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Bei ‚Mutter Röse‘

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Obgleich es noch früh am Tag war, ging es auf den Gassen, Straßen und Plätzen der Haupt- und Residenzstadt Dessau doch schon lebhaft zu. Es war heute ja Wochenmarkt, an dem die Bewohner der Umgegend herbeiströmten, entweder um die Erzeugnisse ihres Gewerbefleißes in Angebot zu bringen oder einzukaufen, was zur Befriedigung ihrer wirtschaftlichen, häuslichen und persönlichen Bedürfnisse notwendig war.

Durch die Alt-, Neu- und Vorstadt-auf-dem-Sande bewegten sich die Wagen, Karren und Fußgänger der von dem Fürsten Leopold erst neu angelegten Kavalierstraße zu, die noch heute mit ihren Rasenplätzen und dem unvergleichlichen Blick auf die Johanniskirche eine der größten Zierden der Stadt ist. Dorthin zog es die Neugierigen und gruppenweise standen sie vor den Ladenfenstern oder wagten sich scheu und einzeln in eines der ‚grausam vornehmen‘ Gasthäuser, wo es zu sehen, zu hören, zu essen und zu trinken gab, was noch keinem der biederen Landbewohner vorgekommen war.

Die meisten von ihnen aber kehrten doch schließlich nach dem engen, an der Mulde gelegenen Stadtteil zurück, in dem ‚Mutter Röse‘, die dickste und zugleich beste Wirtin des ganzen anhaltischen Landes, residierte; denn sie verstand es ganz besonders gut, ihre Gäste gegen die beiden Erbübel der Menschheit, den Hunger und den Durst, in nachdrücklichen Schutz zu nehmen.

Wie eine Königin thronte sie zwischen zahllosen Flaschen, Gläsern und Krügen hinter dem langen, schweren Schenktisch, hatte für jeden einen freundlichen Gruß, ein vertrauliches Kopfnicken oder wohl gar einen kräftigen Händedruck und ließ wie eine Sonne die Strahlen ihres vollen und stets lächelnden Gesichts bis in die entfernteste Ecke fallen. Nirgends war das Bier so frisch und erquickend, nirgends der Braten so saftig und nirgends die Bedienung so aufmerksam wie bei ‚Mutter Röse‘, und wem es gar widerfuhr, von ihr selbst bedient zu werden, der konnte sich diesen Vorzug für eine wirkliche Ehre anrechnen und wurde darüber von den anderen groß angesehen. Aber ebenso kräftig und entschieden konnte sie auch gegen den auftreten, der es wagte, sie aus ihrem Gleichgewicht zu bringen, und gar mancher Gast schon hatte ein solches Beginnen mit einem blitzschnellen ‚An-die-Luft-Setzen‘ büßen müssen.

Auch jetzt hatte sie sich mühsam zwischen den vielen anwesenden Marktgästen hindurchgedrängt, um am hinteren Tisch einen der erwähnten Bevorzugten mit ihrer Aufmerksamkeit zu beglücken, als sich die Tür öffnete und ein Mann eintrat, der sich tief bücken musste, um seinem Kopf eine unliebsame Berührung mit dem Querbalken zu ersparen. Obgleich er die Sechzig längst zurückgelegt haben musste, trug er sich noch stramm und kräftig, und das dunkle, scharfe Auge hatte in jugendlicher Lebhaftigkeit das Zimmer mit einem einzigen kurzen Blick überflogen.

Er schritt zu einem noch unbesetzten Tisch, ließ sich auf den laut krachenden Stuhl fallen, zog die bestaubten Gamaschen in die Höhe, warf den Dreispitz von dem zierlich bezopften Kopf und wartete nun augenscheinlich auf irgendeinen dienstbaren Geist, um sich mit dessen Hilfe von einem der oben genannten Erbübel zu befreien.

Zufälligerweise aber war sein Kommen nicht bemerkt worden und so zupfte er zunächst etliche Mal ungeduldig an dem blauen Leinwandsack herum, der seinen breitschultrigen Oberkörper bedeckte, wirbelte sodann mit unmutiger Miene die Spitzen seines Schnurrwichses um den Zeigefinger, und als auch dies erfolglos blieb, erhob er endlich den dicken Knotenstock, der mittels eines Lederriemens an seinem Handgelenk hing, und ließ ihn laut dröhnend auf die eichene Platte des Tisches fallen.

„Heda, alte Klatschmaschine, mach, dass du bald vorkommst, sonst werde ich dir Beine machen!“

Auf diese mit kräftiger Bassstimme hervorgedonnerten Worte trat augenblicklich tiefe Stille ein und aller Augen wandten sich nach dem Mann, der es wagte, die zwar gute, aber streng auf ihr Ansehen haltende Wirtin in dieser Weise zu beleidigen. Jedermann war überzeugt, dass der Sprecher in wenigen Sekunden draußen vor der Tür stehen werde, zumal Mutter Röse, schnell herumfahrend, die beiden Hände in die Hüften stemmte, was bei ihrer Beleibtheit allerdings ein gewagtes und höchst schwieriges Unternehmen war, und mit vor Zorn hochrotem Gesicht über die Häupter der Sitzenden hinweg rief:

„Wer ist denn der unverschämte Kerl, he, der da vorn so dick tut? Wart mal, Bürschchen, wir werden gleich sehn, wer von uns beiden dem andern Beine macht!“ Und sich nach dem Schenktisch wendend, wo eben ein vierschrötiger Hausknecht ein Fass auf das Gestell hob, setzte sie befehlend hinzu: „Christian, nimm ihn doch mal bei der Perücke und zeig ihm, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat!“

„Lass dich nicht auslachen, alte Bierliese, und halt den Schnabel. Ihr wärt mir die Rechten von wegen dem Zimmermannsloch!“

Das war der Wirtin doch zu stark, zumal nun auch der Ärger über den Hausknecht dazu kam, denn dieser machte nicht die geringste Miene, dem Befehl seiner Herrin Folge zu leisten, sondern lehnte in höchster Verlegenheit an der Küchentür. Mit raschen Schritten wand sie sich zwischen den Gästen hindurch, um den Angekommenen in Augenschein zu nehmen.

„Was wären wir? Die Rechten? Ja, das sind wir auch und das will ich Ihm sofort beweisen, Er Grobian! Glaubt Er denn, dass man eine ehrsame und tugendhafte Witwe – Herrjeh!“, unterbrach sie sich, als sie ins Gesicht des Ausgescholtenen blickte. „Bitte hunderttausendmal um Verzeihung, Durchl...“

„Will Sie wohl endlich ruhig sein und mir einen Krug Zerbster Bitterbier bringen und was dazu gehört!“, unterbrach er sie schnell. „Oder glaubt Sie etwa gar, dass ich hereingekommen bin, nur um Ihre schönen Redensarten anzuhören?“

„Ja, freilich, einen Krug Zerbster“, wiederholte sie eilfertig, „und was dazugehört, gleich, gleich sollen Durchl...“

Das Wort blieb ihr bei dem fürchterlichen Blick, der sie traf, im Mund stecken; sprachlos vor Verlegenheit eilte sie nach dem Schenktisch, brachte den vollen Tonkrug herbei, stellte ihn auf den höchst eigenhändig mit ihrer weißen Schürze abgewischten Tisch, und bald lagen neben dem Trunk auch ein mächtiges hausbackenes Roggenbrot, ein Stück gelber Butter und ein großer, appetitlicher Landkäse.

Der Gast leerte den Krug auf einen Zug und gab ihn der Wirtin zum Füllen zurück. Sodann griff er zum Messer und beschäftigte sich eifrig und erfolgreich mit dem Imbiss, während die Anwesenden die Köpfe zusammensteckten und sich nicht genug über das eigentümliche Vorkommnis wundern konnten, bis ein Name leise von Stuhl zu Stuhl, von Tisch zu Tisch geflüstert wurde und die Fremden dann mit halb scheuen, halb ehrfurchtsvollen Blicken die hohe Gestalt des Essenden musterten.

Dieser bekümmerte sich nicht im Geringsten um die anderen und war so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er den Eintritt eines neuen Gastes gar nicht bemerkte, der, als er ihn erblickte, ein Zeichen der Überraschung nicht unterdrücken konnte, dann aber wie infolge eines raschen Entschlusses auf ihn zuschritt und nach einem Stuhl griff.

„Ist der Stuhl erlaubt?“, fragte er kurz.

„Warum nicht?“, antwortete mit einem tiefen Brummen der Kauende. „Ich hab’ ihn nicht gemietet!“

Der also Berichtete setzte sich und meinte:

„Wünsch’ guten Appetit!“

„Danke“, brummte es wieder, „aber lasst mich jetzt ungeschoren! Ich hab’ mehr zu tun, als mir Eure Höflichkeiten gefallen zu lassen.“

„Ist mir auch recht!“, klang die Antwort unter einem belustigten Lächeln des Sprechenden. „Heda, Mutter Röse, habt Ihr nicht noch ein Messer bei der Hand? Der Mann da wird die ganze Portion wohl nicht für sich allein brauchen!“

Jetzt erst blickte der Essende auf und überflog mit einem erstaunten Blick sein Gegenüber. Das Ergebnis musste zufrieden stellend sein, denn als die Wirtin antwortete:

„Ich hab’ schon noch das Nötige für Euch übrig“, entgegnete er in befehlendem Ton:

„Mache Sie keine Faxen und lasse Sie ihn immer hier mit zugreifen!“

Mit einem raschen Griff schwang er dem jungen Mann das schwere Brot hinüber, schob ihm Butter und Käse zu und nahm dann die unterbrochene Beschäftigung mit erneutem Nachdruck auf. Der andere griff ebenso fleißig zu, und als die beiden Hungrigen endlich ihre Arbeit beendigten, war außer einem bescheidenen Brotrest nichts Genießbares mehr auf dem Tisch zu bemerken.

Die leeren Krüge wurden wieder gefüllt, und sich mit einem behaglichen Laut die Magengegend streichend, begann der zuerst Angekommene:

„So, das wäre abgemacht und nun kann man auch wieder sprechen. Ihr schlagt keine schlechte Klinge!“

„Hm, so was lernt sich schon, und der Käse war gut!“

„Meint Ihr? Ja, bei der Mutter Röse weiß man, was man bekommt. Ihr seid wohl kein Dessauer Kind?“

„Nein.“

„So seid Ihr wohl in Geschäften hier?“

„Ja und nein, je nachdem man’s nimmt.“

„Ja und nein – so sprecht doch deutlicher, wie es einem vernünftigen Menschen zukommt!“

„Warum?“

„Warum, fragt Ihr noch? Na, zum Tausendsapperlot, wenn wir nicht hier sitzen und Maulaffen feilhalten wollen, so müssen wir doch etwas reden. Und auf eine gut gemeinte Frage gehört doch wohl eine ehrliche Antwort!“

„Da habt Ihr wohl Recht; nur weiß ich nicht, was es Euch und mir nützen soll, wenn wir über meine Angelegenheiten verhandeln!“

„Mir wird’s freilich nicht viel nützen, aber für Euch kann’s vielleicht gut sein. Ich bin hier bekannt, und wenn es auch weiter gar nichts wäre, so kann doch wenigstens ein guter Rat nie Schaden bringen.“

„Ihr sprecht wahrhaftig grad wie ein Buch; aber wahr ist’s trotzdem, was Ihr sagt. So sollt Ihr denn meinetwegen wissen, dass ich hier eine Stelle suchen will.“

„Eine Stelle? Was denn für eine?“

„Beim Alten!“

„Beim Alten? Bei was für einem Alten denn, he, wenn’s gefällig ist?“

„Na, beim Fürsten.“

„Beim Fürsten? Bei dem wollt Ihr eine Stelle haben und nennt ihn doch den Alten!“, fuhr er zornig auf. „Da schlag doch ein Himmelmillionenschock – ja, ich seh’ da gar nicht ein, warum ich mich ärgern soll. Eure Stelle kann mir ja ganz gleichgültig sein!“

„Ich hab’ nichts dagegen, aber wer neugierig ist, muss auch die Antworten nehmen, wie sie kommen.“

„Hört mal, Ihr seid ein verteufelt aufrichtiger Kerl und ich glaube, das Flunkern habt Ihr nicht gelernt!“

„Das will ich wohl zugeben. Man kommt mit der Ehrlichkeit immer noch weiter als mit der Flunkerei.“

„So? Da habt Ihr es wohl schon weit gebracht?“

„O ja, bis zum Reitknecht.“

„Alle Wetter! Kann Er denn wirklich ein Pferd reiten?“

„Ein Pferd? Hm! Sprecht lieber, jedes Pferd!“

„Jedes? Hör Er mal, dazu gehört mehr als Brot essen! Der ‚Alte‘ zum Beispiel, wie Er den Fürsten nennt, hat einen Rapphengst, der noch niemanden im Sattel gelitten hat. Das ist eine Bestie, wie es in der ganzen Welt weiter keine gibt!“

„Wer, der Alte oder der Rapphengst?“

„Mohrenelement, mache Er keine schlechten Witze! Was glaubt Er denn, was ich bin?“

„Ihr? Ja na, ich hab’ so einen Blick, so einen gewissen Geruch, um zu sagen, was einer ist, und ich irre mich selten. Ich glaube, Ihr – Ihr – handelt mit – mit – na, mit Zwiebeln!“

„Ich hand – le – mit – Zwie – wie – wie – beln – hahahaha – mit Zwie – Zwie – wie – wie – beln!“, brach der Alte mit einem Lachen los, das fast in einen Lachkrampf ausartete und die Wände des Zimmers zu erschüttern schien. „Oh, Er ist ein weiser Salomo; aber erraten hat Er es doch: Ich handle hahaha – mit Zwie – wie – wie – beln – hahahaha – ja, und ich hab’ schon manchen in eine Zwiebel beißen lassen, dass ihm die Augen übergegangen sind! Hör Er, Er ist kein unebner Kerl und ich möchte Ihm gern einen Gefallen erweisen. Will Er wirklich zum Fürsten?“

„Freilich! Ich hab’ gehört, dass der Leibknecht abgegangen ist, und wollte fragen...“

„Halt da! Er versteht wohl von der Sache noch gar nichts? Leibknecht kann nicht jeder hergelaufene Fremde werden, sondern zu einem solchen Posten kommt nur einer, der erstens sein Fach aus dem Effeff versteht, und zweitens vom Stalljungen auf gedient und sich das Vertrauen des Fürsten erworben hat. Das ist ein Vertrauensposten, auf den sich ein Unbekannter nicht spitzen darf.“

„Das ist mir alles gar wohl bekannt; aber man weiß doch manchmal nicht, wie der Hase läuft, und ein Fremder ist zuweilen ebenso brauchbar wie einer, der sich von Stelle zu Stelle emporgeschwenzelt hat.“

„Ich will da nicht mit Ihm streiten, aber der Leibknecht des Fürsten muss, soviel ich weiß, nicht nur ein ausgezeichneter Reiter sein, sondern auch nach der Schnur fahren können, denn der ‚Alte‘, wie Er den Fürsten nennt, ist etwas mürbe geworden und das Fahren fällt ihm leichter als das Reiten, da er seine Achtundsechzig auf dem Rücken hat. Er steht jetzt mit seinen Buntröcken in Magdeburg und muss auch zuweilen hier in Dessau sein; da geht es denn oft herüber und hinüber und der Leibknecht ist dabei meist seine einzige Begleitung. Versteht Er nun, was ich meine?“

„Warum denn nicht? Ihr macht es einem ja so deutlich, als wenn Ihr gar auf Schulmeister gelernt hättet. Aber Ihr sollt mir doch keine Angst machen und ich werde mein Heil versuchen! Der Fürst soll jetzt in Dessau sein und ich werde mich noch heut Vormittag erkundigen, wie man es anzufangen hat, um mit ihm sprechen zu können.“

„Da braucht Er gar nicht ewig herumzufragen, denn ich kann es Ihm ebenso gut berichten wie jeder andre. Ich muss nachher aufs Schloss; hab’ dort mit dem Hofgärtner so einiges abzumachen und werde wegen Ihm einmal zuhorchen. Bin auch nicht ganz so ohne alle Verbindungen. Wollen doch mal sehn, ob ich Ihn nicht bis zum Kammerlakaien hinaufschieben kann; das andre ist dann Seine Sache.“

„Ich hab’ volles Vertrauen zu Euch. Wenn Ihr ein Wort für mich sprechen wollt, so werde ich es Euch herzlich zu danken wissen; aber wie hab’ ich mich denn sonst noch zu verhalten?“

„Das ist sehr einfach. Geh Er einmal so in anderthalb Stunden aufs Schloss; da steht unter dem Tor einer, der muss jeden fragen, was er dort zu suchen hat, und dem kann Er es einmal im Vertrauen sagen, dass Er den Zwie – hahahaha – den Zwie – wie – wiebelhändler sucht. Er wird ihm sagen, wo ich stecke, und dann wird sich ja zeigen, ob ich derweil etwas für Ihn hab’ tun können.“

„Gut, ich werde mich pünktlich einfinden und Euch Ehre zu machen suchen!“

„Das will ich auch hoffen. Heda, Mutter Röse, hier ist Geld!“

Die Wirtin kam so eilig herbei, als ihr Körperumfang es ihr gestattete, und nahm von ihm die Bezahlung für beide Gäste in Empfang.

„Hab Seine Zeche mit abgemacht! Er hat mit mir gegessen und getrunken und war also mein Gast. Leb Er wohl und verbummle Er die richtige Zeit nicht!“

„Habt keine Sorge. Danke für das Zahlen!“

Die Wirtin begleitete den Fortgehenden bis an die Tür, während der Zurückbleibende ihm mit einem listigen und befriedigten Lächeln nachblickte.


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