Читать книгу Grundlagen der Kunsttherapie - Karl-Heinz Menzen - Страница 6
ОглавлениеVorwort
Kunsttherapie ist ein viel versprechendes Wort. Es verweist auf ein Fach, das seinen Namen aus einer Amalgamierung zweier in ihren Interessen gegenläufiger Instrumente des sozialen Handelns bezieht. Wenn Kunst die imitierenden und irritierenden Kodes einer Gesellschaftsverfassung in eigenwilligen Material- und Verfahrensweisen entwirft, um eben diese Verfassung aufzubrechen und zu verändern, – dann will Therapie das Gegenteil: Menschen, die leidvoll aus ihren sozialen Kontexten herausgefallen sind, wieder dorthin zurückführen, wo sie sich geborgen fühlen.
Im Aufeinanderbezug, in der Kooperation der beiden Intentionen geschieht Bergendes und Irritierendes. Wenn verhaltensverunsicherte, mental geschädigte, psychisch erkrankte Menschen aus ihren Alltagskontexten gefallen sind, bieten sich Therapien an, um ehemalige, Halt gebende Bezüge wieder zu vermitteln. Wenn innere wie äußere Lebensbilder erstarrt, nicht mehr kommunizierbar sind, bieten sich künstlerische Therapieverfahren an, um kreativ und phantasievoll andere Bilder des Lebens zu erschließen. Wenn Kunst sich die therapeutischen Handlungsfelder erschließt, lassen sich die ästhetischen Einbahnstraßen des Lebens differenzieren, sodass individuelles Leben facettenreicher, in seinen gesellschaftlichen Bezügen wieder flexibel wird.
Der rehabilitativ, klinisch-psychosomatisch oder psychiatrisch erfasste Mensch ist von den unterschiedlichsten Einschränkungen seines Verhaltens betroffen. Er weiß um die Hilfestellung, die er in Hinblick auf ein verändertes Verhalten braucht. Er weiß jene Freiheit, Nicht-Stringenz, den Charakter der Nichteingebundenheit der Kunst in die gesellschaftlichen Zwänge zu schätzen: „Endlich keine Therapie“ – habe ich oft bei unseren kunsttherapeutischen Klinik-Projekten gehört, und ich habe erfahren, wie gut es tut, wenn Menschen, ansonsten leidend, Tätigkeitsräume erleben, die nicht in der gewohnten Alltagsart zwingend sind.
Von den Nöten und den Freiheiten dieser Menschen berichtet dieses Buch. Es sind hauptsächlich jene, die in ihrem Leben kaum zu Wort kamen. Es sind jene, die vor allem im Raum des nicht-gesellschaftsfähigen Ausdrucks zu Hause sind. Ihre Ausdrücke, ihre Bilder, die Bilder der behinderten und erkrankten Menschen – sie präsentieren eine Welt, die als abgespaltene, exterritorialisierte beschaut, bestaunt, zuweilen kulturausdrücklich gefeiert wird. In dem vorliegenden Buch wird diese Welt vorgestellt.
Das hier in der vierten Auflage vorgelegte Buch vermerkt seit seinem Erscheinen vor 15 Jahren einen anfangs nicht für möglich gehaltenen Fortschritt des Faches auf dem Feld des Gesundheitswesens. Nach der teilweisen Zulassung der künstlerischen Therapieformen in der Akutklinik sind diese auch in der rehabilitativen Versorgung anzutreffen. Dieser Umstand ist wesentlich dem Einsatz vieler berufspolitisch tätigen KunsttherapeutInnen in der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerischer Therapien (BAG-KT) zu verdanken, deren Geschäftsführung ich an dieser Stelle für manche Hinweise bei der hier vorliegenden Überarbeitung danken möchte.