Читать книгу Fürstenkrone Staffel 14 – Adelsroman - Jutta von Kampen - Страница 6

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Im Schloßhof von Kronstein versammelten sich die Teilnehmer der Fuchsjagd. Die Herren trugen rote Röcke, weiße Hosen und hohe schwarze Stiefel und die Damen schwarze Reitjacken. Die elegantesten Teilnehmer waren wie jedes Jahr die Fürstin-Mutter, Margareta von Kronstein, und ihre Cousine, die Gemahlin ihres verstorbenen Vetters, Gräfin Helena von Auen. Diese beiden Damen ritten im Damensattel, mit langem Schleppkleid und kleinem Zylinder. Sie waren beide hervorragende Reiterinnen – auch wenn sie davon absahen, die schwierigsten Hindernisse zu springen. Schließlich hatten sie beide die Fünfzig längst hinter sich gelassen. Und wie jedes Jahr behaupteten sie auch beide lachend, den Wettstreit ohnehin nur unter sich auszutragen.

»Nächstes Jahr mache ich euch beiden Konkurrenz!« sagte vergnügt die bildschöne Verlobte des Gastgebers zu ihrer zukünftigen Schwiegermutter.

»Das hast du schon vergangenes Jahr versprochen«, zog die Fürstin sie amüsiert auf und betrachtete sie mit liebevollem Stolz. Was für ein schönes Paar würden die beiden abgeben! Ihr Sohn und seine Verlobte, die Prinzessin Beatrice von Lindenburg. Sie hatte einen erstklassigen Sitz, als wäre sie mit dem Pferd verwachsen. Es war eine wunderschöne Fuchsstute mit drei weißen Fesseln und einer sternförmigen Blesse. Ein überaus edles und hoch gezüchtetes Tier, das unter seiner eleganten Reiterin nervös tänzelte.

»Schau dir doch nur Stella an«, kam Gräfin Helena der Prinzessin zur Hilfe. »Ich finde es leichtsinnig, daß du überhaupt auf einem so nervösen Tier an einer so schwierigen Jagd teilnimmst!«

»Ach was, liebe Tante! Stella ist nur ungeduldig!« meinte Beatrice und klopfte den glänzenden Hals der Stute.

Sie nickte den beiden Damen zu und begann auf einem weniger frequentierten Platz ein paar Dressurfiguren mit Stella zu reiten, um das Pferd zu beschäftigen und damit zu beruhigen.

Die beiden Damen sahen ihr nach. Sie dachten beide das gleiche: Was für ein bildschönes Mädchen! Ihre erstklassige Figur wurde von den knappen Reithosen und der vorzüglich geschnittenen Jacke betont. Ihr reiches, goldblondes Haar hatte sie unter der Reitkappe verborgen. Ihr schmales, schönes Gesicht war von klassischem Ebenmaß, eine feine, kleine Nase, weiche, rote, kaum merklich geschminkte Lippen und wunderschöne dunkelblaue Augen unter dichten schwarzen Wimpern und sehr fein gezeichneten Brauen.

»Sie passen gut zusammen«, sagte Gräfin Helena anerkennend – und meinte Beatrice und ihr edles Reitpferd.

»Ja«, stimmte Margareta mit lächelndem Stolz zu – und meinte Beatrice und ihren Sohn, den jungen Fürsten Benedikt, der heute selbst als Fuchs ritt und eben mit einer Handbewegung den Haushofmeister aufforderte, die Lakaien mit dem Bügeltrunk loszuschicken.

Benedikt sah aus, wie man sich den Sproß eines so alten, vornehmen Geschlechtes vorstellt: hochgewachsen, schlank und dunkel, mit rassig dunklem Gesicht, gebogener Nase, leidenschaftlichem Mund und schönen, dunklen Augen unter dichten Brauen und Wimpern – die ebenso streng wie zärtlich blicken konnten. Besonders wenn er zufällig in Richtung seiner Verlobten schaute.

So gut die beiden auch von Herkunft und Erziehung zusammen paßten – es war eine reine Liebesheirat. Sie hatten sich auf einer Party getroffen, ohne zu wissen, wer sie waren – und vom ersten Moment an war es für beide klargewesen: der – oder keiner! Das nicht nur ihre Herzen, sondern auch alles andere zusammen stimmte, war ein großer Glücksfall, für den beide aufrichtig dankbar waren.

Jetzt kamen die in Livreen in den Farben des Hauses Kronstein gekleideten Diener die breite Schloßtreppe herunter. Sie trugen große Silbertabletts, in welche das fürstliche Wappen graviert war und auf denen gefüllte Champagnergläser standen, oder für Reiter, die einen stärkeren Trunk wünschten, silberne Schnapsbecher.

Fürst Benedikt, der einen sehr zuverlässigen und ebenso schnellen Rapphengst ritt, hob das Glas:

»Hals- und Beinbruch! Und eine frohe Jagd!«

Die Kapelle der fürstlichen Jäger, in grünen Röcken und Rokokoperücken, wie sie auch die Lakaien trugen, stimmte auf den Jagdhörnern einen heiteren Marsch an. Benedikt reichte sein leeres Glas dem neben ihm stehenden Haushofmeister und gab ihm noch ein paar kurze Anweisungen. Dann hob er grüßend die Hand und verließ als erster den Schloßhof. An seine linke Schulter war der Fuchsschwanz geheftet.

Hastig leerten alle die Gläser und reichten sie den wartenden Dienern. Dann versammelten sie sich hinter der bereits ungeduldig jaulenden Meute.

Als nächster startete Freiherr von Gleichen mit den weißen, braun und schwarz gefleckten Hunden. Er war der einzige im Land, der sich noch so eine große Meute hielt.

Fürstin Margareta hielt sich etwas zurück. Als Gastgeberin ritt sie zumindest während des ersten Teiles der Jagd im letzten Drittel der Reiter, um zur Stelle zu sein, wenn jemand stürzte oder den Anschluß verpaßte. Gräfin Helena schloß sich ihr an.

»Wo ist Beatrice?« fragte sie und sah sich um.

Die Fürstin lachte.

»Sie will heute unbedingt den Fuchs fangen«, erwiderte sie. »Nächstes Jahr ist sie die Gastgeberin – und da darf sie nicht mehr mit den anderen Teilnehmern konkurrieren.«

Die Gräfin lächelte verständnisvoll.

»Schade, daß Hermia nicht kommen konnte«, sagte die Fürstin.

Ihre Cousine runzelte ärgerlich die Stirn.

»Sie macht mir Kummer«, gestand sie dann. »Sie ist inzwischen über Dreißig und will sich einfach nicht zu einer Heirat entschließen!«

»Niemand kann das verstehen – so attraktiv, wie sie ist«, meinte die Fürstin. »Ist sie vielleicht in jemanden verliebt, der verheiratet oder verlobt ist?«

»Sie behauptet, nein«, gab Helena ärgerlich zur Antwort. »Bitte, verdirb mir nicht die Laune, indem du mich an meine ungeratene Tochter erinnerst!« Und sie gab ihrem braunen Wallach die Sporen, so daß er sogleich in einen raschen Galopp fiel.

Fürstin Margareta sah ihr einen Moment nachdenklich nach. Natürlich redete man über die bezaubernde Hermia mit ihren nachtschwarzen Haaren und den grünen Nixenaugen. Sie gehörte zu den reizvollsten Mitgliedern des hohen Adels und hatte an jedem Finger zehn Verehrer, die sie jeden Tag gern geheiratet hätten. Aber zum Kummer ihrer Mutter konnte sie sich nicht entschließen. Sie verstand sich besonders gut mit Benedikt.

Ob sie vielleicht in ihn verliebt war?

Die Fürstin trabte an. Es täte ihr leid um Hermia, wenn dies der Grund wäre. Sie war schön, klug und liebenswert. Aber Beatrice war diejenige, welche Benedikt liebte!

*

Fürstin Margareta hatte recht. Beatrice galoppierte an der Spitze der Kavalkade. Es waren zehn Reiter, die um den Sieg kämpften.

Stella war für ihre relativ geringe Größe und zierliche Gestalt unglaublich schnell und vor allem ehrgeizig.

»Sie ist noch ehrgeiziger als du!« rief Hanno von Seitz Beatrice zu. »Aber es wird ihr nichts helfen!« Und er berührte seine große Hannoveranerin leicht mit der Gerte, so daß sie sich streckte und an Stella vorbeizog.

»Nein!« schrie Beatrice lachend. »Ich gewinne heute! Nächstes Jahr muß ich als letzte reiten!«

»Erwarte nicht, daß ich mein Pferd kavaliersmäßig zurückhalte«, erwiderte Hanno und berührte sein Reittier nochmals mit der Gerte, woraufhin die erneut beschleunigte. Aber nun gab auch Beatrice ihrer Stella die Gerte zu spüren und verstärkte den Schenkeldruck.

Stella legte böse die Ohren zurück und fletschte die Zähne. Als die Hannoveranerin ihr zu nahe kam, schnappte sie nach ihr.

Hanno Seitz lachte schallend.

»Pfui, was seid ihr unfair!«

Beatrice lachte, mit und auf die scherzenden Rufe der anderen Reiter hin, versetzte sie Stella einen strafenden, leichten Schlag mit der Gerte auf die Kruppe.

Aber die ehrgeizige Stute besaß keinen Humor, sie wollte an die Spitze, schnappte erneut nach Hannos bravem Pferd und keilte in alle Richtungen aus.

Da sie in scharfem Galopp ritten, hatte Beatrice das nicht erwartet. Sie war im englischen Jagdsitz geritten, um möglichst leicht zu sein – was aber bedeutete, daß ihr Sitz nicht so fest war, als wenn sie den Galopp ausgesessen hätte, und als Stella sich jetzt auch noch aufbäumte und mit den Vorderhufen nach ihrer Konkurrenz schlug, stürzte Beatrice aus dem Sattel.

Den knapp hinter ihr galoppierenden Reitern gelang es, die Pferde ausweichen zu lassen. Doch Stella war wie verrückt. Sie schlug noch einmal aus und traf Beatrice schmerzhaft in den Leib, daß sie aufschrie. Dann raste das Pferd weiter hinter der Meute her, überholte sie, und erreichte kurz darauf den Fuchs, Fürst Benedikt.

Als dieser sah, daß Stella Beatrice abgeworfen hatte, verhielt er einen Moment. Doch zum Reiten gehört auch ein Sturz, und er unterdrückte seine Sorge und galoppierte weiter. Stella hatte ihn überholt und ging als erste durch das Ziel, wo bereits einige ältere Herrschaften, die nicht mehr reiten mochten, in Jagdwagen warteten.

Hanno von Seitz war Sieger der Reitjagd. Er nahm die Trophäe befriedigt entgegen und war voller Verständnis, daß Benedikt sich nicht lange mit Gratulationen aufhielt, sondern zu dem Unfallort zurückritt.

Nur die ersten zehn Reiter waren bisher im Ziel eingetroffen. Benedikt gab seinem Hengst die Sporen, und der flog dahin. Endlich sah er die restlichen ungefähr fünfzig Reiter, die sich alle um den Unglücksort scharten. Er fühlte, wie sich ihm das Herz zusammenkrampfte.

Es konnte doch nicht sein, es durfte doch nicht sein, daß Beatrice einen wirklich schweren Unfall gehabt hatte!

Totenbleich kam er an, sprang von seinem Pferd und drängte sich durch die Menge. Die Zügel warf er einem der Freunde zu, die ihn blaß und bekümmert ansahen.

Neben Beatrice kniete seine Mutter.

»Der Notarzt ist schon verständigt«, sagte sie leise zu ihm. Dann stand sie auf und bat die Gäste, doch zum Ziel weiterzureiten. »Wir behindern den Arzt nur«, mahnte sie, und bedrückt zogen sich alle zurück.

Niemand hatte mehr Lust auf einen Wettkampf und einen schnellen Galopp. Man ritt mit langen Zügeln in leichtem Trab. Und alle hatten nur den einen Wunsch, daß es weniger schlimm war, als es aussah.

Beatrice lag mit geschlossenen Augen auf der Erde. Sie war halb bewußtlos, nahm alles um sich nur halb zur Kenntnis. Da war Benedikt! Das war die Hauptsache! Sie fühlte einen dumpfen Schmerz. Doch er war so weit weg, daß sie nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob es wirklich weh tat.

Benedikt rief ihren Namen – sie war zu müde, um zu antworten. Aber sie wollte ihn wenigstens anlächeln. Sie ahnte nicht, daß es eine erschreckende Grimasse wurde.

Dann hörte sie eine Menge fremder Stimmen um sich, und jemand sprach von Blutverlust und inneren Verletzungen. War von ihr die Rede? Man hob sie hoch und trug sie – trug sie –

Benedikt stand sprachlos da. Er starrte wie benommen auf die riesige Blutlache am Boden.

Beatrices weiße Reithosen waren blutgetränkt. Dafür war ihr Gesicht so weiß wie Schnee.

»Mein Gott! Mein Gott!« flüsterte er immer wieder tonlos.

Die Fürstin sprach leise und hastig mit dem Arzt. Dann trat sie neben ihren Sohn.

»Benedikt, der Doktor sagt, daß es keine lebensbedrohliche Verletzung zu sein scheint. Das ist doch die Hauptsache.«

»Ja«, sagte er heiser.

»Sie bringen sie mit dem Hubschrauber in die Universitätsklinik.«

»Ja«, sagte er wieder nur.

»Hör zu«, fuhr sie fort. »Du reitest jetzt nach Hause. Laß dich vom Chauffeur in die Klinik bringen. Ich kümmere mich um alles hier.«

»Ja«, murmelte er und rührte sich nicht.

Die Fürstin winkte einen der engsten Freunde herbei und bat ihn, Benedikt zurück zum Schloß zu begleiten und dafür zu sorgen, daß er unter keinen Umständen selbst fuhr. Graf Arco versprach es.

Man führte den Hengst heran, und Benedikt stieg in den Sattel.

»Wo ist Beatrice?« fragte er plötzlich. Es war, als erwache er aus einem Alptraum.

»Man bringt sie in die Universitätsklinik«, erinnerte ihn der Graf.

»Ich muß zu ihr!« stieß Benedikt hervor, gab dem Hengst die Sporen und preschte in so rasendem Galopp los, daß der alte Herr ihm nicht folgen konnte.

Immerhin kam er zurecht, um zu verhindern, daß Benedikt selbst fuhr.

Zuerst wollte er protestieren, doch als er im Wagen saß, war er froh darüber, nicht auf die Straße achten zu müssen.

Als er im Krankenhaus ankam, glaubten die Ärzte, er wäre ebenfalls krank, so mitgenommen sah er aus.

Das Ereignis, das so fröhlich und vielversprechend begonnen hatte, nahm ein trauriges Ende.

Man zog zum Diner nicht die festlichen Kleider an, wie vorgesehen, sondern aß die köstlichen Speisen fast wortlos, noch im Reitdreß. Dann zog man sich zurück, der Fürstin immer wieder sein Mitgefühl versichernd.

Als letzte verabschiedete sich Gräfin Helena.

»Wenn du nicht allein bleiben möchtest…«, bot sie mitfühlend an.

»Danke. Das ist lieb. Aber ich glaube, es ist besser, wenn ich Benedikt allein erwarte!«

Helena umarmte sie.

»Laß mich wissen, was Beatrice fehlt«, bat sie.

Margareta nickte.

Sie war froh, als sie endlich allein war.

Der Arzt hatte schwere, innere Verletzungen befürchtet. Sie hatte nichts davon zu Benedikt gesagt.

Aber sie hatte Angst. Schreckliche Angst.

*

Beatrice war noch am Tage des Unfalls operiert worden. Ihr Zustand erlaubte keine Verzögerung. Trotzdem war das Ergebnis deprimierend. Es dauerte zwei Tage, bis sie wieder ansprechbar war.

Als sie die Augen öffnete, sah sie in das kalkweiße, verhärmte Gesicht Benedikts, der neben ihr saß. Es dauerte, bis sie sich zurechtfand, aber allein sein Anblick genügte, um sie wissen zu lassen, daß es schlecht um sie stand.

»Ich – will alles wissen. Genau. Die Wahrheit!« verlangte sie mit schwacher Stimme.

»Ich liebe dich!« erwiderte er mit verzweifelter Dringlichkeit.

Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr sogar in dieser Situation schönes Antlitz.

»Das ist das Wichtigste«, erwiderte sie leise und versuchte, seine Hand zu drücken. Er beugte sich über sie und küßte sie zart und vorsichtig, als wäre sie aus Glas.

»Bitte, bemühe dich nicht, mich abzulenken. Früher oder später erfahre ich doch alles. Und eigentlich ist es mir lieber, du sagst es mir.« Und weil statt einer Antwort Tränen in seine Augen traten und langsam über die Wangen liefen, fuhr sie traurig fort: »Meine Beine – ich spüre sie nicht…«

»Das kann sich geben, sagte Prof. Hogarth«, stieß er hervor.

Sie betrachtete eine Weile schweigend seinen Kopf, der auf ihrer Hand lag. Seine Schultern zuckten. Er weinte, und das tat ihr fast mehr weh, als die Wundschmerzen, die sich langsam bemerkbar machten.

»Ich liebe dich«, wiederholte er verzweifelt! »Ich will keine andere Frau! Lieber verzichte ich auf alles! Titel! Vermögen!« Beatrice verstand. Auch sie war mit den alten Traditionen aufgewachsen.

»Ich hatte innere Verletzungen«, sprach sie es für ihn aus. »Ich – kann keine Kinder mehr bekommen!«

»Es ist mir gleich, Liebste! Nur du zählst für mich!« versicherte er heftig.

Beatrice glaubte ihm. Aber sie wußte, daß irgendwann sich sein Pflichtgefühl melden würde. Und vielleicht würde er es auch eines Tages leid sein, eine gelähmte Frau zu haben. Eine Frau, die ihn nicht auf die Feste und andere Anlässe begleiten konnte, die er in seiner Stellung zu besuchen verpflichtet war. Eine Frau, die niemals die Aufgaben der amtierenden Fürstin Kronstein erfüllen konnte. Eine Frau, die nicht mit ihm lachen und reiten und skifahren und Tennis spielen konnte – und die vor allem nicht mehr die Geliebte sein konnte, die ein junger, temperamentvoller Mann von vierunddreißig Jahren wie er einfach brauchte.

Und wenn er sich eines Tages, weil er es nicht mehr aushielt, für diese Dinge eine andere suchte – was keineswegs bedeuten mußte, daß er sie deshalb weniger liebte! –, wie würde sie das ertragen?!

»Ich liebe dich auch«, sagte sie leise. »Mehr als alles auf der Welt. Aber wir beide wissen, daß das keine Sicherheit ist, daß es für ein Leben genügt.«

»Wie kannst du so etwas sagen?!« schrie er geradezu wütend und sprang auf und rannte in dem Krankenzimmer hin und her. »Wie kannst du zweifeln –«

»Ich zweifel doch nicht. Ich weiß nur, daß wir beide pflichtbewußte Menschen sind. Daß wir wissen, was wir unseren Familien und Traditionen schulden. Und das würde alles für uns untragbar schwer machen.«

»Nicht für mich! Ich liebe dich zu sehr«, behauptete er. Aber Beatrice sah ihn nur an. Sie wußte, daß im Grunde auch er wußte, daß sie recht hatte.

Sie gab ihm keine Antwort, und sie schwiegen beide eine Weile.

Endlich seufzte sie: »Ich bin sehr müde, Benedikt. Und die Schmerzen sind sehr unangenehm. Bitte rufe die Schwester. Und – ich möchte jetzt schlafen.«

»Verzeih!« Er stand schwerfällig auf. »Ich sollte es dir leichter machen, und statt dessen jammere ich dir vor. Du bist die Stärkere! Ich sollte mich schämen!«

»Was für ein Unsinn!« Es gelang Beatrice zu lächeln. »Es ist inzwischen doch bekannt, daß die Frauen das stärkere Geschlecht sind!«

Er ergriff erneut ihre Hände.

»Liebste – ich – !«

»Bis morgen, Benedikt! Und sage bitte der Schwester Bescheid!«

Er riß sich los.

Kurz darauf trat die diensthabende Schwester ein.

»Ich muß so bald wie möglich den Professor sprechen!« verlangte Beatrice und lehnte das Schmerzmittel ab. »Ich muß klar denken können«, sagte sie ruhig.

Und die Schwester bewunderte insgeheim die ungeheure Disziplin der schönen Prinzessin, denn es war ihr klar, daß sie ziemliche Schmerzen haben mußte. Und auch, daß sie Bescheid zu wissen schien.

Wenige Minuten später erschien Prof. Hogarth bei seiner illustren Patientin. Er begrüßte sie förmlich. Dann erkundigte er sich nach ihrem Befinden.

»Schlecht«, erwiderte Beatrice und schenkte ihm ein spöttisches Lächeln. »Ich habe große Schmerzen.«

»Wundschmerzen«, glaubte der Professor erklären zu müssen, »Sie bekommen ein Mittel – und in ein paar Tagen ist es überstanden.«

»Ich weiß, daß diese Schmerzen das geringste Übel sind«, gab sie ihm fast ungeduldig zur Antwort. »Auf meine Fragen sagte mir Fürst Kronstein, daß es eine Chance gibt, daß ich eines Tages wieder gehen kann?« Als der Professor mit der Antwort zögerte, drängte sie ihn ungeduldig: »Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit!«

Man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, dieser schönen jungen Frau die ganze trostlose Wahrheit zu verraten.

»Man darf nie die Hoffnung aufgeben«, begann er schließlich vorsichtig. »In den USA ist ein Kollege, der in solchen Fällen Erfolge aufzuweisen hat. Natürlich kann auch er nichts versprechen, aber ich hätte Ihnen ohnehin geraten, Prof. White aufzusuchen. Ich werde ihn über Ihren Fall genau informieren. Auf alle Fälle müssen Sie sich auf eine langwierige Behandlung einstellen, Prinzessin Lindenburg!«

Sie nickte. Der Professor wollte sich verabschieden. Aber sie hielt ihn zurück.

»Und – das andere?«

Er wollte nicht verstehen.

»Sie wissen, was ich meine! Auch hier möchte ich die ganze Wahrheit erfahren«, sagte Beatrice streng. »Besteht eine, wenn auch nur geringe Chance, daß ich Kinder haben kann?«

Hogarth befeuchtete sich die Lippen. Er wußte, was das für eine Dame auf diesen Kreisen bedeutete. Er war schon öfter mit den strengen, dynastischen Gesetzen konfrontiert worden.

Wieder erriet Beatrice die Antwort.

»Auch nicht – mit künstlicher Befruchtung?« fragte sie.

»Nein, Prinzessin, nicht die geringste Chance. Die Verletzungen waren zu schwer. Wir mußten leider alles entfernen.«

»Ich verstehe«, sagte sie leise. »Danke, daß Sie mir alles aufrichtig mitgeteilt haben. Nun habe ich noch eine Bitte!« Sie lächelte ihn an, und wieder dachte er, wie schön sie wohl erst sein mußte, wenn sie sogar in diesem Zustand so bezaubernd aussah!

»Unter diesen Umständen muß ich natürlich meine Verlobung lösen. Der Fürst wird darauf nicht eingehen wollen, aber – es ist auf die Dauer sicher das einzig Mögliche. Deshalb möchte ich Sie dringend bitten, ihm nicht die Adresse dieses amerikanischen Professors zu geben, den ich allerdings unbedingt aufsuchen möchte. Teilen Sie mir bitte mit, wann Sie ihn erreicht haben und wann ich zu ihm kommen kann.«

Hogarth runzelte die Stirn.

»Der Fürst wird die Adresse auch anderweitig unschwer herausfinden!«

»Oh, ich werde ihm erzählen und ihn bitten, mir nicht nachzukommen. Es soll eine Überraschung werden. Dann wird er sicher darauf eingehen!«

»Gut, ich werde ihm genau dies sagen!« Hogarth nickte.

»Danke.« Beatrice lächelte verzerrt. »Und wenn ich jetzt das Schmerzmittel haben könnte – ?«

»Natürlich«, sagte er und legte einen Moment mitfühlend die Hand auf ihren Arm. »Sie sind bewundernswert tapfer, Prinzessin!«

»Danke«, murmelte sie und schloß die Augen. Er sollte rasch gehen, damit sie endlich weinen konnte.

*

Fürstin Margareta saß in ihrem Boudoir und versuchte vergeblich, sich auf den Roman zu konzentrieren, den sie gerade las. Doch immer wieder glitten ihre Gedanken zu jener Reitjagd, auf der das Glück von so vielen Menschen zerstört wurde. Was war aus Benedikt in den vergangenen Monaten geworden!

Der elegante junge Fürst, voller Temperament, neuer Ideen, Frohsinn und Liebe zu allem, was schön war! Heute glich er einem Schatten seiner selbst. Er schien um Jahre gealtert. Er erfüllte zwar nach wie vor vorbildlich seine Pflichten – aber wohin war seine ansteckend gute Laune?

An Beatrice mochte sie lieber gar nicht denken. Was war aus dieser schönen jungen Frau geworden, die nie einem Menschen etwas zu Leide getan hatte? Ein armseliger Krüppel! Sie, die alle beneidet hatten – eine Märchenprinzessin! Und jetzt?

Die Fürstin lachte bitter auf.

Genau wie ihr Sohn vermied sie es weitgehend, unter Menschen zu gehen. Nur Gräfin Helena Auen besuchte sie hin und wieder. Auch sie war voller Kummer über ihre Tochter, die sich nach wie vor beharrlich weigerte zu heiraten – dabei war sie bereits Anfang Dreißig! Welches Unglück mochte der Grund dafür sein?

Es klopfte, und im gleichen Moment öffnete sich die Tür. Benedikt kam herein.

»Man sagte mir, du hättest dich zurückgezogen. Störe ich dich?«

Seine Mutter betrachtete ihren gut aussehenden Sohn, und das Herz zog sich ihr zusammen. Er war totenbleich. Hatte er Nachricht aus den Staaten erhalten?

»Setz dich«, forderte sie ihn auf und sah ihn mit all ihrer Liebe an. »Du störst mich doch nie, Benedikt!« Sie wagte nicht zu fragen, was ihn zu dieser ungewöhnlichen Zeit zu ihr trieb.

Jetzt zog er einen Brief aus der Tasche. Er starrte ihn einen Moment schweigend an.

»Nachricht von Beatrice?« erkundigte sich die Fürstin vorsichtig.

»Ja«, erwiderte er knapp und schwieg wieder. Dann riß er sich zusammen, richtete sich aus seiner zusammengesunkenen Haltung auf. Und berichtete mit einer seltsam tonlosen Stimme.

»Sie hat mir auch das Untersuchungsergebnis des Professors beigelegt. Die Operation ist – ohne ersichtliches Ergebnis verlaufen. Sie wird – nie wieder –« Er verstummte und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Mein Gott«, flüsterte die Fürstin erschüttert.

Eine Weile schwiegen beide, dann fuhr Benedikt fort, jedes Wort kostete ihn Anstrengung und Überwindung.

»Sie – löst – mit diesem Brief – unsere Verlobung. Sie will mich nicht mehr sehen, um es uns beiden – leichter zu machen.« Er lachte bitter auf, dann sprang er von dem Sessel auf und rannte zum Fenster, das er weit öffnete.

Mit tiefen Atemzügen atmete er die frische Frühlingslust ein.

Frühling! Die Natur erwachte. Und Beatrice –

»Sie war immer schon ein großartiger Mensch«, sagte die Fürstin.

»Ja!« stieß Benedikt hervor, so, als schmerze ihn jedes Wort körperlich. »Ja. Sie – erinnert mich an meine Pflichten. Sie schreibt –« Er brach ab. Dann, noch immer mit dem Rücken seiner Mutter zugewandt, sagte er: »Du kannst es ja selbst lesen, wenn du möchtest.«

»Nein, mein Lieber. Ich verstehe dich und Beatrice auch so.«

Nach einigen Minuten schloß der Fürst das Fenster. Auch der Frühling konnte sehr kalt sein.

»Ich weiß, es muß weitergehen. Irgendwie. Bitte, Mutter…«

Mutter? Sonst sagte er zärtlich Mama zu ihr!

»Bitte, Mutter, wähle du eine passende Frau für mich aus! Ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann.«

»Benedikt!« rief die Fürstin und verstummte sogleich wieder. Sie konnte ihm jetzt doch nicht sagen, wie unendlich erleichtert sie über seine Entscheidung war!

»Und bitte, Mutter, sorge dafür, daß sie mich nicht liebt. Ich würde ihre Gefühle niemals erwidern können, und das wäre mehr als unfair einem Menschen gegenüber, der einem womöglich ähnliche Gefühle entgegenbringt, wie ich –« Seine Stimme brach. Er konnte den Namen nicht aussprechen, ohne seine Beherrschung zu verlieren, ohne in Verzweiflung zu versinken.

Ohne seine Mutter noch einmal anzusehen, verließ er ihr Boudoir.

Fürstin Margareta faltete die Hände zu einem stillen Dankgebet. Sie dankte Beatrice für ihre großmütige Haltung, sie dankte dem Himmel für Benedikts Entscheidung.

Bestimmt würde er nie wieder eine Frau so lieben, wie er Beatrice geliebt hatte und wahrscheinlich immer noch liebte, aber vielleicht würde er sie gern haben, schätzen, und ganz gewiß würde er die Kinder lieben, die sie ihm schenkte und die den Fortbestand des alten Namens sichern würden.

Sie sollte eine Frau für ihn wählen? Die Fürstin hatte sich bereits entschieden, vorausgesetzt, daß die Erwählte zustimmte! Sie griff nach dem Telefon. Auch wenn es Mittagszeit war, mit diesem Anliegen, diesen Nachrichten durfte sie ihre liebste Freundin und entfernte Verwandte, die Gräfin Helena Auen, auch jetzt stören.

*

»Ah, was war das wieder für ein herrlicher Morgen! Guten Morgen, liebste Mama!« Gräfin Hermia betrat das Frühstückszimmer in welchem ihre Mutter, noch im seidenen Morgenmantel, aber bereits frisiert, dezent geschminkt und mit ihrem unvermeidlichen Perlschmuck, an dem reizend gedeckten Tisch saß. Wie immer waren Porzellan, Blumenstrauß, Tischdecke und die kleinen Damastservietten mit dem gräflichen Monogramm perfekt aufeinander abgestimmt. Auch der Morgenmantel von Gräfin Helena harmonierte mit den zarten Pastelltönen des mit norddeutschen Biedermeiermöbeln eingerichteten Raumes.

Hermia ließ sich in den Sessel gegenüber ihrer Mutter fallen, nachdem sie diese liebevoll auf die zart gepuderte Wange geküßt hatte. Sie erriet unschwer, um was es sich handelte: ein neuer Heiratskandidat! Das ging so, seit sie zwanzig war. Und inzwischen war sie zweiunddreißig!

Sie verstand ihre Mutter. Sie sorgte sich um sie. Sie fürchtete, sie könnte eines Tages allein und einsam zurückbleiben. Dazu unversorgt, wenn einmal die Pension ihres Vaters wegfallen würde. Denn sie gehörten einem unbemittelten Zweig der fürstlichen Familie Auen an.

Die Gräfin musterte ihre Tochter mit bekümmertem Stolz. Sie war eine so wunderschöne junge Frau – und all diese Schönheit, Klugheit und Liebenswürdigkeit sollte verschwendet sein? Nicht an eine Tochter, an einen Sohn weitergegeben werden? Ihre gleichmäßig blasse Haut war zart gebräunt und frisch durchblutet – sie kam von einem ihrer morgendlichen Waldspaziergänge. Sie hatte Forstwirtschaft studiert und auch den Jagdschein gemacht, obgleich sie mehr an der Hege als an der Jagd selbst interessiert war. Es sei denn, ein verletztes oder krankes Wild mußte von seinen Qualen erlöst werden. Die knappen Lederkniebundhosen zeigten ihre fabelhafte Figur, die moosgrüne Bluse betonte die Smaragdfarbe ihrer Augen, in denen jetzt Pünktchen tanzten. Natürlich: sie amüsierte sich wieder einmal über ihre alte Mutter, die nie aufgab…

»Nun, Mama, wer ist es denn dieses Mal?« fragte Hermia und biß lachend in ihr Frühstücksbrot.

»Höre mich wenigstens bis zu Ende an!« sagte die Gräfin ärgerlich.

»Aber das tue ich doch immer, Mama!« gab Hermia zur Antwort und lachte wieder.

»Aber du sagst immer schon nein, bevor du auch nur nachgedacht hast!« ärgerte sich ihre Mutter.

»Mach es nicht so geheimnisvoll«, meinte Hermia und hoffte, die lästige Geschichte rasch hinter sich zu bringen.

»Tante Margareta hat angerufen –«

Erstaunt hob Hermia den Kopf und sah ihre Mutter erwartungsvoll an.

»Du meinst – Margareta Kronstein?«

»Ja. Benedikt kommt vorbei. Er will um dich anhalten.«

Hermia legte ihr Brötchen auf den Teller zurück und sah ihre Mutter fassungslos an.

»Benedikt?« Das konnte nur eines bedeuten!

»Ja«, gab die wieder zur Antwort, kurz und ärgerlich, weil die Geschichte sie selbst tief berührte. »Beatrice hat die Verlobung gelöst. Sie kann weder Kinder haben noch jemals wieder gehen.«

»Oh, mein Gott, das ist ja furchtbar! Die Ärmste!« rief Hermia erschüttert. »Und der arme Benedikt! Jetzt muß er irgend jemanden heiraten, den er nicht liebt – nur auf Grund dieser dummen, überholten Traditionen!«

»Hermia!«

»Aber so ist es doch!« beharrte diese ungerührt auf ihren Ansichten.

»Er kennt eben seine Pflichten. Er weiß, daß man nicht nur Vorteile von seiner Herkunft hat, sondern, daß die damit verbundenen Verpflichtungen nicht weniger groß sind.«

»Liebste Mama, das weiß ich auch!« erwiderte Hermia, nun gleichfalls ärgerlich.

»Dann ist es ja gut!« sagte ihre Mutter. »Du magst ihn doch? Er ist einer der wenigen, über die du dich nie lustig gemacht hast.«

»Er gab dazu keinen Anlaß«, erwiderte Hermia kühl. »Ich mag und schätze ihn – genau wie ich Beatrice mag und schätze und ihr Verhalten jetzt ehrlich bewundere. Denn zwischen den beiden war es eine ganz große Liebe…« Ihr Blick verlor sich, und ihre grünen Augen wurden ganz sanft. Dann tat sie einen tiefen Atemzug. »Und deshalb ist es auch so besonders schlimm. Aber heiraten – will ich ihn trotzdem nicht!«

»Ich bitte dich, Hermia, höre ihn wenigstens an und werde nicht unhöflich.«

»Das werde ich beim ersten Mal nie, liebste Mama! Nur wenn der Verehrer zum dritten Mal kommt und einfach unbelehrbar ist, dann reißt mir gelegentlich die Geduld und ich werde deutlich, um endlich meine Ruhe zu haben.« Sie sah das bekümmerte Gesicht ihrer Mutter und lachte ein wenig traurig. »Wir leben doch so gut zusammen, Mamilein! Warum kann es nicht so bleiben?«

»Und wenn ich einmal nicht mehr lebe?«

»Unsinn! Du wirst mindestens hundert!«

»Ich bezweifle, daß ich mir das wünsche!« erwiderte die Gräfin. »Aber ganz bestimmt bin ich nicht beruhigt, wenn ich mit hundert Jahren sterbe und du dann mit achtzig allein dasitzt!«

Bei der Vorstellung mußten sie freilich beide lachen.

»Ich verspreche dir, daß ich mich hervorragend benehmen werde«, versicherte Hermia scherzend. »Benedikt und ich haben uns immer sehr gut verstanden. Und auch Beatrice gehörte zu den wenigen Standesgenossinnen, die mir nicht zu beschränkt und voreingenommen waren. Mache dir also keine Sorgen. Ich sage und tue ganz bestimmt nichts, was ihn kränken könnte.«

*

Es war ein schönes, großzügig gebautes Mietshaus aus der Zeit um die Wende des 19. Jahrhunderts, in dem die Gräfin Auen zusammen mit ihrer Tochter seit dem Tod ihres Mannes eine herrschaftliche Wohnung bezogen hatte. Die Fenster der Wohnräume blickten auf einen Park, und der Lärm der Großstadt drang nicht durch die soliden Mauern.

Nach einigem Suchen fand Benedikt einen Parkplatz für seinen Wagen und stieg mit einem tiefen Seufzer aus, bewaffnet mit einem Blumenstrauß für Gräfin Helena und in der Tasche seines Jacketts einen wunderschönen Diamantring für Hermia, falls sie »Ja« sagen sollte.

Er war mit dem Vorschlag seiner Mutter einverstanden gewesen, auch wenn er es sich immer noch nicht vorstellen konnte, jemals mit einer anderen Frau als Beatrice verheiratet zu sein.

Er mochte und schätzte Hermia. Sie wäre ihm als Gemahlin lieber als viele andere. Aber – sie war nicht Beatrice!

Er läutete, und gleich darauf ertönte der elektrische Türöffner. Die Wohnung befand sich im ersten Stock, er kannte sie, er war nicht zum ersten Mal hier. Doch heute ging er zu Fuß die elegant geschwungene Treppe hinauf und verzichtete darauf, den altmodischen, schmiedeeisernen Lift zu benutzen.

Hermia stand in der offenen Wohnungstüre und sah ihm entgegen. Als sie den prächtigen Strauß Sommerblumen erblickte, trat ein etwas gequältes Lächeln auf ihre Züge.

»Für deine Mutter!« sagte er und sie atmete so sichtlich auf, daß sie beide lachen mußten.

Sie nahm ihm die Blumen ab und bat ihn in den Salon, während sie eine Vase auswählte und den Strauß hineinsteckte.

»Mama hat sich taktvoll zurückgezogen«, erzählte sie nebenbei. »Sie macht irgendwelche Besorgungen in der Stadt.«

»Aha«, war Benedikts Kommentar.

»Es wäre komisch, wenn der Grund unseres Treffens nicht so tragisch wäre«, sagte Hermia nun und forderte ihn mit einer Handbewegung zum Sitzen auf. »Ich weiß, weshalb du hier bist.«

»Das nehme ich an«, erwiderte Benedikt. »Aber bevor ich dich frage, muß ich dir noch etwas sagen, damit du dir überlegen kannst, ob du unter diesen Umständen überhaupt einverstanden bist.«

»Sehr gut«, gab Hermia gelassen zur Antwort. »Ich muß dir nämlich auch etwas sagen. Aber bitte: fang du an! Mama beschwor mich, höflich zu sein!« Sie lachten wieder beide, und beide dachten, daß, wenn sie sich unter anderen Umständen getroffen hätten, vielleicht – … aber es war nun einmal so, wie es war.

»Ich habe dich immer schon sehr schön und anziehend gefunden, amüsant und liebenswert und klug und alles, was du willst – aber ich liebe dich nicht!« begann Benedikt seinen Heiratsantrag. »Ich liebe Beatrice, und daran wird sich nie etwas ändern. Aber sie hat die Verlobung gelöst und will mich nie wieder sehen, weil sie, wie auch meine Mutter und sicher viele andere, die Ansicht vertritt, daß ich an meine Pflichten als Kronstein denken muß.«

Hermia nickte stumm.

»Von allen jungen Damen, die in Frage kommen, bist du diejenige, die mir am besten gefällt. Darum sage ich dir das auch alles, denn es wäre unanständig, wenn du womöglich enttäuscht wärest, daß ich dich nicht aus Liebe, sondern nur aus Pflichtbewußtsein heirate. Ich würde mich sehr freuen und mich geehrt fühlen, wenn du diesen seltsamen Antrag annehmen würdest und bereit wärest, meine Frau zu werden. Aber ich werde dir auch weiterhin in Achtung und Freundschaft verbunden sein, wenn du ihn aus mir durchaus begreiflichen Gründen ablehnst.«

Hermia sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. Dann sagte sie: »Ich vertraue dir jetzt etwas an, was ich noch keinem Menschen verraten habe, auch nicht meiner Mutter, vor der ich sonst keinerlei Geheimnisse habe. Und ich möchte dich bitten, mit niemandem, auch nicht mit deiner zukünftigen Gemahlin, wer immer es ist, darüber zu reden.«

»Selbstverständlich«, versicherte Benedikt, der jetzt doch neugierig wurde.

»Ich weiß nicht, ob du auch zu denjenigen gehörst, die sich immer wieder gewundert haben, weshalb ich auch glänzende Partien ausschlug, obgleich ich mir es dem Anschein nach doch nicht leisten kann.«

»Nun, du wirst sie nicht geliebt haben«, meinte Benedikt.

»So ist es«, gab Hermia zu. »Ich liebe jemanden, der als Ehemann für mich nicht in Frage kommt. Ich bin ein Leben gewöhnt, das er mir niemals bieten kann, und ich weiß nicht, ob ich mich ihm so anpassen könnte. Ich weiß auch nicht, ob er sich in meinen Kreisen zurecht finden würde. Seine Bildung, seine Interessen sind von den meinen allzu verschieden. Trotzdem lieben wir uns über alles. Eines weiß ich aber sicher: es würde meine Mutter todunglücklich machen. Vielleicht, falls ich sie überlebe, werde ich ihn eines Tages heiraten. Mit fünfzig oder sechzig Jahren«, schloß sie schmunzelnd.

Benedikt sah sie überrascht an. Dann schluckte er und fragte:

»Kenne ich ihn?«

»Möglicherweise«, gab sie mit einem amüsierten Lächeln zur Antwort. »Er ist einer der Jäger des Fürsten Ö. Er heißt Philip Senger.«

»Ja, doch«, sagte Benedikt. »Ich glaube, ich erinnere mich. So ein großer, blonder junger Mann. Sehr sympathisch –« Er brach ab, weil es so dumm klang.

Hermia lachte.

»Ja. Das finde ich auch.«

»Dann gibst du auch mir einen Korb.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. »Das tut mir leid.«

»Ich habe darüber nachgedacht, seit meine Mutter mir erzählte, daß deine Mutter bei ihr angerufen hätte.« Sie sah ihn forschend an. »Ich weiß nicht, wie weit du mit dem einverstanden bist, was ich dir jetzt vorschlage. Und dann – muß ich natürlich auch noch mit Philip reden.«

»Wir haben uns vorgenommen, ganz aufrichtig mit einander zu sein – und anders geht es wohl auch nicht unter diesen ausgefallenen Umständen«, fand Benedikt.

»Du hast recht«, stimmte Hermia ihm zu. »Ich bin zweiunddreißig. Und ich möchte gern Kinder haben. Allzu viel Zeit bleibt mir da nicht mehr. Ich habe dir die Gründe genannt, weshalb ich Philip trotz aller Liebe, die uns verbindet, nicht heiraten möchte. Und auch keine Kinder von ihm haben will. Könntest du dir vorstellen, daß wir heiraten, Kinder haben – um dir deine Erbfolge zu sichern und mir meinen Kinderwunsch zu erfüllen – und daß wir uns dann in Anstand und Freundschaft trennen, wenn wir feststellen, daß wir immer noch an unserer bisherigen Liebe hängen?«

Benedikt sah Hermia überrascht an.

»Du wärest bereit, sozusagen auf Zeit meine Frau zu werden?«

»Kannst du dir so eine Verbindung vorstellen?«

»Warum nicht?« Er lachte. »Besonders, wenn wir uns eines Tages im Guten trennen. Schrecklich finde ich nur diese Scheidungen, bei denen beide haßerfüllt auf

einander herumhacken. Denn das geht immer an den Kindern aus.«

»Und damit wäre ich auf keinen Fall einverstanden!« erklärte Hermia bestimmt.

»Und du glaubst, dein Philip würde zustimmen?«

»Er weiß, daß ich ihn nicht heiraten will. Aber ganz bestimmt wird er alles andere als begeistert sein, wenn ich ihm erzähle, daß ich dich zu heiraten bereit bin.«

»Und wenn er sich dann von dir trennt?« fragte Benedikt, der sich beim besten Willen nicht in die Rolle des Jägers versetzen konnte.

»Er wird sich nicht von mir trennen, denn –«, sie lächelte Benedikt an, »ich werde mich auch nicht von ihm trennen. Auch nicht – während unserer Ehe. Ich hoffe, du findest bei dir eine Stellung für ihn.«

»Als Jäger?« fragte der Fürst zweifelnd.

»Er hat nichts anderes gelernt«, gab ihm Hermia zur Antwort.

»Aber –«, er sah sie etwas verlegen an, da er nicht wußte, wie er sich am besten ausdrücken sollte. »Die Erbfolge –«

»– wird selbstverständlich von dir ohne fremde Hilfe gesichert«, sagte Hermia und lachte. »Das verspreche ich dir aufrichtig.«

Benedikt streckte ihr die Hand hin, und sie schlug ein.

Jetzt grinste auch er und zog das kleine Etui mit dem Verlobungsring aus der Jackentasche.

»Auch wenn es nicht eine herkömmliche Ehe wird –, ich glaube, wir werden uns sehr gut verstehen!« meinte er. »Und selbstverständlich darf und wird niemand erfahren, was wir heute besprochen haben!«

»Natürlich nicht! Schon wegen unserer Kinder!« erwiderte Hermia ernst. »Ich fahre jetzt zu Philip und rede mit ihm. Bitte, warte noch so lange mit dem Drucken der Hochzeitsanzeigen!«

Was für eine seltsame Verbindung, dachte Benedikt, als er die Wohnung verließ.

Doch so schien ihm eine Heirat möglich, ohne daß er seine Liebe zu Beatrice verriet.

Hoffentlich gelang es Hermia, ihren Philip zu überzeugen.

Und hoffentlich gelang es ihm, Beatrice zu finden und ihr alles zu erklären. Diesen Kompromiß auf Zeit.

*

Philip Senger stand vor der Jagdhütte, die mitten in den Waldungen des Fürsten Ö. lag. Sein Dienstherr war verwundert gewesen, daß ein Mann wie dieser Jäger so abgelegen wohnen wollte, doch es war ihm nur recht. Hier hatte er alles bestens unter Kontrolle, auch die Sonntags-Ausflügler, die lärmend durch die Wälder zogen, oder die heimlichen Wilderer, von denen es auch immer noch genug gab.

Philip hatte einen anderen Grund, weswegen er eine so abgeschiedene Behausung gewählt hatte. Er wartete auf die Frau, der er seit mehr als zehn Jahren verfallen war.

Ja, man konnte es nur so nennen – denn als er sie damals zum ersten Mal sah, war er mit seinen sechsundzwanzig bestimmt kein heuriger Hase mehr gewesen. Und inzwischen war er achtunddreißig – und konnte noch immer an keine andere denken, auch wenn er sich unzählige Male vorsagte, daß es verrückt und völlig aussichtslos war und daß sie niemals ein Paar werden könnten.

Er, der einfache Jäger – und sie, die hochgeborene Gräfin.

Dabei hatte er unter den Frauen und Mädchen alle Chancen, die man sich nur vorstellen konnte, aber er wies sie mit einem kalten Lächeln ab und galt als hochmütig, arrogant – und ein bißchen verrückt.

Verrückt war er bestimmt, dachte er und lachte vor sich hin. Aber anders, als alle dachten!

Philip wartete auf Hermia. Sie hatte ihm mitgeteilt, daß sie ihn unbedingt sprechen müsse. Und er hatte sich frei genommen. Es war mitten in der Woche, und der Forstmeister hatte ein Gesicht gezogen –, aber Philip war der zuverlässigste und tüchtigste seiner Jäger und Förster, und deshalb hatte er zuletzt zugestimmt.

Nun stand er vor der Hütte, die in einer kleinen Lichtung lag. Zwischen den Bäumen fielen die Strahlen der Nachmittagssonne auf ihn, wie er da stand, mit gespreizten Beinen, groß, schlank und doch kräftig, das kantige Gesicht von Wind und Wetter gebräunt und das dichte Haar von der Sonne ausgebleicht. Seine hellen, grauen Augen unter den buschigen Brauen blickten erwartungsvoll den schmalen Waldweg entlang. Gleich mußte sie kommen!

Er war einfach ein Bild von einem Mann, mit einer unglaublichen erotischen Ausstrahlung. Er sieht aus, wie man sich die Helden der vorchristlichen Sagen vorstellt, dachte Hermia zum tausendsten Mal, als sie ihn so auf sich warten sah. Sie kam zu Fuß den Weg entlang, hatte den Wagen, wie immer, vorsichtshalber in einiger Entfernung geparkt. Trotzdem war es ein Wunder, daß man sie beide noch nicht entdeckt hatte.

Der Himmel beschützt uns, dachte sie, als sie ihn sah – wie seine Augen aufleuchteten und er die Arme ausbreitete.

Ich bin verrückt, dachte sie wieder – auch wie jedes Mal. Verrückt nach ihm!

Und sie rannte los, ihm entgegen und warf sich an seine Brust, und beide konnten für die nächsten Minuten nichts anderes denken, als daß sie wieder zusammen waren.

»Weswegen mußt du mich so dringend sprechen?« fragte er sie später.

»Philip, du weißt, wie sehr ich dich liebe…«

»Hm«, machte er nur. Es klang mißtrauisch. Wie ein Tier spürte er, daß etwas Unangenehmes auf ihn zukam.

»Ich möchte – heiraten.«

»Das geht nicht«, erwiderte er kurz, in der Vermutung, daß es er war, den sie heiraten wollte.

»Philip, hör zu…«

»Ich brauche nicht zuzuhören. Ich weiß, was du sagen willst: du möchtest Kinder haben. Ich kann es ja sogar verstehen. Es ist normal. Jede normale Frau möchte Kinder. Und du bist sehr normal!« Er lachte und wollte sie wieder in die Arme nehmen, aber Hermia wehrte ab. »Na, schön.« Er nahm es nicht ernst. In fünf Minuten würde es anders aussehen.

»Ich werde nicht jünger«, sagte Hermia.

»Das wird niemand«, erwiderte er gelassen. »Aber du weißt, daß es einfach nicht paßt. Ich wäre

todunglücklich unter deinen Leuten – und dich würden sie auch nur schief ansehen. Und du würdest niemals unter meinen Leuten zufrieden sein. Nicht auf die Dauer. Und wenn wir Kinder hätten – sie würden nirgends hinpassen. Warum willst du es nicht lassen, wie es ist? Wir haben es doch schön.«

»Und wenn ich jemand anderen heirate – und es zwischen uns so bleibt, wie jetzt?«

Er richtete sich auf und starrte sie ungläubig an. Hermia erzählte ihm nun von Fürst Kronstein. Er hatte von dem Unglück natürlich gehört, das der Prinzessin Lindenburg widerfahren war.

»Du willst – mit einem anderen Mann –«

»Ich möchte Kinder. Genau wie er. Jeder von uns liebt einen anderen, von dem er aus Gründen, die du kennst, keine Kinder haben kann. Warum sollten wir uns nicht zusammentun?«

»Ja, warum?« sagte Philip höhnisch. »Und was wird aus uns? Er tut sich leicht mit seiner verschwundenen Prinzessin! Aber ich – ich soll da zuschauen!«

»Wir werden keine normale Ehe führen. Wir wollen nur Kinder. Und sobald ich schwanger bin…«

»Und wenn er sich in dich verliebt?«

»Das wird nicht passieren! Er liebt Beatrice genauso wie ich dich und du – hoffentlich – mich.«

»Und was ist, wenn du deine Kinder hast?«

»Er wird dafür sorgen, daß sich zwischen dir und mir nichts ändert – was ihn angeht.«

Philip starrte sie an. Sie waren schon ganz anders, diese hochadelig geborenen Menschen! Ihre Traditionen, ihre Erbfolge gingen ihnen über alles.

»Du willst mich ja nicht heiraten«, drängte Hermia.

»Weil wir beide wissen, daß es nicht gehen würde.«

Sie nickte.

Er ließ sich auf das Bett zurücksinken und starrte gegen die niedrige Holzdecke.

»Du bist entschlossen?« stellte er dann fest.

»Ja. Aber nur, wenn ich dich nicht verliere.« Ihre Stimme klang kleinlaut.

»Na, schön. Ich wußte, daß es einmal ein Ende haben würde.« Er sah sie nicht an. »Tu, was du für richtig hältst.«

»Und du, Philip – bitte!« Es war lächerlich. Sie erwartete von ihm, daß er ihr treu blieb. Zumindest hoffte sie es.

»Ich weiß nicht, was ich tun werde«, erwiderte er mürrisch. Und dann warf er sich über sie und liebte sie mit einer wütenden Leidenschaft. Sie sollte daran denken, wie es mit ihm war, wenn sie mit diesem Fürsten schlief!

*

Die Hochzeit des Fürsten Kronstein mit der attraktiven Gräfin Hermia von Auen fand vier Wochen nach dieser Aussprache statt. Das war so überraschend, daß nicht einmal die Medien, die sonst immer schon vor den Beteiligten Bescheid wußten, etwas geahnt hatten und sich nun verzweifelt bemühten, alle die interessanten Einzelheiten aufs Ausführlichste zu berichten. Nicht weniger überrascht waren die Klatschbasen der ersten Gesellschaft.

Hermia und Benedikt?

Benedikt und Hermia?!

Nein, so eine Überraschung! Immerhin glaubten sie nun den Grund zu kennen, weshalb diese überaus reizvolle junge Dame bislang jeden noch so interessanten Antrag ausgeschlagen hatte:

Sie war in den jungen Fürsten verliebt gewesen! Nein, sie war

geradezu besessen von ihm, während er nur Augen für seine Beatrice hatte. Immerhin hatte sie es doch noch geschafft, diese fabelhafte Partie zu machen, und das in weniger als einem Jahr nach dem Unfall der armen Beatrice.

Ach ja, Beatrice! Wo war sie eigentlich abgeblieben? Sie war doch nach der erfolglosen Operation – leider waren die amerikanischen Ärzte auch nicht so gut, wie man immer behauptet! – wieder zurück gekommen. Oder doch nicht?

Niemand wußte es genau. Aber jeder behauptete etwas anderes.

Die arme Beatrice! Doch natürlich war sie lange nicht so interessant, wie die äußerst lebendige Gräfin Hermia und der seit langer Zeit wieder fröhlich und zufrieden wirkende Fürst Benedikt.

Auch Gräfin Helena teilte den Glauben an die unglücklich gewesene Liebe ihrer Tochter. Aber jetzt war ja alles gut, und Hermia hatte nach ihrer Ansicht allen Grund, von Herzen zufrieden und glücklich zu sein. Daß sie oft geistesabwesend war und keineswegs vor Glück strahlend, schrieb sie der Aufregung vor der großen Hochzeit zu, die geradezu in Rekordgeschwindigkeit organisiert werden mußte.

Fürstin Margareta war von der plötzlich erwachten Liebe des Hochzeitspaares nicht so überzeugt wie ihre liebste Freundin, aber sie behielt ihre Vermutungen wohlweislich für sich. Nur mit ihrem Sohn sprach sie einmal darüber.

»Hast du noch mal von Beatrice gehört?«

Er sah sie an, und sein Gesicht wirkte plötzlich um Jahre älter.

»Nichts mehr seit diesem Brief!«

Seine Mutter zögerte, er lächelte halb traurig, halb spöttisch.

»Keine Angst, Mama, Hermia weiß Bescheid. Ich schätze sie zu sehr, als daß ich sie belügen würde. Es ist eine Vernunftehe. Von uns beiden!«

Sie sah ihn erschrocken an. Aber mehr verriet er nicht.

Wenige Tage später wurde die Hochzeit mit aller Pracht gefeiert. Fernsehen und Hochglanzmagazine kamen nun doch noch auf ihre Kosten.

Die Kinder von Kronstein hatten schulfrei und säumten in Festtagskleidern den Weg, Fähnchen in den Wappenfarben des Brautpaares schwingend. Vier Tage lang wurde gefeiert:

Am ersten Tag fand die standesamtliche Trauung im Rathaus des Marktes Kronstein statt, und auf dem Marktplatz hatte der Fürst ein Volksfest ausgerichtet, mit Karussell und Schaukel für die Kleinen und Bierzelten und Brathendlstationen für die Großen. Selbstverständlich alles auf seine Kosten.

Das fürstliche Brautpaar ließ sich von allen gratulieren, und beide sahen genauso aus, wie man Prinzen und Prinzessinnen aus den Märchenbüchern kannte. Nur angezogen waren sie anders: die junge Fürstin in einem hocheleganten weißen Seidenkostüm mit einem breitrandigen Hut aus Gaze, der mit blaßrosa Seidenrosen dekoriert war. Dazu trug sie rosa Perlen mit funkelnder Brillantschließe und passende Ohrgehänge und Ringe. Der Fürst war im Cut. Beide lächelten und lauschten geduldig auf die Gedichte und Lieder, die ihnen zu Ehren vorgetragen wurden.

Es fiel niemandem auf, daß die Augen der beiden traurig blieben, auch wenn sie noch so herzlich lachten. Nur einmal, als ein kleines Mädchen holpernd und stolpernd vor Verlegenheit ein Verslein aufsagte, mußte sich die Fürstin ein paar Tränen aus den Augen wischen. Doch die schrieb man der Rührung zu.

Am folgenden Tag war man unter sich. Sogar die regierenden Königshäuser waren vertreten, und man feierte mit dem entsprechenden Pomp.

Die Fahnen mit den Wappen der Familien des Brautpaares flatterten an den Schloßtürmen. Der Himmel hatte sich passend mit den königlichen bayerischen Farben – weiß-blau – geschmückt und die Schwalben flogen hoch – gutes Wetter und Glück verheißend.

Die Schloßkirche und das Portal des Schlosses waren mit prachtvollen Blumengirlanden geschmückt. Die geladenen Damen trugen Modellkleider aus den international berühmten Salons, und man fragte sich, wie sie sich zu dem abendlichen Diner mit anschließendem Ball noch kostbarer und eleganter gestalten wollten. Die Herren waren in Cut oder Uniform, den Frack mit den verschiedenen Hausorden hoben sie sich für den Abend auf.

Die Reporter und Journalisten filmten, fotografierten und notierten sich der Einfachheit halber alles: irgendwie war es in der Sommerpause bestimmt zu gebrauchen!

Leider durften sie nicht in die Schloßkirche.

Nun kam der Bräutigam, sehr ernst und sehr elegant.

Ob er noch an Beatrice dachte? Überlegten viele.

Und die ganz Klugen waren sich sicher, daß er deshalb so ernst war!

Arme Hermia! Aber weshalb mußte sie auch auf ihm bestehen! Sie hätte genug andere haben können!

Fürst Benedikt betrat die Kirche zusammen mit seinen Trauzeugen und wartete am Altar auf das Erscheinen der Braut.

Und nun öffnete sich das Schloßportal und heraus kamen sechs Blumenmädchen in langen weißen und rosa Kleidchen, alle im Alter von fünf bis zehn Jahren. Eifrig streuten sie die Blumen aus ihren Körbchen auf den Weg der Braut.

Hinter ihnen erschien Hermia am Arme des Chefs des Hauses Auen.

Unwillkürlich hielten alle den Atem an.

Man war in diesen Kreisen ja Schönheit gewöhnt – aber die Braut sah wirklich wie eine Märchenprinzessin aus. So zart hatte man sie nicht in Erinnerung, wie sie in dem schlichten, hochgeschlossenen und langärmeligen Kleid aus glänzend weißem Satin wirkte. Die Juwelen, die sie trug, kamen um so besser zu Geltung, und die Diamantenkrone der Fürstinnen Kronstein, an welcher der lange Spitzenschleier befestigt war, ließ manche der Anwesenden beschließen, die eigene Tiara an diesem Abend doch nicht zu tragen.

Hermia hatte die Augen niedergeschlagen, so daß ihre langen Wimpern einen zarten Schatten auf ihre blassen Wangen warfen. Ihre Lippen waren kaum geschminkt. Als sie den Fuß auf die Kirchenschwelle setzte und die Orgel einsetzte, schien sie einen Moment zu schwanken.

Aber sie hatte sich sofort wieder gefangen und schritt ruhig und entschlossen weiter.

Der Fürst trat ihr am Altar einen Schritt entgegen. Als ihre Blicke sich trafen, lächelten sie einander zu, und er drückte liebevoll ihre Hand.

Als der Bischof sie später fragte, ob sie in die Ehe mit… zahllose Vornamen und Titel außer dem des Fürsten wurden genannt – einwillige, sagte sie in bestimmtem Ton »Ja!«.

Benedikt wendete sich ihr zu, um wie üblich die Braut nach dem Ringtausch zu küssen.

»Danke«, sagte er leise.

Und dann küßte er ihr erst die Tränen weg, bevor seine Lippen ihren Mund berührten.

*

Während auf Schloß Kronstein bis in die frühen Morgenstunden gefeiert wurde, betrank sich Philip Senger bis zur Bewußtlosigkeit.

In einer Stadtwohnung, die Prinzessin Beatrice nach ihrer Rückkehr aus den Staaten bezogen hatte, und in welcher sie unter einem anderen, unscheinbaren Namen seither lebte, servierte ihr der alte Diener Johann, der sie begleitet hatte, zu dem Abendessen die gewünschten zwei Schlaftabletten.

Das Essen ging unberührt zurück. Die zwei Tabletten schluckte Beatrice.

Sie hatte es ja so gewollt! Und Hermia war jemand, den sie wirklich schätzte! Und es war richtig, daß Benedikt heiratete, um Namen und Besitz zu erhalten. Alles war gut und richtig.

Aber weh tat es trotzdem. Bitter weh.

*

Johann war vierundsechzig Jahre alt und seit seinem vierzehnten Lebensjahr im Dienste der Fürsten Lindenburg. Genau wie sein Vater und vorher dessen Vater. Sein Urgroßvater war noch Stallbursche gewesen, doch bereits der Großvater war ins Hauspersonal aufgestiegen, und sein Vater hatte es zum ersten Diener gebracht, genau wie Johann. Und eigentlich hatte er gehofft, daß sein Sohn Frank ihm nachfolgen würde. Doch der fand, daß es genug sei, und wollte lieber selbständig werden.

Und weil er genauso ehrgeizig war wie seine Vorfahren, wenn auch auf andere Weise, schließlich hatten sich die Zeiten ja geändert, hatte er es auch geschafft: Er war Krankengymnast geworden und hatte sich eine eigene Praxis eingerichtet.

Und diese Praxis ging erfreulich gut.

Am Morgen nach der Hochzeit des Fürsten Benedikt Kronstein klopfte Johann leise an die Schlafzimmertür von Prinzessin Beatrice. Für gewöhnlich brachte die Pflegerin Hanna der Prinzessin das Frühstück ans Bett, aber heute hatte Johann gebeten, dies übernehmen zu dürfen. Es war ein besonderer Tag, und er hatte etwas Besonderes mit seiner Herrin zu besprechen.

»Johann!« Beatrice war überrascht. »Frau Hanna wird doch nicht krank sein?«

Sie vermochte noch immer nicht zu gehen oder auch nur zu stehen und brauchte deshalb die Hilfe einer erfahrenen Frau, um sich zu waschen und anzukleiden.

»Guten Morgen, Durchlaucht«, begann Johann umständlich, nachdem er das Tablett auf das Bett-Tischchen der Prinzessin gestellt und vor dieser aufgebaut hatte.

»Guten Morgen, Johann.« Ein schwaches Lächeln huschte über das blasse, unglückliche Gesicht. »Ich nehme an, Sie haben etwas Wichtiges mit mir zu besprechen?«

Sie war sehr froh, daß sie nach ihrer Rückkehr aus den Staaten ihre Eltern hatte überreden können, ihr Johann zu überlassen – und sehr froh, daß dieser bereit gewesen war, ihr aus dem Schloß in diese vergleichsweise bescheidene Umgebung zu folgen.

»Setzen Sie sich. Das ist gemütlicher!«

Aber Johann gehörte zur alten Schule, und es wäre ihm mehr als ungehörig erschienen, sich im Schlafzimmer seiner Durchlaucht zu setzen.

»Das war ein Befehl!« sagte Beatrice streng, lächelte ihn an.

»Danke, Durchlaucht.« Er setzte sich auf den alleräußersten Rand des unbequemsten Stuhles, den er entdecken konnte.

»Nun, Johann, erzählen Sie! Vielleicht schmeckt das Frühstück mir dann besser!« schlug Beatrice vor, und einen Moment verdunkelten sich ihre Augen von ungeweinten Tränen und sie trank rasch einen Schluck Kaffee.

Johann räusperte sich. Das Herz blutete ihm, wenn er sah, was aus seiner schönen Durchlaucht geworden war: so ein armes, hilfloses Wesen. Aber weil sie ihn erneut auffordernd anschaute, begann er zu sprechen.

»Mein Sohn Frank…«

»Sie haben einen Sohn?« wunderte sich Beatrice. »Ich wußte gar nicht, daß Sie verheiratet sind. Oder waren.«

»Ich war nicht verheiratet. Wir konnten uns nicht entscheiden«, erwiderte Johann ebenso umständlich wie würdevoll.

»Und warum nicht?« wunderte sich Beatrice.

»Seine Mutter ist Zilly, die Kammerzofe von Ihrer Durchlaucht der Fürstin Kronstein. Wenn wir geheiratet hätten, hätte sie ihren Dienst bei der Fürstin aufgeben müssen oder ich meinen bei Ihren durchlauchtigsten Eltern. Wir konnten uns nicht entscheiden. Zillys Familie ist ebenso lang bei den Fürsten Kronstein im Dienst, wie meine bei den Fürsten Lindenburg. Da beließen wir es eben dabei. Aber in aller Freundschaft.«

»Aha«, sagte Beatrice und dann sah sie den alten Mann an und sagte herzlich: »Ich bin sehr froh, Johann, daß Sie bei uns geblieben sind und jetzt mir helfen!«

»Danke, Durchlaucht«, erwiderte er, genauso gerührt wie die Prinzessin.

»Aber was wollten Sie mir von Ihrem Sohn erzählen?«

»Mein Sohn konnte sich auch nicht entscheiden, ob er bei den Fürsten Kronstein oder den Fürsten Lindenburg in Dienst gehen wollte – und deshalb machte er sich selbständig und wurde Krankengymnast. Er hat eine gutgehende Praxis«, schloß er stolz.

»Das freut mich«, erwiderte Beatrice und ahnte, was Johann vorschlagen wollte. Aber sie hatte schon so viel versucht! Sie wollte eigentlich nur mehr ihren Frieden haben.

»Ich habe mir erlaubt, von Eurer Durchlaucht Unfall zu erzählen und auch von den Operationen – hier in Deutschland und in den USA. Und mein Sohn meinte…« Er unterbrach sich, weil Beatrice seufzte. Doch da sie nichts sagte, fuhr er fort: »Er meinte, daß die Herren Professoren zwar sehr gescheit sind, aber oft keine Ahnung vom Alltag haben. Die Therapeuten, die mit den Patienten arbeiten, wissen und erreichen da oft mehr. Denn manches läßt sich nicht mit einer Operation beheben, für manches braucht man Zeit und Geduld und viel Übung.«

»Ihr Sohn hat sicher viel Erfahrung und ganz bestimmt meint er es gut, genau wie sein Vater«, antwortete Beatrice nach einer kleinen Pause. »Aber – ich habe mich mit meinem Zustand abgefunden…«

»Um Gottes willen, Prinzessin! So etwas dürfen Sie nicht sagen, nicht einmal denken! Sie sind doch noch so jung!« rief Johann und vergaß vor Entsetzen die förmliche Anrede.

»Wozu sollte das alles noch gut sein – jetzt, wo Fürst Kronstein jemanden gefunden hat…« Sie sprach nicht weiter, und der Blick ihrer schönen dunkelblauen Augen verlor sich in irgendwelchen Fernen, in Erinnerungen an die Zeit, als sie glaubte, nichts könnte ihr Glück trüben.

»Durchlaucht gestatten: niemand weiß, was der Allmächtige mit uns vorhat!« mahnte Johann ernst.

Beatrice sah ihn an und lächelte.

»Vielen Dank, Johann, für Ihre Sorge. Ich werde darüber nachdenken. Aber jetzt schicken Sie mir bitte Frau Hanna, ich möchte aufstehen!«

Johann stand auf und nahm das fast unberührte Tablett vom Bett-Tisch.

»Durchlaucht gestatten: ich möchte noch etwas sagen.«

Beatrice seufzte.

»Nun gut. Was gibt es noch?«

»Heute sind es auf den Tag fünfzig Jahre, Durchlaucht, daß ich

bei den Fürsten Lindenburg diene.«

»Aber das ist ja ein goldenes Jubiläum, Johann! Das müssen Sie feiern! Ich bin sicher, daß meine Eltern nicht darauf vergessen!«

»Nein, man hat mir eine sehr großzügige Anerkennung überwiesen«, erwiderte er steif. »Aber ich habe eigentlich nur einen Wunsch.«

»Und der wäre, Johann?«

»Daß Eure Durchlaucht sich von meinem Sohn behandeln lassen!«

Beatrice sah ihn gerührt an. Dann streckte sie die Hand aus und berührte ihn am Arm.

»Das kann ich nicht abschlagen, Johann«, gab sie freundlich nach. »Zehn Behandlungen. Einverstanden?«

»Danke, Durchlaucht!« sagte er und verneigte sich so tief, wie es das Tablett, das er in den Händen hielt, zuließ. Dann verließ er mit strahlendem Lächeln das Schlafzimmer.

Beatrice ließ sich in die Kissen zurück sinken. Sie hatte wirklich nur wegen des alten Mannes zugestimmt. Sie hatte schon mehrere Krankengymnasten ausprobiert – ohne den geringsten Erfolg, und die Enttäuschung, die sie jedes Mal überfiel, hatte ihr so zugesetzt, daß sie es für besser gehalten hatte, nicht noch weitere Versuche zu unternehmen, die genauso sinnlos sein würden wie die bisherigen. Aber sie hatte es einfach nicht über das Herz gebracht, Johann seine Bitte abzuschlagen.

Und vielleicht –

Da war sie wieder, die dumme Hoffnung!

Aber vielleicht half es dieses Mal wirklich – jetzt, wo sie Benedikt endgültig verloren hatte.

*

Das Wunder geschah: nicht nach zehn Behandlungen, nicht einmal nach hundert. Aber nach einem Jahr konnte Beatrice wieder stehen und mit Krücken sogar ein, zwei Schritte gehen.

»Wir schaffen es, Durchlaucht!« jubelte Frank, und Johann und Hanna strahlten über das ganze Gesicht. »Im nächsten Jahr können Sie ohne Krücken gehen!«

Beatrice sah ihn zweifelnd an. Richtig wieder gehen?

»Ja! Dann brauchen Sie diesen dummen Rollstuhl nicht mehr! Dann können Sie wieder Auto fahren, ins Theater gehen, reisen! Und noch ein Jahr später vielleicht auch wieder reiten«, schloß er triumphierend.

»Reiten…«, murmelte Beatrice.

»Nun ja, keine so wilden Jagdreiten mehr – aber gemütliche Ausritte und auch einen kleinen Galopp!« schränkte der Krankengymnast ein.

»Das wäre schön!« sagte sie leise. Vielleicht war das Leben doch noch nicht ganz für sie vorbei – auch wenn sie niemals Kinder haben würde und Benedikt glücklich mit Hermia lebte.

*

Zur gleichen Zeit schenkte Fürstin Hermia einem Sohn das Leben: dem Erbprinzen Kajetan von Kronstein.

Die Geburt des Erben wurde nicht weniger festlich begangen, wie vor einem Jahr die Hochzeit des Fürstenpaares.

Nach Ablauf all der Festlichkeiten suchte Fürst Benedikt seine Gemahlin in ihrem Boudoir auf.

»Ich möchte dir nochmals danken«, sagte er ernst.

»Das brauchst du nicht! Ich bin genauso glücklich über unseren Sohn wie du! Du kannst dir nicht vorstellen, wie innig ich mir Kinder gewünscht habe!«

»Dann bedauerst du nichts?«

Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sah ihn liebevoll an. »Nein, Benedikt! Nichts!«

»Ich wollte dir nur sagen, daß ich mein Versprechen nicht vergessen habe. Daß du – gehen kannst, wenn du willst.«

Hermia sah ihn erschrocken an.

»Er ist doch noch so klein! Er braucht mich doch, Benedikt. Aber wenn du darauf bestehst.«

»Das tue ich bestimmt nicht«, gab er erleichtert zur Antwort. »Du weißt, daß ich dich mag und schätze und ich bin sehr froh, wenn unserem Sohn die Mutter noch für einige Zeit erhalten bleibt. Es ist nur – wenn du diesen Mann noch liebst, so wie ich Beatrice nicht vergessen kann, vielleicht –«

Er wußte nicht weiter.

»Du hast sie noch immer nicht gefunden?«

»Ich habe sie nicht mehr gesucht. Ihre Eltern baten mich, sie in Frieden zu lassen. Schon damals, bevor ich dich bat, meine Frau zu werden.«

»Ich verstehe«, erwiderte Hermia mitleidig. »Sie tut mir so leid! Ich wünschte, sie würde erfahren, daß du sie trotz allem noch liebst.«

»Das wünsche ich mir auch. Und das habe ich auch ihren Eltern gesagt. Aber die meinten, es würde ihr dann alles noch schwerer werden. Und das ist bestimmt das Letzte, was ich möchte.«

Hermia nickte.

»Ich möchte dir nicht weh tun und dich auch nicht kränken, aber ich habe eine Bitte!«

»Was immer es ist. Du wirst kaum etwas Ungebührliches verlangen«, meinte er lächelnd.

»Ich möchte Philip aufsuchen und ihn fragen, wie es ihm geht. Ich möchte ihm sagen, daß er sich nicht gebunden fühlen soll, denn ich kann unseren Sohn jetzt noch nicht verlassen!«

Benedikt sah sie überrascht an, dann zog er sie stürmisch in seine Arme. »Ich bin dir so dankbar!« sagte er mit rauher Stimme.

Als Hermia zwei Monate später Philip in seiner Waldhütte aufsuchte, ahnte sie, daß sie wieder schwanger war.

Er, dem man früher nie seine achtunddreißig Jahre angesehen hatte, er wirkte nun plötzlich, als wäre er in den vergangenen zwölf Monaten um mindestens fünf Jahre älter geworden. Sein blondes Haar war noch heller durch das Grau, das sich dazwischen mischte, und die Linien in seinem hageren Gesicht rührten nicht nur von Wind und Wetter her.

»Ich will mit dir reden«, erwiderte Hermia und fühlte sich sehr schuldig.

»Ach ja?« Er machte keine Anstalten, sie in seine Hütte zu bitten.

»Ich wollte dir ein Foto von meinem Sohn zeigen.«

Er zuckte zusammen. Und preßte einen Moment die Lippen aufeinander.

»Warum?«

»Philip«, flüsterte sie, und die Tränen, die sie bisher mühsam zurückgehalten hatte, liefen ihr nun über die Wangen. »Ich habe nicht aufgehört, dich zu lieben! Ich dachte, mein Sohn interessiert dich.«

»Mich interessiert nur, wann du wieder kommst«, sagte er, und seine Stimme klang nicht mehr aggressiv, sondern nur mehr unglücklich.

»Er ist noch so klein – ich kann ihn jetzt nicht verlassen.«

»Ich verstehe«, gab er zur Antwort. Und weil sie ihn so verzweifelt ansah, wiederholte er mit einem bitteren Lachen: »Oh, doch, ich verstehe es wirklich! Nur: wann ist ein Junge alt genug, daß er keine Mutter mehr braucht? Mit sechs? Mit zehn? Mit siebzehn?«

»Benedikt wird bestimmt nichts dagegen haben, wenn ich ihn immer wieder sehen will. Später.«

»Wann?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie verzweifelt. »Deshalb bin ich hier: um dir zu sagen –«

»Vielen Dank für die großzügige Erlaubnis, mich anderweitig umzusehen. Ich habe übrigens bereits davon Gebrauch gemacht.«

»Natürlich«, sagte Hermia und senkte den Blick. Warum erfüllte sie das so mit Kummer? Sie war doch hier, um ihm genau das zu sagen! Und weshalb traf es sie? Fürchtete sie, daß ein temperamentvoller Mann eher an einer anderen hübschen, verliebten Frau hängen blieb, als es einer Frau passierte? Sie fand nicht den Mut, ihm mitzuteilen, daß sie glaubte, bereits wieder schwanger zu sein. Ein zweites Kind. Hoffentlich war es wieder ein Junge! Dann war die Erbfolge genügend gesichert!

Er kam langsam auf sie zu und hob mit seiner kräftigen, von der Arbeit schwieligen Hand ihr Kinn hoch, so daß sie gezwungen war, ihn anzusehen.

»Du bist schwanger!« stellte er fest und lachte zornig. »Ich sehe das in deinen Augen, durchlauchtigste Fürstin Kronstein! Ich kenne das von den Tieren, mit denen ich zu tun habe.«

»Die Erbfolge…«, stotterte Hermia.

»Klar!« Wieder lachte Philip böse. »Erst der Erbprinz, dann ein kleiner Bruder, sozusagen als Rückversicherung. Reicht es

dann, oder braucht so ein großer Besitz noch ein paar Kinder mehr?«

»Philip! Glaube mir doch –«

»Ich glaube dir gar nichts mehr. Nicht, bis du zu mir kommst und sagst, daß du jetzt bleibst!« Damit drehte er sich um, ging zurück in seine Hütte und schlug die Tür hinter sich zu.

Er hatte recht. Sie konnte ihm nicht sagen, wie sehr sie sich danach sehnte, daß er sie in die Arme nahm und liebte.

Nie hatte sie ihn vergessen! Nicht in den liebevollsten Augenblicken. Und sie war sich sicher, daß es Benedikt ebenso erging.

Aber wie sollte jemand, der nicht so erzogen war, verstehen, daß einem die Pflicht gegenüber der Tradition, dem alten Namen, so in Fleisch und Blut überging, daß man nicht mehr anders handeln konnte.

Und wenn man es dennoch

tat –, würde man nie seinen Frieden finden.

Freilich: fand sie ihn so?

Wenn sie ehrlich war, so waren die einzigen frohen Augenblicke in ihrem nach außen so glanzvollen Leben, die mit ihrem kleinen Sohn. Würde sie es jemals schaffen, ihn zu verlassen? Und das andere kleine Wesen, das in ihrem Schoß wuchs?

Warum nahm Philip sie nicht in die Arme und liebte sie – heimlich, so wie früher!

Hermia stand noch eine Weile da und wartete, aber die Tür blieb zu. Da wendete sie sich um und ging langsam zu ihrem Wagen zurück.

Philip stand an einem der niedrigen Fenter, von den Scheibengardinen verborgen und sah ihr nach.

Hermia war nicht die Frau, die ihre Kinder verließ. Er hatte sie verloren.

*

Schloß Lindenburg gehörte zu den zwei oder drei mittelalterlichen Burgen, welche die Wirren des Dreißigjährigen Krieges unbeschadet überstanden hatten. Das lag wohl daran, daß es auf einem hochragenden Felsen über dem Fluß lag und auch heute nur eine so schmale Straße hinaufführte, daß keine zwei Autos aneinander vorbei kamen, sondern man auf das Freizeichen einer inzwischen angebrachten Ampel warten mußte.

Heute wehten auf dem hohen Burgturm fröhlich die Fahnen im frischen Wind, und die Dohlen flogen aufgeregt schreiend hoch in den von einem Gewitterregen blank gewaschenen blauen Himmel. Der Wald, der sich fast bis zur Kuppe des Felsens emporzog, leuchtete in herbstlich bunten Farben, rot, braun, gelb, dazwischen das dunkle Grün der Fichten und Föhren.

Es war ein Tag zum Feiern. Und gefeiert wurde heute auf Lindenburg. Eine Feier besonderer Art: Man ehrte heute altgediente Angestellte, die in Pension oder Rente gingen.

Da Petrus es mit den Jubilaren gut meinte, hatte man im Burghof Tische und Bänke aufgebaut. Es gab ein deftiges Essen, zu trinken, was immer das Herz begehrte, und eine Kapelle war engagiert, um erst zum Essen und später zum Tanz aufzuspielen.

Auch Prinzessin Beatrice hatte sich entschlossen, zu dem Fest zu kommen. Sie ging auf Krücken, wegen des unebenen, felsigen Bodens. In ihrer Wohnung konnte sie an guten Tagen schon ohne Gehhilfen gehen. Freilich nicht lange, dann verließ sie die Kraft, und ihre Glieder schmerzten.

Nach wie vor ging sie nicht in Gesellschaft und niemand wußte etwas von ihrer Besserung. Sie hatte es so gewollt! Aber wenn die treuen Mitarbeiter geehrt wurden, fand sie, daß sie mit dabei sein mußte.

Und man dankte es ihr mit der aufrichtigen Freude über die Besserung ihres Zustandes.

Als erstem dankte ihr Vater, Fürst Otto von Lindenburg, seinem Forstdirektor, Diplom Forstwirt Karl Matthes, der mit achtundsechzig sich endlich aus dem Dienst zurückzog, nachdem er seinen Nachfolger noch drei Jahre lang eingearbeitet und beraten hatte. Er schenkte ihm einen prächtigen Silberteller, in welchen alle Forstangestellten ihren Namen hatten gravieren lassen. Und ein Couvert, in welchem für ihn und seine Frau die Tickets für eine Flugreise nach Brasilien waren. Matthes hatte sein Leben lang von den brasilianischen Urwäldern geträumt. Er war fast zu Tränen gerührt, und konnte kaum danken, besonders, weil der Fürst ihm auch noch auf Lebenszeit das jagdliche Begehrecht einräumte.

»Was hätten wir in all den Jahrzehnten ohne Sie getan«, sagte Lindenburg und schüttelte ihm dankbar die Hand.

Dann bedankte er sich bei zwei Waldarbeitern, deren Väter schon bei seinem Vater gearbeitet hatten, und auch diese erhielten eine großzügige Anerkennung für ihre Treue.

Die Hausangestellten wurden von der Fürstin verabschiedet.

Frau Fanny, die Köchin, weinte zum Steinerweichen. Sie war noch keine Sechzig, aber dank ihrer hervorragenden Küche und des dazu passenden Körperumfangs hatte sie einen doppelten Schenkelhalsbruch erlitten und konnte die beachtliche Anstrengung eines so großen Haushaltes nicht mehr bewältigen. Sie erhielt gleichfalls einen großzügigen Scheck – und die Teilnahme zu einer Pilgerreise nach Lourdes. Vielleicht besserte sich ihr körperliches Befinden, und sie konnte dann wenigstens bei großen Festen aushelfen! Eine Aussicht, die sie etwas aufrichtete.

Als Letztes wurde Johann geehrt. Diese besondere Ehrung hatte sich Beatrice vorbehalten.

»Niemand ist so lange bei uns in Diensten wie unser Johann«, begann sie mit ihrer hellen, weichen Stimme. »Er ist hier gewesen – lange vor mir! Und genau wie ich hier geboren und aufgewachsen, so wie schon sein Vater, bis zurück zu seinem Urgroßvater.

Menschen wie ihn gibt es nur ganz selten. Wir danken ihm alle unendlich viel. Aber vor allem verdanke ich ihm, daß ich wieder gehen kann! Noch mit Krücken – aber immerhin brauche ich keinen Rollstuhl mehr! Denn er hat darauf bestanden, daß ich mich von seinem tüchtigen Sohn behandeln lasse. Und der hat zuwege gebracht, was sich kein Professor für Orthopädie auch nur vorstellen konnte!

So sehr ich mein Zuhause, Schloß Lindenburg, liebe, wegen der steilen Treppen, des felsigen Grundes werde ich auch weiter in der Stadt wohnen bleiben und nur zu so schönen Festen, wie dem heutigen hierher kommen können. Aber ich bin glücklich, daß Johann mir versichert hat, daß er auch noch die nächste Zeit meinem Haushalt in der Stadt vorstehen wird.

Und so feiert er zu unser aller Freude nicht seinen Abschied, sondern nur sein goldenes Dienstjubiläum!«

Alle klatschten Beifall, und nun traten Fürst und Fürstin heran, der Fürst überreichte ihm eine gerahmte Urkunde für treue Dienste, die vom Bayerischen Staat auf Verlangen ausgestellt wird, und die Fürstin übergab ihm einen 50 Gramm schweren Goldbarren und selbstverständlich auch noch ein Couvert.

Unter den geladenen Gästen befand sich auch Philip Senger, der mit Frank zusammen zur Schule gegangen war.

Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er Prinzessin Beatrice auf Krücken herumgehen sah. Es hatte doch die ganze Zeit geheißen, sie könne sich nur im Rollstuhl fortbewegen! Man hatte sich erzählt, daß sie sich völlig aus der Welt zurückgezogen habe, nirgends mehr hinginge, förmlich – verschollen sei!

Und da stand sie nun, wohl blaß und zart, aber wunderschön wie eh und je. Und sie schien heiter zu sein und hielt eine Lobesrede auf den alten Johann, und er wußte nun auch, wo sie sich aufhielt.

War dies alles auch Hermia bekannt?

Und dem Fürsten Kronstein vor allem, von dem sie nun schon ein zweites Kind hatte. Leider nur ein Mädchen! Philip knirschte bei dem Gedanken an die verflixte Erbfolge mit den Zähnen.

»Was hast du denn?« fragte sein Schulkamerad Frank lachend. »Bist du wütend, weil dein Dienstherr nicht so großzügig ist?«

»Wahrhaftig, das ist er nicht! Wahrscheinlich bleiben deshalb die Leute auch nicht so lange bei ihm.«

»Eigentlich ungeschickt«, fand Frank. »Er hätte doch auch genug Geld, um euch anständig zu bezahlen. Und schließlich ist es nicht mehr so einfach, gute Leute für Land und Forst zu finden. Ganz zu schweigen für den Dienst im Haus!«

»Sag es ihm!« brummte Philip, und Frank lachte wieder. Nein, da würde er sich bestimmt nicht einmischen! Aber froh war er, daß »seine Fürsten« anders waren!

*

Die Prinzessin Lindenburg konnte wieder laufen!

Sicher, es war noch sehr mühsam, und das Zuschauen tat einem beinahe weh, aber Frank hatte ihm versichert, daß er fast täglich mit ihr arbeite und daß sie sich genau an seine Anordnungen hielt. Es würde garantiert noch besser werden.

Philip ging die Geschichte nicht mehr aus dem Kopf.

Frank hatte auch erzählt, daß die Prinzessin die Wohnung in der Stadt kaum einmal verlassen würde.

»Vorher, im Rollstuhl, überhaupt nicht«, sagte er, »und jetzt auch nur, wenn sie ganz sicher ist, daß sie niemandem begegnet – niemandem, der sie kennt oder den sie kennt. Also ganz früh morgens oder spät abends. Wenn die alle beim Essen, im Theater oder sonst irgendwie beim Feiern sind.«

Frank wußte das alles von seinem Vater, und wenn der es nicht wußte – wer dann, wo er doch tags und nachts um die Prinzessin war!

Aber – wer wußte sonst noch von der Besserung im Befinden der Prinzessin? Philip hatte sich vorsichtig erkundigt, ob ihr ehemaliger Verlobter, der Fürst Kronstein, sie noch manchmal besuchte: Frank hatte ihn bloß ausgelacht.

»Den will sie bestimmt zu allerletzt sehen!« hatte er von seinem Vater gewußt. »Sie liebt ihn noch immer!« Und dann hatte er nachdenklich hinzu gefügt: »Sie begegnet ja auch niemandem mehr, in den sie sich verlieben könnte, die arme Person!«

Ja, die Prinzessin war sicher arm. Aber auch, wenn er gesunde Arme und Beine hatte – sein Herz tat ihm oft weh, daß er glaubte, es nicht mehr auszuhalten. Dieses Wissen, daß Hermia mit ihrem Mann… Und wenn sie ihn doch eines Tages lieben lernte? Philip hatte ein Gerücht gehört, daß sie schon wieder schwanger sei!

Herr des Himmels! Man war doch nicht andauernd schwanger, wenn man jemanden nicht mochte! Aber das war es ja: sie hatte bei ihrem Besuch zugegeben, daß sie ihn gern hatte, diesen Fürsten. Wer garantierte ihm, daß das immer noch so war? Bloß gern…?

Hätte er ihr doch nur nicht gesagt, daß er sie nicht mehr sehen wolle! Aber es war ihm damals ernst gewesen und sicher war es auch besser. Nur ungern erinnerte sich Philip an seine Wut, seine Enttäuschung und Kränkung über die neuerliche Schwangerschaft und den Rausch, den er sich in seiner Verzweiflung angetrunken hatte. Als ob dadurch irgend etwas besser würde.

Kopfweh hatte er gehabt am folgenden Tag, das war alles.

Und auch seine wüsten Versuche, sich mit hübschen und willigen Mädchen und Frauen abzulenken, hatten ihm nichts als einen schlechten Geschmack eingebracht.

Er wollte Hermia vergessen, und doch zwang ihn sein Herz, diese dummen Dinger alle mit ihr zu vergleichen. Wie sie alberten und gackerten und ihn anschmachteten… Es nervte ihn

nur, und er behandelte sie gemein und ungerecht und schämte sich dafür. Aber er konnte nicht anders.

Daß sie alle nicht so schön waren, wie seine Hermia, nun, davor konnte man die Augen verschließen. Aber die Ohren konnte man nicht so einfach zu machen.

Und im Bett – mein Gott!

Es regnete in Strömen, aber Philip hielt es in seiner Hütte nicht länger aus. Er pfiff seinem Hund und rannte mit ihm durch den Regen in der Hoffnung, der würde ihm alle seine Überlegungen, Erinnerungen und Hoffnungen aus dem Gehirn waschen.

Philip wußte nicht, was er tun sollte. Und er kannte auch niemanden, mit dem er sich beraten könnte. Er wagte ja mit niemandem darüber zu reden! Das wäre doch ein gefundenes Fressen für die Zeitungen und Zeitschriften. Nein, er wußte wirklich niemanden. Nicht einmal Frank oder dessen Vater.

Oder – doch?

Er blieb ruckartig im Regen stehen, und das Wasser lief ihm über das Gesicht und drang bereits durch den Lodenjanker.

Wenn er – ja, wenn er zu der Prinzessin ging und mit ihr sprach?

Er, Philip selbst, zu der Prinzessin Lindenburg.

Wenn sie ihren Fürsten noch immer liebte, wie Frank erzählt hatte, dann verstand sie ihn vielleicht noch am ersten. Und sie hatte so viel durchgemacht, da war sie vielleicht auch nicht so hochfahrend, wie sonst diese Leute sein konnten, wenn man mit einem Anliegen kam. Außerdem hatte Frank ja gesagt, daß seine Fürsten nicht so wären wie zum Beispiel sein Arbeitgeber.

Aber natürlich war eine Liebesgeschichte etwas anderes als Geldgeschenke.

Mit einem Seufzer ließ er sich auf einen Baumstamm sinken, ungeachtet des Regens, der noch immer auf ihn herabprasselte. Sein Hund setzte sich vor ihn hin und sah ihn verständnislos an. Das war nun wirklich kein Wetter, in dem man einen Hund vor die Tür jagte! Ein Gassi ging gerade noch

an! Aber sich hinsetzen und einregnen lassen. Er winselte. Und als sein Herrchen nicht reagierte, legte er ihm die Pfote aufs Knie.

»Du hast recht«, sagte Philip geistesabwesend und tätschelte dem großen Münsterländer Rüden den schönen Kopf. »Sie wird mich kaum anhören!«

Er seufzte tief, und der Hund seufzte auch, weil sein Herrchen ihn nicht verstand.

»Aber wenn es mir wenigstens irgendwie gelingen würde, eine Nachricht an Hermia weiterzugeben?« Er sprang auf, und der Hund tat es gleichfalls, erleichtert bellend. »Ich gehe einfach hin – und dann sehe ich ja, wie sie reagiert! Komm, Hasso!«

Im Laufschritt ging es zurück zur Hütte. Dort rubbelte er erst einmal Hasso mit einem Handtuch halbwegs trocken, und dann ging er selbst unter die Dusche.

Hoffentlich war dieses langweilige Wochenende bald vorüber, dann würde er in die Stadt fahren. Zum Zahnarzt oder was immer er seinem Dienstherrn erzählen würde, damit der keine Schwierigkeiten machte.

»Ja, Philip! Wo kommst du denn her?« fragte verwundert Johann, als er auf ein energisches Läuten hin die Wohnungstür geöffnet hatte und dem Jäger gegenüber stand.

»Ich muß die Prinzessin in einer wichtigen Angelegenheit sprechen«, erklärte der.

Johann musterte ihn mißtrauisch.

»Wie wichtig?«

»Sehr!«

»Dann sage mir, um was es geht, damit ich die Durchlaucht fragen kann, ob es ihr wichtig genug ist.«

Philip wurde ungeduldig. Daß ausgerechnet der alte Johann sich so aufplustern mußte, damit hatte er nicht gerechnet, als er Frank die Adresse herauslockte.

»Ich kann nur mit der Prinzessin darüber reden!« beharrte er eigensinnig.

»Die Durchlaucht trinkt Tee. Ich kann sie nicht wegen dir stören«, erwiderte Johann, genauso stur.

»Hat sie Besuch?« erkundigte sich Philip erschrocken, denn das würde natürlich sein Vorhaben umwerfen.

»Sie hat keinen Besuch und sie will auch keinen Besuch. Schon gar nicht von dir!«

»Tut mir leid, Johann – aber ich muß zu ihr!« bestand Philip darauf, drängte den empört protestierenden alten Mann zur Seite und rannte auf die große Doppeltür zu, hinter der er en Salon vermutete, was auch zutraf.

Hinter ihm erklang das zornige Zetern Johanns, in das sich jetzt auch noch Schimpfen der Haushälterin mischte. Doch bevor die beiden den Eindringlich zurückhalten konnten, hatte er bereits die Tür aufgerissen und stand in dem elegant eingerichteten Salon der Prinzessin.

»Was ist denn hier los?« fragte Beatrice erstaunt. »Wer sind Sie?«

Nun tauchten auch Johann und die Haushälterin auf, und der alte Diener berichtete zornig, wie sich Philip nicht habe zurückhalten lassen und wer er war.

Währenddessen betrachtete Philip die Prinzessin. Er hatte sie ja schon öfter gesehen, aber noch nie so nahe, und es kam ihm vor, als würde man erst in dieser Umgebung erkennen, was für ein Mensch sie war. Sie erinnerte ihn sehr an Hermia. Es lag wohl an der Art, an der Haltung.

»Schon gut, Johann. Ich weiß, daß es nicht Ihre Schuld ist«, sagte Beatrice jetzt. Dann wendete sie sich mit freundlicher Kühle an Philip: »Was ist der Grund, daß Sie hier so einfach eindringen?«

»Verzeihung, Durchlaucht. Ich kann mit Ihnen nur unter vier Augen sprechen.«

»Um was geht es?«

»Auch das kann ich Ihnen nur alleine sagen.«

Beatrice betrachtete den Jäger nun prüfend von Kopf bis Fuß. Er war ein sehr gut aussehender Mann! In Heimatfilmen hätte er als schneidiger Jäger Karriere machen können. Er benahm sich auch nicht frech – und vielleicht hatte er wirklich einen echten Grund, sie zu sprechen. Zumindest einen, den er dafür hielt.

»Sie heißen also Philip Senger und waren mit dem Sohn von Johann auf der Schule. Und jetzt sind Sie Jäger beim Grafen Arco.«

»Jawohl, Durchlaucht.«

»Weiß er, daß Sie hier sind?«

»Um Himmels willen, Durchlaucht! Ich habe gesagt, ich müsse zum Zahnarzt!«

Johanns Gesicht wurde immer empörter, und als die Prinzessin nun lachte und zu ihm sagte: »Na, schön, Johann, lassen Sie uns alleine«, und er sich zusammen mit der Haushälterin zurück ziehen mußte, da war er beinahe beleidigt.

»Danke, Durchlaucht«, Philip atmete auf.

»Also Herr Senger, um was geht es?«

»Ich muß dringend die Fürstin Hermia Kronstein sprechen.«

Beatrice fühlte, wie ihr alles Blut zum Herzen strömte.

»Das hier ist die falsche Adresse, Herr Senger. Ich habe keinerlei Kontakt zur Fürstin Kronstein.«

»Her– ich meine: die Fürstin weiß nicht, daß Sie wieder gehen können, Durchlaucht?!« Philip starrte sie flehend and.

Beatrice hatte aufgehorcht. Was war das für ein Versprecher gewesen?

»Ich glaube nicht«, erwiderte sie zögernd. »Aber was hat das mit Ihrem Besuch zu tun?«

Es war wirklich sehr schwierig, das alles auszusprechen. Alle die wohlgesetzten Reden, die sich Philip auf dem Herweg zurecht gelegt hatte, waren aus seinem Kopf verschwunden. Verzweifelt suchte er nach den richtigen Worten.

Beatrice beobachtete ihn und sagte schließlich: »Bei mir ist ein Geheimnis sehr gut aufgehoben, Herr Senger. Nicht nur, wenn es sich um einen erfundenen Zahnarztbesuch handelt.«

»Danke, Durchlaucht!« Es klang wie ein Stöhnen, und dann entschloß er sich zu reden – schließlich war er deshalb hier. »Hermia, die Fürstin meine ich, und ich – wir haben beide nicht geheiratet, weil – obwohl wir beide oft genug Gelegenheit gehabt hätten –«

Beatrice hörte nicht mehr hin: das war also der Grund, weshalb eine der attraktivsten Frauen des Hochadels sich nie zur Heirat entschlossen hatte.

»– und dann hat sie den Fürsten geheiratet«, schloß Philip nun.

»Das tut mir für Sie und die Fürstin sehr leid«, sagte Beatrice leise und mit aufrichtigem Mitgefühl. Man sah dem Mann an, daß er Hermia noch immer über alles liebte und einfach mit der Situation nicht fertig wurde. »Aber jetzt ist sie nun einmal mit dem – Fürsten Kronstein verheiratet und erwartet ihr drittes Kind.«

Doch so aufgeregt Philip auch war, er hatte nicht die winzige Pause überhört, welche die Prinzessin vor dem Namen des Fürsten gemacht hatte.

»Ja, aber wenn es ein Junge wird – dann ist die Erbfolge doch gesichert! Und sie können wieder gehen und –,«

»Man sagt«, unterbrach ihn Beatrice, »daß die beiden eine sehr gute und glückliche Ehe führen, und daß sie beide sehr an ihren Kindern hängen.«

Philip ließ den Kopf hängen.

»Ja«, gab er zu, »Hermia ist bestimmt eine gute Mutter.«

Weil die Prinzessin darauf schwieg, hob er nach einer Weile den Kopf.

»Bitte, wenn Sie ihr nur sagen würden, daß ich sie sehen möchte. Nur einmal.«

Es klang so tief traurig, daß Beatrice nicht anders konnte.

»Ich weiß nicht, ob es klug ist«, sagte sie freundlich. »Es macht alles nur noch schwerer! Ich spreche aus Erfahrung«, setzte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu. »Aber wenn Sie es wirklich unbedingt wollen –,«

»Bitte!« wiederholte er.

»Gut, ich werde sie anrufen und ihr sagen, daß sie sich bei Ihnen melden soll. Ist das recht?«

»Sehr recht, Durchlaucht! Tausend Dank!« Sein Gesicht strahlte auf, seine Augen leuchteten und seine Schultern strafften sich. Er sah wirklich phantastisch aus. Wie einer der Helden aus dem Nibelungenlied, dachte Beatrice und lächelte ihn an. Fast konnte sie Hermia verstehen. Aber wirklich nur fast!

Eine Stunde später brachte Fleurop einen herrlichen Strauß Lilien vorbei.

Danke! Prinzessin, stand auf der beigefügten Karte.

Er war wirklich ein besonderer Jäger, dachte Beatrice und lächelte und wies den noch immer beleidigten Johann an, die Lilien in die große Kristall-Vase zu stellen.

*

»Beatrice?« fragte Hermia ungläubig, nachdem ihr Butler sie mit der Prinzessin verbunden hatte. »Beatrice Lindenburg?«

Beatrice lachte ein wenig gequält.

»Genau. Und wenn du hörst, weshalb ich dich anrufe, wirst du noch um einiges erstaunter sein.«

Hermia wußte darauf nichts zu sagen, aber Beatrice nahm ihr Schweigen als Antwort.

»Bist du allein? Können wir ungestört sprechen? Hört niemand mit?«

»Nein. Ich bin allein.« Es klang verwirrt und abweisend.

»Verzeih, ich will dich nicht kränken. Aber – es ist besser, wenn keiner zuhört. Philip Senger war bei mir!«

Ein tiefer, erschrockener Atemzug war auch darauf die einzige Antwort.

»Er will dich unbedingt sprechen. Es scheint ihm überaus wichtig zu sein, sonst hätte er kaum versucht, die verschiedenen Umwege bis zu mir zu gehen.« Und weil Hermia immer noch nichts sagte, meinte sie beruhigend: »Mache dir keine Gedanken. Du kannst sicher sein, daß ich schweige. Schon wegen Benedikt.«

Hermia fand noch immer keine Worte, und so erkundigte sich Beatrice nach ihrem Befinden.

»Danke, gut«, würgte sie heraus.

»Ich höre, du erwartest wieder ein Kind. Wann ist es soweit?«

»In einem Monat – wenn er sich an den Termin hält«, schloß sie vorsichtig,

»Es wird ein Junge?« freute sich Beatrice. Und setzte dann hinzu: »Das wird auch Herrn Senger sehr freuen.«

Hermia schluckte.

»Beatrice, ich weiß nicht, was ich sagen soll!«

»Du brauchst nichts zu sagen«, half ihr die Prinzessin. »Das gibt es nun einmal, daß man jemanden liebt, ohne erklären zu können, was genau der Grund ist. Und ich bin sehr froh, daß Benedikt dich geheiratet hat! Du warst mir immer schon die liebste von allen!«

»Danke«, flüsterte Hermia und spürte, wie ihr die Tränen in die Kehle stiegen. Beatrice war fabelhaft! So großzügig und anständig! Eine echte Freundin, wie es sie kaum gab. »Wie geht es dir?« erinnerte sie sich dann an die schlechte Gesundheit der Prinzessin.

»Es geht mir sehr gut«, erwiderte Beatrice, und es klang richtig glücklich.

»Wirklich! Auch wenn du es nicht glaubst! Aber es ist wohl richtiger, wenn ich sage: fast sehr gut. Ich kann wieder gehen! Inzwischen schon ohne Krücken! Du kannst dir vorstellen, wie froh ich darüber bin.« Und verwundert fragte sie: »Hast du denn nichts davon gehört?«

»Wie sollte ich?« gab Hermia zur Antwort. »Wenn ich etwas von dir höre, dann nur, daß niemand dich sieht oder auch nur weiß, wo du dich aufhältst.«

»Ja, das ist richtig«, gab Beatrice zu und dachte, daß von den vielen sogenannten Freunden sich niemand die Mühe gemacht hatte, sie aufzusuchen. Schließlich hatte auch Philip Senger es herausgefunden. »Und dann vermeiden sie wohl auch, über mich zu sprechen in deiner Gegenwart«, vermutete sie.

»Ja. Bestimmt.«

Sie schwiegen beide einen Augenblick verlegen. Hermia überlegte, ob sie auch von Benedikt erzählen sollte, und auch Beatrice wußte nicht, ob Hermias Herz immer noch an Philip Senger hing, so wie das seine an ihr.

»Ich glaube, du solltest mit Herrn Senger sprechen«, sagte Beatrice schließlich. »Er liebt dich sehr. Entschuldige, wenn ich das sage.«

»Das ist kein Grund, sich zu entschuldigen«, erwiderte Hermia. »So gern ich Benedikt mag – es ist ganz anders als –« Sie wußte nicht, wie sie sich ausdrücken sollte. »Vielleicht ist es ähnlich, wie es zwischen dir und Benedikt war.«

Beatrice sagte darauf nichts.

»Ich würde so gerne eure Kinder sehen«, bat sie dann. »Magst du mich nicht einmal mit ihnen besuchen?«

»Sehr gerne. Wann immer es dir paßt!« versicherte Hermia eifrig.

»Vielleicht – nachdem du Herrn Senger getroffen hast?« schlug Beatrice vor.

»Ja, das wäre ein guter Zeitpunkt«, stimmte Hermia nachdenklich zu. Sie ließ sich Beatrices Telefonnummer geben und versprach, sich so bald wie möglich zu melden.

*

Nach dem Telefongespräch eilte Hermia durch die weiten Gänge des Schlosses, um Benedikt aufzusuchen. Er war zumeist um diese Zeit in seinem privaten Arbeitszimmer, wo er die Dinge erledigte, die sich nicht auf die Land- und Forstwirtschaft Kronstein bezogen, sondern auf seine Bankgeschäfte und Industriebeteiligungen.

Es war ein wunderschöner Raum, der direkt an die berühmte Bibliothek der Kronsteins angrenzte und mit einer großen, geschnitzten und reich eingelegten Doppeltür mit dieser verbunden war. Auch hier fanden sich noch Bücherstellagen voll wertvoller Erstausgaben, doch an den Wänden waren auch kostbare Porträts von bedeutenden Vorfahren aus dem vergangenen Jahrhundert. Hier sollte auch das Gemälde von ihr einmal hängen, das Benedikt in Auftrag gegeben hatte. Es würde vollendet werden, sobald sie die Geburt hinter sich hatte, und dann neben dem seinen hängen, auf dem Platz, an welchem sich zur Zeit noch eines der schönen Landschaftsbilder von Caspar David Friedrich befand.

Benedikt saß an dem großen Renaissancetisch, der aus einem spanischen Kloster stammte, und sah erschrocken auf, als Hermia so unangemeldet zu ihm hereinstürmte.

»Geht es dir nicht gut?« fragte er besorgt und stand auf, um ihr einen bequemen Sessel zurecht zu rücken.

»Es geht mir ausgezeichnet«, erwiderte sie atemlos und ließ sich in den Sessel fallen. »Aber hast du gewußt, daß Beatrice wieder gehen kann?«

Er wandte sich rasch ab und ging zurück zu seinem Sessel hinter dem Schreibtisch. Als er sich dort setzte, hatte er sich wieder gefaßt.

Hermia hatte ihn genau beobachtet: er hing immer noch an der Freundin! Warum quälten sie alle sich nur so? Es gab doch jetzt eigentlich keinen Grund mehr!

Als die Gesprächspause zu unerträglich lang wurde, raffte sich Benedikt auf zu antworten.

»Ich habe es gehört. Ich wußte nicht, ob ich es glauben sollte. Sie war doch bei den berühmtesten Koryphäen. Aber – es würde mich für sie sehr froh machen.«

»Ich habe gerade mit ihr telefoniert«, platzte Hermia nun heraus.

»Du – weißt, wo sie ist?« fragte er überrascht.

»Jetzt weiß ich es. Vorher hatte ich keine Ahnung. Aber sie rief mich an.«

»Ach«, murmelte er verwundert.

»Wegen Philip. Er war bei ihr!« Hermia war rot geworden.

»Ach«, sagte Benedikt wieder.

»Er – möchte mich sprechen.«

»Selbstverständlich.« Benedikt sah sie prüfend an. »Du weißt, daß ich dir keine Vorschriften mache.«

»Ich weiß, daß du ein wunderbarer Ehemann und Vater bist«, erwiderte Hermia. »Deshalb fällt es mir ja auch so schwer –« Sie seufzte. »Übrigens: Beatrice kann sogar wieder ohne Krücken gehen!«

Er schwieg darauf und senkte den Kopf, so daß sie sein Gesicht nicht genau sehen konnte.

»Sie bat mich, sie zu besuchen. Mit unseren Kindern.«

Er nickte stumm.

»Benedikt«, sagte Hermia nun unglücklich, »ich bringe es nicht fertig, unsere Kinder zu verlassen. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll!«

»Ich weiß es doch auch nicht«, gab er zur Antwort und lächelte sie genauso unglücklich an, wie sie ihn.

*

Liebster! schrieb Hermia noch am gleichen Tag, denn das bist Du noch immer für mich, und daran wird sich auch nie etwas ändern, so unglaublich es vielleicht für Dich und auch für andere nach allem erscheinen mag. Beatrice Lindenburg hat mich gleich nach deinem Besuch bei ihr angerufen. Und ich habe sofort mit Benedikt gesprochen.

Es sind nur mehr ein paar Wochen bis zu dem errechneten Geburtstermin meines zweiten Sohnes, sonst wäre ich sofort gekommen. So aber bitte ich Dich, noch einmal zu warten. Ein letztes Mal, bis Sebastian – so soll er heißen! – eingetroffen ist und ich mich einigermaßen erholt habe. Dann komme ich zu Dir, und wir werden gemeinsam besprechen, wie es weiter gehen soll.

Ich liebe Dich! Und die vergangenen vier Jahre haben nichts daran geändert. Wenn ich nur wüßte, was wir tun sollen! Ach, Philip, warum machen die Menschen sich mit ihren Regeln, Gewohnheiten und Traditionen das Leben nur so schwer? Aber wie könnten wir ohne das alles leben?

Ich werde immer nur Dich lieben – Hermia.

Philip zerknüllte zornig den Brief in seiner Faust. Dann legte er das Knäuel vor sich auf den Tisch und glättete es wieder behutsam.

»Sie liebt mich, behauptet sie«, sagte er zu Hasso, der neben ihm saß und zu ihm aufschaute. »Das sagt sich leicht, wenn man mit einem stinkreichen Fürsten verheiratet ist und von ihm drei Kinder hat. Aber was ist mit uns beiden? Wir sitzen da – und warten. Na ja, so bloß gewartet haben wir auch nicht! Aber das kann man nicht vergleichen! Das war einmal die und einmal eine andere und getrunken hatte ich dann auch meistens mehr, als ich vertrug.« Er seufzte und strich wieder über den Briefbogen. »Es war vielleicht auch nicht anständig, diesen Mädeln gegenüber. Die haben es vielleicht ernster genommen. Aber ich kann es nicht ändern. Jedenfalls habe ich ihnen nie etwas vorgemacht! Ich habe ihnen weder erzählt, daß ich sie liebe, noch daß ich auf der Suche nach jemandem bin, der mir den Haushalt führt. Obwohl alle finden, daß in meinem gestandenen Alter es dringend notwendig wäre, daß ich seßhaft werde!« Er lachte kurz auf.

Hasso sah ihn ernst an und wedelte ein wenig mit der Rute, und Philip streichelte ihn.

»Hoffentlich ist es ein gesunder Bub. Hoffentlich geht alles gut. Und hoffentlich – hoffentlich –«

Ja, was konnte er erhoffen? Daß Hermia ihre drei Kinder verließ und dann vor Sehnsucht nach ihnen ihm ein Glück nur vorspielte?

Manchmal konnte man wirklich denken, daß diese Fürsten und Prinzen eine andere Sorte von Mensch waren.

Und doch, wenn er daran dachte, wie Hermia in seinen Armen gelegen hatte –, dann waren sie doch nicht so verschieden.

Philip sprang auf.

»Komm, Hasso! Gassi!« Wenn er noch länger hier herum saß und nachdachte, wurde er noch ganz verrückt. Vielleicht fiel ihm im Wald etwas ein – eine Lösung ihrer Probleme.

*

Es war zwei Monate später.

Philip stand vor seiner Hütte und wartete auf Hermia. Es war noch eine gute Zeit bis zu dem verabredeten Zeitpunkt, doch er hielt es in den dunklen, kleinen Räumen nicht mehr aus. Hasso sprang immer wieder aufmunternd an ihm hoch: wollte sein Herrchen wirklich nicht Gassi gehen, sondern nur hier herumstehen? Das war doch sonst nicht seine Art! Doch Philip klopfte ihn nur geistesabwesend und starrte den Waldweg hinunter.

Und dann, eine halbe Stunde zu früh, kam Hermia.

Sie sprang aus dem Wagen und rannte geradewegs in seine Arme – so, als hätten sie sich erst gestern das letzte Mal gesehen.

»Philip, oh, Philip, was soll nur werden?« schluchzte sie und lachte unter Tränen zu ihm auf.

Er gab keine Antwort, preßte sie nur so fest an sich, daß es ihr weh tat.

»Du erdrückst mich!« flüsterte sie und lachte glücklich, während die Tränen noch immer über ihre Wangen liefen.

»Komm!« Er zog sie in die Hütte.

Mit einem resignierenden tiefen Seufzer legte sich Hasso auf die Schwelle der Haustür. Es wurde wohl nichts aus seinem Gassi!

Am liebsten hätte Philip Hermia gleich in seine Schlafkammer geführt, doch er hielt sich zurück.

Und Hermia, der es nicht anders ging, glaubte auch, daß sie ihrer jahrelangen Sehnsucht nicht nachgeben dürfe. Nicht gleich! Nicht bevor sie eine Lösung gefunden hatten.

So saßen sie sich an dem schweren Holztisch in der Küche gegenüber und hielten sich an den Händen. Es war alles so vertraut, schmerzhaft vertraut.

»Und?« fragte Philip schließlich.

»Die Kinder«, flüsterte Hermia und schon wieder hatte sie Tränen in den Augen. Dieses Mal Tränen des Kummers.

Dann riß sie sich zusammen und holte aus ihrer Tasche ein Kuvert mit Fotos.

»Das sind sie«, sagte sie zärtlich. »Kajetan, er ist drei, Delia, sie ist zwei, und das hier ist Sebastian, von dem man noch nicht viel sieht.« Sie lächelte, als sie das Bild anschaute, das ihren Jüngsten am Tag seiner Taufe zeigte: auf einem Spitzenkissen unter einem langen Spitzenschleier, ein noch verknautschtes kleines Gesicht, mit fest zugepreßten Augen, die winzigen Fäuste geballt.

»Das Mädchen sieht dir gleich«, sagte Philip, der die Fotos lange ansah.

»Und Kajetan ist ganz der Papa, nur meine Augenfarbe scheint er geerbt zu haben.« Wieder lächelte Hermia zärtlich, als sie das Foto ihres Ältesten ansah.

Philip beobachtete sie genau.

»Und – der Kleine?«

Sie lachte unwillkürlich.

»Da kann man noch nicht viel sagen – vielleicht wird er eine Mischung aus uns beiden! Aus Benedikt und mir!« Sie erschrak, als sie sah, wie sein Gesicht bei diesen Worten erstarrte. »Philip, bitte, glaube mir: es war nie wie bei uns! Es war wirklich nur –«

»Das ist sehr schwer vorzustellen!« erwiderte er bitter.

»Es ist auch sehr schwer, nach diesen Gesetzen zu leben«, gab sie zur Antwort.

»Und jetzt?«

»Ich kann nicht mehr so weiter machen – aber ich kann auch nicht die Kinder verlassen! Sie brauchen mich.«

Er nickte stumm. Dann sprang er plötzlich auf, nahm sie auf die Arme und trug sie in seine Schlafkammer.

Es war, wie es immer gewesen war: als würde die Sonne explodieren.

*

Prinzessin Beatrice von Lindenburg ging mit leichten Schritten durch ihre Wohnung. Nur wenn man sie ganz genau beobachtete, merkte man, daß ihr ein kleines Hinken geblieben war. Kaum merklich, wenn man es nicht wußte.

Hermia hatte sie kürzlich besucht mit den beiden älteren Kindern. Es waren entzückende Kinder, lebhaft, lieb und zutraulich.

»Ich kann sie doch nicht verlassen!« hatte Hermia zu ihr gesagt. »Aber so weitergehen kann es auch nicht! Weißt denn du keinen Ausweg?«

»Ich?« Beatrice erinnerte sich noch an jedes Wort, das sie beide gesprochen hatten. »Wie soll ich etwas wissen! Ich weiß selber nicht, wie meine Zukunft aussehen soll!«

»Könntest du dir nicht vorstellen –«, Hermia brach ab und sah sie forschend an und sie war unter diesem forschenden Blick rot geworden.

»Was soll ich dazu sagen! Hast du mit – mit deinem Mann gesprochen?«

»Du denkst, wegen der Kinder?«

»Auch«, erwiderte Beatrice und senkte den Kopf, um sie nicht ansehen zu müssen.

»Ich weiß, daß er sich um die Kinder sorgen würde, wenn ich ihn verließe und versuchen würde, sie mitzunehmen. Das ist auch ganz unmöglich!« schloß sie sofort. »Aber – mich von ihnen zu trennen –, ach, Beatrice, das ist genauso unmöglich!«

»Liebt er dich?« fragte Beatrice leise.

»Wir – mögen uns!« erwiderte Hermia hastig.

»Woher weißt du, daß es in diesen vier Jahren nicht mehr geworden ist?«

»Weil sich auch bei mir nichts geändert hat.«

»Du bist eine Frau«, Beatrice sah sie mit einem ernsten Lächeln an.

Hermia verstand: Beatrice hatte nie aufgehört, Benedikt zu lieben.

»Du wärest bereit, ihn zu heiraten!« rief sie erlöst, als wären damit alle Probleme beseitigt.

»Wenn er mich noch liebt. Aber nicht, wenn er nur eine Mutter für seine Kinder sucht, falls du dich wirklich dazu durchringst, dich von ihm zu trennen.«

»Ich verstehe«, murmelte Hermia sorgenvoll. »Ach, ich dachte es würde ganz einfach sein, damals, als ich Benedikt heiratete, um die Erbfolge zu sichern. Ich hatte einfach keine Vorstellung, was es bedeuten würde, die Kinder zurück zu lassen, wenn ich mich später trenne, um zu Philip zu gehen.«

Beatrice erinnerte sich noch sehr gut an jedes Wort dieser Unterhaltung. Sie erinnerte sich auch daran, wie völlig verzweifelt Hermia gewesen war, als sie fragte, was Philip zu alldem sagen würde.

»Er versteht es, wenn ich die Kinder, die noch so klein sind, nicht verlassen kann«, hatte Hermia geantwortet und war ganz zusammengesunken in ihrem Sessel gesessen. Hermia, die immer so lustig, ja übermütig gewesen war! »Aber wenn ich bei Benedikt und den Kindern bleibe, dann will er weggehen. Irgendwohin ins Ausland. Er kennt auch eine Frau, die mit ihm gehen würde.« Und wieder war sie in Tränen ausgebrochen. »Oh, Beatrice, was soll ich nur tun?«

Sie hatte Hermia nach dem Gespräch versprochen, sich mit Benedikt zu treffen. Aber sie hatte noch nicht den Mut gefunden, ihn anzurufen.

*

Fürst Benedikt Kronstein stand an der Wiege seines Jüngsten und sah in das runde Babygesicht. Er hatte ihm seinen Zeigefinger hingestreckt, und der Kleine hatte ihn fest gepackt. Ein Reflex! Trotzdem rührte er an das Herz des Vaters. Sebastian sah mit großen, blauen Baby-Augen zu ihm auf, noch ohne ihn zu erkennen. Er war mit seinen knapp drei Monaten zu klein.

Wie völlig hilflos der Kleine war. Und doch voller Vertrauen und ohne Angst. Es war unmöglich, ihm die Mutter zu nehmen!

Dabei wäre es für ihn wahrscheinlich leichter als für die beiden Größeren, die so an Hermia hingen.

Hermia war eine hingebungsvolle Mutter. Vielleicht so besonders zärtlich, weil es nur für eine gewisse Zeit war.

Es war nicht zu übersehen, wie nervös sie seit der Geburt von Sebastian war, wie geistesabwesend. Manchmal war sie über den Tag fort – und auch, ohne daß sie etwas sagte oder er sie fragte, wußte er, wohin sie ging.

Der Zustand war unhaltbar. Irgendwann würde man es bemerken.

Aber Scheidung –?

Was würde dann aus den Kindern?

Beatrice konnte wieder gehen!

Immer an dieser Stelle folgte dieser Gedankensprung.

Er hatte sie längst aufsuchen wollen, fürchtete aber, die Situation, die ohnehin schon kompliziert genug war, dann noch schwieriger zu machen. Er konnte doch nicht mit jemandem wie Beatrice eine Beziehung haben, wie Hermia sie mit diesem Jäger hatte!

Oder doch?

Und dann kam ihm plötzlich ein Gedanke. Vielleicht war das die Lösung! Vorausgesetzt, Beatrice liebte ihn noch immer.

Er löste seinen Finger aus der Umklammerung des Babys, beugte sich über die Wiege und küßte den Kleinen auf die runde Kinderstirn. Dann schaute er in das Kinderzimmer, in welchem Kajetan und Delia mit einer Kinderschwester spielten.

»Papi!« schrien beide und liefen zu ihm hin. Er hob Delia hoch, und Kajetan umklammerte sein Bein. »Kajetan auch, Papi! Kajetan auch!«

Er bückte sich und nahm auch den Jungen hoch.

»Puh, was seid ihr schwer!« scherzte er.

Sie lachten und drückten ihm feuchte Küßchen auf die Wangen. Er setzte sie wieder auf den Boden.

»Wenn die Mami kommt, sagt ihr, daß ich bald wieder da bin. Ich muß nur etwas besorgen!«

Die Kinderschwester nickte. Sie würde es ausrichten. Im Nebenzimmer erhob das Baby seine Stimme.

»Sebastian schreit! Er hat Hunger!« sagte Delia altklug.

»Da muß man etwas dagegen tun«, meinte Benedikt lächelnd.

»Ihre Durchlaucht wird bestimmt gleich kommen. Sie versäumt nie die Stillzeiten!« sagte die Kinderschwester.

Fürst Benedikt nickte. Er wußte es.

Sie würden beide nie etwas tun, worunter ihre Kinder leiden mußten.

Als er aus dem Parktor fuhr, kam ihm Hermias Wagen entgegen. Sie winkten sich kurz zu.

Und plötzlich wußte er, daß sein Vorschlag richtig war.

Wenn Beatrice ihn noch liebte.

*

Johann riß erstaunt die Augen auf.

»Euer Durchlaucht!« stammelte er.

Dann wandelte sich sein Erstaunen in Schrecken –

»Euer Durchlaucht – ich weiß nicht –«

»Aber ich weiß es, Johann«, sagte Fürst Kronstein freundlich. Er streckte dem alten Mann die Hand hin. »Wie geht es Ihnen?«

»Gut, danke, Euer Durchlaucht«, erwiderte der und reichte ihm mit wachsendem Entsetzen die Hand. »Aber –«

»Ich habe gehört, daß es Prinzessin Beatrice besser geht. Sie kann wieder gehen.«

»Ja. Aber –«

»Kein ›Aber‹, Johann. Melden Sie mich an! Sie wollen doch auch, daß es unserer Prinzessin bald wieder ganz gut geht, nicht wahr?«

Beatrice saß in ihrem Salon und las, als die Türglocke anschlug. Sie kümmerte sich nicht weiter darum, das würde Johann erledigen.

Dann hörte sie Stimmen. Die von Johann und –

Das Buch glitt ihr aus der Hand.

War das –?

Sie merkte nicht, daß sie aufstand. Das Buch glitt zu Boden. Sie merkte auch nicht, daß sie langsam auf die Tür zuging.

Das war – seine Stimme.

Sie preßte die Hand auf ihr wild schlagendes Herz. Sie träumte!

Nein! Er war es wirklich!

Johann wollte ihn wegschicken. Das war richtig! Es würde sonst alles nur noch schmerzlicher sein. Sie wollte ihn nicht sehen! Es war besser, wenn sie sich nicht mehr sahen!

Da hatte sie die Tür schon geöffnet und trat auf die Diele hinaus.

»Benedikt!« sagte sie tonlos.

»Beatrice!« Seine Stimme gehorchte ihm plötzlich nicht mehr, sie war ganz heiser.

Johann sah von einem zum anderen. Dann zog er sich leise in die Küche zurück. Die Tür ließ er offen. Falls Seine Durchlaucht ihn brauchte…

Beatrice machte einen Schritt rückwärts in ihren Salon, und Benedikt folgte ihr schweigend. Er machte die Tür hinter sich zu und ergriff ihre beiden Hände. Sie waren kalt wie Eis.

Langsam hob er eine nach der anderen an seine Lippen und küßte sie.

»Du bist noch schöner geworden!« sagte er nach einer ihnen beiden endlos erscheinenden Pause.

»Ach, Benedikt«, erwiderte sie und versuchte, ihm ihre Hände zu entziehen, doch er hielt sie fest.

»Und ich liebe dich noch genauso wie früher!«

»Bitte, du darfst so etwas nicht sagen!« gab sie zur Antwort und befreite ihre Hände mit einem Ruck. Dann holte sie tief Atem, nahm die Schultern zurück und fragte in gesellschaftlichem Plauderton: »Darf ich dir etwas anbieten oder bist du in Eile?«

Er überhörte das Letzte und fragte:

»Warum darf ich das nicht sagen?«

»Weil du verheiratet bist und drei Kinder hast!«

»Hermia liebt mich nicht!«

»Ich weiß!«

»Du weißt es?« Er war sichtlich verblüfft.

»Ja. Ich weiß auch, wen sie liebt. Aber – da sind die Kinder! Du kannst ihnen nicht die Mutter nehmen. Sie sind noch so klein. Und schließlich wußtest du, daß Hermia jemand anderen liebt und nur bereit war, dir die Erbfolge zu sichern, weil sie diesen anderen – nicht heiraten kann. Sie sind – zu verschieden.«

»Ich weiß«, sagte dieses Mal Benedikt und lächelte unwillkürlich.

»Aber – was willst du dann?« rief sie verzweifelt.

»Ich will endlich mit der Frau zusammensein, die ich immer schon geliebt habe.«

Sie sah ihn unglücklich an.

»Ich bin nicht wie dieser Mann«, sagte sie leise.

Er lachte.

»Nein, wirklich nicht. Deshalb würde ich dir auch nie ein Verhältnis zumuten: ich lasse mich scheiden.« Dann verbesserte er sich: »Ich werde Hermia um die Scheidung bitten. Ich bin sicher, daß sie einwilligt.«

»Aber – eure Kinder!« rief Beatrice.

Er lächelte, nahm sie an der Hand und führte sie zu dem Sofa, auf dem sie eben noch gelesen hatte. Er hob das Buch vom Boden auf und drückte sie sanft auf das Sofa, dann setzte er sich neben sie und nahm wieder ihre beiden Hände in die seinen. Sie waren nicht mehr so eiskalt, stellte er fest und hob sie wieder an die Lippen.

»Als Hermia und ich zu heiraten beschlossen, gaben wir uns gegenseitig das Versprechen, dem anderen keine Schwierigkeiten zu machen, wenn er diese Vernunftehe beenden wollte. Wir mögen und schätzen uns, und ich bin deshalb ganz sicher, daß Hermia auf meinen Vorschlag eingehen wird.«

»Aber – man muß doch die Form wahren! Zumindest, solange die Kinder so klein sind!«

»Natürlich«, erwiderte Benedikt und lächelte. »Ich brüte seit Wochen über einer Möglichkeit, doch noch mit dir glücklich zu werden.«

Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, und für einen kurzen Moment legte sie ihre Stirn an seine Schulter.

»Ach, Benedikt«, flüsterte sie traurig und glücklich zugleich.

»Ich denke, meine Idee läßt sich gerade, weil die Kinder noch so klein sind, ganz gut verwirklichen. Und letzten Endes ist es mir egal, was die Leute reden. Und Hermia vermutlich sowieso. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß du so abhängig bist vom Gerede der lieben Mitmenschen?« Er sah sie fragend an.

Nicht, wenn es um meine Liebe geht, wollte Beatrice sagen, behielt es aber dann für sich und schüttelte nur den Kopf.

Dann entwickelte Benedikt ihr seine Vorstellung.

»Meine Güte! Was wird geredet werden!« Beatrice mußte unwillkürlich lachen.

»Es wird ein herrliches Fressen für unsere Klatschmäuler sein. Aber nach außen hin wird man den Mund halten. Dessen bin ich sicher. Schließlich habe ich eine Menge Geld!«

»Ja!« Sie sah ihn zärtlich an. »Es kann sehr nützlich sein!«

Er zog sie näher an sich.

»Darf ich dich jetzt küssen?« fragte er.

Er wartete ihre Antwort nicht ab. Er las sie in ihren Augen.

*

Hermia war damit beschäftigt, die Kinder ins Bett zu bringen. Das war etwas, was sie sich, wenn es nur irgend möglich war, nicht nehmen ließ. Sie zog sie aus, wusch sie, legte sie in ihre Bettchen, sprach ein Nachtgebet über sie und sang den beiden größeren noch ein Gute-Nacht-Lied vor. Dann ein letzter Kuß und eine nochmalige Umarmung für die beiden Großen und sie verließ auf Zehenspitzen das Zimmer, in welchem die beiden noch gemeinsam schliefen.

Den kleinen Sebastian würde sie später noch einmal stillen. Er schlief in einem anderen Zimmer, neben dem der Kinderschwester.

Sie machte eben leise die Türe zu, als ein Diener neben ihr auftauchte.

»Durchlaucht, Seine Durchlaucht ist eben zurückgekommen.«

»Ich komme!«

»Seine Durchlaucht hat Besuch mitgebracht: die Prinzessin Lindenburg.«

»Oh«, sagte Hermia. Und nach einer kleinen Pause. »Danke. Richten Sie bitte aus, daß ich gleich komme!«

Langsam und nachdenklich ging sie den breiten Flur entlang zu Ihren Privatgemächern.

Jetzt war es soweit. Benedikt würde sie um die Scheidung bitten!

Auf einmal war ihr das Herz so schwer, daß sie glaubte, es müsse ihr brechen.

Sie verstand ihn ja: ihre Treffen mit Philip – auf die Dauer konnte er es nicht hinnehmen, denn irgendwann würde man es entdecken, wohin die Fürstin Kronstein so oft fuhr.

Und jetzt, wo Beatrice wieder gehen konnte, den Aufgaben, die auf eine Dame in dieser Position zukamen, wieder gewachsen war und die Erbfolge gesichert war –

Ach, es ging ihr nicht um die Position, den Namen der Fürstin Kronstein! Nicht um all den Luxus, in welchem sie die vergangenen Jahre gelebt hatte: aber die Kinder! Wie sollte sie ohne die Kinder leben können?!

Die Scheidung verweigern?

Nein! Sie hatten sich damals das Versprechen gegeben. Und wenigstens das wollte sie ihren Kindern zurücklassen: daß ihre Eltern sich in Achtung und Freundschaft trennten. Später einmal würden sie es vielleicht verstehen.

Nein, bestimmt! Weder Benedikt noch Beatrice würden so geschmacklos sein, schlecht über sie zu reden.

Oder über Philip.

Trotzdem: sie wollte nicht darüber nachdenken, ob sie unter diesen Umständen mit Philip überhaupt glücklich sein konnte! Es war nun einmal so, wie es war, und sie war entschlossen, sich an ihr Versprechen zu halten und aus ihrem Leben mit Philip das Beste zu machen.

Sie betrat ihr Boudoir, schaute in den Spiegel, ohne sich wirklich zu sehen, fuhr sich mit dem Kamm durch ihr Haar – und fand keinen weiteren Grund mehr, ihre Begegnung mit der zukünftigen Fürstin Kronstein noch weiter hinauszuzögern.

Es gab ja eigentlich auch keinen Grund, sich vor der Begegnung mit Beatrice zu scheuen oder gar zu fürchten! Sie hatten sich doch immer geschätzt und gemocht. Nur – wenn ihre Angst vor der Trennung von ihren Kindern nicht wäre…

Als Hermia den sogenannten grünen Salon betrat – ein bezaubernd eingerichtetes Zimmer im Rokoko-Stil, das seinen Namen den Augsburger Hinterglas-Bildern verdankte, die Jagd-Szenen darstellten –, sprang Beatrice von dem zierlichen Rokoko-Sesselchen auf, auf dem sie gesessen hatte, eilte der Freundin entgegen und umarmte sie.

Dann hielt sie Hermia auf Armeslänge von sich ab und sah ihr lächelnd in die meergrünen Augen. Hermia bemühte sich, genauso herzlich und strahlend zurückzulächeln. Doch Beatrice durchschaute sie, lachte und zog sie nochmals an sich.

»Liebste Hermia! Es gibt nicht die geringste Ursache, daß du blaß und ängstlich in die Welt guckst! Benedikt hat einen Vorschlag, der uns allen erlaubt – dir, Philip, ihm und mir, glücklich und zufrieden zu leben!«

»Und – die Kinder?« fragte Hermia unsicher.

Jetzt stand auch Benedikt auf und trat zu den beiden. Er legte einen Arm um Hermias Schultern und einen um die Beatrices.

»Glaubst du wirklich, Liebes, ich könnte glücklich und zufrieden sein, wenn unsere Kinder ihre Mutter vermissen?«

Hermia schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht sprechen – und sie konnte sich auch nicht vorstellen, was Benedikt vorschlagen wollte.

»Komm, setz dich«, sagte er und führte sie zum Sofa. Er nahm neben ihr Platz, während sich Beatrice auf den Sessel setzte, der neben ihm stand. »Willst du es ihr erzählen?« fragte er seine große Liebe und zukünftige Gemahlin.

»Es war deine Idee – also sage du es ihr!« erwiderte Beatrice.

»Du erinnerst dich, Hermia, daß wir vor unserer Heirat uns gegenseitig versprachen –«

»O ja, ich erinnere mich und ich werde mein Versprechen halten!« unterbrach sie ihn rasch. »Ich möchte dich nur bitten, daß ich die Kinder –« Sie schluckte und konnte nicht weiter sprechen.

»Beatrice und ich möchten heiraten. Aber wir wissen beide, daß auch die liebevollste Stiefmutter kein Ersatz für eine Mutter sein kann. Und zudem wollen wir dir die Kinder unter keinen Umständen wegnehmen. Sie sollen bei dir wohnen und leben. Aber du wirst verstehen, daß auch ich sie um mich haben möchte: schon weil ich sie einmal in ihre Pflichten und Aufgaben einführen will – auch wenn es noch ein ziemlich langer Weg ist, bis sie dafür alt genug sind. Aber Kinder brauchen nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihren Vater. Und dies nicht erst, wenn sie zu studieren anfangen.«

»Ich verstehe nicht, wie du dir das vorstellst«, wunderte sich Hermia.

Benedikt lachte bester Laune.

»Keine Sorge, ich habe nicht an ein Vorbild wie den Grafen von Gleichen gedacht, ich denke durchaus auch an Herrn Senger und eure Gefühle. Du kennst doch das Kavaliershaus am Ende des Parks, wo er in den angrenzenden Wald übergeht. Ich möchte das für dich ganz nach deinen Wünschen richten lassen. Du kannst dort leben, mit wem du willst, wenn ich natürlich auch vermute, daß du wegen der Kinder eine gewisse Zurückhaltung wahren wirst. Zumindest, so lange sie noch zu klein sind, um unsere verwickelten Liebesbeziehungen nachempfinden zu können.«

Beatrice schmunzelte, und jetzt mußte auch Hermia lachen, und zum ersten Mal seit ihrer Vernunft-Heirat mit dem Fürsten Benedikt trat wieder dieser heitere Ausdruck in ihre Augen und ließ goldene Fünkchen darin tanzen.

»Keine Sorge: ich werde ganz bestimmt darauf achten! Aber dein Gedanke ist wirklich wunderbar! Wie stellst du dir das weiter vor?«

»Nun, ich finde, schlafen sollen sie bei dir im Kavaliershaus, auch wenn ich ihnen hier ihre Kinderzimmer bereithalte, falls du einmal über eine Nacht weg bist oder auch in Urlaub fährst. Ihren Unterricht erhalten sie tagsüber im Schloß. Bis sie alt genug sind, um auf ein Internat zu gehen, werde ich einen Hauslehrer für sie engagieren. Wärest du mit dieser Lösung einverstanden?«

»Oh, Benedikt, du bist wirklich der Beste!« rief Hermia strahlend und fiel ihm um den Hals und küßte ihn rechts und links herzlich auf die Wangen, und dann fiel sie anschließend gleich Beatrice um den Hals und küßte sie gleichfalls. »Ich freue mich so, daß du nach all dem Schweren nun doch noch glücklich wirst!«

»Ich freue mich auch!« versicherte die. »Und ich werde alles tun, um die Geschichte von der bösen Stiefmutter ad absurdum zu führen! Ich habe die drei jetzt schon so lieb, als wären sie auch ein bißchen meine Kinder!«

Hermia setzte sich jetzt auf einen der Sessel und fragte nun vorsichtig: »Und wie stellt ihr euch das mit Philip vor? Er braucht doch eine Beschäftigung! Er wird ja unausstehlich!«

»Auch daran habe ich gedacht«, erwiderte Benedikt zufrieden mit dem Erfolg seines Vorschlags. »Bei mir wird eine Stelle als Oberjäger frei. Ich werde sie ihm anbieten – samt der dazu gehörenden Wohnung. Da sein Gehalt über die offizielle Buchhaltung laufen wird, wird es sich in nichts von dem meiner anderen Forstangestellten unterscheiden.«

»Das ist ihm bestimmt auch lieber«, meinte Hermia ernsthaft. »Am liebsten wäre es ihm wahrscheinlich, wenn ihr von unserer Beziehung nichts wissen würdet.«

»Nun, nach außen hin werde ich bestimmt vorgeben, nichts zu wissen. Aber es ganz aus meinem Kopf zu streichen – ich fürchte, das wird uns nicht gelingen, was meinst du, Beatrice?« scherzte der Fürst.

»Das wird er auch nicht vermuten, wo er selbst Beatrice aufgesucht hat. Aber, wie du schon sagst: nach außen hin!«

»Nun, darin sind wir uns mit ihm bestimmt einig«, fand Benedikt. Und weil Hermia noch immer ein besorgtes Gesicht zog, erkundigte er sich: »Siehst du irgendwelche Schwierigkeiten?«

»Nun ja, mit Philip schon. Seine Situation ist zweifellos etwas schwierig.«

Das sahen Beatrice und Benedikt natürlich ein. Und auf ihr Drängen beschloß Hermia, noch heute Philip aufzusuchen.

*

Als Hermia bei der Waldhütte ankam, war Philip nicht zu Hause. Sie war nicht weiter erstaunt. Wahrscheinlich war er irgendwo im Wald auf einem Ansitz oder auch nur auf einem Kontrollgang. Sie hatte ihn telefonisch nicht erreicht, aber es war ein warmer Augustabend, und so setzte sie sich einfach auf die Bank neben der Haustür.

Sie war eingeschlafen trotz all der Aufregung, denn sie wurde plötzlich wach, als jemand sie packte, fest in den Arm nahm und stürmisch küßte. Zuerst wehrte sie sich noch schlaftrunken, dann, als sie ganz wach wurde und erkannte, wer es war, erwiderte sie lachend und leidenschaftlich seine Küsse.

»Täusche ich mich oder haben wir uns heute schon einmal gesehen?« zog er sie zärtlich auf, während er die Haustür aufsperrte.

»Ich muß etwas mit dir besprechen«, erwiderte Hermia, noch atemlos von den Küssen und klopfte Hasso zur Begrüßung. Weil der Hund es erwartete – und weil sie dann Philip nicht anzusehen brauchte.

Er warf ihr einen forschenden Blick zu. Sie kam nie, ohne sich vorher durch einen Anruf vergewissert zu haben, daß er da war und Zeit hatte.

»Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein!« sagte er mit leisem Spott.

Hermia versuchte, seinen Tonfall zu überhören, beziehungsweise, ihrer Nervosität zuzuschreiben.

»Benedikt will die Scheidung!« platzte sie heraus, noch während sie beide in der Diele standen und er das Gewehr in den dafür vorgesehenen Schrank stellte und diesen versperrte.

Er drehte sich zu ihr um.

»Aber er wußte doch Bescheid?«

»Natürlich. Aber – Beatrice Lindenburg ist wieder gesund – und die beiden haben nie aufgehört, sich zu lieben.« Er schwieg, und so fügte sie hinzu: »So wie wir beide!«

»Ja!« erwiderte er ruhiger, als ihm zumute war. »Aber bei ihnen scheint es mir doch einfacher zu sein.«

»Die Kinder sind genauso Benedikts wie meine«, erwiderte Hermia hastig, obgleich sie wohl wußte, daß er auf den Unterschied in Stand und Erziehung anspielte. Er ging auch nicht auf ihre Bemerkung ein, sondern sah sie nur abwartend an. Als sie nicht recht weiter wußte, nahm er sie an der Hand und zog sie hinter sich her in die Wohnküche.

»Erzähle!« forderte er sie freundlich auf, doch seine Haltung blieb abwartend.

»Wir haben uns damals das Versprechen gegeben, jederzeit in eine Scheidung einzuwilligen«, sagte Hermia nun ernst, und er nickte. Er erinnerte sich. »Es soll in Freundschaft und ohne Streit gehen, schon wegen der Kinder.«

»Gut so«, fand Philip.

»Benedikt schlug mir vor –« Und sie erzählte ihm ausführlich, was der Fürst sich für ihrer aller Zukunft überlegt hatte.

Philip hörte schweigend zu, ohne sie zu unterbrechen. Dann stand er auf und trat an das kleine Fenster der Küche und starrte in die Dunkelheit hinaus.

»Philip«, bat Hermia angstvoll, »du verstehst doch: ich möchte die Kinder nicht verlieren! Und – jetzt brauchen sie mich noch sehr!«

»Das ist richtig.« Seine Stimme klang hart und fremd. »Die Kinder brauchen dich. Und es würde nicht gut aussehen, wenn ihre Mutter ein Verhältnis mit einem Jäger hat. Warum willst du mich nicht heiraten?«

Sie sah ihn unglücklich an. Und er sprach weiter, da er ohnehin nicht auf eine Antwort gewartet hatte: er wußte sie ja!

»Sage dem Fürsten, ich würde mich für sein Angebot bedanken – aber ich könnte es nicht annehmen!«

»Philip!« flüsterte Hermia entsetzt. »Du kannst doch nicht wollen, daß ich meine Kinder verlasse?«

»Nein, durchlauchtigste Fürstin Kronstein, das will ich selbstverständlich nicht. Aber ich will auch nicht als der ausgehaltene Naturbursche herumlaufen. Dazu bin ich nicht mehr jung genug. Abgesehen davon, daß ich dazu wohl nie bereit gewesen wäre.«

»Aber – was soll dann werden, Philip?«

»Ganz einfach: Dein Fürst läßt sich scheiden und heiratet endlich seine große und standesgemäße Liebe. Du ziehst in das Kavaliersschlößchen, die Kinder wohnen bei dir und gehen zum Unterricht und so weiter zu ihrem Vater und ihrer Stiefmutter oder Tante oder wie immer man sie bezeichnen will…«

»Und – wir?« fragte Hermia voller Angst, er könnte so gekränkt sein, daß er entschlossen war, sie zu verlassen.

»Bei uns – bleibt alles beim Alten.«

»Du meinst –« Sie wußte nicht, sollte sie froh oder enttäuscht sein! Sie war stolz auf seine selbstbewußte und stolze Reaktion, und traurig, daß er nicht bereit war, mit ihr zusammen in dem schönen Palais zu leben.

»Ich meine, du rufst in Zukunft wieder an, bevor du mir die Ehre deines Besuches erweist, und wir treffen uns weiterhin – hier. Ich gebe meine Stellung nicht auf.«

Er hatte sich umgewandt und schaute auf sie herunter. Sein Gesicht war blaß und angespannt.

»Ich wollte dich nicht verletzen«, sagte sie leise und unglücklich.

»Das glaube ich dir«, erwiderte er ruhig. »Aber es ändert nichts daran, daß ihr alle der Ansicht seid, vor deinen Kindern unsere Beziehung geheimhalten zu müssen.«

»Bei jeder anderen Beziehung wäre es genauso!« erwiderte Hermia fest.

»Mag sein.« Er versuchte spöttisch und überlegen zu lächeln, doch es wurde nur ein verzerrtes Grinsen daraus. »Aber den Grafen oder Fürsten XY würdest du heiraten.«

Darauf konnte sie nichts sagen. Es stimmte.

Mit einem Seufzer wendete er sich wieder um und starrte erneut in die Dunkelheit.

Hermia stand auf und trat hinter ihn.

»Philip! Die Leute reden! Ich fürchte das – wegen der Kinder!«

Sie umschlang ihn mit beiden Armen und lehnte den Kopf an seine Schulter.

»Wegen der Kinder oder wegen dir?« fragte er bitter. Und lachte dann kurz auf. »Glaubst du nicht, daß sie ohnehin reden? Vielleicht wissen sie nichts Genaues – aber geredet wird. Zumindest das Personal weiß Bescheid!«

»Wirklich?« fragte sie überrascht.

Wieder lachte er auf. »Die Angestellten wissen immer alles vor der Herrschaft. Die Frage ist nur, wann sie es erzählen!«

Hermia ließ die Arme sinken.

»Wenn das so ist…«, murmelte sie nachdenklich.

Philip wendete sich ihr zu. Sah sie denn nicht, daß dem Gerede weit mehr die Spitze abgebrochen würde, wenn sie beide heirateten? Aber er würde es ihr niemals vorschlagen, wenn sie es nicht selbst merkte. Aber vielleicht – trennte sie sich auch nur schwer von ihrem klangvollen Namen. Es war immerhin ein Entschluß, aus einem prächtigen Schloß in eine Waldhütte zu ziehen. Oder auch als Frau Senger in eine Villa ihres geschiedenen Mannes.

»Es hängt nicht nur von mir ab«, sagte Hermia nach einer Pause.

»Es eilt ja nicht. Wir haben so viele Jahre so gelebt, warum nicht auch für den Rest unseres Lebens.«

Sie sah ihn mit einem hilflosen Lächeln an.

»Ach, Philip, wenn man jung ist, mag das romantisch und aufregend sein. Aber eines Tages sind wir alt, und dann wird es nur mehr mühsam und unbequem.«

Er mußte unwillkürlich lachen.

»Du hast recht! Aber da ist noch einige Zeit hin – und in der können wir uns überlegen, was wir tun!«

Wieder sah sie ihn prüfend an, und in ihren Augen blitzten die goldenen Fünkchen auf. Sie hatte eine Idee!

Und er konnte nicht anders, als sich über ihre Beharrlichkeit amüsieren.

»Na, was ist der Durchlaucht eingefallen?« spottete er.

»Könnten wir nicht – auf Probe?«

»Auf Probe? Findest du, daß wir uns noch nicht lange genug kennen?«

»Das nicht! Aber wir haben uns doch immer nur stundenweise gesehen. Ganz selten, daß ich einmal eine Nacht bei dir verbrachte.«

»Drei Mal«, erwiderte er.

Sie konnte nichts darauf sagen, sondern nickte nur.

»Und wie stellst du dir das vor?« fragte er, weil sie offensichtlich nicht recht weiter wußte.

»Du – nimmst das Angebot von Benedikt an und ziehst bei mir ein. Irgendwo wird sich schon eine Art Einliegerwohnung richten lassen in dem Kavaliershaus. Groß genug ist es. Und nach drei Jahren –«

»Nach einem Jahr!« verbesserte er sie.

»Nach zwei –«, versuchte sie zu handeln.

»Nach einem!« wiederholte er, und sein Ton verriet, daß er nicht mit sich handeln ließ.

»Gut. Nach einem Jahr sehen wir, wie wir uns auch im Alltag vertragen. Ob unsere Angewohnheiten den anderen nerven oder ob unsere Liebe groß genug ist, den anderen so zu nehmen, wie er ist. Schließlich sind wir beide keine Teenies mehr, und du mit deinen zweiundvierzig bist eigentlich ein alter Hagestolz!« versuchte sie zu scherzen.

»Stimmt!« gab Philip zu. »Aber da ist noch etwas. Ich möchte eigentlich die Stellung bei meinem Grafen nicht aufgeben. Was ist, wenn sich herausstellt, daß wir uns auf die Dauer doch nicht vertragen?«

»Du kannst doch dann auf Kronstein bleiben!« rief Hermia erschrocken. »Ganz bestimmt hätte Benedikt da nichts dagegen. Er sprach doch auch von der zu der Stellung gehörenden Dienstwohnung.«

Er sah sie wieder nachdenklich an.

»Ich würde auf keinen Fall auf Kronstein bleiben. Aber ich täusche mich wohl nicht, wenn ich annehme, daß der Fürst auch noch anderswo Waldbesitz hat. Vielleicht kann er mich dann dorthin versetzen.«

Sie sah ihn an. Es war ihm ernst mit der Probezeit von einem Jahr.

»Rufe deinen Fürsten an! Sage ihm, daß du über Nacht hier bleibst und morgen nochmals mit ihm reden wirst.«

Sie gehorchte. Es gefiel ihr, daß er seine Bedingungen stellte und sich nicht von ihr sagen ließ, und auch noch von Benedikt, was man allgemein beschließen wollte.

Der Fürst schien über ihren Anruf überrascht, sagte aber nichts weiter.

Hermia stand nach dem kurzen Gespräch fast verlegen vor Philip. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal gehemmt gefühlt hatte. Nicht einmal damals, als sie zum ersten Mal mit ihm schlief. Aber freilich – damals hatten sie beide es nur für eine rein körperliche Beziehung gehalten und nicht gewußt, daß daraus einmal eine große Liebe wachsen würde.

*

»Dein Philip gefällt mir immer besser«, sagte Benedikt am folgenden Tag, als Hermia ihm ihren und Philips Beschluß mitteilte. »Sein Stolz ist echter als bei manchem Aristokraten, wo es sehr oft bloßer und oft unbegründeter Hochmut ist.«

Hermia errötete.

»Ich kam mir beinahe schäbig vor«, gestand sie.

»Du kannst deinen Namen behalten«, meinte Benedikt lächelnd.

»Das wäre ziemlich lächerlich«, fand Hermia. »Ich kann höchstens meinen Mädchennamen wieder annehmen – wenn Philip damit einverstanden ist. Obwohl – es ist eigentlich wirklich lächerlich, so äußerlich zu sein!«

Der Fürst schmunzelte.

»Ein paar kleine Schwächen darf man sich schon zugestehen!« fand er.

*

Baronin Angela von Kern saß in ihrer hübschen Drei-Zimmer-Wohnung beim Frühstück und las in einem Boulevardblatt den neuesten Gesellschaftsklatsch.

»Nein!« rief sie entzückt. »Aber nein, das kann doch nicht sein!« Die Freude war so groß – man mußte sie mit jemandem teilen! Sie wählte die Nummer ihrer besten Freundin, der lieben Mathilde von Wollersheim. Aber da war leider belegt.

Wer eignete sich noch zur Mitfreude? Noch während sie schwankte, ob sie Tussi Hossen (Gräfin) oder Mimi Freyling (Baronin) anrufen sollte, läutete das Telefon. Zu ihrer Freude war es Mathilde!

»Ich habe gerade versucht –«, setzte Angela an.

»Mimi hat mich eben angerufen«, war die atemlose Antwort. »Weißt du es schon?«

»Was denn? Meinst du –«

»Ja, genau! Daß die entzückende Beatrice Lindenburg jetzt doch noch Fürstin Kronstein wird!«

»Ich habe es eben in einer Zeitschrift gelesen und wollte dich

anrufen«, erwiderte Angela. »Sie kann ja wieder gehen – ob sie

auch noch Kinder bekommen kann?«

»Das wird sich herausstellen!« kicherte Mathilde. »Aber für die Erbfolge ist ja gesorgt. Ob die arme Hermia sehr unglücklich ist? Es ist schon ein Abstieg, aus dem Schloß in eines der Häuschen im Park zu ziehen. Sie macht es wohl nur wegen der Kinder.«

»Du, das Häuschen im Park ist ein hinreißendes Palais, mit allem Komfort ausgestattet. Benedikt würde sich da doch nicht anschauen lassen. Außerdem wohnen die Kinder bei ihr. Schon wegen der Kinder würde er nicht kleinlich sein!«

»Davon wußte Mimi nichts«, stellte Mathilde fest.

»Ich weiß es auch nicht aus der Zeitung, sondern von Frau Hofmeister, meiner Haushaltshilfe, die zweimal die Woche kommt. Du kennst sie doch.«

Mathilde war hörbar verblüfft – wie ihr Schweigen deutlich machte.

»Die Freundin von Frau Hofmeister ist Köchin auf Schloß Kronstein!«

»Ah! Wie interessant! Erzähle!«

»Nun, was sie mir verraten hat, natürlich unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit –«

»Selbstverständlich!« erwiderte Mathilde, geradezu schockiert, daß man glaubte, sie könnte klatschen.

»Fürstin Hermia ist gar nicht so traurig. Da zieht noch jemand mit ein –«

»Nein!«

»Doch! Ein Mann.«

»Nein!«

»Einer er Jäger von Graf Arco.«

»Nein!!!«

»Doch!«

»Aber das ist doch –«

»Ja. Ich konnte es nicht glauben, als Frau Hofmeister mir das gestern anvertraute. Aber als ich heute die Nachricht von der Scheidung las, da erinnerte ich mich an –«

»An was?«

»Sie war doch schon über Dreißig, als sie heiratete.«

»Du denkst.«

»Könntest du dir das nicht vorstellen?«

Mathilde Wollersheim dachte nach. Schweigend. Dann seufzte sie tief.

»Das muß eine wirklich große Liebe sein!« sagte sie ergriffen. »Mindestens wie die von Benedikt Kronstein und Beatrice Lindenburg!«

»Ja, schon, aber so unpassend!«

»Das macht sie ja so romantisch.«

*

Es wurde viel geredet in diesem einen Probejahr. Mindestens so viel, wie über die Heirat von Fürst Kronstein und Prinzessin Lindenburg.

Es war ein Glück, fanden Benedikt, Beatrice und Hermia, daß die Kinder noch so klein waren und die Bemerkungen des Personals ebenso wenig verstanden, wie die Anspielungen verschiedener adeliger Tanten und Onkel.

Sie fanden Philip fabelhaft! Wie der die Vogelstimmen nachahmen konnte und wie er jeden Vogel an der Stimme erkannte! Und auf einem Blatt konnte er Töne hervorlocken wie eine Rehgeiß. Und außerdem konnte er so wild und lustig spielen wie niemand sonst.

Nach einem Jahr heirateten er und Hermia.

Und allen Unkenrufen zum Trotz wurde ihre Ehe nicht weniger glücklich, als die der Kronsteins.

Und wenn jemand nicht ganz so Wohlmeinender die drei Kinder fragte, wo sie lieber wären: im Kavaliershaus oder im Schloß, so erwiderten sie einträchtig:

»Überall wo Mami und Papi und Beatrice und Philip sind.«

Fürstenkrone Staffel 14 – Adelsroman

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