Читать книгу 30 Jahre Deutsche Einheit – eine Bilanz - Kai-Axel Aanderud - Страница 5
ОглавлениеVorwort
Jeder dritte Deutsche im wiedervereinigten Deutschland ist zu jung, als dass er sich an die Euphorie und den Freudentaumel am 3. Oktober 1990 erinnern könnte; 25,1 Millionen Einwohner dieses Landes sind 30 Jahre oder jünger. Und bei uns Zeitzeugen haben sich drei Jahrzehnte gelebtes Leben auf die Erinnerungen gelegt, viele von ihnen sind verblasst, vergessen, verdrängt. Dabei lohnt es, die Ereignisse jener drei Jahrzehnte Revue passieren zu lassen oder sich die Bilder ins Gedächtnis zu rufen, um sich das Privileg bewusst zu machen, in einem demokratischen, friedlichen und von befreundeten Nachbarnationen umgebenen Deutschland leben zu können. Der Verlauf der jüngsten deutschen Geschichte war mitnichten vorgegeben, die Deutsche Einheit eine, aber keineswegs die einzige Option. Die große Mehrheit der Deutschen hat die Wiedervereinigung ersehnt und in demokratischen Wahlen angekreuzt, doch gab es mit dem Appell der DDR-Opposition „Für unser Land“ einen durchaus ernst zu nehmenden Gegenentwurf. Die Rahmenbedingungen für die Realisierung der Einheit in Freiheit waren 1990 einzigartig; wie Erfolg versprechend wäre es wohl heute, der Kremlführung sechs Milliarden Euro dafür anzubieten, sechs russische Armeen mit 546.000 Mann und 2,7 Millionen Tonnen Militärausrüstung aus Mecklenburg, Brandenburg und Thüringen abzuziehen?
Wer zu „Wendezeiten“ im mitteldeutschen Chemiedreieck unterwegs war, dem fehlte damals selbst in den kühnsten Träumen die Fantasie, sich einen blauen Himmel über Bitterfeld und Städte ohne den beißenden Schwefelgeruch der Braunkohleheizungen vorzustellen. Wer dagegen heute durch Görlitz, Naumburg und Wismar geht, dem fällt kaum eine treffendere Bezeichnung für sie ein als „blühende Landschaften“. Wer sie nicht sehe, sei entweder blind oder böswillig, hat der erste demokratisch gewählte und zugleich letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, einmal gesagt.
Der Stand der Deutschen Einheit stellt aller eindrucksvollen Erfolge beim Zusammenwachsen Deutschlands zum Trotz nicht alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen zufrieden; viele Menschen vor allem im Osten Deutschlands haben tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Umbrüche meistern müssen. Eine der großen Herausforderungen besteht darin, den Zuspruch zur Demokratie und zu ihren Institutionen zu stärken. Die politischen Wertüberzeugungen in den neuen und den alten Ländern seien eines der wenigen Felder, auf denen man noch ein unterschiedliches Bild finde, heißt es im aktuellen „Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit“ der Bundesregierung. Dennoch belegen jüngste Umfragen ein höheres Maß an Zufriedenheit als zu jedem anderen Zeitpunkt seit der Wiedervereinigung.
Dieses Buch möchte Meilensteine würdigen und Wissen vermitteln. Es schlägt den Bogen von der Friedlichen Revolution des Herbstes 1989 bis in die Gegenwart, beleuchtet die innenpolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ebenso wie die außenpolitischen Weichenstellungen. Dieses Buch lässt Zeitzeugen zur Gestaltung des neuen Deutschland zu Wort kommen, zur bis heute umstrittenen Arbeit der Treuhandanstalt, zur moralischen und juristischen Aufarbeitung des SED-Unrechts, zur Neuordnung des Medienmarktes, die der Autor in den Potsdamer Filmstudios und beim „Morgen“ in Ost-Berlin aktiv miterlebte und über den dort zunächst noch verwendeten Bleisatz staunte.
Dieses Buch möchte aber auch jene 21 Prozent der Westdeutschen neugierig machen, die in den vergangenen 30 Jahren noch nie im zwischen Ostsee und Erzgebirge gelegenen Teil Deutschlands gewesen sind. „Wir miteinander“, so lautet das Motto der in Potsdam stattfindenden Feiern zum Jubiläum „30 Jahre Deutsche Einheit“. Die Jugend lebt dieses „Wir miteinander“ seit Langem; heute kommen für zwei ostdeutsche Studierende, die nach Westdeutschland gehen, durchschnittlich drei westdeutsche in den Osten. Wir Übrigen sind aufgerufen, nicht nur Meilensteine zu erinnern und Wissen zu vermitteln, sondern auch Dialoge zu führen und in ihnen einerseits die Faktoren zu benennen, die gleichwertigeren Lebensverhältnissen in ganz Deutschland noch im Wege stehen, andererseits aber die Gegenwart an unserer eigenen deutschen Geschichte zu messen – und viel stärker die in 30 Jahren vollbrachten Erfolge zu würdigen.
DANKSAGUNG
Verleger Peter Tamm junior und seinem Team danke ich für die Realisierung dieses Projekts und Lektorin Annette Krüger für die gründliche Durchsicht des Manuskripts und viele gute Hinweise.