Читать книгу Fast egal - Kadhira del Torro - Страница 4

2. Kapitel

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Samantha verbrachte die nächsten drei Tage weitgehend am Strand. Sie brauchte jetzt Ruhe und den Abstand von ihrer Familie, um über alles nachzudenken. Stundenlang hockte sie im Sand und sah auf die plätschernden Wellen, beobachtete die Schiffe, die am Horizont auftauchten und wieder verschwanden, und kehrte erst nach Hause zurück, als die Dämmerung einsetzte. Jedes Mal schlich sie sich förmlich ins Haus, ging sofort auf ihr Zimmer und überhörte regelmäßig das zaghafte Klopfen an ihrer Tür. Wenn sie Hunger hatte ging sie in die Küche, holte sich ein paar Sandwichs und eine Kanne Tee und nahm sie mit auf ihr Zimmer. Nachts lag sie meistens wach, starrte in die Dunkelheit und dachte über Brendon Richmond, die Firma, ihren Vater und besonders über die Herausforderung nach. Obwohl sie gerade das eigentlich nicht wollte.

In der Nacht zum Mittwoch hielt sie es dann einfach nicht mehr aus. Als es ruhig im Haus war und sie sicher sein konnte, dass alle schliefen, schlüpfte sie in ihren Jogginganzug und lief barfuß die Treppe runter. Sie betrat das Arbeitszimmer ihres Vaters, hatte Herzklopfen wie damals, als sie ihren ersten Arbeitstag hatte. Sie schloss die Vorhänge und ging zum Schreibtisch. Dort nahm sie ein Tuch aus ihrer Hosentasche und stülpte es über die Lampe, schaltete sie erst dann ein. Dann setzte sie sich in den großen, bequemen Sessel, öffnete eine Schublade nach der anderen und runzelte die Stirn. Keine Unterlagen. Sie sah sich im Arbeitszimmer um und entdeckte den Aktenkoffer ihres Vaters neben der Couch. Sie ging hin, legte ihn vor sich auf den Boden und öffnete ihn. Er enthielt einen dicken Stapel Mappen, die fein säuberlich von Gummibändern zusammengehalten wurden. Mit zitternden Fingern zog sie eines der Gummibänder ab und öffnete den Aktendeckel. Dann begann sie zu lesen. Und mit jedem einzelnen Wort, jeder Seite und jedem Hefter, den sie las, wurde ihr bestätigt, dass Brendon seine Drohung wahrmachte. Der Firma ihres Vaters ging es jetzt bereits so schlecht, dass er ernsthaft einen Konkurs in Erwägung ziehen musste. Und das schon bald, denn die finanzielle Belastung war nicht mehr zu verkraften und würde selbst das Privatvermögen der Familie auffressen. Wenn er in den nächsten drei bis vier Tagen keinen größenwahnsinnigen Käufer fand, der einen viel zu hohen Preis zahlte, stand er vor dem Ruin. Der Einzige, der diesen Wahnsinn noch stoppen konnte, war Brendon Richmond. Und der würde einen Teufel tun und ihrem Vater helfen. Sam nahm sich noch einmal die letzten Verträge und Briefe von Brendon vor und las sie sorgfältig durch. Als sie sich alles eingeprägt hatte, manchmal sogar den genauen Wortlaut, packte sie alles wieder ordentlich zusammen, legte die Unterlagen in den Aktenkoffer zurück und verschloss ihn. Dann knipste sie die Lampe aus, entfernte das Tuch und zog die Vorhänge beiseite. Sie schlich aus dem Zimmer und die Treppe hoch, als wäre sie ein Dieb. Und genauso fühlte sie sich im Grunde genommen auch. In ihrem Zimmer holte sie einen Schreibblock und einen Kugelschreiber aus ihrem Nachtschrank und schrieb alles auf, was sie sich hatte merken können, unterstrich einige Absätze, versah sie mit den aktuellen Daten und verglich die Aufzeichnungen mit dem, was sie über die Firma ihres Vaters wusste. Im Morgengrauen hatte sie eine ungefähre Vorstellung von der Katastrophe, in der sie alle steckten. Nicolas Forsyths Geld und Firma reichten schon lange nicht mehr aus, um den Ruin noch aufhalten zu können. Sie brauchte Forsyth also nicht mehr heiraten, weil es sowieso keinen Sinn mehr hatte. Ob er von der Brücke sprang oder nicht. Es gab Wichtigeres, über das sie nachdenken musste. Das war die gute Nachricht. Die schlechte war, dass sie zu Richmonds Marionette degradiert wurde, falls sie seine Bedingungen erfüllte. Grausamer Gedanke.

Sam verschloss die Unterlagen in ihrem Nachtschrank, legte sich ins Bett und schlief exakt eine Stunde. Dann stand sie auf, duschte ausgiebig und schlüpfte in ein bordeauxfarbenes Kostüm, eine weiße Bluse und schwarze Pumps. Ein ebenfalls schwarzer, breiter Gürtel betonte ihre schlanke Taille. Sie bürstete ihr Haar kräftig durch, steckte es an den Seiten nach oben und legte nur wenig Make-up auf, um die Spuren ihres Schlafmangels zu überdecken. Die goldenen Ohrringe und die dazu passende Kette, die sie von ihrer Großmutter zu ihrem ersten Geschäftsabschluss geschenkt bekommen hatte, legte sie als Talisman an. Sie sollten ihr Glück bringen bei dem, was sie heute vorhatte.

Sie nahm ihre Aufzeichnungen und legte sie in ihren Aktenkoffer. Er hatte Staub angesetzt und sie wischte ihn mit einem feuchten Tuch ab, polierte sogar die goldenen Initialen auf dem weichen Leder. Unwillkürlich wurde sie an ihren letzten Arbeitstag erinnert, der an Hektik und Stress den anderen in nichts nachgestanden hatte. Sie lächelte. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass sie das nervenaufreibende Geschäftsleben einmal vermissen würde, hatte gedacht, dass sie wie ihre Schwestern ihre Erfüllung in der Familie fand. Böser Irrtum. Es gab nichts langweiligeres als Einkaufen, Partys planen und sich mit den falschen Leuten zu verloben.

Sie ließ ihren Aktenkoffer im Schlafzimmer stehen und lief die Treppe runter. Wie erwartet fand sie die Familie auf der Terrasse beim Frühstück. Sie grüßte freundlich, setzte sich auf ihren Platz und ignorierte das plötzliche Schweigen am Tisch und die überraschten Blicke. Samantha trank Orangensaft, aß einen Toast mit Butter und warf schließlich ärgerlich ihre Serviette auf den Teller. „Was ist? Ist es so interessant, mir beim frühstücken zuzusehen?”

Alle wandten sich wieder ihren Tellern und Tassen zu, aber niemand antwortete ihr. Nur Marlene sah sie weiterhin an, senkte aber ebenfalls den Blick, als Sam sie ansah.

Rosalie Martin kam mit müden Schritten auf die Terrasse und freute sich sichtlich, dass Samantha ebenfalls da war. „Guten Morgen, Sammy. Schön, dass du wieder mit uns frühstückst. Ich habe mich schon gefragt, ob du eine Abmagerungskur machst.”

„Ich habe genug Sandwichs und Tee gehabt, Grandma.”

„Du siehst trotzdem blass und übermüdet aus. Das Make-up täuscht nicht darüber hinweg.”

„Ich fühle mich wohl.”

Donald Martin ließ geräuschvoll seine Zeitung sinken. „Samantha, ich möchte dich gleich in meinem Arbeitszimmer sprechen.”

„Natürlich.”

„Nicolas wird auch bald da sein. Sagen wir in einer halben Stunde?”

„Warum nicht gleich? Wir brauchen nicht auf Nick zu warten. Oder möchtest du noch etwas Essen?”

„Nein.” Er zuckte mit den Schultern und stand auf. Samantha folgte ihm ins Arbeitszimmer, setzte sich auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch und wartete, bis er die Papiere aus seinem Aktenkoffer geholt und auf dem Schreibtisch deponiert hatte.

Schwerfällig ließ er sich in seinen Sessel fallen und lehnte sich zurück. Er schob seine Brille ein Stück an der Nase runter und musterte sie über den Rand hinweg. „Es sind Probleme aufgetreten, Samantha. Erhebliche Probleme sogar.“

„Es geht um Brendon Richmond, nicht wahr, Dad?”, begann Sam, um ihrem Vater den Einstieg zu erleichtern.

Trotzdem zögerte er und schien zu überlegen, wie er sich ausdrücken sollte. „Ja. Er hat mich an der Angel. Die Firma ist pleite.”

„Nicht ganz.”

„Nicht ganz? Habt ihr auf Grandmas Party darüber gesprochen? Warst du deswegen in den letzten Tagen...?“

„Ja, haben wir und ja, deswegen brauchte ich Ruhe. Brendon hat mir die ganze Geschichte erzählt. Jedenfalls seine Version der Geschichte – und wie ich letzte Nacht festgestellt habe, war es wirklich die ganze Geschichte. Er war in den letzten Tagen sehr fleißig.“

„So kann man es auch ausdrücken.“

„Dad, es tut mir leid. Aber ich habe letzte Nacht die Unterlagen gelesen, die du im Aktenkoffer hast.“

„Es braucht dir nicht leidtun. So ersparst du mir wenigstens, dass ich dir alles beichten muss.“ Er trank von seinem Kaffee, stellte seine Tasse so vorsichtig ab, als würde die geringste Erschütterung sie zerbrechen lassen. „Und jetzt fragst du dich, was aus der Hochzeit mit Forsyth wird?“

„Nein. Sie dürfte mehr als überflüssig sein. Das Geld reicht nicht, selbst wenn wir die ganz Firma zur Verfügung hätten. Es würde uns vielleicht für den Anfang reichen, aber es geht auch anders. Und ganz ehrlich, ich würde jeden anderen Weg lieber gehen.“

„Das glaube ich dir. Forsyth ist im Gegensatz zu Richmond nicht sehr aufregend, oder?“

„Er hat auch seine Reize“, verteidigte sie ihn lahm. „Auch wenn man lange danach suchen muss.“

Ihr Vater lachte leise, nahm seine Brille ab und putzte sie ausgiebig. „Wie gefällt er dir?“

„Nick ist ein netter Kerl, aber...“

„Ich meine nicht Forsyth.“

„Oh.“ Sie wurde tatsächlich rot, fühlte sich ertappt. „Er ist... ich weiß nicht...“ Sie brach ab, sah ihn ein wenig hilflos an. „Wir haben uns über die Firma unterhalten.“

„Natürlich habt ihr das. Aber ich bin nicht blind, Kleines. Er ist auf die Party zurückgekehrt. Du nicht.“

„Ich war müde.“

„Natürlich. Auch wenn er nichts gesagt hat, bin ich mir sicher, dass sein Hauptinteresse nicht der Firma gilt.“

„Wie kommst du darauf?“

„Ich wiederhole: Ich bin nicht blind. Und was immer ihr beiden an dem Abend noch besprochen habt, es hat ihn ziemlich beschäftigt. Und wütend gemacht.“

„Wütend?“

„Ja. Dabei ist mir allerdings nicht ganz klar, ob sich seine Wut gegen dich oder gegen ihn selbst richtete. Im Großen und Ganzen wirkte er mit allem recht unzufrieden. Was mich ehrlich gesagt sehr gefreut hat.“

„Das kann ich mir gut vorstellen.“

„Aber ganz nebenbei, Samantha. Ich weiß nicht, ob es dir das Leben leichter macht. Aber Brendon Richmond ist ein sehr sympathischer Mann.“

Sammy staunte. „Das sagst ausgerechnet du?“

Er lachte. „Wenn wir geschäftlich keinen Ärger miteinander hätten, würde ich selbst darüber nachdenken, wie ich ihn dir als Ehemann schmackhaft machen könnte.“

Ihr verschlug es die Sprache. Das einzige, was ihr dazu noch einfiel, war „Verräter.“

„Kann sein. Aber im Moment brauchst du keine Angst haben, dass ich irgendetwas in der Richtung unternehme. Jetzt brauche ich dich erst noch gegen ihn.“

„Also sollte ich aufpassen, sobald sich die Wogen geglättet haben und der Alltag zurückkehrt.“

„Weißt du, was zwischen euch beiden nicht von selbst passiert, kann auch kein anderer erzwingen.“

„Wie weise.“

„Was nicht heißen soll, dass es im für mich ungünstigsten Zeitpunkt zwischen euch funkt.“

„Ich gebe zu, dass er ein sehr aufregender Mann ist. Aber im Moment reizt mich allein die Auseinandersetzung mit ihm. Ich will seinen Kopf – und ich werde ihn mir holen.“

„Trotz seiner Bedingungen?“

„Was weißt du darüber?“ Es gäbe nichts peinlicheres, als wenn Brendon ausgerechnet ihrem Vater erzählt hätte, dass er sie...

„Richmond sagte mir, dass er dir drei Bedingungen genannt hat, zu denen er bereit ist, dir Zeit für einen Überblick zu geben. Eine wäre, dass du die Verhandlungen führst. Über die anderen beiden schwieg er sich aus. Deswegen denke ich, dass sie nicht unbedingt etwas mit der Firma zu tun haben.“

Sammy schwieg dazu. Sie wollte ihren Vater nicht belügen, also senkte sie den Blick und sah auf ihre Hände.

„Wenn er nur die Firma wollte, dann hätte er sie schon lange“, fuhr er fort. „Also will er den Kampf mit dir – oder mehr. Aber das dürfte mich nichts angehen. Noch nicht. Aber um wieder aufs Geschäft zurückzukommen, Samantha. Du solltest nur einsteigen, wenn du dir sicher bist. Alles andere wäre nur ein Aufschub, der uns viel Geld kostet. Und das ist auch ein Brendon Richmond nicht wert.“

„Aber die Firma ist es wert, dass wir um sie kämpfen.“

„Ja, das ist sie.“

„Brendons Angebot für eine Neuverhandlung läuft heute Mittag aus. Entweder wir sagen zu oder die Firma war einmal.”

„Äußerst treffend, ja. Also? Vorschläge werden gerne angenommen. Ich gestehe es nur ungern, aber auch eine Neuverhandlung mit ihm würde mich nicht weiter bringen. Es ist geradezu unheimlich, so, als ob er Gedanken lesen könnte. Er kennt jeden meiner Schritte, noch bevor ich sie kenne. Einfach unglaublich. Richmond hätte uns schon lange ruinieren können. Aber jedes Mal hat er uns eine Chance gegeben. Und warum, dürfte uns beiden jetzt klar sein, oder?”

„Warum hast du mir nicht früher Bescheid gesagt?”

„Habe ich nicht schon genug von dir verlangt, als ich dich fragte, ob du Forsyth wegen seiner Firma heiraten würdest? Es war mehr als genug, weil er verlangte, dass du nicht mehr arbeitest. Und bis heute ist mir unbegreiflich, wie du dich darauf einlassen konntest.“

„Ich liebe dich, Daddy“, meinte sie leise. „Reicht das nicht?“

„Es heißt zwar, dass man bei Hochzeit nicht eine Tochter verliert, sondern einen Sohn gewinnt. Aber mal ehrlich. Nicolas wäre nie ein Sohn für mich. Da ist mir selbst jetzt Richmond tausendmal lieber.“

„Daddy!“

„Schon gut. Grandma weiß nichts von dieser ganzen Sache, aber ich glaube, sie ahnt was. Und wenn sie es rauskriegt, wird sie uns beiden den Hals umdrehen. Auf jeden Fall wird es ihr gefallen, dass du Forsyth nicht mehr heiraten willst. Das hat sie sowieso nicht verstanden. Es tut mir leid, Samantha. Betrachte dieses alberne Versprechen, das du mir gegeben hast, als hinfällig. Es war eine blöde Idee.” Er schwieg einen Moment. „Kommst du zurück?“

„Lieber jetzt als gleich.“

„Und Richmonds Bedingungen?“

„Damit werde ich fertig, kein Problem.“

„Okay. Vor der Presse erklären wir deine Rückkehr mit einem Urlaub, den du dir nach den letzten Jahren endlich mal gegönnt hast. Ich habe nachgesehen. Es war dein erster Urlaub seit über zehn Jahren. Überhaupt dein erster, solange du für mich arbeitest. Egal.“

„Die Arbeit hat mir gefehlt, Dad. Gott bewahre, aber ich war schon so verzweifelt, dass ich stricken lernen wollte,” meinte sie und schüttelte sich.

„Na dann.” Er setzte sich auf und schob ihr die Unterlagen zu. „Du solltest sie dir ansehen. Und dann können wir überlegen, wie wir Richmond begegnen.”

„Ich habe sie mir doch schon angesehen“, erinnerte sie ihn sanft. „Und ein wenig nachgedacht habe ich auch schon. Wenn du einverstanden bist, werde ich mich zuerst mit Brendon unterhalten. Bevor ich offiziell wieder meinen Platz einnehme.“

„Tu, was du willst. Aber sag mir rechtzeitig Bescheid, wenn ich zur Seite gehen soll. Ich würde nur ungern über einen der Steine stolpern, die er dir in den Weg legen wird.“

„Ist er so gemein?“

„Sagen wir, er ist nicht anders als du.“

Sam war sich nicht ganz sicher, ob das ein Kompliment war.

Sie brauchte nicht ganz eine halbe Stunde, um das riesige Bürogebäude zu finden, in dessen oberster Etage Brendon Richmond seine Fäden zog. Sie sah an der vollkommen verspiegelten Fassade hoch, zwinkerte dabei in die Sonne, die von den vielen Spiegeln reflektiert wurde, und schüttelte den Kopf. Dazu fiel ihr nur eine Beschreibung ein. Protzer.

Ihr Puls begann zu galoppieren, ihre Beine zitterten und ihre Finger fühlten sich kalt und leicht feucht an. Sie war tatsächlich nervös. Und das, obwohl sie gerade mal das Gebäude betrat, in dem Brendon sein Unwesen trieb. Was passierte erst, wenn sie ihm gleich gegenüberstand? Ohnmacht? Kollaps?

Bevor es jedoch soweit war, musste sie erst einmal an der Anmeldung in der prunkvollen, beeindruckenden Eingangshalle vorbei. Hier herrschten grauer Marmor, Glas und Stahl vor. Es sah bestimmt toll aus, wenn man eine kühle Ausstrahlung bevorzugte. Ekelhaft, wenn man warme, weiche Töne bevorzugte. Samantha schloss die Hand um den Aktenkoffer fester, trat entschlossen an die halbrunde Glaskanzel und trug ihr Anliegen vor.

„Es tut mir leid, Miss Martin, aber zur Zeit stehen bei Mister Richmond keine Termine zur Verfügung. Ich könnte aber in seinem Büro anrufen und nachfragen, wann er Zeit für Sie hat.“

Klar doch. Olympischer Gedanke. Er wird dir den Kopf abreißen, wenn er erfährt, dass ich hier war und abgewiesen wurde. „Seien Sie so nett“, antwortete sie. Ihre ganze Hoffnung lag nun bei der Fee in seinem Büro. Wenn er wirklich überzeugt war, dass sie in ihren Job zurückkehren musste, dann hatte er ihren Namen bei seiner Sekretärin hinterlassen. Mit einem entsprechenden Vermerk. Ansonsten hatte er nichts weiter von sich gegeben als heiße Luft.

„Miss Martin? Miss Carlson kommt herunter und wird Sie zu Mister Richmond begleiten. Wenn Sie bitte in der Sitzgruppe dort warten möchten?“

„Danke, ich bleibe lieber stehen“, lehnte sie ab und wandte sich den in der Halle verstreut stehenden, glänzenden Marmorsäulen zu. Wenn man von der Marmorierung mal absah, waren alle Säulen gleich hoch, hatten den gleichen Umfang und zweifellos bestanden sie auch aus dem gleichen Material. Und trotzdem hatte Sam das Gefühl, das eine der Säulen anders war. Aber wie anders, konnte sie auch nicht sagen. Sie ging um die Säule herum, sah sie sich von allen Seiten an, dann zum Vergleich eine andere. Kein Unterschied. Sie trat ein paar Schritte zurück, verglich ihre Säule mit allen anderen. Doch, da war ein Unterschied. Sie war anders. Aber wie anders?

„Miss Martin?“

Samantha drehte sich um und wandte sich der schon älteren Sekretärin zu. Sie hatte ihre blonden Haare hochgesteckt, trug ein sparsames Make-up und ein freundliches Lächeln durch die Gegend, das Sam automatisch erwiderte. Die Frau gehörte zwar zur Konkurrenz, war ihr aber trotzdem sympathisch. „Ja.“

„Bitte, folgen Sie mir. Mister Richmond hat Sie bereits erwartet.“

„Wann?“ Die Frage war raus, bevor sie es verhindern konnte.

„Er sagte mir am Montag, dass Sie kommen würden. Aber er war sich nicht ganz sicher, wann genau Sie eintreffen. Deshalb hat er mich angewiesen, Sie zu ihm zu bringen, wann immer Sie uns besuchen.“

„Dann hat er jetzt vielleicht gar keine Zeit? Ich möchte Ihren Terminplan nicht durcheinanderbringen, Miss Carlson.“

„Er ist gerade in einer Konferenz.“ Die Türen des Lifts schlossen sich und er begann seine Fahrt. Miss Carlsons Lächeln wurde eine Spur breiter, ihre Stimme bekam einen verschwörerischen Unterton und sie beugte sich etwas vor. „Aber glauben Sie mir. Er wird froh sein, wenn er da mal ein paar Minuten rauskommt.“

„Langweilt er sich etwa bei seinen Konferenzen?“

„Da ist er nicht anders als Sie.“

Sam sah sie verblüfft an.

Und das schien die Sekretärin ernsthaft zu erheitern. „Oh, Sie waren schon damals, vor Mister Richmond junior, Gesprächsthema in diesem Haus. Ich persönlich habe immer gern die neuesten Gerüchte über Sie gehört, auch wenn man nur die Hälfte glauben kann. Und bei Ihnen wird es mit der Familie Richmond auch nicht anders gewesen sein.“

Ein dezenter Gong kündigte das Ende der Fahrt an und Sams Blick zuckte kurz zur Anzeige, richtete sich dann wieder auf die Sekretärin. „Ehrlich gesagt, habe ich mich nie dafür interessiert, was über mich gesagt wird. Und Mister Richmond senior war selten Gegenstand einer Unterhaltung, an der ich teilnahm. Mich interessieren immer nur die Leute, mit denen ich unmittelbaren Kontakt habe. Um alle anderen sollen sich meine Mitarbeiter kümmern.“

Die Türen glitten auseinander und gaben den Blick auf einen langen Gang frei, von dem linkerhand einige Türen abgingen. Rechts befand sich so ziemlich in der Mitte eine riesige Anmeldung; wahrscheinlich das Reich der Sekretärinnen. Am Ende des Ganges befand sich eine imposante, in Schwarz und Gold gehaltene Tür, die alles in den Schatten stellte, was Sam bisher gesehen hatte. Noch protziger ging es ja nun wirklich nicht.

„Und Mister Richmond junior? Ist der interessant?“, unterbrach die Sekretärin Sams eingehende Musterung.

Sie hielt Miss Carlson am Arm zurück, kaum dass sie den Flur betreten hatten. „Brauchen Sie diese Informationen für den Büroklatsch oder will Mister Richmond das wissen?“

Ein breites, offenes Lächeln. „Sowohl, als auch.“

„Hat er Sie tatsächlich angewiesen, mir diese Frage zu stellen?“

„Nicht direkt. Er meinte, dass es interessant wäre, zu erfahren, was Sie von ihm denken.“

„Dann sagen Sie ihm in einer stillen Stunde, dass ich ihn für einen miesen, kleinen Gauner halte, der das Ansehen ehrenwerter Geschäftsleute in den Dreck zieht. Ich halte ihn für einen respektlosen Rüpel.“

„Okay. Und was halten Sie wirklich von ihm?“

Sam lachte. „Er ist der attraktivste, aufregendste, charmanteste und heißeste Mann, der mir in den letzten hundert Jahren begegnet ist.“

„Ja, das kommt hin. Und weil Sie so ehrlich zu mir waren, will ich Ihnen auch etwas verraten.“

„Was?“

„Als der Junior mit seinem Vater abends noch im Büro war, sagte er zu ihm, dass Sie die Frau seien, mit der er den Rest seines Lebens verbringen will.“

Sams Herz tat einen Hüpfer. Na so was. Trotzdem, es war nicht nur seine Entscheidung. Und was er wollte, wollte sie garantiert nicht. „Das kann er haben. Unsere Auseinandersetzung wird er nämlich nicht überleben.“

„Dann kann ich mich schon mal auf Überstunden einrichten?“

„Das wäre nicht verkehrt. Aber wenn es Sie tröstet, bei uns sieht es auch nicht viel anders aus.“

Miss Carlson deutete in den Gang und ging vorweg. „Er hat heute übrigens sehr schlechte Laune. Jedenfalls bisher.“

„Versprechen Sie sich von meinem Besuch nicht, dass seine Laune besser wird. Im Gegenteil.“

Die Sekretärin erkundigte sich bei ihrer Kollegin, wo sich Mister Richmond aufhielt, bekam einen Fingerzeig auf die Protzertür und bedeutete Sam einen Moment zu warten. Sie klopfte an und betrat den Raum. Kaum fünf Sekunden später öffnete sie sie etwas weiter und bat Samantha herein.

Sam hörte Brendons Stimme, bevor sie ihn sehen konnte. Anscheinend telefonierte er. Es war wohl kein angenehmes Telefonat, denn er klang wütend und wurde laut.

Samantha hielt den Griff ihres Aktenkoffers mit beiden Händen fest, weil sie nicht wusste, welche mehr zitterte. Die linke oder die rechte. Sie blieb vor dem Schreibtisch stehen und starrte auf seinen Rücken, den er in einem perfekt sitzenden Anzug versteckte.

Plötzlich drehte er sich zu ihr um und sah sie an. In seinen Augen blitzte es auf und ohne ein weiteres Wort legte er auf. „Miss Carlson? Keine Störung, oder Sie sind gefeuert.“

Die Sekretärin lächelte einfach nur und verließ den Raum.

„Schön dich zu sehen, Sammy.“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß, schien zufrieden und kam um den Schreibtisch herum. „Kaffee?“

„Tee, bitte.“

Er bestellte über die Gegensprechanlage Tee und Kaffee und wies dabei mit der Hand zu der Ledergarnitur in der anderen Ecke seines riesigen Büros. Samantha wählte den Zweisitzer, ließ sich in die überraschend bequemen Polster sinken und entspannte sich etwas.

„Du siehst nicht gut aus“, meinte Brendon leise und nahm ihr gegenüber auf der Couch Platz.

Sam meinte, so etwas wie Besorgnis in seiner Stimme zu hören. Sie schalt sich einen Narren und ermahnte sich, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aber das war leichter gesagt, als getan. Darüber nachzudenken, was wäre wenn, war eine Sache. Es war eine ganz andere, wenn er ihr persönlich gegenüber saß und sie so ansah. Sie räusperte sich. „Wie würde es dir gehen, wenn deine Firma pleite ist und dir die Hände gebunden sind?“

„Ziemlich mies.“

Samantha schwieg, bis Miss Carlson das Tablett abgestellt und den Raum wieder verlassen hatte. „Du hast ganze Arbeit geleistet, was die Firma meines Vaters angeht.“

„Hast du etwas anderes erwartet?“

„Ich habe gehofft, dass du meine Entscheidung respektierst.“

„Das hätte ich. Aber es war eben nicht deine Entscheidung. Ob sie nun von deinem Vater oder von Forsyth getroffen wurde, ist mir völlig egal. Du selbst hättest nie aufgehört zu arbeiten.“

„Das kannst du natürlich beurteilen.“

„Besser, als du denkst.“

„Woher weißt du, was ich denke? Kannst du Gedanken lesen?“ Eine Befürchtung, die ja schon ihr Vater hatte.

„Das brauche ich gar nicht. Ich habe mich gründlich über dich informiert und mit einigen Leuten gesprochen, mit denen du gearbeitet hast. Ich habe also ein sehr genaues Bild von dir. Das einzige, was mir noch fehlte, warst du. Ich hatte bis zum Geburtstag deiner Großmutter absolut keine Ahnung, wie du aussiehst. Gehört habe ich davon schon“, schmunzelte er. „Aber in dieser Hinsicht sind die Ansichten ja sehr verschieden.“

„Und? Warst du sehr enttäuscht, als du mich endlich geortet hattest?“

Aus dem Schmunzeln wurde ein amüsiertes Lachen. „Wonach sah es denn aus?“

„Du warst angenehm überrascht. Jedenfalls, was mein Äußeres angeht.“

„Stimmt. Es dürfte nur wenig Leute geben, die dich im Bikini gesehen haben.“

„Und noch viel weniger, die ich anschließend mit nasser Hose stehen gelassen habe“, konterte sie.

„Wohl kaum. Davon dürfte es so einige geben. Auch wenn es bei denen nicht ganz so offensichtlich war.“

Sam spürte die Hitze, die mit Schallgeschwindigkeit in ihre Wangen zog. „Möglich.“

„Kann es sein, dass dir dieses Thema nicht liegt?“

„Kann es sein, dass das völlig unerheblich ist?“, meinte sie schärfer, als es nötig gewesen wäre.

„Verschieben wir das auf später.“ Er trank einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse mit einem leisen Klirren zurück und sah sie zufrieden an. „Bedeutet dieses Treffen, dass Punkt eins meiner Bedingungen erfüllt ist? Oder bist du privat hier?“

„Privat. Ich hoffe, dass du diesen Besuch deswegen nicht als Zeitverschwendung ansiehst.“

„Im Gegenteil. Ich freue mich, dass du hier bist. Und wir haben soviel Zeit, wie wir wollen, um deiner nächsten Frage zuvor zu kommen.“

„Danke.“

„Was also kann ich für dich tun? Du bist doch nicht nur zum Tee reingekommen, weil du zufällig in der Nähe warst.“

„Ich habe nur ein einziges Anliegen. Lass die Firma meines Vaters in Ruhe.“

„Aber natürlich.“

Sams Augenbrauen schossen hoch. Ihr Staunen war echt. „Wirklich?“

„Ich lasse deinen Vater sofort in Ruhe und gebe ihm sogar noch einen kleinen Schubs, sobald du wieder arbeitest, die Hochzeit mit Forsyth abgeblasen ist und...“ Er schwieg. Dafür stand er auf, kam um den Tisch herum und setzte sich zu ihr. Er legte ihr die Hand unter das Kinn und drehte ihren Kopf so, dass sie ihn ansehen musste. „Und ganz besonders, wenn du zu mir kommst.“ Seine Stimme klang dabei so sanft und verführerisch, dass Samantha ganz anders wurde.

„Ich werde nie zu dir kommen“, flüsterte sie, unfähig, ihren Kopf einfach wegzudrehen und ihre Gehirnzellen wieder an ihren Platz zu scheuchen. „Warum suchst du dir nicht einfach ein anderes Spielzeug?“

Er lachte und sah sie beinahe liebevoll an. „Die Firma aufzugeben, hieße dich aufzugeben. Und du weißt, dass ich das nicht kann. Bist du nicht wenigstens ein klein bisschen bereit, meine Bedingungen zu erfüllen?“

„Nein.“

„Nicht mal die letzte?“

„Nein!“

„Dann weiß ich nicht, was ich noch für dich tun kann“, seufzte er und lehnte sich zurück. Dafür legte er den Arm hinter ihrem Kopf auf die Rückenlehne.

Samantha brauchte nicht lange zu überlegen. Es wurde Zeit, ihn einen kleinen Blick in ihre Karten werfen zu lassen. „Ich könnte es im Laufe des Tages arrangieren, wieder in der Firma zu arbeiten. Damit hätte ich Punkt eins deiner Bedingungen erfüllt.“

„Nur, wenn du auch die Verhandlungen führst.“

„Was hast du denn gedacht?“ tat sie erstaunt.

„Ich sagte schon, dass ich mich sehr genau über dich informiert habe, Sammy. Bevor ich mich versehe, präsentierst du mir einen Vertrag als Buchhalterin oder Schreibkraft.“

„Putzfrau“, korrigierte sie und lachte. „Nicht schlecht. Okay, sieh Punkt eins als erledigt an.“

„Das tue ich schon die ganze Zeit. Oder hast du wirklich gedacht, dass ich dir deinen privaten Besuch geglaubt habe?“

„Was ist daran so unwahrscheinlich?“

„Um mich einfach nur so besuchen zu kommen, müsste dir etwas an mir liegen. Du müsstest mich zumindest sympathisch finden.“

„Müsste ich das?“

„Hast du eine andere Erklärung?“

„Vielleicht habe ich ganz geschickt Wanzen in deinem Büro verteilt oder einfach nur gehofft, dass ich wichtige Unterlagen einsehen kann, während du zur Toilette gehst.“

„Ich würde dich nie in diesem Büro allein lassen. Selbst wenn meine Blase platzt.“

„Dein Vertrauen ehrt mich.“

„Oh, nicht, weil ich an Wanzen oder Wirtschaftsspionage denke, sondern weil du den Moment zur Flucht nutzen würdest.“

„Sehe ich aus, als ob ich vor dir flüchten wollte?“

„Ja, sogar in diesem Moment.“

Es war ihr zwar reichlich unangenehm, aber so richtig sicher fühlte sie sich wirklich nicht, so nah, wie er bei ihr saß. „Blödsinn“, meinte sie nur und rückte etwas von ihm ab. Aber soviel Platz hatte sie auch nicht mehr, dass es wirklich was gebracht hätte.

„Und was machen wir jetzt?“, meinte er und schenkte ihrer Aktion nur ein amüsiertes Grinsen.

„Ich werde dir einen Platz in der Hölle reservieren. Und du solltest schon mal deine Koffer packen.“

„Soll das heißen, dass du die anderen Bedingungen wirklich nicht erfüllen willst?“

Warum klang das bei ihm so, als glaubte er nicht daran? „In genau vier Wochen werde ich Nicolas Forsyth heiraten“, meinte sie und hielt seinem Blick stand. „Und ich werde nicht mit dir ins Bett gehen.“

„Warum nicht?“

„Weil ich es nicht will.“

„Du bist eine schlechte Lügnerin“, meinte er und sah sie liebevoll an. „Warum willst du dich auf ein Kräftemessen einlassen, wenn es doch ganz einfach sein könnte?“

„Das einzig einfache daran wäre es für dich, mich ins Bett zu kriegen.“

„Ist doch nicht schlecht für den Anfang.“

„Kommt drauf an, von welcher Seite man es sieht.“

„Wenn du deine und meine Seite meinst, dann ist es egal. Es wird dir nämlich gefallen. Versprochen.“

„Ich gebe nichts auf deine Versprechen.“

„Dann stell mich doch auf die Probe.“

Sieg nach Punkten. Für ihn. „Das werde ich nicht tun.“

„Du weißt gar nicht, was dir entgeht.“

„Ich will es auch gar nicht wissen.“

„Doch, willst du. Aber du traust dich nicht.“

„Was ich mich traue und was nicht, wirst du bald merken.“

„Eine zweifelhafte Freude. Mir wäre es lieber, wir könnten uns einigen.“

„Willst du jetzt etwa einen Rückzieher machen?“

„Aber nicht doch. Ich dachte eher daran, dass es dir erspart bliebe, eine Niederlage einstecken zu müssen. Es täte mir wirklich leid“, fügte er hinzu. Aber entgegen seinen Worten schwang in seiner Stimme kein bisschen Bedauern mit. „Eure Firma wird gut in meine Sammlung passen.“

„Dann hast du zwar die Firma, aber mich hast du immer noch nicht.“

„Du arbeitest dann für mich.“

„Wer oder was sollte mich daran hindern, sofort zu kündigen?“

„Wie kann ich dich überreden, für mich zu arbeiten?“

„Spring von der Brücke und ich nehme deinen Platz ein.“

Er lachte laut auf. „Ich habe dir zwar Unterstützung zugesagt, meine Liebe. Aber so einfach mache ich es dir auch wieder nicht.“

„Ich will deine Hilfe nicht.“

„Du wirst sie brauchen.“

„Das kann auch nur ein Mann behaupten, dessen Ego eine eigene Adresse in einem anderen Bundsstaat hat.“

„Ach, du weißt von meiner Zweitwohnung?“

„Ich weiß mehr über dich, als dir lieb ist.“

„Zum Beispiel?“

„Das du es nicht leiden kannst, etwas nicht zu bekommen, was du unbedingt haben willst.“

„So wie dich?“

„Ja.“

„Was macht dich so sicher, dass ich dich nicht bekommen werde?“

„Die Tatsache, dass ich daran beteiligt bin. Und Mitspracherecht habe.

„Du machst es mir wirklich nicht leicht, weißt du das?“

„Ja. Und das ist noch meine liebenswürdige Seite.“

„Siehst du? Ich sagte doch, dass du eine leidenschaftliche Frau bist.“

„Meine Leidenschaft gilt einzig und allein dem Vorhaben, dich in die Wüste zu schicken.“

„Dann bleibt ja nichts mehr für Forsyth übrig.“

Sie konnte ihm nicht ganz folgen. „Was hat der damit zu tun?“

„Warum willst du einen Kerl heiraten, der nicht mal bei vollem Flutlicht den Rasen erkennt, auf dem er steht?“

„Weil ich ihn liebe?“

„Das glaube ich dir nicht.“

„Aber du würdest mir glauben, wenn ich behaupte, dass ich dich liebe?“

Jetzt grinste er breit. „Auf der Stelle, Darling.“

„Das sieht dir ähnlich, Casanova. Aber keine Angst, du wirst es nie von mir zu hören bekommen.“ Eher beiße ich mir die Zunge ab. Und trotzdem freute sie sich über seine Antwort.

„Hast du eigentlich schon einen ungefähren Überblick über die momentane Situation eurer Firma?“

„Ich habe sogar schon einen sehr genauen Überblick.“

„Dann weißt du ja auch, dass Forsyth euch absolut nichts mehr nützt. Er hat nicht genug Geld, und die gesamte Firma reicht auch nicht mehr, um euch vor dem Ruin zu retten. Du hast zu lange gewartet.“

„Es geht bei der Hochzeit nicht mehr um die Firma oder um Nicks Geld, Brendon“, log sie. „Egal, ob wir unsere Firma retten können, oder nicht. Die Hochzeit findet statt.“

„Wir haben noch vier Wochen, bis du verheiratet bist. Und selbst das steht noch nicht fest.“ Er nahm ihre Hand in seine und hielt sie um so fester, je mehr sie sich bemühte, sie zurückzuziehen. „Sieh hin“, meinte er und drehte ihre Hand so, dass sie ihre Finger sehen konnte. „Du trägst immer noch keinen Ring, meine Liebe.“

„Na und? Die Verlobung findet erst eine Woche vor der Hochzeit statt. Sie ist sowieso nur formell, um allen mitzuteilen, dass wir die Absicht haben zu heiraten“, verteidigte sie sich.

„Du machst mich noch wahnsinnig, Sammy“, seufzte er.

„Schaffe ich es, bevor unsere Firma komplett ruiniert ist? Dann kann ich dich sofort entmündigen lassen und habe ein Problem weniger“, meinte sie ungerührt.

„Keine Chance, Süße. Jetzt, wo du wieder da bist, kann ich es kaum erwarten, dich in Aktion zu sehen.“

„Das beruht nicht gerade auf Gegenseitigkeit.“

„Warum nicht? Freust du dich nicht, wieder zu arbeiten?“

„Doch. Nur nicht unter diesen Voraussetzungen. So ein Einstieg ist nicht das, was man sich wünscht.“

„Du meinst, weil du eindeutig im Nachteil bist? Mag sein, ja. Es erfordert tatsächlich eine ganze Menge Geschick von dir, die Firma wieder auf eine stabile Basis zu bringen.“

„Geschick? Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Der Begriff Zauberlehrling passt da schon viel besser. Du weißt genau, dass die Firma so gut wie verloren ist.“

„Natürlich.“ Er schwieg, fuhr mit seinen Fingern über ihren Handrücken und folgte ihnen mit seinem Blick. „Ich könnte binnen vierundzwanzig Stunden dafür sorgen, dass euer Geschäft wieder läuft. Dann hast du eine Basis und der größte Druck ist weg.“

„Und was verlangst du dafür?“ Sie sah ihn offen an. Natürlich ahnte sie die Antwort bereits. Aber sie wollte es von ihm hören.

„Du weißt, was ich will. Deine Zusage würde mir vollkommen reichen.“

„Das kann ich nicht tun.“

„Warum nicht? Du willst es doch auch. Himmel, ist es dein Stolz? Weil es eine meiner Bedingungen ist? Gut, vergiss es ganz einfach. Lassen wir das geschäftliche beiseite und...“

„Es ist zu spät, um irgend etwas zu vergessen“, unterbrach sie ihn. Sie war längst nicht so wütend, wie sie sein sollte. „Mein Vater hat mir erzählt, dass du bereits zweimal die Gelegenheit hattest, uns aus dem Geschäft zu drängen. Und beide male hast du es nicht getan. Du spielst mit unserer Firma wie mit einem Jo-Jo. Macht dir das Spaß?“

„Ich wollte damit deinem Vater meine Macht demonstrieren und ihn so zwingen, dich wieder in die Firma zu holen. Aber er hat es nicht getan. Also musste ich es selbst tun. Ich will dich am Tisch haben, Sammy. Ein einziges mal. Deswegen die Bedingungen und deswegen existiert die Firma überhaupt noch. Bist du jetzt enttäuscht?“

„Nicht im geringsten“, erwiderte sie leise. „Ich danke dir, dass du uns diese Chance gegeben hast und werde mich entsprechend revanchieren. Auf meine Art und zu einem Zeitpunkt, den ich allein bestimme. Ein anderer hätte uns jedenfalls keine zweite und dritte Chance gelassen.“

„Ein anderer wäre nie so weit gekommen. Dein Vater ist verdammt geschickt. Aber er ist noch längst nicht so gerissen wie du. Dein Ruf ist wirklich beeindruckend, dass muss ich zugeben. Allein deine Rückkehr ist die Sache schon wert gewesen.“

„Du kannst nicht gewinnen, Brendon. Auch wenn wir verlieren. Man wird einfach nur sagen, dass du meine Abwesenheit ausgenutzt hast und dass mein Eingreifen zu spät kam. Man wird mir keinen Vorwurf machen – und dich nicht als Sieger feiern.“

„Das will ich auch gar nicht. Ich war einfach nur fasziniert von dir, oder besser von der Person. Ich kannte dich ja gar nicht persönlich. Aber ich will einfach mal mit dir am Verhandlungstisch sitzen, um selbst zu sehen, wie gut du bist. Auch wenn ich eindeutig im Vorteil bin.“

„Manchmal kann man einen vermeintlichen Nachteil ausnutzen. Kennst du nicht den Spruch, der besagt, je weiter man unten ist, desto besser sind die Ideen?“

„Nicht besser, sondern riskanter“, korrigierte er sie. „Versprich mir etwas, Sammy.“

„Was?“

„Denk über die Hochzeit wenigstens noch einmal nach, okay?“ Er hob die Hand, als sie etwas sagen wollte. „Und hör mit dem Kampf auf, bevor du euch auch privat ruinierst. Das ist es nicht wert.“

„Ich muss mich entscheiden, was wichtiger für mich ist. Die Firma zu schützen und meinen Stolz zu verlieren, indem ich mit dir schlafe, oder die Firma zu verlieren und meinen Stolz zu behalten.“ Sie starrte einen Moment auf ihren inzwischen kalten Tee, trank ihn trotzdem und stellte die Tasse vorsichtig zurück. „Zwischen diesen beiden Möglichkeiten bleibt nicht sehr viel Platz für Überlegungen, oder?“ Sie sah ihn an, suchte in seinen Augen nach etwas, das ihre Frage beantwortete. Aber sie fand keine Antwort. Nicht mal einen Hinweis. Und plötzlich hatte sie Angst. Sie kam mit der Wucht einer Abrissbirne, traf zielgenau den Magen, wo sich alles verkrampfte und eine Kälte entstand, die durch ihre Adern zu kriechen schien. Gleichzeitig war ihr einfach nur zum Heulen zumute. Sie schloss die Augen und kämpfte die Tränen tapfer nieder.

„Woran denkst du, Sammy?“

„Was passiert, wenn ich wirklich alles verliere?“ Es war kaum mehr als ein Flüstern, das sich an dem dicken Kloß in ihrem Hals vorbei drückte.

„Wir beide werden darüber verhandeln, wie viel ich deinem Vater als Kaufpreis zahle. Wenn es soweit kommt. Aber dir bleiben immer noch meine Bedingungen. Wenn die erfüllt sind, lösen sich eure Probleme innerhalb von vierundzwanzig Stunden in Luft auf. Die erste Bedingung hast du bereits erfüllt. Auf die zweite würde ich notfalls verzichten, wenn du mir beweisen kannst, das du ihn wirklich liebst. Aber an der dritten halte ich fest.“

„Können wir das ausdiskutieren?“

Er lachte leise. „Ich fürchte nicht.“

„Warum? Warum liegt dir so viel daran, mich nicht nur geschäftlich, sondern auch privat zu demütigen?“

Demütigen?“ Er sprang auf und ein leiser, unterschwelliger Zorn war deutlich zu hören, verriet sein Temperament. „Ich habe nicht gewusst, dass du so darüber denkst.“

„Was soll ich denn sonst davon halten?“

„Sammy, du verstehst das falsch“, meinte er und sah sie ein wenig hilflos an. „Ich möchte mit dir schlafen, weil ich dich begehre. Mein Gott, du bist eine wunderschöne Frau. Dass du auch noch die Person bist, mit der ich an den Verhandlungstisch will, ist purer Zufall. Aber für mich ein glücklicher Umstand, das gebe ich gern zu. Wenn du verlierst, werde ich dich nicht drängen, sondern warten, bis du bereit bist.“

Samantha stand ebenfalls auf, trat dicht an ihn heran und legte ihre Hände auf seine Schultern. Ein klitzekleiner Gedanke nur, gerade mal eine Idee, hatte sich zwischen zwei ihrer Gehirnzellen eingenistet und teilte Hiebe aus, wollte beachtet werden. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen sehen zu können. „Was bekomme ich eigentlich, wenn ich gewinne? Die Firma gehört uns doch schon.“

Brendon zögerte. Der plötzliche Wandel irritierte ihn ein wenig. Dann legte er seine Hände auf ihre Taille und zog sie weiter an sich, bis sie sich berührten. „Ich weiß es nicht. Was willst du außer der Firma?“ Seine Hand streichelte über ihren Rücken und Sam erschauerte.

Sie seufzte leise und lächelte. „Für jede Bedingung, die ich erfüllen muss, wirst du ebenfalls eine erfüllen müssen.“

„Welche?“ Sein Lächeln wurde breiter, wirkte amüsiert.

„Vielleicht verheirate ich dich mit Miss Carlson“, dachte Sam laut und lachte. Brendon verzog das Gesicht, als habe er einen Schlag unter die Gürtellinie bekommen. „Ja“, meinte sie und lehnte sich an ihn. „Du wirst genauso leiden müssen wie ich.“

„Und wer sagt, dass sich Miss Carlson heiraten lässt?“

„Es wird dir mit deinem Ruf als Casanova ja wohl nicht schwerfallen, sie zu überzeugen, oder?“

„Vielleicht möchte ich sie gar nicht heiraten“, wandte er ein.

„Ich möchte auch so vieles nicht und muss es trotzdem tun“, meinte Sam und schluckte schwer. Das Kribbeln in ihrem Schoß hatte zugenommen und füllte bereits ihren ganzen Unterleib. Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken so deutlich, als würde ihre Kleidung gar nicht existieren.

„Mein Ruf als Casanova scheint dich aber nicht zu beeindrucken, sonst hätten wir schon lange ...“

Samantha legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen und lächelte. „Du bist ein interessanter und aufregender Mann, Brendon. Aber wir dürfen beide nicht vergessen, dass wir offiziell keine Freunde sind.“

„Unser Privatleben ist nicht offiziell. Das ist nur der geschäftliche Teil. Und glaub mir, Sex ist Privatsache. Und da fällt mir doch glatt ein, dass du privat hier bist. Das hast du doch gesagt, oder?“ Er drängte sie Schritt für Schritt rückwärts, bis ihre Waden an die Lehne der Couch stießen.

„Was hast du vor?“

„Was glaubst du denn?“

„Ich weiß nicht, ob ich das zulassen kann“, flüsterte sie heiser.

„Dann sollten wir das schleunigst herausfinden.“ Er senkte den Kopf so langsam, dass Sam Zeit genug gehabt hätte, sich von ihm abzuwenden. Doch sie konnte – und wollte – es nicht. Sie sah ihm einfach in die funkelnden Augen, wie sie eine Spur dunkler, noch unergründlicher und geheimnisvoller leuchteten. Und dann hatte er sie erreicht, presste seine Lippen auf ihre, mit einer Leidenschaft, die ihren Verstand augenblicklich in die Flucht schlug.

Mit einem leisen Seufzen schlang sie die Arme um seinen Nacken, presste sich an ihn und erwiderte den Kuss ebenso stürmisch. Ihre Augen schlossen sich wie von selbst, gleichzeitig hob sie sich auf die Zehenspitzen, genoss das intensive Gefühl seiner Umarmung, seines Kusses und ...

Das Summen der Sprechanlage holte Samantha schlagartig in die Realität zurück. Sie schob Brendon sachte von sich und sah ihn aus großen Augen an. Ihre Lippen brannten und sie hatte das Gefühl, als seien sie angeschwollen und empfindlicher. Sie fuhr sich mit dem Finger darüber und beobachtete, wie er zum Schreibtisch ging, sie nicht aus den Augen ließ, als er eine Taste an dem kleinen Kasten drückte. „Sie sind gefeuert, Miss Carlson.“

„Ihre Mutter ist am Telefon“, klang die unbeeindruckte Stimme seiner Sekretärin aus dem Lautsprecher. Wahrscheinlich wurde sie mehrmals täglich von ihm entlassen und machte sich nichts mehr draus.

Brendon fluchte leise. „Bleib, wo du bist“, wies er sie an und nahm den Telefonhörer ab.

Samantha strich ihre Kleidung glatt, nahm ihren Aktenkoffer und winkte ihm lächelnd zu. Fast schon auf Zehenspitzen ging sie zur Tür. Aber noch bevor ihre Finger die Klinke berührten, hörte sie den Telefonhörer auf den Schreibtisch poltern und wandte sich überrascht um. Brendon war so schnell bei ihr und griff nach ihrem Arm, dass sie keine Zeit zur Flucht hatte.

„Hier geblieben, Sammy. Wir sind noch nicht fertig“, meinte er und zog sie mit sich zum Schreibtisch. Er legte einen Arm um ihre Taille und hielt sie fest, während er mit der anderen Hand den Hörer wieder aufnahm und an sein Ohr hielt. Er entschuldigte sich bei seiner Mutter und lauschte. Währenddessen küsste er sie in die Halsbeuge und knabberte an ihrem Ohrläppchen.

Sam protestierte und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Aber er hatte keine Mühe sie festzuhalten und lachte leise. Dann verabschiedete er sich, versprach einen baldigen Rückruf und legte auf. Er griff auch mit der anderen Hand nach ihr, setzte sich auf die Schreibtischkante und zog sie zwischen seine Beine.

Samantha ließ ihren Koffer einfach fallen und stützte sich an seinen Schultern ab. „Lass mich los, Brendon. Ich muss gehen.“

„Du musst, oder du willst gehen?“

„Beides.“

„Wir hatten gerade ein so schönes Thema“, meinte er und zog ihren Oberkörper weiter zu sich.

„Brendon, bitte.“

„Willst du damit sagen, dass wir jetzt wieder zum geschäftlichen Teil übergehen?“

„Genau so ist es.“

„Na schön“, brummte er und drückte ihr einen schnellen Kuss auf den Mund, bevor er sie freigab.

Samantha trat vorsichtshalber ein paar Schritte zurück und brachte sich aus der Reichweite seiner Arme. „Du bist unmöglich, weißt du das?“

„Ja.“

„Ich werde jetzt gehen und mir etwas ganz besonders Hässliches für dich ausdenken.“

„Das würdest du tun?“

„Natürlich. Ich werde dir deine Niederlage genauso schmackhaft machen, wie du mir meine gemacht hast.“

„Da bin ich aber gespannt.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und grinste breit. „Du siehst wirklich noch eine Chance zu gewinnen?“

„Selbstverständlich. Sonst wäre ich mit der weißen Fahne hergekommen und nicht mit der Kriegserklärung.“

„Und das ist uns beiden ja auch viel lieber“, bestätigte er.

„Eben. Und da ist noch etwas...“

„Ja?“

„Ich will deine Unterstützung nicht.“

„Nicht mal eine kleine Hilfestellung, was eure Finanzen angeht? So als kleinen Ausgleich?“

„Nein.“

„Du traust dir eine ganze Menge zu, Süße.“

Samantha lächelte. „Du magst eine ganze Menge über mich gehört haben, Casanova. Aber das heißt noch lange nicht, dass du jeden meiner Schritte vorhersehen kannst, so wie bei meinem Vater. Im Gegensatz zu ihm weiß ich nämlich, wie du das gemacht hast.“

„Ach ja?“

„Ja.“ Sie trat vor und strich behutsam über seine Wange. „Alles oder Nichts, Brendon. Wir wollen doch nicht, dass es langweilig wird, oder?“

„Nein.“ Er küsste die Innenfläche ihrer Hand, gab sie aber sofort wieder frei.

Samantha nahm ihren Aktenkoffer und sah ihn einen Augenblick lang an. Das Funkeln seiner Augen zeigte ehrliche Freude. Er hatte bekommen, was er wollte. Oder nicht? „Du wirst bereuen, dass du mich zurückgeholt hast“, meinte sie kühl, wandte sich abrupt von ihm ab und verließ das Büro mit schnellen Schritten.

Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Brendon ihr folgte, in der Tür stehen blieb und ihr nachsah. Gerade deswegen konnte sie sich ein kleines Lachen nicht verkneifen, blieb am Empfang stehen und wartete, bis Miss Carlson auf sie aufmerksam wurde. „Miss Carlson, sind Sie eigentlich verlobt oder verheiratet?“

„Nein, bin ich nicht“, antwortete die Sekretärin und wurde eine Spur dunkler im Gesicht.

„Vielen Dank. Auf Wiedersehen.“ Sam warf Brendon einen amüsierten Blick zu. Er lehnte am Türrahmen, die Füße gekreuzt, die Arme vor der Brust verschränkt und grinste breit.

Fast egal

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