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1 Zu Beginn: Es geht um mehr als um eine Gemeinde

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Hatte die Reformationsdekade mit ihren Themenjahren ursprünglich an die Aufbruchstimmung angeschlossen, die die Kirchen der EKD nach 2006 erfasst hatte, scheint davon nach 2017 wenig übrig geblieben zu sein. Hat sich die Evangelische Kirche mit den Feierlichkeiten zum Reformationsjubliäum womöglich verausgabt?1

Gegen diesen Eindruck kann durchaus auf verschiedene synodale Prozesse und kirchliche Stellungnahmen verwiesen werden, in denen sich die Landeskirchen politisch wach und sensibel für aktuelle Herausforderungen zeigen. Nicht zuletzt ökumenische, also das christliche Leben in der Welt betreffende Fragen sind in den letzten Jahren im Vergleich zu den ermüdenden internen Debatten über Neuerungen im Finanzwesen und der Verwaltungsstrukturen wieder in den Vordergrund getreten. Und viele Gemeinden zeigen ein ungebrochen hohes Maß an Kreativität, wenn es um die Gestaltung von Gottesdiensten und um einladende Angebote geht. Zugleich aber ist eine gewisse Mattheit und Ablehnung wahrzunehmen, wenn es darum geht, sich mit gesellschaftlichen Veränderungen als Infragestellung kirchlicher Gegebenheiten und also der Notwendigkeit zu Anpassungen und Neugestaltung zu befassen.

Die Aufrechterhaltung des Betriebs und eine Fülle von Verwaltungsaufgaben kostet der kleiner werdenden Zahl von Engagierten einschließlich der Pfarrerinnen und Pfarrern tatsächlich viel Kraft. Und selbst etwas zu lassen, geht in Gemeinden selten ohne Anstrengung. Umso wichtiger ist es, sich klar zu machen, dass die Gemeinde in der Form, in der wir sie volkskirchlich kennen, ihre Wurzeln in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation im 19. Jahrhundert hat.2 Die Gemeinde als das „Innen“ der Kirche, zu der die Gesellschaft das Außen bildet – und zwar einschließlich derer, die zwar Gemeindeglieder sind, aber am Leben der Gemeinde nicht aktiv teilnehmen –, erweist sich in geschichtlich kritischer Perspektive nicht einfach als das tragende Element der Kirche, als das sie heute allgemein verstanden und innerkirchlich geradezu beschworen wird. Es mag also sein, dass manche Formen, die uns selbstverständlich unverzichtbar erscheinen und binden, eben doch veränderbar und womöglich verzichtbar sind. Es mag sein, dass im 21. Jahrhundert andere Formen als die klassische Ortsgemeinde notwendig sind, damit es Menschen ermöglicht wird, ihre Kirchenmitgliedschaft zu leben und auf die Entwicklung der kirchlichen Organisation Einfluss zu nehmen.3 Es mag sein, dass die Konstruktion des (kern-)gemeindlichen Innen und Außen heute sogar hinderlich ist; zumindest dann, wenn es darum geht, Kirche als Volkskirche zu gestalten.4 Die Ortsgemeinde, jedenfalls in zentralen Ballungsräumen, ist für viele Menschen nichts anderes als die Filiale der Kirche am (zeitweiligen) Wohnort. Zu ihr treten Gemeinden und nicht zuletzt Kirchbauten5 an anderen Orten hinzu, die – einschließlich ihrer medialen Repräsentanz – alle zusammen die Kirche bilden, der man sich mehr oder weniger zugehörig fühlt.

„Die »innere Pluralisierung« in der Kirche ist so weit fortgeschritten wie in der Gesellschaft im Allgemeinen."6 An der kirchenordentlichen Bekenntnisbindung der Ortsgemeinden und auch Landeskirchen, die in schwindender Verbindung zu den Prägungen oder Unbestimmtheiten ihrer Mitglieder stehen, welche durch Ausbildung und Beruf von einem Ort und Land in ein anderes ziehen und von dort nicht selten wieder weiter und ihre konfessionelle Prägung eben nicht mit dem Bekenntnis einer Gemeinde am Wohn- oder auch nur Arbeitsort wechseln, sondern bei gelegentlichen Gottesdienstbesuchen maximal durch ihnen fremde Formen insbesondere der Abendmahlsliturgie verstört werden, wird augenfällig, wie weit entfernt die kirchlichen Ordnungen von den Lebenswelten der Menschen sind. Es ist die Mehrheit, der es gleichgültig ist, zu welcher Gemeinde sie „gehört“. Sie gehen dahin, wo sie sich angesprochen fühlen und einbringen können, sofern sie sich einbringen wollen. Die Menschen ordnen sich Gemeinden unabhängig von formalen Mitgliedschaften zu. Konfessionelle Unterschiede, erst recht innerevangelisch, spielen im Vergleich mit milieuspezifischen Kriterien und Merkmalen des Lebensstils kaum mehr irgendeine Rolle.7

„Gemeinde“ ist – in einer großen Fülle unterschiedlicher Gestalten und abgestuften Formen der Verbindlichkeit – als Konkretion von Kirche unersetzbar. Ja, sehr offen verstanden als Ort der Glaubenskommunikation am Schnittpunkt von Lebenswelt und Institution wird es sogar darum gehen, mehr und andere Gemeindeformen und Identifikationspunkte zu entwickeln, die auch eine „sporadisch gelebte Kirchenmitgliedschaft“ ermöglichen.8 Und mehr noch als das: Es wird darum gehen, die Kirche ihrer Ordnung nach zu verändern. Es geht nicht nur darum, Angebote für bisher nicht erreichte Zielgruppen zu schaffen und diese in die bestehende Ordnung einzufügen, sondern es gilt neue Orte zu bilden, zu vernetzen und synodal gleichberechtigt anzuerkennen,9 wenn Kirche Menschen aus den unterschiedlichen Milieus und mit ihren verschiedenen Lebensstilen und also Themen ansprechen und ihnen Räume bieten will, über Gott und die Welt zu sprechen; also Kirche mit diesen Menschen zu sein. Die Kirche wird so verstärkt „den Charakter eines Netzwerks, in dem es zur Ausbildung einer Vielzahl an eigenen Sozialformen kommen kann“, annehmen müssen.10

Die Notwendigkeit zur Vernetzung und kommunikativen Verbindung ist auf allen Ebenen der Kirche gegeben. Innergemeindlich, synodal und letztlich ökumenisch. Diese Betrachtungsweise relativiert die Ebenen der Kirche je wechselseitig. Die Gemeinde ist größer als ihre Kreise, die Synoden sind mehr als die Summe der Gemeinden. Entsprechendes gilt für die Kirchen in ihren konfessionsökumenischen und weltweiten Beziehungen. Namentlich die Volkskirchen stehen vor der Herausforderung, diese Relativierungen wahrzunehmen und praktisch zu berücksichtigen. Als Nachfolgerinnen der Staatskirche und als „Sozialgestalten alten Typs“ sind die Landeskirchen, verglichen mit den sogenannten freikirchlichen Gemeinden, in besonderer Weise von den sozialen und religionskulturellen Veränderungen der Gesellschaft betroffen. Volkskirche sein bedeutet heute als Gestaltungsaufgabe, Räume für eine plurale, dezidiert subjektorientierte Kirchlichkeit zu eröffnen.11 Das ist eine Voraussetzung für ihre gesellschaftliche Relevanz. Denn „dass der Kirche zugetraut wird, von sich aus etwas Substantielles zu öffentlichen Angelegenheiten beizutragen gründet darin, dass sie lebensweltlich präsent ist und von Fall zu Fall persönlich bedeutsam wird.“12 Die Volkskirche als offene und öffentliche Kirche muss den Lebenswelten und Lebensweisen der Menschen entsprechen und eine Glaubenspraxis fördern, die sie im Vergleich mit anderen Formen Kirche zu sein eben ausmacht: „Wir glauben und gehören zur Kirche; wir sind aber im Blick auf die Inhalte und die Praxis frei, halten Distanz und beteiligen uns bei Gelegenheit“.13

Kirche als „Volkskirche macht deutlich: Das Evangelium gilt auch einem Publikum, das nur kurz hereinschaut“(243). Der oft beschworene vermeintliche Vorteil des Ansatzes bei der Ortsgemeinde, die nah bei den Menschen sei, täuscht darüber hinweg, dass die Menschen immer weniger nur an einem Ort sind, sondern in sozialen Zusammenhängen leben, die verschiedene Räume miteinander verbinden.14 Ortsgemeinden sind Gemeinden an einem Punkt und auf andere kirchliche Orte nicht allein „gelegentlich“ angewiesen. Jochen Cornelius-Bundschuh plädiert mit Recht entschieden für eine „Kommunalisierung des Evangeliums“, weil es insbesondere die mittlere Ebene sei, auf der die sozialen Prozesse vonstattengehen „zwischen Menschen, die in erreichbarer Nähe leben und sich doch fremd sind und durch ihren Lebensstil oder ihre kulturellen Konzepte unterscheiden“ (240). Nach diesem Ansatz kommt nicht allein die Wohnsitzgemeinde in den Blick, sondern alle „öffentlichen Orte und Einrichtungen, in denen Menschen ihren Alltag gestalten“ (248).15

Mit einer solchen Verlagerung von der Ortsgemeinde auf die sogenannte mittlere Ebene wird die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Veränderung der kirchlichen Ordnung deutlich. Denn „wenn Kirche nicht mit der Einzelgemeinde gleichgesetzt wird, sondern eine volkskirchliche Mitgliedschaft zur evangelischen Kirche insgesamt an unterschiedlichen Orten gelebt und realisiert wird, sollte das Konsequenzen für das kirchliche Mitgliedschaftsrecht haben. Möglicherweise brauchen wir gerade in missionarischer Perspektive wieder eine Vielfalt von Gemeindeformen (Citykirchengemeinden, Profilkirchen, Passantengemeinden, …) neben der Parochialgemeinde. Wenn unterschiedliche Gemeinden sich profiliert ergänzen,16 kann das der Außenwahrnehmung von Kirche nur gut tun."17

Der gesellschaftlichen Auffächerung unterschiedlicher Lebensräume kann tatsächlich nicht anders denn durch eine Ausdifferenzierung gemeindlicher Formen und Angebote begegnet werden, die die Eigenständigkeit der einzelnen Gemeinden in dialektischem Sinne aufhebt bzw. in einer synodalen Form vernetzt, die von anderer Qualität ist als die heutigen Synoden, die ein paar gemeinsame, den Gemeinden funktional untergeordnete Dienst- und Pfarrstellen unterhalten. Es besteht m.E. aktuell durchaus die Gefahr, dass durch die Betonung der territorial definierten Gemeindeebene mit ihrer steuerrechtlich begründeten (Finanz-)Hoheit im Gegenüber zu den anderen Ebenen bzw. kirchlichen Kooperationsformen wichtige Reformen unterbleiben, die dazu beitragen könnten, Kirche als Volkskirche weiter zu entwickeln. Vereinzelte Gemeinden oder eine Vielzahl homogener Gemeinden sind dazu nicht in der Lage, weil sie die notwendige Offenheit allein nicht herstellen können.18

gemeindemenschen.de ist die Adresse einer Internetseite zur Unterstützung ehrenamtlichen Engagements für Ehrenamtliche in Kirche und Diakonie. Macht die Adresse die Leitvorstellung von Kirchenmitgliedschaft deutlich? Geraten „Kirchenchristen“ nicht zu sehr aus dem Blick? Als Kirchenchristen bezeichnet Thomas Klie diejenigen, die als „Distanzierte“ in der ihnen eigenen Form der Zugehörigkeit nicht angemessen beschrieben sind; jene, deren „gefühlte Verbundenheit“ sich kirchlich „in einer ephemeren Praxis (verdichtet).“ „Kirchenchristen lösen heute das Spannungsverhältnis aus familiärer Privatheit, religiöser Autonomie und traditioneller Kirchlichkeit konsequent über einen temporär passgenauen Zugriff.“19

Thematisch erlebe ich die kirchliche Konzentration auf „die Gemeinde“ dort als verengt, wo in ihr die gesellschaftlichen und globalen Fragen nicht lokal konkretisiert aufgegriffen, sondern geradezu auf Abstand gehalten werden. Und sei es, dass sich Gemeinden auf die direkte Hilfeleistung z.B. für Geflüchtete konzentrieren, die damit verbundenen sozial-, außen- und entwicklungspolitischen Fragen aber nicht weiter aufgreifen.20 Nun geht es im Glauben aber nicht um die heile Welt, sondern eben um das Heil der Welt.21 Der Gestaltung der Gemeinde im Interesse des „Ensembles der Opfer“22 als entlastenden Gegenpol zur verwirrenden, globalisierten Wirklichkeit ist die Berechtigung nicht abzusprechen. So richtig es darum ist, Gemeinden geistlich als Kraftorte in der Welt zu gestalten, so sehr muss es in den Gemeinden um die Kommunikation des Evangeliums als eine frohe und befreiende, eine andere Wirklichkeit möglich machende Botschaft für die Welt gehen.23 Und so unbedingt wichtig es ist, Gemeinden in einem Umfeld, das zunehmend durch eine „religious illiteracy“ geprägt ist, als Sprachschulen zu gestalten, in denen Glaubenskommunikation geübt werden kann, so wenig darf in den Glaubenskurs genannten Formaten die Welt aus dem Blick geraten oder auch nur auf die Frage nach der Relevanz des Glaubens für die private Lebensführung reduziert werden. Eine auf (Wellness-)Spiritualität verkürzte praxis pietatis jedenfalls widerspricht faktisch der Frömmigkeit in der Nachfolge Christi.

Dem Anliegen einer offenen und öffentlichen Kirche24 verbunden, wollen die hier zusammengestellten Überlegungen einen Beitrag zu Gemeindebildung25 und Kirchenorganisation leisten. Das folgende Kapitel setzt sich dazu kritisch mit der Leitvorstellung des Gemeindewachstums auseinander, die die kirchlichen Reformanstrengungen der letzten Jahre orientierte; eine Leitvorstellung, die weniger trotz als mit der ihr eigenen missionarischen Akzentuierung stark innerkirchlich ausgerichtet ist. Im Kontrast dazu wird Bonhoeffers Bestimmung der Kirche als „für andere“, die zur Programmformel einer diakonischen und – im ökumenischen Horizont des Konziliaren Prozesses – im wohlverstandenen Sinne politischen Ausrichtung kirchlicher Gestaltung geworden ist, einer Prüfung unterzogen. Diese beiden Ansätze werden anschließend in einer missionstheologisch inspirierten Bestimmung der Aufgabe der Kirche kritisch aufgenommen, die die vorliegende Anregung zur Konziliaren Gemeindebildung26 fundiert.

Die Konziliare Gemeindebildung ist dezidiert nicht strategisch konzipiert. Sie gibt der Lebendigkeit des Glaubens der unterschiedlich Glaubenden Raum und kommuniziert die liebevolle Begeisterung durch das Evangelium, dass alle das Leben in Fülle haben sollen, in der Welt. Die aktualisierte Anregung zur Konziliaren Gemeindebildung weiß sich der missionarischen Gemeindeentwicklung wie kirchentheoretischen Ansätzen zugleich darin verbunden, dass die „Gemeinde“ – verstanden als Ort der Glaubenskommunikation bzw. als ereignishafter Kommunikationszusammenhang des Evangeliums – Kirche kontextuell konkret macht.

Die Konkretion aber ist es, die immer auch vereinzelt; gleich ob privat bzw. familial, lokal, milieuspezifisch oder thematisch. Auf diesen Punkt weist Isolde Karle mit Recht hin.27 Ihr Bestreben allerdings, mit der Feststellung, die Ortsgemeinde sei die integrativste Sozialform von Kirche (Günther Thomas), andere Gemeindeformen auf „Kontaktstellen zur Kirche“ zu reduzieren und die kirchengemeindliche Existenz von „Tourismus- und Akademiegemeinden, Citykirchenarbeit und Jugendkirchen“ mit dem Argument zu bestreiten, diese seien „ausgesprochen pfarrer- und dienstleistungsorientiert“ und zeigten „kein eigenes autonomes Leben“, überzeugt nicht. Zum einen lässt sich derartiges Gemeindeleben aufweisen, zum anderen ist eine solche Pfarrerorientierung auch in den traditionellen Ortsgemeinden zu finden. Dieses Argument ist angesichts der gerade auch von Karle betonten Zentralstellung des Pfarrdienstes für die Gemeindebildung nicht nachvollziehbar. Der Konziliaren Gemeindebildung vor Ort entspricht aufgrund der „kulturellen Segregation“ jeder Gemeinschaft allerdings notwendig die bewusst synodale Kooperation und gesamtkirchliche Vernetzung von Gemeinden am Ort, in der Region und darüber hinaus bis an alle Enden der Erde. Es geht eben um mehr als um die eine Gemeinde.

Ausgehend von Christoph Bäumler wird darum für nach außen offene Gemeinden und ein gleichberechtigtes, synodal vernetztes Miteinander unterschiedlicher Gemeindeformen argumentiert. Kirche und Gemeinde werden in diesem Zusammenhang im Streit der Welt verortet. Dieser ereignet sich nicht der Kirche gegenüber, sondern spiegelt in ihrem Inneren wider, dass die Glieder des Leibes Christi aufgrund ihrer spezifischen Lebensformen, sozialen Funktionen oder Berufen in sehr unterschiedlichen Graden von Nähe und Distanz zueinander in der Welt leben. Die Unterschiede zwischen Einzelnen und Gemeindetypen betreffen nicht allein Fragen der Ästhetik und der Frömmigkeitsstile. Auseinandersetzungen darüber, wie das Leben mit Gott geführt werden soll, sind unvermeidlich. Das Miteinander-Streiten wird im konziliaren Ansatz jedoch nicht als Problem der christlichen Einheit, sondern als Modus der Verbundenheit in der Suche nach Verständigung interpretiert. In der Teilhabe am Streit der Welt liegt der Schlüssel zur Überwindung einer dem Evangelium nicht entsprechenden Selbstbegrenzung der Gemeindearbeit auf mehr oder weniger homogene Binnenräume. In der Teilhabe am Streit der Welt ist die Kirche mit ihren Gemeinden eben „mittendrin“.

So richtig es ist, dass sich die Kirche „missionarisch“ dafür engagiert, dass Bedingungen wirklich werden, unter denen Gottes Geist Glauben wirken kann, so wenig ist die Kommunikation des Evangeliums auf kirchenorganisatorische und existentielle Fragen zu verengen. Mit Reiner Preul wird jene Haltung, wie sie sich beispielsweise in manchen der sogenannten Glaubenskurse niederschlägt, in Zusammenhang mit der Privatisierung von Religiosität gesehen, welche die gesellschaftliche Relevanz der Kirche verstellt. Die Verengung auf die vermeintlichen Kernkompetenzen des kirchlichen Handelns ist als Verzicht auf den Beitrag zur ethischen Orientierung und die gesellschaftliche Diskussion von Sinnfragen problematisch. „Mittendrin“ ist Kirche umso mehr, wenn sie in Kommunikation mit jenen tritt, die außerhalb der Kerngemeinde und ihren Grenzen glauben. Konziliarität wird mit Ernst Lange als die Form bestimmt, in der die verschiedenen Formen des gelebten Glaubens in ihrer Unterschiedlichkeit offen miteinander in Beziehung treten.

Im Kapitel „Kirche mittendrin“ wird konkret ein Beispiel erörtert, in dem sich eine Gemeinde an ihrem Ort für ihren Ort öffnet. Dieses Beispiel ist im Zusammenhang dieses Buches darum weiterführend, weil es einerseits die bewusste Öffnung und das Engagement einer Kirchengemeinde in ihrem Sozialraum veranschaulicht, andererseits aber zeigt, wie auch eine Gemeinwesenorientierung im problematisierten Konzept des Gemeindeaufbaus verfangen bleiben kann. Auch die Anregung zur Konziliaren Gemeindebildung fokussiert die gemeindliche Ebene, bzw. die gemeindlichen Ebenen, ist in ihrer Ausrichtung allerdings eben dezidiert nicht strategisch. In ihrer Absage an strategische Kirchenreform- oder Gemeindeaufbauprojekte wirbt sie für ortsspezifische Gestaltungen und die Vernetzung von Gemeinden, in der Gesellschaft und für die Welt.

Auch im Rahmen der Konziliaren Gemeindebildung kommt dem Pfarrdienst eine zentrale Bedeutung zu. Im Unterschied zur Betonung der Pfarrperson als Führungsgestalt im Missionarischen Gemeindeaufbau bzw. dem Gemeindemanagement wird der Pfarrdienst im folgenden Abschnitt (gemeinde-) pädagogisch als Leitungsaufgabe gefasst, in der es darum geht, mit der konkreten Gemeinde Aufgaben zu erfassen und zu bearbeiten, die sich im globalen Rahmen vor Ort stellen. Es geht um eine Gemeindepraxis ökumenischen Lernens.

So notwendig eine experimentelle Gemeindearbeit ist, die Entwicklung neuer Gemeindeformen und deren synodale Vernetzung, so wenig wird man damit doch den Bestand der Volkskirche sichern können. Vielleicht wird sie sogar aufs Spiel gesetzt.28 Missionstheologisch betrachtet geht es aber auch nicht um die Kirche, sondern um ihren Auftrag. Dem dienen die vielfältigen kirchlichen Angebote und experimentellen Formen, oder sie sind letztlich überflüssig. Die dieses Buch abschließende Reflexion auf die Metapher des Rands als Ausgangspunkt der Mission trägt dazu bei, sich von der Vorstellung zu verabschieden, der Ort der Kirche wäre mitten im Dorf. Ist die Kirche bei ihrer Sache, findet sie sich aus inhaltlichen Gründen am gesellschaftlichen Rand wieder. Kirche ist nicht einfach mitten in der Gesellschaft. Sie muss sich einmischen, vom Rand her.

In den Streit der Welt …

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