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I. WEIB, FANTASIE

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Wenn die Sinne der Frau schweigen, verlangt sie den Mann im Mond.


Ist eine Frau im Zimmer, ehe einer eintritt, der sie sieht? Gibt es das Weib an sich?


Die Frau braucht in Freud und Leid, außen und innen, in jeder Lage, den Spiegel.


Die männliche Überlegenheit im Liebeshandel ist ein armseliger Vorteil, durch den man nichts gewinnt und nur der weiblichen Natur Gewalt antut. Man sollte sich von jeder Frau in die Geheimnisse des Geschlechtslebens einführen lassen.


Man muss das Temperament einer Schönen so halten, dass sich Laune nie als Falte festlegen kann. Das sind Geheimnisse der seelischen Kosmetik, deren Anwendung die Eifersucht verbietet.


Eine je stärkere Persönlichkeit die Frau ist, umso leichter trägt sie die Bürde ihrer Erlebnisse. Hochmut kommt nach dem Fall.


Die geniale Fähigkeit des Weibes, zu vergessen, ist etwas anderes als das Talent der Dame, sich nicht erinnern zu können.


Die sinnliche Frau stellt die sittlichste Aufgabe, die sittliche Frau dient sinnlichem Verlangen. Die Unbewusstheit zum Bewusstsein zu bringen ist Aeroismus; die Bewusstheit ins Unbewusstsein zu tauchen, Finesse.


Die Begierde des Mannes ist nichts, was der Betrachtung lohnt. Wenn sie aber ohne Richtung läuft und das Ziel erst sucht, so ist sie wahrlich ein Gräuel vor der Natur.


Den Vorzug der Frau, immer erhören zu können, hat ihr die Natur durch den Nachteil des Mannes verrammelt.

Für den Nachteil des Mannes, nicht immer erhören zu können, wurde er mit der Feinfühligkeit entschädigt, die Unvollkommenheit der Natur in jedem Falle als eine persönliche Schuld zu empfinden.


Dass Titania auch einen Esel herzen kann, wollen die Oberone nie verstehen, weil sie dank einer geringen Geschlechtlichkeit nicht imstande wären, eine Eselin zu herzen. Dafür werden sie in der Liebe selbst zu Eseln.


Umschreibung: »Er füllt mit seiner Stimme mein Ohr ganz aus!« sagte sie vom Sänger.


Dasselbe Mädchen konnte einmal von einem, der ihr nachgegangen war, sagen: »Er hatte einen Mund, der küsste von selbst.«


Wie unwesentlich und ungegenwärtig dem Mann das Geschlechtliche ist, zeigt sich darin, dass selbst die Eifersüchtigen ihre Frauen auf Maskenbällen sich frei bewegen lassen. Sie haben vergessen, wie viel sie sich ehedem mit den Frauen anderer dort erlauben konnten, und glauben, dass seit ihrer Verheiratung die allgemeine Lizenz aufgehoben sei. Ihrer Eifersucht opfern sie durch ihre Anwesenheit. Dass diese ein Sporn ist und kein Zügel, sehen sie nicht. Keine eifersüchtige Frau würde ihren Mann auf die Redoute gehen lassen.


Wenn eine Frau Gescheitheiten sagt, so sage sie sie mit verhülltem Haupt. Aber selbst dann ist das Schweigen eines schönen Antlitzes noch anregender.


Die Frauen sind die besten, mit denen man am wenigsten spricht.


Man entscheidet für die Mütter gegen die Hetären, die nichts hervorbringen, höchstens Genies.


Man achte den Acker und man liebe die Landschaft. Dieses ist nahrhafter.


Es kommt schließlich nur darauf an, dass man überhaupt über die Probleme des erotischen Lebens nachdenkt. Widersprüche, die man zwischen seinen eigenen Ergebnissen finden mag, beweisen nur, dass man in jedem Fall recht hat. Und die Widersprüche zwischen den eigenen und den Ergebnissen, zu denen andere Denker gelangt sind, entfernen uns nicht so weit von diesen, wie uns der Abstand von solchen entfernt, die überhaupt nicht über die Probleme des erotischen Lebens nachgedacht haben.


Wenn man einmal durch Erleben zum Denken gelangt ist, so gelangt man auch durch Denken zum Erleben. Man genießt die wollüstigen Früchte seiner Erkenntnis. Selig, wem Frauen, auf die man Gedachtes mühelos anwenden kann, zu solcher Erholung beschieden sind!


Die Schätzung einer Frau kann nie gerecht sein; aber die Über- oder Unterschätzung geschieht immer nach Verdienst.


Der Erotiker hatte an ihr eine Ähnlichkeit entdeckt. Die pflegte er; saß täglich an ihrem Lager und schob ihr die Nase zurecht, um die Ähnlichkeit auszubilden. Der Ästhetiker hatte an ihr eine Verschiedenheit entdeckt. Die pflegte er; saß täglich an ihrem Lager und pries die Heiligkeit der Nase um ihrer selbst willen. Dieser dankt dem Schöpfer. Jener ist ein Schöpfer.


Die Hand einer schönen Frau zu verewigen, sie gleichsam von ihrer Anmut abzuschneiden, ist ein Werk jener grausamen Nichtachtung der Frauenschönheit, deren nur ein Ästhet fähig ist. Eine Hand müsste gar nicht schön sein, und die Wirkung, die von der Frau ausgeht, könnte die Wirkung sein, die man von einem Elementarereignis empfängt. Es gibt Frauen, die wie der Blitz in die erotische Fantasie einschlagen, erbeben machen und die Luft des Denkens reinigen.


Ihre Züge führten einen unregelmäßigen Lebenswandel.


Große Züge: großer Zug.


Lieber ein hässlicher Fuß verziehen als ein hässlicher Strumpf!


Die Weiber haben wenigstens Toiletten. Aber womit decken die Männer ihre Leere?


»Du wesenlose Luft, die ich umfasse!«: das Bekenntnis jeglicher erotischen Verfeinerung.


Ein Weib sei Wasser auf einer Tablette. Man zieht es mit dem Finger, wohin man will, und es hinterlässt keine Spur, wo es gewesen. Das kann die schönste Erinnerung sein.


In der Erotik gilt diese Rangordnung: Der Täter. Der Zeuge. Der Wisser.


Die Einteilung der Menschheit in Sadisten und Masochisten ist beinahe so töricht wie eine Einteilung in Esser und Verdauer. Von Abnormitäten muss man in jedem Falle absehen, es gibt ja auch Leute, die besser verdauen als essen und umgekehrt. Und so wird man, was den Masochismus und den Sadismus betrifft, getrost behaupten können, dass ein Gesunder über beide Perversitäten verfügt. Hässlich an der Sache sind bloß die Worte, besonders entwürdigend jenes, das sich von dem deutschen Romanschriftsteller herleitet, und es ist schwer, sich von den Bezeichnungen nicht den Geschmack an den Dingen verderben zu lassen.


Wenn man vom Sklavenmarkt der Liebe spricht, so fasse man ihn doch endlich so auf: Die Sklaven sind die Käufer. Wenn sie einmal gekauft haben, ist’s mit der Menschenwürde vorbei: Sie werden glücklich. Und welche Mühsal auf der Suche des Glücks! Welche Qual der Freude! Im Schweiße deines Angesichts sollst du deinen Genuss finden. Wie plagt sich der Mann um die Liebe! Aber wenn eine nur Wanda heißt, wird sie mit der schönsten sozialen Position fertig.


Tänzerinnen haben die Sexualität in den Beinen, Tenore im Kehlkopf. Darum täuschen sich die Frauen in den Tenoren und die Männer in den Tänzerinnen.


Das eben ist der Unterschied der Geschlechter: Die Männer fallen nicht immer auf einen kleinen Mund herein, aber die Weiber immer auf eine große Nase.


Eine schöne, aber keine echte Flamme der Sinnlichkeit, wenn sich der Spiritus entzündet!


Sie gewährt, an die Pforte ihrer Lust zu pochen, und lässt die Schätze ahnen, von denen sie nicht gibt. Die Unlust des Wartenden bereichert indessen ihre Lust: Sie nimmt dem Bettler ein Almosen ab und sagt, hier werde nichts ausgeteilt.


Er hatte sie mit Lustgas betäubt, um eine schwere Gedankenoperation an ihr vorzunehmen.


Man unterscheide culpose und dolose Frauen.


Wenn der Dieb in der Anekdote stehlen geht, so hält ihm der Wächter das Licht. Diese Situation ist auch den Frauen nicht unerwünscht.

Der ist ein unkluger Berater einer Frau, der sie vor Gefahren warnt.


Es ist etwas Eigenes um die gebildeten Schönen. Die Mythologie wird umgekrempelt. Athene ist schaumgeboren und Aphrodite in eherner Rüstung dem Haupte Kronions entsprossen. Klarheit entsteht erst wieder, wenn die Scheide am Herkuleswege ist.


Dass eine Frau bei naher Betrachtung verliert, ist ein Vorzug, den sie mit jedem Kunstwerk gemein hat, an dem man nicht gerade Farbenlehre studieren will. Nur Frauen und Maler dürfen sich untereinander mikroskopisch prüfen und ihre Technik abschätzen. Wen die Nähe enttäuscht, der hat es nicht besser verdient. Solche Enttäuschungen lösen ihm die Rosenketten des Eros. Der Kenner aber versteht es, sie erst daraus zu flechten. Ihn enttäuscht nur die Frau, die in der Entfernung verliert.


Es kann aber eine Wohltat der Sinne sein, von Zeit zu Zeit einem komplizierten Räderwerk nahezustehen. Die anderen sehen nur das Gehäuse mit dem schönen Zifferblatt; und es ist bequem, zu erfahren, wie viel’s geschlagen hat. Aber ich habe die Uhr aufgezogen.


Auch in männermordenden Geisteskämpfen kann man manchmal einer Frau einen Blumenstrauß zuwerfen, ohne dass die Menge es merkt. Aber bei der zweiten Lektüre offenbart sich dem Feingefühl ein Pamphlet als Liebesbrief.


Wenn der Wert der Frauen absolut messbar ist, so ist er es gewiss eher nach der Fähigkeit, zu spenden, als nach dem Wert der Objekte, an die sie spenden. Nicht einmal dem Blitz, der statt in die Eiche in einen Holzschuppen einschlägt, darf man einen moralischen Vorwurf machen. Und dennoch besteht kein Zweifel, dass hier die Schönheit des Schauspiels wesentlich von der Würdigkeit des Objektes abhängt, während die Blitze der Sinnlichkeit bei größerem Abstand umso heller leuchten. Nur wenn die Eiche vergebens bittet, dass der Blitz sie erhöre, dann treffe den Blitz die Verdammnis!


Langweile und Unbequemlichkeit sind die Pole, zwischen denen das Entzücken an den Frauen schwankt. In ihrer äußersten Konsequenz sind sie entweder barmherzige Schwestern oder unbarmherzige Schwestern.


Seiner ersten Geliebten trägt man keine Enttäuschung nach. Besonders wenn man sie in der Turnstunde kennengelernt hat und es eine Kletterstange war.


Höchster Überschwang der Gefühle: Wenn du wüsstest, welche Freude du mir mit deinem Kommen bereitest – du tätest es nicht, ich weiß, du tätest es nicht!


Er wollte seine Geliebte zur Freiheit verurteilen. Das lassen sie sich schon gar nicht gefallen.


In der Liebe kommt es nur darauf an, dass man nicht dümmer erscheint, als man gemacht wird.


Was ich nicht weiß, macht mir nicht heiß.


Wenn’s einem kein Vergnügen macht, eine Frau zu beschenken, unterlasse man es. Es gibt Frauen, gegen die ein Danaidenfass die reinste Sparbüchse ist.


Man muss endlich wieder dahin kommen, dass man nicht mehr an der Krankheit, sondern an der Gesundheit einer Frau zugrunde geht.


So erhaben kann sich nie ein wertvoller Mann über ein wertloses Weib dünken wie ein wertloser Mann über ein wertvolles Weib.


Es ist die wichtigste Aufgabe, das Selbstunbewusstsein einer Schönen zu heben.


Der Losgeher hat nichts zu verlieren. Der andere nähert sich einer Frau nicht, weil er einen ganzen Lebensinhalt, den er zitternd trägt, aus der Hand fallen lassen könnte.


Das Tragische leitet seinen Ursprung von einem Bocksspiel her.


Eine Nachtwandlerin der Liebe, die erst fällt, wenn sie angerufen wird.


Sie lebte dem Gattungswillen entrückt, aber sooft sie liebte, selbst zu neuem Leben geboren. Sie war nicht zum Gebären geschaffen, sondern zum Geborensein.


Zuerst sieht man eine, der andere ähnlich sehen. Dann eine, die ähnlich sieht. Schließlich aber ist keine mehr da, und man sieht alles von selbst.

Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt

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