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5. Kapitel

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An dem Ort, von dem hier die Rede war, nämlich in Schloß Rodriganda, herrschte heute eine tiefe Stille. Der Graf hatte befohlen, daß sich jedermann der möglichsten Ruhe befleißigen sollte, da er sich sehr angegriffen fühle.

Niemand befolgte diesen Befehl so genau wie der alte Kastellan Juan Alimpo. Er schlich auf den Fußzehen wie eine Katze die Treppen auf und ab, er huschte unhörbar wie ein Schatten über die Korridore, und selbst in seiner Wohnung, die von der des Grafen so entfernt lag, daß selbst der größte Lärm nicht zu dem Gebieter hätte dringen können, schwebte er so lautlos hin und her, als verstehe er die Kunst, den Boden nicht zu berühren.

Dieser großen Kunst befleißigte sich auch seine Gattin Elvira, aber mit nicht so großem Erfolg. Denn während der Kastellan ein sehr kleines und dürres Männlein war, besaß Frau Elvira eine geradezu erstaunliche Körperfülle. Ihr Umfang war wohl ebenso groß wie ihre Höhe, und sie, allein auf einer Waagschale, hätte sicher fünf Alimpos emporgeschnellt. Ihr Vollmondgesicht glänzte vor Zufriedenheit; ihr Auge lachte vor Güte; ihr Mund war stets zu einem guten Wort bereit, und da ihr teurer Juan trotz aller körperlichen Verschiedenheit ganz dieselben seelischen Eigenschaften besaß wie sie, so lebten sie wie Tauber und Täubchen, und es hatte noch kein Mensch ein einziges schroffes Wort gehört, das zwischen ihnen gefallen wäre.

Jetzt aber war der Kastellan mit der Zusammensetzung eines kostbaren Schreibzeugs beschäftigt, und seine Ehefrau besserte die aufgedrehte Troddel eines prächtigen Teppichs aus. Dabei unterhielten sie sich so leise, als ob der kranke Graf sich in ihrer unmittelbaren Nähe befinde.

»Meinst du wohl, Elvira, daß dieses Schreibzeug ihm gefallen wird?« fragte der Kastellan. – »Sehr gut! Und was, Alimpo, glaubst du, daß er zu diesem Teppich sagt?« – »Sehr schön, wird er sagen!« – »Ja, wir suchen für ihn das Beste hervor!« – »Er ist‘s auch wert, Elvira!« – »Natürlich! Er ist so gut!« – »So bescheiden!« – »So klug und gelehrt!« – »Und so schön, Alimpo!« – »Das mag wohl sein. Euch Frauen fällt das gleich auf, ich aber verstehe mich darauf nicht. Aber das weiß ich, daß ich ihn lieb habe und doch zugleich einen gewaltigen Respekt vor ihm empfinde. Nicht, Elvira?« – »Ja. Mir geht es ebenso. Ich möchte ihm alles an den Augen absehen, und doch kommt er mir so hoch, so stolz und vornehm vor, als ob er ein Graf, ein Prinz oder gar ein Herzog sei.« – »Der gnädige Herr hat ihn auch gar lieb.« – »Ebenso die gnädige Condesa. Aber diese anderen, die Ärzte, oh, Alimpo, die gefallen mir gar nicht.« – »Mir noch weniger. Ich wünsche keinem Menschen, daß ihn der Teufel holen möge, diese drei Kerle aber könnte er immer einmal holen. Meinst du nicht auch, Elvira?« – »Ja, gewiß bin ich deiner Ansicht Sie hätten den gnädigen Herrn totgemacht, wenn unser Señor nicht dazugekommen wäre; darauf kannst du dich verlassen, Alimpo!« – »Und was sagst du zu dem jungen Herrn, Elvira?« – »Hm, da muß man vorsichtig sein! Welche Meinung hast denn du?« – »Ja, da muß man sehr vorsichtig sein. Ich meine – hm, ich meine – daß ihn der Teufel – hm ja, daß ihn der Teufel auch so einmal holen könne, gerade wie die Ärzte!« – »Ei, ei, Alimpo!« drohte die Kastellanin. »So darf man nicht von dem jungen Herrn Grafen sprechen! Das ist sehr respektlos, obgleich auch ich nicht das mindeste dagegen hätte. Dieser junge Graf Alfonzo gefällt mir ganz und gar nicht Er sieht gar nicht aus wie ein richtiger Graf!« – »Nein. Er sieht seinem Vater, unserem gnädigen Herrn, nicht ähnlich. Hast du das nicht auch bereits bemerkt?« – »O ja! Und weißt du, wem er ähnlich sieht?« – »Nun?« – »Diesem alten Señor Cortejo, dem Notar.« – »Ich dachte, du würdest sagen, daß er der Schwester Clarissa ähnlich sieht«

Die gute Elvira machte zuerst ein sehr erstauntes Gesicht; dann sann sie ein wenig nach und entgegnete:

»Wahrhaftig, du hast recht, Alimpo! Auch dieser frommen Schwester Clarissa sieht er ähnlich. Es ist gerade, als wenn der Notar und die Schwester seine Eltern wären! Ist das nicht sehr merkwürdig, mein lieber Alimpo?« – »Ja, allerdings«, stimmte er bei. »Aber ich bin mit meinem Schreibzeug nun fertig geworden.« – »Und ich mit dem Teppich auch. Wollen wir die Sachen jetzt in das Zimmer unseres Doktors tragen?« – »Ich denke, ja.« – »Nun, so komm!«

Sie traten hinaus auf den Korridor und kamen gerade zur rechten Zeit, um die drei spanischen Ärzte zu sehen, die den Weg nach den Gemächern des Grafen Emanuel eingeschlagen hatten.

Diese drei Herren zeigten sehr ernste, feierliche Mienen. Als sie das Vorzimmer erreichten, fragte Doktor Francas den daselbst anwesenden Diener:

»Wir hören, daß Seine Erlaucht, der gnädige Graf, unwohl sind?« – »Allerdings«, antwortete der Gefragte. – »Wir wünschen ihn zu sprechen.« – »Der gnädige Herr haben jeden Besuch streng untersagt.« – »Auch den unsrigen?« – »Es ist ein Name überhaupt nicht genannt worden.« – »Nun, so melden Sie uns.« – »Ich möchte es nicht wagen.« – »Warum nicht? Wenn Seine Erlaucht krank sind, so sind wir als Ärzte doch da, ihm unsere Hilfe zu bringen.« – »Ich möchte dennoch von einer Meldung absehen«, versetzte der Diener mit höflichem Ton. »Ich habe den Befehl des gnädigen Herrn zu respektieren.« – »Und den unsrigen auch!« bemerkte der Arzt in strengem Ton. »Wo es einen Kranken gibt, da ist stets der Arzt der Befehlende.« – »Das habe ich auch geglaubt, Señor; aber ich bin eines Besseren belehrt.« – »Wie denn? Durch wen?« – »Zunächst durch Herrn Doktor Sternau und dann durch den gnädigen Herrn selbst. Sie gaben mir, als Sie die Operation vornehmen wollten, den Befehl, keinen Menschen und auch die gnädige Condesa nicht einzulassen, ich gehorchte Ihnen und habe einen Verweis erhalten, wie er mir noch niemals gegeben wurde.« – »Daran sind Sie selbst schuld; hätten Sie die Condesa und diesen brutalen Fremden mit Gewalt abgewehrt, so wäre der ganze unangenehme Fall nicht passiert. Also, melden Sie uns oder nicht?«

Der Diener zögerte einige Sekunden, dann antwortete er: »Nun wohl, ich will es wagen!«

Er trat in das Gemach nebenan und kehrte bald darauf mit dem Bescheid zurück, daß die Señores eintreten dürften.

»Sehen Sie!« meinte Francas triumphierend, »Ich ersuche Sie also, in Zukunft höflicher mit uns zu sein!«

Der Diener öffnete ihnen die Tür und machte, als sie eingetreten waren, hinter ihnen eine Pantomime, die nichts weniger als Achtung und Höflichkeit ausdrückte.

Der Graf befand sich in demselben Zimmer, in dem einige Tage vorher die Operation hatte vorgenommen werden sollen. Er lag in einem mit Samt gepolsterten Ruhestuhl und trug ein bequemes Morgenhabit. Sein Aussehen war allerdings ein angegriffenes, keineswegs aber ein leidendes zu nennen.

Die drei Herren verbeugten sich tief vor ihm, obgleich er von dieser Verbeugung nichts sehen konnte. Der Graf winkte ihnen leicht zu, deutete ihnen durch eine Handbewegung an, sich zu setzen, und begann:

»Señores, Ihr habt wohl gehört, daß ich Ruhe begehre. Wenn ich Euch trotzdem hier empfange, so mag Euch das ein Beweis meiner freundschaftlichen Gesinnung sein. Was wünscht Ihr, mir zu sagen?«

Francas erhob sich von seinem Sitz und entgegnete:

»Erlauchtester Graf, es treibt uns nichts als die Sorge um Ihr Wohlbefinden zu Ihnen. Wir hörten allerdings, daß Sie die äußerste Stille anbefohlen hätten, und da wir daraus auf eine Verschlimmerung Ihres so besorgniserregenden Zustands schließen mußten, so eilten wir herbei, um, wie es uns die Pflicht gebietet Ihnen mit unserem ärztlichen Rat zur Seite zu stehen.« – »Ich danke Euch!« erwiderte der Graf in seinem höflichsten Ton. »Ich fühle mich zwar matt, sonst aber scheint mir ein Grund zu wirklicher Besorgnis nicht vorhanden zu sein.« – »Gnädigster Herr«, fiel da Doktor Milanos aus Cordova ein, »oft hält der Leidende seinen Zustand für ungefährlich, während doch gerade das Gegenteil davon der Fall ist. Nur der Arzt erkennt, welcher Art das Befinden seines Patienten ist« – »Ihr mögt recht haben«, antwortete der Graf mit einem leisen Lächeln. »Auch ich enthalte mich aller eigenmächtigen Beurteilung meines Zustands und akzeptiere nur die ärztliche Ansicht. Señor Doktor Sternau aber hat mir versichert, daß ich nichts zu befürchten habe, und nach Eurer eigenen Meinung muß ich ihm als Arzt doch Glauben schenken.«

Die drei Herren wechselten miteinander einen Blick, der die allergrößte Indignation ausdrückte, und Francas sagte mit finsterem Stirnrunzeln:

»Dieser fremde Señor Sternau? Erlaucht, mein werter Kollege, Señor Cielli hier, hat die Ehre gehabt, viele Jahre lang Ihr Hausarzt zu sein und während dieser Zeit Ihr vollständiges Vertrauen zu genießen. Auch wir beiden anderen sind Ihrem ebenso ehren- wie vertrauensvollen Ruf gefolgt, um Sie von einem Leiden zu befreien, das Ihnen den sicheren Tod bringt, wenn es nicht durch schnellste Anwendung energischer Maßregeln gehoben wird. Wir vertreten die ärztliche Kunst und Geschicklichkeit unseres Vaterlands; wir sind bereit, Ihnen das Leben zu retten, und wenn ein vollständig fremder, obskurer Medikaster zu Ihnen kommt, vertrauen Sie ihm mehr als uns und beachten es nicht, daß Sie dieses Verhalten mit Ihrem kostbaren Leben bezahlen werden. Bedenken Sie, Erlaucht, daß in uns alle Vertreter der ärztlichen Wissenschaft in Spanien beleidigt werden!« – »Señores«, erklärte der Graf, »Ihr geht zu weit! Doktor Sternau ist hier allerdings ein Fremder, doch einen obskuren Medikaster darf ihn niemand nennen. Er ist einer der hervorragendsten Jünger seiner Kunst, wie ich mich vollständig überzeugt habe. Er hat die berühmtesten Universitäten seines Vaterlands mit Ehren absolviert und bei den geachtetsten Ärzten assistiert. Dann hat er mehrere Erdteile bereist, um die Schätze seines Wissens zu vermehren, und ist nach seiner Rückkehr bei Professor Letourbier in Paris, den alle Welt als den bedeutendsten Chirurgen Frankreichs anerkennt, eingetreten, um seine Anschauungen und Erfahrungen zu verwerten.« – »Das hat er wohl selbst erzählt?« meinte Cielli in wegwerfendem Ton. – »Ihr irrt Euch! Señor Sternau besitzt zu viel wahre Bildung, als daß er von sich redet. Meine Tochter hat in der ärztlichen Abteilung Bücher gefunden, die er geschrieben hat, und eine ganze Reihe von ärztlichen Zeitschriften, in denen von seinen Kenntnissen und Erfolgen in der lobendsten Weise die Rede ist. Ein jeder Arzt, der sich bemüht, der Entwicklung seiner Wissenschaft zu folgen, muß den Namen Sternau kennen. Wer allerdings bequem und gegen seine Patienten gewissenlos genug ist, auf dem alten, fehlervollen Standpunkt zu beharren, wer sich für so untrüglich hält, daß er es verschmäht, die Literatur zu studieren, in der die segensreichen und oft staunenswerten Erfolge der neueren Forschung niedergelegt sind, der wird die Namen wissenschaftlicher Kapazitäten und Heroen niemals kennenlernen.«

Bei diesen Worten konnte keiner der drei Ärzte eine Bewegung des Zornes unterdrücken, und Doktor Francas fragte:

»Erlaucht, haben wir die Worte ›bequem‹ und ›gewissenlos‹ vielleicht auf uns zu beziehen?« – »Nein«, antwortete der Graf mit höflicher Gelassenheit. »Ich spreche im allgemeinen und hielt allerdings Euch gegenüber es für meine Pflicht, den Ausdruck ›obskurer Medikaster‹ zu berichtigen, da Señor Sternau nicht anwesend ist und sich also nicht selbst verteidigen kann.« – »So stellen wir uns mit dieser Erklärung zufrieden, Don Emanuel«, bemerkte Milanos. »Wir wissen sehr genau, daß nicht ein jeder, der ein ärztliches Buch verfaßt, ein ärztlicher Heros sein muß, und beziehen dies gerade ganz strikt auf diesen Doktor Sternau. Wir dürfen uns rühmen, durch ganz Spanien einen Ruf zu besitzen, an dem niemand, am allerwenigsten ein Fremder, zu rütteln vermag. Wenn wir uns demnach herabgelassen haben, die fehlerhafte Prognose des Señor Sternau zu kritisieren, so geschah dies aus Teilnahme für Eure Erlaucht, nicht aber etwa, weil wir meinen, daß er auf derselben wissenschaftlichen Stufe stehe wie wir. Wir erklären nochmals mit aller Überzeugung und Entschiedenheit, daß Ihr Leben nur durch einen schleunigen Schnitt gerettet werden kann, daß aber die Operation mittels des Zangenbohrers Ihren augenblicklichen Tod zur Folge haben muß.« – »Ist das Eure feste Überzeugung, Señores?« fragte der Graf sehr ernst. – »Ja«, antworteten alle drei.

Da tastete er nach einem kleinen Schächtelchen, das neben ihm auf dem Tisch lag, öffnete es und reichte es ihnen hin.

»Dann, bitte, nehmen Sie einen Einblick in den Inhalt dieses Etuis«, sagte er lächelnd.

Francas griff darnach, unterwarf den Gegenstand einer kurzen, oberflächlichen Untersuchung und gab das Etui an Cielli weiten

»Ein Pulver«, sagte er wegwerfend. »Wenn Señor Sternau glaubt, Ihr Leiden durch eine innerliche Behandlung mit Pulvern und Tinkturen zu heben, so hat er sich damit selbst sein Urteil gesprochen.« – »Ihr irrt! Dieses Pulver soll nicht in das Innere meines Körpers kommen, sondern es ist aus demselben herausgenommen worden.« – »Ah!« rief Francas. – »Ja, Señores! Heute in der Frühe hat Doktor Sternau mit der Zermalmung des Steins begonnen, und dieses Pulver ist der sichtbare Erfolg seiner Bemühung. Ihr seht übrigens, daß ich nicht tot bin.«

Die drei Männer machten verlegene Gesichter, was der Graf aber infolge seiner Blindheit nicht bemerken konnte. Francas faßte sich schnell und fragte:

»Sind Eure Erlaucht auch wirklich überzeugt, daß dieses Pulver einen zermalmten Stein darstellt?«

Da machte der Graf eine Bewegung größten Unmuts und rief: »Señor, glaubt Ihr etwa, Doktor Sternau sei ein Betrüger, ein Escamoteur? Das wäre ein unwürdiges Verhalten, mit dem Ihr nur Euch selbst schaden würdet! Ich habe gefühlt, wie er den Stein packte. Ich habe das Knirschen desselben gehört, als der Bohrer sich zu drehen begann, und ich fühle selbst jetzt die Reste des Pulvers von mir weichen.« – »Aber die Schmerzen, die Eure Durchlaucht auszustehen haben!« lenkte Francas ein. – »Schmerzen? Sie sind nicht von Bedeutung! Die Applikation des Bohrers war bereits vorbereitet und hat mir nur das Gefühl einer nicht angenehmen Ausdehnung verursacht; die Anbohrung des Steins war sehr wenig schmerzhaft, und die einzigen, wirklichen Schmerzen, die ich erst jetzt empfinde, bestehen nur in jenem einfachen Weg, das man bei jeder Affektion der Wasserwege empfindet!« – »Aber die anhaltende Dauer dieser Schmerzen!« – »Ich fühle und bin überzeugt, daß ich sie ertragen werde. Señor Sternau besitzt mein vollständiges Vertrauen! Er hat mir heute bewiesen, daß seine Art zu operieren bei weitem nicht die Gefahr in sich schließt, wie diejenige, die mir von Euch vorgeschlagen wurde. Ich glaube nun auch seiner Versicherung, daß die Blindheit meiner Augen heilbar sei. Señores, laßt Euch ein Wort sagen! Doktor Sternau hatte die Absicht, nur unter Eurem Beirat zu handeln, ist aber durch Eure Schroffheit zurückgestoßen worden. Er ist trotz seiner Jugend der Mann, von dem selbst erfahrene Männer lernen können. Schließt ihm Euch an, und dann soll es mir lieb sein, auf Euren Rat hören und ihn berücksichtigen zu können.«

Da streckte Francas beide Hände wie zur Abwehr aus und sagte:

»Ich danke, Erlaucht! Es kann nicht meine Absicht sein, zu einem Mann in die Schule zu gehen, der selbst der Schule noch nicht entwachsen ist. Schenken Sie ihm mehr Vertrauen als uns, so können wir ja nichts dagegen tun, aber entgehen wenigstens können wir der Zumutung, uns als Schüler betrachten zu lassen. Ich bitte um die Erlaubnis, nach Madrid zurückkehren zu können.« – »Auch ich werde noch heute wieder nach Cordova gehen, wo man mich kennt und mir vertraut«, bemerkte Milanos in stolzem, selbstbewußtem Ton. – »Und ich«, fügte Cielli bei, »bitte Eure Erlaucht, mich von meiner Stellung als Hausarzt zu entheben. Vielleicht ist Señor Sternau bereit, die dadurch entstehende Lücke auszufüllen.« – »Das ist ja eine Attacke, der ich als einzelner, so überlegenen Kräften gegenüber, gar nicht widerstehen kann«, meinte der Graf mit seinem ruhigen Lächeln. »Schloß Rodriganda steht Euch jederzeit gastlich offen; wenn Ihr aber so stürmisch fort verlangt, so darf ich Euch allerdings denen nicht entziehen, die Euren Rat und Eure Hilfe nicht entbehren können. Legt meinem Rentmeister Eure Rechnungen vor und nehmt meinen herzlichsten Dank für das Wohlwollen, mit dem Ihr Euch meiner Krankheit angenommen habt« – »Den Dank haben wir bereits erhalten, Don Emanuel«, sagte Francas scharf. »Werden Sie die Güte haben, diesen Besuch gleich auch als Abschiedsvisite gelten zu lassen?« – »Dieser Wunsch ist auch mir genehm«, antwortete der Graf.»Reist mit Gott, Señores!«

Die Ärzte verbeugten sich und schritten hinaus. Draußen im Nebenzimmer aber blieben sie ganz unwillkürlich stehen, um sich anzublicken.

»Es ist aus!« meinte Francas. – »Leider«, fügte Milanos hinzu. – »Geschlagen!« zürnte Cielli. »Geschlagen von einem solchen Menschen!« – »Pah, noch nicht!« sagte Francas. »Wir reisen zwar ab, aber ich bin überzeugt daß wir zurückgerufen werden!«

Sie schritten durch das Vorzimmer mit einer keineswegs siegesstolzen Miene an dem Diener vorüber und trennten sich draußen, um sich in ihre Zimmer zu begeben.

Als Francas sein Zimmer betrat, fand er es nicht leer. Graf Alfonzo nebst dem Notar und der frommen Schwester hatten ihn hier erwartet.

»Nun, gelungen?« fragte der erstere. – »Ja«, antwortete der Gefragte barsch. – »Gott sei Dank!« – »Spart Euren Dank für spätere Zeit, Graf!« meinte der Arzt »Gelungen ist es allerdings, aber nicht uns!« – »Ah!« – »Nein, sondern diesem Sternau.« – »Wirklich?« fuhr der Notar auf. »Der Teufel soll ihn holen!« – »Aber sehr bald, sonst bin ich nicht mehr da!« lachte der Doktor ergrimmt. – »Ihr wollt abreisen?« fragte die Schwester erschrocken. – »Ja. Wir haben den Abschied erhalten und sollen dem Rentmeister unsere Rechnungen vorlegen.« – »Das ist ja außerordentlich! Das ist ja mehr als unhöflich! Das ist ja förmlich zur Tür hinausgeworfen!« meinte der Notar. »Ihr werdet nicht gehen!« – »Nicht? Meint Ihr? Da befindet Ihr Euch im Irrtum. Doktor Francas hat nicht nötig, einem halsstarrigen Patienten seine Hilfe aufzuzwingen.« – »Ihr sollt sie nicht aufzwingen, Señor, sondern der Graf selbst wird Euch ersuchen, noch länger hierzubleiben.« – »Möglich. Aber wie wollt Ihr ihn dazu veranlassen?« – »Es wird Euch das nur einen kleinen Wink kosten. Aber vor allen Dingen erzählt uns Euer Gespräch mit dem Grafen.« – »Das war kurz und bündig. Es ist aus allem zu ersehen, daß er uns den Abschied erteilt hätte, falls wir nicht so klug gewesen wären, ihn zu fordern.«

Er erzählte.

Graf Alfonzo hatte bis jetzt kein Wort weiter gesagt. Er stand mit finsterer Miene am Fenster. Aber als der Arzt geendet hatte, wandte er sich zu den anderen herum und rief:

»Die Operation hat also begonnen? Wirklich?« – »Ja, ohne unser Vorwissen! Dieser Sternau zahlt uns mit unserer eigenen Münze.« – »Ihr glaubt, daß die Entfernung des Steins gelingt, Señor Francas?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »Das darf nicht geschehen, das muß verhindert werden!« – »Wie wollen Sie es verhindern, Don Alfonzo?« fragte der Arzt mit einem lauernden Blick. – »Señor Cortejo wird es übernehmen.« – »Ja, ich werde es übernehmen, und es wird mir gelingen«, antwortete dieser mit entschlossener Miene. – »Ja, unser guter Señor Gasparino wird dies besorgen«, meinte zustimmend Schwester Clarissa. »Dieser fremde Eindringling wird uns keinen weiteren Schaden bereiten. Er darf die Wege der Vorsehung nicht kreuzen, und der Zorn Gottes wird sein freches Haupt zerschmettern!« – »Doktor, wollt Ihr Euch entschließen, nur noch einen Tag auf Rodriganda zu verweilen?« – »Warum?« fragte Francas den Notar, der diese Frage ausgesprochen hatte. – »Weil ich überzeugt bin, daß der Graf morgen froh sein wird, wenn er erfährt, daß Ihr noch anwesend seid.« – »Könnt Ihr mir dies versprechen?« – »Ja.« – »Nun wohl, ich bleibe, aber nur bis morgen früh. Bin ich dann noch nicht zum längeren Verweilen aufgefordert worden, so reise ich ab.« – »Habt keine Sorge und verlaßt Euch ganz auf mich!« meinte Cortejo. »Jetzt aber muß ich gehen.«

Er verließ das Zimmer und auch das Schloß und wandte sich dem Park zu. Als er denjenigen Teil desselben, der an den Wald stieß, erreicht hatte, trat er hinter ein Gebüsch und stieß einen scharfen Pfiff aus.

Nur einige Augenblicke später raschelte es in den Zweigen, und es trat ein Mann zu ihm, der in die Tracht der dortigen Gegend gekleidet war, über dem Arm aber eine schwarze Kapuze hängen hatte.

»Ihr seid es, Señor?« meinte dieser. »Habt Ihr endlich einen Auftrag? Es ist ganz außerordentlich langweilig, so vergeblich im Wald zu liegen!« – »Ja, ich habe den Auftrag«, meinte Cortejo. »Heute muß es geschehen.« – »Ah – endlich! Aber wann?« – »Sobald es paßt. Der Kerl ist jetzt nicht im Schloß.« – »Ich weiß es, ich sah ihn in den Wald gehen. Ich schickte ihm einen meiner Leute nach, und dieser meldete mir, daß er mit dem alten Förster nach den Bergen sei.« – »Also auf die Jagd! Könnte es nicht während derselben geschehen?« – »Nein, denn wir werden ihn schwerlich finden.« – »Dann also bei seiner Rückkehr in den Park.« – »Gut. Und wenn er von der anderen Seite kommt?« – »So wartet Ihr bis später. Er scheint die Gewohnheit zu haben, während der Dämmerung zu promenieren, dabei bietet sich Euch die beste Gelegenheit. Ich hoffe, daß es gelingen wird!« – »Ohne Zweifel, Señor! Unsere Kugeln treffen sicher.« – »Nein, Kugeln nicht. Es muß mit dem Messer geschehen. Der Schuß würde Alarm machen, den ich vermeiden will. Wenn Ihr ihm das Messer dann in die Hand drückt wird er als Selbstmörder gelten.« – »Ich muß Euch gehorchen, aber ein Schuß wäre sicherer. Dieser Mann scheint sehr stark zu sein, und es wird vielleicht einen Kampf geben.« – »Ach so, Ihr fürchtet Euch!« spottete Cortejo verächtlich. – »Das fällt uns gar nicht ein! Euer Auftrag wird auf jeden Fall erfüllt. Aber, wie steht es mit dem Geld? Der Hauptmann hat mich beauftragt, es in Empfang zu nehmen.« – »Kommt heute Punkt Mitternacht wieder hierher an dieselbe Stelle; da werde ich Euch die Summe ehrlich auszahlen. Ihr habt Kapuzen mit? Wozu?« – »Haltet Ihr uns für Anfänger?« lachte der Brigant. »Man muß alle Fälle überlegen. Wie leicht könnte man uns sehen und wiedererkennen. Die Kapuze ist das beste und sicherste Mittel, unentdeckt zu bleiben, Señor!« – »So macht Eure Sache gut!« ermahnte der Notar, indem er sich umdrehte, um nach dem Schloß zurückzugelangen.

Waldröschen I. Die Tochter des Granden

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