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Kapitel 7: Ein Uchtenhagen
ОглавлениеEs war zu Spandau, und fast noch niemals hatte die Stadt so viel fremde Gäste in ihren Mauern beherbergt als jetzt, denn Unzählige eilten von Nah und Fern herbei, um ein Ereigniß mit anzuschauen, von welchem die Kunde weithin durch das Land erklungen war: Werner von Holzendorf, als markgräflicher Hauptmann auf Schloß Bötzow gestellt, hatte einen offenen Feind des Markgrafen, auf welchem die kaiserliche Acht ruhte, in seinen Schutz genommen und sollte nun über diese That zur Rechenschaft gezogen werden. Nach damaligem Gebrauche wurde die Verhandlung auf öffentlicher Dingstätte vorgenommen, und da dies seit langer Zeit der erste Felonieprozeß war, welcher in den Marken vorgenommen wurde, so erregte er ein gar gewaltiges Aufsehen, und ein Jeder wollte Augen— und Ohrenzeuge sein von dem, was dabei zu sehen und zu hören war.
Schon vorher hatte Markgraf Friedrich einen Landtag nach Berlin berufen und Herren, Mannen und Städte dazu eingeladen. Es sollte besonders über die eroberten Quitzowschen Güter eine gesetzliche Bestimmung getroffen werden, und auch Werner von Holzendorf mußte sich dazu einfinden, was er ohne Bedenken thun konnte, weil er sicheres Geleit hatte.
Nach Beschlußfassung über die Quitzowschen Angelegenheiten hatte sich Friedrich von seinem Sitze erhoben und folgende Ansprache gehalten:
»Euch allen, Ihr Herren, Ritter und Abgesandten Meiner getreuen und liebenwerthen Städte ist bekannt, daß Dietrich von Quitzow Mein und Meiner Lande Feind war und auch noch heute ist, der Meine Dienstleute und viele Meiner Unterthanen gefangen, geschlagen und ihnen das Ihrige genommen hat und sich seit der Eroberung der Burg Friesack auf der Flucht vor Mir befindet. Unbekannt aber wird es Euch sein, daß er von Werner von Holzendorf zu Bötzow aufgenommen worden ist, der ihm die verschlossenen Thüren und Räume geöffnet hat, so daß er mit seinem vollkommenen Wissen und Zustimmen hindurchreiten konnte. Ferner hat er ihn auf Neumühl zugelassen, wie Mir berichtet worden ist, und ihn deshalb hegen, speisen und bedienen lassen als einen kranken Knecht, an dem Mir nichts gelegen sei. Meine Diener und Boten hat Der von Holzendorf mit Schmach überfallen, geschlagen und gefangen genommen, sodaß Ich Mich mit Meiner fürstlichen Würde und Ehre tief gekränkt und beleidigt sehen muß. Jetzt nun ist Dietrich aus Neumühl weiter entflohen und der gerechten Strafe entzogen worden. So frage Ich Euch denn, Herr Werner, ob Ihr Euch zu den vorgedachten und beschriebenen Thaten bekennt oder Meine Beschuldigung der Unwahrheit zeihen möget!«
Auf diese Worte hatten sich Aller Augen auf Werner gerichtet. Dieser aber war in stolzer Haltung aufgestanden und hatte also geantwortet:
»Ich bin mit nichten ein Mann, welcher abläugnen möchte, was er gethan. Es ist so, wie Ihr gesagt habt, hoher Herr! Allein Ihr möget auch gar wohl bedenken, daß Dietrich von Quitzow schon längst vorher mein Freund und Waffenbruder war, ehe Ihr mein Gebieter wurdet, und daß dieser redlichen Freundschaft wegen sein Verhältniß zu Euch kein Grund werden konnte, auch mein Verhältniß zu ihm zu ändern!«
Darauf hatte Friedrich erwidert:
»Ihr hört, Herren, Mannen und Städte, wozu sich der Ritter Werner von Holzendorf bekennt. Ich behalte es mir vor, vor vollbesetzter Lehnsbank meine Klage gegen ihn vorzubringen!«
Darauf war die Sache anhängig gemacht worden, und Friedrich hatte Herrn Hans von Torgau als Richter in dem zu erwartenden Prozesse gewählt. Dieser suchte sich dazu die erforderliche Anzahl von schildgeborenen Schöppen und Beisitzern, wie sie das Lehenecht verlangte, und berief sie zusammen, um mit ihnen die Lehnsbank zu besetzen. Friedrich brachte seine Klage vor, wie er sie bereits ausgesprochen hatte, gab die Thatsachen an, deren Werner von Holzendorf eingeständig war, und fragte dann das Gericht, ob Werner als sein gehuldigter und geschworener Diener damit die gelobte Treue lehnsrechtlich gegen ihn gebrochen hätte. Da die Schuld nicht bezweifelt werden konnte, so sprach das Gericht das Urtheil, nach welchem Werner vorgeladen wurde, um sich zu verantworten, wie es das Lehnrecht so erforderte. Infolge dessen erhielt er die Ladung, sich den Tag vor dem Lehnsgerichte in Spandau einzufinden, und es wurde ihm dabei bedeutet, daß ihm sein Recht geschehen werde, ob er sich nun einfinde oder nicht. —
Der erwartete Tag war herangekommen, und schon früh vor Sonnenaufgang rief die Glocke zu Spandau die Einwohner und alle Fremden zur Dingstätte.
Vor der Schloßbrücke stand ein Tisch und an zweien seiner Seiten je zwei Bänke in einer Reihe, also vier Bänke. An dem einen Ende stand ein ziemlich hoher Stuhl mit zwei vergoldeten Knöpfen; er war für den Richter bestimmt. Auf dem Tische lag ein weißer Stab, und hinter dem Stuhle hing ein Heerschild an einer fest in den Boden gestoßenen Lanze. Das Alles waren die Attribute der damaligen Gerichtsstätte, und nach damaligem Brauche hatte man den langen Tisch in der Richtung von Westen nach Osten aufgestellt, so daß der Richter am Westende saß und gegen Morgen schaute.
Allmälig fand sich das Volk ein und umgab die Gerichtsstätte. Wie Meereswogen rauschte das Gemurmel der vielen Stimmen durch den kalten Morgen und dämpfte selbst dann nicht, als Hans von Torgau als fürstlicher Rath und Richter mit den Schöppen oder Urtheilern der Gerichtsbank aus dem Schlosse trat.
Mit Aufgang der Sonne nahmen Alle ihre Plätze ein. Richter und Schöppen hatten Mäntel über die Schultern und erschienen unbewaffnet mit bloßem Kopfe und ohne Handschuhe, wie es der Gebrauch erforderte. Die Schöppen setzten sich auf die Bänke. Hans von Torgau aber setzte sich auf den Stuhl, indem er vorschriftsmäßig ein Bein über das andre schlug, in jenen Zeiten der Ruhe, der Beschaulichkeit und des Nachdenkens. Die Namen der Schöppen sind uns aufbewahrt; es waren: der junge Hans von Uchtenhagen, Heinrich von Strantz, Kunz von Hohendorf, Hans Barfuß, Czaslau von Conradsdorf, Siegmund von Knoblauch, Albrecht von Buste, Wieprecht von Thömen, Raven von Neukirchen, Albrecht von Quast, Cuno von Thömen, Witza Wolf und Herrmann Itzenplitz.
Hans von Torgau ergriff den weißen Stock und hielt ihn aufrecht in der Hand. Dann fragte er:
»Ist es an der Tageszeit, daß ich meinem Herrn das Lehnrecht hegen möge?«
»Es ist hoch am Tage,« antwortete Wieprecht von Thömen, und die Sonne scheinet, so daß Ihr, wenn Ihr von Gott und von unserm Herrn, dem Markgrafen, die Macht und Gewalt habt, ein öffentliches Lehnricht hegen, halten und spannen möget!
»Ist der Stuhl zu der Hege genugsam besetzt?« frug Hans weiter.
Cunz von Hohendorf erhob sich und überblickte die Zahl der auf den Bänken Sitzenden. Dann antwortete er:
»Er ist zur Hege genugsam besetzt, und wir sind alle vorhanden, die zum Rechte erforderlich sind.«
Darauf schlug Hans mit dem Stabe auf den Tisch.
»So gebiete ich denn Stille und befehle Bann und Frieden, daß ein Jeder schweige und sich aller Keif— und Scheltworte enthalte. Niemand gehe aus dem Gerichte oder in das Gericht, er habe denn Urlaub; Keiner falle dem Andern in das Wort, ohne Erlaubniß zu fordern, und auch Niemand besetze ohne Erlaubniß eines Andern Stelle. Ich verbiete Zwietracht und Alles, was das Gericht kränken kann; ich verbiete Hand und Mund, und ich verbiete Euch überhaupt Jedes, was ich verbieten soll, und erlaube Alles, was ich erlauben soll, hin und her zum ersten, zum zweiten und zum dritten Male. Die Lehnbank ist gespannt!«
Ringsum trat die tiefste Stille ein. Alle Zuschauer und Zuhörer, welche, weil sie um das Gericht herum standen, der Umstand genannt wurden, beobachteten das größte Schweigen, denn ganz allgemein galt das Gericht als etwas durchaus Heiliges und Ehrfurchtgebietendes, weshalb auch die Richter und Schöppen mit vollem Vertrauen ohne Schutz und Waffen ihr ernstes Geschäft mitten unter der Volksmasse ausüben konnten, von der sie häufig durch gar kein Hinderniß, öfters nur durch einen dünnen, umspannenden Faden oder eine unbedeutende hölzerne Schranke geschieden waren; ein Beweis, daß die nicht wegzuleugnende Rohheit der Masse doch ihres Zügels nicht entbehrte, wo es nothwendig war. Die Ueberschreitung der gesetzten Schranke wurde hart gebüßt. Ausländer durften sich ihr nur bis auf eine gewisse Entfernung, meistens bis auf sechzig Fuß, nahen.
»So weiset mir denn,« fuhr Hans von Torgau fort, »ob die Bank nach Lehenrecht gespannt ist, und ob ich ein rechtes Lehengericht halten werde!«
Die Schöppen antworteten im Chore:
»Die Bank ist nach Recht und alter Gewohnheit gespannt, genugsam besetzt, und es ist wohl an der Tageszeit, daß Ihr ein rechtes und gerechtes Lehengericht hegen und halten werdet.
»So lasset den Kläger in die Schranken treten!«
Der Umstand öffnete eine Bahn, und Burggraf Friedrich näherte sich mit seinem Vorsprach und blieb dem Richter gegenüber am östlichen freien Ende des Tisches stehen.
Richter und Beisitzende erhoben sich ernst, um den hohen Herrn schweigend zu begrüßen; dann wandte sich Hans an den Vorsprach:
»Ihr habt Urlaub, zu sprechen!«
»Herr Richter,« nahm darauf der Angeredete das Wort, »ich klage gegen den Ritter Werner von Holzendorf und frage, ob ich in besetzter und gehegter Bank zu Lehenrecht mit Urtheil rechtlich und vollkommen mit meiner Klage komme!«
»Ihr kommet rechtlich und vollkommen zu uns mit Eurer Klage!«
»Herr Richter, ist Werner von Holzendorf auf diesen heutigen Tag geladen und gefordert, meinem Herrn, dem Burggrafen, wegen seiner Schuld zu antworten zu Lehenrecht, wie es recht ist?«
Auf diese Frage erhoben sich Albrecht von Quast, Cuno von Thömen und Witza von Wolf:
»Wir drei Männer thun hier in gehegter Bank das Bekenntniß, daß wir als Boten die Ladung gethan haben.«
»Auf dies Bekenntniß frage ich,« wandte sich Hans an die Schöppenversammlung, »ob der Ladung nach Lehenrecht Genüge geleistet ist.«
»Es ist der Ladung genug geschehen!« lautete die einstimmige Antwort.
»Kann sonach mein Herr seine Klage thun und verlauten lassen?«
»Ja!«
»Herr Richter,« begann nun wieder der Vorsprach oder Anwalt, »ich frage, wie oft ich bedingen und beklagen muß.«
»Dreimal.«
Die Klage wurde nun, so wie sie Friedrich schon auf dem Landtage ausgesprochen hatte, jetzt von seinem Beauftragten dreimal angebracht, und der Letztere fügte dann hinzu:
»Das Alles hat Werner gethan! Da er nun meines Herrn gehuldigter und geschworener Mann und Diener ist, so hat er damit seine Treue gegen ihn nach Lehenrecht gebrochen. Auf diese seine verlautbarte Schuld ist nach Lehenrecht geurtheilt, daß man Werner heischen sollte zur Verantwortung, und ist das geschehen nach Gebrauch und nach Recht, wie es vorgeschrieben ist.«
»Auf diese Anschuldigungen frage ich,« entgegnete Hans, »ob Werner von Holzendorf auf Bötzow dieser Handlungen eingeständig gewesen ist.«
»Wir alle sind des Zeuge!« klang es in der Runde.
»So bedarf es keiner zugezogenen Zeugen. Untersuchet denn, ob der genannte Werner die Treue an seinem Herrn, dem Burggrafen, gebrochen hat!«
Die Schöppen begannen eine leise Unterredung, deren Ergebniß bald also lautete:
»Wir finden nach Lehenrecht, daß Werner von Holzendorf die Treue an seinem und unserm Herrn gebrochen, er habe denn Hülfrede, die ihm in dem Rechte möchte behülflich sein nach Lehenrecht.«
»So lasset uns des Angeklagten und seiner Hülfrede warten!«
Dieses Warten war allerdings vergeblich, denn Werner hatte sich nicht zu dem Prozesse eingefunden. Furcht hielt ihn nicht zurück, denn es konnte weder seine Person noch seine Freiheit dabei angetastet werden, da es sich allein um das Lehen handelte. Allein er wußte recht gut, daß er Nichts zur Beschönigung seiner That beibringen konnte, nichts, wodurch die Wendung der Sache für ihn günstiger werden konnte, und darum blieb er zu Hause. Hätte er die Flucht Dietrichs von Grobsdorf weg nebst den dabei stattgehabten Umständen gekannt, so hätte er gewiß nicht so ruhig auf Bötzow gesessen und dem Schlusse des Prozesses zugewartet.
Nachdem man die bestimmte Zeit erfolglos auf sein Erscheinen geharrt hatte, trat der Vorsprech wieder herbei, wiederholte seinen vorigen Antrag und fügte demselben bei:
»Da hiernach Werner von Holzendorf sich Bötzow, Neumühl und anderer Güter, bewegliche und unbewegliche, mit Unrecht unterwunden hat und diese meinem Herrn zu Rechte verfallen und ledig geworden sind, so frage ich, ob er die genannten Güter und Schlösser nach Lehenrecht ihm unverzüglich abtreten und überantworten muß.«
»Weiset dann meinem Herrn, was nach Lehenrechte recht ist!« befahl Hans den Schöppen.
Diese gingen auf die Seite nach einem besonders eingehegten Orte und besprachen sich besonders mit dem Umstande. Nach einer Weile kamen sie wieder, und Ritter Heinrich von Strantz sprach dann:
»Wir urtheilen, daß Werner unserm Herrn die vorgenannten Schlösser und Güter abtreten und unverzüglich zurückgeben soll, es sei denn, er hätte Hülfrede, die ihm in dem Rechte möchte behülflich sein!«
Wieder wurde beschlossen, seiner zu warten, und der Frohnbote mußte ihn dreimal an verschiedenen Orten der Stadt vorladen. Indessen verging der Tag, ohne daß er erschien. Gegen Untergang der Sonne gebot Hans Stille, und Friedrichs Vorsprech fragte:
»Auf welche Zeit und bis zu welchem Tage soll mein Herr der Hülfrede warten nach Lehenrecht, um sein Recht zu vollführen, also daß ihm Recht geschehe, und Wernern an seinen Hülfreden kein Unrecht, und wie soll Werner zu dem Tage geladen werden?«
Hans von Uchtenhagen antwortete:
»Wir finden nach Lehenrecht vierzehn Tage und sechs Tage, ausgenommen verbundene Tage, als da sind Sonntage und Feiertage, und daß nicht Irrnisses und Zwiespruch darin geschehe, soll die Ladung geschehen mit des Richters Briefe und zwei ehrbaren Mannen unsers Herrn, und Ihr, Herr Richter, habt nach Urtheil und Recht den Tag zu setzen und den Ort zu benennen.«
»So setze ich denn den Tag auf den Freitag nach des heiligen Leichnamstag nächstkommend, und den Ort zu Berlin.«
»Ich habe,« schloß nun der Ankläger, »meines Herrn Recht und Zuspruch zu Lehenrecht bei aufsteigender Sonne angehoben und bis zu niedersteigender Sonne lange nach Mittage gewartet. Habe ich dem Rechtstage zu Lehenrechte genug gethan?«
Zwei Schöppen verließen die Bank, um die Sonne zu beobachten, und brachten die Nachricht, daß sie sich tief neige, worauf ihm gesagt wurde, er habe dem Rechte genug gethan. Darauf wurde das Gericht aufgehoben. —
Wie schon gesagt, erregte dieser Prozeß das ungeheuerste Aufsehen weit über die Marken hinaus. Die Freunde der Ordnung und öffentlichen Sicherheit, welche wohl einsahen, daß dem Lande unter der weisen, strengen und gerechten Regierung Friedrichs eine bessere Zukunft erblüht, freuten sich der Energie, mit welcher er das einmal ergriffene Scepter führte und dies begonnene schwere Werk fortsetzte, Diejenigen aber, denen sein Streben nach Aufhebung des Faustrechtes und der Vergewaltigung im Wege stand und Schaden zu bringen drohte, knirrschten ingrimmig mit den Zähnen; und da ihre Macht wenigstens in der gegenwärtigen Zeit zu einem offenen Widerstande nicht hinreichte, so machten sie wenigstens eine Faust im Sacke, hielten wortreiche aber fruchtlose Berathungen, zogen sich mit ihrem Wesen und Treiben aus der Oeffentlichkeit mehr und mehr in die Verborgenheit zurück und warteten nur auf den günstigen Augenblick, um dem fremden Eindringling, wie sie den Markgrafen nannten, die Kraft ihrer Fäuste fühlen zu lassen und ihn aus dem Lande zu jagen.
Das Benehmen Werners von Holzendorf seinem Freunde und langjährigen Waffengefährten Dietrich von Quitzow gegenüber hatte nicht nur die vollständige Billigung der widerstrebenden Adelspartei, sondern selbst die Freunde des Markgrafen mußten sich sagen, daß er gehandelt habe, wie es einem treuen Verbündeten gezieme. Er hatte Alles, was er besaß, redlich auf das Spiel gesetzt, um sein ritterliches Wort zu lösen, und besaß die Theilnahme des größten Theiles der Bevölkerung. Und diese Theilnahme ward um so größer, als ein jeder Verständige einsehen Mußte, daß das Urtheil des nach Berlin verlegten Gerichtes, dem er unter den gegebenen Verhältnissen unmöglich widerstehen könne, ihn unbedingt in den Verlust seiner Güter und Besitzungen erklären werde. Doch sah man sehr wohl nicht nur die Nothwendigkeit, sondern auch die Gerechtigkeit dieser Maßregel vollständig ein und hegte die Hoffnung, daß die allbekannte Milde und Freundlichkeit des Fürsten die Härte des Augenblicks später nach Kräften lindern werde.
Aehnliche Gedanken hatten auch die beiden Männer, welche am Tage nach dem Lehngerichte auf der Straße von Spandau nach Brandenburg dahinritten und die gestrigen Ereignisse zum Gegenstande ihrer Unterhaltung gemacht hatten. Es war Hans von Uchtenhagen, welchen wir in dem Kreise der Schöppen bemerkt haben, mit seinem jüngeren Bruder Karl.
Der Erstere wurde trotz seiner Jugend zu den hervorragendsten Rittern des Landes gezählt, und der Letztere versprach, ihm in Allem ein würdiges Ebenbild zu werden. Von jeher schon hatten sich die Uchtenhagens eines ausgezeichneten Rufes erfreut; die Mannen ihres Geschlechtes hatten bei allen großen und eingreifenden Ereignissen stets mit an der Spitze gestanden; reich an Tugenden und Ehren, waren sie immerfort bemüht gewesen, ihrer ruhmreichen Vergangenheit eine gleich glänzende Zukunft anzureihen, und weit über die Grenzen des Landes hinaus erklang bei Mahnruf und Ritterschlag das Wort: »Steh’ fest und werde wie ein Uchtenhagen!«
Hans war von untersetzter, breitschulteriger Figur und bot in seiner graden, strammen Haltung, mit den scharfen, blitzenden Augen und links und rechts weit über das gebräunte Gesicht hinausragendem Schnurrbarte einen gar stattlichen, achtungweckenden Anblick. Karl war schlanker gebaut als er; noch keimte der männliche Bart nur als leichter Flaum auf seiner Lippe, und in seiner Haltung und seinen Bewegungen lag etwas Weiches, welches auch mit der gewohnten Milde seiner Redeweise vollständig harmonirte; doch wer ihn deshalb für einen Knaben gehalten hätte, der wäre mit seinem Urtheile auf einem sehr großen Irrwege gewandelt und hätte sich vielleicht damit gar die Veranlassung zugezogen, seinen Irrthum schwer und bitter zu bereuen, denn der junge Mann war gar schnellen und kühnen Sinnes, hatte sich schon öfters als tüchtiger Kämpfer gezeigt und bei solchen Gelegenheiten stets bewiesen, daß sich mit der Gewandtheit und elastischen Ausdauer seines Körpers ein Scharfblick und eine Geistesgegenwart vereine, welche Schreck, Furcht und Angst bei ihm zur Unmöglichkeit machte.
Mit fröhlichem Sinne trabten sie neben einander dahin und die Wechselrede flog gar rasch und lebendig herüber und hinüber. Sie fühlten gegenseitig eine wahrhaft brüderliche Liebe zu einander, und es gab keine Regung des Herzens und keine Richtung des Gedankens, welche der Eine vor dem Andern hätte verbergen können. Darum vermochten sie nicht lange schweigend neben einander zu sein, und unter dem Reize des Gespräches verging eine Stunde nach der andern. Schon hatten sie Wustermark und Tremmen hinter sich und bogen nun in die Richtung auf Zachow ein, welche sie in die dichten Waldungen führte, die zwischen der Havel und den sich von Plaue bis nach Bähnitz erstreckenden Seen liegen.
Die Brüder hatten sich mit ihrem Ritte nicht sehr beeilt, und zudem war ihnen durch die für die Pferde so nothwendige Ruhe so viel Zeit verloren gegangen, daß es jetzt stark zu dunkeln begann und sie sich auf eine nächtliche Irrfahrt gefaßt machen mußten. Damals waren die Fluren Deutschlands noch lange nicht der Kultur unterworfen, welche in der jetzigen Zeit Thal und Hügel ebnet, Gebirge übersteigt, Flüsse und Seen überbrückt, Sümpfe austrocknet und die unwegsamste Wildniß nach und nach in ihren segensvollen Bereich zieht, sondern die menschlichen Wohnstätten lagen weit auseinander, und waren sie durch Wege oder Straßen verbunden, so durfte man doch an die letzteren nicht den jetzt gewöhnlichen Maaßstab legen. Ein Ritt des Nachts durch eine von Flüssen, Sümpfen und Morästen eingefaßte und durchzogene Gegend war kein ganz gewöhnliches Unternehmen, und ein Jeder, der sich diesem nicht entziehen konnte, sah sich zur Vorsicht und Aufmerksamkeit veranlaßt.
Die Unterhaltung war verstummt; man hatte auf sich selbst und die Umgebung Acht zu geben, und die Sinne mußten angestrengt werden, um jede Gefahr schon im Nahen zu erkennen und ihr gerüstet gegenüber zu treten. So ging es schweigend vorwärts; die Zeit dehnte sich lang und immer länger und fast wollte den Reitern nun die Geduld ausgehen, als ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch ein Ereigniß in Anspruch genommen wurde, welches alle ihre Kräfte in Beschlag nahm. Es verbreitete sich nämlich mit einem Male ein glänzender Lichtschein um sie her, und zu gleicher Zeit flog ein Reiter an ihnen vorüber, dessen Nahen sie weder vorher gesehen, noch sonst auf irgend eine Weise bemerkt hatten. Er saß auf einem dunklen Rosse, dessen lange Mähne sich im Fluge wie eine Fahne nach hinten legte, ein langer Mantel wehte gespenstisch von seiner Schulter, und ein Strahlenmeer ging von ihm aus über die Umgebung hin. Schnell wie der Gedanke war er aufgetaucht und schnell wie der Gedanke war er wieder verschwunden – woher und wohin, es war nicht zu sagen, auch hatten die beiden Männer keine Zeit, darüber nachzudenken, denn das Pferd des älteren Bruders war durch das Erscheinen der helldunklen Gestalt scheu geworden, hatte dem für den Augenblick fassungslosen Reiter die Zügel entrissen und jagte nun in rasender Eile über Stock und Stein mit ihm dahin.
Karl konnte natürlich nichts Anderes thun, als auch sein Thier zur möglichsten Eile anzutreiben, um Hans nicht aus dem Auge zu verlieren, doch war dieses Bestreben vergeblich, denn bald war der Letztere im Dunkel der Nacht verschwunden, die Hufschläge seines Pferdes verhallten, und der Nachfolgende sah sich außer Stande, ihn einzuholen. Er zügelte also den Lauf seines Gaules und ritt in langsameren Schritten weiter. Er gab die Hoffnung, den Bruder wieder zu finden, keinesweges auf; dieser war ein sehr guter Reiter und hatte gewiß Alles gethan, sich vor einem Unfall zu bewahren; ein Sturz vom Pferde ist zwar nie ungefährlich, war aber schon so oft glücklich überstanden worden, daß man im Wiederholungsfalle nur lachend aufsprang und sich ruhig wieder aufsetzte. Zudem trug Hans keine Rüstung, ein Umstand, welcher ohne besondere Angst an einen Fall denken ließ.
An diesen Fall denkend, wäre Karl bald selbst zu Falle gekommen, denn sein Pferd stolperte plötzlich, raffte sich aber, da es nur im Schritte gegangen war, glücklicher Weise wieder empor, und zu gleicher Zeit drangen eine Anzahl dunkler Gestalten auf den jungen Mann ein, der im Augenblicke sein Schwert aus der Scheide hatte, um dem unvermutheten Angriffe mit demselben kraftvoll zu begegnen. Es war ein eigenthümlicher, wortloser Kampf. Keiner der Angreifenden sprach ein Wort, auch Karl erkannte, daß gegen diese Leute ein tüchtiger Hieb das beste Wort sei, und so riß er sein Pferd im Kreise herum, um von den Händen derer, welche die Zügel gefaßt hatten, loszukommen, und führte dann die Klinge mit solchem Nachdrucke, daß er sich bald als Sieger auf der Wahlstatt sah.
Jetzt stieg er ab, um nach den Gefallenen zu sehen, und stieß bei dieser Gelegenheit auf das Hinderniß, über welches sein Pferd gestolpert war. Es bestand in einem groben Baststricke, welcher von einer Seite der Straße nach der andern gespannt war, und da sein Auge sich während des Abends so ziemlich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, so gewahrte er gar bald einen dunklen Gegenstand, welcher zwischen zwei Büschen am Wege lag. Er schritt hin, um ihn zu untersuchen, und fand, daß es das Pferd seines Bruders sei. Es lag in einer Lache Blutes, welches aus einer klaffenden Brustwunde auf die Erde lief, und war also erstochen worden. Nun war ihm Alles klar: Der gespenstische Reiter hatte keine andere Aufgabe gehabt, als ihre Pferde scheu zu machen; die im Galoppe dahinsausenden Thiere sollten mit dem Seile zu Falle gebracht werden, und mit den überraschten Reitern war dann leicht fertig zu werden.
Aber von wem war dieses Unternehmen ausgegangen? Persönliche Feinde hatten die Brüder hier nicht, und zudem war ihre Reise durch diese Gegend Jedermann unbekannt, da sie von ihrer Absicht, nach Brandenburg zu gehen, zufälligerweise gegen Niemanden Erwähnung gethan hatten; es war also eher zu vermuthen, daß sie die Opfer einer ganz gewöhnlichen Wegelagerei hatten werden sollen, die nur in Beziehung auf Hans ihre Absicht erreicht hatte, denn daß dieser in die Hände dieser Leute gefallen und von ihnen in Beschlag genommen worden sei, das schien gewiß, da trotz alles Suchens keine Spur von ihm zu finden war. Die Strauchdiebe hatten den großen Fehler begangen, sich zu theilen. Die eine Hälfte von ihnen hatte den zweiten Reiter erwarten müssen, während die Anderen mit Hans davongegangen waren, damit er nicht etwa auf irgend eine Weise zur Unzeit ihre Gegenwart verrathe. So schien es zu sein, und Karl überlegte eben, was er am besten zu thun habe, um dem Bruder Hilfe zu bringen, als ein halblautes Seufzen an sein Ohr tönte, welches von der Mitte des Weges her erschallte.
Er trat dem Orte näher und erkannte, sich zu ihm niederbückend, in dem Daliegenden einen Schwerverwundeten, dem ein Stoß seines Schwertes durch den Unterleib gegangen war. Der Mann war in Folge der Wunde dem Tode nahe und brachte nur mit Mühe einige Worte hervor.
»Wasser!« stöhnte er. »Ich verbrenne!«
Es schien kein fließendes Wasser in der Nähe zu geben, deshalb brach Karl einige Stückchen Eis von einem Zapfen, welcher von einer nahen Föhre gefallen war, und schob sie dem Bittenden in den halbgeöffneten Mund.
»Gott – — ver – — gelte es Euch!« röchelte dieser.
»Sag,« fragte Uchtenhagen, »wo habt Ihr meinen Bruder? Lebt er noch?«
»Bruder? – — der – — Andere? – — Der lebt.«
»Ist er verwundet?«
»Nein – — gleich – — über ihn – — hergefallen – — hat – — gar nicht – — kämpfen – — können – — gebunden – — in die – —Ruine.«
»Wo ist die Ruine?«
»Darf – — nicht. – — Mein Schwur – — Gott, vergieb – — mir! – — Ihr auch, – — Herr! – — Ruine – — – links – — grad – — Spitze – — oh – — oh – — lebt – — wohl!«
Ein Strom dunklen Blutes quoll ihm aus dem Munde und der Kopf sank hintenüber: er war todt. Was hatte er mit den Worten: »links – grad – Spitze« gemeint? Jedenfalls: zur linken Seite gradaus gehen; aber was mit der Spitze gemeint war, das blieb Uchtenhagen ein Räthsel. Aber er besann sich nicht lange, denn wenn überhaupt Hilfe möglich war, so mußte sie rasch, schleunig gebracht werden. Sein Pferd am Zügel führend, schritt er links in die Büsche hinein und gab sich Mühe, die grade Richtung einzuhalten.
Erst wurde ihm des Thieres wegen, welches er doch unmöglich im Stiche lassen konnte, das Fortkommen schwer, da sich ihm das Unterholz hindernd in den Weg legte, bald aber hörte dasselbe auf, und durch den hochstämmigen Wald war nun die Passage verhältnißmäßig leicht. Zuweilen blickte ein Theil des Himmels durch die Baumkronen, und so konnte er die einzuschlagende Richtung wenigstens einigermaßen nach dem Stande der Sterne bestimmen. Mit Hast drängte er vorwärts, immer vorwärts, die Zügel in der einen, das blanke Schwert in der andern Hand; Zeit auf Zeit verging; seine Ungeduld wurde immer größer und größer, und ebenso wuchs die Sorge um den Bruder, dessen Schicksal ein verhängnißvolles werden konnte.
So war weit über eine Stunde vergangen, als sich nach und nach wieder niedriges Buschwerk einstellte, ein Zeichen, daß eine Blöße oder sonst irgend eine Unterbrechung des Hochwaldes zu erwarten sei. Sodann löste das Buschwerk seine feste, dichte Masse und gab hartem, scharfkantigem Schilfe Platz, welches unter der schweren Kruste von Schnee und Eis zusammengebrochen war, und endlich öffnete sich dem Blicke eine weite, glatte Fläche, deren ebener Spiegel in den Strahlen des zuweilen durch das Gewölk brechenden Mondes hell erglänzte. Es war die seeartige Erweiterung der Havel, welche in der Nähe von Ketzin beginnt und einen Flächeninhalt von mehreren Quadratstunden in Anspruch nimmt.
Bei dem Anblicke des Sees wollte sich das Gefühl der Enttäuschung in seinem Innern Platz machen, doch währte dies nicht lange, denn bald bemerkte er in einiger Entfernung rechts von sich eine Landzunge sich in das Wasser erstrecken, welche sich durch Baum— und Strauchwerk deutlich von der weißen Fläche abzeichnete. Sollte das die »Spitze« sein, von welcher der Sterbende gesprochen hatte? Es mußte wenigstens untersucht werden, und neue Hoffnung tauchte in ihm auf.
Zunächst aber war es nothwendig, das Pferd zu verbergen, und hier wollte ihm das Glück wohl, denn schon nach kurzem Suchen nach einem geeigneten Orte fand er eine zwar enge, aber desto behaglichere Dorfhütte, welche zur Aufbewahrung von allerlei Fischereigeräthschaften diente und grad’ die richtige Größe hatte, das Pferd in sich aufzunehmen. Er entfernte die Geräthe, so viel als ihm nothwendig erschien, und stellte dann das müde Thier ein, welches hier jedenfalls besser aufgehoben war, als draußen in der nächtlichen Kälte und Feuchtigkeit.
Nachdem er dies versorgt hatte, trat er hinaus, um seine Forschung unbehindert fortzusetzen.
Langsam und vorsichtig schlich er sich dem Ufer entlang, jede Gelegenheit zur Deckung benutzend, um nicht gesehen zu werden, selbst aber Alles zu sehen. Indem er das Auge scharf über die Umgebung schweifen ließ, gewahrte er in einiger Entfernung von der Spitze der Landzunge eine kleine Insel, welche jedenfalls früher zu der ersteren gehört hatte, nachher aber durch Ueberfluthungen von ihr abgetrennt worden war. Und gleich bei diesem ersten Blicke war es ihm, als ob der blitzende Schein eines Lichtes dort aufgetaucht und sofort wieder verschwunden sei. Dieser Umstand erregte seine Aufmerksamkeit natürlich in hohem Grade; er hielt das Auge längere Zeit beobachtend auf die betreffende Stelle gerichtet, und wirklich, nicht lange dauerte es, so leuchtete es drüben wieder hell und blitzartig auf. Frei von dem Aberglauben jener Zeit, nahm Karl natürlich sofort an, daß dieser Schein von Menschen herrühre, und beschloß, seine Ursache näher zu untersuchen.
Statt dem Innern der Landzunge seine Aufmerksamkeit zu widmen, schritt er am Ufer weiter fort und betrat dann der Insel gegenüber das Eis des Sees. Von hieraus gingen Fußspuren sowohl herüber als auch hinüber; es gab hier also Menschen, und zwar auf alle Fälle solche, vor denen es nothwendig war, sich zurückzuziehen; trotzdem aber beschloß der junge Mann, das Wagniß, über den freien Raum nach der Insel zu gehen, zu unternehmen. Die Sorge um den Bruder machte ihn taub gegen die warnende Stimme der Vorsichtigkeit, die ihm sagte, daß er bemerkt werden müsse; er suchte die Leute, welche hier lebten und hausten, er hatte ein Lebenszeichen von ihnen gesehen und wollte es nun nicht unterlassen, demselben nachzustreben.
Raschen Schrittes eilte er vorwärts und hatte in wenigen Augenblicken die Insel erreicht. Dieselbe war von Schilf, Buschwerk und einigem spärlichen Baumgewächse bestanden und war von so geringer Größe, daß sie in ihrem ganzen Umfange leicht überschaut werden konnte. Aber Niemand war zu sehen; es mußte eine Hütte, ein Versteck oder sonst irgend ein Ort vorhanden sein, in welchem der Träger des Lichtes verschwunden war. Das beste Mittel, ihn aufzufinden, war jedenfalls, seinen Spuren nachzugehen. Diese führten nach einem Punkte, welcher ungefähr in der Mitte der Insel lag, und verschwanden da in einem üppigen Dorngestrüpp, welches zur Sommerszeit dem Hindurchkommen ganz bedeutende Hindernisse in den Weg legen mußte.
Er drang hinein und stand nach wenigen Schritten vor einem Loche, welches in senkrechter Richtung hinab in die Erde führte. Er lauschte hinab, aber nichts regte sich da unten, und kein Laut war zu vernehmen. Stak überhaupt Jemand unten? Er untersuchte das Loch und gewahrte eine Leiter, mittelst welcher es ermöglicht wurde, hinab zu steigen. Sollte er dieses wagen? Er begab sich damit jedenfalls in große Gefahr; er konnte ja längst bemerkt worden sein und während des Hinabsteigens angegriffen und überwältigt, wohl gar getödtet werden. Aber das konnte ihn nicht abhalten, die einmal angefangene Forschung weiter fortzusetzen. Er setzte den Fuß auf die oberste Leitersprosse und stieg, mit den Händen immer festen und sichern Halt nehmend, weiter. Die Fahrt führte ihn nicht zu tief, vielmehr berührten seine Füße gar bald den festen Erdboden, wo er sich vollständig im Dunkeln befand, den leisen Schein abgerechnet, welcher von dem Stücklein Himmel, der in das enge Loch hereinschaute, hinunterdrang.
Der kleine, enge Raum, in welchem er sich befand, war vollständig rund und mit Bruchsteinen ausgemauert; aus diesem Umstande und der Nässe, welche in ihm herrschte, ließ sich schließen, daß er ehemals als Brunnen gedient habe und später verschüttet worden sei. Auf einer Seite war ein niedriger und sehr enger Stolln schief abwärts geteuft, aus welchem ein feuchtkalter, moderiger Luftzug drang. In seinem Innern, darüber war kein Zweifel, war das Licht verschwunden, denn noch sah man weit hinten einen matten, dämmernden Schein, welcher sich entfernte und endlich ganz verschwand.
Sollte Karl den Stolln betreten? Es drohte ihm jedenfalls mancherlei Gefahr in demselben; aber diese Gefahr kam bei seiner Liebe zu dem Bruder gar wenig in Betracht – er zog den Gnadegott aus der Scheide, da in dem engen Raume das Schwert keine Dienste thun konnte, und drang, sich bückend, vorwärts. Die Sohle das Ganges war eben, ein Umstand, welcher die Bewegung sehr erleichterte, und da die Richtung eine schnurgerade war, so hatte Karl bald das nahe Ziel erreicht: eine schimmernde Helle drang ihm entgegen, und er sah sich vor einer kreisförmigen Erweiterung des Stollns, in welcher derselbe allem Anscheine nach seinen Abschluß fand.
Er warf einen Blick in den Raum und bebte bei dem, was sich seinem Auge bot, von tiefstem Mitleide ergriffen zurück. Rund im Kreise lagen eine Anzahl männlicher Gestalten auf vollständig verfaulter Waldstreu am Boden, an Händen und Füßen gefesselt und mittelst eines starken Lederriemens, welcher sich um den Hals zog, an die Mauer befestigt, so daß ihnen ein Erheben von dem schlammigen Boden vollständig unmöglich war. Weder Licht noch Luft drangen in diese Grube, und der Dunst, welcher aus derselben in den Stolln drang, war kaum auszuhalten und gradezu zum Ersticken.
Jetzt, in diesem Augenblicke waren die Gegenstände alle deutlich zu erkennen, denn in der Mitte des Raumes stand eine breite, untersetzte und bis an die Zähne bewaffnete Gestalt, welche einen lodernden Kienbrand in der Hand hielt und mit demselben Einen nach dem Andern der Daliegenden beleuchtete.
»Wieder einer todt von Euch Hunden!« sprach der Mann, indem er einem der lang ausgestreckten Körper einen Fußtritt ertheilte, der ihn auf die andre Seite warf. »So müßt Ihr alle noch dran! Ja, ja, der Hunger ist ein schlimmer Gesell, und wer mit ihm anbindet, der bezahlt es mit dem Leben. Aber recht ist es Euch, warum habt Ihr Euch von dem Teufel verleiten lassen, ehrliche Kerls werden zu wollen. Leben wir in unserm Waldschlosse nicht wie Fürsten? Ein wenig knapp zwar geht es her, seit uns der »Schwarze« aufgegeben hat, aber er hat uns beim Abschiede versprochen, wieder zu kommen, und das wird er auch, denn er hat noch niemals sein Wort gebrochen, und es giebt bei uns gewisse Dinge, die er nicht im Stiche lassen kann. Darum war es dumm von Euch, fortgehen zu wollen, wo wir doch Leute brauchen, denn der »fliegende Reiter«, welcher im Walde spukt und vor dem die albernen Leute sich so ungeheuerlich grausen, beginnt, gute Geschäfte zu machen. Die Anderen wären wohl kaum auf den unheilvollen Gedanken gekommen, wenn Du nicht gewesen wärst, Jobst, und deshalb sollst Du auch am längsten leben bleiben und sie alle vorher sterben sehen, ehe Du selbst an die Reihe kommst. Hier hast Du einen Trunk und einen Bissen Brod, das wird Dir den Athem auf einen Tag länger erhalten!«
Er bog sich zu einem der Gefangenen nieder und machte ihm eine Hand von den Banden frei.
»Da, nimm, iß und trink und sei guten Muthes! Du wirst es wohl nicht bald wieder so gut bekommen wie bei mir. Hast keine Sorge, kannst auf der Bärenhaut liegen und Dich pflegen. Na, greif zu, oder ich bringe Dir’s auf andre Weise bei!«
Der Angeredete rührte sich nicht; einige der Uebrigen bewegten sich unter Zuckungen und stießen ein herzergreifendes Stöhnen und Wimmern aus; die Qualen des Hungers, welcher ihnen den Tod bringen sollte, waren zu groß, als daß ihre Kraft zugereicht hätte, dieselben zu verschmerzen; er aber lag still und ruhig am Boden und keine Bewegung, kein Laut zeigte, daß noch Leben in ihm vorhanden sei. Er wollte sich das Sterben nicht durch die armselige Nahrungsspende verlängern lassen und widerstand der Gier, welche der Anblick des Brodes in ihm erweckte.
»Du willst nicht? So wirst Du wohl müssen! Oh, wir sind stets Freunde gewesen, und darum hat mich der »Reiter« auch zu Eurem Wärter bestellt. Ich kann nicht leiden, daß Dir der Magen zusammendorret, und darum werde ich Dich füttern. Komm her!«
Er umschlang den freigegebenen Arm, damit derselbe keinen Widerstand leisten könne, wieder mit dem Stricke und zog dann das Messer aus dem Gürtel. Nachdem er den Kienspahn in eine Mauerritze gesteckt hatte, faßte er mit kräftigem Drucke den Gefangenen beim Halse, um denselben zum Oeffnen des Mundes zu zwingen, und schob ihm dann die breite Klinge zwischen die Zähne, in der Absicht, ihm den Mund aufzubrechen. Der Gemarterte biß die Kinnladen fest zusammen, und deutlich hörte man das Knirschen des Eisens, welches erbarmungslos in dem Munde des Armen wühlte.
Das war zu viel für Karl. Aus den vernommenen Worten konnte er leicht schließen, daß die Gefesselten gefangene Räuber seien, welche die Absicht, sich von ihrem verbrecherischen Leben loszusagen, mit dem Hungertode büßen sollten. Wenn er ihnen Hilfe brachte, so konnte er gewiß sein, daß sie ihm ihre vollste Dankbarkeit erweisen würden; deshalb trat er herzu, packte den tückischen Henker beim Nacken und stieß ihm mit der Rechten den Gnadegott so tief und kräftig zwischen die Schultern, daß er bis vor zum Herzen drang und der Getroffene sofort todt zusammenbrach.
Betroffen von diesem plötzlichen Ereignisse, welches ihnen vollständig unbegreiflich war, blickten die Gefesselten auf. Sie sahen ihren Peiniger in seinem Blute liegen, aber sie wußten nicht, ob ihnen aus seinem Tode Glück oder Unheil erwachsen werde.
»Wer seid Ihr?« frug einer von ihnen, indem er sich vergebliche Mühe gab, sich aufzurichten.
»Habt keine Sorge,« erwiderte Uchtenhagen; »ich bin gekommen, Euch zu erlösen!«
Da die Banden nicht von Eisen waren, so wurden sie mit wenigen Schnitten von den erstarrten und blutig unterlaufenen Gliedern genommen, und die Männer waren nun im Stande, sich wenigstens soweit zu erheben, als es ihre gesunkenen Kräfte zuließen.
»Wasser, Wasser und Brod!« baten sie. Karl war nicht im Stande, diesem Verlangen nachzukommen, aber er versprach, vor der Hand wenigstens ihren Durst zu löschen. Er begab sich durch Stolln und Brunnenschaft nach oben und brachte ihnen einen Ballen Schnee, über welchen sie gierig herstürzten, da die wenigen Tropfen Wassers, welche ihr früherer Gefährte für Jobst mitgebracht hatte, nach wenigen Schlucken alle geworden waren. Auch die Brodrinde, die man bei ihm fand, verschwand augenblicklich unter den Händen der vom Hunger Gepeinigten, und nur die Sorge um ihre Sicherheit konnte sie abhalten, sich hinauszustürzen, um ihre nagenden Bedürfnisse auf alle Fälle und augenblicklich zu befriedigen.
»Wartet nur noch kurze Zeit, dann werdet Ihr haben, wornach Euch verlangt!« mahnte Karl. »Euer Schicksal kenne ich ein wenig; ausführlich müßt Ihr mir es später erzählen; jetzt aber sagt mir vor allen Dingen, ob ich auf Euren Beistand rechnen kann!«
Er erzählte ihnen das Geschehene, und mit Freuden gaben sie ihm ihr Wort, ihn in seinem Vorhaben nach allem Vermögen zu unterstützen.
»Ihr habt uns von einem gräßlichen Tode errettet, Herr,« sprach Jobst, welcher einen ihm über die Anderen freiwillig eingeräumten Vorrang zu begleiten schien, »und so werden wir Euch in allem unterstützen, was zum Gelingen Eures Vorhabens erforderlich ist. Aber wir wünschen dabei, daß wir nicht etwa später um unserer früheren Sünden willen zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden. Wenn Ihr uns dieses versprecht, so bin ich bereit, Euch zu Eurem Bruder zu führen, ohne daß Ihr von Jemandem bemerkt werdet. Ich kenne den Ort, an welchem die vornehmen Gefangenen aufbewahrt werden, bis sie ihr Lösegeld bezahlt haben oder sterben müssen.«
Uchtenhagen versprach ihm Vergebung alles Geschehenen und forderte ihn dann auf, mit dem Werke der Rettung nicht lange zu säumen.
»Ich bin bereit, mit Euch aufzubrechen und Euch zu führen; meine Kräfte sind noch stark genug zum Gehen, aber die Gefährten hier müssen zurückbleiben; sie vermögen nicht, den Weg zu machen, und werden erst dann mit uns gehen können, wenn wir ihnen Speise und Trank gebracht haben. Seht hier die bereits Gestorbenen! Ihr könnt daraus schließen, wie arg der Schmerz in unserm Innern wüthet.«
Mit Grauen wandte sich der junge Mann von dem schaudervollen Anblicke ab und schritt dem Räuber voran, welcher ihm nicht eher folgte, als bis er den Seinen mit den heiligsten Worten versprochen hatte, zurückzukehren, um ihnen Speise und Trank zu bringen und sie dann mit hinaus zu nehmen in die Freiheit. Er hatte die Waffen des Erstochenen an sich genommen und schwur mit grimmiger Bitterkeit, Jeden ohne Gnade und Erbarmen niederzustoßen, der es wage, sich ihm in den Weg zu legen. Oben angekommen, blieb er stehen und musterte das nicht ferne Ufer des Sees.
»Wenn wir schnell laufen, kommen wir vielleicht hinüber ohne gesehen zu werden. Besser aber ist es, daß wir einzeln gehen, dann werden sie denken, es ist der Wärter, welcher aus dem Brunnen zurückkehrt. Laßt mich voranschreiten; ich werde Eurer hinter der Buschecke warten, welche ihr hier grad’ gegenüber erblickt!«
»Sag mir vorerst Deinen Namen, ehe Du gehst!«
»Den einen habt Ihr schon gehört, der andere heißt Schwalbe, Jobst Schwalbe also heiße ich vollständig. Ihr werdet von mir und über mich vielleicht noch gar Manches hören, und wenn Ihr mir Gelegenheit dazu bietet, auch Vieles sehen, was Eure Zufriedenheit erlangen soll. Jetzt aber laßt uns nicht länger plaudern, denn wir müssen das Unsrige gethan haben, noch ehe der Morgen graut.«
Langsamen Schrittes begab er sich über das Eis, und nur kurze Weile, nachdem er drüben angelangt war, folgte ihm Uchtenhagen. An dem bezeichneten Orte trafen sie zusammen, und der Letztere sah nun mit lebhafter Spannung dem Kommenden entgegen. Er hatte vor, an der Seite eines einzigen Mannes, auf dessen Treue er noch nicht einmal sicher bauen konnte, in die Mitte einer Schaar von Strauchdieben einzudringen, um seinen Bruder zu finden, der ganz gewiß unter einer scharfen Bewachung stand. Dieses Unternehmen war nicht nur ein schwieriges, sondern es war auch mit den mannigfaltigsten Gefahren verbunden; doch ging er mit freudigem Muthe daran; das Romantische des Abenteuers sprach ihn an, und es galt ja nicht nur eine theure Seele, sondern auch noch Andere zu erretten, denen er seine Hilfe versprochen hatte.
»Was haben wir jetzt zu beginnen?« fragte er.
»Das werdet Ihr gleich sehen! Ich bin der Vertraute des »Schwarzen« gewesen und kenne die Wege und Schliche besser als selbst der »Reiter«, dem die Mannen jetzt an seiner Stelle gehorchen müssen. Darum – —«
»Wer war der »Schwarze«, und wer ist der »Reiter«?« unterbrach ihn Karl.
»Habt Ihr noch niemals etwas von dem »schwarzen Dietrich« gehört?«
»O ja; also den meinst Du?«
»Den und keinen Andern. Wer er war, das weiß ich nicht und keiner von uns. Er kam und ging, ohne daß wir wußten, woher und wohin; aber wenn er kam, so gab es stets einen guten Streich. Er hatte verschiedene Orte, wo er mit seinen Gesellen hauste, hier, an der Spree, im Zotzen und sonst noch weiter, aber hier ist er am liebsten gewesen, und hier sind auch die Gewölbe, in denen er die Reichthümer verwahrt hält, welche er den Rittern, Städten und Leuten abgenommen hat, gegen welche wir auf der Lauer gelegen haben. Lange Zeit ist er nicht hier gewesen, aber er hat uns seine Rückkehr verheißen und den Mann zum Anführer gesetzt, welcher auf seinem Pferde und mit einer brennenden Leuchte unter dem Mantel die Bewohner der Gegend zu fürchten macht. Der »Schwarze« bleibt diesem zu lange aus, und nun hat er die Gesetze vernichtet, welche früher unter uns herrschten, und treibt gewöhnlichen Straßenraub, der mir und vielen Anderen ein Gräuel ist. Auch nach den Schätzen hat er geforscht, deren Versteck nur ich allein kenne, und weil ich ihm denselben nicht verrathen mochte, so ist er mir zuwider gewesen in Allem, bis ich mit meinen Freunden den Entschluß faßte, fortzugehen. Das ist ihm verrathen worden, und so hat er uns binden und in den Brunnen werfen lassen, in welchem wir Hungers sterben sollten. Dabei aber wurde ich doch vor den Uebrigen geschont, weil er hoffte, ich würde ihm das Versteck entdecken, um dem Tode zu entgehen; allein ich wäre lieber zehnmal gestorben, als daß ich desselben auch nur mit einem einzigen Worte erwähnt hätte.«
»So giebt es hier im Walde wohl Höhlen, in denen Ihr wohnet?«
»Nicht in Höhlen, sondern in einer Ruine wohnen wir, die in dem weiten Umkreise so verrufen ist, daß sich Niemand in ihre Nähe wagt. Früher, als es noch Heiden hier gegeben hat, haben die Christen einen Einfall gemacht und nach einem großen Siege begonnen, ein mächtiges Kloster zu bauen, von welchem aus das ganze Land bekehrt werden sollte; sie wurden aber wieder vertrieben, und der Bau, welcher kaum zur Hälfte fertig war, ist liegen geblieben und nach und nach in Trümmer zerfallen. In ihnen hausen die Geister der Erschlagenen, wie das Volk hier meint, und sie werden gemieden von Jedermann. Daher sind wir in unserm Treiben nie gestört worden, da wir uns jeder That in der Nähe enthielten, bis der »Schwarze« ging und der »Reiter« an seine Stelle trat. Dieser schont der Nachbarn nicht mehr, und so muß die Zeit kommen, in welcher man unserm Aufenthalte nachspürt, ihn entdeckt und an uns Rache für unser Thun und Treiben nimmt.«
»Und wo ist die Ruine?«
»Sie beginnt gleich hier in der Nähe. Die Priester, welche den Ort bestimmten, an dem das Kloster stehen sollte, haben sich das schönste Plätzchen im weiten Umkreise ausgewählt, nämlich hier auf der Landzunge, wo man in beschaulicher Abgeschlossenheit Gott dienen und die Schönheiten seiner Natur genießen und doch zu Land und Wasser in Verbindung bleiben konnte mit der übrigen Welt. Wenige Schritte von uns zieht sich die Clausurmauer hin, welche ein gar großes Viereck bildet, welches die Mönche ohne besondere Erlaubniß nicht überschreiten sollten. Dann kommen die eingefallenen Gebäude, das Refectorium, der Conventsaal, die Kirche, eine Reihe von Zellen, welche zusammen einen Hof umschließen, der von einem noch ziemlich erhaltenen Bogengange eingefaßt ist.«
»Und in all’ diesen Räumen habt Ihr Euer Lager aufgeschlagen?«
»Nein, denn das wäre ja die offenbarste Unvorsichtigkeit, vielmehr könntet Ihr dort suchen, so viel Ihr nur immer wolltet, Ihr würdet doch nicht die geringste Spur von uns entdecken. Die Ruinen bieten der unterirdischen Räume, als da sind Keller und Gewölbe, so viele und so gut verborgene, daß man lange suchen müßte, um unsern Aufenthalt zu entdecken, zumal wir uns große Mühe gegeben und viel gebaut haben, damit wir nicht allein sicher, sondern auch behaglich wohnen könnten. An gewissen Stellen der Mauer sind Wachen aufgestellt, deren scharfen Sinnen das Nahen keines Fremden entgeht, und es ist ein günstiger Zufall, daß Ihr nicht von ihnen bemerkt worden seid. Vielleicht hat Euer Bruder den Leuten so viel Mühe gemacht, daß selbst die Wachen zu seiner Ueberwältigung herbeigerufen werden mußten. Da ich aber Alles genau weiß und kenne, so werden wir ungesehen und ungehört hindurchkommen. Doch zuvor erlaubt, daß ich den Meinen ein wenig Nahrung bringe, damit sie im Stande sind, uns zu folgen, wenn wir den Ort verlassen!«
»Diese Forderung will mir gar wenig behagen. Die Sorge um den Bruder peinigt mich dermaßen, daß es mir schwer würde, zu warten, bis Ihr wiederkehrt. Und wenn man Euch bei der Ausführung Eures Vorhabens ergreift, so geht mir nicht nur Eure Hilfe verloren, sondern Ihr bringt Euch und die Euren in größeres Unglück, denn je zuvor.«
»Tragt um mich keine Sorge! Und wenn sie mich erblickten und Alle nach mir fahndeten, so würde es ihnen doch nicht gelingen, meiner habhaft zu werden. Nur ein einziges Mal hat man mich überraschen können, da ich nicht ahnte, daß wir verrathen seien; jetzt aber, da ich meine Lage kenne, hat es um mich keine Noth. Zudem bedarf ich selbst auch der Erquickung und werde Euch dann besser dienen können als jetzt, wo ich todesmatt bin von dem vielen und unfreiwilligen Fasten.«
»So gehe hin; ich werde Dich hier erwarten!«
»Kommt mit mir bis über die Mauer, da werde ich Euch ein Oertlein zeigen, an dem Ihr sicher harren könnt, bis ich wiederkehre.
Mit diesen Worten schritt er vorsichtig vorwärts. Karl folgte ihm. Es war, wie Jobst gesagt hatte: sie kamen schon nach wenigen Schritten an eine hohe und breite Mauer, welche aber an einigen Stellen so verwittert oder gar eingefallen war, daß es mit Benutzung der weitklaffenden Steinfugen sehr leicht war, sie zu überklettern. Dies thaten sie, und drüben angekommen, eilte Jobst nach einer raschen und sorgfältigen Umschau rasch auf einen Trümmerhaufen zu, welcher an einer Ecke der Kirchenseite zu bemerken war. Dort angekommen, packte er einen großen Quaderstein, welcher sich gegen andere lehnte, und gab sich alle Mühe, ihn auf die Seite zu schieben.