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„Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellung“

(Erich Fromm)

Was ist ein glückliches

und erfülltes Leben?

1. Was heißt „Glück“ und „Glücklichsein“

Was verstehen wir unter Glücklich- und Unglücklichsein? Was heißt es, glücklich zu leben?

Das Wort „Glück“ stammt vom mittelhochdeutschen „gelücke“ ab, was in etwa „Geschick, günstiger Ausgang, guter Lebensunterhalt“ (Duden) bedeutet. Wir verstehen hier Glück nicht im Sinne von „Glück haben“ (englisch: luck), sondern in der Bedeutung von „Glücklichsein“ (englisch: happiness). Wenn jemand sagt „Ich habe Glück gehabt“, dann ist damit meist etwas Zufälliges gemeint. Er hat z.B. im Lotto gewonnen oder sie ist einem Autounfall oder einem anderen Unglück entkommen. Menschen, die dieses zufällige Glück haben, können durchaus unglücklich sein. Umgekehrt sind Menschen, die dieses Glück nicht haben, d. h. die Pech haben, nicht notwendig unglücklich in ihrem Leben. „Glück haben – ein Geschenk des Zufalls, glücklich sein – eine Gabe des Herzens“ (Carl P. Fröhling).

Man kann drei glücksstiftende Lebensstile unterscheiden:

1. Hedonistisches Leben: Glück als Genuss angenehmer, lustbetonter Dinge bei gleichzeitiger Vermeidung von lustfeindlichen Faktoren.

2. Aktives Leben: Glück als Vervollkommnung der eigenen Fähigkeiten, Zielerreichung und Erfolg.

3. Sinnerfülltes Leben: Glück als Streben nach einem Lebenssinn; danach streben, seine Fähigkeiten in den Dienst einer höheren Sache zu stellen, sich zu engagieren und in Beziehung leben.

Die meisten antiken Philosophenschulen gehen von der Verbindlichkeit menschlicher Glückssuche aus. Für sie ist Glück „dasjenige, worin alles Handeln und Begehren zum Stillstand kommt; denn niemand könne glücklich sein, wenn er etwas Begehrtes nicht habe“. Das Glück ist notwendigerweise das höchste Ziel menschlichen Handelns. Glück ergibt sich aus dem Besitz von etwas Gutem. „Will man von wirklichem Glück sprechen, muss „das Gute ständig im Besitz dessen sein, den man glücklich nennen kann, und daher muss das Gut, das ein gleichbleibendes Glück sicherstellen soll, ewig und unwandelbar sein“ (Horn, 24ff.). Augustinus versteht in der Tradition des paganen philosophischen Eudaimonismus das Glücksstreben als ein typisches Merkmal des Menschen: „Wir wollen glücklich sein“ (Horn, 24ff.).

Wir sprechen hier vergleichbar vom Glück als „sinnerfülltem Leben“, vom „existentiellen Glück“ (happiness = Glücklichsein“) im Sinne von „Ich bin glücklich“ bzw. „Ich wünsche mir, glücklich zu sein“. Allgemein wird dieses Glück verstanden als eine affektive, positive Erfahrung. „Glück bedeutet in seinem Kern offensichtlich Erfüllt-sein von Freude und Getragen-werden von einer gehobenen Stimmung. Dieses Bestimmtsein von Freude und Hochstimmung gilt sowohl für die erregte Form des Glücklichseins, die sich im Gefühl überschüssiger Energie, in Lachen, Tanzenwollen und Ekstase ausdrückt, als auch für dessen ruhigere Variante, die durch Entspannung, Einssein mit sich selbst und Verbundenheit mit anderen gekennzeichnet ist“ (Hommes, 167).

So spricht man von Glückspilzen, denen alles zu gelingen scheint, denen alles in den Schoß fällt. Sie sind schon immer auf der Sonnenseite des Lebens und große Probleme scheinen ihnen fremd zu sein.

Unglücklichsein wird dementsprechend als Gegensatz verstanden: Der Pechvogel hat eine gedrückte Stimmung und fühlt sich isoliert und verlassen. Er hat das Gefühl, dass ihn seine Umgebung ablehnt und nicht mag. Letztlich ist er ein „Loser-Typ“, dem einfach nichts gelingen will. Er lehnt sich selbst ab, hat Minderwertigkeitsgefühle, kann sich von der depressiven Stimmung nicht befreien, fühlt sich im Ganzen schlecht, ohnmächtig und hilflos. Er kann sich selbst nicht leiden.

Die Skepsis gegenüber einem „glücklichen Leben“ ist grundgelegt in der Annahme, dass der Mensch von Natur aus unfähig für das Glück ist. So meint z.B. Sigmund Freud, dass der Mensch nicht für das Glück geschaffen ist: „Alle Einrichtungen des Alls widerstreben ihm [dem Glück] (…) man möchte sagen, die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten“ (Freud, Bd. XIV, 433f.).

Vielleicht sind die Vorbehalte aber auch darin begründet, dass wir das Glücklichsein zu absolut sehen, es mit der „ewigen Glückseligkeit“ gleichsetzen, wo es kein Leid und keine Trauer mehr gibt. Nach diesem Verständnis wären wir zum „Unglücklichsein im Diesseits“ verdammt und könnten nur auf das Glück im „Jenseits“ hoffen. Doch das „ewige Leben“, wo alles Verlangen nach Glück im Jenseits gestillt wird, ist zu unterscheiden von dem hier gemeinten irdischen Glücklichsein. Beide sind allerdings auch nicht zu trennen. Irdisches Glück und ewiges Glück sind nicht unverträglich und gegensätzlich, sondern aufeinander bezogen. So ist das reale irdische Glück etwas, „das wir zwar nicht machen können, das wir dennoch mit gutem Grund in dieser unserer Welt suchen und empfangen wollen, und nicht erst an ihrem Ende oder im Jenseits“ (Hommes, 234).

Wenn mit dem Wort „Glück“ so unterschiedliche Dinge wie die ewige Glückseligkeit und irdische Glückserfahrungen bezeichnet werden, dann sind sie nur in Beziehung zu verstehen. Diese wichtige Erkenntnis hat Thomas von Aquin wie folgt beschrieben: „Wie das geschaffene Gut ein Gleichnis des ungeschaffenen Gutes, so ist auch die Erlangung eines geschaffenen Gutes eine gleichnishafte Glückseligkeit“ (Thomas von Aquin nach Pieper, 1976, 42). So hat jede Erfüllung unserer alltäglichen Glückswünsche, jede Erfüllung unseres Glücksverlangens – und mag es noch so unscheinbar sein – etwas mit der letzten und ewigen Glückseligkeit zu tun. Und wäre es nur der Hinweis darauf, dass diese Erfüllung nicht reicht, um unseren Hunger nach Glück zu stillen.

Es gibt also ein wirkliches irdisches Glück, das nicht so sehr von der Abwesenheit des Negativen („Glück als Fehlen von Unglück“), sondern von der Anwesenheit positiver Erfahrungen und Einstellungen bestimmt wird. Dieses existentielle irdische Glück besteht in einer grundsätzlich bejahenden Einstellung zum eigenen Leben und zur Welt überhaupt mit ihren positiven und negativen Seiten, die letztlich im Glauben verwurzelt ist.

Die himmlische Glückseligkeit ist in den kleinen irdischen Glücksmomenten schon gleichnishaft auf Erden erfahrbar. M. Lütz schreibt in seinem Buch „Unvermeidlich glücklich“, dass die Christen nicht an das unendliche Leben, sondern an das ewige Leben glauben. „Und diese Ewigkeit ereignet sich schon in diesem Leben, zum Beispiel in Momenten des Glücks. Jeder kennt solche dichten Momente, in denen man sich intensiv glücklich fühlt. Unvergänglich sind solche Momente, ewig. Dabei sind diese Momente nicht herstellbar, nicht planbar. Sie ereignen sich, beiläufig manchmal, unerwartet, wenn das Leben ganz leicht wird, fast schwebend“ (Lütz, 180f.). Das Glück verbirgt sich in den kleinen Dingen.

Nach Josef Pieper liegt das höchste Glück des Menschen in der liebevollen Kontemplation, im ruhigen oder überwältigenden Schauen, im sinnlichen und geistigen Ergriffensein von der Schönheit und Wahrheit der Welt (J. Pieper, 2012, 39). Solche Momente können tiefe Sinnerfahrung, ja sogar Gotteserfahrung für uns bereithalten, eine Erfahrung von Ewigkeit. „Und das können ganz alltägliche Anlässe sein, das Lächeln eines Kindes, der Anblick einer entzückenden Landschaft, ein ergreifendes Kunstwerk, aber auch die Erfahrung von Liebe, von Güte, von Zuneigung“. Und solche Glückserfahrung ist kein Lohn für ein moralisches Leben, diese Glückserfahrung ist ein Geschenk. Man kann sich nicht selber glücklich machen (Pieper, 1976, 39ff.). Das hat Mutter Teresa erfahren, wenn sie sagt: „Sei in diesem Augenblick glücklich, das genügt. Wir brauchen nicht mehr als den Augenblick.“

Zum existentiellen, umfassenden irdischen Glück gehören also die kleinen Glückserfahrungen ebenso wie die Annahme der unglücklichen Erfahrungen im persönlichen Leben und im weltweiten Kontext. Wesentlich ist, dass wir die Licht- und Schattenseiten, die Freuden und Leiden, die Höhen und Tiefen in unser Leben integrieren und letztlich unser Leben, so wie es ist, annehmen und uns damit versöhnen.

Ein schwedisches Märchen schildert uns unterschiedliche Lebensanschauungen und Antworten auf die Frage nach einem geglückten Leben:

„An einem schönen Sommertag war um die Mittagszeit eine Stille im Wald eingetreten. Die Vögel steckten die Köpfe unter die Flügel. Alles ruhte.

Da steckte der Buchfink sein Köpfchen hervor und fragte: ‚Was ist das Leben?‘ Alle waren betroffen über diese schwere Frage.

Eine Rose entfaltete gerade ihre Knospe und schob behutsam ein Blütenblatt nach dem andern heraus. Sie sprach: ‚Das Leben ist eine Entwicklung.‘

Weniger tief veranlagt war der Schmetterling. Lustig flog er von einer Blume zur anderen, naschte da und dort und sagte: ‚Das Leben ist lauter Freude und Sonnenschein.‘

Drunten am Boden schleppte sich eine Ameise mit einem Strohhalm, zehnmal länger als sie selbst, und sagte: ‚Das Leben ist nichts als Mühe und Arbeit.‘

Geschäftig kam eine Biene von einer honighaltigen Blume zurück und meinte: ‚Das Leben ist ein Wechsel von Arbeit und Vergnügen.‘ Sie stellte sich vor, wenn sie den Honig aus der Blume holt, das sei Vergnügen, aber wenn sie Waben baut, das sei Arbeit.

Wo so weise Reden geführt wurden, steckte der Maulwurf seinen Kopf aus der Erde und sagte: ‚Das Leben ist ein Kampf im Dunkel‘. Dann verschwand er.

Die Elster, die selbst nichts weiß und nur vom Spott der anderen lebt, sagte: ‚Was ihr für weise Reden führt. Man sollte wunder meinen, was ihr für gescheite Leute seid‘.

Es hätte nun einen großen Streit gegeben, wenn nicht ein feiner Regen eingesetzt hätte, der sagte: ‚Das Leben besteht aus Tränen, nichts als Tränen‘. Dann zog er weiter zum Meer.

Dort brandeten die Wogen und warfen sich mit aller Gewalt gegen die Felsen, kletterten daran in die Höhe und warfen sich dann wieder mit gebrochener Kraft ins Meer zurück und stöhnten: ‚Das Leben ist ein stets vergebliches Ringen nach Freiheit‘.

Hoch über ihnen zog majestätisch ein Adler seine Kreise, der frohlockte: ‚Das Leben ist ein Streben nach oben‘.

Nicht weit davon stand eine Weide, die hatte der Sturm schon zur Seite geneigt. Sie sprach: ‚Das Leben ist ein Sich-Neigen unter eine höhere Macht‘.

Dann kam die Nacht. – In lautlosem Fluge glitt ein Uhu durch das Geäst des Waldes und krächzte: ‚Das Leben heißt, die Gelegenheit nutzen, wenn die anderen schlafen‘.

Schließlich wurde es still im Walde.

In der Schule löschte der Professor, der über den Büchern gesessen hatte, die Lampe aus und dachte: ‚Das Leben ist ein Schule‘.

Nach einer Weile ging ein junger Mann durch die menschenleeren Straßen nach Hause. Er kam von einer Lustbarkeit und sagte vor sich hin: ‚Das Leben ist eine fortwährende Jagd nach Vergnügen und eine Kette von Enttäuschungen‘.

Morgens wehte ein leichter Wind durch die Straßen, der meinte: ‚Das Leben ist ein Rätsel‘.

Auf einmal flammte die Morgenröte in ihrer vollen Pracht auf und sprach: ‚Wie ich, die Morgenröte, der Beginn des kommenden Tages bin, so ist das Leben der Anbruch der Ewigkeit‘“ (Autor unbekannt).

Wenn das Glück also nicht so sehr im Fehlen des Negativen liegt, worin besteht es dann konkret? Wir glauben meist glücklich zu sein, wenn wir positive, befreiende und gute Lebenserfahrungen machen, die in uns Freude und Lebensbejahung wecken. Sie gipfeln in dem Grundgefühl: Es ist gut zu leben und einfach da zu sein.

Im Alltag findet sich ein solches „kleines Glück“ oft, wenn sich ein bestimmter Wunsch, eine Sehnsucht erfüllt: Wenn Hungrigen das Essen schmeckt, wenn Durstigen ein kühler Trunk gereicht wird, wenn uns ein geplantes Werk gelingt, wenn wir einen Freund treffen, wenn wir beim Spielen gewinnen usw.

Das „kleine Glück“ kann uns zufallen wie ein Geschenk, so z.B. in einer Hochstimmung bei einem Sonnenaufgang. So kann ich von meinem Fenster mit dem Blick auf die Skyline von Frankfurt morgens staunen, wie sich die aufgehende Sonne in den Hochhäusern in bunten und wechselnden Farben spiegelt, wie ein „Bankenglühen“. Abends, bei den Sonnenuntergängen, die alle in unterschiedlichen Farben strahlen und leuchten, darf ich es noch einmal erleben. Ähnliche Glücksmomente können wir bei einer Gipfelbesteigung mit dem weiten Blick über Berge und Täler erleben, bei einem Spaziergang am Meer, in einem Konzert, bei der Lösung eines schwierigen Problems, durch ein ermunterndes Wort, durch einen liebevollen Blick oder durch andere positive Erfahrungen, die uns Tag für Tag zufallen, wenn wir sie wahrnehmen.

Während wir in negativen Stimmungen vor allem das Bedrohliche und Schwierige sehen, öffnen uns die Glücksmomente die Augen für das Schöne, das Positive und Kostbare in unserem Leben. Die beglückenden Erfahrungen schenken uns Freude und Spaß an der Arbeit, an den Menschen und am Leben überhaupt. Hier kann die tägliche Übung des Dankens eine Hilfe sein. Ich mache mir am Abend im Rückblick auf den Tag die Glücksmomente bewusst, die ich erlebt habe, schreibe sie auf und danke Gott für sie und für den ganzen Tag. Dann vertraue ich mich ihm auch in der Nacht an. Ich lege mich ins Bett, symbolisch gesprochen: Ich lege mich bewusst in die Hand Gottes.

Zwei Menschen empfinden ein tiefes Glück, wenn sie sich nach einer langen Zeit des Streitens, des gegenseitigen Verletzens mit vielen Kränkungen die Hand zum Vergeben und Versöhnen reichen. Dieses Glück gleicht der Freude des Vaters, der den verlorenen Sohn in die Arme schließt, oder der des guten Hirten, der das verlorene Schaf wiederfindet. Tiefes Glück können zwei liebende Menschen erfahren. Dieses Glück besteht einmal in der Sehnsucht und im Verlangen nach dem oder der Geliebten und drückt sich dann im Genießen und in der Freude und dem Entzücken aus, wenn die Liebenden das Geliebtsein erleben.

Neben der Philosophie und Psychologie hat in den letzten Jahrzehnten vor allem die Psycho-Neurobiologie mit ihren präzisen Messmethoden wichtige Erkenntnisse zum Thema „Glück“ eingebracht. Der Neurobiologe M. Spitzer fasst die Ergebnisse der neurobiologischen Forschung gut und verständlich zusammen: „Sehr tief im Gehirn im sogenannten Mittelhirn, sitzt eine kleine Ansammlung von Neuronen, die den Neurotransmitter Dopamin produzieren und über zwei Faserverbindungen weiterleiten: zum einen in den Nucleus Accumbens und zum anderen direkt ins Frontalhirn. Was genau machen diese Neuronen? Wie man heute weiß, ‚feuern‘ sie dann, wenn ein Ereignis eintritt, das besser ist als erwartet. Dadurch werden wir aufmerksam und wenden uns dem guten Erlebnis zu. Dies hat zwei Konsequenzen: Neuronen im Nucleus accumbens, die opiumähnliche Eiweißkörper herstellen und als Neurotransmitter im Frontalhirn ausschütten, werden aktiviert. Unser Gehirn produziert also selbst Opium, die Endorphine. Und wenn diese im Frontalhirn ausgeschüttet werden, dann gibt uns das ein freudvolles Erleben und wir haben Spaß!

Ähnliches geschieht beim Schokolade essen, Musik hören, schnelle Autos fahren, beim Videospiel gewinnen bis hin zu einem netten Blick oder einem aufbauenden Wort. All dies aktiviert die Dopamin-Neuronen, die wiederum bewirken, dass das Frontalhirn und der Arbeitsspeicher besser funktionieren. Wir können also besser denken und verarbeiten die gerade vorliegenden Informationen besser. So lernen wir auch besser. Das beschriebene System löst damit eine ganz wesentliche und zugleich schwierige Aufgabe unseres Gehirns: In jeder Sekunde strömen unglaublich viele Informationen auf uns ein, die wir nicht alle verarbeiten können. Unser Gehirn hat also das Problem der Auswahl: Was von dem vielen soll weiter beachtet und verarbeitet werden und was kann es getrost übergehen? Es braucht daher ein Modul, das bewertet und vergleicht. Solange alles nach Plan läuft… tut das Modul nichts. Geschieht jedoch etwas, das besser ist als erwartet, dann feuert das Modul, so dass wir uns dem Erlebnis zuwenden und die Informationen besser verarbeiten. Das Wichtigste: Wir lernen besser. Auf diese Weise lernen wir langfristig alles, was für uns gut ist …

Auf andauerndes Glücklich-sein ist das Modul gar nicht angelegt. Vielmehr darauf, dass wir dauernd nach dem streben, was für uns gut ist! Beim Modul unseres Gehirns, das für Glückserlebnisse zuständig ist, geht es also nicht um andauerndes Glück, es geht vielmehr um dauerndes Streben. Dabei kann man eine Menge für sein Glück tun. Man muss nur wissen, was und was nicht. Glück hängt also durchaus mit Wissen zusammen, dem Wissen, was man tun kann, um glücklich zu sein“ (Spitzer, 23ff.).

Glücksgefühle gehen also nach den Forschungen der Neurobiologie auf biochemische und elektrische Impulse zurück. Dopamin wird als das Glückshormon bezeichnet, das in Verbindung mit Noradrenalin und β-Endorphin uns dazu bringt, die Dinge zu tun, die uns glücklich machen (Belohnungssystem). „Dabei wirkt Dopamin wie ein Scheinwerfer, der unsere Aufmerksamkeit auf alles denkbar Angenehme, Erfreuliche und Vergnügliche lenkt, bündelt und uns vorwärts, voran, hin zur Erreichung unserer Ziele treibt.“ Der Mangel an Dopamin verursacht Antriebs-, Interessen- und Lustlosigkeit und in der Folge kommt es zu depressiven Verstimmungen. So ist Dopamin „der maßgebliche Botenstoff zur Beschaffung aller Arten von Belohnungs- und ‚Glückshappen‘. Ein erhöhter Dopaminspiegel in den Synapsen ist deshalb mit allem Angenehmen, Erfreulichen und Vergnüglichen und ein zu niedriger Dopaminspiegel mit chronisch schlechter Stimmung, mittelschwerer und schwerer Depression untrennbar eng miteinander verbunden“ (Hornung, 45f.).

Serotonin ist eine Gewebshormon und Neurotransmitter, das für unsere innere Zufriedenheit und Ausgeglichenheit verantwortlich ist. Es hellt unsere Grundstimmung, unser Lebensgefühl auf und sorgt dafür, dass unser Nervensystem auf alles gelassener reagieren kann. Vor allem vermindert Serotonin unsere Angstgefühle und wird von Neurobiologen als „Well-Being“ oder als Botenstoff des Wohlbefindens bezeichnet.

Noradrenalin wird als Hormon in den Nebennieren produziert und ins Blut abgegeben. Es ist der Neurotransmitter im Zentral- und im sympathischen Nervensystem. Noradrenalin wirkt über alpha- und beta-Rezeptoren auf die Zielzellen ein. Es ist z.B. verantwortlich für die Aktivierung unseres Organismus und motiviert uns, das Erfreuliche und Angenehme in unserem Leben zu sehen und zu besorgen. Noradrenalin ist weiter für die Gedächtnisbildung, die Schlaf-Wach-Regulation und die körpereigene Schmerzhemmung wichtig und wird als Arzneistoff verwandt. „Ein chronisch zu niedriger Noradrenalinspiegel in den Synapsen des Noradrenalinsystems ist dagegen die zweite neurobiologische Ursache der Depression“ (Hornung, 60f.).

Endorphine sind Botenstoffe des Gehirns, können aber auch Hormone sein, die im Hypothalamus produziert und in den Blutkreislauf ausgeschüttet werden. Sie sind eine Sammelbezeichnung für „eine Gruppe selbstproduzierter Neuropeptide, die im Gehirn aufgebaut werden und Rezeptoren für Morphin und andere Opioide kontaktieren und aktivieren (…) Ihre stark schmerzlindernde Wirkung gleicht der des Opiums der Mohnpflanze. Aber auch wenn wir Stress empfinden und leiden, werden Endorphine ausgeschüttet. Schließlich ist eine erhöhte Endorphinausschüttung mit Trance, Dämmerzustand und genießender Glückseligkeit, aber auch mit schmerzfreier Geburt und dem ‚Runner high‘ (dem angeblichen ‚Hoch‘-Gefühl der Jogger) verbunden“ (Hornung, 62f.).

Zu erwähnen ist noch das Hormon Oxytocin, das aus dem Griechischen übersetzt „Schnelle oder leichte Geburt“ heißt und eine wichtige Bedeutung beim Geburtsprozess hat. Als ein Neuropeptid wird es in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) zwischengespeichert und in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Es stärkt das zwischenmenschliche Vertrauen und Zusammenleben sowie die partnerschaftliche Risiko- und Kooperationsbereitschaft. „Liebe, Sex und Treue sind eng miteinander verbunden und Oxytocin ist an der Regulierung der mit ihnen deckungsgleich einhergehenden Gefühle beteiligt. Ohne Oxytocin im Gehirn gibt es kein Verliebtsein, keine Zärtlichkeiten und keine Partnertreue. Vor allem aber würde eine der wichtigsten Voraussetzungen für alles menschliche Miteinander fehlen: zwischenmenschliches Vertrauen. Wegen seiner komplexen Auswirkungen auf menschliche Beziehungen wird Oxytocin deshalb manchmal auch das ‚Vertrauens-, Kuschel-, Liebes-, Treue- und Sexhormon‘ genannt“ (Hornung 64f.).

Mehr Informationen über die jüngsten Ergebnisse der Psycho-Neurobiologie finden Sie im 2. Kapitel über „Die Bedeutung der Kindheit für ein geglücktes Leben“.

2. Das Schicksal oder ich – wer bestimmt mein Glück?

Bevor wir die Frage nach dem Glück stellen, wie man glücklich wird und was ein geglücktes Leben ausmacht, müssen wir klären, ob wir überhaupt unser Glück bestimmen können oder ob wir dem Glück bzw. dem Unglück nicht ausgeliefert sind. Kann ich tatsächlich mein Leben selbst bestimmen und in Freiheit Entscheidungen treffen? Bin ich nicht wie alle Menschen den globalen Schicksalsschlägen wie Erdbeben, Tsunamis, Unfällen in Atomkraftwerken, Sturmfluten, Terroranschlägen oder Kriegen mit ihren Folgen ohnmächtig ausgeliefert? Oder muss ich nicht auch im privaten Leben Krankheiten, Unglück, Missbrauch, Hass, Krisen und anderes über mich ergehen lassen? Schlägt das Schicksal nicht einfach willkürlich zu, ohne dass ich etwas dagegen oder dafür tun kann?

Zunächst stellt sich die Frage, was wir unter „Schicksal“ und „Freiheit“ verstehen.

„Schicksal wird in der Regel als etwas verstanden, das sich einfach ereignet, das uns zugemutet wird, das über uns herfällt. Wir sind ihm ausgesetzt, können nichts dagegen tun. Für den einen ereignet es sich ohne einen bestimmten Grund. Für einen anderen geht es auf den Einfluss einer höheren Macht oder von höheren Mächten zurück, die geheimnisvoll, undurchschaubar auf unser Leben einwirken. Die menschliche Freiheit scheint (…) angesichts des Schicksals wie ausgelöscht, hat keine oder kaum eine Chance, zum Einsatz zu kommen oder muss vor dem Schicksal kapitulieren“ (Müller, 10f.).

Im Altertum wird dieses Schicksal „fatum“ genannt, ein anonymes Etwas, das willkürlich ohne Gründe auf jedes Leben einwirkt. Dieses Verständnis von „Schicksalsschlägen“ ist meist mit tragischen Ereignissen verbunden, die unausweichlich und unwiderruflich über uns kommen, Gegebenheiten, in die wir hineingeboren oder -geworfen werden, ohne dass wir eine Möglichkeit der Abwehr oder des Eingreifens hätten. Diese Auffassung vom blinden Schicksal kommt im englischen „Fate“ zum Ausdruck.

In unserer Zeit begegnen wir dieser Weltanschauung u. a. im Determinismus von Sigmund Freud oder bei dem Begründer der existentiellen Psychotherapie Irvin Yalom und seinen Schülern. Für sie sind wir Menschen ein Zufallsprodukt: „Das Leben im Allgemeinen und unser menschliches Leben im Besonderen ist aus Zufallsereignissen entstanden. (…) Wir sind auf uns allein angewiesen, und so hängt es ausschließlich von uns ab, was wir aus unserem Leben machen und wie wir es gestalten“ (Yalom, 2010, 193f.). „Aus deterministischer Sicht sind die Bewegungen des menschlichen Willens nicht frei im Sinn der Wahlfreiheit, sondern im Voraus zu dieser Freiheit durch von außen einwirkende Motive oder von inneren Ursachen (psychischen Zuständen) eindeutig festgelegt“ (Vorgrimler, Neues theologisches Wörterbuch, 2000, 127).

W. Müller weist darauf hin, dass diese deterministische Haltung nicht typisch für die Psychoanalyse ist. Psychoanalytiker wie E. Erikson, C. Rogers, A. Maslow oder F. Perls sind sehr wohl offen für das Geheimnisvolle, für geheimnisvolle Kräfte oder eine höhere Macht in ihrer Betrachtung des Schicksals (Müller, 19ff.).

Im Denken von C. G. Jung spielen Schicksal und das Geheimnisvolle eine große Rolle. Für ihn haben die Menschen ein Geheimnis „und die Ahnung von etwas Wissbarem. Es erfüllt das Leben mit etwas Unpersönlichem, einem Numinosum … Der Mensch muss spüren, dass er in einer Welt lebt, die in einer gewissen Hinsicht geheimnisvoll ist, dass in ihr Dinge geschehen und erfahren werden können, die unerklärbar bleiben … Das Unerwartete und das Unerhörte gehören in diese Welt“ (C. G. Jung, 1990, 358).

Aber bei all diesen Überlegungen bleibt die Frage: Inwieweit sind wir überhaupt frei in unseren Entscheidungen? Gibt es nicht viele Lebensbereiche, die uns vorgegeben sind? Wir werden in einem Kontinent, in einem Land, in einer Gesellschaft und Kultur, in einer Familie geboren, die wir nicht wählen konnten. Unsere Gene enthalten physische und psychische Anlagen, die zunächst einfach da sind und die sich dann weiterentfalten wie: Gesundheit, Begabungen, Intelligenz, oder Persönlichkeitsprofil. Die pränatalen und perinatalen Elternbotschaften und die Vorstellungen und gesellschaftlichen Normen unserer Umgebung haben uns ebenso geprägt wie die Erwartungen, die z.B. in der Familie, in der Schule und im Beruf an uns gestellt wurden.

Im Neuen Theologischen Wörterbuch heißt es: „Grundsätzlich ist der Mensch von allem anderen in seiner Umwelt dadurch unterschieden, dass der Naturzusammenhang, in dem er existiert wie alles andere, ihn im Vollzug seines menschlichen Wesens nicht durchgängig und restlos determiniert. Das heißt: Er ist ins ‚Offene‘ gesetzt; es ist ihm aufgegeben, selbst die verschiedenen geschichtlichen Möglichkeiten zu verwirklichen (durch Wahl der Lebensform, des Berufs, durch Arbeit usw.) und darin seine Wesensausprägung zu finden“ (Vorgrimler, 197f.). So gibt es viele Bereiche in unserem Leben, die uns vorgegeben sind und in denen wir uns eingeschränkt fühlen. Und doch sind wir von unserem Wesen her frei und grundsätzlich autonom darin, wie wir Begrenzungen und Einschränkungen gestalten. Das beginnt mit unseren kleinen Entscheidungen im Alltag, wenn wir uns entschließen, in die Stadt zu gehen oder nicht, einen Besuch zu machen oder nicht, einen Anruf zu machen oder nicht, den Arzt aufzusuchen oder nicht usw. Das gilt auch für grundsätzliche Entscheidungen.

Für Romano Guardini ist der Mensch frei und bestimmt selbst sein Schicksal: Denn immer wieder „bestimme ich das scheinbar objektiv an mich Herantretende mit, wähle aus den Möglichkeiten des Geschehens einzelne heraus, rufe und lenke sie. So ist das Schicksal das aus der Fremdheit der Welt über mich Kommende, anderseits wieder das Verwandte, ja Eigene …“ (Guardini, 1948, 215).

Paul Tillich schreibt zu demselben Thema: Ich muss mich entscheiden, ob ich mich dem Schicksal überlasse oder nicht. Mit dieser Entscheidung trage ich zur Verwirklichung meines Schicksals bei, das für mich dann nicht länger „eine Macht ist, die entscheidet, was mir passiert. Dann bin ich es selbst, so wie ich bin, wie ich von der Natur, der Geschichte und mir selbst geformt wurde. Mein Schicksal ist die Basis meiner Freiheit; meine Freiheit trägt dazu bei, mein Schicksal zu formen“ (Tillich, 216).

Uns sind also viele Begabungen vorgegeben, doch was wir aus ihnen machen, das hängt auch von uns ab. Für die Einzelnen kommt es darauf an, auf der Basis der Vorgegebenheiten, des Schicksals oder des bisher So-geworden-Seins, die Entscheidungen zu treffen, die ihnen möglich sind. „Wir entscheiden nicht über die politischen und kulturellen Gegebenheiten, in die wir hinein geboren werden, doch wir sind ihnen nicht einfach nur ausgeliefert, sondern können durch Wahlen, Aktionen usw. auf sie reagieren und damit unsere Freiheit umsetzen“ (Müller, 31).

Darüber hinaus gibt es eine existentielle Freiheit, die im Innern eines jeden Menschen verankert ist. May nennt sie die innere Freiheit, die von den äußeren Einschränkungen nicht tangiert wird und die sich in unserer Einstellung zu vorgegebenen Situationen zeigt. Der Benediktiner Sales Hess schreibt in seinem Buch „Dachau – eine Welt ohne Gott“ über seine Erfahrungen im KZ Dachau: „Was konnten diese Menschen ohne Gott uns antun? Sie konnten wohl den Leib aushungern und töten, aber der Seele konnten sie nicht schaden“ (Hess, 124). Dieser innerste Teil des Menschen, die Seele, ist unzerstörbar und für gläubige Menschen eingebettet und aufgehoben in einem tiefen Gottvertrauen. Ohne äußere Freiheit kann ein Mensch leben, aber nicht ohne die innere, existentielle Freiheit. „Bin ich in Berührung mit dem Zentrum meiner absoluten Freiheit, die grenzenlos und unverfügbar ist, erwächst mir daraus eine große Unabhängigkeit. Und das inmitten einer Welt, einer persönlichen und gesellschaftlichen, die mich an tausend Stellen und Orten einschränkt, in Freiheit zu handeln. Doch diese Welt vermag den Bereich meiner existentiellen Freiheit nicht zu berühren, gar zu beeinflussen“ (Müller, 143).

Ebenso wichtig ist, dass ich nicht in der Auflehnung gegen mein Schicksal verharre, sondern dass ich mich mit ihm auseinandersetze, dass ich versuche, einen Sinn darin zu entdecken, und dann gleichsam mit dem Schicksal kooperiere. Denn der „Bestand der jeweiligen Situation wie der Zusammenhang des Lebensganzen sind ja nicht starr. Sie bestehen (…) nicht nur aus Notwendigkeiten, denen der Mensch sich fügen muss, sondern auch aus Tatsachen, an denen die Freiheit des Menschen ansetzen kann: aus Kräften, die er lenken, aus Zuständen, die er formen, aus Fließendem, das er zusammenhalten, aus Hindernissen, die er überwinden kann“ (Guardini, 227).

Wenn wir unserem Schicksal nicht ohnmächtig ausgeliefert sind, sondern eine äußere und innere Freiheit haben, dieses Schicksal mitzugestalten, dann beginnt aber auch unsere Verantwortung für unser Schicksal. Dies bedeutet, dass wir unser vergangenes Leben anschauen, wer und was uns negativ und positiv geprägt und geformt hat, welche unbewussten und bewussten Elemente und Vorstellungen unser Leben bis heute beeinflussen. Sonst besteht die Gefahr, dass wir von dem in unserem Leben Vorgegebenen unbewusst bestimmt werden und so letztlich mehr gelebt werden als selbstbestimmt leben. Wir haben die Freiheit und Verantwortung, uns dieser Aufgabe zu stellen, obwohl uns „angesichts dieser Freiheit schwindelig werden kann“ wie Kierkegaard einmal sagt. Doch es bleibt uns letztlich nichts anderes übrig, als uns dieser Verantwortung zu stellen. Selbst wenn wir uns nicht entscheiden, haben wir die Entscheidung getroffen, uns nicht zu entscheiden, und wir haben „die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, zu verantworten. Wir können dieser Verantwortung, dieser Freiheit, nicht aus dem Wege gehen“ (Müller, 44).

In diesem Wechselspiel von Schicksal und Bestimmung sowie Freiheit und Verantwortung stellt sich die Frage nach einer Instanz, die unsere Wünsche, Überlegungen und Erkenntnisse in Handeln umsetzt und zu Taten macht. Dabei schließen wir die deterministische Lösung von S. Freud aus, wo das Unbewusste mehr oder weniger unser Leben bestimmt und für die Freiheit kein Raum ist. Wir nennen diese Instanz in uns „Zentrum des Willens“, „Sitz der Willenskraft“ oder „geistige Instanz“. Im Willen wird die Fähigkeit des Menschen verwirklicht, „als Person ein als Wert erkanntes Ziel aktiv anzustreben, und falls dieses Ziel mit anderen möglichen Zielen kollidiert, diese in Freiheit abzulehnen oder zurückzustellen“ (Vorgrimler, 679f.).

So ist der Wille die Triebfeder unseres Handelns. Die Willenskraft ist es, mit der wir unser Leben gestalten und verändern können. Bevor wir aber unsere Willenskraft einsetzen und für die Gestaltung unseres Lebens nutzen können, müssen wir wissen, was wir wollen, welche Ziele wir für unser Leben haben. Wenn mein Wunsch klar ist, kann mein Wille mein Tun und Handeln so anregen und lenken, dass dieses Ziel erreicht wird. Rollo May beschreibt das Verhältnis von Wunsch und Wille so:

„Dem Wunsch verdankt der Wille die Wärme, den Inhalt, die Einbildungskraft, das Spielerische, die Frische und den Reichtum. Der Wunsch verdankt dem Willen die Selbststeuerung und die Reife. Der Wille schützt den Wunsch und ermöglicht es ihm weiter zu existieren, ohne zu große Risiken einzugehen. Aber ohne Wunsch verliert der Wille seine Vitalität und Lebensfähigkeit … Wenn man nur Wille und keinen Wunsch hat, dann hat man es mit dem vertrockneten, viktorianischen, neopuritanischen Menschen zu tun. Wenn nur ein Wunsch und kein Wille vorhanden sind, dann hat man den zwanghaften, unfreien, kindlichen Menschen vor sich, der als infantil gebliebener Erwachsener zum Roboter werden kann“ (May, 1969, 218).

Es erfordert Mut und Vertrauen, sich auf diese Auseinandersetzung mit dem Schicksal, mit dem eigenen Leben einzulassen: mit allem, was mich ausmacht, meinem bewussten und unbewussten Ich, meinem Selbst, mit dem inneren Kern meiner Person. Das wird am ehesten gelingen, „wenn ich aus der Tiefe meines Seins heraus in Beziehung trete zu meinem Leben. Ich weiß dann um meine Angst vor der Freiheit, ich blende mein Schicksal und meine Bestimmung nicht aus meinem Leben aus, sondern gehe mit diesem Wissen und dieser Erfahrung auf mein Leben zu … Wir bleiben nicht länger an der Außenseite stehen, betrachten und beurteilen unsere Probleme nicht nur oberflächlich. Wir dringen jetzt tiefer in sie ein, gehen sie grundsätzlicher, von unserem Kern her, an. Wir stellen uns dann der Aufgabe, die sich für uns daraus ergibt, die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen“ (Müller, 87f.).

Für den christgläubigen Menschen ist das Schicksal kein blindes Fatum. Gott hat die Menschen „gut“ geschaffen nach seinem göttlichen Bild und Gleichnis und er hat seinen göttlichen Lebensatem in sie gelegt. Und Gott hat ihm die Schöpfung anvertraut. In Jesus hat Gott unser menschliches Schicksal angenommen und ist uns in unserem Menschsein in allem gleich geworden, außer der Sünde.

Nach christlichem Glauben liegt unser Schicksal in der Hand Gottes und ist in seiner Liebe letztlich gut aufgehoben (Jes 43,1ff.; Joh 15,9ff.). Wenn wir uns darauf einlassen und vertrauen, dann können wir unser Schicksal, so weit möglich, selbst in die Hand nehmen. „Wir sind der Kapitän unseres Lebensschiffes, übernehmen das Steuer und geben die Richtung vor. Wir tun das auch bei stürmischer See, im Wissen, dass es Situationen gibt, bei denen wir nur noch beten und uns dem Schicksal überlassen können. Das hält uns aber nicht davon ab, bis zum Schluss alle in uns vorhandenen Kräfte und alle uns gegebenen Möglichkeiten zu nutzen“ (Müller, 135). Je mehr wir unser Leben Gott überlassen, desto mehr können wir ohne Angst unser Leben wagen und glücklich werden.

Abschließen möchte ich dieses Kapitel mit einer Geschichte, die mir und vielen Menschen geholfen hat, heilsamer und fruchtbarer mit dem eigenen Schicksal umzugehen.

„Eine chinesische Geschichte erzählt von einem alten Bauern, der ein altes Pferd für die Feldarbeit hatte. Eines Tages entfloh das Pferd in die Berge, und als die Nachbarn des Bauern sein Pech bedauerten, antwortete der Bauer: ‚Pech? Glück? Wer weiß‘. Eine Woche später kehrte das Pferd mit einer Herde Wildpferde aus den Bergen zurück, und diesmal gratulierten die Nachbarn dem Bauern wegen seines Glücks. Seine Antwort: ‚Glück oder Pech? Wer weiß‘. Als der Sohn des Bauern versuchte, eines der Wildpferde zu zähmen, fiel er vom Rücken des Pferdes und brach sich ein Bein. Jeder hielt das für ein großes Pech. Nicht jedoch der Bauer, der nur sagte: ‚Pech? Glück? Wer weiß?‘ Ein paar Wochen später marschierte die Armee ins Dorf und zog jeden tauglichen jungen Mann ein, den sie finden konnten. Als sie den Bauersohn mit seinem gebrochenen Bein sahen, ließen sie ihn zurück. War das nun Glück oder Pech? Wer weiß?

Was an der Oberfläche wie etwas Schlechtes, Nachteiliges, aussieht, kann sich als etwas Gutes herausstellen. Und alles, was an der Oberfläche gut erscheint, kann in Wirklichkeit etwas Böses sein. Wir sind dann weise, wenn wir Gott die Entscheidung überlassen, was Glück oder Unglück ist; wenn wir ihm danken, dass für jene, die ihn lieben, alles zum Besten gedeiht. Dann werden wir ein wenig an der wunderbaren mystischen Vision der Juliana von Norwich teilhaben, die einen Ausspruch tat, der mir von allen, die ich je gelesen habe, der liebste und tröstlichste ist: ‚Und alles wird gut sein; und alles wird gut sein; und alle Dinge, die es gibt, werden gut sein“ (de Mello, 1984, 182f.).

3. Der Urwunsch des Menschen nach einem „glücklichen Leben“

In den alten Traditionen der Menschheit finden sich Aussagen über Grundbedingungen menschlichen Lebens, die in Sagen, Mythen, religiösen Schriften, aber auch in modernen Studien der Psychologie und Soziologie festgehalten sind: Jeder Mensch hat in seinem innersten Wesen Grundhoffnungen, Antriebe und Urwünsche nach einem Leben in Glück, Frieden, Freiheit und Liebe.

Die Sehnsucht nach einem glücklichen Leben ist offensichtlich ein Urwunsch des Menschen (Horn, 24ff.). Ein „glückliches Leben“ ist für ihn eine faszinierende Vorstellung, ein Zauberwort, ein Sehnsuchtswort. Wenn es einen Wunsch gibt, in dem sich die Menschen aller Völker und Rassen einig sind und immer einig waren, dann ist es der Wunsch, glücklich zu leben, glücklich zu sein. Glück ist das kostbarste Gut des Menschen, und nicht zuletzt aus diesem Grund ist es sehr zerbrechlich. „Glück und Glas, wie leicht bricht das.“

In dem Urwunsch nach einem glücklichen Leben erkennt Zulehner eine Lebens-Trias: Zu einem glücklichen Leben „gehört demnach die Erfahrung, einen Namen zu haben, wachsen zu können und Wurzeln zu schlagen“ (Zulehner, 1983, 15ff.).

Der erste Urwunsch nach einem Namen beinhaltet: nicht austauschbar, einzigartig sein, Ansehen haben, lieben und geliebt werden, erkannt und anerkannt werden, nicht missbraucht werden.

Der zweite Urwunsch nach Macht bedeutet: Selbst etwas machen können, Selbst-Mächtigkeit, aber auch Bewegung, wachsen in Freiheit; sich schöpferisch entfalten können. Wachsen heißt lebendig sein.

Der dritte Urwunsch nach Heimat und Geborgenheit meint: Dazugehören und zu Hause sein; einen Ort der Verwurzelung finden; einen letzten Halt haben.

Diese Urwünsche gehören zum menschlichen Leben, unabhängig von bestimmten Religionen und Weltanschauungen. Jedoch gestaltet die jeweilige Kultur den Umgang mit den Urwünschen und bestimmt damit auch, ob das Leben gut und glücklich ist oder nicht.

Grundsätzlich gibt es kulturübergreifend einen positiven und einen negativen Umgang mit den Urwünschen und der Begrenzung ihrer Erfüllbarkeit. Dies zeigt sich am Beispiel des Umgangs mit dem Urwunsch nach Macht darin, dass ein positiver Umgang mit Macht zu einem größeren Selbst- und Freiheitsbewusstsein, zu Eigenständigkeit und Anpassungsfähigkeit führt. Ein negativer Umgang mit dem Urwunsch nach Macht kann zu egoistischer Geltungs- und Herrschsucht führen, die das eigene oder fremde Leben beeinträchtigen oder gar zerstören.

Die Urwünsche sind in ihrer Tiefe auf eine Erfüllung außerhalb der Grenze von Raum und Zeit gerichtet: auf eine transzendente Erfüllung. Wer kennt nicht die Maßlosigkeit des Sehnens, wenn „Sternstunden“ (von Liebe, Macht, Beheimatung) wie Momente der Erfüllung erscheinen und im nächsten Augenblick nur mehr Erinnerung sind? So sehr in solchen Augenblicken die Urwünsche befriedigt werden, es bleibt ein schaler Geschmack des „Noch-nicht“ und des „Noch-mehr“ zurück. In einer solchen Befriedigung von Liebe, Macht und Geborgenheit, die immanent an Zeit und Raum gebunden geschieht, erfahren Menschen ein Stück gutes, ganzes Leben. Es ist aber nur ein Stück von einem sinnvollen und glücklichen Leben, das sie nicht nur teilweise, sondern ganz erleben möchten. Diese letztlich erfüllte Sehnsucht nennen wir im Glauben das „ewige Leben“, wo das Sehnen des menschlichen Herzens zur Ruhe kommt. Hier werden wir erfahren, dass Gott selbst unseren Namen ins Buch des Lebens geschrieben und damit ein Leben in Fülle für uns bereitet hat. Da der Mensch aber an Zeit und Raum gebunden ist, geraten wir immer wieder in die Spannung zwischen unseren grenzenlosen, unendlichen Wünschen nach einem glücklichen Leben und der begrenzten Befriedigung im konkreten Leben.

Diese Enttäuschung wird „leibhaftig“ in folgender Beziehungsskulptur deutlich. In dieser Übung bitte ich z.B. Ehepartner, ihre Idealvorstellung von der Beziehung zwischen Mann und Frau in einer Skulptur darzustellen, in der alle Wünsche nach Nähe, Geborgenheit, Wärme, Liebe und Sexualität erfüllt sind. Meist wird eine Gestalt gewählt, in der die beiden Partner sich umarmen. Wenn aber der Kopf des einen auf der Schulter des anderen liegt, schauen das Gesicht und insbesondere die Augen, die für eine Beziehung so wichtig sind, über die Schultern des Partners hinweg. Wohin? Häufige Antworten: in die Ferne, irgendwohin, auf einen anderen Menschen, in die Zukunft, auf Gott. Das Sehen, das Anschauen, die Kommunikation mit den Augen sind in dieser „idealen“ engen Beziehung nicht möglich, da die Augen über die Schultern des Partners hinwegsehen. Es fehlt die nötige Distanz, die von einer zu großen Nähe abgrenzt und eine Begegnung auf Augenhöhe ermöglicht. Das wird noch deutlicher, wenn einer oder beide in der Umarmung „Fortschritte“ machen und auf das eigene Lebensziel zugehen wollen. Wenn einer nach vorn geht, muss der andere Partner rückwärtsgehen. Beide behindern sich in dieser Nähe am Gehen auf ihrem je eigenen Weg. Um den eigenen Weg gehen zu können, müssen sie die einengende Nähe in der Umarmung aufgeben, die an eine „Paaridentität“ erinnert, und sich an die Seite des Partners stellen mit dem Blick auf ein gemeinsames Ziel.

Wie aber können wir mit diesem schmerzlichen Missverhältnis zwischen den unendlichen Wünschen und ihrer begrenzten Erfüllung glücklich leben? Hier scheiden sich die Geister. Die unterschiedlichen Lebensanschauungen lösen das Problem entweder immanent, d. h., sie versuchen, die Unendlichkeit und Unbegrenztheit der Urwünsche samt ihrer Erfüllung in den irdisch-menschlichen Bereich zu verlegen; oder aber sie wählen die transzendente Lösung, wie z.B. den christlichen Glauben, der die letzte Erfüllung der menschlichen Grundbedürfnisse im ewigen Leben bei Gott sieht.

Was heißt das konkret? Wenn der Mensch sich selbst zur letzten Instanz macht, verliert die Frage nach der Erfüllbarkeit der Urwünsche ihre transzendente und geheimnisvolle Dimension. Der Mensch selbst übernimmt jetzt die ganze Verantwortung für das Leben und die Erfüllung aller Lebensbedürfnisse und Urwünsche, auch der „unendlichen“, und entscheidet, was diesem Ziel dient und was nicht. Er macht sich zum „Herrn über Leben und Tod“. Zumindest setzt er sich diesem alles fordernden Anspruch aus.

Für die drei Urwünsche hat diese weltimmanente Lösung ohne Gott weit reichende Folgen. Der Mensch braucht dann auf seiner Identitätssuche jemanden, der ihm seinen Namen, sein Ansehen, seine Einzigartigkeit, seine Liebe und Zuwendung schenkt. Nehmen wir an, er braucht in seinem Minderwertigkeitsgefühl andere, die ihn bestätigen, ansehen, anerkennen, Ja zu ihm sagen, weil er sich selbst nicht traut. Dann besteht die Gefahr der Fremdbestimmung und Abhängigkeit, die ihn hindert, zu sich selbst zu kommen. Die anderen stellen die Bedingungen, unter denen sie ihn anerkennen und lieben. Ist sein Selbstvertrauen sehr groß und fühlt er sich stark genug, um aus eigener Kraft Ja zu sagen und zu entscheiden, dann besteht die Gefahr einer isolierten Unabhängigkeit. Diese ist nicht mehr offen für Veränderungen und Kritik. Sie unterdrückt andere und erzeugt Lebensängste, einmal nicht mehr stark genug zu sein. Sie scheitert letztlich an dem Widerspruch von Vertrauen und Misstrauen.

Ähnliches gilt für den Urwunsch nach Macht und nach Heimat. So können sich schwache und kraftlose Menschen die Erfüllung ihres Machtwunsches durch Abhängigkeit verschaffen, indem sie sich mit anderen Mächtigen identifizieren und unterwürfig und blind gehorchen. Oder sie machen in ihrer Herrsch- und Geltungssucht andere gefügig und bleiben jede Rechenschaft schuldig. Aus beiden Versuchen erwächst bei aller Macht eher Unfreiheit und Ohnmacht, oder es entwickelt sich Widerstand.

Beim Urwunsch nach Heimat, Besitz und Verwurzelung versuchen manche Menschen diesen Wunsch zu erfüllen, indem sie das bisher Erlangte festhalten und gleichzeitig immer „mehr“ haben wollen. Denn das, was sie gerade haben, reicht im nächsten Augenblick schon nicht mehr. Sie nehmen sich dieses „mehr“ von anderen und bereichern sich ohne Rücksicht darauf, was dies für andere bedeuten kann. In ihrer Habsucht zielen sie immer auf ein „mehr haben wollen“. Sie kommen nie zur Ruhe, weil es immer ein „noch mehr“ gibt.

Fehlt ihnen die eigene Kraft oder die Möglichkeit, den Urwunsch nach Heimat zu befriedigen, so müssen sie ihre Heimat bei anderen suchen und sich in fremdem Boden verwurzeln. Wie schwer es ist, in der Fremde eine Heimat zu finden, erleben wir zurzeit bei den Millionen Flüchtlingen in aller Welt. Auch wenn sie eine Bleibe und ein Auskommen finden sollten, so ist doch der Wunsch der meisten, wenn möglich in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren.

Die Spannung und das Missverhältnis zwischen den Wünschen und der ersehnten Erfüllung bleiben. Ohne eine transzendente Hoffnung, wie immer sie auch verstanden wird, sind die Menschen in ihren begrenzten Möglichkeiten überfordert. Sie können so letztlich nur zu einem individuellen und kollektiven Überleben, nicht aber zu einem geglückten Leben kommen.

Ganz allgemein gilt das auch für den gläubigen Menschen: Um die Spannung zwischen unendlicher Sehnsucht und endlicher Befriedigung auf Dauer „überleben“ zu können, gilt es, die Wünsche und Erwartungen zu relativieren und sie an der je eigenen Lebenswirklichkeit zu messen, damit der Schmerz und die Enttäuschung über das Unerfüllte nicht so stark werden, dass sie in Verzweiflung umschlagen. Ernesto Cardenal beschreibt diesen Durst nach Leben in einem Gedicht:>1

„Alle Menschen werden mit einem verwundeten Herzen

und einem unstillbaren Durst geboren.

Wie dürres Land lechzt meine Seele Dir entgegen.

Der Vorgang des Essens und Trinkens

wurde vom Schöpfer als materielles Symbol

dieses Hungers und Durstes nach Gott eingesetzt.

Er sucht immer neue Dinge mit immer gleicher Sucht …

Es ist wie eine Krankheit, die ihn zwingt,

immer mehr und mehr zu essen,

ohne dass er jemals satt würde.

Platon hat einmal gesagt, der Mensch

sei ein zerbrochenes Gefäß, das sich nie füllen lässt.

Die Sinne mögen sich an Genüssen überessen,

die Seele bleibt doch immer unbefriedigt.

Die irdischen Freuden bleiben an der Peripherie des Körperlichen

und dringen nicht bis zur Seele vor.

Weil Gott auf dem Grund jeder Seele wohnt,

ist die Seele unendlich und kann mit nichts gefüllt werden als mit Gott“

4. Wie kann ich glücklich werden?

Die Frage nach dem Weg zu einem glücklichen Leben hat die Menschen schon immer beschäftigt. Sie haben vielfältige Antworten gefunden, die nicht nur von den sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Umständen abhängen. Die Frage nach einem glücklichen Leben ist gleichzeitig eine sehr persönliche Frage, die jeder Mensch nur für sich selbst beantworten kann.

„Glücklich ist, wer alles hat, was er will“ (Pieper, 2012, 39). Dieses Wort des Augustinus fasst in einem kurzen Satz zusammen, was die meisten Menschen unter Glück verstehen. Augustinus hat diesen Satz aus 288 Lehrmeinungen zum Thema „Das letzte Glück des Menschen“ des Enzyklopädisten Varro ausgewählt. Konkret würde das heißen: Glücklich ist, wer ein großes Vermögen hat, wer seinen Traumberuf, seine Traumfrau gefunden hat, wer im Lotto gewinnt, wer gute Beziehungen hat, dessen Existenz gesichert ist … Glücklich ist eben der Mensch, der alles hat. Doch sehr schnell zeigt sich die Kehrseite der „Glücksmedaille“: Geld und Besitz machen ab einer bestimmten Größenordnung nicht mehr nur glücklich. Sie bereiten Sorgen, wie der Besitz erhalten, geschützt und vermehrt werden kann. „Der Besitz besitzt“ meint, Besitz kann besessen machen. Doch häufig verlieren das Haus, das Auto, das Schmuckstück, das Spielzeug nach einiger Zeit ihren Reiz, wenn am Haus die ersten Reparaturen fällig sind, das Auto doch nicht mehr so ideal ist, der Traummann im Alltag sein wahres Gesicht als mürrischer Egoist zeigt.

Der „Heißhunger“, die „unendliche Sehnsucht“, unbedingt das oder jenes haben zu „müssen“, um glücklich zu sein, gleicht einem großen, unersättlichen Moloch, der die erfüllten Wünsche schluckt und niemals satt wird. Es entsteht mit der Zeit ein existentielles Gefühl der Leere und Enttäuschung: „Je mehr er hat, je mehr er will, nie werden seine Wünsche still“ (erweitertes Zitat aus dem Gedicht „Zufriedenheit“ von Johann Martin Miller, 1750–1814.).

In unserer durch Leistung und Konkurrenz geprägten Gesellschaft fragen wir meist nach dem Glück als etwas, das es zu erjagen gilt. „Glück, so hört man überall, das kann man sich nicht verschaffen, um das Glück muss man kämpfen und rennen, und zwar so, dass man möglichst vor den anderen am Ziel ist, oder doch zumindest ebenfalls rasch das erreicht, was die anderen schon haben …“

„Derart verlieren wir zunehmend jene Freiheit, derer der Umgang mit solchen Dingen bedarf, sollen sie wirklich Güter des Glücks sein. Ständig ist dann nach einem Weiteren noch zu jagen, das uns zum Glück zu fehlen scheint. Und während wir die ganze Kraft auch hierauf noch lenken, zerrinnen uns die Glückschancen zwischen den Fingern, die in dem liegen, was wir schon haben und was wir sind“ (Hommes, 241ff.).

So führt offensichtlich dieses Immer-mehr-haben-und-be-sitzen-Wollen nicht zu mehr Glück und Zufriedenheit. Die berechtigte Suche nach dem eigenen Glück wird so zu einem hektischen Jagen nach einem glücklichen Leben, zu einem Glückswahn und einer Lebensgier, mit einem Gefühl der inneren Leere und des Unglücklichseins. In dem sinnlosen Wettlauf des Immer-mehr-haben-Wollens bleibt das eigentliche Glück auf der Strecke, ist das Unglücklichsein vorhersehbar.

„Ich will endlich mein persönliches Glück finden in einer Welt des Materialismus voller Habgier und Gewalt“, sagt die 23-jährige Studentin F., konvertiert zum Islam und schließt sich einer kleinen islamischen Sekte an, die ihr das wahre Glück verspricht. Sie trennt sich von ihrer Familie und ihren Freundinnen, von dem kapitalistischen Umfeld und reist in ein Ausbildungslager des IS nach Syrien. Erst später bemerkt sie, wie sie getäuscht wurde. F. wird mit einem IS-Kämpfer verheiratet und materiell ausgenutzt. Ihre Aufgabe ist es, in den Kriegsgebieten für die Versorgung der IS-Kämpfer zu sorgen. Dabei befindet sie sich in ständiger Lebensgefahr.

Andere suchen ihr Glück in der Ferne, in „Traum-Ländern“, auf „Traum-Inseln“, an „Traum-Stränden“ in unberührten Landschaften wie z.B. in Kanada oder Neuseeland.

So möchte der 57-jährige Unternehmer B. mit seiner 55-jährigen Frau A. einen neuen Lebensabschnitt beginnen. „Wir haben bis jetzt genug geschuftet und viel Geld verdient. Aber unser persönliches Leben, unsere eigenen Bedürfnisse, die Beziehung zu Freunden, die Freizeit und unsere privaten Interessen sind vor lauter Arbeit und beruflichem Engagement auf der Strecke geblieben. Die Kinder sind inzwischen erwachsen und haben ihre eigenen Familien. Sie brauchen uns nicht mehr. Beim Rückblick auf unser bisheriges Leben haben wir den Eindruck, dass wir eigentlich noch nicht richtig gelebt haben. Jetzt wollen wir das Versäumte nachholen und ein neues und glückliches Leben beginnen, von dem wir immer geträumt haben. Wir kaufen uns ein Blockhaus in einer wunderschönen Bucht in Kanada. Dort haben wir schon oft Ferien gemacht und uns immer sehr wohl gefühlt.“

Frau S. arbeitet seit 29 Jahren als Managerin in einer Großbank und hat einen 14- bis 16-Stunden-Tag. Sie ist Alleinerziehende eines jetzt 30-jährigen Sohnes, der die meiste Zeit bei den Großeltern lebte, da S. beruflich viel unterwegs war. Sie hat in ihrem Stressberuf keine Zeit für persönliche Interessen und Beziehungen gehabt. Jetzt will sie endlich ihren Traum erfüllen und in Neuseeland ein neues, einfaches Leben in einer kleinen Siedlung beginnen, die sie bei Ferienaufenthalten kennen und lieben gelernt hat. Dort kann sie endlich ihren Traumberuf als Malerin verwirklichen und die Natur genießen: Mit dem Boot hinausfahren und angeln, schwimmen, joggen, mit den Nachbarn plaudern, auf der Bank vor dem Haus sitzen und den Sonnenuntergang genießen. S. hofft, dass dieses einfache, entstresste Leben, das sie bisher nur aus ihren Ferienwochen kennt, endlich auch die ersehnte Zufriedenheit und das Glück in ihr Alltagsleben bringt.

Bei diesen Entscheidungen ist es wichtig, nicht zu schnell und um jeden Preis das glückliche Leben erhaschen und haben zu wollen. So scheitern Wünsche nach einem glücklichen Leben, weil die notwendigen Entscheidungen unüberlegt, gegenabhängig oder „aus dem Bauch heraus“ getroffen werden. Oft wird auch ein Teilaspekt des Lebens für das Ganze gehalten. Dann endet der Versuch, das Glück zu finden, nicht selten in einem Teufelskreis von Lebensgier und Aus-Leben, verbunden mit einem Gefühl der inneren Leere und Unzufriedenheit. Viele der Betroffenen haben ihr eigenes Leben noch nie richtig angeschaut, reflektiert und sich kritisch damit auseinandergesetzt. Sie reagieren auf die aktuelle Lebenssituation wie Menschen, die auf der Flucht vor dem Leben sind, dem sie gleichzeitig atemlos hinterherlaufen. „Solange ich hinter dem Glück herrenne, wird es mich nicht einholen“ (Peter Hohl).

„Ich habe ein Recht auf ein glückliches Leben und meine Selbstverwirklichung. Bisher bin ich immer nur bestimmt und gelebt worden.“ Mit diesen Worten versucht J., ein 39-jähriger Pfarrer, das Übermaß an seelsorglicher Arbeit in drei Pfarreien, die ihn ausgelaugt und an den Rand des Selbstmords getrieben haben, loszuwerden und sich zu befreien. Nach einem Klinikaufenthalt wegen „Burn-out“ und Depressionen schreibt er: „Ich mache jetzt nur noch das Notwendigste in meinem Pfarrverband, ‚Arbeit nach Vorschrift‘. Jetzt denke ich endlich an mich und kann meine persönlichen Bedürfnisse befriedigen.“ Konkret bedeutet es für S., dass er seine bisher unterdrückte Homosexualität im Geheimen ausleben, sich viel Freizeit gönnen und das Leben in vielfältiger Weise genießen will. Und in der Seelsorge will er nur das Notwendigste tun. Nach einem Jahr wird S. in der Schwulenszene erpresst und gerät in eine noch tiefere Lebenskrise, die ihn zur Besinnung bringt. Nach einer Sabbatzeit und Exerzitien findet S. zu seiner Berufung als Priester in der Nachfolge Jesu zurück und er kann sie heute entsprechend seinen erkannten Möglichkeiten und Grenzen gestalten und leben.

„Ich will ein normales und glückliches Leben führen wie die andern“, erklärt N., eine 40-jährige, körperlich schwerbehinderte Frau. Bislang hat sie sich noch nicht mit ihrer Behinderung auseinandergesetzt oder sie gar angenommen. Sie vergleicht sich mehr unbewusst als bewusst mit Menschen ohne Behinderung und hat letztlich das Ziel, wie diese „normal“ zu leben, eben nicht behindert. Diese irreale Suche nach einem „normalen“ und glücklichen Leben kann nicht gelingen. Bei N. endete sie mit einem Suizidversuch.

„Ich will das Leben genießen, solange ich es noch kann!“, meint Herr S., ein an Aids erkrankter 44-jähriger homosexueller Religionslehrer. In seiner Verzweiflung beschließt er, „einige Leben durch ungeschützten sexuellen Verkehr mit in den Tod zu nehmen“. Gott sei Dank wird dieser mörderische Wunsch, mit dem er sich „an Gott und Mensch rächen“ will, nach einigen Beratungen für ihn fragwürdig. Er setzt sich mit seiner Krankheit auseinander und kann sich schließlich auch vor Gott damit versöhnen. S. hat gelernt, als Aidskranker mit seinen Möglichkeiten und Grenzen zu leben. Er unterrichtet weiter als Religionslehrer an einer Berufsschule und führt nach der Auseinandersetzung und Versöhnung mit seiner Krankheit ein gutes geistliches Leben und engagiert sich in der Freizeit für Flüchtlingskinder.

Diese Beispiele und unsere eigenen Erfahrungen zeigen, dass das Immer-mehr-haben-Wollen und ein Mehr-an-Besitz nicht unbedingt zu einem glücklichen Leben führen. Der Erwerb und der Besitz von materiellen Gütern können sehr wohl zu einem glücklichen Leben gehören, sie sind aber keine notwendige Voraussetzung. Zu einem geglückten Leben gehört mehr: Menschen, die in materieller Armut leben, wenn diese nicht ins Elend führt, können sehr glücklich sein und Lebensfreude ausstrahlen. Sie sind kreativ und entwickeln viele Talente zum Überleben. Unter ihnen ist häufig eine sehr große Solidarität und Hilfsbereitschaft zu finden. André Gide schreibt dazu: „Das Geheimnis des Glücks liegt nicht im Besitz, sondern im Geben. Wer andere glücklich macht, wird glücklich.“

Entscheidend für das Glücklich-Sein ist, dass wir die Güter in rechter Weise besitzen. „Nicht in Besitz und Verfügung liegt das Glück, sondern in dem, wozu solches uns verhilft. Es ist eine alte Einsicht, dass das, was für den Menschen das Wesentliche ist, überhaupt nicht so sehr in den äußeren Dingen liegt, die wir anzuhäufen vermögen. Für die Frage nach dem Glück bedeutet dies ganz konkret: Was immer wir uns erarbeiten und beschaffen, um damit und daraus zu leben, entscheidend bleibt, worin das ermöglichte Leben selbst dann besteht“ (Hommes, 242f.).

Diese Erkenntnis wird im Märchen der Brüder Grimm vom „Hans im Glück“ anschaulich beschrieben. Der „gold-reiche“

Hans gelangt zu seinem Glück, indem er sich in einer etwas einfältigen Weise Stück für Stück von seinem materiellen Besitz trennt, der ihn immer wieder behindert. Zum Schluss hat Hans nichts mehr und dankt Gott unter Tränen, dass er ihn auf eine so gute Art, ohne dass er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hat, die ihm allein noch hinderlich waren. „So glücklich wie ich“, ruft er, „gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“

Wenn ich die Fülle des eigentlichen Glücks empfangen will, muss ich zuerst leer werden von allem Unwesentlichen, was mich ausfüllt. Dieses Loslassen und Leerwerden sind zwei wichtige Voraussetzungen für das Empfangen. Laotse drückt diesen Gedanken so aus:

„Aus leerem Ton formt man Gefäße,

aber die Leere in ihnen

ermöglicht die Fülle der Krüge.

Aus Holz zimmert man Türen und Fenster,

aber die Leere in ihnen

macht das Haus bewohnbar.

So ist das Sichtbare zwar von Nutzen;

aber das Wesentliche bleibt unsichtbar.“

Dieses Geheimnis der Leere und Fülle wird in der Natur, im Kreislauf des Wachsens, sichtbar: Vom Säen, Wachsen und Reifen im Frühling und Sommer bis zur Ernte im Herbst und zum Absterben im Winter. Dasselbe erfährt der Mensch in seiner Lebensgeschichte und in seinem Sterben. Im Tod müssen wir Menschen alles lassen, was unser irdisches Glück und Wohlbefinden ausmacht. Ein Sprichwort sagt: „Das Totenhemd hat keine Taschen.“ Für gläubige Menschen ist das Loslassen und Leerwerden im Tod kein hoffnungsloses Geschehen. Es ist die Voraussetzung für das Empfangen des ewigen Lebens, des Glücks in der Glückseligkeit bei Gott. Diesen geistlichen Prozess schildert eindrücklich die Bergpredigt in den Seligpreisungen (Mt 5,3 ff.). Im Hinblick auf ein glückliches Leben geht es letztlich nicht so sehr darum, wie viel oder wenig wir zum Leben haben – solange ein Existenzminimum gesichert ist –, sondern um die rechte innere Einstellung und Ausrichtung unseres Lebens, dass wir die richtigen Schritte auf dem Weg zu einem geglückten Leben tun.

Der Meister wird von seinen Schülern gefragt: „Du hast so viel zu tun und bist meist sehr beschäftigt. Wie kannst du dabei glücklich sein und zu dir selbst kommen?“

Der Meister antwortet: „Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, das macht mich glücklich.“

Die Schüler sagen: „Das machen wir doch auch.“

Der Meister: „Nein, das tut ihr nicht. Denn wenn ihr steht, dann geht ihr schon, wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon auf, wenn ihr geht, dann lauft ihr schon und wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel“ (Verfasser unbekannt).

Darum lebe im Augenblick und nicht in der Vergangenheit und Zukunft (Watzka, 201ff.). Wie oft leben wir lange Zeit mit einem Ärger, einer Wut im Bauch, mit einem Groll, mit Schuldgefühlen oder Enttäuschungen, die aus der Vergangenheit herrühren, und können sie nicht lassen und verabschieden. Dann bestimmen sie auch unsere Gegenwart.

Darum lebe im Augenblick, verkoste und genieße ihn, „carpe diem“.

Kierkegaard drückt diese Glücksdimension sehr konkret aus, wenn er schreibt:

„Was macht einen Menschen groß, zum Wunder der Schöpfung, wohlgefällig in den Augen Gottes?

Was macht einen Menschen stark, stärker als die ganze Welt, was macht ihn schwach, schwächer als ein Kind?

Was macht einen Menschen hart, härter als den Fels, was macht ihn weich, weicher als Wachs?

Es ist die Liebe!“

(Kierkegaard, 1957)

Wahrscheinlich lässt sich das existentielle irdische Glück am besten im Gleichklang einer geordneten Selbstliebe, Nächstenliebe und Gottesliebe verwirklichen.

1 Buch der Liebe, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1971, Neuausgabe 2004.

Mein Lebensglück finden

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