Читать книгу Durch Wüste und Harem - Karl May - Страница 5

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[9] Brunnen.

Beides, daß sie von Gafsa kamen und nach dem Brunnen Sauidi wollten, war eine Lüge, doch that ich, als ob ich ihren Worten glaubte, und fragte:

»Erlaubt ihr uns, bei euch zu rasten?«

»Wir bleiben hier bis zum frühen Morgen,« lautete die Antwort, welche also für meine Frage weder ein Ja noch ein Nein enthielt.

»Auch wir gedenken, bis zum Aufgang der nächsten Sonne hier auszuruhen. Ihr habt genug Wasser für uns alle und auch für unsere Pferde. Dürfen wir bei euch bleiben?«

»Die Wüste gehört allen. Marhaba, du sollst uns willkommen sein!«

Es war ihnen trotz dieses Bescheides leicht anzusehen, daß ihnen unser Gehen lieber gewesen wäre, als unser Bleiben; wir aber ließen unsere Pferde den Abhang hinunter klettern und stiegen an dem Wasser ab, wo wir sofort ungeniert Platz nahmen.

Die beiden Physiognomien, welche ich nun studieren konnte, waren keineswegs Vertrauen erweckend. Der ältere, welcher bisher das Wort geführt hatte, war lang und hager gebaut. Der Burnus hing ihm am Leibe wie an einer Vogelscheuche. Unter dem schmutzig blauen Turban blickten zwei kleine, stechende Augen unheimlich hervor; über den schmalen, blutleeren Lippen fristete ein dünner Bart ein kümmerliches Dasein; das spitze Kinn zeigte eine auffallende Neigung, nach oben zu steigen, und die Nase, ja, diese Nase erinnerte mich lebhaft an die Geier, welche ich vor kurzer Zeit von der Leiche des Ermordeten vertrieben hatte. Das war keine Adler- und auch keine Habichtsnase; sie hatte wirklich die Form eines Geierschnabels.

Der andere war ein junger Mann von auffallender Schönheit; aber die Leidenschaften hatten sein Auge umflort, seine Nerven entkräftet und seine Stirn und Wangen zu früh gefurcht. Man konnte unmöglich Vertrauen zu ihm haben.

Der ältere sprach das Arabische mit jenem Accente, wie man es am Euphrat spricht, und der jüngere ließ mich vermuten, daß er kein Orientale sondern ein Europäer sei. Ihre Pferde, welche in der Nähe standen, waren schlecht und sichtlich abgetrieben; ihre Kleidung hatte ein sehr mitgenommenes Aussehen, aber ihre Waffen waren ausgezeichnet. Da, wo sie vorhin gesessen, lagen verschiedene Gegenstände, welche sonst in der Wüste selten sind und wohl nur deshalb liegen geblieben waren, weil die beiden keine Zeit gefunden hatten, sie zu verbergen: ein seidenes Taschentuch, eine goldene Uhr nebst Kette, ein Kompaß, ein prachtvoller Revolver und ein in Maroquin gebundenes Taschenbuch.

Ich that, als ob ich diese Gegenstände gar nicht bemerkt hätte, nahm aus der Satteltasche eine Handvoll Datteln und begann, dieselben mit gleichgültiger und zufriedener Miene zu verzehren.

»Was wollt ihr in Seddada?« fragte mich der Lange.

»Nichts. Wir gehen weiter.«

»Wohin?«

»Über den Schott Dscherid nach Fetnassa und Kbilli.«

Ein unbewachter Blick, den er auf seinen Gefährten warf, sagte mir, daß ihr Weg der nämliche sei. Dann fragte er weiter:

»Hast du Geschäfte in Fetnassa oder Kbilli?«

»Ja.«

»Du willst deine Herden dort verkaufen?«

»Nein.«

»Oder deine Sklaven?«

»Nein.«

»Oder vielleicht die Waren, die du aus dem Sudan kommen lässest?«

»Nein.«

»Was sonst?«

»Nichts. Ein Sohn meines Stammes treibt mit Fetnassa keinen Handel.«

»Oder willst du dir ein Weib dort holen?«

Ich improvisierte eine sehr zornige Miene.

»Weißt du nicht, daß es eine Beleidigung ist, zu einem Manne von seinem Weibe zu sprechen! Oder bist du ein Giaur, daß du dieses nicht erfahren hast?«

Wahrhaftig, der Mann erschrak förmlich, und ich begann in Folge dessen die Vermutung zu hegen, daß ich mit meinen Worten das Richtige getroffen hatte. Er hatte ganz und gar nicht die Physiognomie eines Beduinen; Gesichter, wie das seinige, waren mir vielmehr bei Männern von armenischer Herkunft aufgefallen und – – ah, war es nicht ein armenischer Händler, der den Kaufmann in Blidah ermordet hatte und dessen Steckbrief ich in der Tasche trug? Ich hatte mir nicht die Zeit genommen, den Steckbrief, wenigstens das Signalement, aufmerksam durchzulesen. Während mir diese Gedanken blitzschnell durch den Kopf gingen, fiel mein Blick nochmals auf den Revolver. An seinem Griff befand sich eine silberne Platte, in welche ein Name eingraviert war.

»Erlaube mir!«

Zu gleicher Zeit mit dieser Bitte griff ich nach der Waffe und las: »Paul Galingré, Marseille.« Das war ganz sicher nicht der Name der Fabrik, sondern des Besitzers. Ich verriet aber mein Interesse durch keine Miene, sondern fragte leichthin:

»Was ist das für eine Waffe?«

»Ein – ein – – ein Drehgewehr.«

»Magst du mir zeigen, wie man mit ihm schießt?«

Er erklärte es mir. Ich hörte ihm sehr aufmerksam zu und meinte dann:

»Du bist kein Uëlad Hamalek, sondern ein Giaur.«

»Warum?«

»Siehe, daß ich recht geraten habe! Wärest du ein Sohn des Propheten, so würdest du mich niederschießen, weil ich dich einen Giaur nannte. Nur die Ungläubigen haben Drehgewehre. Wie soll diese Waffe in die Hände eines Uëlad Hamalek gekommen sein! Ist sie ein Geschenk?«

»Nein.«

»So hast du sie gekauft?«

»Nein.«

»Dann war sie eine Beute?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von einem Franken.«

»Mit dem du kämpftest?«

»Ja.«

»Wo?«

»Auf dem Schlachtfelde.«

»Auf welchem?«

»Bei El Guerara.«

»Du lügst!«

Jetzt riß ihm doch endlich die Geduld. Er erhob sich und griff nach dem Revolver.

»Was sagst du? Ich lüge? Soll ich dich niederschießen wie – – –«

Ich fiel ihm in die Rede:

»Wie den Franken da oben im Wadi Tarfaui!«

Die Hand, welche den Revolver hielt, sank wieder nieder, und eine fahle Blässe bedeckte das Gesicht des Mannes. Doch raffte er sich zusammen und fragte drohend:

»Was meinst du mit diesen Worten?«

Ich langte in meine Tasche, zog die Zeitungen heraus und that einen Blick in die Blätter, um den Namen des Mörders zu finden.

»Ich meine, daß du ganz gewiß kein Uëlad Hamalek bist. Dein Name ist mir sehr bekannt; er lautet Hamd el Amasat.«

Jetzt fuhr er zurück und streckte beide Hände wie zur Abwehr gegen mich aus.

»Woher kennst du mich?«

»Ich kenne dich; das ist genug.«

»Nein, du kennst mich nicht; ich heiße nicht so, wie du sagtest; ich bin ein Uëlad Hamalek, und wer das nicht glaubt, den schieße ich nieder!«

»Wem gehören diese Sachen?«

»Mir.«

Ich ergriff das Taschentuch. Es war mit »P. G.« gezeichnet. Ich öffnete die Uhr und fand auf der Innenseite des Deckels ganz dieselben Buchstaben eingraviert.

»Woher hast du sie?«

»Was geht es dich an? Lege sie von dir!«

Anstatt ihm zu gehorchen, öffnete ich auch das Notizbuch. Auf dem ersten Blatte desselben las ich den Namen Paul Galingré; der Inhalt aber war stenographiert, und ich kann Stenographie nicht lesen.

»Weg mit dem Buche, sage ich dir!«

Bei diesen Worten schlug er mir dasselbe aus der Hand, so daß es in die Lache flog. Ich erhob mich, um den Versuch zu machen, es zu retten, fand aber jetzt doppelten Widerstand, da sich nun auch der jüngere der beiden Männer zwischen mich und das Wasser stellte.

Halef hatte dem Wortwechsel bisher scheinbar gleichgültig zugehört, aber ich sah, daß sein Finger an dem Drücker seiner langen Flinte lag. Es bedurfte nur eines Winkes von mir, um ihn zum Schusse zu bringen. Ich bückte mich, um auch den Kompaß noch aufzunehmen.

»Halt; das ist mein! Gieb diese Sachen heraus!« rief der Gegner.

Er faßte meinen Arm, um seinen Worten Nachdruck zu geben; ich aber sagte so ruhig wie möglich:

»Setze dich wieder nieder! Ich habe mit dir zu reden.«

»Ich habe mit dir nichts zu schaffen!«

»Aber ich mit dir. Setze dich, wenn ich dich nicht niederschießen soll!«

Diese Drohung schien doch nicht ganz unwirksam zu sein. Er ließ sich wieder zur Erde nieder, und ich that ganz dasselbe. Dann zog ich meinen Revolver und begann:

»Siehe, daß ich auch ein solches Drehgewehr habe! Lege das deinige weg, sonst geht das meinige los!«

Er legte die Waffe langsam neben sich hin aus der Hand, hielt sich aber zum augenblicklichen Griffe bereit.

»Du bist kein Uëlad Hamalek?«

»Ich bin einer.«

»Du kommst nicht von Gafsa?«

»Ich komme von dort.«

»Wie lange Zeit reitest du bereits im Wadi Tarfaui?«

»Was geht es dich an!«

»Es geht mich sehr viel an. Da oben liegt die Leiche eines Mannes, den du ermordet hast.«

Ein böser Zug durchzuckte sein Gesicht.

»Und wenn ich es gethan hätte, was hättest du darüber zu sagen?«

»Nicht viel; nur einige Worte.«

»Welche?«

»Wer war der Mann?«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Warum hast du ihn und sein Kamel getötet?«

»Weil es mir so gefiel.«

»War er ein Rechtgläubiger?«

»Nein. Er war ein Giaur.«

»Du hast genommen, was er bei sich trug?«

»Sollte ich es bei ihm liegen lassen?«

»Nein, denn du hattest es für mich aufzuheben.«

»Für dich – –?«

»Ja.«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Du sollst mich verstehen. Der Tote war ein Giaur; ich bin auch ein Giaur und werde sein Rächer sein.«

»Sein Bluträcher?«

»Nein; wenn ich das wäre, so hättest du bereits aufgehört, zu leben. Wir sind in der Wüste, wo kein Gesetz gilt als nur das des Stärkeren. Ich will nicht erproben, wer von uns der Stärkere ist; ich übergebe dich der Rache Gottes, des Allwissenden, der alles sieht und keine That unvergolten läßt; aber das Eine sage ich dir, und das magst du dir wohl merken: du giebst alles heraus, was du dem Toten abgenommen hast.«

Er lächelte überlegen.

»Meinst du wirklich, daß ich dieses thue?«

»Ich meine es.«

»So nimm dir, was du haben willst!«

Er zuckte mit der Hand, um nach dem Revolver zu greifen; schnell aber hielt ich ihm die Mündung des meinigen entgegen.

»Halt, oder ich schieße!«

Es war jedenfalls eine sehr eigentümliche Situation, in der ich mich befand. Glücklicherweise aber schien mein Gegner mehr Verschlagenheit als Mut zu besitzen. Er zog die Hand wieder zurück und schien unentschlossen zu werden.

»Was willst du mit den Sachen thun?«

»Ich werde sie den Verwandten des Toten zurückgeben.«

Es war fast eine Art von Mitleid, mit der er mich jetzt fixierte.

»Du lügst. Du willst sie für dich behalten!«

»Ich lüge nicht.«

»Und was wirst du gegen mich unternehmen?«

»Jetzt nichts; aber hüte dich, mir jemals wieder zu begegnen!«

»Du reitest wirklich von hier nach Seddada?«

»Ja.«

»Und wenn ich dir die Sachen gebe, wirst du mich und meinen Gefährten ungehindert nach dem Bir Sauidi gehen lassen?«

»Ja.«

»Du versprichst es mir?«

»Ja.«

»Beschwöre es!«

»Ein Giaur schwört nie; sein Wort ist auch ohne Schwur die Wahrheit.«

»Hier, nimm das Drehgewehr, die Uhr, den Kompaß und das Tuch.«

»Was hatte er noch bei sich?«

»Nichts.«

»Er hatte Geld.«

»Das werde ich behalten.«

»Ich habe nichts dagegen; aber gieb mir den Beutel oder die Börse, in der es sich befand.«

»Du sollst sie haben.«

Er griff in seinen Gürtel und zog eine gestickte Perlenbörse hervor, die er leerte und mir dann entgegen reichte.

»Weiter hatte er nichts bei sich?«

»Nein. Willst du mich aussuchen?«

»Nein.«

»So können wir gehen?«

»Ja.«

Er schien sich jetzt doch leichter zu fühlen als vorhin; sein Begleiter aber war ganz sicher ein furchtsamer Mensch, der sehr froh war, auf diese Weise davonzukommen. Sie nahmen ihre Habseligkeiten zusammen und bestiegen ihre Pferde.

»Salam aaleïkum, Friede sei mit euch!«

Ich antwortete nicht, und sie nahmen diese Unhöflichkeit sehr gleichgültig hin. In wenigen Augenblicken waren sie hinter dem Rande des Wadiufers verschwunden.

Halef hatte bis jetzt kein einziges Wort gesprochen; nun brach er sein Schweigen.

»Sihdi!«

»Was?«

»Darf ich dir etwas sagen?«

»Ja.«

»Kennst du den Strauß?«

»Ja.«

»Weißt du, wie er ist?«

»Nun?«

»Dumm, sehr dumm.«

»Weiter!«

»Verzeihe mir, Effendi, aber du kommst mir noch schlimmer vor, als der Strauß.«

»Warum?«

»Weil du diese Schurken laufen lässest.«

»Ich kann sie nicht halten und auch nicht töten.«

»Warum nicht? Hätten sie einen Rechtgläubigen ermordet, so kannst du dich darauf verlassen, daß ich sie zum Scheïtan, zum Teufel, geschickt hätte. Da es aber ein Giaur war, so ist es mir sehr gleichgültig, ob sie Strafe finden oder nicht. Du aber bist ein Christ und lässest die Mörder eines Christen entkommen!«

»Wer sagt dir, daß sie entkommen werden?«

»Sie sind ja bereits fort! Sie werden den Bir Sauidi erreichen und von da nach Debila und El Uëd gehen, um in der Areg[10] zu verschwinden.«

[10] Region der Dünen.

»Das werden sie nicht.«

»Was sonst? Sie sagten ja, daß sie nach Bir Sauidi gehen werden.«

»Sie logen. Sie werden nach Seddada gehen.«

»Wer sagte es dir?«

»Meine Augen.«

»Allah segne deine Augen, mit denen du die Tapfen im Sande betrachtest. So wie du kann nur ein Ungläubiger handeln. Aber ich werde dich schon noch zum rechten Glauben bekehren; darauf kannst du dich verlassen, du magst nun wollen oder nicht!«

»Dann nenne ich mich einen Pilger, ohne in Mekka gewesen zu sein.«

»Sihdi – –! Du hast mir ja versprochen, das nicht zu sagen!«

»Ja, so lange du mich nicht bekehren willst.«

»Du bist der Herr, und ich muß es mir gefallen lassen. Aber, was thun wir jetzt?«

»Wir sorgen zunächst für unsere Sicherheit. Hier können wir leicht von einer Kugel getroffen werden. Wir müssen uns überzeugen, ob diese beiden Schurken auch wirklich fort sind.«

Ich erstieg den Rand der Schlucht und sah allerdings die zwei Reiter in bereits sehr großer Entfernung von uns auf Südwest zuhalten. Halef war mir gefolgt.

»Dort reiten sie,« meinte er. »Das ist die Richtung nach Bir Sauidi.«

»Wenn sie sich weit genug entfernt haben, werden sie sich nach Osten wenden.«

»Sihdi, dein Gehirn dünkt mir schwach. Wenn sie dies thäten, müßten sie uns ja wieder in die Hände kommen!«

»Sie meinen, daß wir erst morgen aufbrechen, und glauben also, einen guten Vorsprung vor uns zu erlangen.«

»Du rätst und wirst doch das Richtige nicht treffen.«

»Meinst du? Sagte ich dir nicht da oben, daß eines ihrer Pferde den Hahnentritt habe?«

»Ja, das sah ich, als sie davonritten.«

»So werde ich auch jetzt recht haben, wenn ich sage, daß sie nach Seddada gehen.«

»Warum folgen wir ihnen nicht sofort?«

»Wir kämen ihnen sonst zuvor, da wir den geraden Weg haben; dann würden sie auf unsere Spur stoßen und sich hüten, mit uns wieder zusammenzutreffen.«

»Laß uns also wieder zum Wasser gehen und ruhen, bis es Zeit zum Aufbruch ist.«

Wir stiegen wieder hinab. Ich streckte mich auf meine am Boden ausgebreitete Decke aus, zog das Ende meines Turbans als Lischam[11] über das Gesicht und schloß die Augen, nicht um zu schlafen, sondern um über unser letztes Abenteuer nachzudenken. Aber wer vermag es, in der fürchterlichen Glut der Sahara seine Gedanken längere Zeit mit einer an sich schon unklaren Sache zu beschäftigen? Ich schlummerte wirklich ein und mochte über zwei Stunden geschlafen haben, als ich wieder erwachte. Wir brachen auf.

[11] Gesichtsschleier.

Das Wadi Tarfaui mündet in den Schott Rharsa; wir mußten es also nun verlassen, wenn wir, nach Osten zu, Seddada erreichen wollten. Nach Verlauf von vielleicht einer Stunde trafen wir auf die Spur zweier Pferde, welche von West nach Ost führte.

»Nun, Halef, kennst du diese Ethar, diese Fährte?«

»Masch Allah, du hattest recht, Sihdi! Sie gehen nach Seddada.«

Ich stieg ab und untersuchte die Eindrücke.

»Sie sind erst vor einer halben Stunde hier vorübergekommen. Laß uns langsamer reiten, sonst sehen sie uns hinter sich.«

Die Ausläufer des Dschebel Tarfaui senkten sich allmählich in die Ebene hernieder, und als die Sonne unterging und nach kurzer Zeit der Mond emporstieg, sahen wir Seddada zu unsern Füßen liegen.

»Reiten wir hinab?« fragte Halef.

»Nein. Wir schlafen unter den Oliven dort am Abhange des Berges.«

Wir bogen ein wenig von unserer Richtung ab und fanden unter den Ölbäumen einen prächtigen Platz zum Bivouac. Wir waren beide an das heulende Bellen des Schakal, an das Gekläffe des Fennek und an die tieferen Töne der schleichenden Hyäne gewöhnt und ließen uns von diesen nächtlichen Lauten nicht im Schlafe stören. Als wir erwachten, war es mein erstes, die gestrige Fährte wieder aufzusuchen. Ich war überzeugt, daß sie mir hier in der Nähe eines bewohnten Ortes nicht mehr von Nutzen sein werde, fand aber zu meiner Überraschung, daß sie nicht nach Seddada führte, sondern nach Süden bog.

»Warum gingen sie nicht hernieder?« fragte Halef.

»Um sich nicht sehen zu lassen. Ein verfolgter Mörder muß vorsichtig sein.«

»Aber wohin gehen sie denn?«

»Jedenfalls nach Kris, um über den Dscherid zu reiten. Dann haben sie Algerien hinter sich und sind in leidlicher Sicherheit.«

»Wir sind doch bereits in Tunis. Die Grenze geht vom Bir el Khalla zum Bir el Tam über den Schott Rharsa.«

»Das kann solchen Leuten noch nicht genügen. Ich wette, daß sie über Fezzan nach Kufarah gehen, denn erst dort sind sie vollständig sicher.«

»Sie sind auch hier bereits sicher, wenn sie ein Bu-djeruldu[12] des Sultans haben.«

[12] Legitimation, Reisepaß.

»Das würde ihnen einem Konsul oder Polizei-Agenten gegenüber nicht viel nützen.«

»Meinst du? Ich möchte es Keinem raten, gegen das mächtige »Giölgeda padischahnün«[13] zu sündigen!«

[13] Wörtlich: »Im Schatten des Padischa.«

»Du sprichst so, trotzdem du ein freier Araber sein willst?«

»Ja. Ich habe in Ägypten gesehen, was der Großherr vermag; aber in der Wüste fürchte ich ihn nicht. Werden wir jetzt nach Seddada gehen?«

»Ja, um Datteln zu kaufen und einmal gutes Wasser zu trinken. Dann aber setzen wir den Weg fort.«

»Nach Kris?«

»Nach Kris.«

Bereits eine Viertelstunde später hatten wir uns restauriert und folgten dem Reitwege, welcher von Seddada nach Kris führt. Zu unserer Linken glänzte die Fläche des Schott Dscherid zu uns herauf, ein Anblick, den ich vollständig auszukosten suchte.

Die Sahara ist ein großes, noch immer nicht gelöstes Rätsel. Schon seit Virlet d’Aoust im Jahre 1845 besteht das Projekt, einen Teil der Wüste in ein Meer und dadurch die anliegenden Gebiete in ein fruchtbares Land zu verwandeln und so auch die Bewohner dieser Strecken dem Fortschritte der Civilisation näher zu bringen. Ob aber dieses Projekt ausführbar und dann auch von den beabsichtigten Erfolgen gekrönt sein wird, darüber läßt sich noch immer streiten.

Am Fuße des Südabhanges des Dschebel Aures und der östlichen Fortsetzung dieser Bergmasse, also des Dra el Haua, Dschebel Tarfaui, Dschebel Situna und Dschebel Hadifa, dehnt sich eine einheitliche unübersehbare, hier und da leicht gewellte Ebene aus, deren tiefste Stellen mit Salzkrusten und Salzauswitterungen bedeckt sind, welche als Überreste einstiger großer Binnengewässer im algerischen Teile den Namen Schott und im tunesischen Teile den Namen Sobha oder Sebcha führen. Die Grenze dieses eigentümlichen und hochinteressanten Gebietes bilden im Westen die Ausläufer des Beni-Mzab-Plateau, im Osten die Landenge von Gabes und im Süden die Dünenregion von Ssuf und Nifzaua nebst dem langgestreckten Dschebel Tebaga. Vielleicht ist unter dieser Einsenkung der Golf von Triton zu verstehen, von welchem uns Herodot, der Vater der Geschichtschreibung, berichtet.

Außer einer großen Anzahl kleinerer Sümpfe, welche im Sommer ausgetrocknet sind, besteht dieses Gebiet aus drei größeren Salzseen, nämlich, von West nach Ost verfolgt, aus den Schotts Melrir, Rharsa und Dscherid, welch letzterer auch El Kebir genannt zu werden pflegt. Diese drei Becken bezeichnen eine Zone, deren westliche Hälfte tiefer liegt, als das Mittelmeer bei Gabes zur Zeit der Ebbe.

Die Einsenkung des Schottgebietes ist heutzutage zum großen Teile mit Sandmassen angehäuft, und nur in der Mitte der einzelnen Bassins hat sich eine ziemlich beträchtliche Wassermasse erhalten, welche durch ihr Aussehen den arabischen Schriftstellern und Reisenden Veranlassung gab, sie bald mit einem Kampferteppich oder einer Krystalldecke, bald mit einer Silberplatte oder der Oberfläche geschmolzenen Metalls zu vergleichen. Dieses Aussehen erhalten die Schotts durch die Salzkruste, mit der sie bedeckt sind und deren Dicke sehr verschieden ist, so daß sie zwischen zehn und höchstens zwanzig Centimeter variiert. Nur an einzelnen Stellen ist es möglich, sich ohne die eminenteste Lebensgefahr auf sie zu wagen. Wehe dem, der auch nur eine Hand breit von dem schmalen Pfade abweicht! Die Kruste giebt nach, und der Abgrund verschlingt augenblicklich sein Opfer. Unmittelbar über dem Kopfe des Versinkenden schließt sich alsbald die Decke wieder. Die schmalen Furten, welche über die Salzdecke der Schotts führen, werden besonders in der Regenzeit höchst gefährlich, indem der Regen die vom Flugsande überdeckte Kruste bloßlegt und auswäscht.

Das Wasser dieser Schotts ist grün und dickflüssig und bei weitem salziger als das des Meeres. Ein Versuch, die Tiefe des Abgrundes unter sich zu messen, würde des Terrains halber zu keinem Resultate führen, doch darf wohl angenommen werden, daß keiner der Salzmoräste tiefer als fünfzig Meter ist. Die eigentliche Gefahr bei dem Einbrechen durch die Salzdecke ist bedingt durch die Massen eines flüssigen, beweglichen Sandes, welcher unter der fünfzig bis achtzig Centimeter tiefen, hellgrünen Wasserschicht schwimmt und ein Produkt der Jahrtausende langen Arbeit des Samums ist, der den Sand aus der Wüste in das Wasser trieb.

Schon die ältesten arabischen Geographen, wie Ebn Dschobeir, Ebn Batuta, Obeidah el Bekri, El Istakhri und Omar Ebn el Wardi, stimmen in der Gefährlichkeit dieser Schotts für die Reisenden überein. Der Dscherid verschlang schon Tausende von Kamelen und Menschen, welche in seiner Tiefe spurlos verschwanden. Im Jahre 1826 mußte eine Karawane, welche aus mehr als tausend Lastkamelen bestand, den Schott überschreiten. Ein unglücklicher Zufall brachte das Leitkamel, welches an der Spitze des Zuges schritt, vom schmalen Wege ab. Es verschwand im Abgrunde des Schott, und ihm folgten alle anderen Tiere, welche rettungslos in der zähen, seifigen Masse verschwanden. Kaum war die Karawane verschwunden, so nahm die Salzdecke wieder ihre frühere Gestalt an, und nicht die kleinste Veränderung, das mindeste Anzeichen verriet den gräßlichen Unglücksfall. Ein solches Vorkommnis könnte unmöglich erscheinen, aber um es zu glauben, muß man sich nur vergegenwärtigen, daß jedes Kamel gewohnt ist, dem voranschreitenden, mit dem es ja meist auch durch Stricke verbunden ist, blind und unbedingt zu folgen, und daß der Pfad über die Schotts oft so schmal ist, daß es einem Tiere oder gar einer Karawane ganz unmöglich wird, wieder umzukehren.

Der Anblick dieser tückischen Flächen, unter denen der Tod lauert, erinnert an einzelnen Stellen an den bläulich schillernden Spiegel geschmolzenen Bleies. Die Kruste ist zuweilen hart und durchsichtig wie Flaschenglas und klingt bei jedem Schritte wie der Boden der Solfatara in Neapel; meist aber bildet sie eine weiche, breiige Masse, welche vollständig sicher zu sein scheint, aber doch nur so viele Festigkeit besitzt, um einen leichten Anflug von Sand zu tragen, bei jeder anderen Last aber unter derselben zu weichen, um sich über ihr wieder zu schließen.

Den Führern dienen kleine, auseinander liegende Steine als Wegzeichen. Früher gab es auf dem Schott El Kebir auch eingesteckte Palmenäste. Der Ast der Dattelbäume heißt Dscherid, und diesem Umstande hat der Schott seinen zweiten Namen zu verdanken. Diese Steinhäufchen heißen »Gmaïr«, und auch sie fehlen an solchen Punkten, wo auf mehrere Meter Länge der Boden von einer den Pferden bis an die Brust reichenden Wasserfläche bedeckt wird.

Die Kruste der Schotts bildet übrigens nicht etwa eine einheitliche, flache Ebene, sondern sie zeigt im Gegenteile Wellen, welche selbst dreißig Meter Höhe erreichen. Die Kämme dieser Bodenwellen bilden eben die Furten, welche von den Karawanen benützt werden, und zwischen ihnen, in den tiefer liegenden Stellen, lauert das Verderben. Doch gerät schon bei einem mäßigen Winde die Salzdecke in eine schwingende Bewegung und läßt das Wasser aus einzelnen Öffnungen und Löchern mit der Macht einer Quelle hervorbrechen. – –

Also diese freundlich glitzernde, aber trügerische Fläche lag zu unserer Linken, als wir den Weg nach Kris verfolgten, von wo aus eine Furt über den Schott nach Fetnassa auf der gegenüberliegenden Halbinsel des Nifzaua führt. Halef streckte die Hand aus und deutete hinab.

»Siehst du den Schott, Sihdi?«

»Ja.«

»Bist du schon einmal über den Schott geritten?«

»Nein.«

»So danke Allah, denn vielleicht wärest du sonst bereits zu deinen Vätern versammelt! Und wir wollen wirklich hinüber?«

»Allerdings.«

»Bismillah, in Gottes Namen! Mein Freund Sadek wird wohl noch am Leben sein.«

»Wer ist das?«

»Mein Bruder Sadek ist der berühmteste Führer über den Schott Dscherid; er hat noch niemals einen falschen Schritt gethan. Er gehört zum Stamme der Merasig und ward geboren von seiner Mutter in Mui Hamed, lebt aber mit seinem Sohne, der ein wackerer Krieger ist, in Kris. Er kennt den Schott wie kein zweiter, und er ist es ganz allein, dem ich dich anvertrauen möchte, Sihdi. Reiten wir direkt nach Kris?«

»Wie weit haben wir noch bis hin?«

»Ein kleines über eine Stunde.«

»So biegen wir jetzt ab gegen West. Wir müssen sehen, ob wir eine Spur der Mörder finden.«

»Du meinst wirklich, daß sie auch nach Kris gegangen sind?«

»Auch sie haben jedenfalls im Freien ihr Lager gehalten und werden bereits vor uns sein, um über den Schott zu gehen.«

Wir verließen den bisherigen Weg und hielten grad nach West. In der Nähe des Pfades fanden wir viele Spuren, welche wir zu durchschneiden hatten; dann aber wurden sie weniger zahlreich und hörten endlich ganz auf. Da schließlich, wo der Reitpfad nach El Hamma führt, erblickte ich die Fährte zweier Pferde im Sande, und nachdem ich sie gehörig geprüft hatte, gelangte ich zu der Überzeugung, daß es die gesuchte sei. Wir folgten ihr bis in die Nähe von Kris, wo sie sich im breiten Wege verlor. Ich hatte also die Gewißheit, daß sich die Mörder hier befanden.

Halef war nachdenklich geworden.

»Sihdi, soll ich dir etwas sagen?« meinte er.

»Sage es!«

»Es ist doch gut, wenn man im Sande lesen kann.«

»Es freut mich, daß du zur Erkenntnis kommst. Doch, da ist Kris. Wo ist die Wohnung deines Freundes Sadek?«

»Folge mir!«

Er ritt um den Ort, der aus einigen unter Palmen liegenden Zelten und Hütten bestand, herum bis zu einer Gruppe von Mandelbäumen, in deren Schutze eine breite, niedere Hütte lag, aus der bei unserem Anblick ein Araber trat und meinem kleinen Halef freudig entgegeneilte.

»Sadek, mein Bruder, du Liebling der Kalifen!«

»Halef, mein Freund, du Gesegneter des Propheten!«

Sie lagen einander in den Armen und herzten sich wie ein Liebespaar.

Dann aber wandte sich der Araber zu mir:

»Verzeihe, daß ich dich vergaß! Tretet ein in mein Haus; es ist das eurige!«

Wir folgten seinem Wunsche. Er war allein und präsentierte uns allerhand Erfrischungen, denen wir fleißig zusprachen. Jetzt glaubte Halef die Zeit gekommen, mich seinem Freunde vorzustellen.

»Das ist Kara Ben Nemsi, ein großer Taleb aus dem Abendlande, der mit den Vögeln redet und im Sande lesen kann. Wir haben schon viele große Thaten vollbracht; ich bin sein Freund und Diener und soll ihn zum wahren Glauben bekehren.«

Der brave Mensch hatte mich einmal nach meinem Namen gefragt und wirklich das Wort Karl im Gedächtnisse behalten. Da er es aber nicht auszusprechen vermochte, so machte er rasch entschlossen ein Kara daraus und setzte Ben Nemsi, Nachkomme der Deutschen, hinzu. Wo ich mit den Vögeln geredet hatte, konnte ich mich leider nicht entsinnen; jedenfalls sollte mich diese Behauptung ebenbürtig an die Seite des weisen Salomo stellen, der ja auch die Gabe gehabt haben soll, mit den Tieren zu sprechen. Auch von den großen Thaten, die wir vollbracht haben sollten, wußte ich weiter nichts, als daß ich einmal im Gestrüppe hängen geblieben und dabei gemächlich von meinem kleinen Berbergaule gerutscht war, der diese Gelegenheit dann benutzte, einmal mit mir Haschens zu spielen. Der Glanzpunkt der Halef’schen Diplomatik war nun allerdings die Behauptung, daß ich mich von ihm bekehren lassen wolle. Er verdiente dafür eine Zurechtweisung; daher fragte ich Sadek:

»Kennst du den ganzen Namen deines Freundes Halef?«

»Ja.«

»Wie lautet er?«

»Er lautet Hadschi Halef Omar.«

»Das ist nicht genug. Er lautet Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Du hörst also, daß er zu einer frommen, verdienstvollen Familie gehört, deren Glieder alle Hadschi waren, obgleich – – –«

»Sihdi,« unterbrach mich Halef mit einer ganz unbeschreiblichen Pantomime des Schreckens, »sprich nicht von den Verdiensten deines Dieners! Du weißt, daß ich dir stets gern gehorchen werde.«

»Ich hoffe es, Halef. Du sollst nicht von dir und mir sprechen; frage lieber deinen Freund Sadek, wo sich sein Sohn befindet, von dem du mir gesagt hast!«

»Hat er wirklich von ihm gesprochen, Effendi?« fragte der Araber. »Allah segne dich, Halef, daß du derer gedenkst, die dich lieben! Omar Ibn Sadek, mein Sohn, ist über den Schott nach Seftimi gegangen und wird noch heute wiederkehren.«

»Auch wir wollen über den Schott, und du sollst uns führen,« meinte Halef.

»Ihr? Wann?«

»Noch heute.«

»Wohin, Sihdi?«

»Nach Fetnassa. Wie ist der Weg hinüber?«

»Gefährlich, sehr gefährlich. Es giebt nur zwei wirklich sichere Wege hinüber an das jenseitige Ufer, nämlich El Toserija zwischen Toser und Fetnassa und Es Suida zwischen Nefta und Sarsin. Der Weg von hier nach Fetnassa aber ist der allerschlimmste, und nur zwei giebt es, die ihn genau kennen; das bin ich und Arfan Rakedihm hier in Kris.«

»Kennt dein Sohn den Weg nicht auch?«

»Ja, aber allein ist er ihn noch nicht gegangen. Desto besser aber kennt er die Strecke nach Seftimi.«

»Diese fällt wohl einige Zeit lang zusammen mit der nach Fetnassa.«

»Über zwei Dritteile, Sihdi.«

»Wenn wir am Mittag aufbrechen, bis wann sind wir in Fetnassa?«

»Vor Anbruch des Morgens, wenn deine Tiere gut sind.«

»Du gehst auch während der Nacht über den Schott?«

»Wenn der Mond leuchtet, ja. Ist es aber dunkel, so übernachtet man auf dem Schott, und zwar da, wo das Salz so dick ist, daß es das Lager tragen kann.«

»Willst du uns führen?«

»Ja, Effendi.«

»So laß uns zunächst den Schott besehen!«

»Du hast noch keinen Schott überschritten?«

»Nein.«

»So komm! Du sollst den Sumpf des Todes sehen, den Ort des Verderbens, das Meer des Schweigens, über welches ich dich hinwegführen werde mit sicherem Schritte.«

Wir verließen die Hütte und wandten uns nach Osten. Nachdem wir einen breiten, sumpfigen Rand überschritten hatten, gelangten wir an das eigentliche Ufer des Schott, dessen Wasser vor der Salzkruste, die es deckte, nicht zu sehen war. Ich stach mit meinem Messer hindurch und fand das Salz vierzehn Centimeter dick. Dabei war es so hart, daß es einen mittelstarken Mann zu tragen vermochte. Es wurde verhüllt von einer dünnen Lage von Flugsand, welcher an vielen Stellen weggeweht war, die dann in bläulich weißem Schimmer erglänzten.

Noch während ich mit dieser Untersuchung beschäftigt war, ertönte hinter uns eine Stimme:

»Sallam aaleïkum, Friede sei mit euch!«

Ich wandte mich um. Vor uns stand ein schlanker, krummbeiniger Beduine, dem irgend eine Krankheit oder wohl auch ein Schuß die Nase weggenommen hatte.

»Aaleïkum!« antwortete Sadek. »Was thut mein Bruder Arfan Rakedihm hier am Schott? Er trägt die Reisekleider. Will er fremde Wanderer über die Sobha führen?«

»So ist es,« antwortete der Gefragte. »Zwei Männer sind es, die gleich kommen werden.«

»Wohin wollen sie?«

»Nach Fetnassa.«

Der Mann hieß Arfan Rakedihm und war also der andere Führer, von welchem Sadek gesprochen hatte. Er deutete jetzt auf mich und Halef und fragte:

»Wollen diese zwei Fremdlinge auch über den See?«

»Ja.«

»Wohin?«

»Auch nach Fetnassa.«

»Und du sollst sie führen?«

»Du errätst es.«

»Sie können gleich mit mir gehen; dann ersparst du dir die Mühe.«

»Es sind Freunde, die mir keine Mühe machen werden.«

»Ich weiß es: du bist geizig und gönnst mir nichts. Hast du mir nicht stets die reichsten Reisenden weggefangen?«

»Ich fange keinen weg; ich führe nur die Leute, welche freiwillig zu mir kommen.«

»Warum ist Omar, dein Sohn, Führer nach Seftimi geworden? Ihr nehmt mir mit Gewalt das Brot hinweg, damit ich verhungern soll; Allah aber wird euch strafen und eure Schritte so lenken, daß euch der Schott verschlingen wird.«

Es mochte sein, daß die Konkurrenz hier eine Feindschaft entwickelt hatte, aber dieser Mann besaß überhaupt keine guten Augen, und so viel war sicher, daß ich mich ihm nicht gern anvertraut hätte. Er wandte sich von uns und schritt am Ufer hin, wo in einiger Entfernung die zwei Reiter erschienen, welche er führen sollte. Es waren die beiden Männer, welche wir in der Wüste getroffen und dann verfolgt hatten.

»Sihdi,« rief Halef. »Kennst du sie?«

»Ich kenne sie.«

»Wollen wir sie ruhig ziehen lassen?«

Er hob bereits das Gewehr zum Schusse empor. Ich hinderte ihn daran.

»Laß! Sie werden uns nicht entgehen.«

»Wer sind die Männer?« fragte unser Führer.

»Mörder,« antwortete Halef.

»Haben sie jemand aus deiner Familie oder aus deinem Stamme getötet?«

»Nein.«

»Hast du über Blut mit ihnen zu richten?«

»Nein.«

»So laß sie ruhig ziehen! Es taugt nicht, sich in fremde Händel zu mischen.«

Der Mann sprach wie ein echter Beduine. Er hielt es nicht einmal für nötig, die Männer, welche ihm als Mörder geschildert worden waren, mit einem Blick zu betrachten. Auch sie hatten uns bemerkt und erkannt. Ich sah, wie sie sich beeilten, auf die Salzdecke zu kommen. Als dies geschehen war, hörten wir ein verächtliches Lachen, mit welchem sie uns den Rücken kehrten.

Wir gingen in die Hütte zurück, ruhten noch bis Mittag aus, versahen uns dann mit dem nötigen Proviante und traten die gefährliche Wanderung an.

Ich habe auf fremden, unbekannten Strömen zur Winterszeit mit Schneeschuhen meilenweite Strecken zurückgelegt und mußte jeden Augenblick gewärtig sein, einzubrechen, habe aber dabei niemals die Empfindung wahrgenommen, welche mich beschlich, als ich jetzt den heimtückischen Schott betrat. Es war nicht etwa Furcht oder Angst, sondern es mochte ungefähr das Gefühl eines Seiltänzers sein, der nicht genau weiß, ob das Tau, welches ihn trägt, auch gehörig befestigt worden ist. Statt des Eises eine Salzdecke – das war mir mehr als neu. Der eigentümliche Klang, die Farbe, die Krystallisation dieser Kruste – das alles erschien mir zu fremd, als daß ich mich hätte sicher fühlen können. Ich prüfte bei jedem Schritte und suchte nach sicheren Merkmalen für die Festigkeit unseres Fußbodens. Stellenweise war derselbe so hart und glatt, daß man Schlittschuhe hätte benutzen können, dann aber hatte er wieder das schmutzige, lockere Gefüge von niedergetautem Schnee und vermochte nicht, die geringste Last zu tragen.

Erst nachdem ich mich über das so Ungewohnte einigermaßen orientiert hatte, stieg ich zu Pferde, um mich nächst dem Führer auch zugleich auf den Instinkt meines Tieres zu verlassen. Der kleine Hengst schien gar nicht zum erstenmale einen solchen Weg zu machen. Er trabte, wo Sicherheit vorhanden war, höchst wohlgemut darauf los und zeigte dann, wenn sein Vertrauen erschüttert war, eine ganz vorzügliche Liebhaberei für die besten Stellen des oft kaum fußbreiten Pfades. Er legte dann die Ohren vor oder hinter, beschnupperte den Boden, schnaubte zweifelnd oder überlegend und trieb die Vorsicht einigemale so weit, eine zweifelhafte Stelle erst durch einige Schläge mit dem Vorderhufe zu prüfen.

Der Führer schritt voran; ich folgte ihm, und hinter mir ritt Halef. Der Weg nahm unsere Aufmerksamkeit so in Anspruch, daß nur wenig gesprochen wurde. So waren wir bereits über drei Stunden unterwegs, als sich Sadek zu mir wandte:

»Nimm dich in acht, Sihdi! Jetzt kommt die schlimmste Stelle des ganzen Weges.«

»Warum schlimm?«

»Der Pfad geht oft durch hohes Wasser und wird dabei auf eine lange Strecke so schmal, daß man ihn mit zwei Händen bedecken kann.«

»Bleibt der Boden stark genug?«

»Ich weiß es nicht genau; die Stärke unterliegt oft großen Veränderungen.«

»So werde ich absteigen, um die Last zu halbieren.«

»Sihdi, thue es nicht. Dein Pferd geht sicherer als du.«

Hier war der Führer Herr und Meister; ich gehorchte ihm also und blieb sitzen. Doch noch heute denke ich mit Schaudern an die zehn Minuten, welche nun folgten; zehn Minuten nur, aber unter solchen Verhältnissen sind sie eine Ewigkeit.

Wir hatten ein Terrain erreicht, auf welchem Thal und Hügel wechselte. Die wellenförmigen Erhebungen bestanden zwar aus hartem, haltbarem Salze, die Thalmulden aber aus einer zähen, breiartigen Masse, in welcher sich nur einzelne schmale Punkte befanden, auf denen Mensch und Tier nur unter höchster Aufmerksamkeit und mit der größten Gefahr zu fußen vermochten. Und dabei ging mir, trotzdem ich auf dem Pferde saß, das grüne Wasser oft bis an die Oberschenkel heran, so daß die Stellen, auf denen man fußen konnte, erst unter der Flut gesucht werden mußten. Dabei war das allerschlimmste, daß der Führer und dann wieder auch die Tiere diese Stellen erst suchen und dann probieren mußten, ehe sie sich mit dem ganzen Gewichte darauf wagen konnten, und doch war dieser Halt so gering, so trügerisch und verräterisch, daß man keinen Augenblick zu lange darauf verweilen durfte, wenn man nicht versinken wollte – es war fürchterlich.

Jetzt kamen wir an eine Stelle, welche uns auf wohl zwanzig Meter Länge kaum einen zehn Zoll breiten, halbwegs zuverlässigen Pfad bot.

»Sihdi, aufgepaßt! Wir stehen mitten im Tode,« rief der Führer.

Er wandte sich während des Forttastens mit dem Gesichte nach Morgen und betete mit lauter Stimme die heilige Fatcha:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Lob und Preis Gott dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg derer, die deiner Gnade sich freuen und nicht den Weg derer, über welche – – –«

Halef war hinter mir in das Gebet eingefallen; plötzlich aber verstummten beide zu gleicher Zeit; – zwischen den zwei nächsten Wellenhügeln hervor fiel ein Schuß. Der Führer warf beide Arme empor, stieß einen unartikulierten Schrei aus, trat fehl und war im nächsten Augenblick unter der Salzdecke verschwunden, die sich sofort wieder über ihm schloß.

In solchen Augenblicken erhält der menschliche Geist eine Spannkraft, welche ihm eine ganze Reihe von Gedanken und Schlüssen, zu denen sonst Viertelstunden oder gar Stunden gehören, mit der Schnelligkeit des Blitzes und tagesheller Deutlichkeit zum Bewußtsein bringt. Noch war der Schuß nicht verhallt und der Führer nicht ganz versunken, so wußte ich bereits alles. Die beiden Mörder wollten ihre Ankläger verderben; sie hatten ihren Führer um so leichter gewonnen, als derselbe auf den unserigen eifersüchtig war. Sie brauchten uns gar kein Leid zu thun; wenn sie unsern Führer töteten, waren wir unbedingt verloren. Sie lauerten also hier bei der gefährlichsten Stelle des ganzen Weges und schossen Sadek nieder. Nun brauchten sie nur zuzusehen, wie wir versanken.

Daß Sadek von der Kugel in den Kopf getroffen war, merkte ich trotz der Schnelligkeit, mit der alles geschah. Hatte die durchfahrende Kugel auch mein Pferd gestreift, oder war es der Schreck über den Schuß? Der kleine Berberhengst zuckte heftig zusammen, verlor hinten den Halt und brach ein.

»Sihdi!« brüllte hinter mir Halef in unbeschreiblicher Angst.

Ich war verloren, wenn mich nicht eins rettete: noch während das Pferd im Versinken war und sich mit den Vorderhufen vergeblich anzuklammern suchte, stützte ich die beiden Hände auf den Sattelknopf, warf die Beine hinten in die Luft empor und schlug eine Volte über den Kopf des armen Pferdes hinweg, welches durch den hierbei ausgeübten Druck augenblicklich unter den Salzboden gedrückt wurde. In dem Augenblick, während dessen ich durch die Luft flog, hat Gott das inbrünstigste Gebet meines ganzen Lebens gehört. Nicht lange Worte und viele Minuten gehören zum Gebete; wenn man zwischen Leben und Tod hindurchfliegt, giebt es keine Worte und keine Zeit zu messen.

Ich bekam festen Boden; er wich aber augenblicklich unter mir; halb schon im Versinken, fußte ich wieder und raffte mich empor; ich sank und erhob mich, ich strauchelte, ich trat fehl, ich fand dennoch Grund; ich wurde hinabgerissen und kam dennoch vorwärts und ging dennoch nicht unter; ich hörte nichts mehr, ich fühlte nichts mehr, ich sah nichts mehr als nur die drei Männer dort an der Salzwelle, von denen zwei mit angeschlagenem Gewehre mich erwarteten.

Da, da endlich hatte ich festen Boden unter den Füßen, festen, breiten Boden, zwar auch nur Salz, aber es trug mich sicher. Zwei Schüsse krachten – Gott wollte, daß ich noch leben sollte; ich war gestolpert und niedergestürzt; die Kugeln pfiffen an mir vorüber. Ich trug mein Gewehr noch auf dem Rücken; es war ein Wunder, daß ich es nicht verloren hatte; aber ich dachte jetzt gar nicht an die Büchse, sondern warf mich gleich mit geballten Fäusten auf die Schurken. Sie erwarteten mich nicht einmal. Der Führer floh; der ältere der beiden wußte, daß er ohne Führer verloren sei, und folgte ihm augenblicklich; ich faßte nur den jüngeren. Er riß sich los und sprang davon; ich blieb hart hinter ihm. Ihm blendete die Angst und mir der Zorn die Augen; wir achteten nicht darauf, wohin uns unser Lauf führte – er stieß einen entsetzlichen, heiseren Schrei aus, und ich warf mich sofort zurück. Er verschwand unter dem salzigen Gischte, und ich stand kaum dreißig Zoll vor seinem heimtückischen Grabe.

Da ertönte hinter mir ein angstvoller Ruf.

»Sihdi, Hilfe, Hilfe!«

Ich wandte mich um. Grad an der Stelle, wo ich festen Fuß gefaßt hatte, kämpfte Halef um sein Leben. Er war zwar eingebrochen, hielt sich aber an der dort zum Glücke sehr starken Salzkruste noch fest. Ich sprang hinzu, riß die Büchse herab und hielt sie ihm entgegen, indem ich mich platt niederlegte.

»Fasse den Riemen!«

»Ich habe ihn, Sihdi! O, Allah illa Allah!«

»Wirf die Beine empor; ich kann nicht ganz hin zu dir. Halte aber fest!«

Er wandte seine letzte Kraft an, um seinen Körper in die Höhe zu schnellen; ich zog zu gleicher Zeit scharf an, und es gelang – er lag auf der sicheren Decke des Sumpfes. Kaum hatte er Atem geschöpft, so erhob er sich auf die Kniee und betete die vierundsechzigste Sure:

»Alles, was im Himmel und auf Erden ist, preiset Gott; sein ist das Reich und ihm gebührt das Lob, denn er ist aller Dinge mächtig!«

Er, der Muselmann, betete; ich aber, der Christ, ich konnte nicht beten, ich konnte keine Worte finden, wie ich aufrichtig gestehe. Hinter mir lag die fürchterliche Salzfläche so ruhig, so bewegungslos, so gleißend, und doch hatte sie unsere beiden Tiere, und doch hatte sie unseren Führer verschlungen, und vor uns sah ich den Mörder entkommen, der dies alles verschuldet hatte! Jede Faser zuckte in mir, und es dauerte eine geraume Weile, bis ich ruhig wurde.

»Sihdi, bist du verwundet?«

»Nein. Aber Mensch, auf welche Weise hast du dich gerettet?«

»Ich sprang vom Pferde, grad wie du, Effendi. Und weiter weiß ich nichts. Ich konnte erst dann wieder denken, als ich dort am Rande hing. Aber wir sind nun dennoch verloren.«

»Warum?«

»Wir haben keinen Führer. O, Sadek, Freund meiner Seele, dein Geist wird mir verzeihen, daß ich schuld an deinem Tode bin. Aber ich werde dich rächen, das schwöre ich dir beim Barte des Propheten; rächen werde ich dich, wenn ich nicht hier verderbe.«

»Du wirst nicht verderben, Halef.«

»Wir werden verderben; wir werden verhungern und verdursten.«

»Wir werden einen Führer haben.«

»Wen?«

»Omar, den Sohn Sadeks.«

»Wie soll er uns hier finden?«

»Hast du nicht gehört, daß er nach Seftimi gegangen ist und heute wieder zurückkehren wird?«

»Er wird uns dennoch nicht finden.«

»Er wird uns finden. Sagte nicht Sadek, daß der Weg nach Seftimi und nach Fetnassa auf zwei Dritteile ganz derselbe sei?«

»Effendi, du giebst mir neue Hoffnung und neues Leben. Ja, wir werden warten, bis Omar hier vorüberkommt.«

»Für ihn ist es ein Glück, wenn er uns findet. Er würde hier hinter uns untergehen, da der frühere Pfad versunken ist, ohne daß er es weiß.«

Wir lagerten uns neben einander am Boden nieder; die Sonne brannte so heiß, daß unsere Kleider in wenigen Minuten getrocknet und mit einer salzigen Kruste überzogen wurden, so weit sie naß gewesen waren. – –

Durch Wüste und Harem

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