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Zweites Kapitel: Himmel und Hölle

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Mitten in der weiten Ebene erhebt sich ein vielfach zerklüfteter, aus gewaltigen Basaltmassen bestehender Berg, welcher mit seinem Haupte hoch in die Wolken ragt und seine Füße weit in das Land hineinstreckt, wie ein vom Himmel gefallener Titane oder ein aus dem Innern der Erde emporgeschleuderter riesiger Cyklope, der nun seit Jahrtausenden im Schlummer liegt, um von den gigantischen Kämpfen auszuruhen, die ihn vom Olympos stürzten oder aus dem Orkus an das Tageslicht hervorgetrieben haben.

Auf seinem Gipfel stand seit uralten Zeiten eine Burg, die den Namen Himmelstein führte. Sie wurde niemals erobert und zerstört, denn ihre Lage machte sie vollständig uneinnehmbar. Aber der Zahn der Zeit nagte unaufhaltsam an ihren Mauern, und als sie in den Besitz des königlichen Hauses kam, war es nothwendig geworden, sie von Grund auf zu renoviren, wobei ihre Einrichtung in jeder Beziehung den Ansprüchen der neueren Zeit angepaßt wurde. jetzt gehörte sie als Privateigenthum dem Prinzen Hugo, der »tolle Prinz« genannt.

Ungefähr auf der Höhenmitte des Berges liegt auf der Nordseite desselben ein Mönchs- und auf seiner südlichen Seite ein Nonnenkloster. Die beiden geistlichen Anstalten sind beinahe so alt wie die einstige Burg, und gleichen, von unten aus gesehen, mit ihren hohen dicken Umfassungsmauern kleinen Festungen, sind aber in ihrem Innern ganz den Anforderungen der Gegenwart gemäß eingerichtet und bieten ihren Bewohnern und Bewohnerinnen alle die Bequemlichkeit, welche die »Hirten Christi« und die »Bräute des Hirnmels« zu beanspruchen haben.

Tief unten am Fuße des Berges liegt zwischen üppigen Feldern und grünenden Hainen, die sich langsam zur Höhe ziehen, ein kleines schmuckes Städtchen, einst den Rittern und Kämpen da oben zu Lehn gehörig und auch jetzt noch unter der direkten Botmäßigkeit des alten Schloßvogtes stehend, der seinem gegenwärtigen Herrn außerordentlich treu ergeben ist, von seinen Untergebenen aber mehr gehaßt und gefürchtet als geehrt und geliebt wird.

Wenn man von diesem Städtchen ostwärts geht, gelangt man in eine tiefe enge Schlucht, durch welche sich ein wildes Wasser rauschend Bahn gebrochen hat und das Rad einer Mühle treibt, die wie ein Schwalbennest an den steilen Felsen hängt.

Die Umgebung der einsamen Mühle ist mehr als romantisch, sie ist schauerlich. Die Schlucht heißt die Höllenschlucht, und darum darf es nicht Wunder nehmen, daß man die Mühle die Höllenmühle genannt hat. Das Schloß heißt Himmelstein, und in den beiden Klöstern werden die nach der Seligkeit lechzenden und dürstenden Seelen für den Himmel zubereitet; daher sagt der Städter oder der ländliche Bewohner der Umgegend, wenn er den Berg besteigen will, er wolle »zum Himmel« empor; will er dagegen sein Korn zur Mühle bringen, so meint er: »ich gehe in die Hölle.« Droben der Himmel und unten die Hölle. Haben diese Bezeichnungen auch in Beziehung auf das Glück, auf das Thun und Treiben der Bewohner der beiden Orte ihre Berechtigung?

Die Höllenmühle galt seit langen, langen Zeiten im weiten Umkreise für einen unheimlichen Ort, den man eher fliehen als aufsuchen solle. Sie war der Schauplatz von Tragödien gewesen, deren Verlauf man nicht genau kannte, welche aber gerade in Folge dessen der Zunge Veranlassung gaben, das Dunkle mit noch größeren Schrecken auszuschmücken, so daß eine Reihe von grauenhaften Sagen entstanden, die weithin über das ganze Land ihre Ausbreitung fanden.

Der alte Stamm der Höllenmüller hatte sich in seinem Familien- und auch äußeren Leben durch allerhand Unglücksfälle ausgezeichnet. Der letzte war in dem rauschenden Mühlenwasser ertrunken; seine Wittwe hatte das Besitzthum verkaufen müssen und war dann fortgezogen und spurlos verschollen.

Es war ihr allerdings nicht leicht geworden einen Käufer zu finden, und nur durch die Hilfe eines Agenten war sie die Mühle um einen Preis losgeworden, der kaum die Hälfte ihres eigentlichen Werthes betrug. Ihr Nachfolger war eine hohe blonde Gestalt, wie man sie hier im Süden selten findet. Er stammte aus Norland und war kein Katholik, weshalb er von den geistlichen Vätern und Müttern da oben nicht eben freundlich angesehen wurde. Er hatte sein Vaterland nur verlassen, weil er nicht eigentlich ein Vermögen besaß und hier für seine Ersparnisse Herr eines Besitzthurns wurde, dessen Ankauf ihm als ein höchst vortheilhafter bezeichnet worden war.

Es war im Frühherbste. Die Räder der Mühle standen, denn es hatten alle Hände mit dem Einbringen und Bergen der überaus reichen Ernte zu thun. Eben wieder war ein Wagen voll prächtiger Roggengarben vor der beinahe gefüllten Scheune abgeladen worden, und nun saß die Familie des Müllers nebst den Knappen und Dienstboten um den im Freien aufgestellten Tisch, um das Vesperbrod einzunehmen.

Die Müllerin war eine jener Frauen, welche, obgleich sie stets mit Sorge und Arbeit zu kämpfen haben, doch niemals alt werden. Das treue, ewig heitere Gernüth übt einen erhaltenden Einfluß auf die Gestalt und die Gesichtszüge, und die Jahre gehen vorüber wie die Stürme an der Eiche; sie rütteln, sie schütteln, aber sie bewirken nur, daß sich die Wurzeln immer tiefer in den Boden gründen. Neben ihr saß ihr Ebenbild, ihre Tochter, ein kräftiges freundliches Mädchen, dessen Wuchs und Züge wohl geeignet waren, auch einen Mann zu fesseln, der sonst nicht an eine gewöhnliche Müllerstochter dachte.

Die originellsten Personen des kleinen Kreises waren jedenfalls die beiden Knappen. Der Eine hatte die Jugendjahre längst schon hinter sich. Er war lang und stark gebaut und besaß eine Nase, über welche man beinahe hätte erschrecken können. Der Ausdruck Habichtsnase sagte nichts, geradezu nichts, diesem riesigen Theile des Gesichtes gegenüber, der bei einer entsprechenden Haltung seines Besitzers und der geeigneten Stellung der Sonne leicht einen fünf Meter langen Schatten geben konnte. Und das Eigenthümlichste an dieser Nase war, daß sie an jedem Gefühle und Gedanken, an jeder Bewegung und an jedem Worte des Knappen sich durch eine entsprechende Färbung, Haltung oder Bewegung zu betheiligen strebte.

Im Gegentheile von ihm hatte der andere Knappe gar keine Nase. Er hatte sie jedenfalls durch irgend einen Unglücksfall verloren und besaß nun jenen eigenthümlichen Ton der Stimme, welcher nasenlosen Leuten unvermeidlich ist. Dazu war ihm das linke Bein am Knie amputirt, und er trug an Stelle des fehlenden Gliedes einen hölzernen Stelzfuß, welcher zu besserer Haltbarkeit sehr dick mit Eisen beschlagen war.

»Wie steht es, Klaus,« frug der Müller den Langnasigen. »Werden wir noch heut den Roggen hereinbringen?«

»Versteht sich ganz von selber, Meister Uhlig!«

Er nickte während dieser Antwort, und es war drollig anzusehen, daß sich dabei die Spitze seiner Nase erst hob, dann schnell senkte und nachher in ihren früheren status quo zurückkehrte. Den Andern fiel dies nicht auf, da sie diese Beweglichkeit des Riechorganes bereits gewohnt waren.

»Wenn nicht vielleicht ein Gewitter kommt!«

»Fällt ihm nicht ein!«

Ohne daß er den Kopf bewegte, ging die Nase herüber und hinüber, um zu bekräftigen, was ihr Besitzer ausgesprochen hatte.

»Brendel kann Dir heut nicht mehr helfen.«

»Ich?« frug der Stelzfuß verwundert. »In wie so denn, wenn ich fragen darf?«

»Der Braune ist lahm geworden; Du mußt zum Thierarzt reiten.«

Auf allen Mienen zeigte sich ein erwartungsvolles Lächeln. jeder wußte, daß Brendel vor nichts so großen Abscheu hatte, als vor dem Reiten, und daß der Meister diese Bemerkung nur machte, um ihn in Angst zu bringen und ihn zu vermögen, die Geschichte zu erzählen, welche sie Alle längst kannten, weil er sie bei jeder Gelegenheit wieder auftischte.

»Reiten? Zum Thierarzte? In wie so denn? Kann ich nicht laufen?«

»Nein. Es ist zu weit.«

»So will ich fahren!«

»Geht nicht. Du hast nur ein Bein, und der Schimmel muß einmal gehörig in Gang genommen werden. Es bleibt also dabei, Du reitest!«

»Dann mag doch der Klaus den Weg machen. Er ist Wachtmeister bei den Kürassieren gewesen und versteht es besser als ich, den Schimmel in Gang zu bringen.«

»Der muß beim Wagen bleiben. Fürchtest Du Dich denn?« »Ich mich fürchten? In wie so denn? Aber ich reite nicht; ich reite sogar niemals.«

»Aber wenn ich es Dir befehle!«

»Das ist schlimm!«

»Warum?«

»Ich darf nicht reiten.«

»Nun, warum? Heraus damit!«

»Sie wissen es ja schon!«

»Ich? Was denn?«

»Von dem Gelübde.«

»Pah! Was denn für ein Gelübde?«

»Daß ich im ganzen Leben niemals wieder reiten will.«

»Ja, zum Teufel, warum eigentlich?«

»Na, wenn Sie es nicht wissen, da muß ich es erzählen, denn in wie so denn, weil Sie sonst denken, ich will Ihnen nicht gehorchen.«

»Nun —!«

»Das war also damals, und ich stand als Knappe in der Sonntagsmühle. Da kommt eines schönen Tages ein Roßkamm und bietet uns ein Pferd an, einen Apfelschimmel, der aber keine Apfeln mehr hatte, denn in wie so denn, er hatte sie vor Alter längst wieder verloren. Das Thier war nicht zu hoch, aber kräftig gebaut und recht gut erhalten. Es trug das Militärzeichen und hatte bei den Husaren gedient. Dann hatte es ein Pferdeverleiher gekauft, und weil es gar so ein frommes Pferd gewesen war und einen Trompeter getragen hatte, kam es sogar zuweilen in das Theater, denn in wie so denn und in wie fern denn, es gibt doch Stücke, in denen ein Schauspieler zuweilen auf einem wirklichen lebendigen Pferde erscheinen muß. Dann wird die hintere Theatertreppe so vorgerichtet, daß das Pferd leicht hinauf kann und gleich auf die Bühne kommt. Nachher war es älter geworden, und der Pferdeverleiher hatte es an den Roßkamm verhandelt, von dem wir es auch wirklich kauften.«

»War es denn wirklich noch brauchbar?«

»Ja. Ein Bischen maulfaul war es, denn in wie so denn, es geht den Pferden wie den Menschen; je älter man wird, desto mehr hört das zarte Gefühl im Maule auf, und wenn es einmal den Rappel bekam, so mußte man es gehen lassen, weil es dann nicht zu lenken war.«

»Hast Du es denn auch geritten?«

»Allerdings; ich hatte ja damals noch kein Gelübde gethan. Eines schönen Nachmittages nun mußte ich in die Stadt. Ich setzte mich auf den Schimmel, ritt fort und kam auch wohlbehalten an. Weil ich aber sehr viel zu besorgen hatte, konnte ich erst spät an die Rückkehr denken. Ich mußte über den Theaterplatz, den mein Schimmel sehr gut kannte. Unglücklicherweise wurde ein Stück gegeben, welches ich damals noch gar nicht kannte, das ich mir aber nachher mit angesehen und genau gemerkt habe, denn in wie fern und in wie so, es hat mich ins Malheur gebracht und ist schuld an dem Gelübde, welches ich gethan habe.«

»Wie heißt das Stück?«

»Es heißt »die Stumme von Portici,« und es kommt ein Kerl darin vor, ein gewisser Masaniello, ein Fischer, der Rebellion macht und auf einem lebendigen Pferde auf die Bühne geritten kommt. Dazu nun war früher mein Schimmel gebraucht worden, und er kannte nicht nur das Stück und die Musik, sondern auch den Weg von der Straße bis hinauf hinter die Koulissen ganz genau.«

»Aha!«

»Ja, nun kommt es, das Unglück! Also ich reite über den Theaterplatz; da fangen auf einmal drinnen die Pauken, Trommeln und Trompeten an, und es beginnt eine Musik, die meinem Schimmel bekannt vorkommen muß, denn in wie fern denn und in wie so denn, er spitzt die Ohren, fängt an zu schnauben, steigt in die Höhe und schüttelt ganz bedenklich mit dem Kopfe. Wieder wirbelt, klingt und donnert es drinnen los, und das Volk von Neapel singt die Worte, die ich nachher auswendig gelernt habe, weil sie schuld an meinem ganzen Peche sind:

»Geehrt, gepriesen

Sei der Held, den Ruhm bekränzt!

Frieden gab uns der Sieger,

Von Edelmuth umglänzt!«


Es war gerade, als ob der Schimmel diese Worte auch auswendig gelernt hätte. Er hatte oft da oben gestanden, als »Held und Sieger,« von »Edelmuth und Ruhm bekränzt,« und nun gab es kein Halten mehr. Ich konnte schreien, rufen, ziehen, zerren, schimpfen und fluchen, mit Händen und Füßen stampfen und strampeln, wie ich wollte, es half nichts, denn in wie so und in wie fern, wenn so eine Kreatur infam werden will, so wird sie infam.«

»Also er ging durch?

»Natürlich! In drei Ellen langen Sätzen flog er auf das Theater zu. Ich stand noch im letzten Lehrjungenjahr und hatte mir, um groß zu thun, dem alten Müller seine Meerschaumpfeife wegstibitzt und seine großen Kanonenstiefeln dazu, die mir um die Beine schlotterten, wie ein Paar alte blecherne Ofenrohre um eine Bohnenstange, wenn man die Sperlinge vertreiben will. Eine weiße Mehlhose, eine weiße Mehljacke und eine weiße Zipfelmütze, so saß ich auf dem weißen Gaule. Dieser kannte seinen Weg sehr genau. Wie ein Affe kletterte er an der Treppe empor, die jetzt beinahe wie eine Brücke aussah. Dann ging es einen engen Gang hinter, auf dem nur eine einzige Lampe brannte und wo ich mich auf allen Seiten stieß und quetschte. Nachher wurde es lichter; ich sah die Koulissen und die strahlende Bühne. Dort war ein ganzer Haufe Volks versammelt; Masaniello wurde auf seinem neuen Schimmel vorgeführt, und der Triumphzug sollte beginnen. O weh!«

»Du bist doch nicht etwa hinaus auf die Bühne?«

»Wohin denn sonst? Der Schimmel war ja hartmäulig! Mit der Linken mußte ich die Meerschaumpfeife festhalten, und mit der Rechten hatte ich mich an das Viehzeug geklammert, daß es nicht parterre mit mir gehen sollte. Da fängt drin das Chor der Rache nach derselben Melodie von vorhin zu singen an:

»Noch heute soll der Stolze büßen,

ich schwörs, obgleich ihn Ruhm bekränzt!

Der feindliche Stahl trifft den Sieger,

Wenn auch Hoheit ihn jetzt umglänzt!«


Da macht mein Schimmel einen Riesensprung, den man eine Lanade nennt, und im nächsten Augenblicke fliege ich mit ihm mitten in das Volk von Neapel hinein; meine Meerschaumpfeife fliegt dem Rebellen Masaniello ins Gesicht, mein rechter Stiefel wirbelt links und der linke wirbelt rechts vom Beine herunter, der eine in die Musikanten und der andere gar in die Zuschauer hinein, denn in wie fern denn und in wie so denn, sie waren mir ja viel zu groß und weit; der richtige Schimmel beißt nach dem falschen, und der falsche schlägt nach dem richtigen; es wird ein Heidenskandal, Mordspektakel; das ganze Volk von Neapel mit dem ganzen Chor der Rache stürzt auf mich herein und reißt mich vom Pferde; der Vorhang fällt dem geehrten Publikum vor der Nase zu; das »Ehrikum« sitzt draußen und brüllt vor Lachen; ich aber werde von sechzig Fäusten »durchgepubelt,« daß mir die Schwarte knackt, und als ich wieder zur Besinnung komme, liege ich zerschunden und zerschlagen draußen vor dem Theater, die Kanonenstiefeln krümmen sich vor mir, als ob sie Kolik und Leibschmerzen hätten, die Meerschaumpfeife hatten sie mir in die Zipfelmütze gewickelt, aber der Stiefel, der Kopf und die Spitze waren nicht aufzufinden gewesen, rechts vor mir steht der Schimmel und macht ein Gesicht, als ob er das Chor der Rache verschlungen habe und nicht wieder von sich bringen könne, und links steht ein Polizeidiener, der nur darauf gewartet hat, daß ich wieder zu Athem kommen soll, um mich nachher zu arretiren.«

»Hat er Dich denn wirklich mitgenommen?«

»Natürlich; mich sammt dem ganzen Schimmel! Ich mußte auf die Polizeiwache, bekam einen fürchterlichen Verweis, aus dem sich der Schimmel gar nichts, ich mir aber sehr viel machte, und dann trollte ich mich von dannen. Draußen aber vor der Stadt ließ ich den Schimmel halten, reckte alle zehn Finger und auch die Kanonenstiefel zu den Sternen empor und that den grimmigen Schwur, in meinem ganzen Leben niemals wieder eine solche Bestie zu besteigen, denn in wie fern denn und in wie so denn, ich hatte mit diesem einen Male mehr als genug!«

»Aber wie war es nachher beim Militär?«

»Ich wurde für die Reiterei ausgehoben und kam zu den Husaren, wurde aber später zur Infanterie versetzt. Das war eine böse Zeit, die ich niemals vergessen werde.«

»Warum versetzt?«

»Weil ich nicht auf das Pferd zu bringen war. Und schafften sie mich ja einmal links hinauf, so machte ich sofort, daß ich schleunigst rechts wieder herunter kam. Dem Pferde ging es dabei gut, mir aber desto schlechter, denn in wie fern denn und in wie so denn, mein Rücken sah stets himmelblau und im Arrestlokal hatte ich mein immerwährendes Standquartier.«

»Und wie ging es bei der Infanterie?«

»Besser, nämlich bis der Krieg kam. Ich bin stets ein alter seelenguter Kerl gewesen und kann nicht dazu kommen, einen Menschen zu erschießen oder das Bajonnet durch den Leib zu rennen. Als daher die Kanonen anfingen zu brummen und ich auch mit todtschlagen sollte, da that ich, als hätte mich eine Kugel getroffen und legte mich in einen Graben. Aber da kam die Kavallerie herangesaust; es waren Kürassiere, und das Pferd eines Wachtmeisters trat mir auf das Knie, hols der Teufel! Die Unsrigen wurden zurückgeworfen, und als ich mich davon machen wollte, fielen ein paar feindliche Hallunken über mich her. Ich sollte mit und wollte nicht. Der Eine holte mit dem Säbel aus, und weil ich mich in diesem Augenblicke umdrehte, so traf die Klinge nicht meinen Rücken, sondern sie fuhr mir an dem Gesichte vorbei und nahm mir die Nase weg. Ich habe sie gar nicht wieder gefunden, und an dem ganzen Unglück ist hier der lange Klaus schuld, denn er ist der Wachtmeister gewesen, dessen Pferd mich getreten hat, so daß ich nicht ausreißen konnte. Und nachher wurde mir auch das Bein abgeschnitten, weil der Brand dazugekommen war.«

»Laß es gut sein, Alter,« meinte der andere Knappe. »Ich konnte ja nicht dafür, denn ich hatte Dir ja nicht geheißen, Dich in den Graben zu legen. Und da wir uns einmal zusammengefunden haben, werde ich Dich auch nie wieder verlassen.«

Er reichte ihm die Hand, welche Brendel mit sichtbarer Rührung drückte. Der alte Wachtmeister hatte nun bereits seit langen Jahren treu zu ihm gehalten und stets so an ihm gehandelt, daß es ihm leichter wurde, den Verlust seines Beines und seiner Nase zu ertragen.

Das Essen war beendet und die Leute erhoben sich, um wieder an ihre Arbeit zu gehen. Anna, die Tochter, war noch mit Abräumen beschäftigt, als ein Reiter durch die Schlucht kam, bei dem Anblicke des hübschen Mädchens stutzte und dann sein Pferd in schnelleren Gang versetzte. Vor dem Tische hielt er an und stieg ab. Sie sah, daß es ein vornehmer Herr sein müsse.

»Guten Tag, mein schönes Kind!« grüßte er. »Darf ich fragen, wer Du bist?«

»Ich bin die Tochter des Müllers,« antwortete sie.

»Das ist nicht wahr. Der Müller hat gar keine Tochter!«

»Ja, der vorige!«

»Ach so!« meinte er, sich besinnend. »Es ist ja ein neuer Müller hier. Wo ist er her?«

»Von drüben herüber, aus Norland.«

»Ah! Wie heißt er?«

»Uhlig.«

»Und Du?«

»Anna.«

»Ein hübscher Name, mein Kind! Kann man bei Euch ein Glas Milch bekommen?«

»So viel Sie wollen.«

»So bringe es mir dort in jene Laube!«

Er band sein Pferd an den nächsten Baum und schritt der Laube zu. Nach einiger Zeit brachte Anna das verlangte Getränk. Er musterte das Mädchen mit einem Blicke, der sie hoch erröthen machte, und ergriff ihre Hand.

»Sage einmal, hast Du bereits einen Schatz?«

»Sind solche Fragen hier in der Sitte?« antwortete sie.

»Nicht nur hier, sondern überall. Ich muß wissen, ob Du einen Geliebten hast.«

»Warum?«

»Du bist ein reizendes Wesen, und wenn Du noch frei bist, so mußt Du mein werden.«

»Danke sehr! Dann will ich ihnen lieber gleich sagen, daß ich bereits versehen bin.«

»Ah! An wen?«

»Meine Sache!«

»Auch gut! Aber einen Kuß hast Du doch wohl auch an einen Andern übrig?«

»Nein.«

Er versuchte sie an sich zu ziehen; es gelang ihm nicht; ebensowenig aber konnte sie ihre Hand, die er fest gefaßt hielt, aus der seinigen bringen.

»Nicht? So nehme ich ihn mir!«

»Das werden Sie nicht thun!«

»Warum?«

»Weil ich es nicht leide.«

»Wollen sehen!«

Er faßte sie nun auch mit der Linken; sie aber schob ihn sehr kräftig zurück.

»Lassen Sie mich gehen. Ich habe mehr zu thun, als mich mit Fremden herumzubalgen!«

»Ich aber balge mich gern, zumal mit einem so hübschen Mädchen wie Du bist.«

»Sie scheinen aber nicht immer gut dabei zu fahren!«

»Wie so?«

»Man sieht es ja Ihrem Gesichte an, in dem die Schwielen und Narben noch zu sehen sind. Lassen Sie mich endlich sonst weiß ich mich zu wehren!«

»Pah, einen Kuß!«

Er umfing sie wirklich und spitzte bereits die Lippen; da aber holte sie aus und gab ihm eine solche Ohrfeige, daß er sie fahren ließ. Sie sprang zur Laube hinaus.

»Donnerwetter!« rief er. »Das sollst Du mir büßen!«

Er eilte ihr nach, und es gelang ihm, sie wieder zu ergreifen.

»Lassen Sie mich, Sie Unverschämter, sonst rufe ich um Hilfe!« drohte sie.

»Rufe doch!« antwortete er, sie fest an sich drückend.

»Hilfe!«

Es hätte dieses Rufes nicht bedurft, denn bereits war der Müller aus der Thür getreten und kam herbeigesprungen.

»Herr, was wollen Sie? Lassen Sie los!«

»Nicht eher, als bis ich meinen Kuß erhalten habe!«

»Da kannst Du warten, Bürschchen!«

Mit diesen Worten faßte der Müller zu, und zwar so kräftig, daß der Fremde das Mädchen augenblicklich freigab.

»Hund, Du wagst es, Dich an mir zu vergreifen!«

»Kerl, rede anständig mit mir, sonst zeige ich Dir, wie man mit ehrlichen Leuten zu verkehren hat! Du stehst hier auf meinem Grund und Boden.«

»Oder auf dem meinigen! Weißt Du, wer ich bin? Kennst Du mich?«

»Nein, habe aber auch gar kein Verlangen darnach. Trolle Dich von dannen!«

»Ganz, wie es mir beliebt! So höre: ich bin Prinz Hugo, dem das Schloß dort gehört!«

Der Müller erschrak doch ein wenig, faßte sich aber sofort wieder.

»Das glaube, wer da will, ich aber nicht. Ein königlicher Prinz stellt keinem braven bürgerlichen Mädchen nach!«

»Zuweilen doch, wenn es ihm Vergnügen macht. Ich verlange meinen Kuß. Erhalte ich ihn, so bin ich bereit, Dir zu vergeben.«

»Meine Tochter küßt keinen Andern als Den, der ein Recht auf ihre Liebe hat. Und zu vergeben haben Sie mir nicht das Mindeste. Sind Sie wirklich Prinz Hugo, so zolle ich Ihnen gern die Ehrerbietung, welche ich Ihnen schuldig bin, kann aber nicht dafür, wenn Sie sich so verhalten, daß diese Ehrerbietung unmöglich ist.«

»Oho! Ich bin Dein Herr, und werde Dir zeigen, wie Du Dich zu verhalten hast!«

»Das weiß ich auch ohnedies. Ich fürchte Gott, thue recht und zahle meine Steuern; mehr kann Niemand verlangen, und mein Kind lasse ich mir nicht beleidigen und schimpfiren.«

»Beleidigen? Schimpfiren? Mensch, kann es eine größere Ehre für Dich und Deine Tochter geben, als wenn sie mir gefällt?«

»Danke für diese Ehre! Königliche Hoheit, trinken Sie Ihre Milch, wie es sich gehört, und Sie werden mir stets willkommen sein; sonst aber muß ich mir Ihre Gegenwart verbitten.«

»Ganz wie Du willst; aber Du sollst an mich denken!«

Er bestieg sein Pferd und ritt davon. Sein Weg führte ihn die Burgstraße empor, welche in zahlreichen Krümmungen und Windungen zur Höhe stieg und zuerst an dem Nonnen- und dann am Mönchskloster vorüberführte. Einige hundert Schritte noch über dem letzteren lag ein kleines Kapellchen. Es enthielt ein Marienbild, welches wegen seiner Wunderthätigkeit weithin berühmt war und jährlich zweimal den Zielpunkt außerordentlicher Wallfahrten bildete. Dann herrschte ein sehr reges Leben auf dem Berge, welcher sich in einen ungeheuren Meß- und Belustigungsplatz verwandelte. Die Herren Patres gaben der heiligen Mutter Gottes ihre Erlaubniß, irgend ein in die Augen fallendes Wunder zu verrichten, verkauften Rosenkränze und Heiligenbilder und vertauschten ihren Segen gegen klingendes Metall, welches reichlich einzufließen pflegte.

Jetzt war die Straße und das Kapellchen leer, und nur hinter dem letzteren ertönte eine Stimme, welche Befehle zu ertheilen schien. Der Prinz lenkte sein Pferd um das kleine Gebäude herum und erblickte einen ungefähr sechzehnjährigen Knaben, welcher einen vor ihm sitzenden Hund Kunststücke zu lehren schien. Dabei aber war er noch bei einer zweiten Beschäftigung, welche allerdings sehr eigenthümlich genannt werden mußte.

Der Hund hatte den Prinzen bemerkt und knurrte. Der Knabe wandte sich um und erblickte den Reiter, ließ sich aber in seiner Arbeit nicht im mindesten stören. Es schien nicht diese Arbeit allein, sondern noch etwas Anderes zu sein, was den Prinzen frappirte. Er lenkte sein Pferd hart an den Knaben heran und frug mit barscher Stimme:

»Kerl, was thust Du hier?«

Der Gefragte hielt es nicht der Mühe werth sich zu erheben; er blickte sehr unbesorgt empor und antwortete in einem sehr renitenten Tone:

»Das sehen Sie ja. Ich schmiere meine Stiefel!«

»Aber womit!«

»Mit Oel.«

»Aber dies ist ja die ewige Lampe hier aus der Kapelle!«

»Ja; aber das Oel ist ganz gut für die Stiefel.«

»Wie kommst Du von Fallum hierher, Bürschchen?«

»Von Fallum! Wo ist das?«

Jetzt stutzte der Prinz. Er fand hier eine höchst seltene und auffällige Aehnlichkeit, die er bewundern mußte. Nach einer schärferen Musterung des Knaben frug er:

»Heißt Du nicht Schubert?«

»Nein.«

»Und bist nicht der Stiefsohn eines Fischers im Seebad Fallum?«

»»Sie hören ja, daß ich gar nicht weiß wo Fallum liegt!«

»Wie ist Dein Name?«

»Franz Geißler.«

»Geißler? So heißt der Schloßvogt.«

»Das ist mein Oheim, bei dem ich jetzt bin.«

»Auf Besuch?«

»Für immer. Mein Vater, der sein Bruder war, ist gestorben, und da hat er mich zu sich genommen.«

Diese Worte wurden in einem Tone gesprochen, welchem anzuhören war, daß dem Knaben der Tod seines Vaters eine höchst gleichgiltige Sache sei.

»Was treibst Du denn bei ihm?«

»Ich? Nichts!«

»Du mußt doch etwas thun und etwas lernen!«

»Ist nicht nothwendig. Ich werde Diener oder Reitknecht beim tollen Prinzen.«

»Ah! Wer sagt das?«

»Mein Oheim. Wenn der Prinz kommt wird es abgemacht.«

»Dann bekommt er einen Diener, über den er sich freuen kann, einen, der seine Stiefel aus der ewigen Lampe schmiert. Das dürften die frommen Väter sehen!«

»Fromm? Sie sollten nur wagen mich auszuzanken! Komm, Tiras, ich bin fertig!«

Er erhob sich, trug die Lampe in das Kapellchen und verschwand dann mit seinem Hunde hinter den Bäumen, welche die Straße zu beiden Seiten einfaßten.

»Hm,« machte der Prinz, »ein kostbarer unverfrorener Bengel. Solche Subjekte sind sehr oft die brauchbarsten, welche man finden kann. Aber eine solche Aehnlichkeit ist mir noch nicht vorgekommen. Ich hielt ihn wahrhaftig für diesen Fallumer Schifferjungen, der an mich gedenken soll. Wer weiß, wie diese Aehnlichkeit noch einmal benützt werden kann.«

Er verfolgte seinen Weg weiter und gelangte zur Burg, deren Thor weit geöffnet war, da man seine Ankunft bemerkt hatte. Geißler, der Vogt, stand zum Empfange bereit, und hinter ihm diejenigen Bewohner des Schlosses, welche er in der Eile hatte zusammenraffen können.

»Königliche Hoheit, welch eine Ueberraschung! Hätte ich ahnen können, daß uns das Glück Ihrer Gegenwart bevorstehe, so wären sicher – »

»Schon gut! Sie wissen, daß ich Privatmann sein will, wenn ich Burg Himmelstein aufsuche. Meine Zimmer sind in Ordnung?«

»Stets, gnädiger Herr!«

»Dann vorwärts!«

Er stieg ab, warf die Zügel seines Pferdes einem Knechte und schritt über den Burghof hinweg gegen eine Treppe, welche ihn in diejenigen Räume führte, die er hier zu bewohnen pflegte. Das waren noch dieselben Gemächer, in denen die alten Himmelsteiner gehaust hatten, aber die alten Eichenmöbel waren verschwunden, um einer Einrichtung nach dem neuesten Stile Platz zu machen, und an Stelle der klein- und rundscheibigen Fenster waren große geschliffene Tafeln getreten, welche beim Untergange der Sonne wie glühendes Gold über das weite Land zu schimmern pflegten. Von hier aus hatten die alten Ritter dem edlen Handwerke des Wegelagerns obgelegen, und von hier aus setzte der Prinz dieses edle, ächt aristokratische Vergnügen fort, nur auch in einer Weise, welche den gegenwärtigen Zuständen angemessener war.

In seinem gewöhnlichen Wohnzimmer eingetreten, nahm er auf einem Sopha Platz.

»Etwas vorgefallen?«

»Nichts von Bedeutung, Hoheit.«

»Ihre Familie hat sich vergrößert?«

»Durch einen Neffen, dessen ich mich annehmen mußte, als sein Vater starb.«

»Bin ihm begegnet. Scheint ein sehr wohlerzogener Bursche zu sein.«

Das Gesicht des Vogtes verfinsterte sich.

»Der Bube ist mit dem Hunde fort. Ich hoffe nicht, daß er sich durch irgend eine Ungehörigkeit das Mißfallen des gnädigen Herrn zugezogen hat!«

»Nicht im Geringsten. Im Gegentheile, ich habe mich sehr über ihn amusirt. Er saß mit dem Hunde hinter der Kapelle, hatte sich die ewige Lampe aus derselben geholt und schmierte mit dem Oele seine Stiefel ein. Ich wäre neugierig das Gesicht zu sehen, welches ihm beim Atrappiren von den frommen Patres gemacht worden wäre.«

»Verzeihen Hoheit ihm diesen Knabenstreich! Der Junge hat wirklich keinen Begriff von der schweren Sünde, welche er begangen hat.«

»Pah; das hat er mit der heiligen Mutter Gottes abzumachen! Man soll der Jugend die Scheriagen nicht allzu sehr verkürzen, sonst zieht man sich Schwächlinge oder Duckmäuser heran. Uebrigens frappirte mich seine außerordentliche Aehnlichkeit mit einem Burschen, für den ich ihn wirklich ganz und gar gehalten habe. Sie lesen die Zeitungen?«

»Ein wenig.«

»Haben Sie mein Fallumer Abenteuer mit dem General von Helbig gefunden?«

»Allerdings. Ich begreife die geradezu riesenhafte Rücksichtslosigkeit nicht, mit welcher die dortigen Behörden diesen schauderhaften Fall behandelten. Ein Prinz von Süderland gegen einen schmutzigen Fischerjungen, öffentlich verhandelt und endlich gar in Strafe genommen. Solche Richter verdienen durchgepeitscht zu werden!«

»Eigenthümlich genug war es. Ich zeigte den Jungen an, und mich zeigte der General an; ich wurde zu einer mehrmonatlichen Gefängnißstrafe verurtheilt, von welcher ich mich nur auf dem Gnadenwege zu befreien vermochte, und den jungen sprach man frei, so daß ich noch die Untersuchungskosten zu tragen hatte. Das sind norländische Zustände, hahaha! Seit dort ein Schmiedesohn Kronprinz und ein Zigeunerbankert Herzog von Raumburg geworden ist, gilt königliches Geblüt noch weniger als Vagabundensaft. Und solchem obskuriösen Volke gibt man meine Schwester Asta zum Weibe!«

»Ist es wahr, daß General Helbig diesen Fischerbuben adoptirt hat?«

»Adoptirt nicht, doch beinahe so. Er hat ihn und seine Mutter zu sich genommen, um für seine Erziehung zu sorgen. Es wird eines schönen Tages die Zeit kommen, in welcher ich mit diesem Volke Abrechnung halte! Doch wie steht es mit der Komtesse?«

»Gesund ist sie, ob aber gefüger geworden kann ich nicht sagen.«

»Wo ist sie?«

»Im Gärtchen jetzt.«

»Wer verkehrt mit ihr?«

»Nur ich und meine Frau, wie Ew. Hoheit streng befohlen haben.«

»Ich werde sie aufsuchen. Doch, apropos, da fällt mir ein: in der Höllenmühle ist ein neuer Besitzer?«

»Ja, ein Norländer Namens Uhlig.«

»Was sind es für Leute?«

»Sie sind, was man so stille und arbeitssame Menschen zu nennen pflegt. Er versteht sein Handwerk aus dem Fundamente und ist ein ausgezeichneter Landwirth, wie es den Anschein hat. Besseres Brod und Mehl als bei ihm hat es noch nicht gegeben.«

»So kaufen Sie auch jetzt noch in der Hölle?«

»Ja.«

»Auch die Patres?«

»Nein. Der Müller ist Protestant, daher mag der Bruder Proviantmeister nichts mit ihm zu thun haben.«

»Hat Uhlig Kinder?«

»Eines, eine Tochter.«

»Ledig?«

»Verlobt.«

»Mit wem?«

»Habe es zufällig gehört. Mit einem Hauslehrer drüben in ihrer Heimath. Er wird nächstens auf Besuch kommen.«

»Aber ob er sie finden wird!«

Diese Worte waren in einem so eigenthümlichen Tone gesprochen, daß der Schloßvogt ihn anblickte, doch zeigte seine Miene keineswegs eine Ueberraschung.

»Ah, der gnädige Herr haben das Mädchen bereits gesehen?«

»Ja, vorhin.«

»Ich kenne den Geschmack Ew. Hoheit und hatte mir vorgenommen, Sie auf diese schöne Müllerstochter aufmerksam zu machen.«

»Ist noch Platz?«

»Hm, Zwei ist gefährlich und könnte die Sache verrathen!«

»Sie unbemerkt heraufzubekommen kann doch unmöglich schwierig sein!«

»Das nicht; aber sie würde mit der Komtesse zusammen kommen, was gar nicht zu vermeiden ist, und das mindert die Sicherheit. Hoheit müßten sich entschließen, sie in einem der alten Verließe unterzubringen, im Falle sie sich obstinat zeigt.«

»Das wird sie allerdings thun, wie ich es aus Erfahrung weiß.«

»Sollten der gnädige Herr bereits mit ihr gesprochen haben?«

»Mit ihr und ihrem Vater. Ich forderte einen Kuß von ihr, wurde aber zu einem sehr schmählichen Rückzuge getrieben. Wäre ich länger geblieben, so glaube ich, man hätte mich fortgeprügelt.«

»Auf diese Weise ist man Ihnen begegnet? Hoheit, ich stehe zu Diensten!«

»Das versteht sich ganz von selbst. Ehe ich mich aber zu irgend einem Schritte entschließe, werde ich mit der Komtesse sprechen. Vor allen Dingen merken Sie sich, daß von meiner Anwesenheit hier so wenig wie möglich verlautet. Ich will ungestört sein.«

Da, wo der Basaltfelsen von dem Schloßplateau jäh und senkrecht zur Tiefe fiel, lag hinter der hohen Umfassungsmauer der Burg ein kleines Gärtchen, in welchem die Edelfrauen früherer Jahrhunderte wohl einige der ihnen nothwendigsten Küchengewächse gebaut hatten. Der Prinz hatte diesen Platz in einen allerliebsten Blumengarten umwandeln lassen. Zwar war er rings von hohen starken Mauern umgeben, aber in das äußere Gemäuer, welches sich auf die scharfe Kante des Felsens stützte, hatte man einige Schießscharten ähnliche Oeffnungen angebracht, durch welche ein Ausguck weit in das Land hinein ermöglicht wurde.

Vor einer dieser Oeffnungen stand eine mit weichem Moose bedeckte Bank, welche von einem dichten, Schatten spendenden Epheu laubenartig überwölbt wurde. Auf dieser Bank saß eine junge Dame, welche vielleicht zweiundzwanzig Jahre zählen mochte. Sie trug ein einfaches weißes Negligékleid, welches sich schlafrockähnlich um die üppig vollen Formen legte und nur mit einem schmalen blauseidenen Gürtel um die Taille befestigt war. Ein reiches lichtblondes Haar fiel in reizender Unordnung von dem schönen Köpfchen auf die weichen Schultern nieder, deren reines Weiß verführerisch durch den transparenten Stoff schimmerte; Nacken und Hals waren unbedeckt und auch die Aermel waren bis weit hinauf aufgeschlitzt, so daß die herrlich geformten Arme bis beinahe herauf an die Schultern frei zu liegen kamen. Der dünne Stoff legte sich verrätherisch eng an die Hüften und Beine, und die kleinen niedlichen Füßchen waren nur mit türkischen Pantoffeln bekleidet, so daß es ganz den Anschein hatte, als sei diese Dame eine jener Phrynen, welche es verstehen, durch eine raffinirte Toilette ihre Reize zu verdoppeln und ihr Opfer unwiderstehlich zu fesseln, wie die Schlange, welche mit ihrem Blicke den unschuldigen Vogel bezaubert, daß er ihr nicht zu entfliehen vermag.

Blickte man aber in dieses schöne reine Angesicht, in diese kindlich treuen vertrauensvollen Augen, so war es geradezu unmöglich zu glauben, daß dieses süße Wesen einer solchen Berechnung fähig sei. Man hätte vielmehr annehmen mögen, daß die Dame ein solches Gewand ä la Kleopatra nicht aus eigenem und freiem Antriebe gewählt habe, sondern durch irgend welche Umstände gezwungen worden sei es anzulegen. Auf ihrer reinen klaren Stirn schien eine Falte des Trübsinns sich gewaltig Bahn brechen zu wollen; die Winkel des kleinen Mundes waren mit einer gewissen Strenge nach unten gezogen, und der Blick suchte in dieser Schwermuth durch die Mauerspalte die Ferne, in welcher sich der Aether zu einem immer dunkleren Blau verdichtet. Dieses Blau, dieses tiefe, feuchte, thränenschwangere Blau hatten auch die Augen, aus denen eine Sehnsucht sprach, welche vielleicht ohne Hoffnung war.

Da wurden Schritte hörbar. Sie wandte sich um und erblickte den Prinzen. Im Nu verbreitete sich heller Sonnenschein über ihr Angesicht; sie sprang empor, öffnete die Arme und eilte ihm einige Schritte mit sichtlichem Entzücken entgegen.

»Hugo, mein Hugo, endlich, endlich!«

Er umfing sie und drückte sie heiß an sich. Sie lag an seinem Herzen und litt die glühenden Küsse, unter welchen seine Lippen ihren Mund und ihre Wangen berührten.

»Toska, meine süße herrliche Toska; endlich ist es mir vergönnt, wieder bei Dir zu sein!«

Er zog sie auf die Bank zu sich nieder und schlang die Arme noch inniger um sie als vorher. Auch sie legte ihren Arm um seinen Nacken. Da aber fiel ihr Auge auf diesen unverhüllten Körpertheil, und mit einem Male kam sie wieder zum Bewußtsein dessen, was ihr Gefühl bereits seit Monaten empört hatte. liefe Gluth legte sich über ihr Gesicht von der Stirn bis zum Nacken herab; sie riß sich ungestüm los, trat zurück und hüllte sich so tief wie möglich in das Gewand, welches ihr doch keine genügende Hülle bot.

»Was ists? Was hast Du so plötzlich?« frug er »Hugo, wo sind meine Kleider, welche ich mit hierher brachte? Man verweigert sie mir und zwingt mich, Gewänder anzulegen, die mich noch tödten werden.«

»Ich kenne nur ein Gewand, welches getödtet hat, nämlich dasjenige des Herkules, und dieses war vergiftet.«

»O, auch diese Kleider enthalten ein Gift, ein fürchterliches Gift. Gieb Befehl, daß ich die meinigen wieder erhalte, sonst fürchte ich mich vor mir selbst!«

»Du wirst sie erhalten, vorausgesetzt, daß Du mir folgsam bist.«

»Wie wünschest Du daß ich sein soll?«

»Liebevoll.«

»Bin ich dies nicht stets gewesen, bin ich dies nicht auch heute wieder?«

»Ich meine diejenige Liebe, welche die Frau zum Manne hat.«

»Die sollst Du nicht vergebens suchen, doch zuvor muß ich erst Dein Weib sein. Ich habe meine Ehre auf das Spiel gesetzt; ich habe Dir meine Freiheit und alle meine Vergnügungen geopfert, weil Du es so wolltest. Ich sollte scheinbar verreisen, sollte mich auf einige Zeit zurückziehen, um die Augen irre zu leiten, welche unsere Liebe zu erforschen suchten. Die Zeit, welche Du bestimmtest, ist längst vorüber, und noch immer bin ich gefangen, darf mit keinem Menschen verkehren und habe, wenn Du je kommst um mich zu besuchen, mit Dir und mit einer Liebe zu ringen, welche Deiner und meiner nicht würdig ist. Du liebst mich nicht mehr!«

»Mehr als jemals, ich schwöre es Dir; aber warum ringst Du mit meiner Liebe?«

»Ich verstehe sie nicht.«

»Dann liebst Du nicht! Du denkst an die Krone, welche ich vielleicht einst tragen werde, aber nicht an das Glück, welches ich bei Dir suche und doch nicht finde.«

»Warum muß ich mich noch immer verbergen? Warum nimmt man mir meine Garderobe und legt mir Kleider hin, deren sich nur eine Tänzerin nicht schämt?«

»Weil die Liebe nur im Verborgenen ihre schönsten und süßesten Triumphe feiert, und weil ich wünsche, Dich so reizend und entzückend wie möglich zu sehen, wenn mein Verlangen mich zu Dir treibt. Komm, setze Dich auf meinen Schooß und laß uns kosen!«

Ihr Blick verfinsterte sich, und sie hüllte sich womöglich noch tiefer ein.

»Also immer noch wie zuvor! Ich habe gehofft und geharrt, ich habe gebetet und geweint – vergebens. Ich warte nicht länger. Mache mich zu Deinem Weibe, offen oder heimlich einstweilen, oder lasse mich wieder zurückkehren!«

»Du kannst Schloß Himmelstein noch nicht verlassen, Toska; die Umstände verbieten es. Man weiß bereits, daß Du nicht verreist bist; man ahnt sogar, daß ich Dich verberge. Deine Rückkehr ist unmöglich, so lange Du noch nicht mein Weib geworden bist.«

»So mache mich zu diesem!«

»Das geht noch nicht. Die Hindernisse, welche es vorher gab, sind nicht verschwunden, sie haben sich vielmehr vergrößert, und ehe ich sie besiege, wird eine lange Zeit vergehen.«

»Du gabst mir Dein Wort!«

»Ich halte dasselbe. Komm!«

Er nahm sie bei der Hand und zog sie wieder an sich. Sie ließ es zögernd geschehen.

Unterdessen gab der Schloßvogt seine Befehle und suchte dann seine Frau auf, welche sich in der Küche befand.

»Wo ist der Prinz?« frug sie.

»Im Garten.«

»Ist nicht auch die Komtesse dort?«

»Ja. Ich hoffe, sie wird endlich klug werden!«

»Was nennst Du klug?«

»Die Aufgabe ihres Widerstandes gegen ihn.«

»Ja, Ihr Männer seid sehr weise. Oft aber seid Ihr zum Bedauern dumm. Ein Gehorsam gegen ihn würde die größte Albernheit sein!«

»Wie so?«

»Das muß ich diesem Menschen erst erklären! Er liebt sie; nicht?«

»Hin, er liebt Alle!«

»Gut; dann will ich sagen, daß er entzückt ist von ihrer Schönheit; denn schön ist sie, wie ich noch niemals eine Andere gesehen habe. Er hat ihr versprochen sie zu heirathen, will aber nur ihre Schönheit genießen, und das ahnt sie jetzt. Er hat sich durch diesen albernen Befehl, sie zum Anlegen unzüchtiger Kleidungsstücke zu zwingen, verrathen. Gehorcht sie ihm, so ist sie verloren, denn er wird satt und vergißt sie. Sie stirbt dann auf Schloß Himmelstein oder da unten im Nonnenkloster; denn er sorgt ganz sicher dafür, daß sie verschwunden bleibt. Durch das Versagen seiner Wünsche aber facht sie dieselben vielleicht zu einer solchen Höhe an, daß er doch noch am Ende die Unklugheit begeht, sie zu heirathen. Dazu gehört freilich mehr Talent als sie besitzt; dazu gehört eine genaue Berechnung, eine so schlaue Taktik, wie sie nur bei sehr erfahrenen Frauen zu finden ist.«

»Pah, Ihr Weiber seid alle erfahren! Der jüngste Backfisch versteht es heut zu Tage ganz gut, den vorsichtigsten Mann zu überrumpeln und zu überlisten.«

»So! Hast Du Dich vielleicht auch bereits von einem Backfische überlisten lassen?«

»Nein, aber von einem Stockfisch!«

»Wen meinst Du mit diesem Worte, he? Doch nicht etwa mich?«

»Wen ich meine, das kannst Du Dir – horch, was war das? Rief da nicht jemand um Hilfe?«

»Es klang beinahe so. Aber wer sollte hier um Hilfe rufen?«

»Es war im Garten. Horch, noch einmal – zum dritten Male! Es kommt näher. Er wird durch seine Unvorsichtigkeit Skandal verursachen. Ich muß hinab!«

Der Vogt eilte nach dem hinteren Hofe, aus welchem ein kleines Pförtchen nach dem Gärtchen führte. Toska hatte nur in diesen Hof Zutritt, und wenn sie dort erschien, war dafür gesorgt, daß Niemand von der Dienerschaft dort zugegen sein konnte. Sie war eine Gefangene im wahrsten Sinne des Wortes, deren Anwesenheit man so viel wie möglich zu verheimlichen suchte.

Als der Vogt diesen Hof erreichte, kam ihm Toska mit wehendem Haare und fliegendem Gewande entgegen. Sie wurde von dem Prinzen verfolgt. Geißler wollte sie halten, aber sie entschlüpfte ihm. Beide rannten ihr nach, die Treppe empor und einen Korridor entlang, dessen Eckzimmer ihre Wohnung bildete. Sie erreichte dasselbe in demselben Augenblicke mit dem Prinzen; er trat mit ihr ein und verschloß die Thür. Während dies geschah und er ihr dabei den Rücken zukehrte, hatte sie ein Messer von dem Tische ergriffen und an sich genommen.

»So, mein Schätzchen,« lachte er. »Eine solche kleine Jagd ist interessant, aber entkommen kannst Du mir nicht!«

»Meinen Sie?« antwortete sie mit keuchendem Athem und fliegendem Busen. »»Jetzt erst kenne ich Sie; jetzt thue ich den ersten klaren Blick in die Verworfenheit Ihrer niederträchtigen Seele. Verlassen Sie mich, wir haben nichts mehr mit einander zu schaffen!«

»Wirklich? Ich meine, daß wir erst noch einen zärtlichen Abschied feiern werden, ehe wir scheiden. Komm an mein Herz, mein süßes holdes Liebchen!«

Er machte Miene sie zu umarmen. Da erhob sie die mit dem Messer bewaffnete Hand:

»Wagen Sie es, mich anzurühren!«

Er trat bei diesem entschlossenen Tone doch einen Schritt nach rückwärts.

»Ah, interessant, ganz wie auf der Bühne. Sie verrathen theatralisches Talent!«

»Möglich, aber ich werde nicht nur spielen, sondern vielmehr wirklich handeln. Verlassen Sie augenblicklich mein Zimmer, sonst rufe ich die Leute herbei!«

»Das würde Ihnen nichts helfen, Komtesse, denn diese Leute stehen in meinem Dienste und haben also nur mir zu gehorchen. Wollen Sie mich anhören?«

»So sprechen Sie. Aber machen Sie es kurz, und versuchen Sie es nicht sich mir zu nähern, da ich sonst von meiner Waffe Gebrauch machen werde. Sie kennen mich!«

»Allerdings kenne ich Sie. Ich weiß, daß Sie das einzige Kind waren und eine Erziehung genossen haben, wie sie sonst nur Knaben zu Theil zu werden pflegt. Sie reiten, turnen, schießen und fechten, ich weiß es; Ihr Messer aber flößt mir dennoch keine Furcht ein.«

»Pah, ich werde es gebrauchen, mit welchem Erfolge, das wird sich zeigen!«

Der Prinz schien doch ein wenig schüchtern zu werden. Er wich noch um etwas zurück und meinte dann:

»Diesen Erfolg kenne ich. Sie sind nicht der erste Vogel, den ich hier zähmen lasse. Wir wollen offen sein.«

»Oh, fürchten Sie nicht, daß ich schmeicheln werde.«

»Wohl Komtesse, so hören Sie! Burg Himmelstein wird öfters von Damen bewohnt, welche die Liebe und ihre Schönheit heraufgeführt haben. Fügen sie sich in meine Befehle, so werden sie später mit reichen Geschenken entlassen und haben die Wonne aller Seligkeiten genossen. Fügen sie sich aber nicht, so verschwinden sie aus dem Leben; sie sterben nach Jahren in den Verließen, aus denen seit Jahrhunderten kein Auferstehen gewesen ist. Wählen Sie!«

Sie war erbleicht, fürchterlich erbleicht.

»Sie sind ein Teufel!« hauchte sie endlich. »Und einen solchen Satan liebte ich!«

»Ja, Sie liebten mich und folgten mir, wie alle Ihre Vorgängerinnen,« lächelte er. »Glaubten Sie wirklich, daß ich Sie an meine Seite heben würde? Sie waren schamhaft, verteufelt schamhaft und zurückhaltend, ich suchte dieses alberne Gefühl zu tödten, indem ich Ihnen eine geeignete Toilette aufnöthigte. Es hat nichts geholfen. Sie werden mir gehören oder diese Mauern niemals verlassen. Wählen Sie!«

Ihre Augen leuchteten.

»Ich habe gewählt.«

»Wie?«

»Sie sind mir mehr zuwider als das häßlichste Gewürm, das auf Erden kriecht.«

»Gut. So ist Ihr Schicksal entschieden. Man wird Sie in das Verließ bringen.«

»Noch ist es nicht so weit. Noch habe ich mein Messer!«

»Machen Sie sich nicht lächerlich. Es gibt hier Hände genug, welche es Ihnen zu entringen vermögen.«

»So sterbe ich als Gefangene, aber doch mit dem Bewußtsein, daß Sie mich nicht anrühren durften.«

»Dieses süße Bewußtsein will ich Ihnen gönnen, obgleich es mir doch vielleicht noch beikommen könnte, mich Ihnen zu nähern, wenn Sie gefesselt und unschädlich gemacht worden sind.«

»Feiger elender Schurke!«

»Danke! Auf alle Fälle aber muß ich Ihnen sagen: Sobald Sie sich in dem Verließe befinden, sind Sie das Eigenthum des Knechtes, der Sie füttert. Er wird glücklicher sein als ich.«

Scheusal!«

»Noch einmal, wählen Sie!«

»Ich habe gewählt ünd würde mich auf der Stelle tödten, aber ich hoffe auf die Gerechtigkeit und Hilfe Gottes; er wird mich nicht verlassen, Sie aber zu treffen wissen!«

»Auch diese Hoffnung lasse ich Ihnen. Wir sind fertig. Adieu!«

Er verließ das Gemach und verschloß es von außen, so daß sie es nicht verlassen konnte. Als er seine Wohnung erreicht hatte, klingelte er. Der Schloßvogt erschien.

»Hat Jemand etwas gemerkt?«

»Nein.«

»Sie bleibt unverbesserlich. Ich gebe sie auf.«

»Was befehlen Ew. Hoheit mit ihr?«

»Sie kommt in das Verließ.«

»Entschuldigung, das wird nicht gehen!«

»Warum?«

»Es sind nur zwei sichere Steinkammern vorhanden, und diese sind besetzt. Die beiden Letzten sind noch nicht todt.«

»Noch nicht? Sie scheinen sehr luxuriös zu leben!«

»Das nicht; aber sie waren beide kerngesund, und mit einem Morde kann ich mein Gewissen denn doch nicht beschweren.«

Der Prinz lachte cynisch.

»Ja, ich weiß, daß Sie ein außerordentlich zartes Gewissen besitzen! Weiß Ihre Frau von den Beiden?«

»Daß sie da waren weiß sie natürlich, nicht aber wo sie hingekommen sind. Sie ganz und vollständig in meine Geheimnisse einzuweihen halte ich nicht für nöthig.«

»Das läßt sich begreifen. Sie könnte sonst einen Anflug von demjenigen überflüssigen Gefühle bekommen, welches man Eifersucht nennt. Und nun weiß ich auch, warum die Beiden noch leben. Sie waren schön, die Sängerin sowohl als auch die Gouvernante.«

»Hoheit glauben doch nicht etwa, daß – — » stockte der Vogt verlegen.

»Pah, wir kennen uns! Doch, ich will nicht zanken. Also die Komtesse hat keinen Platz da unten? Was meinen Sie, wie wäre es bei den Nonnen?«

»Sehr praktisch. Da steckt sie gut und bleibt Ew. Hoheit immer aufgehoben. Ich wette, daß sie in kurzer Zeit so wohl erzogen ist, daß sie Ihren Besuchen mit Sehnsucht entgegensieht.«

»Meinen Sie? Sollten die frommen Schwestern so gute Erziehungsmittel haben?«

»Allerdings.«

»Strenge?«

»O nein, sondern das Beispiel. Das Beispiel ist in der Liebe ebenso mächtig wie irgend wo anders, in der Angst, in der Furcht oder im Hasse. Das Beispiel erzieht mehr als Bitte oder Strafe. Sprechen Sie mit dem Prior!«

»Von ihm weiß ich, daß er sie aufnehmen wird. Aber die Gefahr! Sie wird gegen die Nonnen sprechen.«

»Pah, das schadet nichts, denn diese werden kein Wort weiterreden, sondern sie vielmehr zu überreden suchen. Es gibt in dem Klosterkirchhofe einen Winkel, in welchem man beim Nachgraben nichts finden würde als die Ueberreste neugeborener Kinder.«

»Nicht möglich! Wer wären dann die Väter?«

»Die Mönche. Wer anders?«

»Alle Teufel!«

»Ja. Die frommen Väter und Mütter haben einander sehr lieb, und der alte Basaltfelsen hat nicht umsonst so tiefe Klüftungen und unterirdische Gänge.«

»Ich weiß allerdings bereits Verschiedenes; von einem so nahen Umgange zwischen den beiden Klöstern aber erfuhr ich noch nichts. Sind Sie sicher?«

»Pater Philippus, der Küchenmeister, ist mein leiblicher Bruder. Wir haben keine zahlreichen Geheimnisse vor einander.«

»Dann bin ich überzeugt und werde sofort zum Prior gehen. Die Komtesse muß schon deshalb fort, um der Müllerstochter Platz zu machen.«

»Ah, diese soll noch heute – —?«

»Wollen erst sehen.«

»Erlauben mir Hoheit die Bemerkung, daß es gefährlich ist, uns einer Person zu bemächtigen, welche hier in der Nähe wohnt. Und die Gefahr wächst, wenn dies noch heut geschehen sollte. Bei solchen Dingen ist es gut, den geeignetsten Augenblick geduldig abzuwarten.«

»Ich kann nicht hier bleiben, bis es einem geeigneten Augenblick beliebt zu erscheinen.«

»Aber Hoheit könnten wiederkommen!«

»Meinen Sie, daß Unsereiner über seine Zeit zu bestimmen vermag wie jeder beliebige Privatmann?«

»Ich bin vom Gegentheile überzeugt. Bestimmen Ew. Hoheit, ich werde gehorchen.«

»Ich habe außer alledem noch eine Aufgabe für Sie, deren Lösung nicht ganz leicht sein wird. Sie kennen den Prinzen von Raumburg?«

»Welchen?«

»Den General, welcher sich bei der letzten Verschwörung in Norland kompromittirte und zu lebenslänglicher Haft verurtheilt wurde.«

»Ihn kenne ich.«

»Er hat es fertig gebracht, auf irgend einem heimlichen Wege einige Zeilen an mich gelangen zu lassen. Er sehnt sich natürlich nach der Freiheit, doch kann man offiziell nicht das mindeste für ihn thun, und ich am allerwenigsten, da ich mich nicht der Simpathie der norländischen Herrscherfamilie erfreue. Der ominöse Fall im Seebad Fallum hat diesen Riß bedeutend vergrößert, und ich bin wahrhaftig nicht abgeneigt, diesen Norländern einen Streich zu spielen, der ihnen zu schaffen macht. Die größte Verlegenheit würde ihnen bereitet, wenn es Prinz Raumburg gelänge zu entspringen. Dazu bedarf es der Hilfe von außen her, und ich bin sehr bereit ihm dieselbe zu gewähren, wobei ich mich allerdings auch gern auf Sie verlassen möchte.«

»Ich stehe zu Diensten. In welcher Weise würde ich mich zu betheiligen haben?«

»Raumburg muß natürlich über die See, doch nicht sofort, denn das wäre eine Unvorsichtigkeit. Er ist nicht blos politischer Gefangener, sondern man hat die Güte gehabt, ihn auch krimineller Punkte anzuklagen und zu überführen; er müßte also selbst vom Auslande ausgeliefert werden. Er kann sich erst, und zwar unter einem fremden Namen, in See wagen, wenn der Lärm, den sein Entkommen verursacht, vorüber ist, und bedarf daher eines Asyles, in welchem er Sicherheit findet. Dies wird Schloß Himmelstein sein. Er soll als Ihr Verwandter bei Ihnen wohnen. Dies wird die passive Theilnahme sein, welche ich von Ihnen fordere. Ob Sie vorher oder nachher auch aktiv eingreifen müssen, werden die Umstände ergeben. jetzt nun bringen Sie einen Imbiß, und dann werde ich mich zum Prior begeben.«

Eine halbe Stunde später stieg er den Burgweg herab und nach dem Kloster zu. Er setzte den großen ehernen Klopfer in Bewegung, und der Bruder Pförtner erschien, um den Einlaß Begehrenden zu examiniren. Er erkannte natürlich den Prinzen, da derselbe oft hier am Orte verweilte, auf der Stelle und riß beide Flügel des Thores auf, um ihn mit einer tiefen Verneigung und salbungsvoller Ansprache zu begrüßen. Dann zog er die Glocke, auf deren Ton sämmtliche Insassen des Gott geweihten Ortes herbeieilten.

Der Prior trat heran. Er war ein mit solcher Leibesfülle begabter Mann, daß sein Durchmesser fast seine Länge erreichte. Sein Gesicht glänzte von Fett, Salbung und Unterthänigkeit, und seine Rede duftete von himmlischem Weihrauch und göttlicher Ambrosia. Er geleitete den Prinzen zunächst in das Refektorium und dann in den Speisesaal, wo der Bruder Küchenmeister unter Beihilfe des Bruders Kellermeister schnell ein Ehrenmahl aufgetragen hatte. So wenig Zeit er dazu gehabt hatte, es ließ doch kaum etwas zu wünschen übrig und gab den deutlichen Beweis, daß die frommen Brüder wohl geistlich der Welt entsagt hatten, körperlich aber mit ihr in sehr innigem Zusammenhange geblieben waren.

Am Schlusse der Tafel sprach der Prinz seine Anerkennung aus und ersuchte den Prior um einen Rundgang durch die Räume des Klosters, verbat sich aber jede weitere Begleitung. Er wurde durch die Kirche, durch Küche und Keller, in alle Zellen und auch hinaus in den Klostergarten geführt. Dieser lag nicht eben, was ja das Terrain gar nicht erlaubte, sondern zog sich bergauf gegen das Schloß hinan. Rundum von einer sehr hohen und wohl erhaltenen Mauer umgeben, zeigte er in seinem höchsten Theile den Klosterfriedhof, wo die sterblichen Leiber ruhten, deren einstige Bewohner nun im höheren Lichte wandelten. je ein Kreuz bezeichnete die Stätte, an welcher Staub zu Staub geworden war. Der Prinz wanderte mit dem Prior zwischen den Hügeln dahin, auf denen fromme Hände allerlei duftende Zierde gepflanzt hatten.

»Hier ruhen die Väter Ihres Klosters?« frug Hugo.

»Welche eingingen in die Hütten der Seligen,« antwortete der Prior.

»Und die Mütter dort unten, haben sie einen eigenen Friedhof?«

»Nein. Die beiden Klöster wurden von dem frommen Ritter Theobald von Himmelstein zu gleicher Zeit gestiftet, und er bestimmte, daß die Väter und Mütter von einem und demselben Orden sein und an einem und demselben Orte zur ewigen Ruhe gebettet werden sollten. Friede sei mit seiner und mit ihrer Asche!«

»Liegen die Väter und Mütter getrennt?«

»Nein, obgleich dies anderwärts unter gleichen Verhältnissen nicht Sitte ist. Aber es stehet geschrieben: »Sie werden nicht freien und nicht gefreit werden;« die Engel und die Seligen kennen kein Geschlecht und keine andere Lust, als die Lust am Herrn. Darum dürfen die in Christo Entschlafenen bei einander ruhen ohne Aergerniß. Ihre Seelen schweben um den Thron Gottes und sind rein gewaschen von allem Schmutze dieses Lebens.«

»Darf man das Kloster der frommen Frauen auch besuchen?«

»Nur Auserwählten ist es erlaubt.«

»Darf ich mich zu diesen Auserwählten rechnen?«

»Ich bitte in Unterthänigkeit darum!«

»Ich muß gestehen, daß ich in geistlichen Dingen einigermaßen unerfahren bin. Ihr Kloster steht in keinem amtlichen Zusammenhange mit diesem andern.«

»Doch. Weder die Priorin noch irgend eine der Schwestern hat das Recht, eine kirchliche Handlung vorzunehmen. Das dürfen nur wir.«

»So verkehren Sie in Folge Ihrer priesterlichen Würde wohl oft mit den frommen Schwestern?«

»Sehr oft. Habe ich doch die Oberaufsicht über das Schwesterhaus zu führen. Soll eine Messe celebrirt, eines der heiligen Sakramente ertheilt oder sonst eine kirchliche und priesterliche Handlung vorgenommen werden, so muß entweder ich oder einer der Brüder hinuntergehen.«

In diesem Augenblicke bückte sich der Prinz, griff zwischen die Epheuranken hinein und zog einen Gegenstand hervor, den er sehr aufmerksam betrachtete. Auch der Prior sah ihn und entfärbte sich leicht.

»Sind Sie ein Physiolog, Hochwürden?«

»Nicht sehr.«

»Aber doch so viel, um diesen Gegenstand bestimmen zu können. Bitte, wollen Sie sich denselben einmal betrachten!«

»Hm, die Röhre von einer Gans, wie ich vermuthe.«

»Ja, eine Röhre ist es allerdings, doch das Geschöpf, an dessen Bein sie sich befand, muß noch sehr jung gewesen sein, da die Knochenbildung so wenig vorgeschritten war, daß die beiden Röhrenköpfe noch ganz aus Knorpel bestanden. Vielleicht ein Lamm. Aber dessen Knochen vergräbt man doch nicht in geweihter Erde.«

»Diese Röhre war wohl auch nicht vergraben. Sie lag frei zu Tage.«

»Aber sie hat längere Zeit, wenn auch nicht Jahre lang, in der Erde gelegen.« Er barg die Röhre sorgfältig wieder an dem Orte, an welchem er sie gefunden hatte, und fuhr dann fort: »Es muß etwas Großes sein um das Amt eines geistlichen Hirten. Kein Fürst, kein König hat die Macht, die ihm gegeben ist.«

»Ja; der Herr verleiht seinen Dienern die höchste Gewalt, sie können die Seligkeit verweigern, sie vermögen aber auch den Himmel zu öffnen.«

»Welch ein Bewußtsein muß es sein, an Gottes Statt dazustehen und der Vertreter des höchsten Wesens zu sein, dem jeder in vertrauender Ehrfurcht nahen kann. Wird diese Gewalt nicht vielleicht zuweilen mißbraucht, Hochwürden?«

»Das wäre die Sünde wider den heiligen Geist, die niemals vergeben wird.«

»Niemals?«

»Nie.«

»So dürfte sie auch von der weltlichen Gerechtigkeit nicht vergeben werden.«

»Hoheit irren. Hier hat das weltliche, das bürgerliche Gesetz nicht mitzusprechen, sondern dieser Fall gehört einzig und allein in die Disziplin des priesterlichen Standes.«

»Ich will Ihnen einen Fall erzählen: Ein König, Bekenner der alleinseligmachenden Kirche, hatte, um eine große Gefahr von sich und seinem Lande abzuwenden, einen geheimen Traktat mit dem protestantischen Monarchen des Nachbarlandes abzuschließen. Er wußte bereits vor Abfassung des Vertrags, daß er die Bestimmungen desselben brechen werde, und zog seinen Beichtvater zu Rathe. Dieser absolvirte ihn und hieß sein Vorhaben gut, da der Kontrahent ja ein Ketzer sei. Dieser Beichtvater stand, ich weiß nicht in Folge welcher Umstände, unter der Gewalt einer alten Zigeunerin, die also eine Heidin war. Sie hieß Zarba. Ihr machte er, ich weiß nicht ob freiwillig oder erzwungen, Mittheilung von dem Vorhaben des Königs.«

»Unmöglich! Einer Zigeunerin!« rief der Prior, aber sein vorher von Röthe glänzendes Gesicht war plötzlich leichenblaß geworden.

»Ja, einer Zigeunerin. Auch ich kenne sie und habe diese Mittheilung aus ihrem eigenen Munde. jedenfalls verfolgte sie dabei eine Absicht, die ich aber leider nicht zu durchschauen vermag.«

»Der Beichtvater eines Königs? Sollte dies nicht eine höllische Verleumdung sein?«

»Nein. Sie suchte den Priester in seiner Wohnung auf und erhielt das Bekenntniß von ihm sogar in zwei Exemplaren niedergeschrieben. Das eine gab sie jüngst mir, und das andere hebt sie für meinen Vater, den König auf.«

»Ah, sonderbar!«

Dicke Schweißtropfen standen ihm jetzt auf der Stirn. Er blickte wie Hilfe suchend umher und konnte sein Auge nicht zum Prinzen erheben, der ihn lächelnd fixirte.

»Ja, sehr sonderbar! jetzt ist dieser Beichtvater Prior, er erhielt diese Pfründe von dem Könige als Anerkennung seiner treuen Amtsführung.«

»Was werden Hoheit mit dem Exemplare thun, welches sich in Ihren Händen befindet?«

»Darüber habe ich noch keinen Beschluß gefaßt, doch bemerke ich, daß ich nicht rachsüchtig bin und es vielleicht vermag, auch das andere Exemplar unschädlich zu machen.«

»Sie kennen den Namen dieses Priesters?«

»Natürlich. Er hat sich ja unterzeichnet und sogar sein Amtssiegel aufgedrückt. Doch das war eine Episode, welche ich nur nebenbei erzählte, da mich unser Gespräch auf dieses Thema führte. Ist es noch Tageszeit genug, die frommen Schwestern zu besuchen?«

»Hoheit, das Haus steht Ihnen zu jeder Zeit geöffnet!«

»Ich bin in der Lage, einige Erkundigungen einziehen zu müssen.«

»Ich stehe zu Diensten.«

»Sind die beiden Klöster durch verborgene Gänge verbunden?«

»Königliche Hoheit – — – !«

»Die Wahrheit, nichts weiter, Hochwürden!« gebot der Prinz in strengem Tone.

»Bei der Beschaffenheit dieses Felsens wäre es möglich, daß sich ohne unser Wissen – — »

»Mit einer Möglichkeit ist mir nicht gedient,« unterbrach ihn schnell der Prinz. »Ich habe ein Exempel zu lösen, von welchem ich nur zu Ihnen sprechen kann, und will dabei nicht mit Möglichkeiten, sondern mit Wirklichkeiten rechnen. Also – —?«

»Die Verbindung ist da,« gestand jetzt der Prior.

»Und wird benutzt?«

»Zuweilen, jedoch nur zu Zwecken, von denen ich sagen kann, daß sie – — – »

»Schon gut, Hochwürden! Ich bin befriedigt und frage nicht nach diesen Zwecken, obgleich es möglich ist, daß mich ein ganz ähnlicher Zweck zu meiner Erkundigung veranlaßt hat.«

»Ah!« holte der Prior tief Athem.

»Ja. Und dabei habe ich nicht einen geistlichen, sondern einen sehr weltlichen oder vielmehr körperlichen Zweck im Auge.«

»Darf ich um die Mittheilung desselben ersuchen, königliche Hoheit?«

»Ich werde zunächst weiter fragen. Bedarf es zur schleunigen Aufnahme einer Novize der besonderen Befragung derselben?«

»Gewöhnlich, ja. Gibt es aber ernste Rücksichten, welche mit ihrem Seelenheile in Verbindung stehen, so kann oder muß vielmehr die heilige Kirche die ihr verliehene Macht gebrauchen und wird den Eintritt gebieten.«

»Schön; das ist mein Fall! Wird die heilige Kirche nach dem Namen der Novize fragen?«

»Ihr oberster Diener ist dazu verpflichtet, wird ihn aber verschweigen und auch dafür sorgen, daß er den andern Schwestern niemals genannt werden kann.«

»Pah! Dieser oberste Diener wird vielleicht ebenso verschwiegen sein, wie jener unvorsichtige Beichtvater, von dem ich Ihnen erzählte.«

»Vielleicht ist es ihm möglich, Ihnen Garantie für seine Verschwiegenheit zu geben.«

»Das würde mir lieb sein. Worin würde diese Garantie wohl bestehen?«

»Das kann ich jetzt leider noch nicht bestimmen, ich vermag darüber erst dann zu entscheiden, wenn ich den Fall möglichst kennen gelernt habe.«

»So werde ich ihn mittheilen. Sie wissen ja, daß die höchste Macht der heiligen Kirche in der Liebe besteht, und ihr höchstes Ziel ist die Seligkeit, zu welcher man durch diese Liebe gelangt. Ein Mann lernte ein junges schönes Mädchen kennen. Sie liebten sich, und er vermochte sie, sich in die Verborgenheit zurückzuziehen. Sie verschwand. Aber ihre Liebe war eine zu irdische, eine egoistische; sie strebte nach den Gütern und Würden des Geliebten, die ihr doch niemals gehören konnten. Er versagte sie ihr, und nun verwandelte sich die Liebe in einen grimmigen Haß, welcher seine Erlaubniß zu dem ersehnten bräutlichen Verschmelzen der Seelen verweigerte und sie auf das Vorhaben brachte, in die sündhafte Welt zurückzukehren. Er mußte ihr diesen Weg mit Gewalt verschließen. Da er aber nicht die wirksamen Mittel besitzt, ihr die himmlische Liebe wieder zurückzurufen, will er das sündhafte widerstrebende Kind der heiligen Kirche übergeben, damit diese ihre heilsame Macht gebrauche und das verirrte Schaf an sein Herz zurückführe. Er besitzt der irdischen Güter in Menge, um die heilige Kirche für ihre Sorgen und edlen Bestrebungen zu belohnen. Das ist der Fall. Nun sprechen Sie, Hochwürden!«

»Die heilige Kirche kennt dieses Schäflein bereits, wenn ich mich nicht irre, und ist bereit, es zu dem guten Hirten zurückzubringen.«

»Und die Garantie, von welcher Sie vorhin sprachen?«

»Werde ich vollständig geben. Doch muß ich vorher erwähnen, daß die Kirche in solchen schwierigen Fällen verpflichtet ist, ihre Bedingungen zu machen.«

»Ich werde sie hören.«

»Sind Sie bereit, der Kirche jene Schrift auszuantworten, welche die Zigeunerin Ihnen übergab?«

»Ja.«

»Wenn?«

»Ich trage sie bei mir, trenne mich aber nicht eher von ihr, als bis mir die erwähnte Garantie geboten ist.«

»Die Dame, von der Sie sprechen, gehört einem berühmten adeligen Hause an?«

»Ja.«

»Und befindet sich hier in der Nähe?«

»Möglich.«

»Wie viele Personen kennen ihren jetzigen Aufenthaltsort?«

»Nur zwei.«

»Können Sie es der heiligen Kirche ermöglichene bei dem ersten Schritte Gewalt zu vermeiden?«

»Ich hoffe es.«

»So bin ich bereit, Ew. Hoheit zu den frommen Schwestern zu geleiten.«

»Auf dem gewöhnlichen Wege oder unterirdisch auf dem verborgenen?«

»Auf dem ersteren. Der letztere ist nur den Auserwählten bekannt, und unser Verschwinden würde auffallen. In kurzer Zeit ist es Nacht, und dann ist es mir möglich jene Garantie zu geben, von welcher ich vorhin gesprochen habe.«

»Ich werde natürlich bis dahin nicht weiter mittheilsam sein.«

»Bemerken Hoheit hier das kleine Pförtchen in der Mauer? Es ist für die Gartenarbeiter und Laienbrüder angebracht, welche von der strengen Klausur nicht betroffen werden. Dieser Schlüssel öffnet es von außen und von innen. Sie werden ihn wohl nachher brauchen, wenn es dunkel geworden ist. Bitte, nehmen Sie ihn zu sich!«

Sie kehrten in das Klostergebäude zurück und gelangten nachher durch dasselbe auf die Straße, welche nach der entgegengesetzten Seite des Berges führte, wo das Frauenkloster lag. Auch dort kannte man den Prinzen, welcher mit frommer Ostentation empfangen wurde. Speise erhielt er nicht, aber man kredenzte ihm einen alten, sehr guten Wein in einem goldenen Ehrenhumpen, welcher jedenfalls noch aus der Zeit des Faustrechtes stammte. Vielleicht diente er nicht blos zum Willkomm für Ehrengäste, vielleicht schlürften auch die frommen Klosterfrauen zuweilen aus seiner goldenen Tiefe das Getränk der Wahrheit, der Liebe und Begeisterung. Sie sahen nicht aus, als ob sich das Gegentheil von selbst verstehe.

Die Priorin war dem Prior in Beziehung auf ihren Körperumfang vollständig ebenbürtig, und alle Schwestern erfreuten sich eines stattlichen Aeußern, welches allerdings in Folge der strengen Tracht nicht so zur Geltung kommen konnte, als wenn sie dieselbe mit einer andern vertauscht hätten.

»Hat vielleicht eine der frommen Schwestern das Bedürfniß zur heiligen Ohrenbeichte zu kommen?« frug der Prior, als sie sich mit der Oberin im Refektorium befanden.

»Wohl mehrere. Hochwürden haben eine längere Zeit nicht vorgesprochen.«

»So sind vielleicht einige dabei, welche heut der heiligen Pönitenz bedürfen?«

Er betonte die Worte »heilige Pönitenz« so eigenthümlich, und die Priorin warf dabei einen so erschrockenen Blick auf den Prinzen, daß dieser sofort errieth, daß es mit dieser Büßung eine ganz besondere Bewandtniß habe.

»Es ist möglich,« antwortete sie beinahe zögernd. »Soll ich die Schwestern fragen?«

»Fragen Sie,« bat er.

Sie entfernte sich. Um die Lippen des Priors spielte ein schlaues feines Lächeln.

»Errathen Hoheit, was es mit dieser heiligen Pönitenz für eine Bewandtniß hat?«

»Ich ahne es, möchte es aber dennoch nicht errathen.«

»Sie werden Aufklärung finden. Die christliche Kirche hat der herrlichen Gaben so sehr viele, daß sie Vergebung und Gnade mit vollen Händen auszustreuen vermag und jeder gläubigen Seele das bietet, was zu ihrem zeitlichen und ewigen Heile erforderlich ist.«

Die Oberin kehrte zurück und meldete, daß sechs Schwestern um die Erlaubniß bäten, dem frommen hochwürdigen Vater zu beichten.

»Ich werde ihnen den Trost unserer allerheiligsten Religion bringen,« antwortete er. »Beurlauben mich königliche Hoheit für eine Viertelstunde. Die ehrwürdige Schwester wird Sie bis dahin durch die Räume des Hauses begleiten; in der Kirche sehen wir uns wieder.«

Als sie nach einer halben Stunde das Schiff der Kirche betraten, bemerkte der Prinz vier Nonnen, welche am Hochaltare knieten. Es waren lauter junge Schwestern, welche hier ihre stille Andacht verrichteten. Seitwärts saß eine Fünfte auf der Bank; ihrem hübschen Gesichte war ein tiefer Verdruß, welcher beinahe wie ein Schmollen aussah, deutlich anzumerken. Am Beichtstuhle kniete die Sechste und hielt ihr Ohr an die Oeffnung desselben. Der Prior sprach mit sehr ernstem Gesicht in sie hinein. Sie antwortete, und der Prinz sah, daß seine Züge wirklich zornig wurden. Er schien eine Drohung auszusprechen, dann entließ er sie, ohne ihr seinen Segen zu ertheilen. Die Schmollende warf einen höhnischen verächtlichen Blick auf sie.

Diese Sechste war eine Schönheit. Ihre Gestalt zwar wurde von der häßlichen Klostertracht verhüllt, aber ihr Gesicht war von einer wunderbaren Reinheit und ihre Bewegungen ließen errathen, daß sie wohl nicht den niederen Ständen angehört habe. Der Prior verließ den Beichtstuhl und trat zu den Beiden. Die Oberin blickte ihm fragend entgegen.

»Diesen vier reuigen Schwestern habe ich die Pönitenz gestattet,« berichtete er, »der Fünften aber verweigert. Ihrer Seele ist nicht die Sanftmuth der Bitte gegeben, welche auf Gewährung hoffen darf. Die Sechste ist renitent und kommt in die Strafzelle, wo sie sich mit Gottes Hilfe zum rechten Pfade wenden wird. \Vir verlassen Sie jetzt, verehrte Schwester. Der Herr sei mit Ihnen und diesem frommen Hause jetzt und in alle Ewigkeit, Amen!«

Er erhob die Arme und ertheilte ihr seinen Segen.

»Werden Hochwürden die Pönitenz selbst leiten?« frug sie, indem eine leise Röthe über ihr Angesicht flog.

»Allerdings. Der Diener am Weinberge des Herrn darf nicht säumig sein. Er soll sich keiner Arbeit und keiner Anstrengung scheuen, und dann wird der Segen Gottes ihn und die Seinen begleiten auf allen ihren Wegen. Leben Sie wohl!«

Sie verließen das Kloster.

Draußen war es mittlerweile Nacht geworden. Das Schloß zwar ließ sich noch so ziemlich erkennen, aber das Thal lag bereits in tiefem Dunkel unter ihnen. Der Prior schritt nur sehr langsam vorwärts. Man sah, daß er wünschte, es möge vollständig finster werden, ehe sie das Mönchskloster erreichten.

»Jetzt nun bin ich im Stande, Ew. Hoheit die versprochene Garantie zu geben.«

»Worin besteht sie?«

»In der Offenbarung unseres wichtigsten Geheimnisses.«

»Welches?«

»Hoheit, der Weg zur Vollendung ist nicht glatt und eben, sondern mit rauhen schmerzhaften Dornen bewachsen, und das göttliche Wort sagt bereits, daß die Pforte eng und klein sei, durch welche man zum Heile gelangt. Auch die nach Erlösung, nach Seligkeit dürstende Seele strauchelt, aber das Auge der Gnade wacht über ihr und richtet sie auf. Der Geist trachtet nach himmlischen Gütern, aber der Körper ist zuweilen schwach. Die Wünsche und Lüste des Fleisches sind nur schwer zu tödten, und wenn man sie gestorben meint, so erheben sie sich doch oft plötzlich wie ein gewappneter Mann, dem kaum zu widerstehen ist. Dann fliehen die frommen Schwestern dorthin, wo sie Rettung finden, in die Arme der Buße, und ich gewähre ihnen dieses Mittel, um sie zu stärken gegen die späteren Anstrengungen, die sie auf ihrem rauhen einsamen Pfade zu überwinden haben. Die sündhaften Gedanken des Fleisches werden besiegt durch die Kraft der heiligen Pönitenz.«

»Und worin besteht nun diese, Hochwürden? Ich bin wirklich wißbegierig.«

»In der Kasteiung und Tödtung des aufrührerischen Fleisches, in der Gewöhnung an eine höhere Kaltblütigkeit und Gleichgiltigkeit gegenüber der Sünde, welche den Körper empört und den Geist mit verderblichen Wünschen erfüllt. Die heilige Pönitenz findet statt in besonders dazu eingerichteten Zellen des Schwesterhauses. Diese liegen verborgen hinter den Kellerräumen und sind mit dem Bruderhause durch einen unterirdischen Gang verbunden.«

»Ah! Die Kasteiung und Abtödtung des Fleisches wird also wohl von den frommen Vätern und Brüdern unternommen?«

»Ja, denn keine der Schwestern ist zu einer solchen priesterlichen Handlung befugt. Die Büßerinnen werden in einzelne Zellen eingeschlossen, welche verriegelt werden, nachdem je ein Bruder bei ihnen Zutritt genommen hat. Er ertheilt ihr die Ruthenschläge auf den entblößten Rücken und bewirkt unter frommen liebevollen Worten das Verschwinden der sündhaften Wünsche und Regungen. Erst dann, wenn sie denselben abgestorben ist, ertheilt er ihr seine Absolution und gibt das Zeichen, daß er die Zelle verlassen will.«

»Interessant, höchst interessant, diese fromme priesterliche Bemühung um das Heil einer strauchelnden Seele!«

»Ja; diese Bemühung aber dient auch zur Uebung für den Bruder selbst. Auch er ist ein schwacher Mensch, den nur die Gnade stärken kann; auch er hat Augenblicke, in denen sein Geist mit dem Körper ringen muß, und dann bittet er die Schwester, ihm die Kasteiung zu ertheilen. An den Thüren der Pönitentiarzellen sind kleine, mit einem Glasfensterchen versehene Klappen angebracht, durch welche es mir und der Priorin möglich gemacht wird, die Büßung zu überwachen.«

»Wie ich vorhin bemerkt habe, kommt es auch vor, daß Sie diese Büßung verweigern?«

»Ja, wenn sie von einer Unwürdigen gefordert wird. Die Reinigung des Körpers und der Seele von den Schlacken der Sünde ist eine hohe Gnadengabe, welche sich die heilige Kirche nicht abzwingen und abtrotzen lassen kann. Es muß in demüthigen Worten um dieselbe gebeten werden. Ich kann nicht verschweigen, Hoheit, daß es zuweilen eine Seele gibt, welche sich nach der Kasteiung nur mit dem Leibe sehnt; dann muß das renitente Fleisch durch eine strenge Verweigerung gezüchtigt werden.«

»Und die sechste Schwester?«

»Kommt in die Besserungszelle. Ich gebot ihr die heilige Pönitenz, sie aber weigerte sich, den Weg der Gnade zu wandeln. Es ist unsere jüngste Schwester, die erst vor Kurzem Profeß gethan hat. Die Rücksicht auf das Heil ihrer Seele macht es erforderlich sie an die strenge Zucht des Klosters zu gewöhnen.«

»Was hat es mit der Besserungszelle für eine Bewandtniß, Hochwürden?«

»Es sind darin alle Vorrichtungen angebracht, welche nöthig sind einer Widerstrebenden die heilige Pönitenz aufzuzwingen, und ich muß sagen, daß dieser Zwang stets gefruchtet hat, es ist niemals ein Rückfall eingetreten. Doch hier liegt das Kloster. Wir werden uns vor den Augen des Bruder Pförtners hier von einander verabschieden. Dann gehen Sie hinter der Mauer weg, doch so, daß Sie nicht bemerkt werden, und treten durch das Pförtchen, welches ich Ihnen vorhin zeigte, in den Garten. Ich werde Sie von der Pforte nach kurzer Zeit abholen.«

»Und dann?«

»Führe ich Sie dahin, wo Sie die Pönitenz genau beobachten können, ohne selbst bemerkt und gesehen zu werden. Das ist die Garantie, welche ich Ihnen bieten will; sind Sie damit zufrieden?«

»Ja.«

»Und beharren Sie bei Ihrem Entschlusse, der heiligen Kirche ein verirrtes Schäflein anzuvertrauen?«

»Allerdings.«

»Wann werden Sie dasselbe in unsere Arme führen?«

»Noch heute, wenn Sie es da bereits aufnehmen können.«

»Ich werde nachher mit der Schwester Priorin darüber sprechen und Sie benachrichtigen. Doch wünsche ich, wie bereits gesagt, daß alle Gewalt und alles Aufsehen dabei vermieden werde. Die Diener der Kirche haben zuweilen Veranlassung so listig zu sein, wie die Kinder der Erde es sind.«

»Es wird sich wohl arrangiren lassen. Hat das Schwesterkloster auch so ein kleines Pförtchen, durch welches man unbemerkt Zutritt nehmen kann?«

»Ja.«

»Dann ist es zu ermöglichen. Besorgen Sie mir den Schlüssel dazu. Eines aber muß ich bemerken: Ich wünsche nämlich nicht, daß die Büßerin, welche ich Ihnen zuführe, von einem Fremden zur heiligen Pönitenz gezwungen werde.«

»Sie betrachten also die Seele der Verirrten als Ihr immerwährendes Eigenthum?«

»Ja; wenigstens so lange, als bis ich sie Ihnen ausdrücklich übergebe.«

»Und wenn sie nun verlangt Buße zu thun?«

»So haben Sie mich zu benachrichtigen. Die heilige Kirche ist reich an himmlischen Gütern, aber sie kann ohne irdischen Besitz nicht sein. Wir Fürsten haben die Macht, ihr den Glanz zu verleihen, der ihr gebührt, und das werden wir gern thun, wenn ihre Diener sich freundlich und hilfreich zu uns stellen.«

»Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Hoheit. Aber die Unterschrift – — – ?«

»Erhalten Sie, sobald die betreffende Dame Aufnahme bei den frommen Schwestern gefunden hat. Jetzt nun ist es vollständig dunkel, und ich will gehen. Ich hoffe, daß Sie mich nicht lange warten lassen!«

Er schritt, während der Prior durch das Thor trat, die Straße entlang bis zu der Kapelle, hinter welcher er heute den Neffen des Schloßvogtes getroffen hatte, lenkte dann um dieselbe herum und erreichte die Mauer und das Pförtchen, durch welches er zu treten hatte. Der Schlüssel paßte; die Thür ging auf und wurde von innen wieder verschlossen. Der Prinz hatte die Ueberzeugung, daß er einem höchst interessanten Abenteuer entgegengehe. —

Unterdessen saß Toska in ihrer Wohnung, welche noch kein Mensch geöffnet und wieder betreten hatte. Die Dämmerung war gekommen und der Abend hereingebrochen. Sie hatte kein Licht, um das Zimmer zu erleuchten, aber das Dunkel war ihr wohlthätig. Sie hielt die Augen geschlossen und ließ all ihr Herzeleid und Bangen, alle ihre Hoffnungen und Wünsche an sich vorüberziehen. Ihr war, als sei ein schweres Rad zermalmend durch ihre Seele gegangen, aber nicht diese Seele, sondern nur die Liebe, welche dieselbe bisher erfüllt hatte, war vernichtet worden. Sie fühlte die Kraft in sich, sich zu wehren und zu vertheidigen, und hielt den Griff des Messers, welches sie noch nicht wieder von sich gelegt hatte, fest mit der kleinen Hand umschlossen, die trotz ihrer Zartheit doch im Stande war, eine Waffe kunstgerecht zu führen.

So verging Stunde um Stunde. Sie vermuthete, daß heute irgend etwas gegen sie unternommen werde, aber Niemand kam, kein Schritt ließ sich hören, und die Schloßuhr schlug Mitternacht, ohne daß sich draußen auf dem Korridore etwas geregt hätte. Da endlich, horch! Waren das nicht Laute, als ob sich jemand leise und heimlich nahe? Sie horchte. Sie hatte die Thür auch von innen verriegelt, und Niemand konnte eintreten. Da wurde die Klinke niedergedrückt, und als die Thür nicht nachgab, ließ sich ein vorsichtiges Klopfen vernehmen.

»Wer ist draußen?« frug Toska.

»Ich bin es, Komtesse. Bitte, öffnen Sie!«

»Wer denn?«

»Die Kastellanin!« flüsterte es.

»Ich öffne während der Nacht keinem Menschen.«

»So sind Sie verloren. Haben Sie Vertrauen zu mir?«

»Was wollen Sie?«

»Ich will Sie retten.«

Toska war überrascht. Die Kastellanin war ihr nie als ein Weib erschienen, zu dem man ein besonderes Vertrauen haben konnte. Sollte sie etwa nur hinausgelockt oder durch eine so plumpe List vermocht werden die Thür zu öffnen? Aber wenn es wirklich Rettung sein sollte, die einzige Rettung aus den Händen dieses verhaßten gewissenlosen Menschen, war es dann klug sie zurückzuweisen? Sie bot sich ganz sicher nicht so bald oder vielleicht gar niemals wieder.

»Mich retten? Womit?«

»Ich führe Sie heimlich aus der Burg.«

»Wirklich? Wer gibt mir Sicherheit, daß Sie es ehrlich meinen?«

»Ich gebe Ihnen mein Wort. Sie haben mich schon längst gedauert, Sie armes junges Blut, und ich habe heute das Gelübde gethan Sie zu retten. Vertrauen Sie mir!«

Diese Worte klangen wohl gut und schön. Aber sollte die Kastellanin wirklich ein so mitleidiges, muthiges und entschlossenes Herz besitzen, die Stellung ihres Mannes und ihre eigene Sicherheit durch die Befreiung einer Gefangenen, die ihr noch gar nichts geboten hatte, auf das Spiel zu setzen?

»Sprechen Sie die Wahrheit?«

»Ich habe es der heiligen Mutter Gottes gelobt, Sie aus dem Schlosse zu bringen.«

»Schwören Sie es!«

»Ich schwöre es bei allen Heiligen und bei meiner Seligkeit! Ich habe einen Ihrer Anzüge bereits mitgebracht. Sie sollen ihn anlegen und werden mir heimlich folgen.«

»So treten Sie ein!«

Sie öffnete vorsichtig, so daß nur ein Raum für eine einzige Person blieb, und fühlte sich allerdings außerordentlich erleichtert, als sie bemerkte, daß die Kastellanin allein sei. Hinter derselben wurde die Thür wieder verschlossen.

»So ist es also doch Ihr Ernst mich von hier fortzubringen.«

»Ja, mein heiliger Ernst. Ich weiß, welche Gefahr ich laufe. Mein Mann wird wohl seine Stelle verlieren, aber ich denke, daß die gnädige Komtesse sich dann ein wenig unserer annehmen werden.«

»Ja, das werde ich thun, gute Frau; ich verspreche es Ihnen hiermit sowohl mit der Hand als auch mit dem Herzen. Ich bitte Sie auch um Verzeihung für den Mangel an Freundlichkeit und Vertrauen, den ich Ihnen stets gezeigt habe!«

»O, daran war ich selbst schuld! Ich durfte ja nicht zeigen, wie lieb ich Sie habe und wie gern ich Ihnen geholfen hätte.«

»Brave gute Frau. Aber wird man uns nicht bemerken und aufhalten?«

»Nein. Ich habe für Alles gesorgt. Bitte, wollen Sie sich ankleiden! Wir haben nicht viel Zeit. Licht dürfen wir leider nicht anbrennen.«

»O, es geht auch ohne Beleuchtung!« Und während sie die mitgebrachten Kleider anlegte, frug sie:

»Aber wo werden Sie mich hinbringen? Wohl nur bis auf die Straße? Denn länger können Sie das Schloß doch nicht verlassen.«

»Allerdings, und dies verursacht mir Bedenken.«

»Warum?«

»Sie können doch unmöglich allein fortgehen. Erstens wird man sie verfolgen, und zweitens sind Sie es ja Ihrem Namen und Stande schuldig, sich nicht so hilflos auf der Straße finden zu lassen. Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?«

»Welchen?«

»Es sind nur wenige hundert Schritte bis hinunter zum Kloster der frommen Schwestern. Ich bin sehr viel bei ihnen, und die Frau Priorin ist stets sehr freundlich mit mir. Als ich heute bemerkte, welche Gefahr Ihnen droht, wollte ich meine Seele retten und ging zu ihr. Ich erzählte ihr Alles. Sie darf nichts davon verrathen, aber sie war bereit Ihnen zu helfen. Sie hat mir befohlen, Sie zu ihr zu bringen. Unter ihrem Schutze sollen Sie bleiben, bis nach zwei oder drei Tagen der Prinz in seinen Nachforschungen ermüdet ist, und dann wird sie Ihnen Alles bieten was nothwendig ist, in Sicherheit zu gelangen.«

Toska athmete bei dieser Kunde hoch und freudig auf.

»Ist das wahr, was Sie mir da sagen?«

»Ja. Hier, fühlen Sie den Schlüssel, den mir die Priorin gegeben hat. Er führt durch eine Nebenpforte in das Kloster. Sie sollen auch dort so wenig wie möglich gesehen werden Die Schwestern sind zwar schweigsam und kennen Sie wohl nicht; aber man muß immer vorsichtig sein. Die Frau Priorin meinte, es sei nothwendig Alles zu thun, damit es nicht bekannt werde, daß eine so hohe Dame so lange Zeit ganz allein bei dem Prinzen gewohnt habe.«

»Ich werde Ihnen und der Aebtissin dankbar sein so lange ich lebe. Aber wenn wir dennoch beobachtet und ergriffen werden?«

»Das ist unmöglich. Ich habe alle Thüren und Korridore verschlossen und das Thor bereits ein wenig geöffnet. Es kann Niemand zu uns, wir aber können sehr leicht in das Freie. Sind Sie bald fertig?«

»Nur noch dieses Tuch. So. jetzt bin ich bereit.«

»So bitte, kommen Sie!«

Die Vogtin schritt voran. In einer Anwandlung von Besorgniß ergriff Toska unbemerkt das Messer, welches sie vorhin auf den Tisch gelegt hatte, und steckte es zu sich; dann folgte sie.

Der Weg führte durch mehrere Gänge, welche sämmtlich unbeleuchtet waren. Dann gelangten sie in den vorderen Schloßhof, welchen Toska nur ein einziges Mal, nämlich bei ihrer Ankunft, und dann nicht wieder betreten hatte. Das Thor war wirklich um eine Lücke geöffnet, welche sehr leicht und ohne Geräusch erweitert werden konnte. Sie schlüpften hindurch. Draußen vor demselben holte Toska tief Athem und ergriff beide Hände ihrer Führerin.

»Gott sei Dank, ich fühle mich frei! Ich werde diesen Augenblick nie, niemals vergessen. Sie kennen meinen Namen und wissen auch wo ich zu finden bin. Ich kann Ihnen jetzt nicht lohnen, aber kommen Sie zu mir, und ich werde Ihnen Alles vergelten, was Sie jetzt an mir thun.«

»Ich bin davon überzeugt, gnädige Komtesse. Aber kommen Sie. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es könnte doch jemand erwachen und Argwohn schöpfen, und die Frau Priorin wartet bereits!«

Sie eilten vorwärts. Toska merkte nicht, daß zwei männliche Gestalten ihnen vorsichtig folgten und erst dann wieder umkehrten, als sie hinter dem Pförtchen und der Mauer des Nonnenklosters verschwunden war. Man hatte sie aus der Höhle des Fuchses in diejenige der Hyänen geführt. Sie sollte das Opfer von allen Beiden werden.

Die Juweleninsel

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