Читать книгу Herzensangelegenheiten - Karin Büchel - Страница 6
Post für dich
ОглавлениеLieber Jonny!
Wenn ich Dir nach all den Jahren schreibe, heißt das nicht, dass Du mir noch etwas bedeutest.
Nein, mein Lieber!
Diese Zeit mit Dir habe ich längst hinter mir gelassen, abgehakt wie einen Zahnarzttermin, auch wenn ich oft mit Wehmut an sie zurück denke. Sie war schön, die Zeit! Sehr schön! Wenn ich die Fotos sehe auf denen Du mich so liebevoll anlächelst oder mich umarmst schnürt sich auch heute noch meine Kehle zu. Vor allem wenn ich das Foto in den Händen halte auf dem wir beide nebeneinander auf der Wiese sitzen, zwischen blühendem Mohn und duftenden Wiesenblumen. Du hattest Deine linke Hand auf meinem Arm gelegt und mir einen Kuss gegeben. Ganz zaghaft, ganz sanft. Es war unser erster Kuss den ich nie vergessen werde.
Damals hat mein kleiner Bruder dieses Foto gemacht, heimlich ohne dass wir es bemerkten. Er saß auf dem Nussbaum und hat uns beobachtet. Als ich davon erfuhr hätte ihn fast erwürgt. Heute bin ich froh dass er es gemacht hat. Wir waren noch so jung damals. So unerfahren und wollten die Welt erobern. Wollten den Himalaja besteigen, zu Fuß durch die Pyrenäen wandern, durch den Atlantik schwimmen und sahen uns schon als die ersten Raumfahrtpioniere im Weltall.
Vor allem Du. Du warst so voller Ideen, so neugierig auf das Leben, auf die Zukunft. Kanntest keine Angst. Wolltest jedes Hindernis aus dem Weg räumen. Du hattest Träume die unglaublich waren. So großartig. So wahnsinnig. Du hast mich total eingenommen, total verzaubert. Deine Art die Sorgen wegzuwischen, die Schatten zu erhellen und die Tränen zu trocknen habe ich geliebt wie nichts auf der ganzen Welt. Ich wollte mit Dir mein ganzes Leben verbringen, mit Dir gemeinsam die Weite des Landes erobern. Mit Dir sterben. Irgendwann einmal.
Als ich dann gestern Abend in der Stadt war, weil ich mal wieder Brot für das Abendessen vergessen hatte, da habe ich Dich gesehen. Nur ganz kurz. Im vorbei fahren.
Du schienst auf eine Straßenbahn zu warten, so kam es mir vor. Ich habe Dich sofort wieder erkannt. Deine immer noch sportliche Figur, dein markantes Gesicht und deine dunklen Haare.
Wie wild habe ich im Bus gewunken, an die Scheibe geklopft und Deinen Namen gerufen. Vergebens.
Du warst mit dem Lesen des Fahrplans beschäftigt. Ganz weltmännisch, so wie früher, nur nicht mehr so unbeschwert, schien es mir. Du wirktest nachdenklich, sahst nicht gerade glücklich aus. Hast du Kummer? Früher hast Du immer gesagt: „Kummer gibt es nicht. Probleme sind nur da um gelöst zu werden.“
Wo ist dein Optimismus? Deine Lebenslust?
Du hast mich nicht gesehen. Kein Blick in meine Richtung. Wie solltest Du auch wissen, dass ich in dem Bus saß?
Mein Gott, wie lange haben wir uns nicht gesehen? Acht oder neun Jahre müssen es sein. Vielleicht auch mehr. Du hast dich kaum verändert. - Doch! Dein Haar ist etwas lichter geworden, wie ich durch die schmierige Scheibe sehen konnte.
Was machst du hier? Hier in der Stadt in der ich lebe. Du bist damals Hals über Kopf in die Vereinigten Staaten geflogen. Mit Mary, wenn ich mich richtig erinnere. Oder hieß sie Luzie?
Kein Abschied, keine Erklärung.
Aber gut. Ich musste es akzeptieren.
Und dann sehe ich Dich an der Haltestelle stehen.
Ich muss Dir einfach schreiben. Denke bitte jetzt nichts Falsches von mir.
Auf der Suche nach deiner Adresse stellte ich dann erstaunt fest, dass Du ja ganz in der Nähe von mir lebst.
Erinnerst Du Dich eigentlich noch an mich? An die verrückten Sachen die wir gemacht haben, die endlosen Diskussionen mit deinen Kommilitonen, an die durchtanzten Nächte in der Diskothek „Twenty- Five“ und die langen, gemütlichen Besuche in der Pizzeria bei „Roberto“? In Schuhen, sonst hätten wir die Pizzeria nicht betreten dürfen. Wir liebten es nämlich barfuß zu laufen. Es erdete uns, gab uns das Gefühl von Freiheit und unendlicher Jugend.
Es ist lange her. Viel ist in der Zwischenzeit passiert. Sehr viel.
Wenn Du die Zeilen liest und Dich nicht mehr an mich erinnerst, dann zerreiße den Brief einfach. Werfe ihn fort und denke nicht weiter darüber nach.
Ansonsten würde ich mich riesig freuen von Dir zu hören. Du alter Träumer, Du!
Kannst Du Dich noch an all die vielen Pläne erinnern die wir auf der Barkasse deines Freundes Manni geschmiedet habe? Bei zu viel Bier und zu viel Wodka. An die vielen Stadtpläne die wir gemeinsam studiert haben und an die wunderschönen Abende in der Scheune? Unsere erste, gemeinsame Nacht zwischen Heuballen und blökenden Kühen und an den Ärger danach mit meinen Eltern, die uns erwischt haben?
Oh, jetzt werde ich albern und wehmütig. Etwas sentimental. Das will ich nicht. Aber ich würde mich freuen von Dir zu hören.
Es wäre schön!
Denn wenn ich mich richtig erinnere, habe ich noch nie Post von Dir bekommen.
Oder?
Deine Luisa
„Mancher sucht ein Leben lang die Brille
der Erkenntnis,
ohne zu merken, dass er sie schon auf der Nase hat.“
Wilhelm Raabe