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2. Literarische Quellen für die Alexanderzeit

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Die Quellenlage für die griechische Geschichte in der Ära Alexanders, den Zug Alexanders und das Alexanderreich ist ähnlich problematisch wie die für die Regierungszeit Philipps. Denn die zahlreichen damals verfassten zeitgenössischen Geschichtswerke, Enkomien und Biographien sind ausnahmslos nur mehr in Fragmenten beziehungsweise als Vorlagen deutlich späterer erhaltener griechischer und lateinischer Werke mit Hilfe der Quellenforschung greifbar. In diesen Werken aber überwölbt und verändert der im Hellenismus und der römischen Kaiserzeit wirkungskräftige Mythos Alexanders die ursprünglichen Berichte oft so stark, dass man kaum mehr hoffen kann, durch subtile Interpretationen an den Kern der historischen Tatsachen zu gelangen. Jeder Historiker bildet sich sein eigenes, spezifisches und immer auch zeitgebundenes Alexanderbild.

Heroisierende und kritische Alexanderbilder

Die Persönlichkeit und die militärisch-politischen Leistungen Alexanders polarisierten schon seine Zeitgenossen. Einige bewunderten Alexander III. „den Großen“, als übermenschlich erfolgreichen, jugendlich sieghaften König. Andere hassten ihn als größenwahnsinnigen, charakterschwachen Gewaltherrscher, dessen kurzer Eroberungszug unzähligen Betroffenen unermessliches Leid bescherte. Dies hat einerseits bereits unter Teilnehmern des Alexanderzuges und annähernden Zeitgenossen zur Ausbildung eines panegyrischen, heroisierenden Alexanderbildes geführt. Dieses Bild erfuhr dann in der so genannten Vulgat-Tradition (Kleitarch) und schließlich in antiken bis frühneuzeitlichen Prosa- und Versversionen des Alexanderromans (von Pseudo-Kallisthenes im 3. Jahrhundert v. Chr. bis zur Dihegesis tou Alexandrou beziehungsweise in den Phyllada tou Megalexandrou seit dem späten 17. Jahrhundert) seine märchen- und sagenhaften Übersteigerungen. Andererseits bildete sich aber auch bereits zu Lebzeiten Alexanders eine kritische Tradition heraus, die unter anderem von philosophisch (peripatetisch oder stoisch) beeinflussten Autoren vertreten wurde. Sie unterstrichen die dunklen Seiten und die zwischen 330 und 323 immer deutlicher werdenden Charakterschwächen des Königs: Gewaltexzesse, Trunksucht, Unberechenbarkeit, Jähzorn, Zugänglichkeit für höfische Schmeicheleien und fortschreitende Megalomanie. Der König entwickelte sich auf der Höhe seines Ruhmes und seiner äußeren Macht immer mehr zu einem unbeherrschten Tyrann statt zu einem vorbildlichen Philosophenkönig. Antike Autoren dieser alexanderkritischen Richtung spielen gerne das unverdiente und übergroße Glück Alexanders gegen seine Tüchtigkeit aus. Den vielleicht deutlichsten Reflex dieser Diskussion findet man in Plutarchs Traktat Über Alexanders Glück.

Die Ephemeriden

Betrachten wir in aller gebotenen Kürze zunächst einige wichtige Werke der Alexanderzeit selbst: Ein zeitgenössisches, halboffizielles Werk sind die Ephemeriden (FGrHist 117), die königlichen Verwaltungs- und Kriegstagebücher, die regelmäßig im Stabe von Alexanders Hauptquartier unter Aufsicht seines Kanzleichefs Eumenes von Kardia geführt wurden. Man darf annehmen, dass die vollständigen Originale der Ephemeriden ‚offizielles‘ Material aus der königlichen Kanzlei enthielten, wie Urkunden, Briefwechsel oder Protokolle, das für die frühen Alexanderhistoriker, zum Beispiel Ptolemaios, wertvolle Quellen bot. Der typische Inhalt der wenigen heute noch erhaltenen Fragmente könnte über den gesamten Charakter der Ephemeriden täuschen. Denn er betrifft Opfer, Empfänge oder die wechselnde Befindlichkeit des Königs nach schweren Gelagen.

Wie die Ephemeriden hatten auch die während des Alexanderzuges zwischen 334 und 323 systematisch geführten Aufzeichnungen der Bematistai (Schrittvermesser, Geodäten), von denen wir die Namen des Baiton, Diognetos und Philonides kennen (FGrHist 119–121), einen halboffiziellen Charakter. Sie notierten Distanzen zwischen Fixpunkten, Marschzeiten sowie landeskundliche Informationen über die Länder, durch die der Alexanderzug ging.

Kallisthenes

Kallisthenes aus Olynth, ein Verwandter des Aristoteles und selbst ebenfalls Peripatetiker, wurde bereits als Verfasser eines Hellenika-Werkes erwähnt. Kallisthenes verfasste als offiziell von Alexander selbst beauftragter Propagandist und Historiker während der ersten Jahre des Kriegszuges seine für ein panhellenisches Publikum gedachten Alexandrou praxeis oder Taten Alexanders (FGrHist 124). Ihr Bericht reichte von 334 und dem Übergang über den Hellespont wohl bis zur Schlacht von Gaugamela. Kallisthenes fiel dann aber im Zusammenhang mit der von ihm abgelehnten Einführung des persischen Hofzeremoniells durch Alexander und in der Pagenverschwörung in Ungnade. Er starb in der Haft. Seine Taten Alexanders waren die früheste, zusammenhängende zeithistorische Behandlung der ersten Jahre des Alexanderzuges. Der panegyrische propagandistische Ton und der Einsatz des vollen Instrumentariums rhetorischer Mittel werden auch heute noch aus vielen Fragmenten deutlich. Ebenfalls fällt das typisch peripatetische Interesse an Informationen aus verschiedenen Wissensgebieten jenseits von Politik und Kriegführung auf. Der Tod des Kallisthenes schadete dem Ansehen Alexanders unter philosophisch beeinflussten Autoren der folgenden Jahrhunderte sehr.

Ephippos, Marsyas, Onesikritos, Chares

Innerhalb von nur einer Generation nach Alexanders Tod entstanden dann mehrere Werke über den Alexanderzug, die für das Alexanderbild der uns heute noch erhaltenen antiken Autoren maßgeblich wurden. Diese frühen Alexanderhistoriker waren überwiegend hochrangige Teilnehmer des Alexanderzuges. Ephippos aus Olynth verfasste Über den Tod und die Bestattung Alexanders und Hephaistions (FGrHist 126). Wenn man von einem durch die Interessen des Exzerptors Athenaios möglicherweise beeinflussten und daher nicht unbedingt repräsentativen Fragment schließen darf, äußerte Ephippos scharfe Kritik an den Alkoholexzessen am Hofe Alexanders. Marsyas aus Pella, den Autor (FGrHist 135) einer Makedonischen Geschichte (Makedonika), die mindestens bis 331 v. Chr. reichte, kann man als einen makedonischen Insider bezeichnen. Denn der Bruder des Antigonos Monophthalmos war in seiner Jugend zusammen mit Alexander erzogen worden. Wir kennen leider heute nur noch wenige Fragmente aus den Makedonika. Als Dolmetscher und später als Obersteuermann des königlichen Schiffes schrieb Onesikritos aus Astypaleia (FGrHist 134) – vielleicht unter kynischem Einfluss und mit dem Vorbild der xenophontischen Kyropädie – einen idealisierenden Traktat Pos Alexandros Echthe oder Wie Alexander erzogen wurde. Chares aus Mytilene trug den Titel eines Zeremonienmeisters am Hof Alexanders (FGrHist 125) und konzentrierte sich in seinen ausführlichen zehn Büchern Geschichte Alexanders seinem Amt entsprechend unter anderem auf das Hofleben, erwähnte aber offenbar auch gerne Wundergeschichten und romanhafte Details.

Ptolemaios und Aristobulos

Flavius Arrianus oder Arrian aus Nikomedeia gelangte auf der Basis der umfangreichen, ihm im 2. Jahrhundert n. Chr. noch zugänglichen Literatur über Alexander zu der Auffassung, dass unter den Werken über Alexander aus der Feder der Kriegszugsteilnehmer und Augenzeugen die Darstellungen von Ptolemaios und Aristobulos die bedeutendsten gewesen seien. Ptolemaios, Sohn des Lagos, ein Somatophylax (Leibwächter, hochrangiger General) Alexanders und der Begründer der hellenistischen Ptolemäerdynastie (Ptolemaios I.), verfasste im höheren Alter eine auf die militärisch-politischen Leistungen Alexanders konzentrierte Geschichte des Alexanderzuges (Praxeis Alexandrou?), die für Arrians Alexandergeschichte zur wichtigsten Quelle wurde (FGrHist 138). Sie ist in ihren Hauptzügen aus Arrians Werk noch mit ihrer Tendenz rekonstruierbar, die den König als militärisches Genie verherrlichte, Ptolemaios selbst ent- und seine Rivalen belastete. Obwohl der hohe Quellenwert der auf Ptolemaios gestützten arrianischen Tradition unbestritten ist, müssen doch in jedem Einzelfall auch abweichende Berichte anderer antiker Gewährsmänner sorgfältig quellen- und sachkritisch geprüft werden. Die moderne Alexanderforschung folgt nicht mehr unkritisch jeder Nachricht des Ptolemaios. Neben Ptolemaios verwendete Arrian zur Ergänzung und Kontrolle seiner Angaben auch das Alexanderwerk des Aristobulos von Kassandreia, dessen genauen Titel wir nicht kennen. Falls Aristobulos tatsächlich erst in hohem Alter im 3. Jahrhundert sein Werk (FGrHist 139) verfasste, konnte er außer auf seine eigenen Erinnerungen auch bereits auf erste veröffentlichte andere Werke über Alexander zurückgreifen. Als Mitglied des Techniker- und Ingenieurkorps Alexanders interessierte sich Aristobulos auch für technische Probleme und landes- oder naturkundliche Fragen der Fauna und Flora oder des Klimas. Hierdurch wurde er auch für den späteren Historiker und Geographen Strabon eine interessante Quelle.

Kleitarch

Kleitarch (FGrHist 137) verfasste im frühen 3. Jahrhundert eine zwölfbändige Alexandergeschichte von der Thronbesteigung 336 bis zum Tode des Königs 323. Einige erhaltene Fragmente zeigen eine stark proptolemäische Tendenz. Vor allem aber verschwimmen in dieser Alexandergeschichte bereits die Grenzen zwischen einer seriösen politisch-militärischen Geschichtsdarstellung und einer romanhaft-märchenhaften Erzählung. Das in der Antike viel gelesene Werk des Kleitarch wurde zur wichtigsten Wurzel der Vulgat-Tradition und zu einer Hauptquelle für die uns noch erhaltenen Geschichtswerke des Diodor (in Buch 17), des Curtius Rufus und des Justin.

Polybios

In älteren quellenkundlichen Beiträgen zur Geschichte Alexanders des Großen sind die Bedeutung und der Quellenwert der Notizen unterschätzt worden, die sich in der Universalhistorie des Polybios aus Megalopolis (2. Jahrhundert v. Chr.) über Alexander, den Alexanderzug und wichtige Manner im Umkreis des Königs finden. Denn diese Notizen gehen wahrscheinlich auf zwei annähernde Zeitgenossen Alexanders zurück, Hieronymos von Kardia und Demetrios von Phaleron. Zudem stammen sie von einem der anspruchsvollsten und sorgfältigsten hellenistischen Historiker des 2. Jahrhunderts v. Chr. Jüngeren Untersuchungen zufolge interessieren den Historiker aus Megalopolis vor allem die Zerstörung Thebens 335, ein Vergleich der zeitgenössischen Könige Makedoniens im 2. Jahrhundert, Philipps V. und des Perseus, mit Alexander, dessen Charakter und seine Qualifikation als General.

Diodor

Kommen wir nun in diesem quellenkundlichen Überblick zu den sekundären, erhaltenen historiographischen Darstellungen des Alexanderzuges: Einen chronologisch zuweilen problematischen, aber durchgehenden erzählerischen Rahmen bieten Diodors Buch 17 bis zum Tode Alexanders und der Beginn von Buch 18 zur Lage 323/22 v. Chr. Dabei ist zwischen den Büchern 17 und 18 ein wichtiger Quellenwechsel von Kleitarch und anderen Vorlagen zu Hieronymos von Kardia als neuer verlässlicherer Hauptquelle Diodors zu beachten. Insgesamt sind die für den Zeitraum der griechischen Geschichte von 359–323 relevanten Bücher Diodors (16–17) weniger zuverlässig als der Beginn seiner Diadochengeschichte in den Büchern 18–20. Der historiographisch-gedankliche Eigenanteil des Historikers Diodor an der Verarbeitung seiner Vorlagen ist umstritten und wohl mit Ausnahme der ausgearbeiteten Bucheinleitungen (Prooimien) eher gering. Eine gewisse Aufwertung des Historikers Diodor in der jüngeren Forschung erfolgte als eine gesunde Gegenreaktion gegen ältere, zu pauschale Verdammungsurteile.

Curtius Rufus

Der frühkaiserzeitliche Rhetor und Historiker Q. Curtius Rufus verfasste Historiae Alexandri Magni Macedonis in zehn Büchern, von denen mit wenigen Lücken die Bücher 3–10 noch erhalten sind. Sie stellen die einzige lateinische aus der Antike auf uns gekommene umfangreiche Alexandergeschichte dar. Curtius Rufus wollte kein methodologisch und quellenkritisch anspruchsvolles Geschichtswerk vorlegen. Seine Leser sollten vor allem unter Einsatz vielfältiger rhetorischer und sprachlicher Kunstmittel mit seiner Erzählung unterhalten werden. Curtius hat eine Reihe älterer Vorlagen verarbeitet und zitiert etwa Kleitarch, Ptolemaios und den augusteischen Universalhistoriker Timagenes. Sein Alexanderbild ist weder eindeutig panegyrisch und alexanderfreundlich noch durchgehend kritisch und anklagend gegenüber dem ‚Tyrannen‘ Alexander. Die Historiae des Curtius Rufus wurden in der Spätantike und im Mittelalter häufig gelesen und haben daher die Vorstellung von Alexander und seiner Zeit wesentlich mitbestimmt.

Justin

Nur durch einen Auszug, eine Epitoma, die er aus den Historiae Philippicae des Pompeius Trogus anfertigte, ist Justin als Autor wohl des 3. Jahrhunderts n. Chr. greifbar. Die Alexanderzeit behandelt Justin in den Büchern 10–12. Justins knapper Abriss verdrängte die anspruchsvollere lateinische Universalhistorie des Pompeius Trogus fast völlig und war in der späten Antike und im Mittelalter ein sehr beliebtes Werk.

Arrians Werke

L. Flavius Arrianus oder Arrian gilt vielen Alexanderforschern als der bedeutendste Alexanderhistoriker. Er stammte aus Nikomedeia und lebte circa 85 bis nach 145 n. Chr. Er durchlief zunächst eine ritterliche Militärkarriere, wurde dann Prokonsul der spanischen Provinz Baetica, Suffektkonsul 129 oder 130 und Provinzstatthalter in Kappadokien. Arrian gehörte also zur Elite des Kaiserreiches mit reicher eigener militärischer und politisch-administrativer Erfahrung. Er trat aber auch hervor als Autor philosophischer, historisch-biographischer oder geographischer Schriften. In unserem Kontext interessieren vor allem seine Anabasis über den Feldzug Alexanders nach Asien und die nach Nearchos’ Fahrtbericht und Megasthenes als Hauptquellen zusammengestellten Indika mit reichen geographischen und ethnographischen Details. Für die Ereignisse unmittelbar nach Alexanders Tod und die provisorische Reichsordnung von den Absprachen in Babylon bis zur Neuordnung von Triparadeisos ist auch noch auf Fragmente aus der ursprünglich sehr ausführlichen Diadochengeschichte Arrians (zehn Bücher für etwa drei Jahre Berichtszeitraum) zu verweisen. Die Alexandergeschichte in sieben Büchern könnte sein erstes bedeutendes historisches Werk gewesen sein. Arrian verehrt seinen Helden Alexander, bemüht sich aber auch um eine wahrheitsgetreue Darstellung, die krassen Auswüchsen der märchen- oder romanhaften Alexanderliteratur entgegenwirken sollte. Arrian stützt sich auf die seinem Urteil nach besten Quellen über die politisch-militärischen Ereignisse des Alexanderzuges. Dies seien die Werke des Ptolemaios und des Aristobulos, der engen Weggefährten des Makedonenkönigs. Für die im Zentrum seines Werkes stehende militärische und politische Ereignisgeschichte ist Arrians Quellenwert unbestritten. Angebliche Motive wichtiger Personen für bestimmte Handlungen, Berichte über für Alexanders Nachruhm belastende Ereignisse oder das gesamte, zu positive Alexanderbild aber sollte man nicht unkritisch von Arrian übernehmen. Über die Biographien des Plutarch aus Chaironeia als unverzichtbare, aber aus gattungsspezifischen Gründen immer kritisch zu benutzende Quellen zur Alexanderzeit ist bereits das Nötige gesagt worden. Außer in der Alexanderbiographie selbst findet sich wertvolles Material zur griechischen Geschichte der Jahre 336–323 in den Charakterbildern des Demosthenes und Phokion.

Philipp II. und Alexander der Große

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