Читать книгу Mori Memento - K. D. Beyer - Страница 5

Kapitel zwei

Оглавление

Es war ein warmer Sommertag, als ihr Himmel sich verdunkelte.

Sara hatte mal wieder akribisch und genau alles richtig gemacht. Sie hatte sich, wie immer, größte Mühe gegeben, das Richtige richtig zu machen und dennoch stand sie eines Tages, obwohl die Sonne hell vom Himmel strahlte, vor dem schwarzen Scherbenhaufen ihrer Vergangenheit.

Wie war dieser Berg dorthin gekommen?

Direkt vor ihre Nase?

Sie hatte ihn weder bestellt, noch ausgerechnet an diesem besagten Tag mit irgendwelchen Abweichungen ihres durchgeplanten Tagesablaufs gerechnet.

Der Scherbenhaufen war so groß und mächtig, dass ihr sofort klar war, dass sie diese Trümmer heute nicht mehr beseitigen konnte.

Morgen auch nicht.

Und auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte würde ihre restliche Lebenszeit niemals zur Beseitigung ausreichen.

Dieses Mal ließen sich die schweren Brocken nicht mehr unter den Teppich kehren, in den Schrank stopfen oder im Keller stapeln.

Ihre Niederlage war nun auch für sie offensichtlich.

Andere hatten es kommen sehen, letztendlich interessierte sich jedoch niemand für sie und ihren Haufen.

Sie waren tatsächlich plötzlich alle damit beschäftigt, vor ihrer eigenen Haustüre zu kehren.

Sara hatte bereits aufgehört, in den Köpfen anderer zu existieren, während sie noch mitten unter ihnen weilte.

Und zum ersten Mal tat sie nichts, obwohl jede Menge zu tun gewesen wäre. Sie drehte sich einfach um und schlug eine völlig neue Richtung ein.

Wieso Sara von einem Tag auf den anderen ihren Job, den sie mal so sehr geliebt hatte, von heute auf morgen an den Nagel hängte, konnte sie schon längst nicht mehr in Worte fassen. Ihre Reaktion basierte auf einem schmerzhaften Gefühl … und löste eine Lawine von Abwehrhaltungen in ihr aus. Sie hatte ihre Arbeit als Psychotherapeutin jahrzehntelang mit größter Hingabe geleistet. Die Überzeugung, Gutes zu tun, zu helfen, etwas zu bewirken, hatte sie angetrieben, wie ein Perpetuum Mobile. Doch dann stellte dieser unsichtbare Motor scheinbar über Nacht seine Arbeit ein. „Das Nichts hat mich aufgefressen. Aufgefressen mit Haut und Haar und von der Sara, die ich mal war, ist nichts mehr übrig geblieben. Jetzt geht es auch bei mir nur noch um mein nacktes Überleben!“

Die folgenden zwanzig Minuten verbrachte Sara heulend und in die hinterste Ecke des senfgelben Sofas gequetscht. Die salzigen Tränen färbten das pinkfarbene Kissen dunkel. Lange, smaragdgrüne Fransen verzierten die Kanten des quadratischen Kissens. Sara streichelte abwechselnd über die Fransen und das samtige Kissen. Hin und wieder hielt sie es sich ganz nah vor das Gesicht und schluchzte hinein.

Ihr Kollege wartete geduldig und beobachtete die Zeiger der großen Uhr, die sich langsam über das Zifferblatt schoben und keine Eile zu haben schienen.

Dabei überlegte er, was er gleich noch einkaufen musste und es juckte ihn in den Fingern, diese lange Liste aufzuschreiben. Er befürchtete, dass er sich das alles nicht merken könne!

Er schloss die Augen und versuchte, sich auf seine mentale Einkaufsliste zu konzentrieren.

„Brokkoli, Klopapier, Zwiebelmett und Eis …“, wiederholte der Therapeut dabei im Takt seiner tiefen Atmung.

Nach geraumer Zeit schien Sara sich tatsächlich ein wenig zu beruhigen. Ihre Anspannung lies etwas nach und sie griff nach den Taschentüchern, die auf dem Tischchen neben der Couch bereit standen.

Sie nuschelte so leise in das Tuch, dass ihr Therapeut näher heran rutschen und sich vorbeugen musste.

„ …. Taschentücher …“, ergänzte er seine imaginäre Liste.

„Was ich früher gesagt und getan habe ist mir so fremd, wie ein unbekanntes Land, dessen Sprache ich nicht spreche und dessen Sitten und Gebräuche ich nicht kenne. Meine Welt, mein Gedankenkonstrukt, gibt es nicht mehr. Plötzlich sehe ich alles mit ganz anderen Augen, obwohl sich nichts und niemand verändert hat. Wie lange ist das nun her? Keine Ahnung – Rechnen war noch nie meine Stärke ...“

Sie hing ihren Gedanken nach.

„Meine Passion sind die verschlungenen und geheimen Pfade im Innern des Menschen. Gedanken, Gefühle … das Zwischenmenschliche ... Funken, die sprühen und Unruhe und Verzweiflung aber auch Liebe, Hoffnung und Zuversicht ... und die einen in den Wahnsinn treiben.“

Während sich Dr. Mohn überlegte, wie viele Windeln er für seinen Vater einkaufen musste, war Sara wieder in sich versunken. Ihre Gedanken überschlugen sich: „Was wird nun aus meinen Patienten? Sie brauchen doch Hilfe …!“

„Kannst du meine Patienten übernehmen?“

„Sara, wie soll ich das denn auch noch schaffen. Außerdem habe ich jetzt dich am Hals – so ein schwieriger Patient ist mir noch nie untergekommen!“

Saras Finger krallten sich in das Kissen und mit einem entrüsteten:

„Du Esel!“ schleuderte sie Dr. Mohn das Kissen ins Gesicht.

Geschickt fing er es auf, doch dabei stieß er mit seinem rechten Knie an das kleine Tischchen und sein leerer Kaffee-Becher aus feinstem chinesischen Porzellan verpasste nur knapp den flauschigen Orient-Teppich und fiel auf den harten Steinfußboden und zersprang in tausend Teile.

„… neue Tasse …“ pragmatisch ergänzte Dr. Mohn seine Auftragsliste.

„Oh! Das tut mir leid! Hast du etwas zum Fegen? Ich räume auf … meine Haftpflicht …!“

„Sara! Wir sollten deine restlichen fünf Minuten nicht mit einer unwichtigen Tasse verplempern! Was genau erwartest du von mir?“

In der nächsten Woche kam Sara wieder pünktlich zu ihrem Termin. Panisch sah sie sich in diesem fensterlosen Warteraum um. An den Wänden hängen Vorhänge, die irgendetwas verdecken sollten. Sie hatte nie danach gefragt, weil es unwichtig war. Doch plötzlich war diese Frage groß und mächtig. Wahrscheinlich verbarg der Idiot, der vorgab, ihr helfen zu wollen dahinter alte, hässliche Regale mit eingestaubten, verschimmelten Büchern.

Der Gedanke daran ließ sie schaudern.

Der hatte doch keine Ahnung, lebte in einer heilen Welt!

Ihre Gedanken wurden immer grimmiger.

„Nun sitze ich hier und glaube tatsächlich, dass ausgerechnet diese Person, die dort, genau hinter dieser Türe auf mich lauert, mich vor meinen Alpträumen und vor mir selbst retten kann!“

Sara stand auf und rannte aufgeregt hin und her wie ein Tiger im Käfig. Sie atmete heftig und die Gedanken überschlugen sich.

„Das glaube ich einfach nicht – und trotzdem bin ich hier, weil ich keine andere Möglichkeit mehr sehe. Ich kann entweder von der Brücke springen, oder mich weiter mit meiner engstirnigen Gedankenwelt auseinander zu setzen.“

Sara überlegte. Sie kannte genug Brücken und Möglichkeiten, in den sicheren Tod zu springen.

„Für jemand, der so lösungsorientiert unterwegs ist, wie ich, wäre der kühne Sprung und das Fallenlassen bestimmt besser, als diese ätzenden Sitzungen.“

Sara setzte sich wieder hin. Es gäbe noch eine weitere Möglichkeit ...

Energisch sprang sie auf, riss die Türe zum Allerheiligsten auf und kreischte: „Leck mich am Arsch …!“

Mit einem gewissen Vergnügen beobachtete sie das tränenüberströmte Gesicht der verdutzten Patientin, die gerade Erschütterndes durchgemacht haben musste.

Dr. Mohn fand nach diesem Vorfall Mittel und Wege, um die stationäre Aufnahme in einer renommierten Klinik zu beschleunigen.

Und Sara fügte sich kleinlaut.

Sie schämte sich für ihr Verhalten.

Wie unsensibel und hemmungslos sie plötzlich geworden war!

Sie erkannte sich selbst, die besonnene und ruhige Sara, nicht wieder.

Die ersten Tage in der Klinik waren eine Katastrophe.

Sara wollte mindestens dreimal täglich wieder abreisen und die Therapie abbrechen.

Sie war das erste Mal selbst Patient und sah sich selbst immer noch als Therapeutin.

Wie blöd die hier alle waren!

Die hatten ja keine Ahnung!

Sie war die Einzige, die Bescheid wusste!

Es dauerte lange, bis sie endlich einsah, dass sie den Profis vertrauen sollte, bevor sie noch völlig den Verstand verlor.

Mori Memento

Подняться наверх