Читать книгу Autumn - Kaitlin Spencer - Страница 6

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Kapitel 2

Die streitenden Stimmen waren schon von Weitem zu hören, als Leavia den Korridor im Westflügel des Schlosses entlangging. Sie war auf dem Weg zur Anprobe eines neuen Ballkleides für die Feierlichkeiten anlässlich des Krönungsjubiläums ihres Vaters, das in wenigen Wochen stattfinden sollte. Auf dem Weg zur Schneiderin kam sie am Arbeitszimmer des Königs vorbei. Zu ihrer Überraschung stand die Tür offen, was für gewöhnlich nicht der Fall war, denn ihr Vater achtete sorgsam darauf, sie geschlossen zu halten. Der Disput, den sie vernahm, schien ernsthafter Natur zu sein, und so konnte sie nicht anders, als stehen zu bleiben und einen Blick in den Raum zu werfen. Der König saß hinter seinem mächtigen Schreibtisch, der auf einer niedrigen Empore stand, und starrte die Männer vor ihm zornig an. Seiner Miene nach zu urteilen war er voller Wut. Der Minister für Handel war ebenfalls anwesend und schwang gerade eine Rede über die mangelnde Vertrauenswürdigkeit der Länder jenseits der Königreiche der Jahreszeiten.

Neben ihm stand ein Mann in dunkler Kleidung, den Leavia noch nie zuvor gesehen hatte. Sein Haar war mit grauen Strähnen durchzogen und seine Haltung aufrecht wie die eines Soldaten. Die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt und seine Kiefer fest aufeinandergepresst, als müsse er sich beherrschen, den Minister nicht am Hals zu packen und zu erwürgen.

»Legat Horan, Ihr müsst einsehen, dass wir keine Verträge mit irgendwelchen Dahergelaufenen schließen werden«, sagte der Minister gerade in abfälligem Ton, als ihr Vater aufblickte und sie entdeckte.

»Leavia Autumn, bitte schließe die Tür und halte dich woanders auf«, forderte der König streng. »Deine Anwesenheit ist hier nicht erwünscht.«

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Sie trat vor, um die Tür zuzuziehen, als ihr Blick auf Kerem fiel, den sie zuvor nicht bemerkt hatte. Er stand neben dem Eingang des Zimmers, die Arme vor der Brust verschränkt. Als er sie nun anschaute, war es, als tobte in seinen Augen ein Orkan. Er wirkte düster, beinahe gefährlich, und Leavia kam nicht umhin, sich zu fragen, wer er war. Und wer war dieser Legat? Woher kamen sie? Der dunklen Kleidung nach zu urteilen, die Kerem trug, war er mit dem Abgesandten hierhergekommen, denn sie glich der seinen.

»Leavia«, mahnte ihr Vater erneut und schreckte sie aus ihren Gedanken. Verlegen nickte sie und schloss die Tür.

Auf dem Weg zur Anprobe ließ sie nicht los, was sie gehört und gesehen hatte. Besonders Kerems Gesicht stand ihr vor Augen.

***

»Ihr könnt jetzt von dem Podest steigen, Prinzessin«, erklärte die Schneiderin freundlich und trat ein Stück zurück, um ihr Platz zu machen. »Ich werde sehen, dass ich Euer Gewand bald fertig bekomme, sodass Ihr es ein abschließendes Mal vor dem Ball anprobieren könnt.«

Während der ganzen Zeit, in der ihr Kleid abgesteckt wurde, war es ihr nicht möglich gewesen, Kerem aus ihren Gedanken zu vertreiben. Und das, obwohl es schon gefühlte Stunden her war, seit sie ihn im Arbeitszimmer ihres Vaters gesehen hatte.

Sosehr sie sich von anderen Menschen fernhielt, sosehr hoffte sie, ihm bald wieder über den Weg zu laufen. Sehnsucht nach Geborgenheit war nichts Neues für Leavia. Wie könnte es auch anders sein? Immerhin verbrachte sie die meiste Zeit allein und fast alle um sie herum benahmen sich, als würden sie mit rohen Eiern jonglieren, sobald sie in der Nähe war. Sie vermisste es, umarmt zu werden. Spontan und fest. So fest, dass einem die Luft wegblieb. Sie wünschte sich, mit anderen gemeinsam zu lachen, doch meist verstummten die Gespräche und das Gelächter, sobald sie einen Raum betrat. Es gab so viele Momente der Einsamkeit, dass sie diese nicht mehr zählen konnte.

Leavia atmete tief durch, warf einen letzten Blick auf das Ballkleid aus dunkelroter Wildseide, die aus Sommer importiert worden war, und verabschiedete sich mit einem Nicken von der Schneiderin, die ihr freundlich zulächelte. Als eine von wenigen schien sie keine Abneigung gegen die Anwesenheit der Prinzessin zu verspüren.

»Wollt Ihr Euch einen Schal zu diesem Kleid weben?«, fragte die junge Frau.

»Das werde ich. Tatsächlich habe ich bereits damit begonnen.«

»Euer letztes Stück war wunderschön. Das, welches Ihr Eurer Mutter zum Geburtstag gefertigt habt. Ihr verfügt über wirklich großes Talent.«

»Danke.«

Eigentlich hatte Leavia nicht geplant, sich an diesem Tag an ihren Webstuhl zu setzen und zu arbeiten. Doch als sie nun mit der Schneiderin darüber sprach, erschien es ihr eine gute Idee zu sein.

Um vom Westflügel aus zum Ostturm zu gelangen, musste sie den Schlosshof überqueren. Als sie ins Freie trat, schlug ihr leichter Regen ins Gesicht, der sich am Morgen bereits durch graue Wolken am Himmel angekündigt hatte. Jetzt war es beinahe Mittag und es schien, als ob dieser Schauer erst der Beginn eines verregneten Tages werden würde. Also zog sie den Kopf ein und hastete über den Hof in Richtung des Turmes. Da sie nach unten blickte, bemerkte sie die Gestalt nicht rechtzeitig, die ihr entgegenkam und in die sie geradewegs hineinlief.

Erschrocken sah sie auf, direkt in sturmgraue Augen, die belustigt blitzten.

»Das scheint Euch zur Gewohnheit zu werden, Prinzessin«, sagte Kerem. »Ihr müsst es nur sagen, wenn Ihr mich sehen wollt. Ein Wort von Euch genügt und ich bin gewillt, der Prinzessin von Herbst Gesellschaft zu leisten.«

Leavia spürte, wie sich ihre Wangen vor Verlegenheit röteten.

»Es tut mir leid. Erneut habe ich nicht darauf geachtet, wohin ich laufe«, entschuldigte sie sich. »Manchmal ist mein Kopf einfach übervoll mit Dingen, was meiner Aufmerksamkeit nicht gerade zuträglich ist.«

»Ich habe mich nicht beschwert, sondern lediglich eine Feststellung getroffen«, erwiderte er gelassen. »Außerdem bin ich sehr erleichtert, dass Ihr es seid. Ein Zusammenstoß mit dem Minister für Handel wäre mir doch sehr unangenehm gewesen.«

Bei diesem Gedanken musste sie kichern. »Ich verstehe genau, was Ihr meint. Minister Verslun besitzt nicht gerade ein einnehmendes Wesen und noch weniger Charme. Im Gegenteil. Auch ich finde Begegnungen mit ihm verdrießlich.« Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Was denkt Ihr jetzt nur von mir?«

»Verslun also. Er hatte nicht einmal den Anstand, sich mit seinem Namen vorzustellen. Anscheinend sind wir Besucher aus dem Fernen Land nicht würdig genug, um uns mit Höflichkeit zu begegnen. Wie hat er uns genannt? Barbaren? Keine Sorge, ich werde keinem etwas verraten. Ihm am allerwenigsten«, versprach er mit einem Augenzwinkern. »Allerdings entfacht unser Zusammentreffen meine Neugier. Wohin wollt Ihr so dringend? Seid Ihr gewillt, es mir zu verraten?«

»Ich will mich an meine Arbeit begeben.«

»Arbeit?«

»Ja, an meinem Webstuhl.«

»Die Prinzessin von Herbst ist also eine kleine Weberin. Wer hätte das gedacht?«

Sie nickte und errötete erneut. »Es gefällt mir, etwas mit den Händen zu erschaffen. Sonst gibt es nicht viel für mich zu tun.«

»Würdet Ihr es mir zeigen?«

Erstaunt sah sie ihn an und glaubte tatsächlich, Interesse in seiner Miene lesen zu können.

»Wenn Ihr möchtet …«

»Es wäre mir ein Vergnügen. Schließlich trifft man nicht oft eine Königstochter, die Interesse am Handwerk hat und dieses auch ausübt.«

»Ihr scheint mit vielen Prinzessinnen bekannt zu sein.«

»Nicht wirklich.« Er zuckte mit der Schulter. »Nur was man vom Hörensagen kennt. Außer Euch bin ich bisher nur einer begegnet. Und die hatte eine Höckernase und schiefe Zähne.«

Leavia führte ihn zum Ostturm und dort die steile, steinerne Treppe hinauf bis zu der Kemenate, in der ihr Webstuhl stand, der den Großteil des kleinen Raumes einnahm. Im Kamin brannte ein Feuer, das angenehme Wärme verbreitete. Jeden Morgen kam ein Diener hierher, um es zu entfachen, damit sie nicht fror, sollte sie sich dazu entschließen, hier ein paar Stunden zu verbringen.

Licht fiel matt durch das Fenster, das der Tür gegenüberlag. An Tagen, an denen die Sonne schien, wurde der Raum davon durchflutet. Heute würde sie jedoch die beiden Lampen entzünden müssen, die links und rechts am Rahmen des Webstuhls angebracht waren.

Kerem trat näher und warf einen Blick auf die unvollendete Arbeit.

»Ein schönes Motiv. Was genau stellt es dar?«

»Das ist unser Lebensbaum«, erklärte Leavia. »Ein goldener Ahornbaum. Symbol all unserer Hoffnung. Unsere Lebensenergie.«

»Eine Legende?«

»Nein, es gibt ihn wirklich. Auch wenn ihn die meisten Menschen für einen Mythos halten, weil er seit Generationen in einem Gewölbe hier im Schloss verwahrt wird. Soviel ich weiß, werden auch in anderen Königreichen Geschichten darüber erzählt. Es hat vor langer Zeit einmal jemand versucht ihn zu stehlen, weshalb nur die königliche Familie noch Zugang dazu hat. Nicht einmal die Wachen dürfen den Raum betreten, in dem er verwahrt wird. Lediglich noch die Minister des königlichen Rates. Alles, was man heute noch außerhalb von Herbst über Marnas Dòrchas weiß, sind Gerüchte, die sich im Laufe der Zeit in alle Himmelsrichtungen zerstreut haben. Aber ich bin ohnehin die Einzige, die dort hinuntergeht.«

»Euer Geheimnis?«

»Kein sehr großes«, erwiderte sie.

»Ich werde dennoch darüber schweigen«, versprach er. »Würdet Ihr mir Euren Lebensbaum zeigen?«

»Sicher, warum nicht?«

»Wann?«

»Weshalb habt Ihr es so eilig damit?«, wollte sie wissen.

»Es versichert mir nur, dass ich Euch bald wiedersehen und Eure Gesellschaft genießen kann, Prinzessin.«

Sie neigte den Kopf leicht zur Seite und sah ihn an. »Wer seid Ihr?«, rutschte es ihr heraus.

»Was meint Ihr?« Er schien überrascht von dieser Frage zu sein.

»Ihr habt bestimmt gehört, was man sich über meine … Gabe … erzählt.«

Kerem nickte.

»Dann wisst Ihr, was geschieht, wenn ich einen Menschen berühre. Doch als ich mit Euch nach der Audienz zusammenstieß, war da … nichts. Das ist noch nie zuvor geschehen.«

»Und Ihr denkt, es liegt an mir?«

»Es muss so sein.«

»Ich enttäusche Euch ungern, Hoheit«, sagte er. »An mir ist rein gar nichts Ungewöhnliches. Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch.«

»Dessen bin ich mir nicht so sicher«, murmelte sie.

»Prinzessin, ich muss leider zurück. Legat Horan wartet sicher schon auf mich und wird sich fragen, wo ich geblieben bin.« Er verneigte sich vor ihr. »Verzeiht, aber ich muss gehen.«

»Oh, ich hoffe, ich habe Euch nicht von Euren Pflichten abgehalten. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn Ihr wegen mir Probleme bekommen würdet.«

»Ein wenig, doch unsere kleine Unterhaltung war es mir wert. Der Legat wird es schon verkraften, dass ich mich ein paar Minuten verspäte«, erwiderte er, bevor er mit eiligen Schritten davonging.

Autumn

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