Читать книгу Ardistan und Dschinnistan - Karl May - Страница 5
Оглавление»Ja,« antwortete er, ohne einen Versuch zu machen, aufzustehen.
»Wie ist das möglich?«
»Er überlistete mich.«
»Weißt Du, was das heißt?«
Der Ton, in dem sie das sagte, klang vorwurfsvoll. Er senkte die Augen. Ich hatte den Eindruck, als ob er hierbei errötete, konnte es aber wegen der Gesichtsbehaarung nicht sehen. Dann hob er den Blick wieder zu ihr empor und antwortete in geradezu rührender Wahrheitsliebe:
»Das heißt, daß er klüger und vorsichtiger gewesen ist als ich. Verzeihe mir; Du hast auch diesmal recht!«
Und sich nun an mich wendend, fuhr er fort:
»Sie warnt mich nämlich immer, doch ich gehorche nicht. Ich verlasse mich auf meine Fäuste, sie aber behauptet, daß das kleinste Stückchen Geist viel stärker und viel mächtiger sei als ein meilenlanger und bergeshoher Körper. Ich weiß zwar sehr genau, daß dies richtig ist, aber wenn dann der Augenblick erscheint, an dem ich glaube, meinen Geist zu zeigen, dann bringe ich nichts fertig als nur Knabenstreiche. Du hast es ja gesehen!«
»Du scheinst während meiner Abwesenheit nachgedacht zu haben?« antwortete ich.
»Allerdings! Und was ich da gefunden habe, sieht nicht so aus, als ob ich darauf stolz sein könne. Ich bekam Angst. Du scheinst ganz so einer zu sein, wie meine Frau wünscht, daß ich werden soll. So ein kleines Stückchen Geist! Verstehst Du mich? Als Du mich verlassen hattest, fragte ich mich, was daraus werden könne, wenn dieser Geist jetzt plötzlich in meine guten, ahnungslosen Ussul fahren würde - - -«
»Das hat er auch getan,« unterbrach sie ihn, »und Du kannst nur froh sein, daß es nicht ein böser, sondern ein guter Geist gewesen ist, den er mit sich brachte. Er kam auf Deinem Pferde wie ein Sturmwind dahergebraust, an dem Lager vorüber und gerade in den See hinein, wo der Sahahr mit zwei Männern im Boote saß, um den Gefangenen, den wir gemacht hatten, nach der Insel zu bringen. Er schwamm auf dem Pferde zum Boote hin, warf den Sahahr heraus, stieg selbst hinein, schnitt die Fesseln des Gefangenen durch und trieb dann auch die Ruderer in das Wasser. Dann kam er nach dem Ufer und nahm den Zauberpriester mit dem Riemen gefangen, um uns zu zeigen, auf welche Weise er Dich überwältigt hat. Was konnten wir nun tun, nachdem er erst den weltlichen und dann auch noch den geistlichen Anführer der Ussul in seine Gewalt gebracht hatte? Ihn etwa töten?«
»Ja! Das dachte ich!« antwortete er.
»Niemals! Man tötet nur Ungeziefer, nicht aber ehrliche Menschen!«
»Aber wenn er tot war, brauchte ich mein Wort nicht mehr zu halten! Ich hätte diese Stelle verlassen und zu Euch zurückkehren können!«
»Er hätte sich gewehrt. Wenigstens der Sahahr wäre verloren gewesen.«
»Aber bedenke: Du hattest neunzehn Jäger bei Dir! Riesenstarke Männer mit Spießen, Messern und Pfeilen!«
»Neunzehn Männer mit Spießen, Messern und Pfeilen!« fiel ich da lächelnd ein, indem ich den Henrystutzen in die Hand nahm. »Schau diese kleine, dünne Flinte! Sie ist mehr wert als alle Eure Lanzen, Pfeile und sonstigen Waffen. Hast Du den Quittenbaum gesehen, an dem wir unweit von hier vorübergekommen sind? Steh auf, und folge mir! Ich will Euch etwas zeigen.«
»Ich darf aufstehen?« fragte er.
»Ja,« nickte ich.
»Bin also nicht mehr gefangen?«
»Doch! Ich gebe Dich erst dann frei, wenn Du mein Freund geworden bist.«
»Gut! Du bringst mich wieder hierher, sobald Du willst.«
Ich schritt voran, und die beiden kamen hinterdrein. Wir gingen bis an die Stelle zurück, wo die Quitte stand. Das war ganz in der Nähe der Hauptrichtung, aus der wir links eingebogen waren. Grad als wir den Baum erreichten, der ganz voll von noch sehr kleinen, flaumigen, silbern schimmernden Früchten hing, kamen Halef und der Sahahr daher. Sie befanden sich in einer sehr lebhaften Unterhaltung und schienen sich unterwegs ganz leidlich einander angefreundet zu haben. Der gute Verlauf unsers bisherigen Abenteuers stand für mich fest. Ich deutete auf einen Außenzweig der Quitte und fragte den Scheik:
»Wieviel Quitten trägt dieser Zweig?«
»Zusammen zwölf,« antwortete er, nachdem er gezählt hatte.
»Ich will Dir zeigen, was aus Deinen Jägern geworden wäre, wenn sie es gewagt hätten, sich an mir oder meinem Hadschi zu vergreifen. Ich werde nur sechs von diesen Früchten herabschießen, dann aber auch den ganzen Zweig mit den sechs übrigen.«
Ich entfernte mich, um eine möglichst imponierende Distanz zu nehmen. Diese Pause benutzte Halef, der die Situation sofort begriff, um die Sache möglichst wichtig aufzubauschen. Er rief aus:
»Es kommt ein Meisterstück, ein ungeheures Meisterstück! Sechs Quitten, eine nach der anderen! Und dann der ganze Zweig! Und zwar ohne auch nur ein einzigesmal zu laden! Mit diesem Zaubergewehr kann man nämlich, wenn man es zu behandeln versteht, in alle Ewigkeit weiterschießen, ohne laden zu müssen! Ihr werdet Eure Wunder sehen; ich sage Euch, Eure Wunder!«
Als ich mich in der gewünschten Entfernung befand, drehte ich mich um und legte das Gewehr an.
»Jetzt, jetzt!« schrie Halef. »Es beginnt!«
Ich zielte sehr genau, denn wenn ich die beabsichtigte Wirkung erreichen wollte, durfte es keinen Fehlschuß geben. Es gelang. Sechs Schüsse schnell hintereinander für die Früchte, und dann noch zwei, um den Zweig herabzubrechen, denn mit nur einem der kleinen Projektile gab es keine Garantie. Als ich den Zweig fallen sah, setzte ich das Gewehr ab. Halef jubilierte in seiner lauten Art und Weise. Die drei Ussul standen ganz erstaunt. Sie fanden keine Worte. Aber es sollte noch weit besser kommen. Die Schüsse hatten einen Raubvogel aufgescheucht, der höchst wahrscheinlich beim Fraß gesessen hatte, und zwar so in der Nähe von uns, daß wir seine Stimme noch eher hörten, als wir ihn sahen. Er stieg, weit ausholend, in die Höhe, und zwar nicht etwa in schräger Richtung uns entfliehend, sondern in einer erst weiten und dann immer enger werdenden Schneckenlinie, beständig über uns bleibend.
»Ein Nisr el Afrit!« rief der Scheik, für den Augenblick meine Schüsse ganz vergessend.
»Ein Nisr el Afrit!« rief auch der Zauberpriester, und der Ton, in dem dies geschah, sagte deutlich, daß dieser Vogel hier zu den seltensten und wertvollsten Jagdbeuten gehört.
»Ein Nisr el Afrit!« rief ebenso die Scheikin, indem sie die Arme verlangend emporstreckte. »Wenn man die Steuerfedern hätte, die Steuerfedern nur!«
»Willst Du sie haben?« fragte ich, indem ich den Stutzen wegwarf und nach dem weit-und hochtragenden Bärentöter griff.
Sie sah mich verwundert an und antwortete nicht. Halef rief ihr zu:
»Sag ja, sag ja! Dann holt er ihn Dir herab!«
Ich hob das Gewehr empor und zielte. Der Schuß krachte. Der Vogel zuckte zusammen, als ob er über den lauten Knall erschrocken sei. Aber es war die Kugel, unter der er zusammenzuckte. Der Körper hing einen Augenblick vollständig unbeweglich in der Luft; dann begannen die Schwingen konvulsivisch zu schlagen. Der Körper drehte sich um sich selbst und fing an zu sinken, erst langsam, dann schnell und immer schneller. Den einen Flügel fest an den Leib gezogen, den andern weit ausgestreckt, kam das Tier, zu Tode getroffen, zur Erde nieder, und zwar gar nicht sehr weit von uns, auf dem von Bäumen freien, schmalen Strich, auf dem das Wettrennen zwischen dem Scheik und mir stattgefunden hatte. Halef rannte spornstreichs hin, um ihn zu holen, und der Zauberer vergaß seine priesterliche Würde so ganz und gar, daß er ihm nacheilte, um ihm tragen zu helfen. Als sie den Adler brachten, sah ich, daß es ein außerordentlich schönes und großes Weibchen war, hellbraungolden, mit reinem, fleckenlosen Flügelspiel, die Länge einen ganzen Meter, die Breite aber weit über zwei Meter betragend. Ich trug ihn zur Frau des Scheiks, legte ihn vor ihr hin, breitete die Schwingen und Steuerfedern aus, die bei den Ussul sehr hoch im Werte stehen, und sagte:
»Du hast diese Federn gewünscht. Ich bitte Dich, sie von mir anzunehmen!«
»Du willst sie mir schenken?« fragte sie.
»Ja, wenn Du es mir erlaubst.«
»Kennst Du ihren Wert?«
»Sie haben nur dann einen Wert für mich, wenn sie Dir Freude machen.«
»Sie werden hier in Ardistan als Zeichen hoher Würde getragen und sind bei uns von großer Seltenheit, weil unsere Kugeln und Pfeile nicht den Adler in den Lüften zu ereilen vermögen. So reiche Geschenke darf man nur von einem Freunde annehmen, nicht aber von einem Fremden, den man zum Knecht und Sklaven machen will. Ich bitte Dich, mir Deine Gewehre zu zeigen!«
Ich gab ihr erst die Doppelbüchse, deren Schwere sie zu überraschen schien, denn sie reichte sie dem Scheik mit den Worten hin:
»Diese Fremden sind stärker als man denkt. Es ist gewiß nicht leicht, mit solchen Gewehren zu schießen.«
»Ich habe diese Flinte schon in der Hand gehabt,« antwortete er. »Aber ich ahnte nicht, daß sie ihre Kugeln nach so außerordentlichen Höhen sendet.«
Dann griff sie nach dem Stutzen. Sie betrachtete ihn genau, wendete ihn hin und her, hielt ihn an das Ohr, schüttelte ihn, um vielleicht etwas zu hören, und sagte dann:
»Das ist allerdings ein richtiges und wirkliches Zaubergewehr, denn so sehr man sich auch Mühe gibt, kann man doch unmöglich entdecken, wie es möglich ist, mit ihm immerfort zu schießen, ohne zu laden. Zu einem solchen Gewehr gehört aber auch ein Schütze wie Du!«
So sagte sie zu mir. Zum Scheik aber sprach sie:
»Ich bin überzeugt, daß dieser Emir Kara Ben Nemsi Effendi imstande ist, Dich und Deine neunzehn Ussul in Zeit von zwei Minuten zu erschießen. Du nicht auch?«
»In Zeit von nicht zwei, sondern nur einer!« warf Halef ein.
Der Scheik kratzte sich den Untergrund seines Bartes und antwortete:
»Daran ist fast kein Zweifel. Hoffentlich aber tut er es nicht! Und da habe ich einen großen, schönen, köstlichen Gedanken. Darf ich ihn Dir sagen?«
»Sprich!« forderte sie ihn auf.
»Solche Gewehre und so einen Schützen müßte man auf der Jagd haben!«
Sie nickte.
»Und im Kampfe gegen die Tschoban!«
»Grad jetzt!« fiel da der Zauberer ein. »Wir wissen ja, daß sie sich rüsten, uns zu überfallen.«
Um mich zu unterrichten, fügte Taldscha in erklärendem Ton hinzu:
»Wir schicken alle unsere Leute auf die Jagd, um Mundvorrat für diesen Kampf zu sammeln, der lange währen kann und stets sehr blutig ist.«
»Wer sind diese Tschoban?« erkundigte ich mich.
»Ein wildes Reitervolk, welches draußen auf der Steppe und in der Wüste lebt. Die Tschoban züchten Pferde, Kamele, Rinder und Schafe. Sie haben keine bleibende Stätte. Sie sind Nomaden; sie beten einen Gott an, den sie Allah nennen, und sie haben die Blutrache. Immer, wenn ein böses, hungriges Jahr ihre Herden weggefressen hat, fallen sie bei uns ein, um uns die unserigen wegzunehmen. Wir erwarten für nächste Zeit einen derartigen Einbruch in unser Gebiet und nun machen wir Fleisch, um uns für die Belagerungen vorzubereiten, die wir auszuhalten haben werden.«
»Belagerungen?« fragte ich. »Kämpft Ihr nicht auf offenem Felde?«
»Nein. Dazu sind sie zu zahlreich, und wir haben vor allen Dingen unsere Tiere zu schützen. Wir ziehen uns mit ihnen hinter das Wasser zurück und lassen uns da von den Tschoban belagern. Wer es am längsten aushält, der hat gesiegt. Deine Gewehre tragen außerordentlich weit. Ob sie verzaubert sind, darüber frage ich Dich noch. Von höchstem Werte ist es, daß Du so genau zu treffen verstehst.«
Bei diesen Worten bückte sie sich, hob den herabgeschossenen Quittenzweig von der Erde auf, betrachtete ihn genau und fragte mich dann:
»Würdest Du uns gegen diese Feinde beistehen, Emir?«
»Beistand zu leisten, ist man nur Freunden schuldig,« antwortete ich.
»Du bist doch unser Freund!«
»Noch nicht!«
»O doch!«
»Beweise es!«
»Ich habe es beschlossen!«
Sie sagte das in sehr bestimmtem Tone und sah dabei den Scheik und den Zauberer an. Der Erstere beeilte sich, mir zu erklären:
»Ja, wenn sie es beschlossen hat, so kann es nicht anders sein. Ich stimme bei.«
Und der Letztere sagte zu mir:
»Wenn unsere Scheikin beschließt, ist keine Beratung nötig. Sie trifft stets das Richtige. Ich gebe ihr meine Zustimmung gern. Wenn es Dir recht ist, Emir, kannst Du schon morgen, wenn wir nach unserer Stadt zurückgekehrt sind, Ussul werden. Das ist eine heilige Zeremonie, die ich als Priester vorzunehmen habe, nachdem Du vorher bewiesen hast, daß Du es wert bist, ein Ussul zu sein.«
»Wie habe ich das zu beweisen?«
»Durch den Kampf mit einem unserer Leute. Besiegt er Dich, so kannst Du nicht aufgenommen werden.«
»Und besiege ich ihn, so trete ich wohl an seine Stelle und er wird ausgestoßen?«
Diese Frage verwirrte ihn. Es dauerte eine kleine Weile, bevor er die Antwort gab:
»Nein. Das kannst Du nicht verlangen. Es geschieht dem größten Helden, daß ein Zufall ihn besiegt. Das ist eben Zufall, keine Schande. Warum ihn also ausstoßen?«
»Wir kämpfen, Sihdi, wir kämpfen!« rief Halef begeistert aus. »Wer wird mein Gegner sein?«
»Du hast das Recht, ihn Dir zu wählen,« unterrichtete ihn der Zauberer.
»So wähle ich Dich,« sagte der kleine Hadschi, indem er ihm eine sehr tiefe, höfliche Verbeugung machte.
»Mich - - -? Warum grad mich - - -?«
Er dehnte diese Frage sehr lang und unlustig heraus. Es schien ihm gar keine große Freude zu machen, daß Halef seine Wahl auf ihn gelenkt hatte.
»Weil Du mir gefällst,« antwortete dieser. »Weil ich Dich liebgewonnen habe. Und auch darum, weil ich noch nie Gelegenheit hatte, mit einem Sahahr zu kämpfen. Es wird die Größe meines Ruhmes vermehren, wenn ich daheim erzählen kann. daß ich Dich im Kampfe überwunden und getötet habe.«
»Getötet? Du tötest auch in einem solchen Probekampfe?«
»Natürlich! Der Sieg ist doch nur dann vollständig errungen, wenn der Gegner tot am Boden liegt. Wer hat die Waffen zu bestimmen?«
»Der Fremde, der aufgenommen werden soll.«
»Also ich? Gut, so schießen wir uns!«
»Schießen?« fuhr der Zauberpriester auf. »Das wäre ja mein sicherer Tod, obgleich ich gegen Dich ein Riese bin!«
»Das ist es ja eben, was ich will!« lachte Halef. »Riesen totzuschießen, ist mir eine wahre Wonne! Nur um ihnen zu zeigen, daß es nicht auf den Körper ankommt. Was für Waffen wählst Du denn, Effendi?«
»Dieselben,« antwortete ich, auf seine heitere Absicht eingehend.
»Und mit wem wirst Du kämpfen?«
»Mit dem Scheik.«
Da rief dieser erschrocken aus:
»Mit mir? Warum grad mit mir?«
»Weil Du mir gefällst; weil ich Dich liebgewonnen habe. Du hörst, daß ich ganz genau dieselben Gründe habe wie mein Hadschi Halef. Er ist Scheik, und ich bin Emir. Wir können ganz unmöglich mit gewöhnlichen Kriegern kämpfen. Darum wählen wir Euch, und wir sind überzeugt, daß Ihr diese unsere Wahl als das betrachtet, was sie ist, nämlich als eine Ehre für Euch beide!«
Das sagte ich zum Scheik. Mich von ihm an seine Frau wendend, fügte ich hinzu:
»Also, wir sind bereit, Ussul zu werden. Dies kann, wie ich gehört habe, erst morgen geschehen. Was sind wir bis dahin? Freunde oder Feinde?«
»Freunde,« antwortete sie. »Du kannst den Scheik und den Sahahr getrost aus ihrer Gefangenschaft entlassen. Ihr seid frei.«
»Nur für jetzt oder für immer?«
»Für immer. Hier meine Hand darauf!«
Sie reichte mir ihre Hand, die ich freundschaftlich drückte. Auch die beiden Männer gaben mir ihre Hände, ebenso dem Hadschi. Taldscha aber tat das letztere nicht. Sie schaute über Halef hinweg, als ob er für sie nicht vorhanden wäre. Er hatte es verdient, obgleich er als Moslem keine Übung besaß, mit Frauen zu verkehren.
Nun der Scheik sich frei wußte, drängte er, nach dem Lager zurückzukehren. Er nahm den Adler auf, um ihn zu tragen. Seine Frau behielt den Quittenzweig, um ihn ihren Kriegern vorzuzeigen. Wir gingen zu unsern Pferden, die wir genau so fanden, wie ich sie verlassen hatte. Als sie aufsprangen, stieß Taldscha einen Ruf der Verwunderung aus. Sie besaß ein besseres Auge als der Scheik.
»Was für schöne, herrliche Tiere!« rief sie, die Hände vor Freude zusammenschlagend. »Viel kleiner als die unsern! Aber unendlich herzig, anmutig und wohlgestaltet! Man muß sie küssen!«
Sie umschlang den Hals Ben Rihs und küßte ihn auf die Stirn. Er ließ sich dies gefallen, ohne sich zu regen. Aber als sie es auch bei Syrr tat, öffnete dieser die Nüstern weit, sog den Duft ihrer Atmosphäre ein und ließ dann ein frohes Wiehern hören, so zart, gedämpft und eigenartig, wie ich es noch nie von ihm gehört hatte. Da trat sie rasch zwei oder drei Schritte von ihm zurück, sah mich seltsam prüfend an und fragte:
»Effendi, knistern die Haare dieses Pferdes?«
»Ja,« antwortete ich.
»Immer?«
»Nein, sondern nur, wenn ich selbst sie kämme und streiche.«
»Wie heißt dieses Pferd?«
»Syrr.«
»Syrr? Also Geheimnis, Rätsel! Als ich seinen Hals berührte, fühlte ich etwas durch meine Hände gehen. Das war genau dasselbe Gefühl wie damals, als mir der Mann, der aus Sitara kam, seine Hände reichte.«
»Was ist Sitara?« fragte ich, indem ich so tat, als ob ich es nicht wüßte.
»Ein Land in weiter Ferne, von dem man hier fast nur den Namen kennt, weiter nichts. Darf ich einmal versuchen?«
Sie deutete auf Syrr. Ich wußte zwar nicht, was sie meinte, antwortete aber mit einem zustimmenden Nicken. Da trat sie wieder an das Pferd heran und begann, seine Mähne zu streichen. Sie horchte und winkte mir dann, näher zu kommen. Ich tat es und horchte mit. Ich vernahm jenes charakteristische, elektrische Knacken und Knistern, das ich im letzten Bande von >Im Reiche des silbernen Löwen< ausführlich beschrieben habe.
»Hörst Du es?« fragte sie.
»Ja. Wenn es nachts und dunkel wäre, würdest Du es sogar sehen.«
»Kleine, helle Funken, bläulich gelb, die zwischen Haar und Hand herüber-und hinüberspringen. Nicht wahr, Emir?« antwortete sie.
»Du kennst es also schon?«
»Ja.«
»Woher?«
»Von Aacht und Uucht.«
Aacht und Uucht heißt Bruder und Schwester. Sie sah mir an, daß ich zu wissen begehrte, was für ein Geschwisterpaar das sei, und erklärte mir also:
»Aacht und Uucht sind zwei Hunde, wie es ganz gewiß keine mehr gibt. Die Ussul sind berühmt durch die Größe, Schönheit und Stärke ihrer Bärenhunde, die sie ziehen. Wir schickten vor einigen Jahren dem ‘Mir von Dschinnistan ein Paar. Solch ein Verkehr mit ihm ist hier in Ardistan verboten; aber er hatte uns eine große Liebe erwiesen, für die wir ihm durch diese Gabe danken wollten. Das mußte natürlich heimlich geschehen. Ebenso heimlich kam dann später ein fremder Mann zu uns, der aus Sitara stammte und im Begriff stand, dorthin zurückzukehren. Er war beim ‘Mir von Dschinnistan gewesen und brachte dessen Gegengabe, auch zwei Hunde, schöner und schneller und klüger noch als die unserigen, aber nicht so stark. Der Mann aus Sitara war derselbe, von dem ich soeben sprach. Er teilte uns die Bedingungen mit, die der ‘Mir von Dschinnistan an seine Gabe knüpfte. Sie war seltsam. Nämlich die Nachkommen einer Kreuzung seiner und unserer Rasse sollen alle uns gehören, ein einziges Paar ausgenommen, Bruder und Schwester, die einem Gaste auszuhändigen seien, der mit einem verborgenen Schilde auf der Brust zu uns kommen und uns von großem Nutzen sein werde. Dieses Paar wurde geboren und Aacht und Uucht genannt. Ich behaupte, daß es keine schöneren, stärkeren, klügeren und schnelleren Hunde gibt, als diese beiden. Und sonderbarer Weise sehe und höre ich kleine Funken knistern, wenn ich sie liebkose, ganz genau wie bei Syrr, Deinem Pferde. Sitzt auf! Wir kehren nach dem Lager zurück.«
»Ich reite mit!« sagte der Scheik. »Ich setze mich auf das Pferd Deines Begleiters.«
Er ging zu Ben Rih und griff nach seinem Zügel. Halef wollte sich das nicht gefallen lassen; ich gab ihm aber einen heimlichen Wink, Amihn nicht zu beleidigen. Er gehorchte mir, doch nur scheinbar, denn ich sah, daß er seinem Pferde jenes andressierte Zeichen gab, von dem ich bei früheren Gelegenheiten wiederholt gesprochen habe. Ben Rih wußte sofort, was er zu tun hatte. Als der Scheik die Hand nach dem Sattel hob, warnte ihn Halef:
»Ich an Deiner Stelle würde nicht reiten, o Scheik!«
»Warum nicht?« fragte dieser.
»Dieses Pferd wirft jeden ab, der nicht darauf gehört.«
»Auch mich?« lachte der Ussul.
»Auch Dich!« nickte der Hadschi mit jenem Lächeln, das mir nur zu bekannt an ihm war.
»Das wollen wir doch versuchen! Wehe dem Rappen, wenn er glaubt, einen Mann wie mich herunterzubringen!«
Er schwang sich hinauf, oder vielmehr, er kletterte hinauf, wie er es bei seinem >Dicken< zu tun gewohnt war. Noch aber hatte er das rechte Bein nicht ganz hinüber, so tat das Pferd, steifbeinig wie ein Bock, einen Satz zur Seite, augenblicklich hierauf einen zweiten nach vorn, und blieb dann stehen; der Reiter aber saß hinter ihm tief in den duftenden Blüten. Taldscha wollte sich beherrschen, um das Lachen zu verbergen; es gelang ihr nicht. Auch der Zauberer lachte. Ich dagegen blieb ernst und Halef ebenso. Daß der Riese von seiner Frau ausgelacht wurde, das war wohl kein allzu seltenes Ereignis; aber daß es in unserer Gegenwart geschah, das regte ihn auf und ärgerte ihn derart, daß er beschloß, die erlittene Niederlage augenblicklich wett zu machen. Er sprang also schnell wieder in die Höhe, faßte die Zügel des Rappen von neuem und hob den Fuß, um ihn in den Bügel zu setzen.
»Hüte Dich!« warnte der Hadschi.
»Schweig!« donnerte der Scheik. »Die Bestie muß gehorchen, sage ich Dir. Sie muß!«
Er glaubte, den Trick des Pferdes jetzt zu kennen und darum gegen ihn geschützt zu sein. Aber er sah nicht, daß Halef jetzt ein anderes Zeichen gab, und daß der Hengst sich also auch anders zu verhalten hatte. Der Scheik stieg sehr langsam im Bügel empor, um gleich wieder abspringen zu können, falls das Pferd mit seinem >Mätzchen< zu schnell beginnen würde. Als dies nicht geschah, warf er das rechte Bein schnell hinüber auf die andere Seite und faßte rasch den dortigen Bügel, um gleich fest zu sitzen und sich nicht bereits im Aufsteigen überraschen zu lassen. Das gelang ihm vollständig. Das Pferd rührte sich nicht, selbst dann nicht, als er schon vollständig festen Sitz genommen hatte.
»Nun, kann ich es, oder kann ich es nicht?« triumphierte er.
»Du kannst es nicht!« behauptete Halef.
»Du siehst es aber doch, daß - - -«
Er konnte den Satz nicht aussprechen, als Ben Rih plötzlich ganz kerzengerade emporstieg, im Niedersenken zur Seite abbockte und dann die Hinterbeine so hoch in die Luft warf, daß der Scheik aus dem Sattel und über den Kopf des Pferdes zur Erde flog.
»- - - daß Du wieder herunter mußt!« vollendete Halef den angefangenen Satz des Scheik. »Ich werde Dir zeigen, wie man es machen muß, fest sitzen zu bleiben!«
Er schwang sich auf das Pferd, um dem Scheik jede Gelegenheit zu nehmen, sich wieder in den Sattel zu wünschen. Der Scheik sprang auf, im höchsten Grade darüber wütend, daß er sich abermals lächerlich gemacht hatte. Es fiel ihm gar nicht ein, den zweimal mißlungenen Versuch zu wiederholen.
»Dein Vieh ist verrückt!« rief er. »Kein Mensch kann es reiten!«
»Auch ich nicht?« fragte Halef.
»Auch Du nicht! Paß auf, wie schnell auch Du herunter mußt!«
Er ballte die gewaltigen Hände, holte aus und schmetterte sie dem Pferde derart zwischen die Augen, daß es klang, als ob die Stirn zersplittere. Ben Rih stand einen Augenblick lang ganz bewegungslos; er war wie betäubt. Halef saß noch nicht fest.
»Um Gottes willen! Nimm Sitz und Zügel!« rief ich ihm zu. »Das Pferd bricht aus!«
Er raffte sich sofort zusammen, und zwar grad noch zur rechten Zeit. Ben Rih begann zu zittern und zu zucken. Er tat einen gewaltigen Satz nach vorn, einen nach rechts und einen nach links, warf sich dann weiter herum und jagte davon, als ob die Hölle hinter ihm sei, um ihn zu fangen.
»Pfui!« rief ich dem Scheik zu. »Ein so edles Tier mit der gemeinen Faust zu schlagen! Das war nicht recht von Dir! Das bringt Dir keine Ehre!«
Ich warf meine Gewehre über und schwang mich auf Syrr.
»Wo willst Du hin?« fragte Taldscha.
»Ihm nach! Wenn der Huf des Pferdes in einer dieser festen Schmetterlingsschlingen hängen bleibt, können beide die Hälse brechen!«
»Wann kommst Du zurück?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht nie! Wir sehnen uns nicht nach rohen Quälereien!«
»Aber wenn nun ich Dich bitte - - -«
Mehr hörte ich nicht. Syrr flog davon, den flüchtigen Ben Rih einzuholen, den ich schon nicht mehr sah, weil er hinter einer der schon beschriebenen Krümmungen verschwunden war. Es war wirklich so, wie ich der Frau gesagt hatte. Ich brauchte um Halef eigentlich keine Angst zu haben. Er hatte mir jahrelang bewiesen, welch ein vortrefflicher Reiter er war und daß er mit einem durchgehenden Pferde auch ganz gut ohne meine Hilfe fertig werden könne. Auch war der Rappe, den er jetzt ritt, ein zu edles Tier, als daß der Schreck über den Schlag, den er erhalten hatte, länger als nur kurze Zeit anhalten konnte. Aber die dichten, mannigfach gelegenen und zusammengewirrten Zweige der Schmetterlingsblütler, durch welche der sausende Ritt ging, boten tausendfältige Gelegenheit, mit dem Fuße hängen zu bleiben, und wenn dies geschah, so konnte der unvermeidliche Sturz bei der Schnelligkeit, welche das Pferd entwickelte, sehr leicht ein tödlicher sein. Es stellte sich auch bald genug heraus, daß meine Befürchtung nicht nur sehr wohlbegründet, sondern auch in Erfüllung gegangen war, denn als ich eine ziemlich bedeutende Strecke im schnellsten Galopp zurückgelegt und mehrere Krümmungen des Weges hinter mir hatte, sah ich Ben Rih stehen, weit draußen von mir, mitten in den Papilionaten, den Kopf zur Erde gesenkt - - - seinen Reiter aber sah ich nicht. Er lag jedenfalls am Boden, an der Stelle, nach welcher sich der Kopf des Pferdes richtete.
Es war so, wie ich dachte. Als ich hinkam, sah ich Halef liegen, steif und unbeweglich, mit geschlossenen Augen, wie einen Toten. Aus den Spuren ersah ich sofort beim ersten Blicke, daß das Pferd hängen geblieben und gestürzt war. Die zähe, feste Pflanzenschlinge hing noch an seinem Fuße. Wäre sie nicht abgerissen, so hätte Ben Rih unbedingt das Bein gebrochen und es wäre mir nichts übrig geblieben, als ihn zu töten. Halef lebte noch. Er war nur ohnmächtig. Auch verletzt hatte er sich nicht, denn ich konnte seinen Körper und alle seine Glieder bewegen, ohne daß der Schmerz ihn aufweckte. Das beruhigte mich so sehr, daß ich mich gemütlich neben ihn hinsetzte, um sein Erwachen zu erwarten. Selbstverständlich untersuchte ich vorher Ben Rih. Auch er hatte nicht den geringsten innern oder äußern Schaden genommen.
Es dauerte eine geraume Zeit, ehe Halef sich zu regen begann. Er öffnete die Augen, sah mich an, machte sie wieder zu und sagte:
»Da sitzt er - - - ganz, ganz ruhig - - - aber ich, ich muß reiten - - -!«
Das sogenannte >Ich< in seinem Innern befand sich also noch mitten im Galopp! Nach einiger Zeit fuhr er fort, doch ohne die Augen aufzuschlagen:
»Wenn er im Gesträuch hängen bleibt - - - und ich stürze - - - so breche ich den Hals!«
Sein Körper lag ruhig. Auch seine Mienen waren unbewegt. Aber plötzlich nahmen sie den Ausdruck der äußersten Spannung an, und er schrie:
»Es hält ihn fest - - -! Er stürzt - - -! Er überschlägt sich mit mir - - -! Auf, schnell auf - - - sonst drückt er mich tot!«
Bis zu diesem Worte hielt er die Augen geschlossen. Nun aber sprang er in die Höhe und rief im Tone der Freude:
»Ich kann auf - - -! Ich bin auf - - -! Und ich sehe, daß ich - - -«
Hier hielt er mitten in der Rede inne, denn als er jetzt die Augen öffnete, sah er Ben Rih vor sich stehen. Da fuhr er verwundert fort:
»Er ist auch schon aufgesprungen! Gleich mit mir! Soeben jetzt! Und er steht so ruhig, als ob - - -«
Er unterbrach sich abermals, denn in diesem Augenblick sah er auch mich. Da fragte er, im höchsten Grad erstaunt:
»Auch Du bist hier, Sihdi? Auch Du? Ich bin doch soeben erst an Dir vorübergejagt! Du saßest still und schautest mich erwartungsvoll an, ob ich bei Dir anhalten werde oder nicht. Der Rappe lief aber weiter, weit, weit, und stürzte, ich mit ihm. Ich schlug mit dem Kopfe auf. Er tut mir weh, und - - - und - - - Du lächelst?«
»Ja,« nickte ich.
»Warum?«
»Vor Vergnügen darüber, daß Du mir eine sehr wichtige, wissenschaftliche Frage beantwortest.«
»Ich? Eine wissenschaftliche Frage? Das wäre das erstemal in meinem ganzen Leben! Wie lautet diese Frage?«
»Es ist die Frage, was im Innern eines Menschen vorgeht, der in Ohnmacht gefallen ist.«
»Ohnmacht? Willst Du behaupten, daß ich bewußtlos gewesen bin?«
»Ja.«
»Warum?«
»Infolge des Sturzes.«
»Aber ich bin doch sofort wieder aufgesprungen!«
»So schnell, wie Du denkst, wohl nicht. Ich bin Dir nachgeritten und habe, nachdem ich Dich hier liegen fand, mich zu Dir hergesetzt und eine ziemlich lange Zeit gewartet, bis Dir das Bewußtsein zurückkehrte und Du wieder aufstehen konntest.«
»Das Bewußtsein? Sihdi, sei aufrichtig! Behauptest Du wirklich, daß mir das Bewußtsein zurückgekehrt ist?«
»Allerdings. Es war doch weg, und jetzt ist es wieder da!«
»Nein! Das ist falsch! Es war nicht weg! Du hast es nur nicht sehen können! Es war da! Aber nur bei mir! Nämlich nicht hier außen, sondern drin, im Innern! Da hat es sich das, was außen geschehen ist, noch einmal innerlich betrachtet!«
»Aha! Oberbewußtsein und Unterbewußtsein!« nickte ich mit wichtiger Miene.
Da sah er mich mit bedenklichem Gesichtsausdrucke an und fragte:
»Ober und Unter? Also ein Bewußtsein, das oben und ein Bewußtsein, das unten ist? Was soll das sein?«
»Das sind wissenschaftliche Ausdrücke aus der Müdschewwedet, die Du nicht begreifen kannst.«
Da lachte er laut auf und antwortete:
»Nicht begreifen? Ich? Bilde Dir das ja nicht ein, Sihdi! Wann hätte ich denn einmal etwas nicht begriffen! Ich bin Hadschi Halef Omar, der hochberühmte Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar, und begreife alles, unbedingt alles! Über Eure sogenannte Müdschewwedet lache ich! Und ebenso über Eure ganze Wissenschaft! Hörst Du?«
»Ja,« nickte ich.
»Soll ich es Dir erklären?«
»Ich bitte darum.«
»So höre: Mein Bewußtsein, das bist doch nicht Du, sondern das bin ich. Wenn ich mit meinem Bewußtsein hoch oben auf dem Pferde sitze, so ist dies mein Oberbewußtsein. Und wann das Pferd mich mit samt meinem Bewußtsein herunterwirft, so daß ich die Besinnung, den Verstand und alles Höhere verliere, so stürze ich in das Unterbewußtsein, wohin mir kein Pferd, kein Sihdi, kein Effendi, kein Gelehrter und keine Müdschewwedet zu folgen vermag. Wo ich da bin, und was ich da tue, das weiß keiner von Euch, denn niemand hat es bisher entdecken können. Aber wenn es Dir Vergnügen macht, es zu erfahren, so will ich gern mein Möglichstes für Dich und Deine Wissenschaften tun. Ich brauche nur zu warten, bis ich wieder einmal mit einem durchgehenden Pferde aus dem Oberbewußtsein in das Unterbewußtsein stürze und - - - Allah w’ Allah! Schau, Sihdi! Siehst Du es?«
Indem er seine Rede unterbrach, deutete er nach drei Reitern, die plötzlich in einiger Entfernung auftauchten und jetzt anhielten. Es ist nötig, einen Blick auf die Örtlichkeit zu werfen, wo der Vorgang, den ich erzähle, sich abspielte.
Wir befanden uns noch immer auf dem schmalen, von Schmetterlingspflanzen bewachsenen Strich, auf dem ich den Scheik der Ussul gejagt und gefangen genommen hatte. Dieser Strich glich einer früher künstlich angelegten, dann aber verwilderten Schneuße, welche zu beiden Seiten sehr dicht von Bäumen eingefaßt wurde. Hinter uns hatten wir das Lager der Ussul, aber so weit entfernt, daß ein guter Fußgänger wohl über eine Stunde gebraucht hätte, um es zu erreichen, denn unser Ritt war zwar nur ein kurzer, aber außerordentlich schneller gewesen. Vor uns ging dieser schmale Weg nur noch eine Strecke fort, um sich dann, wie es den Anschein hatte, in eine freie Lichtung zu verlaufen. Er wirkte für unsere Augen fast wie ein Fernrohr. Seine Richtung war hier schnurgerade. Das Dunkel der Baumreihen hüben und drüben hielt die Lichtstrahlen fest und klar zusammen. Die Perspektive ließ dieses Rohr scheinbar immer enger werden. Und grad an dem Punkte, wo es da draußen auf die freie Lichtung führte, hielten die drei Reiter wie vor einer Linse, welche ihre Gestalten, ihre Umrisse und Bewegungen außerordentlich bestimmt und deutlich erscheinen ließ. Sie waren aus der Lichtung nach dem schmalen Weg gekommen, sahen in diesen langen Weg hinein und berieten, ob sie ihm folgen sollten oder nicht. Das merkte man aus ihren Bewegungen. Sie kannten also diese Gegend nicht, es waren demnach wahrscheinlich Ussul, die noch nie Gelegenheit gehabt hatten, in diese Gegend zu kommen. Doch durfte ich auch den Fall nicht ausschließen, daß sie überhaupt keine Ussul waren.
Als ihre Beratungen zu Ende waren, setzten sie sich in Bewegung, und zwar auf uns zu. Dies geschah in einer auffälligen Weise. Sie vermieden nämlich die Mitte des Weges, wo sie weit gesehen werden konnten, und hielten sich vielmehr, zwei hüben und der dritte drüben, so nahe an die Bäume des Waldes, daß sie für den Fernblick ganz verschwanden.
»Das sind keine Ussul!« behauptete Halef, als er das sah.
»Auch keine Freunde von ihnen,« fügte ich hinzu. »Sie wollen nicht gesehen werden, kommen also in feindlicher Absicht.«
»Verstecken wir uns?« fragte er.
»Nein. Es ist zu spät dazu. Sie sind zwar noch ziemlich fern, aber sie würden doch wahrscheinlich sehen, daß jemand sich hier bewegt. Setze Dich her zu mir, und unsere Pferde mögen sich legen!«
Er nahm an meiner Seite Platz. Für die zwei wohlgeschulten Rappen bedurfte es nur eines kurzen Befehles, so legten sie sich grad da, wo sie standen, mitten ins Gesträuch. Diese ginsterhohen und ginsterfarbigen Pflanzen verdeckten uns so, daß wir nur aus der nächsten Nähe entdeckt werden konnten.
Die Fremden näherten sich langsam. Wir hatten also genug Zeit, sie genau zu betrachten, noch ehe sie uns erreichten. Es waren zwei bärtige Männer im höheren Alter, doch noch nicht weißhaarig, und ein Jüngling, oder vielmehr ein junger Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Ihre Pferde waren nicht so massig wie der famose Smihk oder Nazik, aber doch von einem so schweren, hohen und knochigen Schlage, daß man sie in Deutschland selbst für die Artillerie noch zu ungelenk befunden hätte. Sattel und Zaumzeug waren sehr einfach, von ungefärbtem Naturleder. Von Waffen sah ich Pfeil und Bogen und Messer. Jeder führte Lanze und Flinte, letztere, wie es schien, nach alter, unvorsichtiger Beduinenart, nämlich in ihren Eisenteilen leicht, dünn und unzuverlässig und dabei für so rohes Pulver, daß ein Schuß dem Schützen leicht gefährlicher werden konnte als dem Wilde oder Feinde. Gekleidet waren sie in schreiend gefärbte Stoffe, wie Steppenbewohner sie gern zu tragen pflegen, Hose, Weste, Jacke, einen mantelähnlichen Umhang, Turban, lederne Halbstiefel mit fürchterlichen Sporen, deren blutige Spuren die armen Pferde an ihren Flanken trugen. Die beiden älteren Männer sahen sehr ernst und grämlich aus. Der jüngere, dessen Bart seine ersten Kräuselversuche zu machen schien, hatte ein offeneres Gesicht, in dem ich leider aber später auch die Spuren der Grausamkeit und Hinterlist entdeckte. Seine Begleiter schienen geschorene Köpfe zu haben, unter seinem Turban aber hingen zwei wohlgeflochtene Zöpfe hervor, die mit goldenen und silbernen Münzen geschmückt waren. Es gibt ja wilde und halbwilde Stämme, bei denen derartige Zöpfe das Zeichen besonderen Standes oder auch besonderer Verdienste sind. Halef, der ihn mit großem Interesse in Augenschein nahm, sagte zu mir:
»Sihdi, mir ist, als hätte ich eine Vision. Dieser Jüngling ist ein verzauberter Märchenprinz, und sein plumper, großer Gaul ist der Hexenmeister, der ihn verzaubert hat. Beide reiten miteinander aus, um sich durch irgend eine Tat, die wir noch erfahren werden, vom Zauber zu befreien. Meinst Du nicht auch?«
»Hm!« antwortete ich. »Ein ganz gewöhnlicher Mensch scheint er allerdings nicht zu sein, wenn auch kein Prinz oder Fürst. Aber wenn er einer wäre, so gehörte er unbedingt zu denjenigen Herrschern, bei denen es nur an einem kurzen, entscheidenden Augenblicke liegt, ob sie die Engel oder die Teufel ihrer Völker werden. Paß auf! Nun sind sie da!«
Sie waren uns schon ganz nahe gekommen, ohne uns zu sehen. Da erhob ich mich. Alle drei parierten ihre Pferde. Halef sprang auch empor. Anstatt zu warten, bis ich sprach, rief er ihnen drohend zu:
»Was wollt Ihr hier?«
Der eine, der sich drüben befand, ritt schnell herüber zu den beiden andern. Sie wechselten einige Worte, und dann antwortete er:
»Nichts wollen wir. Wir reiten hier nur durch. Das Meer ist unser Ziel.«
»Wer seid Ihr?«
»Reisende.«
»Von woher?«
»Aus dem Innern des Landes.«
»Von welchem Volke?«
Der Fremde warf den Arm in die Luft, lachte laut auf und sprach:
»Das fragt Euch selbst, nicht uns!«
Er griff nach seinem Gewehre. Die beiden andern folgten seinem Beispiele. Drei Schüsse krachte, ohne daß einer traf; dann jagten sie davon, in der Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Es ist gar nicht schwer, dem Schuß so ungeübter und unbedachter Leute auszuweichen; aber das war gar nicht nötig gewesen, denn sie hatten vergessen, zu zielen.
»Was für unsinnige Menschen!« rief Halef. »Auf! Ihnen nach!«
Er sprang zu seinem Pferde.
»Vorsicht!« warnte ich ihn.
»Wohl wegen des Sturzes in das Unterbewußtsein?« lachte er.
»Ja.«
»Das lasse ich Eurer gelehrten Müdschewwedet über. Ich stürze nicht wieder. Ich bin gewarnt.«
»Also vorwärts! Aber schone Mensch und Tier. Nur lebendig nützen sie uns!«
Wir ritten ihnen nach, und zwar so, daß wir sie nicht ganz einholten, sondern ihnen nur so nahe kamen, daß sie keine Zeit fanden, sich etwa zu trennen und im Waldesdickicht Schutz zu suchen. Die eigentliche Aktion sollte draußen auf der Lichtung stattfinden, wo es mehr Platz gab, sich mit den Pferden auszutummeln. Schon gleich, als wir sie zuerst erblickten, war in mir der Gedanke aufgestiegen, daß sie vielleicht zu den Tschoban, den Feinden der Ussul, gehörten und zeitweilig kamen, um sie zu überfallen und auszurauben. In diesem Gedanken wurde ich durch das Verhalten der drei Männer bestärkt.
Als sie sich das erstemal nach uns umschauten, stiegen wir eben erst zu Pferde. Als es zum zweiten Male geschah, lagen wir bereits im scharfen Trabe. Sie machten höhnische Armbewegungen und lachten uns aus. Bald aber bemerkten sie, daß wir uns ihnen näherten. Da stießen sie ihren armen Tieren die gewaltigen Sporen derart in die blutigwunden Weichen, daß die Pferde vor Schmerz laut aufwiehernd, oder vielmehr laut aufbrüllend, ihre Schnelligkeit zu vermehren suchten. Das gelang ihnen aber nur für kurze Zeit, denn sie ließen bald wieder nach. Sie ermüdeten rasch, und der Atem ging ihnen aus. Die Reiter gebrauchten ihre Sporen in geradezu unmenschlicher Weise, jedoch vergeblich. Als sie aus der schmalen Schneuße in die weite Lichtung kamen, waren wir kaum noch zwanzig Sprünge hinter ihnen. Ich rief ihnen befehlend zu, anzuhalten. Sie gehorchten nicht, antworteten aber dadurch, daß sie ihre Bogen spannten und, sich im Reiten nach uns umdrehend, uns mehrere Pfeile sandten. Im Gebrauche dieser Art von Geschossen waren sie jedenfalls geübter als in der Führung von Schießgewehren. Die Pfeile waren außerordentlich gut gezielt.
Die Lichtung war vielleicht eine halbe Wegsstunde breit und hatte eine solche Länge, daß wir ihre uns entgegengesetzte Grenze nicht sehen konnten. Sie bestand aus einer durchaus sandigen Anlagerung, mitten in den dunklen Moorgrund hinein, und war nur von spärlichem Grün bedeckt, aus dem hier und da ein armer Busch den Versuch machte, der unfruchtbaren Erde sein dürftiges Leben abzuringen. In Deutschland hätte man beim Anblick dieses weiten, ebenen Planes sofort gesagt: »Ein ganz vortrefflicher Exerzierplatz für einige Reiterregimenter,« und später erfuhren wir allerdings, daß dieser Platz den Namen Marahka führte, weil fast alle Kämpfe, zu denen die Ussul von den Tschoban gezwungen worden waren, an dieser Stelle stattgefunden hatten.
Ich hatte natürlich vermutet, daß die drei Reiter hier auf diesem Terrain auseinandergehen würden, um auch uns zur Trennung zu zwingen. Dies geschah aber nicht. Sie blieben beisammen, und der Grund hierzu war bald zu ersehen. Die beiden Älteren ließen nämlich den Jungen immer voran. Sie hielten sich so viel wie möglich hinter ihm, um ihn gegen uns zu decken. Er war also jedenfalls eine vornehme, wichtige Person, die sie zu beschützen hatten und nicht verlassen durften. Darum nahm ich mir vor, mich vor allen Dingen seiner zu versichern. Ich sann auf einen guten Trick, sie von ihm zu trennen; es wollte mir aber kein brauchbarer Gedanke einfallen. Doch stellte sich glücklicherweise heraus, daß ich gar nichts Derartiges brauchte, denn die Fremden kamen meinem Wunsche ahnungslos ganz von selbst entgegen. Sie riefen einander einige Worte zu, die ich nicht verstehen konnte, jedenfalls enthielten diese einen Plan, der jetzt befolgt werden sollte, denn der Jüngere ritt in unveränderter Eile geradeaus weiter, die beiden andern dagegen parierten ihre Pferde, kehrten sich gegen uns um und nahmen ihre Lanzen in die Fäuste.
»Sihdi, ihm nach!« rief Halef mir zu. »Diese beiden unvorsichtigen Knaben nehme ich auf mich!«
Er zügelte sein Pferd, zog seine Pistolen und ritt dann langsam auf sie zu. Ich aber flog an ihnen vorüber und hinter dem Jüngeren her, der uns entkommen sollte. Als sie dies sahen, ließen sie von Halef ab, warfen ihre Rosse herum und folgten mir. Nun war Hadschi als der Letzte hinter ihnen her.
Es gab keine Möglichkeit für sie, mich einzuholen. So kurz die Zeit gewesen war, die sie gebraucht hatten, sich von ihrem Gefährten zu trennen und gegen uns zu wenden, sie hatte für diesen doch genügt, um einen ziemlichen Vorsprung zu gewinnen. Ihn einzuholen, das war wohl mir, nicht aber ihnen möglich. Ich sah mich nach ihnen um und bemerkte, daß sie wieder gewendet hatten. Um Halef brauchte ich also keine Sorge zu haben. Ich konnte mich ruhig mit dem jungen Manne befassen, den ich vor mir hatte. Er sah mich hinter sich und trieb sein Pferd derart mit Peitsche und Sporen an, daß es zum Erbarmen war. Ich machte also kurzen Prozeß und beschloß, ihn nicht, wie ich anfangs beabsichtigt hatte, mit dem Lasso, sondern lieber gleich mit der Hand festzunehmen. Ich gab für Syrr einen kurzen, scharfen Pfiff. Da beschleunigte er seinen Lauf. Wir kamen dem Flüchtigen von Sekunde zu Sekunde näher. Er sah das, denn er schaute sich öfters um. Da griff er wieder zum Bogen und sandte mir, nach rückwärts schießend, einen Pfeil zu, der so gut gezielt war, daß er mich getroffen hätte, wenn ich mich nicht hurtig im Sattel niedergebeugt hätte. Um so schneller war ich dann aber bei ihm, Pferd an Pferd, Seite an Seite. Ich erfaßte ihn beim Gürtel - ein leiser Sporenstoß für Syrr, der sofort einen weit ausgreifenden Satz in schräger Richtung tat - und der Reiter wurde durch diesen Sprung meines Pferdes von seinem Tiere herabgerissen. Ich hielt ihn fest, gab ihm einen Schwung und ließ dann los, worauf er in einem weiten Bogen aus meiner Hand zur Erde niederflog. Syrr blieb stehen. Ich sprang ab und trat zu dem Besiegten. Er wollte schnell wieder auf, konnte aber nicht, sondern brach wieder zusammen.
»Bleib! Rühre Dich nicht von der Stelle!« gebot ich ihm. »Du bist mein Gefangener!«
»Dein Gefangener?« lachte er. »Siehst Du nicht, daß sie kommen?«
Er deute auf seine Gefährten, die eben heranjagten.
»Die tun mir nichts,« antwortete ich. »Weg mit den Waffen!«
Lanze und Flinte waren ihm schon entfallen, als ich ihn vom Pferde zog. Jetzt entriß ich ihm auch den Köcher samt den Pfeilen, die vergiftet sein mochten, und auch das Messer, nach welchem er griff, um nach mir zu stoßen. Ich schleuderte beides ein Stück weit fort, wo es sicher lag, weil es ihm unmöglich war, sich aufzurichten, um es zu holen. Zu untersuchen, ob er irgendwie Schaden gelitten hatte, dazu war jetzt keine Zeit, denn die beiden andern kamen jetzt heran. Ihre Gewehre während des Rittes zu laden, dazu fehlte es ihnen höchst wahrscheinlich am Geschick. Auch von Pfeil und Bogen konnten sie unter den gegenwärtigen Umständen keinen Gebrauch machen. Darum drangen sie mit den Lanzen auf mich ein. Ich parierte den Stoß des Vordersten von ihnen leicht mit meinem Bärentöter. Der Angreifer schoß dabei an mir vorüber und zügelte dann sein Pferd, um es zu wenden; aber mit zwei, drei schnellen Sprüngen war ich ihm nach, griff ihm in die Zügel und riß sein Pferd auf die Hinterfüße. Es wollte augenblicklich wieder in die Höhe, aber ich drängte ihm den Kopf tief nieder. Es schnellte die Hinterhand hoch empor. Der Reiter verlor dadurch den Halt und flog aus dem Sattel. Zwar sprang er rasch wieder auf, aber noch stand er nicht fest, so traf ich ihn mit dem Kolben des Bärentöters derart auf die Schulter, daß er mit einem Schmerzensschrei zusammenbrach. Im Nu war er entwaffnet. In diesem Augenblick nahte sein Gefährte heran, der nur nach vorn, nicht aber hinter sich schaute, wo Halef ihm hart auf der Ferse war. Der zweite Angreifer hatte nur den einen Gedanken, an mich zu kommen. Die Lanze zum Stoße einlegend, spornte er sein Pferd auf mich zu. Er kam aber gar nicht zum Stoße, denn Halef trieb, das Gewehr in der Luft wirbelnd, seinen Rappen zum entscheidenden Sprunge an und schlug den Gegner mit dem Kolben an den Kopf, daß der Getroffene die Lanze und Zügel fallen ließ und mit beiden Händen nach dem turbanbedeckten Schädel fuhr. Sein Pferd tat einen Satz zur Seite und er taumelte herab. Da warf sich Halef schnell von seinem Tiere herunter und nahm den Besiegten beim Genick.
»Hamdullillah!« rief er fröhlich aus. »Nun sitzen sie alle unten! Wollen wir sie zusammentragen?«
»Ja; komm!«
Der von ihm Besiegte war stark betäubt. Halef zog ihn vom Boden auf, stieß ihn vor sich her und brachte ihn zu dem jungen Manne, der noch immer nicht von der Stelle konnte. Ich holte den andern herbei, dem mein Kolbenhieb so gut bekommen war, daß er keinen Versuch des Widerstandes machte. Als nun alle drei beisammen saßen und ihre Waffen in der Nähe auf einem Haufen lagen, setzte sich Halef mit jener wohlbekannten Miene zu ihnen hin, die er stets zu zeigen pflegte, wenn ihm der Schalk im Nacken saß. Er sah sich einen nach dem andern an, sehr lange, sehr genau und sehr freundlich. Dann sagte er:
»Es freut mich unendlich, daß wir einander wieder haben. Ich bitte, mir zu sagen, womit wir Euch so sehr gekränkt haben, daß es Euch nicht mehr bei uns gefiel!«
»Wer bist Du?« fragte der Jüngere in kurzem, bestimmtem Tone, ohne sich von der Freundlichkeit des kleinen Hadschi betören zu lassen.
»Wie kommst Du zu dieser Frage?« antwortete Halef. »Wie kommt es überhaupt, daß Du das Wort ergreifst? Deine Gefährten sind älter und also wohl auch erfahrener als Du.«
»Ich bin der Vornehmere!« fuhr der andere auf.
»Vornehmer?« fragte Halef. »Was nennst Du vornehmer?«
»Ich bin der Ilkewlad!«
Er sprach dieses Wort so aus, daß man es nicht nur im gewöhnlichen Sinne, sondern auch als Titel nehmen mußte, also in der Bedeutung, die bei uns das Wort Kronprinz hat. Darum fragte Halef:
»Also der Erstgeborene des Herrschers?«
»Ja.«
»Welches Herrschers?«
»Das geht Dich nichts an!«
»Ich will es aber wissen!«
»Du wirst es nicht erfahren!«
»Du irrst. Erfahren werde ich es jedenfalls, wenn nicht von Dir, so doch von den andern. Es wäre für Dich aber jedenfalls vorteilhafter, wenn Du aufrichtig mit uns redetest.«
»Mit Leuten, wie Ihr seid, spricht man nicht vertraulich. Ihr seid unsere Feinde. Ihr seid Ussul!«
»Ussul? Wir?« fragte Halef, indem er ein lautes Gelächter aufschlug. »Sihdi, wir sind Ussul! Wer das behauptet, der muß blind und taub und alles andere sein, aber nur nicht bei Sinnen!«
»Wollt Ihr es etwa leugnen?« fragte der >Erstgeborene< in verweisendem Tone.
Da nahm der eine seiner Begleiter das Wort, und zwar in sehr höflichem Tone:
»Sie sind kleiner als die Ussul; das haben wir bisher außer acht gelassen. Und der eine wird von dem andern Sihdi genannt. Dieses Wort ist bei den Ussul nicht gebräuchlich. Man findet es nur bei den türkischen und persischen Arabern.«
»So seid Ihr wohl Türken?« fragte der Jüngere.
»Nein,« antwortete Halef.
»Oder Perser?«
»Nein.«
»Was sonst?«
»Das geht Dich nichts an! Wer uns keine Auskunft gibt, der hat auch von uns keine zu erwarten. Ich will aber hier eine Ausnahme machen und meine Gnade über Dir leuchten lassen, indem ich Dir sage, wer wir sind. Wir sind nämlich auch >Erstgeborene<, er der meinige und ich der seinige. Ich bin also sein Vater, und er ist mein Vater. Folglich sind wir beide noch viel eher als nur erstgeboren, und Du reichst mit Deiner einfachen Erstgeburt in keiner Weise an unsere doppelte heran!«
»Narr!« rief der jungen Mann beleidigend aus. »Der Witzbold ist überall der niedrigste Mensch des ganzen Stammes. Ich verachte Dich! Ich mag gar nicht wissen, wer und was Ihr seid. Packt Euch von dannen!«
»Das werden wir allerdings tun. Euch aber packen wir zusammen und nehmen Euch mit!«
»Wohin?«
»Auch das geht Euch nichts an!«
»Wagt es, Euch nochmals an uns zu vergreifen! Wir sind keine Ungläubigen, wie die Ussul. Wir sind Moslemin!«
»Meinst Du, daß Du Dir hierauf etwas einbilden kannst? Ich sage Dir: Auch ich bin Moslem; ich bin sogar mehr Moslemer als Du; ja, ich bin hundertmal und tausendmal mehr Moslemer als Ihr alle drei, als Euer Stamm, als Euer ganzes Volk! Du scheinst wundergroß von Dir zu denken, bist aber in Wahrheit nichts als ein beispiellos dummer, unerfahrener Bursche, dem ich zeigen werde, wie solche Leute, wie Ihr seid, zu behandeln sind.«
Halef sprang auf, zog seine geliebte Kurbatsch aus dem Gürtel, schwippte sie hin und her und fuhr fort:
»Seht Euch zunächst Eure armen Pferde an! Die Sporenlöcher zu beiden Seiten! Voller Blut und Eiter! Seid Ihr Menschen? Auch das Pferd ist Allahs Geschöpf, tausendmal schöner, vornehmer und edler als Ihr! Bildet Euch ja nicht ein, daß wir Euch gefühlvoll, zart und sanft behandeln werden? Das beste Wort für Euch ist nur die Peitsche!«
»Hund!« schrie der junge Fremdling. »Du wagst es, mir mit der Peitsche zu drohen? Dafür verlange ich Dein Blut und Leben! Ich werde - - -«
Er sprach nicht weiter. Er hatte versucht, aufzuspringen, sank aber mit einem Schmerzensruf wieder zurück.
»Mein Blut und Leben?« lachte Halef. »Kamelmilchknabe, der Du bist! Betrachtet Euch doch, wie jammervoll wir Euch hier vor uns haben! Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich die dreifache Dummheit so nahe bei mir gesehen wie jetzt! Wie dumm kamt Ihr zur Stelle geritten, an der wir Euch überraschten! Wie dumm war Eure Flucht! Wie unendlich dumm war es von Euch, beisammen zu bleiben! Wie beispiellos dumm fingt Ihr es an, diesem einen von Euch zur Flucht zu verhelfen! Wie entsetzlich dumm seid Ihr uns in die Hände gelaufen! Und wie ganz unsagbar dumm ist es von Euch, Euch trotz alledem stolz aufzublasen und uns, die wir doch Herren Eures Schicksals sind, zu beleidigen! Wir werden Euch - - -!«
»Nichts werdet Ihr!« unterbrach ihn der Ilkewlad mit brüllender Stimme. »Schweig!«
»Ja, schweig!« forderte auch ich jetzt Halef auf. »Diese Männer kehren jetzt mit uns zurück.«
»Wohin?« fragte der Erstgeborene, indem er mich mit blitzenden Augen maß.
»Wohin es uns beliebt,« antwortete ich ruhig.
Ich war bis jetzt still gewesen und hatte zwischen ihnen und ihren Waffen gestanden, damit es den beiden, die gehen konnten, nicht einfallen möge, unvermutet aufzuspringen und sich zu bewaffnen. Dem Dritten war dies unmöglich, weil er sich verletzt hatte. Ich trat jetzt zu ihm und fragte:
»Wo hast Du Schmerzen? Ich will nachschauen, ob etwas gebrochen ist. Wir müssen es verbinden.«
Da herrschte er mich wütend an:
»Fort von hier, Schakal, räudiger! Weißt Du, wer wir sind?«
»Nein,« antwortete ich, ganz ohne Zorn.
»Bei uns ist es das größte Verbrechen, sich an dem Scheik oder seinen Söhnen zu vergreifen. Das habt Ihr getan, Ihr seid dem Tode verfallen. Ließe ich mich von Euch berühren, so brächte Euch das nach unsern Gesetzen das Recht, begnadigt zu werden.«
»Ich danke Dir für diese Warnung, denn nach Gnade trachte ich allerdings nicht. Aber ich sage Dir eins: Wenn Du Dich so vor der Berührung durch unsere Hände scheust, so scheue Dich auch vor der Berührung durch unsere Peitsche!«
Er sah mich an, ich ihn auch. Es kochte in ihm. Er wollte losbrechen, doch gab mein Blick dies nicht zu. Er bezwang sich und fragte:
»Auch Du wagst es, von der Peitsche zu sprechen?«
»Wagen? Pah! Wenn ich Dich peitschen will, so peitsche ich Dich; gewagt ist nichts dabei. Und nun paß auf, was Du hörst! Ihr werdet jetzt unbedingt tun, was ich befehle, augenblicklich, ohne Weigerung. Zögert Ihr, zu gehorchen, so bekommt Ihr allerdings die Peitsche, und zwar alle drei. Und wer von Euch es jetzt noch wagt, zu sprechen, ohne daß ich ihn dazu auffordere, der bekommt für jedes Wort einen Hieb. Merkt Euch das! Ich scherze nicht!«
»Allah verfluche Euch!« rief einer der beiden andern, indem er Miene machte, sich zu erheben. Da aber sauste schon die Peitsche Halefs auf ihn nieder. Ich zog meine beiden Revolver, hielt sie ihnen hin, ließ, um ihnen die Ladung zu zeigen, die Walzen spielen und sagte:
»Seht diese Pistolen! Wie Ihr Euch überzeugen könnt, ist jede sechsmal geladen. Ich kann Euch also zwölf Kugeln geben, ohne daß ich zu laden brauche. Nehmt Euch in acht! Erst die Peitsche und, wenn diese nicht hilft, dann die Kugel!«
Das wirkte. Sie verstanden die Mechanik der Revolver nicht, aber sie sahen die Kugellöcher und fühlten sich von dem Geheimnisse, welches dabei waltete, gebannt. Keiner sagte mehr ein Wort, doch in ihren Gesichtern stand mit größter Deutlichkeit zu lesen, was wir zu erwarten hätten, falls sie einmal das Glück haben würden, uns in ihre Hände zu bekommen. Ich blieb mit gespannten Pistolen bei ihnen stehen, während Halef ihre Pferde zusammenbinden mußte, und zwar eines hinter das andere. Dann mußten die beiden Älteren ihren jüngeren Gefährten, der nicht von uns berührt werden durfte, nach dem vorderen Gaul schaffen, in dessen Sattel sie ihm emporhalfen. Hierauf wurden ihnen selbst die Hände nach hinten gebunden und wir halfen ihnen auf ihre Pferde. Und nun setzten wir uns in Bewegung, Halef voran und ich hinterdrein. Ihre Waffen wurden selbstverständlich mitgenommen.
Es war ein ganz eigentümliches Erlebnis. Ich hatte das Gefühl, als ob durch die Gefangennahme dieser drei Männer dem Stamme der Ussul ein großer Dienst erwiesen sei, wir aber für uns beide damit auch den Grund zu späteren Verdrießlichkeiten oder gar Gefahren gelegt hätten. Mochte dies nun sein, wie es wollte - wir trugen an der Entwicklung der Dinge keine Schuld. Hätten sich die drei Fremden anders verhalten, wären sie nicht so ohne allen sichtbaren Grund geflohen, ja, wären sie wenigstens später nicht so schroff und feindselig gewesen, so hätte sich diese Begegnung gewiß ganz anders gestaltet. Und selbst im schlimmsten Falle, daß sie nämlich zu den Todfeinden der Ussul, zu den Tschoban, gehörten, hätte sich gewiß ein Weg finden lassen, um wenigsten Feindseligkeiten zu vermeiden. Ich war gespannt darauf, ob man bei den Ussul einen von ihnen oder vielleicht gar alle drei kennen werde.
Auf demselben Wege, auf dem wir gekommen waren, kehrten wir zurück. Wir kamen da ein sehr gutes Stück über die Stelle hinaus, wo Halef mit Ben Rih gestürzt war. Noch aber hatten wir das Gefängnis Amihns nicht erreicht, so sahen wir ein halbes Dutzend Reiter uns entgegenkommen, lauter hohe, breitschulterige Gestalten auf massigen, urpferdartigen Rossen. Als sie sich genügend genähert hatten, erkannten wir sie. Es war Amihn, Taldscha und der Sahahr mit noch drei anderen Ussul. Sie wunderten sich, daß sie nicht zwei, sondern fünf Reiter sahen, und zwar im Gänsemarsche hintereinander. Sie erkannten Halef, den Vordersten von uns, sogleich und hielten an, um uns herankommen zu lassen. Natürlich war Halef es, der das erste Wort haben mußte. Er rief ihnen, noch lange bevor wir sie erreichten, zu:
»Heil, Heil und Heil! Den Mutigen ist es gelungen! Die Tapferen haben gesiegt! Der Kampf ist zu Ende! Triumph, Triumph, Heil, Heil!«
»Gekämpft habt Ihr?« fragte Amihn von weitem.
»Ja, gekämpft.« antwortete Halef.
»Mit wem?«
»Mit drei Fremden. Wir kennen sie nicht. Sie sind unserer Macht erlegen und vor unserer Faust in den Staub gefallen. Hier sind sie! Schaut sie an!«
Er wich mit seinem Pferde etwas zur Seite, so daß die Ussul nun den Vordersten unserer Gefangenen sahen.
»Allahi, wallahi!« rief Amihn aus »Das ist Palang, der älteste Sohn des Scheiks der Tschoban!«
»Palang, der Ilkewlad!« fügte der Zauberpriester hinzu.
»Der Blutgierige! Der Mörder der Ussul!« beteiligte sich auch Taldscha an den Ausrufungen.
»Wo habt Ihr ihn gefunden?« erkundigte sich der Scheik.
Halef öffnete schon den Mund, um eine seiner berühmten Lobreden loszulassen, ich ließ es aber nicht dazu kommen, sondern fiel ein:
»Wir sahen sie eine Strecke weit da hinten. Als sie uns erblickten, rißen sie aus. Wir eilten ihnen nach, sie zu ergreifen und zu Dir zu bringen. Du siehst, daß es uns gelungen ist.«
»Heil Euch! Ihr habt ein schweres und gefährliches Werk vollbracht. Kein Zweifel, es ist der Panther der Tschoban. Ich habe ihn wiederholt gesehen. Die beiden andern, die bei ihm sind, kenne ich nicht. Als wessen Gefangene sind sie zu betrachten?«
»Als die meinigen.«
»Wie lange sollen sie es bleiben?«
»So lange es mir beliebt.«
»Herr, wenn Du sie an uns abtreten wolltest!«
Die andern Ussul stimmten diesem Wunsche sofort und lebhaft zu. Ich hatte die Gefangenen hierher gebracht, um sie ihnen auszuliefern, hielt es aber für besser, hiermit noch zurückzuhalten. Darum antwortete ich:
»Es ist nicht unmöglich, daß ich sie Euch überlasse, doch würde ich meine Bedingungen stellen.«
»Welche?« fragte die Frau. »Sag es schnell!«
»Ihr dürftet sie nicht ohne meine Erlaubnis wieder freigeben.«
»Einverstanden! Völlig einverstanden! Dürfen wir sie uns nehmen?«
Ihre Begleiter schickten sich schon an, sich an die Gefangenen heranzudrängen. Diese hatten sich bis jetzt ganz schweigsam verhalten, aus Angst vor Halefs Peitsche. Jetzt aber fragte mich Palang, der Panther:
»Darf ich jetzt wieder reden?«
»Ja,« nickte ich.
Da wendete er sich an den Scheik und dessen Frau und sagte:
»Wenn dieser Fremdling uns Euch auslieferte, würdet Ihr gezwungen sein, uns freizugeben.«
»Warum?« fragte Taldscha, der die Männer das Wort sehr gern zu überlassen schienen.
»Weil man nur Feinde gefangen nimmt, nicht aber Freunde.«
»Du bist doch Feind!«
»Nein! Jetzt nicht, heut nicht! Ich kam als Freund hierher. Mein Vater sendet mich mit einer Friedensbotschaft zu Euch. Der Überbringer solcher Botschaften ist heilig, so weit die Erde reicht. Ihr wißt, was folgen würde, wenn es Euch einfiele, mich als Feind zu behandeln. Er würde Euer Land mit Krieg überziehen und jeden Ussul töten, der in seine Hände fällt.«
»Ja, das würde er,« bestätigte die Frau. »Wir dürfen Dich nur dann als Feind betrachten, wenn Du in feindlicher Absicht kommst. Das ist aber sicher der Fall!«
»Wie willst Du das beweisen?«
»Kein Tschoban kommt als Freund zu uns!«
»Diesmal doch! Ich bin sogar gesandt, ein Bündnis mit Euch abzuschließen, ein Bündnis für lange Zeit, wenn möglich für immer.«
»So rufe nun ich Dir zu: Wie willst Du das beweisen?«
»Indem ich es abschließe. Das kann ich aber doch wohl nicht hier und auch nicht heut und morgen. Dazu gehören lange Tage und lange Verhandlungen. Und selbst wenn diese Verhandlungen nicht zum Ziele führten, dürftet Ihr Euch nicht an mir vergreifen und müßtet mich ruhig wieder ziehen lassen, denn ich komme als Friedensbote und Freund!«
»Und hast als Friedensbote auf uns geschossen!« fiel ich ein.
»Auf Euch?« fragte er wegwerfend. »Seid Ihr Ussul?«
»Nein!«
»So schweig! Zu Dir wurde ich nicht gesandt!«
»Das ist richtig. Darum aber habe ich auch nicht nötig, Dich als Freund zu behandeln. Du bist mein Gefangener.«
»Das wird mich aber nicht hindern, mit den Ussul zu verhandeln, und ich sage Dir: Sie werden mich von Dir fordern. Wehe Dir, wenn Du mich ihnen verweigerst.!«
In diesem ernsten Augenblick geschah etwas unendlich Drolliges. Der Scheik ritt natürlich seinen dicken Smihk oder Nazik. Dieser hatte sich, so lange die andern sprachen, sehr ruhig verhalten; als aber ich das Wort ergriff, hielt er nicht mehr still. Er strampelte von einem Beine auf das andere, schlug sich mit den Ohren um den Kopf, er wirbelte den Schwanz: kurz, er tat alles, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und als ich mich gleichwohl nicht um ihn bekümmerte, kam er trotz aller Gegenwehr seines Reiters herbei, stellte sich grad vor mich hin, riß das Maul auf und ließ eine so jammervolle Klage über meine Hartherzigkeit los, daß alle Anwesenden, die Gefangenen ausgenommen, in ein lautes Gelächter ausbrachen. Dann begann er, mir die Stiefel abzulecken, eine Liebkosung, die eigentlich meiner Hand gewidmet war. Ich mußte Syrr beruhigen, der den Urgaul nicht leiden zu können schien, was auch gar kein Wunder war, wenn man sich erinnert, daß dieser sich erst kurz vorher im tiefen Schlamm gewälzt hatte, um seine geliebte Kruste zu erneuern.
Ich war durch den Urgaul verhindert, dem Panther die ihm gebührende Antwort zu erteilen. Darum wurde ich von Taldscha gefragt:
»Wie entscheidest Du Dich, Herr? Überlässest Du ihn uns oder nicht?«
»ich behalte ihn einstweilen noch für mich. Doch ist das nur für kurze Zeit. Denn sobald ich Euch bewiesen habe, daß er sich als Euer Feind in dieser Gegend befindet, trete ich ihn Euch ab.«
»Diesen Bewies erbringst Du nicht,« herrschte er mich an.
»Diesen Beweis erbringe ich, noch ehe der heutige Tag vorüber ist!« antwortete ich ihm. »Und nun macht vorwärts, daß wir in das Lager kommen!«
Diese letztere Aufforderung war an die Ussul gerichtet, von denen drei sich zu den Gefangenen gesellten, ohne ein Wort mit ihnen zu sprechen, während der Scheik, seine Frau und der Priester mit mir hintendrein ritten. Es war für sie ein unendlich wichtiges Ereignis, den >Erstgeborenen< ihrer Todfeinde in ihrer Gewalt zu haben. Sie befanden sich dadurch im Besitz einer Geisel, die mit keiner noch so großen Summe Geldes zu bezahlen war. Freilich konnte sich diese Waffe auch als zweischneidig erweisen, doch nur für den Fall, daß er wirklich als Friedenshändler gekommen war. In jedem andern Falle aber stand das Recht aller Völker und Stämme von Ardistan auf der Seite der Ussul, denen ihr Gefangener mit Leib und Leben gehörte.
Vorerst mußten sie sich an den einfachen Gedanken gewöhnen, daß sie ihn überhaupt besaßen. Ein solches Glück war ihnen während aller bisherigen Kämpfe mit den Tschoban noch nie widerfahren. Sie hielten diesen jungen Mann für einen Ausbund von Grausamkeit, List und Tapferkeit, während ich wenigstens von den beiden letzteren Eigenschaften nicht den geringsten Beweis erhalten hatte. Im Gegenteile war mir sein Verhalten gradezu als dumm und feig erschienen.
»Es ist ein großes, großes Wunder, daß Ihr noch lebt!« sagte Amihn, während wir nebeneinander hinritten. »Sie sind zwar nicht so groß und stark wie wir, Ihr aber seid noch kleiner als sie. Auch seid Ihr nur zwei, sie aber sind drei!«
»So hast Du Dir eben zu merken, daß es weder auf die Länge und Breite des Körpers noch auf die Zahl der Personen ankommt,« antwortete ich. »Das ganze Menschenleben beweist, daß es nicht auf diesen Körper, sondern auf die Seele, auf den Geist ankommt. Du selbst sagst, daß die Tschoban kleiner sind als Ihr, und trotzdem seid Ihr ihnen meist unterlegen. Ich sage Dir, daß der Kleinste unter uns allen, nämlich mein wackerer Hadschi Halef Omar, es mit einer ganzen Menge dieser Leute aufnimmt, ohne sich zu fürchten. Hingegen können Eure Körper noch so stark und riesig sein, wenn Euch aber der Geist fehlt, den großen Vorteil, den Euch der Besitz des >Erstgeborenen< bietet, auszunützen, so wird Euer Leib Euch nur von Schaden sein. Glaubt Ihr, daß er in friedlicher Absicht gekommen ist?«
»Nein,« antwortete Taldscha. »Das ist er auf keinen Fall. Dennoch müssen wir, sobald Du ihn uns schenkst, auf Verhandlungen mit ihm eingehen, bis seine feindlichen Absichten offen erwiesen sind. Glaubst Du wirklich, dies noch heut tun zu können?«
»Ich bin überzeugt davon.«
»Wer soll uns Auskunft geben?«
»Er selbst oder seine Begleiter, je nachdem.«
»Die werden sich hüten!«
»Die werden sich nicht hüten, sondern es sogar als eine Wohltat empfinden, ihre Geheimnisse ausplaudern zu können. Man muß sie scheinbar zum Schweigen zwingen und ihnen dann heimlich Gelegenheit geben, sich auszusprechen. Laßt mich nur machen! Wenn Ihr mir helft, wird alles wohlgelingen. Wo kann ich meinen Gefangenen während der Nacht unterbringen, so daß er leicht zu bewachen ist?«
»Auf der Insel, oder auch im Lager. Wir binden die drei Männer einfach an drei Bäume, wie Du es mit mir getan hast. Ein einziger Mann genügt, sie zu bewachen. Die andern können schlafen.«
»Wie einfach und wie leicht das klingt! Wenn Ihr in dieser Weise zu verfahren pflegt, so ist es kein Wunder, daß die Tschoban Euch stets überlistet haben. Im Lager wird während der Nacht kein Mensch bleiben.«