Читать книгу Perry Rhodan 2998: Drei Tage zum Weltuntergang - Kai Hirdt - Страница 7

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1.

Hinter dem Spiegel

Trotz der ernsten Lage musste ich kurz lächeln, als ich Perry Rhodan von der Seite betrachtete. Er war sich der kosmischen Bedeutung seines Handelns vollauf bewusst, das sah man ihm allzu deutlich an. Oder zumindest ich tat das, weil seine Körpersprache auch die meine war – schließlich war auch ich Perry Rhodan, wenngleich es mich lediglich aus einem anderen Universum in diese Variante der Realität verschlagen hatte.

Ich konnte nun erstmalig von außen betrachten, wie es aussah, wenn ich mich gerade sehr wichtig nahm. Was ich meinen Alter Ego gar nicht verübelte. Von dem Erfolg dieses Experiments hing schließlich das Schicksal einer ganzen Galaxis ab.

Der andere Rhodan hielt sich aufrechter als zuvor, zögerte kurz, atmete einmal etwas tiefer ein. Dann trat er entschieden, aber ohne Hast auf den Shod-Spiegel zu, den uns die Gemeni zur Verfügung gestellt hatten.

Eine schillernde Folie spannte sich in dem übermannsgroßen Rechteck, wie ein hauchdünner Film aus Kunststoff. Oder wie Zellophan, nur etwas milchig.

Doch das war nur, was meine Augen wahrnahmen. Meinem Körper fehlten die Sinne, die nötig gewesen wären, um das wirklich relevante Geschehen wahrzunehmen. Dieses spielte sich nämlich im sechsdimensionalen Bereich ab.

Die vermeintliche Folie war in Wirklichkeit eine Kopie von Atlan da Gonozals Ritteraura – einer für meine Begriffe unfassbaren Ausstrahlung, die ihm vor vielen Jahrhunderten aufgeprägt worden war und die ihn als Beauftragten irgendwelcher Hohen Mächte auswies.

All das klang in meinen Ohren fast schon esoterisch. Nur war Atlan alles andere als das, sondern einer der tatkräftigsten und geerdetsten Menschen oder eben Arkoniden, die mir je begegnet waren.

Zudem hatte mein Alter Ego die Geschichte von der Aura bestätigt. Der Perry Rhodan dieses Universums hatte einst ebenfalls eine solche Aura besessen, sie jedoch irgendwann wieder opfern müssen, um eine große Gefahr von mehreren Galaxien abzuwenden.

Und damit waren wir beim Kernpunkt, der Rhodans leicht gehobenes Kinn und den durchgedrückten Rücken mehr als rechtfertigte: Erneut war die Galaxis bedroht, und zwar durch den Weltenbrand, den ich unwissentlich und unwillentlich mit ausgelöst hatte.

»Um die Verödung der Milchstraße abzuwenden, müssen wir nach Wanderer vordringen und die erbeutete Proto-Eiris neu programmieren« – das war der Auftrag. Bis vor Kurzem hätte ich mit all diesen Begriffen nichts anfangen können.

Der andere Rhodan hatte es mir erklärt. Der Kunstplanet war – so meinte er – »gewissermaßen die manifestierte mentale Substanz der Superintelligenz ES«. Aus den bisherigen Erkenntnissen zu diesem Kunstplaneten, der weder der erste noch der einzige dieser Art zu sein schien, hatte man geschlossen, dass in der Maschinenstadt diese Proto-Eiris eingesetzt werden sollte.

»Die ist ja auch ein Ausfluss von ES«, hatte der andere Rhodan gesagt. Er hatte mir Berichte gezeigt, die aus der Station Arkanum-Alpha stammten, umfangreiche wissenschaftliche Darstellungen, und versucht, sie in mein bisheriges Weltbild einzuführen.

Letztlich war mir eines bewusst worden: Nur in der sogenannten Maschinenstadt konnte man die Neuprogrammierung vornehmen.

Dieser Vorgang benötigte eine Autorisierung – nämlich die Anwesenheit von zwei Auraträgern. Atlan war der eine. Und Rhodan zog sich gerade die Kopie von Atlans Aura über, um als der zweite durchzugehen.

Der Bhal der Gemeni hatte uns gewarnt, dass die Aura nicht lange stabil bleiben würde. Einige Stunden sicher, wahrscheinlich einige Tage. Aber keine ganze Woche. Sobald Rhodan Erfolg gehabt hatte, war also Eile geboten.

Ich fragte mich, wie sich der Vorgang optisch darstellen würde. Ob die Folie sich um Rhodan wickeln würde, als ginge er wirklich durch Zellophan? Oder würde sie im Moment der Berührung zerplatzen wie eine Seifenblase? Würde sie blendend aufstrahlen und dann verschwinden?

Nichts davon geschah. Rhodan trat durch den Rahmen und die Folie hindurch, als sei sie überhaupt nicht vorhanden.

Verwirrt drehte er sich um, trat hinter dem Spiegel hervor und sah uns an. »Hat es funktioniert?« Der Zweifel in seiner Stimme enthielt im Grunde schon die Antwort.

Gucky kratzte sich das fellige Kinn. Sein Nagezahn bohrte sich leicht in die Unterlippe. »Wie fühlt es sich denn an?«

Rhodans Gesicht arbeitete. Seine Miene pendelte zwischen nachdenklich und verärgert. »Nach gar nichts. Keine Änderung. Ich habe die Aura zwar meist nicht gespürt, als ich sie hatte. Aber ich habe ihr Fehlen oft gemerkt, seit ich sie verloren habe. Und dieses Ziehen ist immer noch da.«

»Ziehen?«, fragte ich.

Atlan warf mir einen skeptischen Blick zu. Der Arkonide kam nicht gut damit zurecht, von zwei Perry Rhodans umgeben zu sein.

»Ich kann es nicht besser ausdrücken«, gab der andere Rhodan zurück. »Es ist ... Phantomschmerz wäre zu viel gesagt. Aber ein Teil von mir fehlt. Ich bin weniger, als ich sein sollte.«

Das machte im Grunde nichts klarer. Aber wenn ein Perry Rhodan mit fast dreitausend Jahren Lebenserfahrung es nicht richtig beschreiben konnte, war es vielleicht von einem anderen Perry Rhodan, der gerade erst Mitte Fünfzig war, auch nicht zu verstehen.

Gucky spuckte in die Hände, klatschte sie zusammen und rieb sie aneinander. »Es ist also mal wieder Zeit für mich, das Universum zu retten.«

»Wie stellst du dir das vor?«, fragte Atlan gereizt. Der Weltenbrand zehrte auch an seinen Nerven.

»In Aurafragen hilft sofort der hochkompetente Teleport«, reimte der Mausbiber. Er präsentierte ein breites Grinsen, fast von einem großen runden Ohr zum anderen. »Diese Sache läuft sechsdimensional. Wenn Perry da hindurchtappt, ist das nur ein vierdimensionaler Vorgang. Und der funktioniert offensichtlich nicht.«

Der andere Rhodan nickte. »Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Ein Teleportsprung ist ein fünfdimensionales Ereignis. Wenn wir uns so annähern, ist die dimensionale Distanz geringer, und die Übernahme ist vielleicht einfacher.«

»Einen Versuch ist es wert, oder?« Gucky fragte es in einem Ton, als habe er den großen Preis bereits abgeräumt.

»Und wenn die Aura auf dich übergeht statt auf Perry?«, fragte Atlan.

Rhodan lachte. »Dann gehst du halt mit Gucky nach Wanderer. Da bin ich nun überhaupt nicht eitel. Auch wenn ich meine Aura vermisse.«

Ich konnte nicht umhin, die drei Wesen zu bewundern – den Menschen, den Arkoniden und den Ilt. Jeder Einzelne war alt genug, um ganze Kulturen aufstehen und vergehen zu sehen. Und wenn die Berichte stimmten, hatte zumindest Atlan beim Aufstieg einiger Hochkulturen tatkräftig mitgeholfen.

Alle drei behandelten den Weltenbrand zwar mit dem nötigen Ernst; alles andere wäre in dieser Lage auch verwunderlich gewesen. Dennoch bewahrten sie eine gewisse Leichtigkeit, die ich selbst unter diesen Umständen nicht aufgebracht hätte. Wahrscheinlich kam das einfach mit den Jahrtausenden.

»Probieren wir's aus.« Rhodan streckte Gucky seine Hand entgegen.

Der Ilt ergriff sie, und sie teleportierten.

*

Dieses Mal strahlte die Folie tatsächlich hell auf. Ich kniff die Augen zusammen.

Als ich sie wieder öffnete, standen Gucky und Rhodan an derselben Stelle wie zuvor, in derselben Haltung. Die Miene des Mausbibers hatte sich von Retter des Universums zu Das habe ich so nicht bestellt verfinstert.

»Was war das denn?«, fragte Gucky empört. »Das blöde Ding wirft uns einfach zurück? So haben wir aber nicht ...«

Er brach ab, als Rhodans Hand aus der seinen rutschte. Mein Alter Ego aus diesem Universum sackte in sich zusammen.

Ich war schneller beim ihm als Atlan. Der Arkonide mochte seine Erfahrung haben, aber ich hatte die Reflexe eines Perry Rhodan. Mit einem Hechtsprung warf ich mich unter den anderen Rhodan und bremste den Fall, der sonst ungebremst mit dem Gesicht auf dem Metallboden geendet hätte.

Ich selbst fing mich zumindest gut genug ab, dass ich selbst keine schwereren Blessuren davontrug. Lediglich das Knie, das ich mir drei Wochen zuvor bei meiner Flucht aus Adam von Aures' Gefangenschaft verletzt hatte, schmerzte leicht, als ich darauf landete.

Ich biss die Zähne zusammen, schob mich in sitzende Position und zog den anderen Rhodan mit empor.

Er hatte bereits wieder die Augen geöffnet. »Wo ...« Er hielt inne und ersparte uns die Klischeefrage, mit der man in jedem zweiten Hollywoodstreifen aus einer Ohnmacht erwachte. Stattdessen gab er sich die Antwort gleich selbst. »Die RAS TSCHUBAI?«

Er blinzelte einige Male, sah zu mir, zu Gucky, zu Atlan und schließlich zum Shod-Spiegel. Sein Gesicht zeigte immer größere Verwirrung.

»Wie lange war ich weg?«, fragte er schließlich.

Atlan und Gucky wechselte besorgte Blicke. »Gar nicht«, erklärte der Ilt. Dann kam er selbst ins Nachdenken. »Oder?«, fragte er Atlan. »Der Spiegel hat uns doch sofort zurückgeworfen, oder?«

Der Arkonide bestätigte. »Er hat einmal geleuchtet, das war's. Ihr wart weg und sofort wieder da.«

»Aber das kann nicht sein«, sagte Rhodan. »Ich war ...« Er kniff die Augen zusammen, wie um einen Kopfschmerz zu verscheuchen. »Ich war Wochen unterwegs! Ich war auf der SOL, bei Michael! Ich habe ...«

»...wahrscheinlich Halluzinationen«, unterbrach Atlan trocken. »Du warst nicht einmal eine Sekunde weg. Zumindest körperlich. Was dein Geist sich alles einbildet, wenn er per Fünf-D-Teleport in ein Sechs-D-Trampolin gefeuert und zurückgeschleudert wird, steht offensichtlich auf einem völlig anderen Blatt. Korrigier mich, aber die Übernahme der Aura hat nicht funktioniert, vermute ich?«

»Aura?«, fragte Rhodan. Erneut schüttelte er den Kopf und sah ein weiteres Mal zum Spiegel. »Ach ja. Stimmt ja.«

Nun wurde ich in den besorgten Blickwechsel miteinbezogen. Was immer gerade vorgefallen war: Es hatte Perry Rhodan offensichtlich nicht in bestmöglichem Zustand zurückgelassen.


Illustration: Dirk Schulz

»Wir verschwenden Zeit«, stellte Atlan missmutig fest. »Und wir stehen schlechter da als vorher. Nicht nur, dass Perry die Aura nicht übernehmen kann: Jetzt ist auch noch seine Einsatzfähigkeit eingeschränkt. Hat noch jemand irgendwelche Ideen?«

Mir lag auf der Zunge, dass ich versuchen könnte, die Aura anzunehmen. Sie war für Perry Rhodan gedacht. Wenn es bei dem Rhodan aus diesem Universum aus irgendeinem Grund hakte, hieß das ja nicht, dass ich es nicht zumindest versuchen konnte.

Ich zögerte jedoch, mich mit dem Vorschlag in den Vordergrund zu spielen. Ich wusste, dass Atlan mir nicht vertraute. Ich konnte ihm das nicht einmal verdenken, denn vor vier Monaten hatte ich die Chance verstreichen lassen, Kontakt zu ihm aufzubauen, als wir uns beide in Lotho Keraetes Schiff befunden hatten. Ich hatte damals ihm nicht getraut – wegen eines Missverständnisses, wie ich inzwischen wusste.

Wäre ich damals über meinen Schatten gesprungen und hätte ich gewusst, was ich heute wusste: Vielleicht hätten wir damals den Ausbruch des Weltenbrands noch verhindern können.

Hätte. Wäre. Ich hatte es damals nicht getan. Was blieb, waren eine Galaxis auf dem Weg zur Entvölkerung und ein Arkonide, der mir nicht recht vertrauen wollte.

Zum Glück war ich selbst weniger nachtragend, und das hieß, dass für den anderen Perry Rhodan dasselbe galt. Er hatte seinen Moment der Verwirrung schnell überwunden und sah mich nachdenklich an. »Was ist mit dir?«, fragte er.

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich kann es zumindest versuchen.«

»Und was soll das bringen?« Atlan war offensichtlich genauso wenig angetan von dem Vorschlag, wie ich vermutet hatte.

»Perry ist bisher nicht vorgeprägt«, antwortete Rhodan. »Ich schleppe immer noch ein Rudiment meiner alten Aura mit mir herum, einen kleinen Rest, den man mir damals nicht hat entreißen können. Aber vielleicht ist genau das der Grund, warum ich im Augenblick die neue Aura nicht annehmen kann. Die Stelle meines Selbst, an der sie sich verankern müsste, ist bereits besetzt.«

»Ich bin nicht besonders glücklich damit«, sagte Atlan offen.

»Mach einen besseren Vorschlag!«, forderte ich ihn unverblümt auf.

Zwei Sekunden herrschte Schweigen. Dann machte ich mich auf den Weg zum Shod-Spiegel. Atlan machte keine Anstalten, mich aufzuhalten.

Ganz wie mein anderes Ich straffte ich meine Haltung und ging energisch und ohne Zögern auf mein Ziel zu.

Ebenfalls genau wie bei Rhodan geschah dabei gar nichts. Ich trat durch die Folie hindurch, als sei sie überhaupt nicht vorhanden.

Einen Wimpernschlag später materialisierte Gucky direkt neben mir. »Dann wiederholen wir diesen Versuch auch noch«, verkündete der Ilt. »Wenn das ebenfalls in die Binsen geht, überlegen wir uns etwas Neues.«

Nun zögerte ich doch – mein taumelndes, halluzinierendes Ebenbild stand mir allzu deutlich vor Augen. Aber dies war keine Stunde für Feiglinge.

Ich reichte dem Ilt die Hand.

Wir sprangen.

Perry Rhodan 2998: Drei Tage zum Weltuntergang

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