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Viertes Kapitel: Der Schatz der Begum
ОглавлениеEs war vor langen langen Jahren, und zwar im Wunderlande von Indien. Ein von vierzehn Kulis gerudertes Boot fuhr den Ganges hinauf, dessen Wasser bei den Indiern so heilig gilt, daß sie es weithin versenden und sogar den Glauben hegen, daß Derjenige, welcher in den Fluthen des berühmten Stromes den Tod sucht oder sich von den darin befindlichen Krokodilen auffressen läßt, sofort von Brahma in den herrlichsten seiner Himmel aufgenommen wird.
Das Boot war mit zwei Mattensegeln und einem Zelte versehen, unter welchem ein Mann lag, der hier Schutz vor den glühenden Strahlen der Sonne suchte. Er hatte seine lange hagere Gestalt auf einem rothseidenen Divan ausgestreckt und sog den Duft eines köstlichen Tabakes aus einer persischen Hukah[2], welche mit prächtigen Edelsteinen ausgelegt war. In der Linken hielt er die neueste aus London nach Indien gekommene Nummer der Times, welche bereits seit einer vollen Stunde seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte.
Jetzt legte er sie von sich.
»Raadi!«
»Sihdi!« ertönte eine sanfte Stimme von außen.
Der Musquitovorhang, welcher den Eingang des Zeltes verhüllte, wurde bei Seite geschoben, und der Kopf eines indischen Dieners erschien.
»Was befiehlst Du?«
»Frage den Steuermann, wie lange es noch dauert, bis wir nach Augh kommen!«
Der Kopf verschwand und kehrte nach wenigen Augenblicken wieder.
»In einer Stunde werden wir die Stadt des Rajah erreichen.«
»Dann wecke mich!«
Er schob sich ein Kissen unter den Kopf und plazirte den letzteren so, daß seine dünnen Bartkoteletten unmöglich in Unordnung gerathen konnten. Noch waren nicht zwei Minuten vergangen, so schlief er fest, wie die schnarchenden Töne bezeugten, welche er hören ließ.
Genau zu der angegebenen Zeit erschien der Diener wieder.
»Sihdi!«
Ein leises Klatschen seiner hellbraunen Hände begleitete diesen halblauten Ruf. Der Engländer erwachte.
»Die Stadt ist da.Willst Du Dich erheben, Sahib?«
»Yes!«
Der Diener kam vollends in das Zelt und war seinem Herrn behilflich, sich von dem Divan zu erheben.
»Befiehlst Du Deine Waffen?«
»Yes!«
Raadi brachte einen krummen Säbel, einen malayischen Kais und zwei kostbar ausgelegte Pistolen herbei, band dem Gebieter einen persischen Shawl um die Hüften und befestigte die Waffen an und in demselben. Nun trat der Engländer aus dem Zelte.
Der heilige Strom erglänzte im Lichte der strahlenden Sonne wie feuerflüssiges Silber. Zahlreiche Boote durchkreuzten seine Fluthen und dazwischen bewegten sich die schwimmenden Fischer, nach indischer Sitte auf zwei mit einander verbundenen irdenen Töpfen liegend, während sie mit den Händen das Netz regieren. Am Landeplatze hielt ein Zug von englischen und eingeborenen Offizieren, vor welchen ein Sipoy ein köstlich aufgeschirrtes Pferd hielt, welches für einen Fürsten bestimmt zu sein schien.
Der Engländer verließ, während zwei Kulis einen breiten Sonnenschirm über ihn hielten, das Boot. Kaum berührte sein Fuß den festen Boden, so ertönten von der Stadt her Flintensalven und Kanonenschüsse, und sämmtliche anwesende Indier beugten sich demüthig zur Erde. Auch die englischen Offiziere begrüßten ihn in einer Weise, welche vermuthen ließ, daß er sie an Rang bedeutend überrage.
Dieser Mann war General Lord Haftley, der gegenwärtige Bevollmächtigte der englisch-ostindischen Regierung. Er kam nach Augh, um mit dem Fürsten dieses Landes zu verhandeln, und hatte seine Equipage nebst den Offizieren, welche ihn jetzt empfingen, voraus gesandt, um ihm seine Wohnung zu bereiten. Ein reich bewaffneter Indier trat auf ihn zu.
»Sahib, mein Herr, der Rajah Madpur Sing, dem Alles gehört, was dieses Land bedeckt, hat mir befohlen, Dich willkommen zu heißen.«
»Yes!«
Er begrüßte mit einer leichten Handbewegung die ihn erwartenden Offiziere und ließ sich von den Kulis auf das Pferd heben. Der Indier hielt sich an seine Seite. Die Augenbrauen des Lords hatten sich zusammengezogen. Er schien nicht sehr guter Laune zu sein.
»Rittmeister Mericourt!«
Auf diesen Ruf drängte einer der ihm folgenden Offiziere sein Pferd an die rechte Seite des Generals, da der Indier auf der Linken ritt.
»General!«
»Sie sind ein Franzose!«
»Zu dienen.«
»Die Franzosen sind das höflichste Volk der Erde.«
»Wie man sagt.«
»Sie wissen also, was höflich ist?«
»Ich denke es zu wissen.«
»Ist dieser Empfang von Seiten des Rajah höflich?«
»Es scheint mir nicht so!«
»Yes!«
»Er schickt seinen Hausmeister und eine handvoll Soldaten, um den Vertreter und Gesandten des allmächtigen Albion zu empfangen. Das ist Alles.«
»Yes!«
»Wo bleibt das Aufsehen, der großartige Pomp, den diese Rajahs bei andern Gelegenheiten entwickeln? Wo bleibt die Schaar der Reitelephanten, der Leoparden- und Tigerkäfige und tausend andere Dinge, mit denen die indischen Fürsten zu prahlen pflegen? Der Empfang entspricht nicht der Würde dessen, der empfangen wird.«
»Yes!«
»Man muß diesen Leuten zeigen wer wir sind. Man möchte sich wundern, daß man die Güte gehabt hat, uns in dem Palaste des Radjah einzuquartiren.«
»Yes!«
Der Indier hatte bisher seinen Blick kaum von dem Kopfe seines Pferdes erhoben. Er verstand jedenfalls kein Wort von ihrer Unterhaltung, wie die Beiden annahmen.
»Sie werden, Excellenz, während den Verhandlungen dieselbe Höflichkeit zeigen müssen, die man Ihnen jetzt entgegenbringt.«
»Yes!«
Und streng auf die Erfüllung unserer Forderungen dringen, General.«
»Yes!«
Das hinterste Paar des kleinen Zuges bildeten zwei Lieutenants. Der Eine war auf alle Fälle ein Engländer; der Andere schien von südlicherer Abstammung zu sein. Er mochte ungefähr zweiundzwanzig Jahre zählen und zeigte neben der Gestalt eines Adonis das offene, Vertrauen erweckende Gesicht eines Kindes.
»Der Alte macht ein sehr schlechtes Gesicht,« meinte der Erstere.
»Der einfache Empfang wird ihm nicht gefallen, und dieser Mericourt, von dem er sich so auffällig bevormunden und beeinflussen läßt, thut das Seine, um Oel in die Flamme zu gießen.«
»Du liebst den Rittmeister nicht, obgleich Ihr Landsleute seid.«
»Pah! Er ist ein Pariser, und ich bin ein Korse; wir gehen einander nichts an.«
»Noch mehr, Ihr haßt einander.«
»Meinetwegen!«
»Der Rittmeister kann Dir schaden.«
»Pah! Er ist ein Feigling, der seinen Rang nur seiner Schlauheit, nicht aber seiner Tapferkeit verdankt. Er war früher vielleicht Gamin, Flaneur oder Kommis voyageur und ist nach Indien gegangen, weil er es daheim zu nichts bringen konnte. Ich sage Dir, Harry, daß ich ihn noch einmal vor den Degen bekommen und dann sicherlich nicht schonen werde!«
»Er muß Dich wirklich ganz außerordentlich beleidigt haben!«
»Allerdings.«
»Darf man das Nähere erfahren?«
»Gern. Du weißt, daß ich in Kalkutta sehr viel im Hause des Majors Wilson verkehrte. Die Majorin sah mich gern bei sich, weil unsere Unterhaltung ihr Gelegenheit gab, sich im Französischen zu vervollkommnen. Sie ist eine Schönheit, aber wie ich bestätigen muß, eine Dame von der strengsten reinsten Moralität, und es ist zwischen uns nie ein Wort gefallen, welches ihr Gemahl nicht hätte hören dürfen; das darfst Du mir glauben.«
»Ich glaube es, denn ich kenne Dich,« bestätigte Harry im Tone der Ueberzeugung.
»Auch der Rittmeister kam. Er fand die Majorin schön, reizend, entzückend und suchte sich ihr zu nähern. Sie behandelte ihn kalt, zurückhaltend. Er wurde eifersüchtig auf mich und handelte, wie ein Mann von seinem Charakter zu handeln pflegt.«
»Mit Hinterlist?«
»Ja. Eines Tages fragte mich der Major nach der Ursache meines intimen Verkehres mit seiner Gemahlin. Ich war erstaunt. Es kam zum Wortwechsel, und er forderte mich. Mir war es nicht um den Hieb, welchen ich empfangen konnte, mir war es nur um die Ehre seines braven unschuldigen Weibes. Ich suchte ihn also zu beruhigen und von ihrer Unschuld zu überzeugen; es half nichts; ich mußte mich mit ihm schlagen. Er stach mir ein Loch in den Rockärmel, und ich zeichnete ihm einen Cirkumflex in das Gesicht. Dann vermied ich sein Haus. Auch der Rittmeister durfte sich dort nicht mehr sehen lassen. Das ist die Kugel, welche er sich gegossen hat; es wird die Zeit kommen, in welcher ich sie ihm vorschießen werde, und dann soll es ihm schwer werden sie zu verdauen.«
Dann laß nur mich mit dabei sein; auch ich gönne ihm alles Gute. Doch, hier sind wir am Palais des Rajah, und noch immer will sich kein Würdenträger sehen lassen!«
Der Andere lächelte fein.
»Der höchste Würdenträger hat sich bereits sehen lassen.«
»Du meinst den Haushofmeister?«
»Ja, oder vielmehr den Rajah selbst.«
»Ah, Du willst doch nicht etwa sagen, daß —«
»Natürlich! Ich will sagen, daß dieser Indier, welcher so still neben dem General reitet, kein Anderer ist als Madpur Sing selbst. Er ist ein Anderer als sein Vater war. Dieser hat sein Land durch seine Prunksucht beinahe aufgezehrt. Madpur Sing aber sucht es durch weise Sparsamkeit und Einfachheit wieder empor zu bringen. Wir finden keinen pompösen Empfang, weil er ein guter Fürst ist, nicht weil er uns nicht achtete. Die Ehre, daß er uns in eigener Person empfängt, ist größer als alles Andere.«
»So kennst Du ihn?«
»Ich habe mit ihm in Kalkutta gesprochen.«
»Ah, und dies erfahre ich erst jetzt?«
»Muß man mit seinen Bekanntschaften prahlen?«
»Er war in Kalkutta! So spricht er wohl auch etwas Englisch?«
»Er versteht und spricht es vollkommen.«
»O weh! Er hört ja jedes Wort, welches der General mit dem Rittmeister spricht.«
»Mir sehr gleichgiltig. Sie mögen die Augen auf- und den Mund zumachen, dann kommen sie nicht in solche Verlegenheiten!«
Der kleine Zug hielt vor dem Portale des Schlosses. Die Wachen, welche hier standen, warfen sich zur Erde nieder. Der General lächelte verächtlich; er glaubte, diese Ehrenbezeugung gelte ihm.
»Erlaube, daß ich Dich in das Zimmer des Rajah bringe,« meinte der Indier in der Sprache seines Landes.
»Mich und mein Gefolge.«
»Er wünscht Dich allein bei sich zu sehen.«
»Ich bin kein Paria, der allein gehen muß. Warum empfängt mich Dein Herr wie einen Teppichhändler?«
»Und wenn die Königin Deines Landes, wenn alle Könige der Erde kämen, er würde sie nicht anders empfangen. Er ist in Euren Ländern gewesen und hat sich gar nicht empfangen lassen. Komme allein zu ihm!«
»Ich komme mit meinem Gefolge oder gar nicht. Melde es ihm!«
»Er hat diesen Wunsch nur um Deinetwillen ausgesprochen. Doch, da Dein Wille nicht anders ist, so komm!«
Er führte den General und seine Begleiter durch mehrere prachtvolle Höfe nach einer breiten Granittreppe, die zu einer Säulenhalle von jener Architektonik führte, wie sie vor zwei Jahrtausenden in Indien zu finden war. Die zahlreichen Personen, denen sie begegneten, warfen sich alle schweigsam zu Boden und blieben liegen, bis sie vorüber waren.
»Hat ihnen Dein Gebieter befohlen, sich vor uns auf die Erde zu legen?«
»Das würde er ihnen nie befehlen. Sie fallen nieder aus Ehrfurcht nur für ihn.«
Der Engländer schien nicht begreifen zu können, daß diese Ehrenerweisung auch in der Abwesenheit des Fürsten vorgenommen werde. Er lächelte abermals verächtlich.
Die Säulenhalle war mit kostbaren Teppichen belegt. In ihrem Hintergrunde stand ein ganz aus Elfenbein gefertigter Thron, welcher einen liegenden Elephanten vorstellte. Zu beiden Seiten desselben standen vier Sklaven, welche aus Pfauenfedern gefertigte und mit kostbaren Perlen besetzte Wedel trugen, um dem Fürsten Kühlung zuzufächeln.
»Wie wünscht Dein Gebieter, daß wir uns stellen?«
»Stellt Euch, wie Ihr wollt, und thut ganz nach den Sitten Eures Landes!«
»Sage ihm, daß wir nicht vor ihm niederfallen werden, wie seine Sklaven.«
»Das fordert er auch gar nicht von Euch. Wie wollt Ihr mit ihm reden, in seiner oder in Eurer Sprache?«
»Spricht er denn Englisch?«
»Er spricht Englisch und auch Französisch.«
»So wird er aus Höflichkeit gegen seine Gäste Englisch mit uns sprechen.«
Ebenso könntet Ihr aus Höflichkeit gegen ihn in seiner Sprache mit ihm reden. Doch wird er sich freuen, höflicher sein zu dürfen als Ihr. Ihr könnt beginnen!«
»Wie? Beginnen? Er ist ja noch nicht da!«
»Er ist längst schon da und wird seinen Platz jetzt einnehmen.«
Der Sprecher bestieg den Thron und ließ sich auf demselben nieder. Die Engländer waren einigermaßen überrascht oder sogar verblüfft darüber, und nur Lieutenant Alphons sah, daß die Reihe zu lächeln jetzt an ihn gekommen sei. Der General sowohl als auch der Rittmeister erkannten jetzt, weshalb der Rajah den ersteren allein hatte empfangen wollen. Er hatte jedes ihrer Worte verstanden und sie vor den Ihrigen schonen wollen.
Die gegenwärtige Audienz war nur der allgemeinen Begrüssung gewidmet und nahm nicht lange Zeit in Anspruch. Die eigentlichen Verhandlungen sollten später gepflogen werden. Schon erhob sich der General von dem Divan, auf welchem er gesessen hatte, um anzudeuten, daß er nichts mehr zu sagen habe, als ihm der Rajah winkte.
»Ich werde noch eine Frage an Dich richten. Darf ich einen Offizier begrüßen, den ich kenne und welcher bei Dir ist?«
»Ich erlaube es ihm mit Dir zu sprechen.«
»Ah! Bin ich ein Gefangener, oder ist er Dein Gefangener, daß es erst Deiner Erlaubniß bedarf, wenn Madpur Sing, der König von Augh mit ihm reden will?«
Der General sah ein, welche Beleidigung er ausgesprochen hatte.
»Du verstehst mich falsch. Den Sinn, den Du aussprichst, haben meine Worte nicht gehabt. Welcher ist es, mit dem Du sprechen willst?«
»Du sagst, ich habe Deine Worte nicht verstanden; Du sprichst also, daß ich Deine Sprache nicht verstehe. Ich werde versuchen sie besser zu lernen und bitte Dich, mir Den, welchen ich sprechen will, zum Lehrmeister zu geben. Es ist der Lieutenant Alphons Maletti.«
»Maletti!« rief der General überrascht. Und dann gebot er mit scharfer, beinahe drohender Stimme: »Treten Sie vor!«
Alphons gehorchte. Er näherte sich dem Rajah, welcher ihm freundlich die Hand reichte.
»Wir haben uns in Kalkutta gesehen; ich liebe Dich und habe Dich nicht vergessen. Du sollst in meinen Gemächern wohnen und prüfen, ob ich Eure Sprache rede oder nicht. Erlaubst Du dies?« frug er, zum General gewendet.
»Ich erlaube es!«
So kannst Du jetzt mit Deinen Leuten gehen. Eure Wohnungen sind bereit. Meine Diener werden euch führen!«
Er stieg vom Throne, ergriff den Lieutenant bei der Hand und verschwand mit ihm hinter einem Vorhange.
Am Abende desselben Tages wurde Maletti zum General befohlen. Dieser saß bei seiner Hukah, und neben ihm stand der Rittmeister Mericourt, als Alphons eintrat. Der General gab dem Rittmeister einen Wink, worauf dieser begann:
»Herr Lieutenant, Sie kannten den Rajah?«
»Ja.«
»Wo lernten Sie ihn kennen?«
»In Kalkutta. Ich glaube, daß er dies in Ihrer Gegenwart bemerkte.«
»Wie oft verkehrten Sie mit ihm?«
»Einen Monat lang fast täglich.«
»Sie sprachen doch nicht von dieser für uns so wichtigen Bekanntschaft?«
»Madpur Sing war nach Kalkutta gekommen, um Studien zu machen. Er hielt sich deshalb inkognito, und ich mußte ihm mein Ehrenwort geben, dieses nicht zu verrathen.«
»Aber dann, als Ihnen das Ziel unserer Reise bekannt wurde, erforderte es Ihre Pflicht, den Schleier zu lüften.«
»Wie Sie es mit Ihrer Ehre halten, das ist Ihre Sache; meine Pflicht aber gebietet mir, niemals ein gegebenes Ehrenwort zu brechen.«
»Herr Lieutenant!«
»Herr Rittmeister!«
»Sie stehen vor Ihrem Vorgesetzten!«
»Allerdings, und dieser Vorgesetzte sitzt vor mir. Sie aber sind es nicht!«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, daß ich mit dem Herrn General, nicht aber mit Ihnen zu sprechen wünsche.«
»Der Herr General haben mich beauftragt, das Gespräch zu übernehmen. Ist dies nicht so, Excellenz?«
»Yes!« antwortete der Gefragte mit einem finstern Blick auf Maletti.
»Sie hören es!«
»Ich höre es. Da aber der Herr General sicherlich nicht unter Kuratel gestellt sind und auch jeder Untergebene das Recht hat, direkt mit seinem Vorgesetzten zu verkehren, falls derselbe gegenwärtig ist, so werde ich jetzt sprechen und antworten, um nur den allgemeinen Pflichten der Höflichkeit zu genügen, nicht aber, weil ich von dienstlichen Erfordernissen dazu gezwungen bin.«
»Alle Teufel, sprechen Sie kühn! Eine solche Rede verdient der Züchtigung. Nicht wahr, Herr General?«
»Yes!«
Malettis Augen leuchteten auf.
»Der Züchtigung? Wie meinen Sie das? Wer wird gezüchtigt? Sagen Sie das!«
»Wer es verdient hat!«
»So bin von uns Beiden ich dies jedenfalls nicht; dieser Gedanke beruhigt mich.«
»Herr Lieutenant!«
»Herr Rittmeister!«
»Der Herr General hat Sie rufen lassen, um Sie zur Rechenschaft darüber zu ziehen, daß Sie Ihre Bekanntschaft mit dem Rajah verschwiegen haben. Sie tragen die Schuld, daß uns ein so demüthigender Empfang geworden ist!«
»Ich! Pah! Ich habe keinem Menschen geboten, eine Unterhaltung in Gegenwart eines Mannes zu führen, welcher jedes Wort hören mußte und möglichen Falles auch jedes Wort verstehen konnte.«
»Mäßigen Sie sich! Sie hatten zu melden, wer der Mann sei, der uns empfing.«
»Ich kann meine Verpflichtung zu dieser Meldung nicht ersehen und bitte, die gegenwärtige Konferenz möglichst abzukürzen. Ich wurde für die jetzige Zeit zu dem Rajah gewünscht, dem ich leider den schwierigen Beweis zu liefern habe, daß er nicht englisch sprechen kann.«
»Sie haben zuvörderst zu bedenken, daß jetzt wir es sind, bei denen Sie gebraucht werden! Nicht wahr, Herr General?«
»Yes!«
»Ihre Verschwiegenheit ist ein Vergehen von solcher Tragweite, daß wir noch gar nicht im Stande sind, die Strafe zu bemessen, welche mit diesem Vergehen kongruent ist. Wir befinden uns jetzt, so zu sagen, nicht im Dienste, weshalb wir Sie gegenwärtig noch nicht bestrafen können, müssen uns aber doch Ihren Degen ausbitten, Herr Lieutenant. Nicht wahr, Herr General?«
»Yes!«
Maletti fuhr wirklich mit der Hand nach dem Degen, nicht aber um denselben abzugeben, sondern instinktiv, wie um den Beleidiger damit zu züchtigen. Das Blut fließt dem Korsen heiß und glühend durch die Adern, und er hat eine größere Empfindlichkeit und ein unendlicheres Gedächtniß für Beleidigungen, als mancher Andere. Man sah es ihm an, daß er seinen Zorn mit aller Gewalt niederkämpfte.
»Sind Sie damit fertig, mit dem was Sie mir zu sagen hatten, Herr Rittmeister?«
»Ja.«
»So werde auch ich gleich fertig sein! Ich soll Ihnen meinen Degen abgeben, weil ich mein Ehrenwort nicht brach. Ein solches Urtheil kann nur die Ehrlosigkeit selbst fällen —«
»Lieutenant!«
»Pah, spielen wir nicht Komödie! Sie können wohl Andere in einen Zweikampf verwickeln, besitzen aber nicht den Muth sich selbst zu schlagen. Sie verlangen meinen Degen. Wohlan, Sie sollen ihn haben, doch nicht so, wie Sie ihn wünschen, sondern wie ich Ihnen denselben geben will, nämlich mit dem Griffe in das Gesicht!«
»Das ist eine Beleidigung, welche bestraft werden muß, nicht wahr, Herr General?«
»Yes.«
»Bestraft? Sie verwechseln die Begriffe. Ein Vergehen wird bestraft, eine Beleidigung aber wird geahndet, mein Herr. Ihre Feigheit allerdings brächte es zu Stande, meinen Worten den Stempel eines dienstlichen Vergehens zu ertheilen, um nur nicht in die Lage zu kommen, sich mir bewaffnet entgegenstellen zu müssen. Doch das kann Ihnen leider nicht gelingen, da Sie soeben selbst gesagt haben, daß wir uns hier nicht im Dienste befinden. Sie betragen sich nicht nur rücksichtslos, ungerecht und feig, sondern auch unklug. Der Herr General ist mit Vollmachten versehen, gewisse schwierige Verhandlungen mit dem Maharajah von Augh anzuknüpfen; der Herr General weiß, daß der Rittmeister Mericourt den Rajah heut beleidigt hat; der Herr General hat gehört, daß der Rajah zu dem Lieutenant Maletti gesagt hat »ich habe Dich lieb!« Der Herr General bestraft aber den Lieutenant wegen dieser Liebe. Der Herr General mag nachdenken, wie ein solches Verfahren genannt werden muß und welches die geeignetste Person wäre, den Rajah seinen Plänen geneigt zu machen. Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte, und bitte mich zu verabschieden.«
»Sie sollen einstweilen gehen, müssen aber Ihren Degen zurücklassen! Nicht wahr, Herr General?«
»Yes!«
»Gut, meine Herren. Dieser Degen ist mein Privateigenthum, das ich nur dann von mir gebe, wenn ich es verkaufe oder verschenke. Ich bin Ihnen, Herr General, als Volontair beigegeben, und bitte, mich zu entlassen. Ich ersuche um meinen Abschied!«
»Den bekommen Sie nicht.«
»So nehme ich ihn mir.«
»Merken Sie wohl, das wird Desertion genannt; nicht wahr, Herr General?«
»Yes!«
»Wohlan, so lasse ich mich lieber als Deserteur erschießen, als daß ich mich für einen Wortbruch belohnen lasse. Ich erkläre, daß Ihnen meine Person in keiner Beziehung mehr zur Verfügung steht. Gute Nacht!«
Maletti ging. Das hatten die beiden Andern nicht gedacht. Der Lieutenant war trotz seiner Jugend ein kenntnißvoller, muthiger und sehr brauchbarer Offizier. War es ihm wirklich gelungen, sich die Freundschaft des Rajah zu erwerben, so stand ihm eine glänzende Karrière bevor und er konnte den Engländern ganz außerordentlich hinderlich werden. Das sagte sich auch der General, und darum meinte er:
»War dies nicht zu scharf, Rittmeister?«
»Nein. Dieser Mensch hat uns ungeheuren Schaden gemacht. Denken Sie sich, welche Avantagen wir hatten, wenn wir gewußt hätten, daß der Rajah in Kalkutta sei. Wir konnten in Güte und mit List auf ihn einwirken, wir konnten ihn andernfalls in Angelegenheiten verwickeln, welche uns das Recht gaben, ihn festzuhalten; wir konnten – soll ich wirklich Alles herzählen, was wir konnten? Ich bin überzeugt, daß ich gegen den Lieutenant vollständig gerecht gehandelt habe. Nicht wahr, Herr General?«
»Yes!«
»Aber was nun thun? Er wird den Rajah bearbeiten und ihn bestimmen, unsere Vorschläge zurückzuweisen!«
Jetzt bequemte sich der General endlich zu einer längeren Rede.
»Das ist es ja, was wir wünschen!«
»Ah! Ist es möglich?«
»Ich kenne meine Instruktionen. Das Königreich Augh wird unser.«
»Alle Teufel, also darum die heimlichen Rüstungen; darum diese hastige Konzentration des verfügbaren Militärs an die Gangesstationen, und darum diese Anhäufung von Transportmaterial am untern Flusse?«
»Yes!«
»Sie sollen verhandeln, um nachweisen zu können, daß nur der Rajah es ist, der den Krieg heraufbeschworen hat, aber Sie sollen so verhandeln, daß man ein Resultat erzielt, welches zum Kriege ermächtigt.«
»Yes!«
»Höchst interessant! Dieser Lieutenant Maletti dient also zur Förderung unserer Interessen, anstatt dieselben zu schädigen. Ich werde ihn noch ein wenig beleidigen, aber nicht in dienstlicher Weise, sondern auf meine Privatrechnung hin. Geben Sie mir die Erlaubniß dazu, Herr General?«
»Yes!«
»So bin ich im Stande, Ihnen die glückliche Lösung unserer Aufgabe zu garantiren.«
Vor Freude darüber ließ sich der wortkarge General zu einer weiteren rednerischen Anstrengung hinreißen:
»Haben Sie das im Auge, daß unsere Abreise gleich einer Kriegserklärung gilt. Der Maharajah ist auf Feindseligkeiten keineswegs vorbereitet, er kann uns keinen nennenswerthen Widerstand leisten, und wenn drei oder vier Tage nach unserem Aufbruche von hier unsere Truppen in sein Gebiet einrücken, so muß er fliehen oder untergehen. Weitere andere Wege sind nicht denkbar.«
»Wer wird den Oberbefehl über die Okkupationsarmee erhalten? Ich vermuthe, daß man Sie selbst dabei in das Auge genommen hat. Nicht, Herr General?«
»Yes!«
»Darf ich dann bitten, eine Schwadron übernehmen zu dürfen?«
»Yes!«
»Ich danke! Es soll mein Bestreben sein, mir Ruhm und Ihre Anerkennung zu erwerben.«
»Und schwere Beute!« meinte der General mit sarkastischem Lächeln. »Jetzt aber will ich zur Ruhe gehen. Gute Nacht, Rittmeister!«
»Gute Nacht, Herr General!«
Der Rittmeister ging, er trug in seinem Herzen das stolze Bewußtsein, ein Mann zu sein, der seinen höchsten Vorgesetzten zu lenken und zu regieren verstehe. Und der General suchte sein reiches üppiges Lager auf mit der Ueberzeugung, daß der Abenteurer ein sehr selbstbewußtes aber gerade deshalb brauchbares Werkzeug für ihn sei, welches man abnutzen und dann fallen lassen werde.
Hinter dem Palaste des Maharajah dehnte sich ein ungeheurer Garten, welcher mit seiner hinteren Seite an den Ganges stieß. Er war in zwei ungleiche Hälften getheilt, deren kleinere für die Frauen des königlichen Harems bestimmt war.
Kurz nach der bei dem General stattgefundenen Unterredung gingen zwei Männer in der größeren Hälfte des Gartens spazieren. Es war der Rajah und sein oberster Minister.
»Du irrst, Tamu,« meinte der erstere. »Diese Engländer kommen nicht in friedlicher Absicht. Was wollen sie in Gibraltar, auf Malta, auf dem Kap, in Amerika, China und Japan? Was wollen sie in Indien? Brauchen wir sie? Wenn wir sie brauchten, würden wir sie rufen. Aber, haben wir sie gerufen? Wo sie hinkamen, flossen Ströme von Blut. Es wird auch hier fließen.«
»Nein, es wird keines fließen. Sie kommen, um ein Bündniß mit Dir abzuschließen gegen Deine Feinde und die ihrigen.«
»Ich brauche dieses Bündniß nicht. Ich bin mächtig genug, um meine Feinde zu besiegen, wenn ich welche hätte; aber ich habe keine. Ich regiere mein Volk in Liebe, und ich bin freundlich und gerecht mit meinen Nachbarn.«
»Die Engländer werden Dir beweisen, daß Du Feinde hast.«
»Sie können es nicht beweisen.«
»Sie werden Dir sagen, was ihnen Deine Nachbarn für Vorschläge gemacht und für Rathschläge gegeben haben.«
»Das werden sie lügen.«
»Sie werden Dich überzeugen.«
»Haben Sie Dich schon überzeugt?«
»Ja.«
»Mit ihrem Golde.«
»Sahib, Du weißt, daß ich der treuste Deiner Diener bin!«
»Ich weiß, daß Du ein Mensch bist, und daß Du in Deinem Hause viel brauchst.«
»Sahib, nimm Deinen Dolch und stoße ihn mir in das Herz; ich werde unschuldig sterben.«
»Unschuldig sollst Du nicht sterben. Dieser Dolch ist nur dann für Dich, wenn Du schuldig bist, dann aber, Tamu, wird er Dich so sicher treffen, wie er hier diesen Farren trifft!«
Er durchfuhr mit seinem haarscharfen Kris die Luft und fällte mit demselben einen Baumfarren, dessen Schaft die Stärke eines Armes hatte. Dann fuhr er fort:
»Du hast mit dem General gesprochen?«
»Nicht mit ihm, sondern mit dem Franzosen.«
»Aber der General war dabei?«
»Nein. Der Franzose war allein bei mir.«
»Der General ist ein listiger Schakal. Er spricht nicht selbst, um alle Folgen auf seinen Diener zu werfen. Und dieser kennt die Gefahr nicht, die ihm droht. Warum verhandelt er nicht selbst mit Dir?«
»Du verhandelst auch nicht selbst mit ihm, Sahib. Ich spreche für Dich, und sein Diener spricht für ihn.«
»Das ist falsch, Tamu. Ich habe zu verhandeln mit der Regierung dieser Engländer. Der General spricht für diese Regierung, und Du sprichst für mich. So ist es richtig. Wenn Dir der General den Franken schickt, so beleidigt er mich. Du sollst nie wieder mit dem Franken reden. Sage das dem Generale. Ich gebiete Dir dieses ganz ausdrücklich!«
Der Minister blickte vor sich nieder.
»Sihdi, einst besaß ich Dein ganzes Vertrauen, jetzt aber besitze ich es nicht mehr!«
»Tamu, einst besaß ich Deine ganze Treue, jetzt besitze ich sie nicht mehr! Ich sage Dir dies weil ich Dich liebe. Du dientest meinem Vater und solltest auch mir dienen bis an meinen oder Deinen Tod. Wenn ich Dich nicht liebte, würde ich schweigen; ich zeige Dir aber meine Trauer um Dich, damit Du umkehrest und wieder mein Freund werdest. Gehe jetzt heim und sprich mit Deinem Gewissen. Es wird Dir den rechten Rath ertheilen!«
Der Minister verbeugte sich und ging. Eben als er in den Palast treten wollte, tauchte eine Gestalt vor ihm auf. Es war der Rittmeister.
»Nun, Du hast mit dem Rajah gesprochen?«
»Ja.«
»Was sagte er?«
»Er trauert.«
»Warum?«
»Weil er ahnt, daß ich Euer Freund geworden bin.«
»Und Du trauerst mit?«
»Nein. Ich habe seinem Vater treu gedient, denn er wußte meine Treue zu belohnen. Dieser aber mästet seine Unterthanen und läßt seine Minister hungern. Verdopple die Summe, welche Du mir geboten hast, und das Königreich Augh ist Euer!«
»Darüber muß man noch sprechen. Doch jetzt komm, es ist hier nicht der geeignete Ort zu solchen Geschäften. Diese Muskatbäume könnten Ohren beherbergen, die uns gefährlich sind.«
Sie verschwanden unter den Säulen.
Der Maharajah war tiefer in den Garten hineingegangen und hatte sich dann hinüber nach der für die Frauen bestimmten Abtheilung gewendet. Er erreichte einen in arabischem Stile erbauten Kiosk, welchen ein aus dem Ganges abgeleiteter kleiner Kanal von drei Seiten umfloß, um Denen, welche darin Ruhe und Erholung suchten, die Gluth der indischen Sonne durch die Verdampfung des Wassers zu kühlen. Einige Stufen führten zum Eingange empor. Er stieg hinan, bis er einen Vorhang erreichte, welcher aus den feinsten Kaschmirgespinnsten bestand. Hier schlug er leicht die Hände zusammen.
»Rabbadah!«
»Wer ist es?« frug eine weibliche Stimme von innen.
»Dein Bruder. Darf ich eintreten?«
»Komm herein, mein Lieber!«
Er schob den Vorhang zur Seite und trat ein. Er befand sich in einem kleinen, achteckigen Gemache, welches mit einem Luxus ausgestattet war, den nur ein orientalischer Fürst erdenken und bestreiten kann. Auf dem reichen schwellenden Sammetpolster ruhte ein Wesen, welches aus dem Himmel Muhammeds herniedergestiegen zu sein schien, um die süßesten und entzückendsten Begriffe und Vorstellungen der Schönheit und Liebe zu verkörpern. Auch ein Meister aller Meister unter den Malern hätte nicht vermocht, diese Schönheit auf die Leinwand zu zaubern, und kein Dichter, selbst kein Hafis hätte vermocht, dieses Götterbild gebührend zu besingen, und wäre der Rajah nicht ihr Bruder gewesen, er wäre vor ihr niedergesunken, um ihr sein Königreich für ihre Liebe anzubieten.
Sie empfing ihn mit einem holdseligen Lächeln und reichte ihm die Hand entgegen.
»Willkommen, mein Freund. Schon wieder sehe ich Wolken auf Deiner Stirn.«
»Sie werden wohl niemals wieder vergehen!«
»Hat die Hand Deiner Schwester ihre Macht verloren? Hat sie Dir nicht stets geholfen?«
»Ja. Wenn mein Herz bekümmert war, kam ich zu Dir, und Du machtest mich wieder fröhlich, fröhlicher, als es eine meiner Frauen vermocht hätte; denn Du gabst mir nicht nur Liebe, sondern auch den Rath, der mir immer der Beste war.«
»So ist mein Rath jetzt nicht mehr so gut und heilsam wie vorher, mein Bruder?«
»Er ist noch so, Rabbadah, aber die Gefahren, welche mich umschweben, sind größer als die früheren.«
2
Wasserpfeife.