mit dir, hoffentlich gehen die Gäste nicht so spät“. Jens muss laut lachen. „Und wenn, dann verlegen wir die Nacht auf den Morgen, wir haben doch Urlaub.“ Der hochzeitstanz endet und nun tanzen die Gäste ebenfalls. Hannes lässt sich nicht lumpen und hat so einiges zu bieten, was es normaler weiser nicht auf dem Musikmarkt der DDR zu kaufen gibt. Aber wozu gibt es einen Onkel in Hamburg. Die Sonne ist längst am Horizont verschwunden, der Mond zeigt sich in seiner vollen Schönheit. So endet dieser besondere Tag wunderbar. Zufrieden gehen die Gäste heim, die Eltern zu Bett und das junge Ehepaar in seine erste gemeinsame Nacht. Johanne kennt bis heut nicht mehr als einen innigen Kuss. Nie zu vor hat sie mit ihrem jetzigen Mann geschlafen. Jens geht es nicht anders. Für ihn gab es und wird es nur diese eine Frau geben. Für das junge Paar beginnt eine bis dahin nie gekannte Begegnung. Aufgeregt wie die Hühner, welche gerade Eier legen, begeben sie sich in ihr Schlafzimmer. Zusammen mit dem Schwiegervater baute Jens unter dem Dach eine Mansarde zum Schlafzimmer um. Der Wusch der Eltern bestand eh darin, dass irgendwann die Kinder das alte Bauernhaus erben sollten. „ Schau weg, ich bin noch nicht ausgezogen“, zitternd und etwas Scheu kriecht Johanna schnell unter die Bettdecke. „Nun mach mal halb lang, wir haben Sommer und was du nicht möchtest, passiert auch nicht.“ Mit einem Satz ist Jens im Bett und krabbelt unter die Zudecke seiner frisch angetrauten Frau….
Der Sonntag beginnt wie der Samstag. Die Sonne scheint bereits. Johanna rekelt sich und schaut dabei ihren Jens liebevoll an. „Na mein Schatz, hast du gut geschlafen?“ Jens lacht lautlos, „ Und wie mein Engel. Dann lass uns nach unten gehen, bevor die Eltern uns rufen.“ Von der Küche her riecht es bereits nach frischem Kaffee und heißen Brötchen. „Guten Morgen meine Lieben, na? Wie war die erste Nacht zu zweit?“ „Mama! Wir haben geschlafen. Und außerdem plaudert man nicht über intime Dinge!“ „Ist ja gut, mein Schatz, setzt euch, dass Frühstück wartet.“ Das lassen sich die Jungvermählten nicht zweimal sagen. „ Wo ist eigentlich Papa?“ Johanna schaut sich fragend um. „Ja der kommt gleich. Ich glaube, er hat noch etwas vergessen.“ Mamma Inge schmunzelt dabei geheimnisvoll. „ Mama, nun sag. Ist doch noch nicht Weihnachten!“ „Iss mein liebes Kind, iss.“ Jens lässt sich das nicht zweimal sagen. Sein Hunger ist enorm. Es sind kaum wenige Minuten vergangen, da erscheint Vater Bernd, mit einem dicken Brief unter dem Arm. „ Morgen, morgen alle miteinander. Na gut geschlafen?“ Mit vollem Mund nicken die Gefragten. „ Na dann, dann kann euch nichts umhauen. Wir haben da noch eine Kleinigkeit für euch. Wir dachten, ein paar Tage zu zweit, kann dem jungen Glück nur dienlich sein. Deshalb haben wir für euch eine Hochzeitsreise gebucht. Was sagt ihr nun?“ Jetzt verschluckt sich Jens fast an seinem frischen Ei. „Papa! Was soll das? Es ist wirklich genug der Überraschungen. Wie sollen wir das je gut machen?“ „Ganz einfach mein Sohn. Wir sind für euch da und ihr später für uns. Nur wenn wir uns immer verstehen werden, macht es Spaß zusammen unter einem Dach zu leben. Wir geben von Herzen und nun papperlapapp, hört mir jetzt mal zu! Gleich morgenfrüh werdet ihr in Richtung Ostsee starten. Im FDGB-Ferienheim „Strandkorb“ in Boltenhagen haben wir für euch einen 14 tägigen Aufenthalt gebucht.“ „Oh Papa, das ist wunderbar. Ich liebe die Ostsee!“ Johanna gibt ihrem Vater einen väterlichen Kuss. „Und du Jens, freust du dich nicht?“ „ Doch Schwiegerpapa, bestimmt. Aber so viele Überraschungen, die muss ich erst einmal verdauen. Aber bis morgenfrüh denke ich, habe ich es kapiert.“ Johanna hat plötzlich keine Ruhe mehr. „Oh Mama, da muss ich jetzt Koffer packen und was viel wichtiger ist. Ich muss meiner besten Freundin absagen. Wir hatten vor, in den nächsten Tagen nach Schwerin ins Kaffee zu gehen. Nun schaut nicht so. Ist schließlich meine Freundin und unter Frauen, da will man halt allein reden. Mama! Sag doch was. Stimmt, oder?“ „ Ja ja mein Kind, du hast recht. Nun geh schon.“ Völlig aufgelöst verschwindet Johanna nach oben. Jens nimmt die Sache gelassen. „ Da kann ich wohl meine Frau für heut vergessen. Sag an Papa, hast du Lust mit mir eine Runde auf dem See zu drehen?“ Vater Bernd überlegt nicht lang. „ Warum nicht, bis Mittag hat es noch Zeit, na dann komm. Mutter? Geht das in Ordnung?“ Mutter Ingrid lächelt. „ Haut schon ab. Ich werde inzwischen die Reste von gestern aufwärmen. Aber Nachmittag unternehmen wir zusammen etwas. Schließlich verreisen unsere Kinder für 14 Tage.“ „Oh mein Gott, was sind schon 14 Tage. Die werden wir in trauter Gemeinsamkeit genießen.“
Für Johanna will die Nacht kein Ende nehmen. Ihr Mann schläft sorglos. Heut würden sie auf Hochzeitsreise gehen. Ohne die Eltern wären sie die 14 Tage Urlaub zu Haus geblieben. Leise entschlüpft sie dem ehelichen Bett. Liebevoll schaut sie zu Jens. Der aber schläft. Johanna kann nicht mehr schlafen. Das Reisefieber hat sie gepackt. Vorsichtig, auf leisen Sohlen geht sie zum Fenster. Die Sonne lacht und die Vögel zwitschern ihr Morgenlied. Behutsam öffnet sie das Fenster. „Ach tut das gut“, tief atmet sie die frische Luft ein. Im Hof sieht sie den Trabant stehen. Jetzt ist es ihr Auto. Die Eltern sind einfach klasse denkt sie. Plötzlich steht Jens hinter ihr. „ Hallo mein Engel, du kannst wohl nicht mehr schlafen?“ Johanna dreht sich um, funkelt ihn an und sagt einfach nur, „Nee!“ „Dann wollen mir mal einpacken, frühstücken und ab geht es in den Urlaub, mein Engel“ Johanna liebt ihren Jens über alles. Er hat Verständnis und nichts bringt ihn aus der Ruhe. Seiner Frau liest er förmlich jeden Wunsch von den Augen ab. Johanna sieht in eine glückliche Zukunft. „Lasst es euch gut gehen, passt auf euch auf. Bis dann.“ Die Eltern winken ihren Kindern zum Abschied. Mit einer Träne im Auge hakt sich Mutter Ingrid bei ihrem Mann ein und sie gehen ins Haus zurück.
Das Ostseebad Boltenhagen ist ein beliebtes Ausflugziel der Ostdeutschen, stets gut besucht und einfach schön. Das junge Paar ist nach zwei Stunden Autofahrt am Ziel. Schnell und unkompliziert finden sie das Quartier. Im Ferienheim werden sie ohne viel Federlesen eingewiesen. Dann sind beide doch überrascht. Irgendjemand hat geplaudert. Auf ihrem Zimmer steht ein Strauß Rosen und eine Glückwunschkarte vom FDGB- Ferienheim zur Hochzeit. „Deine Eltern haben und wirklich lieb, diese vielen unerwarteten Überraschungen“, zärtlich küsst Jens seine Frau. In Eile werden die Koffer abgestellt und das Badezeug eingepackt und ab geht es zum Strand. „ Oh wie herrlich! 14 Tage lang nur sonnen, ins Wasser gehen, faul sein. Man Jens ich bin überwältigt.“ Johanna streckt sich auf dem Badetuch aus und lässt sich von der Sonne verwöhnen. Weit kann man auf das Meer hinausschauen. Jens setzt sich neben seine Frau, zieht die Knie an und schaut aufs Meer. Lang beobachtet er das Treiben auf dem Wasser. „ Du Johanna, wenn wir wollten könnten wir hier über das Meer abhauen.“ Erschrocken über die Worte ihres Mannes sitzt sie in Sekunden neben ihm. „Wie, was, was hast du gesagt????“ Entsetzt über das eben gehörte, starrt Johanna ihren Liebsten ungläubig an. „ Das meinst du nicht ernst, oder doch?“ Jens muss über das entsetzte Gesicht seiner Ehefrau herzlich lachen. „ Oh Gott, so habe ich das nicht gemeint. War nur ein Scherz. Ich lass dich nicht allein und setzte dich auch keiner Gefahr aus, ich schwöre!“ Johanna entspannt sich wieder. Sie hat noch nie über Republikflucht nachgedacht. Ihr geht es gut hier und sie hat alles, was sie sich wünscht. „ Mach das nie wieder, hörst du. Damit soll man nicht scherzen.“ Jens beruhigt seine Frau und legt sich zu ihr auf die Decke. Nun tut es ihm leid, dass er seine Frau so in Angst versetzt hat. Jens und Johanna fahren nach Wismar, für beide bis dahin eine unbekannte Stadt. Andere Tage wandern sie die Küste entlang, soweit sie dürfen. Gehen ins Kino, schlecken jeden Tag. Und doch vergeht die Zeit wie im Flug. Lieben sich jede Nacht und Johanna wird schwanger. Schneller als gedacht sind beide wieder daheim. Mama Ingrid ist unendlich glücklich, ihre Tochter wieder in die Arme zu schließen. „Und wie war es? Habt ihr schöne Tage verbracht, da oben an der Ostsee?“ Johanna kommt nicht mehr dazu, auf die Frage der Mutter zu antworten, ihr ist plötzlich fürchterlich schlecht. Sie hat nur ein Ziel, die Toilette. Mama Ingried schmunzelt nur.