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Der Traum vom Albtraum wird wahr -
Immer noch November 2014
ОглавлениеDie Geschwindigkeit, mit der auf die Nachfrage reagiert wird, macht schon fast wieder misstrauisch.
Natürlich kann ein Besichtigungstermin vereinbart werden und zwar jederzeit, ganz nach Belieben.
Wann würde es denn passen? Gibt es eine Telefonnummer?
Die wird hinterlassen und schon am nächsten Tag kommt der Anruf, wann hätten Sie denn Zeit, vielleicht gleich morgen?
Das wäre mitten in der Woche und unsereins muss arbeiten, nach der Arbeit allerdings ist es bereits dunkel und irgendwie...
"Wie wäre es denn mit Sonnabend? Vielleicht am Vormittag?"
Am Sonnabend? Da ist doch Wochenende. Nein, das möchten wir dem armen Makler aber nun wirklich nicht zumuten...
"Das ist kein Problem. Sagen wir: Samstag um elf? Da ist es hell und man kann sich alles in Ruhe ansehen, ohne übermäßig früh aufstehen zu müssen."
Na herzlichen Dank für das Entgegenkommen und der Termin ist gebont.
Zwar sind wir noch lange nicht in dem Stadtium, dass wir auch nur annähernd an eine Kaufentscheidung denken, aber die alten Öfen in den leeren Räumen, mit denen hat das Gehirn sich bereits zu beschäftigen begonnen und gibt jetzt auch keine Ruhe mehr.
Kann man die vielleicht noch benutzen? Was ist mit den Schornsteinen? Wer könnte darüber Auskunft geben?
Na, wer denn wohl! Der Schornsteinfeger natürlich und ruckzuck wird die triste Zeit genutzt, den zuständigen Schornsteinfegermeister für das kleine Dorf ausfindig zu machen.
Wie wunderbar ist doch so ein Internet, in dem sich nicht nur ermitteln lässt, dass der zuständige Meister in diesem Falle eine Meisterin ist, sondern auch sonst alles Mögliche zum Thema Fachwerk, Haltbarkeit, Sanierungsfehler und Bauen nach alter Art zu entdecken ist.
So langsam wird Blut geleckt, das Haus scheint zwar immer noch eine Katastrophe zu sein, die Scheune nicht minder, andererseits aber sind offensichtlich die typischen Kaputtsanierungsfehler, die ein Fachwerkhaus zugrunde richten können, hier vermieden worden.
Kein unnützer Behang am Westgiebel, dafür eine kleine Wölbung der untersten Dachkante, die das Regenwasser von der Wand fernhält, die wiederum dem Wind ausgesetzt nach einem kräftigen Regen schnell wieder abtrocknen kann.
Die Ausrichtung des Langgebäudes nach Süden, wodurch der Bau nicht nur hell, sondern auch nicht dem Westwetter ausgesetzt ist.
Ein kleiner Dachüberstand, gerade mal so bemessen, dass die gesamte Fassade, alle Fenster und das untere Mauerwerk absolut trocken liegen.
Die Balken offenporig und nicht mit irgendwelchen "Schutzanstrichen" übertüncht, die das Holz dem Verfall durch Vergammeln aussetzen würden.
Zum Teil, und das fällt erst beim hundersten Mal Betrachten der Fotos auf, sind sogar noch die alten Sprossenfenster vorhanden, wenn ihnen auch die Glasscheiben abhanden gekommen und durch Plastik ersetzt worden sind.
Liest man sich durch die verschiedenen Fachwerkforen, bekommt man langsam den Eindruck, dieses Haus ist in seiner ganzen Schlichtheit einfach mal so belassen worden, wie es ursprünglich gebaut wurde und jetzt fängt das geleckte Blut an, Begierden zu wecken und wir möchten etwas mehr über die Historie des Ganzen erfahren.
Sonnabend also soll es sein und wenn schon der Makler so freundlich ist, sein Wochenende zu opfern, dann soll er wenigstens ein bisschen verwöhnt werden, weshalb wir beschließen, die erste Besichtigung wird mit Kaffee und Mettbrötchen begleitet.
Ein paar Bekannte und Freunde werden noch informiert und hinzugebeten, die immerhin über einigen Sachverstand verfügen und schließlich die Bezirksschornsteinfegermeisterin kontaktiert mit der harmlosen Frage, ob die alten Öfen in dem alten Gebäude wohl noch weiter betrieben werden dürfen.
Das kann sie aus der Ferne nicht beurteilen, müsste sich einen Eindruck vor Ort verschaffen und für diesen Eindruck gibt es nur eine einzige Möglichkeit: Sonnabend um elf.
"Am Samstag haben wir einen Besichtigungstermin", wird die Meisterin daher per Mail informiert "und es werden Mettbrötchen mit Kaffee gereicht."
"Für Mettbrötchen mache ich fast alles und obwohl am Sonnabend mein Bürotag ist, könnte es eventuell möglich sein, dass ich mal ganz kurz vorbeischaue."
Das finden wir supernett, der Samstag kommt, es ist zwar kalt, aber der Wetterfrosch ist gnädig und verheißt für den Tag strahlenden Sonnenschein.
Genau den haben wir auch, fahren zum verabredeten Termin in das kleine Dorf, trauen uns mit dem Auto jetzt auch schon mal auf den Hof, öffnen die Heckklappe, stellen die Kaffee-Pumpkanne bereit, die Mettbrötchen werden drapiert, Plastiktassen, Zucker, Milch, kleine Löffelchen, alles ist bereit, Hund Fritz ist schon wieder am Herumsausen und tatsächlich, kurz vor elf kommt ein Auto nach dem Anderen vorgefahren und auf dem verlassenen Hof ist auf einmal richtig was los.
Zuerst die Freunde, ein kleines Drückerchen, na lasst mal sehen, oh je, das sieht aber ziemlich marode aus, dann die Kinder, die den Mund schief ziehen, sich aber jeden Kommentar verkneifen, endlich der Makler in Begleitung einer netten Kollegin und am Ende, nein, nicht zu fassen, erscheint eine kleine blonde Frau im schwarzen Outfit, einen Werkzeugkoffer in der Linken und mit der Rechten drückt sie uns die Pranke, dass man gleich merkt, die ist Zupacken gewöhnt, während sie sich vorstellt:
"Hallo, ich bin die zuständige Bezirkschornsteinfegerin und ich dachte mir, ich schaue gleich mal vorbei, immerhin habe ich da was von Mettbrötchen läuten gehört."
Ja, genau, liebe Leute, greift zu, erst mal stärken, danach kommt das Geschäftliche, während die Maklerskollegin zwischen zwei Schluck Kaffee murmelt:
"So eine Schornsteinfegerin hätte ich auch gerne. Und überhaupt! Ich mache dieses Geschäft ja schon recht lange, aber so eine schöne Besichtigung hatte ich auch noch nicht.
Das ist ja überhaupt gar nicht mehr als Arbeit zu bezeichnen, das ist ja das reinste Freizeitvergnügen.
Kommen Sie, ich schließe nebenbei mal auf, dann können wir zwischen zwei Brötchen ein bisschen rumlaufen und schauen."
Die Tür hakt ein wenig, ist offensichtlich gar nicht mehr gewöhnt, aufgeschlossen zu werden, schließlich aber gelingt es und als erstes flitzt Fritz der Hund in das stillgelegte Gebäude, um mit heraushängender Zunge alle Räume abzurennen.
Das große Scheunentor wird auch noch geöffnet, in dem alle Männer verschwinden, während wir Frauen eintreten in ein altes Haus, man weiß nicht, aus welcher Zeit, und uns schnuppernd und schauend von Raum zu Raum vorwärtsbewegen.
Dreihundert Quadratmeter sind viel viel Platz und gleich alles zu erfassen völlig unmöglich.
Das Haus riecht zunächst etwas abgestanden, aber nicht feucht und gar nicht gammelig.
Nein, Schimmel scheint es hier nicht zu geben. Das PVC auf den Fußböden dürfte der Grund für den etwas muffigen Geruch sein oder vielleicht auch der eklige alte braune Teppichbelag.
Der linke Teil des Hauses ist so, wie man sich vorstellt, dass ein alter Mann sich sein Heim schön zurechtmacht:
Alle Decken abgehängt, alles Alte verbannt, Auslegeware in braun, neue Fenster aus den Siebzigern ohne lästige Streben, Tapete mit Glitzer und Struktur, in der ersten Etage gar noch ein Rundbogen zwischen zwei Räumen, eine mit Holz umbaute Nachtspeicherheizung und eine typische Siebzigerjahredurchreiche von der Küche ins Esszimmer.
"Das ist so skurril und schon wieder so typisch siebziger Jahre, das müsste man eigentlich als Museum erhalten", spricht Norbert, der Bauingenieur, der nicht nur an alten Autos, sondern auch an alten Häusern Interesse hat und das heilige Familienwochenende mal eben kurz für die Besichtigung des Objektes geopfert hat.
Sicherlich, das ist natürlich alles aus der Sicht der Bewohner von damals ganz ordentlich gemacht, hat aber mit romatischen Fachwerkträumen nicht viel gemein.
Nun gut, verlassen wir einfach mal den zuletzt bewohnten Teil des Hauses und wenden uns der anderen Hälfte zu, die ganz offensichtlich schon vor sehr viel längerer Zeit aufgegeben wurde.
Hier ist das Haus noch ursprünglicher, es gibt alte Türen, Sprossenfenster, ziemlich klein und völlig rottig, aber noch zu retten, wie die Maklerin sofort erklärt, die Decken haben ihre normale Höhe und die Balken sind, so wie es eigentlich sein sollte, mit einer dicken Schicht umgeben und anschließend tapeziert worden.
"Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf?"
Natürlich, gern. Jeder Rat ist hier willkommen. Schließlich sind wir absolute Laien auf dem Gebiet des Haussanierens.
"Ich habe schon mehrere alte Häuser gekauft und instandgesetzt.
Es ist ja ein wenig in Mode gekommen, die alten Balken freizulegen, sie mit Holzbeize zu bearbeiten und dann offenliegend stehenzulassen.
So ist es aber historisch nicht richtig.
Ursprünglich wurden die Balken, genau wie Sie es hier sehen, mit einem dicken Mantel aus Lehm umgeben und der Lehm wurde mit einer Kalkschicht überzogen.
Das ist einerseits Brandschutz und andererseits Holzschutz.
Der Lehm sorgt dafür, dass die Balken trocken bleiben und kein Feuer fangen können", spricht die Maklerin, die gleichzeitig "Hausmacherin" ist, wie sie sich selber bezeichnet.
"Da kann ich nur zustimmen", meldet sich auch gleich die Schornsteinfegerin zu Wort.
"Das, was wir hier sehen, ist genau die Art, wie man damals die Häuser vor Verfall und Brand geschützt hat und nach heutigen Erkenntnissen kann ich nur sagen, nichts verändern, sondern alles so lassen, wie es ist.
Ein bisschen Farbe vielleicht und die Spinnweben wegmachen, aber ansonsten ist das hier alles in einem sehr guten Zustand."
"Sehe ich genau so", kommt jetzt auch noch Norbert hinzu.
"Da hinten, in dem kleinen Raum, da ist zwar ein Balken weggefault, weil wahrscheinlich durch eine undichte Stelle im Dach Wasser eingedrungen ist, aber das ist ja das Wunderbare an Fachwerkbauten, die halten auch dann noch, wenn moderne Häuser sich schon längst verabschiedet haben.
Ich würde sagen, der Balken ist schon viele Jahre zerstört, dennoch hält die ganze Konstruktion sozusagen aus Gewohnheit und weil sie nichts Anderes kennt."
"Man sagt ja immer: So ein Fachwerkhaus, das hält notfalls auch noch auf einem Ständer" – die Hausmacherin – "stimmt, so kenne ich das auch" – der Ingenieur – "der alte Teil hier ist perfekt feuergeschützt, da fehlt es an nichts und ich schlage vor, wir gehen mal auf das Dach, um zu sehen, von wo die Nässe auf den Balken aufschlägt" – die Meisterin für Feuerkram und alle gemeinsam klettern eine kleine Stiege zum Dachboden hinauf, sind bereits eine eingeschworene Gemeinschaft und nur die Kaufinteressentin ist ein wenig außen vor, hat von nichts eine Ahnung und kann sich einfach nur mal den jetzt schon reichlich begeisterten Fachleuten anschließen.
Das Erklettern der engen Stiege ist eine Sache, die die Drei mit traumwandlerischer Sicherheit bewerkstelligen, während man selber etwas wackelig auf den Beinen hinterherzuckelt, sich aber auch keine Blöße geben möchte und so stehen wir alsbald auf dem großen Dachboden mit den vielen Schloten und darauf angebrachten Schornsteinfegerzeichen.
"Sehen Sie hier? Das ist ein stillgelegter Schlot. Da hat einer meiner Kollegen vor langer Zeit dieses Zeichen, ein Kreuz, draufgemalt.
Soll heißen, diesen Zug kann man nicht mehr betreiben.
Aber der hier, dieser große Schornstein, der ist auf jeden Fall noch aktuell und ich schaue jetzt mal, ob der nach oben noch offen ist."
Sprichts und aus der mitgeführten Werkzeugtasche wird ein Spiegel an einem Stock entnommen, der durch eine Klappe in den Schlot eingeführt und nach oben gehalten wird.
Das Ganze bekommt Licht durch eine kleine Lampe und im Spiegel erkennen wir, dass oben die Ausgangsöffnung völlig frei ist.
"Was meinen Sie wohl, was man bei so alten Häusern da oben alles zu sehen bekommt.
Bis hin zu kleinen Birken mit Vogelnestern ist alles drin, aber in diesem Fall ist alles in Ordnung und ich würde sagen, diesen Schlot, den können Sie ohne alle Probleme direkt so in Betrieb nehmen.
Schauen wir uns doch noch mal eben den Dachstuhl an:
Ahh, sehen Sie? Dort drüben, da ist die Stelle: Da ist ein Dachziegel verrutscht und lässt Wasser nach unten durchdringen.
Darum ist auch der Balken in dem Raum darumter angegriffen.
Dürfte aber kein großes Problem sein. Kennen sie einen Dachdecker? Der wird das mit wenig Aufwand richten können und hier oben liegen ja auch noch ein paar Ziegel aufgestapelt, an denen er sich bedienen kann.
Also, wenn Sie mich fragen: Das Holz ist in Ordnung, der Dachstuhl riecht gut, die Schlote sind betreibungsfähig, Schwamm oder Pilz haben Sie hier nicht, das würde man am Geruch merken, es ist alles so weit trocken bis eben auf die eine Stelle und ganz ehrlich mal:
Also, mich spricht dieses Haus an.
Ich würde es jetzt nicht kaufen wollen, weil ich so etwas nicht gebrauchen kann, aber irgendwie hat das was."
Spricht die Bezirksschornsteinfegermeisterin und mit diesem einen einzigen Satz löst sie wahrscheinlich aus, was kurze Zeit danach geschehen soll.
Aber noch sind wir auf dem Dachboden, klettern schließlich wieder hinunter, haben noch einen Blick auf den ramponierten Balken, der aber mit wenig Aufwand auszuwechseln wäre, kommen wieder zurück in die untere Etage und stehen schließlich in der ehemaligen Küche.
"Ahh, schauen Sie mal! Das hier, das ist ein Steiger!"
Die kleine blonde Frau zieht irgendein Werkzeug aus ihrer Tasche, hämmert ein paar Mal gegen verrostete Scharniere, bis die nachgeben und sich eine Eisenklappe in der Größe eines Schulranzens öffnet.
"Hier, ein echter Steiger. So etwas kenne ich nur aus meiner Ausbildung, das hat es nur noch selten.
Sehen Sie? Durch diese Klappe hier kann der Schornsteinfeger einsteigen und in dem Schlot hochklettern, um ihn auf Schäden zu untersuchen und zu reinigen.
Total interessant, kennt man heute gar nicht mehr..
Ich halte noch mal eben kurz den Spiegel rein -
alles total in Ordnung. Kein "Glanz", wie wir das nennen.
So etwas kommt, wenn die Schornsteine feucht werden und sich der Ruß als feste glänzende Schicht an den Wänden absetzt.
Wenn man das wieder wegbekommen will, muss man richtig mit Gerät arbeiten und das ist, ehrlich gesagt, eine Sauarbeit.
Das Ding hier aber ist absolut in Ordnung und ich würde mal sagen, kann sofort so, in dem Zustand, auch wieder betrieben werden.
Nur bitte nicht mit einem alten Ofen, denn wir haben neue Bestimmungen und nach denen ist es nicht mehr erlaubt, alte Öfen einfach mal neu irgendwo hinzustellen.
Wenn Sie das Haus kaufen sollten und möchten hier in der Küche heizen, würde ich sagen, lieber ein neues Modell im alten Outfit kaufen, so etwas gibt es von italienischen Firmen und dann haben wir auch keinen Stress.
Also, ich muss schon sagen, das war wirklich ein anregender Vormittag und allemal besser als langweilige Büroarbeit.
Es hat mir großen Spaß gemacht und wenn Sie sich doch zum Kauf entschließen sollten, werden wir ja öfter miteinander zu tun haben.
Vielen Dank für die nette Einladung und vielleicht bis irgendwann dann mal."
Da bedankt sich doch tatsächlich die Schornsteinfegerin dafür, dass sie das Haus inspizieren und eine fachkundige Meinung abgeben durfte.
Halt, Moment noch mal, Sie sind schließlich dienstlich hier und machen Ihren Job.
Bitte schicken Sie mir eine Rechnung für Ihre Leistung, denn immerhin haben Sie einen ganz erheblichen Anteil an der Entscheidungsfindung geleistet!
"Eine Rechnung? Für so einen schönen Tag? Nee, das war Vergnügen pur! Ich wünsche Ihnen eine schöne Zukunft mit ihrem Projekt und so, wie Sie drauf sind, wird das auch was, davon bin ich absolut überzeugt.
Wenn Sie mich brauchen, bin ich da und das nächste Mal gibt es auch ganz bestimmt eine Rechnung. Vielen Dank noch mal für die super Bewirtung und den schönen Vormittag!"
"Meine" Bezirksschornsteinfegermeisterin steigt in ihr Auto ein, winkt noch mal kurz zum Abschied und "meine" Maklerin und Hausmacherin schaut noch einmal ganz neidisch hinterher.
"So eine wünschte ich mir auch......", hört man sie murmeln, während die Männerschar in Begleitung des Maklers gerade aus der Scheune zu uns stößt.
"Na? Hast du's dir überlegt? Ist'n bisschen zu heftig für Nicht-Bauleute, würde ich sagen.
Das Haus allein von außen ist ja schon ein Geldgrab und die Scheune eine halbe Ruine.
Da sind mehrere Balken richtig durchgebrochen und wenn man die wieder richten will, kann man vorher erst mal die ganzen Mauern abtragen und den Dachstuhl womöglich auch.
Ich würde die Finger davon lassen und ich weiß, wovon ich spreche."
"Also zu der Scheune muss ich vielleicht noch mal eine Erklärung abgeben", meldet sich der Makler zu Wort, dem die nicht gerade verkaufsfördernden Bemerkungen des besorgten Freundes offensichtlich Unbehagen bereiten.
"Der linke Teil der Scheune ist alt und sicherlich auch nicht mehr im besten Zustand, da gebe ich Ihnen durchaus Recht.
Aber der rechte Teil, der ist neuer und schon in der Art später Industriebauten erstellt.
Die Pfeiler sind aus Eisen und die Decke darüber ebenfalls. Und Sie sehen von hier draußen, dass die rechte Dachhälfte komplett in Ordnung ist und der First vollkommen gerade verläuft.
Zumindest den Teil kann man ohne großen Aufwand reinigen, kalken und fast schon so in Betrieb nehmen.
Für die durchgebrochenen Tragbalken könnte ich mir vorstellen, dass es da eine Lösung gibt zum Beispiel mit T-Trägern oder Ähnlichem."
"Klar, für jedes Problem gibt es eine Lösung, wenn man das Geld dafür hat."
Nun gut, dass man einen Traum selten für null erfüllen kann, das wissen wir natürlich auch.
Aber immerhin: Wir sind um die Lebensmitte, die Kinder aus dem Haus, wir gehen beide jeden Morgen brav zur Arbeit, um abends nach acht Stunden wiederzukommen und ein ganz kleines bisschen was bringt das ja auch ein.
Die Förderung der Langzeitstudenten ist inzwischen auch abgeschlossen und das freigesetzte Geld muss schließlich irgendwo sinnvoll investiert werden.
Bei den Banken gibt es so gut wie keine Zinsen mehr und überhaupt, was soll man mit Geld, wenn man dafür zu Hause blöde vor dem Fernseher herumsitzt und sich langweilt.
"Na, schöne Reisen machen natürlich oder mal ein neues Auto".
Schöne Reisen? Immerzu irgendwo zwei Wochen hinfahren, wo dauernd die Sonne scheint, das Meer immer gleich blau glänzt und die Erde im Sommer verbrannt und im Winter genau so nass wie hier ist?
Nichts gegen Reisen, die machen wir ja schon ab und an, aber ein Lebensinhalt würde das niemals werden.
Hier zu Hause ist es so schön und man muss ja nur mal einen Blick zwischen Haus und Scheune hindurchwerfen, um zu wissen, was gemeint ist.
Gleich hinter dem Dorf erhebt sich ein kleiner Höhenzug, herrlich mit Laubwald bestanden, bestimmt ausgezeichnet zum Wandern geeignet, das Dorf ist umgeben von hügeligen Feldern und man weiß, hier in der Gegen wird viel Raps angebaut, so dass es im Frühling ganz wunderbar gelb leuchten und intensiv duften wird.
Das Kirchlein oben im Dorf mit den uralten Mauern und dem idyllischen Kirchgarten umzu, gleich dahinter wieder hügeliges Land und ein Blick ganz ganz weit in die Ferne.
"Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah!
Lerne nur das Glück ergreifen,
denn das Glück ist immer da!"
Der gute alte Johann Wolfgang, wie recht der doch wieder einmal haben soll.
Warum in die Ferne schweifen, wenn das wahre Glück zehn Kilometer entfernt vor der Haustür liegt und plötzlich und für Alle offensichtlich etwas unerwartet platzt es heraus:
"Ich kaufe das Haus!"
"Wie?"
Der Gemahl ist ein wenig fassungslos, so etwas bespricht man ja wohl erst noch mal unter vier Augen und überhaupt, vor einem Kauf würde er jetzt gern selber noch einmal durch die Bruchbude gehen und sich einen Eindruck verschaffen.
So haben wir nicht gewettet, dass, mitten unter all den Leuten noch dazu, eine einsame Entscheidung getroffen wird und man selber nachher am Ruin beteiligt ist.
"Ich kaufe das, beschlossen. Ich glaube, das ist genau, was ich brauche!"
Ohne länger diskutieren zu wollen, wird ein Mettbrötchen geschnappt, ein Becher Kaffee dazu und dem Hund Fritz mitgeteilt, er kann sich freuen, denn demnächst werden Frauchen und Hundchen sich hier auf dem Hof gemütliche sonnige Tage machen und Herrchen kann da jetzt schimpfen, was er will, der Entschluss ist gefasst.
"Ich glaube, das Haus passt zu Ihnen", raunt die Maklerinnenstimme in das Ohr.
Klar doch, sie will ein Geschäft machen, aber irgendwie wirkt sie dabei gar nichts geschäftstüchtig.
Eher – überzeugt.
"Ich habe schon verstanden, was Sie hier vorhaben und ich glaube, das wird was, auch wenn einige Ihrer Bekannten offensichtlich meinen, Sie hätten keinen Plan und seien etwas sehr sprunghaft und unüberlegt in Ihren Entscheidungen.
Ich sehe Sie hier tatsächlich schon vor dem Haus in der Sonne sitzen, ab und zu mal hineingehen und im Atelier arbeiten, bei Bedarf alles liegenlassen und ein bisschen im nächsten Zimmer renovieren, ein paar Käsehäppchen naschen und vielleicht mit einer Freundin Rotwein trinken.
Ich verstehe das sehr gut, bin ich doch ganz ähnlich gestrickt und habe nicht nur einmal im Leben eine solche Spontanentscheidung bei einem alten Haus getroffen.
Ich bin begeisterte "Hausmacherin" und wenn Sie irgendwie mal einen Rat, Hilfe oder vielleicht einen ordentlichen Handwerker brauchen, melden Sie sich bei mir.
Hier haben Sie meine Karte."
"Wissen Sie eigentlich, warum die Hausmacherwurst Hausmacherwurst heißt?"
Nein, das weiß die Maklerin nicht. Wahrscheinlich weil sie zu Hause gemacht wird.
Nein, so ist das nicht.
Damals, als sich die Zimmerleute noch Hausmacher nannten, da bauten sie in der warmen Jahreszeit Häuser, im Winter aber, da machten sie Wurst, um irgendwelche Einkünfte zu haben, und daher kommt der Name "Hausmacherwurst".
"Ist das wahr? Das habe ich auch noch nicht gehört. Woher wissen Sie denn das?"
"Von meinem Vater, der gehörte auch zu denen."
"Da habe ich ja in Sachen Hausbau noch richtig was dazu gelernt.
Ein wunderbarer Ausflug war das.
Ich muss mich jetzt verabschieden, aber wenn Sie irgendetwas wissen wollen, rufen Sie mich an, ich stehe Ihnen zur Verfügung."
Gleich zwei Fachfrauen an meiner Seite und das an einem einzigen Tag und natürlich nicht zu vergessen meine liebe Freundin Bärbel, die Bauingenieurin, die das ganze Projekt zunächst mit etwas Skepsis betrachtet, aber schon eine Stunde später eine kleine Nachricht sendet:
"Habe noch mal nachgedacht. Meinen Segen hast du!"
Segen kann nie schaden und obwohl der Gemahl ein bisschen muckelig daherkommt der einsamen und nicht gemeinsam gefällten Entscheidung wegen, ist doch die eigene Laune so was von gut, dass man schreien könnte vor Freude.
Ein Haus, ein Haus, ein Haus – dreihundert ganze Quadratmeter und nur für mich ganz alleine!!
Platz für ein Atelier, ein Raum für Material, ein Gästezimmer, eine Küche, oben Platz für weitere Gästezimmer, vielleicht ein Seminarraum, in dem sich nach der Verrentung Malkurse geben lassen, ein großer Hof für Flohmärkte oder vielleicht ein Sommer-Hofcafé....
Alles ist drin, nichts unmöglich, aber nichts drängt und wenn alles nicht klappt, dann kann man immer noch schön in der Sonne sitzen und Fritz beim Wälzen im Gras zuschauen.