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Erstes Kapitel: Entlarvt

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Die türkische Rechtspflege hat bekanntlich ihre Eigentümlichkeiten, sagen wir geradezu ihre Schattenseiten, die um so deutlicher hervortreten, je entlegener die Gegend ist, um die es sich handelt. Unter den dortigen Verhältnissen ist es nicht zu verwundern, daß da, wo die verschiedenen zuchtlosen, sich ewig befehdenden Stämme der Arnauten ihre Wohnsitze haben, von einem wirklichen »Rechte« fast gar nicht gesprochen werden kann.

Bei Ostromdscha beginnt das Gebiet dieser Skipetaren, welche nur das eine Gesetz kennen, daß der Schwächere dem Stärkeren zu weichen hat. Wollten wir nicht den kürzeren ziehen, so mußten wir dasselbe auch für uns in Anwendung bringen. Wir hatten dies schon am Nachmittage, und zwar, wie man weiß, mit Erfolg getan und waren entschlossen, bei der Sitzung, welcher wir nun jetzt entgegen gingen, in derselben kräftigen Weise aufzutreten.

Als wir nach dem »Gerichtsgebäude« aufbrachen, war die Dämmerung eingetreten. Wir sahen unterwegs viele Menschen stehen, welche im Hofe keinen Platz gefunden und sich hier aufgestellt hatten, um uns wenigstens kommen zu sehen.

Als wir im Hofe ankamen, wurde das Tor hinter uns verschlossen, das war für uns kein gutes Zeichen. Der Mübarek hatte seinen Einfluß aufgeboten und zwar nicht ohne Erfolg, wie es schien.

Wir konnten kaum durch die Menge bis an den Platz des Verhöres gelangen. Wo vorher nur ein Stuhl gestanden hatte, war jetzt noch eine lange Bank aufgestellt. Der Apparat zur Bastonnade lag noch an derselben Stelle.

Man hatte Oel in Gefäße gegossen, Werg hineingetan und dasselbe angebrannt. Diese Flammen ließen alles in einem abenteuerlichen Licht erscheinen.

Die Herren vom Gericht befanden sich im Innern des Hauses. Unsere Ankunft wurde ihnen gemeldet. Die Kawassen postierten sich so um uns, daß sie den Weg nach dem Tor versperrten. Da dasselbe verschlossen war, so ließ sich dieses Verhalten der Polizisten doppelt bedenklich für uns deuten.

Lautlose Stille herrschte rundum. Jetzt erschienen die fünf Herren, und sofort zogen die Kawassen blank.

»O Allah!« sagte Halef in ironischem Tone. »Wie wird es uns ergehen, Sihdi! Ich zittere vor Angst.«

»Ich ebenso.«

»Soll ich diesen dummen Menschen, die da glauben, uns mit ihren Säbeln bange zu machen, meine Peitsche schmecken lassen?«

»Keine Dummheit! Du warst heute schon einmal voreilig und trägst die Schuld, daß wir uns überhaupt hier befinden.«

Die fünf Richter hatten Platz genommen, der Kodscha Bascha auf dem Stuhl und die Andern auf der Bank. Ein Frauenzimmer drängte sich aus der Menge herbei und nahm hinter dem Stellvertreter Stellung. Ich erkannte Nohuda, die Erbse, welche ihrer Schönheit mit Eisenocker nachhalf. Der Stellvertreter war also wohl ihr glücklicher Ehemann. Er hatte sehr nichtssagende Gesichtszüge.

Zunächst dem Kodscha Bascha saß der Mübarek. Er hatte ein Papier quer über das Knie gelegt. Zwischen ihm und seinem Nachbar stand ein kleiner Topf. Da eine Gänsefeder in demselben steckte, so vermutete ich, daß er die Tinte enthalte.

Der Kodscha Bascha wackelte mit dem Kopfe und räusperte sich auffällig. Dies war das Zeichen, daß die Verhandlung beginnen solle. Er begann mit krähender, weithin schallender Stimme:

»Im Namen des Propheten und im Namen des Padischah, dem Allah tausend Jahre verleihen wolle! Wir haben diese Kasa zusammenberufen, um über zwei Verbrechen zu urteilen, welche sich heute in unserer Stadt und in deren Nähe ereignet haben. Selim, tritt vor! Du bist der Ankläger. Erzähle nun, was mit dir geschehen ist.«

Der Kawaß trat in die Nähe seines Herrn und erzählte. Was wir zu hören bekamen, war geradezu lächerlich. Er hatte sich in der angestrengtesten amtlichen Tätigkeit befunden und war von uns mörderisch überfallen worden. Nur durch Unerschrockenheit und durch die tapferste Gegenwehr war es ihm gelungen, sein Leben zu retten, sagte er.

Als er geendet hatte, fragte ihn der Kodscha:

»Und welcher ist es, der dich schlug?«

»Dieser hier ist es,« antwortete er, auf Halef deutend.

»So kennen wir nun ihn und seine Tat und werden zur Beratung schreiten.«

Er begann mit seinen Beisitzern zu flüstern, und erklärte nach einer Weile mit lauter Stimme:

»Die Kasa hat beschlossen, daß der Verbrecher auf jede Fußsohle vierzig Hiebe erhalten und dann vier volle Wochen eingesperrt werden soll. Das verkündigen wir im Namen des Padischah. Allah segne ihn!«

Halefs Hand fuhr an den Griff seiner Peitsche. Ich mußte mir Mühe geben, nicht laut aufzulachen.

»Jetzt kommt das zweite Verbrechen,« verkündete der Beamte. »Mawunadschi, tritt vor, und erzähle!«

Der Fährmann gehorchte dieser Aufforderung. Er hatte jedenfalls mehr Angst als ich. Aber ehe er seinen Bericht beginnen konnte, wendete ich mich in sehr höflichem Ton an den Kodscha Bascha:

»Willst du vielleicht die Gnade haben, dich einmal zu erheben?«

Er stand ahnungslos von seinem Stuhl auf. Ich schob ihn zur Seite und setzte mich nieder.

»Ich danke dir,« sagte ich. »Es ziemt dem Niedrigen, dem Hohen Ehrerbietung zu erweisen. Du hast ganz recht getan.«

Jammerschade, daß es unmöglich ist, sein Gesicht zu beschreiben. Der Kopf geriet in ein gefährliches Pendeln. Er wollte reden, brachte aber vor Entsetzen kein Wort hervor. Darum streckte er, um wenigstens durch die Pantomime seine Entrüstung auszudrücken, die dürren Arme aus und schlug die Hände über dem wackelnden Kopfe zusammen.

Kein Mensch sagte ein Wort. Kein Kawaß rührte sich. Man wartete auf den Zornesausbruch des Gebieters. Dieser fand glücklicherweise die Sprache wieder. Er brach in eine Reihe unbeschreiblicher Interjektionen aus und schrie mich dann an:

»Was fällt dir ein! Wie kannst du eine solche Unverschämtheit begehen und – —«

»Hadschi Halef Omar!« unterbrach ich ihn laut. »Nimm deine Peitsche. Denjenigen, welcher noch ein einziges unhöfliches Wort zu mir sagt, beschenkst du mit Hieben, bis ihm die Haut zerplatzt; mag er sein, wer er will!«

Der kleine Hadschi hatte sofort die Peitsche in der Hand.

»Emir, ich gehorche,« sagte er entschlossen. »Gib mir nur einen Wink.«

Es fehlte leider die Beleuchtung, sonst hätte man erstaunte Gesichter sehen können. Der Kodscha Bascha wußte offenbar gar nicht, wie er sich verhalten sollte. Da flüsterte ihm der Mübarek einige Worte zu, worauf er den Kawassen befahl:

»Nehmt ihn gefangen! Schafft ihn in den Keller!«

Er deutete auf mich.

Die Polizisten traten herbei, mit blanken Säbeln in den Händen.

»Zurück!« rief ich ihnen zu. »Wer mich anrührt, den schieße ich nieder!«

Ich hielt ihnen die beiden Revolver entgegen, und im nächsten Augenblick sah ich keinen einzigen Kawassen mehr. Sie hatten sich in das Publikum verloren.

»Was erregt deinen Zorn?« fragte ich den Kodscha. »Warum stehst du? Warum setzest du dich nicht? Laß den Mübarek aufstehen, und setze dich an seinen Platz.«

Jetzt ging ein Gemurmel durch die Menge. Daß ich den Kodscha beleidigen konnte, hatte ihnen noch im Bereich der Möglichkeit gelegen; aber daß ich nun auch den Heiligen angriff, das war denn doch zu viel gewagt. Man begann zu murren.

Das gab dem Kodscha eine bedeutende Energie. Er rief mir zornig zu:

»Mensch, sei du, wer du willst, aber für eine solche Frechheit werde ich dich auf das allerstrengste bestrafen. Der Mübarek ist ein Heiliger, ein Liebling Allahs, ein Wundertäter. Wenn er will, kann er Feuer vom Himmel auf dich fallen lassen!«

»Schweig‘, Kodscha Bascha! Wenn du reden willst, so halte eine klügere Rede. Der Mübarek ist weder ein Heiliger noch ein Wundertäter. Er ist vielmehr ein Verbrecher, ein Schwindler und Bösewicht!«

Da wurden im Publikum drohende Stimmen laut. Noch lauter aber wurde die Stimme des Mübarek selbst. Er hatte sich erhoben, streckte die Hand gegen mich aus und rief:

»Er ist ein Giaur, ein ungläubiger Hund. Ich verfluche ihn. Möge sich die Hölle unter ihm öffnen und die Verdammnis ihn verschlingen. Die bösen Geister werden – —«

Weiter kam er nicht. Mein kleiner Hadschi hatte ausgeholt und ihm mit der Peitsche einen solchen Jagdhieb versetzt, daß der alte Sünder sich unterbrach und einen gewaltigen Luftsprung machte.

Das war ein gewaltiges Wagnis, wie sich sogleich zeigte. Nach einem Augenblick drohender Stille schallten von allen Seiten Schreie des Zornes im Publikum. Die Hinteren drängten nach vorn. Die Sache konnte verhängnisvoll werden. Da trat ich schnell an die Seite des Mübarek und rief so laut ich konnte:

»Rahat, süküt – Ruhe, seid still! Ich werde euch beweisen, daß ich recht habe. Halef, hole die Flamme her! – — Sehet her, ihr Leute, wer der Mübarek ist, und wie er euch täuscht! Seht ihr diese Krücken?«

Ich nahm den Schurken mit der rechten Hand beim Genick und preßte ihm den dünnen Hals zusammen. Mit der Linken riß ich ihm den Kaftan auseinander. Richtig, da hing an jeder Seite eine Krücke. Beide waren mit Gelenken versehen und konnten zusammengeschlagen werden.

Bei dieser Gelegenheit sah ich, daß die Innenseite des Kaftans anders gefärbt war, als die Außenseite. Das Kleidungsstück hatte viele Taschen. Ich griff in die erste beste und fühlte einen haarigen Gegenstand. Ich zog ihn heraus. Es war eine Perücke, ganz genau das wirre, struppige Haar, wie ich es bei dem Bettler gesehen hatte.

Der Kerl war so erschrocken, daß er alle Gegenwehr vergaß. Jetzt aber stieß er Hilferufe aus und schlug mit den Armen um sich.

»Osko, Omar, haltet ihn! Greift aber tüchtig zu! Wenn es ihm auch wehe tut!«

Die beiden Genannten packten ihn, so daß ich nun beide Hände frei bekam. Da Halef das eine Oelgefäß herbeigeholt hatte, wurde unsere interessante Gruppe hell erleuchtet, so daß die Anwesenden alles deutlich sehen konnten. Sie verhielten sich ruhig.

»Dieser Mensch, den ihr für einen Heiligen haltet,« fuhr ich fort, »ist ein Verbündeter des Schut oder wohl gar der Schut selbst. Seine Wohnung ist der Aufenthalt von Dieben und Räubern, wie ich euch nachher beweisen werde. Er schleicht in allerlei Verkleidungen im Lande umher, um Gelegenheit zu Verbrechen auszukundschaften. Er und der Bettler Busra sind eine und dieselbe Person. Hier hat er sich die Krücken unter den Achseln angebunden. Wenn sie beim Gehen aneinander stießen, habt ihr geglaubt, daß seine Gebeine klappern. Hier ist die Perücke, welche er als Krüppel trug.«

Ich leerte nach und nach seine Taschen, betrachtete die einzelnen Gegenstände und erklärte deren Gebrauch, indem ich fortfuhr:

»Hier ist eine Büchse mit Farbenmehl, welches dazu diente, seinem Gesichte schnell eine andere Farbe zu geben. Da ist der Lappen, mit welchem er sich die Farbe rasch wieder abwischen konnte. Jetzt seht ihr eine Flasche, noch halb voll von Wasser, jedenfalls um sich auch an Orten, wo kein Wasser vorhanden war, nach Bedürfnis reinigen zu können. Und nun seht ihr – ja, was ist denn das? Das sind zwei kleine Halbkugeln aus Gummi. Er hat sie sich in die Backen gesteckt, wenn er den Bettler machen wollte. Das Gesicht war dann dicker als vorher. Seht ihr die verschiedene Färbung des Kaftan? Als Bettler zog er ihn aus, drehte die dunkle Seite nach außen und schlang ihn um den Leib. Dann sah das Gewand aus wie ein altes Tuch. Habt ihr jemals den Mübarek und den Bettler beisammen gesehen? Gewiß nicht. Das war ja ganz unmöglich, da beide nur eine Person waren. Und hat sich nicht der Mübarek grad zu der Zeit zum erstenmale sehen lassen, in welcher auch der Bettler in diese Gegend kam?«

Diese letzteren Argumente schienen überzeugend zu sein, denn ich hörte von allen Seiten Ausrufe verwunderter Zustimmung erschallen.

Jetzt zog ich ein kleines Päckchen aus der Tasche. In einen alten Lumpen gewickelt erschien ein Armband von alten venetianischen Goldzechinen. Bei einigen der Münzen war die Prägung gut erhalten. Ich sah beim Schein der Flamme auf dem Avers das Bild des heiligen Markus, welcher dem Dogen die Kreuzesfahne reicht, und auf dem Revers das Bild eines andern, mir unbekannten Heiligen, von Sternen und der Inschrift umgeben: Sit tibi, Christe, datus, quem tu regis, iste ducatus.

»Hier ist ein Bilezik von zwölf goldenen Münzen in einen Lappen gewickelt,« fuhr ich fort. »Wer weiß, wo er es gestohlen hat! Wenn ihr nachforscht, wird sich die Besitzerin vielleicht finden lassen.«

»On iki zikkeler – zwölf Münzen?« rief eine Frauenstimme hinter mir. »Zeig her! Mir ist ein solches Armband in voriger Woche aus dem Kasten gestohlen worden.«

Nohuda, die »Erbse«, war die Sprecherin. Sie trat herbei, nahm mir das Armband aus der Hand und betrachtete es.

»Allah!« rief sie. »Es ist das meinige. Es ist ein altes Erbstück meiner mütterlichen Vorfahren. Schau her und überzeuge dich, daß es mir wirklich gehört!«

Sie gab es ihrem Mann.

»Bei Allah, es ist das deinige!« stimmte dieser bei.

»So besinne dich, Nohuda, ob der Mübarek zur betreffenden Zeit bei dir gewesen ist,« sagte ich.

»Der Mübarek nicht, aber der Krüppel. Er wurde hereingerufen, um ein Essen zu empfangen. Ich hatte meinen Schmuck auf dem Tische liegen und legte ihn in den Kasten zurück. Das hat er gesehen. Als ich nach einigen Tagen zufällig nachschaute, war das Armband weg.«

»So kennst du nun den Dieb.«

»Er ist‘s. Er hat es; es ist erwiesen. O du Spitzbube! Ich kratze dir die Augen aus! Ich werde – —«

»Still jetzt!« unterbrach ich sie in der Befürchtung, daß der Fluß ihrer Rede, einmal in Ueberschwemmung getreten, nicht so leicht und bald versiegen werde. »Behalte das Band und laß den Dieb bestrafen. Ihr seht jetzt, welch einen Menschen ihr verehrt habt. Und dieser Räuber ist sogar zum Basch Kiatib ernannt worden und hat über Andere mit zu Gericht gesessen. Mich hat er in die Hölle verflucht, und bald hätte ich mir seinetwegen den Zorn dieser braven Versammlung zugezogen. Ich verlange, daß er an einem sicheren Ort eingesperrt werde, von welchem kein Entkommen möglich ist, und daß dem Makredsch von Saloniki Anzeige erstattet werde.«

Man stimmte mir nicht nur bei, sondern es ließen sich zahlreiche Rufe hören:

»Prügelt ihn vorher! Gebt ihm die Bastonnade! Zerschlagt ihm die Fußsohlen!«

»Sapytyn-iz ona bojunu – dreht ihm den Hals um!« eiferte die »Erbse« voller Grimm über den an ihr verübten Diebstahl.

Der Mübarek hatte bis jetzt nichts gesagt. Nun aber schrie er:

»Glaubt ihm nicht! Er ist ein Giaur. Er ist der Dieb. Er hat mir das Armband soeben in die Tasche gesteckt. Er – — waï‘ waï‘!«

Er unterbrach sich mit diesem Ausruf des Schmerzes, weil ihm Halefs Peitsche auf den Rücken knallte.

»Warte, Schurke!« rief der Hadschi. »Ich will es dir auf den Rücken schreiben, daß wir erst heute in diese Gegend gekommen sind. Wie kann dieser Emir das Band gestohlen haben? Uebrigens ist so ein berühmter Effendi kein Dieb. Hier hast du die Beglaubigung dafür.«

Er maß ihm noch einige so kräftige Hiebe über, daß der Getroffene laut aufbrüllte.

»Aferim, aferim – bravo, bravo!« riefen dieselben Leute, welche mir noch vor wenigen Augenblicken gefährlich werden wollten.

Der Kodscha Bascha wußte nicht, was er tun und was er sagen sollte. Er ließ mich machen. Doch hatte er schleunigst die Gelegenheit ergriffen, sich wieder auf dem Amtsstuhl niederzusetzen. So war doch wenigstens seine Ehre gewahrt.

Seine Beisitzer verhielten sich schweigsam. Sie mochten eine Art Beklemmung fühlen. Die Kawassen erkannten, daß meine Aktien zu steigen begannen, und in der Voraussetzung, daß ich mich infolgedessen in guter Laune befinden und ihnen nicht mehr gefährlich sein würde, kamen sie – einer nach dem andern – wieder herbei.

»Bindet den Kerl!« befahl ich ihnen. »Fesselt ihm die Hände!«

Sie gehorchten augenblicklich, und keiner der anwesenden Justizbeamten erhob Einspruch gegen meine Eigenmächtigkeit.

Der Mübarek sah wohl ein, daß es für ihn geraten sei, sich zu fügen. Er ließ sich binden, ohne Widerstand zu leisten, und setzte sich dann auf seinen Platz, wo er in sich zusammensank. Die Beisitzer standen schnell von ihren Sitzen auf. Sie wollten nicht dieselbe Bank mit einem Verbrecher teilen.

»Und nun zurück zu deinem Richterspruch,« sagte ich zu dem Kodscha Bascha. »Kennst du die Gesetze deines Landes?«

»Natürlich muß ich sie kennen,« antwortete er. »Ich habe ja in der Zivilhochschule studiert.«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?« fragte er beleidigt. »Ich kenne das ganze geistliche Recht, welches auf dem Kuran beruht, auf der Sunna und auf den Entscheidungen der vier ersten Kalifen.«

»Kennst du auch das Mülteka el buher, welches euer Zivil- und Kriminalgesetzbuch ist?«

»Ich kenne es; es ist vom Scheik Ibrahim Halebi verfaßt.«

»Wenn du diese Verordnungen wirklich kennst, warum handelst du denn nicht nach ihnen?«

»Ich habe mich stets und auch heute streng nach ihnen gerichtet.«

»Das ist nicht wahr. Es steht geschrieben, daß der Richter selbst dem schlimmsten Verbrecher, bevor er ihm das Urteil spricht, die Verteidigung gestatten muß. Ihr aber habt meinen Freund und Begleiter verurteilt, ohne ihn ein einziges Wort sagen zu lassen. Euer Urteil gilt also nichts. Auch müssen bei der Verhandlung alle Angeklagten und Zeugen vollzählig beisammen sein; das war aber keineswegs der Fall.«

»Es sind ja alle da!«

»Nein. Es fehlt Ibarek, der Herbergsvater. Wo befindet er sich?«

Der Richter wackelte verlegen mit dem Kopf, stand dann auf und antwortete:

»Ich werde ihn holen.«

Er wollte fortgehen; ich aber ahnte, was mit Ibarek geschehen war, und hielt den Bascha am Arm zurück, indem ich den Kawassen gebot:

»Holt Ibarek! Bringt ihn aber genau in demselben Zustand herbei, in welchem er sich jetzt befindet!«

Zwei von ihnen entfernten sich und führten nach kurzer Zeit den Wirt herbei. Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden.

»Was ist das? Was hat der Mann begangen, daß man ihn bindet?« fragte ich. »Wer hat den Befehl dazu gegeben?«

Der Bascha warf den Kopf herüber und hinüber und antwortete:

»Der Mübarek wollte es so haben.«

»So hat also der Kodscha Bascha das zu tun, was der Basch Kiatib befiehlt? Und doch sagst du, du hättest die Gesetze studiert! Dann ist es freilich kein Wunder, wenn in deinem Bezirke die ärgsten Spitzbuben für Heilige gehalten werden.«

»Ich war in meinem Recht,« verteidigte er sich kleinlaut.

»Das kannst du mir nicht beweisen.«

»O doch! Euch habe ich nicht arretieren lassen, weil ihr fremd seid. Dieser Herbergsvater aber ist ein Bewohner unserer Gegend. Er steht unter meiner Gewalt.«

»Und du meinst, daß es dir erlaubt sei, diese Gewalt zu mißbrauchen? Da stehen einige Hundert deiner Untergebenen. Meinst du, daß du mit ihnen machen kannst, was dir beliebt? Vielleicht hast du es bisher getan; aber sie werden sich das heutige Vorkommnis merken und in Zukunft Gerechtigkeit verlangen. Ibarek ist bestohlen worden. Er kam zu dir, um dich um Hilfe zu bitten. Anstatt sie ihm zu gewähren, hast du ihn fesseln und einsperren lassen. Wie willst du diese Ungerechtigkeit verantworten? Ich verlange, daß du ihm augenblicklich die Fesseln lösest.«

»Die Kawassen haben es zu tun.«

»Nein, du selbst wirst es tun als Sühne für deine Ungerechtigkeit.«

Das war ihm denn doch zu viel. Er fuhr mich zornig an:

»Wer bist du denn eigentlich, daß du hier gebietest, als ob du unser Makredsch oder Bilad i Kamse Mollatari seist?«

»Siehe hier meine Papiere!«

Ich gab ihm die drei Pässe hin. Als er das Teskereh, das Buyuruldi und sogar den Ferman erblickte, kniff er erschrocken die kleinen Triefaugen zusammen, und sein Kopf pendelte wie das Metronom des berühmten Regensburger Johann Nepomuk Mälzl.

»Herr, du stehst ja im Schatten des Großherrn!« rief er aus.

»So sorge dafür, daß ich einen Teil dieses Schattens auf dich werfe!«

»Ich werde tun, was du begehrst.«

Er trat zu Ibarek und löste ihm den Strick.

»Bist du nun zufrieden?« fragte er.

»Einstweilen, ja. Es wird noch mehr von dir verlangt. Dein Kawaß Selim hat dir grundfalschen Bericht erstattet. Das Zusammentreffen war ganz anders, als er erzählte. Der Mübarek wird ihm eingegeben haben, wie er zu sagen habe, um uns so viel wie möglich zu schaden.«

»Das glaube ich nicht.«

»Ich aber glaube es, denn er hat den Fährmann auch verleitet, ein falsches Zeugnis gegen mich abzulegen.«

»Ist das wahr?«

Diese Frage war an den Fährmann gerichtet, welcher jetzt glaubte, daß der Mübarek ihm nun nicht mehr schaden könne, und infolgedessen furchtlos erzählte, wie er von ihm instruiert worden sei.

»Du siehst,« sagte ich zu dem Bascha, »daß ich diesem Mann keineswegs nach dem Leben getrachtet habe. Ich sah, daß er den Spion des Alten machte, und nahm ihn mit mir, um nach der Angelegenheit zu forschen. Das ist alles. Wenn du mich dafür bestrafen willst, so bin ich bereit, meine Verteidigung anzutreten.«

»Herr, von einer Bestrafung kann keine Rede sein; du hast keinen Fehler begangen.«

»So kann auch mein Begleiter nicht wegen des Kawassen bestraft werden, denn nicht er, sondern ein ganz Anderer trägt die Schuld an dem Vorkommnis.«

»Wer ist der Andere?«

»Du selbst bist es.«

»Ich? – Wieso?«

»Als Ibarek bestohlen worden, kam er zu dir, um Anzeige zu machen. Was hast du getan, um deine Pflicht zu erfüllen?«

»Alles, was ich konnte.«

»So? – Was war das?«

»Ich habe Selim den Auftrag gegeben, er solle nachsinnen, was zu tun sei.«

»Die andern Kawassen hast du nicht damit betraut?«

»Nein; denn das war überflüssig. Sie hätten ja doch nichts entdeckt.«

»So müssen deine Polizisten große Dummköpfe sein, weil du gleich von vornherein weißt, daß sie keinen Erfolg haben werden. Die Tat ist hier geschehen. Warum aber hast du denn diesen Selim, welcher sich erst seit ganz kurzem hier befindet, mit der Sache betraut?«

»Weil er der Klügste ist.«

»Ich denke, du hast einen ganz andern Grund.«

»Herr, welchen andern Grund sollte ich haben?«

»Ein guter Beamter setzt alle Hebel an, den Täter eines solchen Verbrechens zu entdecken. Du aber hast es verschwiegen und dem Einen, welchem du es mitteiltest, hast du fast eine ganze Woche Zeit gegeben, sich die Sache zu überlegen. Das hat den Anschein, als ob du wünschest, daß die Diebe entkommen mögen.«

»Effendi! Was denkst du von mir?«

»Meine Ansicht richtet sich ganz genau nach deinem Verhalten. Nichts lag näher, als daß du hier in Ostromdscha nach den Tätern suchen ließest.«

»Sie sind ja nach Doiran geritten!«

»Das zu glauben, muß man sehr befangen sein. Kein Dieb wird sagen, wohin er sich wenden will. Soviel mußt du als alter Jurist doch wissen. Wie nun, wenn ich entdecke, daß du ein Freund dieser Verbrecher bist?«

Er begann fürchterlich mit dem Kopf zu wackeln, jedenfalls vor Bestürzung.

»Herr, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll!« rief er aus.

»Sage lieber gar nichts, denn meine Meinung bleibt doch gänzlich unverändert. Wenn du dich der Sache in der Art angenommen hättest, wie es deine Pflicht war, so wären die Diebe längst entdeckt.«

»Glaubst du, daß sie freiwillig kommen, um sich mir zu melden?«

»Nein; aber ich glaube, daß sie sich hier in Ostromdscha befinden.«

»Unmöglich! Es sind in keinem Konak drei Reiter abgestiegen.«

»Das wird ihnen auch nicht einfallen. Sie werden sich nicht so nahe am Tatort öffentlich zeigen. Sie haben sich versteckt.«

»Soll ich wissen, bei wem?«

»Warum nicht? Ich bin ein Fremder und weiß es doch.«

»Was! Du weißt es?«

»Ja, ganz genau.«

»So mußt du allwissend sein.«

»Nein; ich habe aber gelernt, nachzudenken. Solche Halunken werden sich nur bei gleich schlechten Subjekten verstecken. Wer aber ist das schlechteste Subjekt in Ostromdscha?«

»Meinst du den Mübarek?«

»Du hast‘s erraten.«

»Bei ihm sollen sie sein?«

»Jedenfalls.«

»Da irrst du dich.«

»Ich irre mich so wenig, daß ich bereit bin, mit dir zu wetten. Wenn du die Diebe fangen willst, so mußt du hinauf zur Ruine gehen.«

Er blickte zu dem Mübarek hinüber, und dieser erwiderte den Blick. Es war mir ganz so, als ob diese beiden doch in einem Einvernehmen ständen.

»Der Weg würde vergeblich sein, Herr,« sagte er.

»Ich bin vom Gegenteil überzeugt und sage dir, daß wir nicht nur die Diebe, sondern auch die gestohlenen Gegenstände finden würden. Darum fordere ich dich auf, mir mit deinen Kawassen zu folgen.«

»Du scherzest doch?«

»Nein, es ist mein Ernst.«

»In dieser Dunkelheit?«

»Fürchtest du dich?«

»Nein; aber solche Menschen sind gefährlich. Sind sie wirklich oben, so werden sie sich verteidigen. Warte lieber, bis es morgen Tag geworden ist.«

»Bis dahin könnten sie entkommen sein. Es hat übrigens den Anschein, daß es hier Leute gibt, welche die Diebe warnen würden.«

»Das wird niemand tun. Ich selbst werde dafür sorgen, daß kein Mensch sich in dieser Nacht der Ruine nähern kann.«

»Sorge lieber dafür, daß wir schnell aufbrechen können, und gib Befehl, daß Laternen mitgenommen werden.«

»Herr, laß ab von diesem Beginnen!«

»Nein! Wenn du deine Pflicht nicht tun willst, so bleibe daheim. Ich werde Leute finden, welche des Amtes eines Kodscha Bascha würdiger sind.«

Das zog. Er wackelte zwar noch immer höchst bedenklich mit dem Kopf, sagte aber doch:

»Du darfst mich nicht verkennen. Ich bin nur auf dein eigenes Wohl bedacht und wünsche nicht, daß du dich in Gefahr begibst.«

»Kümmere dich nicht um mich! Mein Wohl wahre ich selbst.«

»Nehmen wir den Mübarek mit?«

»Ja. Er wird uns führen.«

»So erlaube, daß ich für Beleuchtung und auch für Waffen sorge.«

Er begab sich in das Haus.

Viele der anwesenden Leute eilten fort; ich vermutete, um Laternen, oder etwas Aehnliches zu holen und uns zu begleiten. Ibarek hatte dieser Verhandlung still zugehört. Jetzt fragte er mich:

»Effendi, glaubst du wirklich, daß wir die drei Spitzbuben fangen?«

»Ganz gewiß.«

»Und daß ich mein Eigentum zurückerhalte?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Herr, ich kann dich nicht begreifen! Es scheint, daß du alles weißt. Ich gehe natürlich mit Freuden hinauf zu der Ruine.«

»Was sagst du nun zu dem Einsiedler? Du hast ihn gepriesen, obgleich du ihn fürchtetest. Und als du von ihm sprachst, ahnte ich bereits, daß er ein großer Halunke sei. Die Diebe deines Eigentumes befinden sich bei ihm.«

Der Bascha kehrte bald zurück. Er brachte einige alte Laternen, mehrere Fackeln und eine Anzahl von Kienspänen. Andere Leute kamen mit ähnlichen Beleuchtungsgegenständen herbei, und dann setzte sich der Zug in Bewegung.

Ein nächtlicher Zug zu der Ruine hinauf, um Diebe einzufangen, das war noch niemals dagewesen; das war den Leuten eine Lust. Darum wanderte fast die ganze Bevölkerung des Ortes hinter uns her.

Da ich weder dem Kodscha Bascha noch seinen Kawassen recht traute, mußten Osko und Omar den Mübarek bewachen. Sie hatten ihn zwischen sich genommen.

Voran schritten einige Kawassen. Dann kam der Bascha mit den Herren seines Gerichtes, hinter diesen der Mübarek mit seinen beiden Wächtern, dann ich mit Halef und den beiden verschwägerten Wirten, und hinter uns drein tummelte sich das Alter und die Jugend von Ostromdscha.

Es war lustig, zu hören, welche Meinungen geäußert wurden, auch über unsere Personen. Der Eine meinte, ich sei ein großherrlicher Prinz, und der Andere hielt mich für einen persischen Fürstensohn. Ein Dritter schwur, ich sei ein indischer Zauberer, und ein vierter schrie überlaut, daß ich ein Kronprinz aus Moskau sei und gekommen wäre, um das Land für Rußland zu erobern.

Je näher wir der Ruine kamen, desto stiller wurden die Leute. Sie sahen doch ein, daß man vorsichtig sein müsse, wenn man Spitzbuben fangen wolle.

Da, wo der Wald begann, blieben viele zurück. Das waren die Furchtsamen. Sie versicherten aber doch hoch und teuer, daß sie sich nur darum hier postierten, damit die Diebe an dieser Stelle nicht durchkommen könnten, falls es ihnen gelingen sollte, oben zu entfliehen.

Als wir dann die Lichtung erreichten, herrschte die Ruhe des Grabes auf derselben. Die Helden fühlten sich beklommen. Die Spitzbuben konnten ja jeden Augenblick erscheinen, konnten hinter jedem Baum stecken. Man trat so leise wie möglich auf, um sie ja nicht zu verscheuchen und – — um ja nicht etwa derjenige oder diejenige zu sein, der oder die mit ihnen in Kampf kommen werde. Denn Frauen waren auch dabei.

Diese gespannte Stille erlitt freilich einmal eine kurze Unterbrechung. Ein schriller Schrei erscholl aus einer weiblichen Kehle. Als ich an die Stelle kam, fand ich, daß Nohuda, die »Erbse«, so unglücklich gewesen war, sich in die kalte Quelle zu betten, an welcher ich die Butterblume gefunden hatte. Sie saß im Wasser und hielt ihrem geliebten Gerichtsbeisitzer eine mehr als halblaute Rede, deren Inhalt dringend wünschen ließ, daß sie dieselbe in sehr leisem Ton gehalten hätte. Sie wollte sich nicht herausziehen lassen, denn sie werde sich erkälten, wenn sie durchnäßt in der kühlen Abendluft einhergehen müsse, und nur, als ich ihr erklärte, daß das Wasser noch kälter als die Luft sei, meinte sie:

»Effendi, deinem Rat werde ich folgen. Du weißt das alles besser als andere Leute oder gar als mein Mann, der mich geraden Wegs in dieses Loch hineingeführt hat.«

Ich zog sie heraus. Glücklicherweise stand das Wasser kaum einen Fuß hoch. Ob es in der Folge ihrer durch Eisenocker verjüngten Schönheit schädlich geworden ist, weiß ich leider nicht.

Der Mübarek stand mit Omar und Osko an der Türe seiner Hütte. Er verlangte, hineingelassen zu werden. Da er sich aber mit Chemie abgab und in allerlei vermeintlichen Zauberkünsten bewandert war, so traute ich ihm nicht. Er konnte ja irgend eine Vorrichtung angebracht haben, welche für den Fall einer plötzlichen Verhaftung berechnet war.

»Was willst du drin tun?« fragte ich.

Er antwortete mir nicht. Der gute Mann schien gar nichts mehr von mir wissen zu wollen.

»Wenn du nicht antwortest, so darfst du auch nicht erwarten, daß dein Wunsch erfüllt werde.«

Jetzt antwortete er:

»Ich habe Tiere drin, welche gefüttert werden müssen, wenn sie nicht verhungern sollen.«

»Ich selbst werde sie morgen früh füttern. Deine Heimat ist von jetzt an das Gefängnis. Doch bin ich bereit, dir den Wunsch zu erfüllen, falls du mir einige Fragen der Wahrheit gemäß beantwortest.«

»So frage!«

»Hast du Besuch?«

»Nein.«

»Bewohnt außer dir jemand die Hütte oder die Ruine?«

»Nein.«

»Weißt du nicht, ob jemand in der Hütte anwesend ist?«

»Es ist niemand da. Ich müßte es wissen.«

»Kennst du einen Mann, welcher Manach el Barscha heißt?«

»Nein.«

»Oder einen andern namens Barud el Amasat?«

»Auch nicht.«

»Und doch sagen diese Leute, daß sie dich sehr gut kennen.«

»Das ist nicht wahr.«

»Daß du sie von meiner Ankunft heute benachrichtigt habest.«

»Das ist eine Lüge!«

»Und daß du dafür sorgen wolltest, daß ich eingesperrt werde. Dann wollt ihr kommen und mich ermorden.«

Er antwortete nicht sofort. Daß ich dies alles wußte, kam ihm jedenfalls nicht ganz geheuer vor. Es mochte die Ahnung in ihm aufdämmern, daß er heute abend hier nicht alles so wiederfinden werde, wie er es verlassen hatte. Ich hörte, wie er schluckte und schluckte, als ob er irgend etwas hinunter zu würgen habe; dann antwortete er:

»Herr, ich weiß nicht, was du redest und was du von mir willst. Ich kenne die Namen nicht, welche du mir genannt hast, und habe nichts mit Leuten zu tun, wie diejenigen zu sein scheinen, von denen du sprichst.«

»So weißt du wohl auch nicht, daß zwei Brüder kommen wollen, um euch zu melden, daß ich in Menlik ermordet worden sei?«

»O Allah, ich weiß kein Wort, keine Silbe davon!«

»Du bist so unwissend, daß deine Unkenntnis mich erbarmt, und aus diesem Erbarmen will ich dir zeigen, was für gefährliche Leute sich in deiner Nähe befinden; komm!«

Ich nahm ihn beim Arm und führte ihn fort. Auf meinen Wink schritt Halef mit der Fackel voran, um zu leuchten. Die zu der Kasa gehörigen Herren folgten, auch Osko, Omar und die beiden Wirte. Die Andern mußten zurückbleiben, da im Innern der Ruine nicht so viel Raum vorhanden war.

Was mußte in dem Mübarek vorgehen, als er jetzt bemerkte, mit welcher Sicherheit wir beide den Weg verfolgten, von welchem er geglaubt hatte, daß er für einen jeden Fremden ein Geheimnis sei!

Als Halef den Efeu zurückschob, hörte ich, daß der Alte einen Fluch ausstieß, den er nicht ganz zu unterdrücken vermochte.

»Was? Pferde?« fragte der Kodscha Bascha, als wir in die Abteilung gelangten, welche als Stall benutzt wurde.

Da es Nacht war, machten uns die Tiere ein wenig zu schaffen. Sie waren nicht angebunden und scheuten vor den Lichtern und vor den fremden Personen.

»Wo Pferde sind, müssen auch Menschen sein, denen sie gehören,« sagte Halef. »Kommt hier heraus, so werden wir sie finden.«

Die drei Gefesselten lagen ganz genau noch so da, wie wir sie verlassen hatten.

Es wurde zunächst kein Wort gesagt. Ich band mit Halefs Hilfe die Drei los, aber nur so weit, daß sie den Gebrauch der Füße wieder erhielten und aufstehen konnten.

»Manach el Barscha, kennst du diesen Mann?« fragte ich, auf den Mübarek zeigend.

»Allah verdamme dich!« antwortete er.

»Barud el Amasat, kennst du ihn?«

»Stürze von der Brücke des Todes in die ewige Verdammnis hinab!« rief er.

Da wendete ich mich an den Gefängnisaufseher:

»Du hast nur die eine Tat begangen, daß du diesen Gefangenen befreitest. Die Strafe dieser beiden wird eine schwere sein; die deinige aber wird viel leichter ausfallen, zumal wenn du zeigst, daß du kein halsstarriger Sünder bist. Sage mir die Wahrheit! Kennst du diesen Mann?«

»Ja,« antwortete er, nachdem er einige Augenblicke lang mit sich zu Rate gegangen war.

»Wer ist er?«

»Der alte Mübarek.«

»Du kennst auch seinen wirklichen Namen?«

»Nein.«

»Er und deine beiden Gefährten kennen sich auch gegenseitig?«

»Ja. Manach el Barscha ist sehr oft bei ihm gewesen.«

»Ich sollte in Menlik ermordet werden?«

»Ja.«

»Und heute wurde derselbe Beschluß gefaßt? Man wollte mich im Gefängnis töten?«

»So ist es.«

»Und nun noch eins. Während du mit Ibarek und seinen Leuten Karten spieltest, haben die beiden andern ihn bestohlen.«

»Ich nicht, sondern sie waren es.«

»Schon gut! Du bist ebenso dabei beteiligt, wie sie; denn du hast durch deine Kunststücke dazu beigetragen, daß der Diebstahl gelang. Ich habe genug gehört.«

Und mich an den Kodscha Bascha wendend, fragte ich:

»Nun, habe ich nicht recht gehabt? Sind die Diebe nicht hier in der Ruine?«

»Herr, du hattest sie bereits gefunden, als du mit mir von ihnen sprachst.«

»Allerdings! Aber daß ich sie so rechtzeitig, so schnell gefunden habe, das mag dir ein Beweis sein, wie leicht es für dich gewesen wäre, deine Pflicht zu tun. Diese drei Menschen werden in das Gefängnis geführt und gut bewacht. Gleich morgen früh wirst du dem Makredsch den Bericht senden, welchem ich auch den meinigen beilegen werde. Er wird dann bestimmen, was geschehen soll. Ibarek, sieh hier auf den Boden nieder. Ich glaube, das sind die Gegenstände, welche dir gestohlen worden sind.«

Der Inhalt der Taschen der drei Gefangenen war von uns in drei Häufchen niedergelegt worden. Ibarek freute sich königlich, daß er sein Eigentum wieder sah. Er wollte es an sich nehmen; da aber sagte der Kodscha Bascha:

»Halt! So schnell geht das nicht. Alle diese Gegenstände muß ich mit mir nehmen. Sie haben als Beweis bei der Verhandlung zu dienen und bei der Bestimmung des Strafmaßes als Richtschnur.«

Ich kannte die Gepflogenheit dieser Leute. Wer weiß, ob Ibarek jemals etwas wiederbekommen hätte! Darum antwortete ich an seiner Stelle:

»Das ist nicht nötig. Ich selbst werde ein Verzeichnis dieser Gegenstände anfertigen und sie auch auf ihren Wert taxieren. Dieses Verzeichnis leistet dir ganz dieselben Dienste, wie die Sachen selbst.«

»Herr, du bist kein Beamter!«

»Mann, ich habe dir heute erwiesen, daß ich ein besserer Beamter sein würde, als du! Wenn du meinen Vorschlag von dir weisest, so werde ich dem Makredsch viel ausführlicher schreiben, als dir lieb sein kann. Also schweig! Das liegt in deinem eigenen Interesse.«

Ich sah es ihm an, daß er mir mit einer Grobheit antworten wollte; aber er hielt sie doch zurück. Er mußte sich sagen, daß dies nur zu seinem Schaden sein würde. Aber er erhob nun gleich andere Ansprüche:

»So mag er seine Sachen behalten; aber alles Andere, was sie bei sich gehabt haben, konfisziere ich.«

Er wollte sich bücken, um die Geldbeutel und anderen Gegenstände aufzuheben.

»Halt!« sagte ich. »Diese Sachen sind bereits konfisziert.«

»Von wem?«

»Von mir.«

»Hast du das Recht dazu?«

»Gewiß! Ich werde auch über sie ein Verzeichnis ausstellen, wobei du ja als Zeuge dienen kannst, daß ich nichts unterschlage. Dann sende ich beides, die Liste und die Sachen, dem Makredsch ein.«

»Das gehört alles in meine Hände!«

»Du sollst auch zu deinem Recht kommen. Konfisziere du die Pferde, und was zu ihnen gehört, so hast du deinen Willen. Das Andere aber gehört mir. Halef, stecke alles ein!«

Der kleine Hadschi war so schnell bei der Hand, daß in Zeit von drei Sekunden alles in seiner Tasche verschwunden war.

»Diebe!« brummte der Mübarek.

Der Lohn wurde ihm auf der Stelle. Halefs Peitsche gab ihm eine überaus deutliche und auch sehr fühlbare Antwort.

Jetzt wurden die Gefangenen durch die Ruine hinaus auf die Lichtung transportiert. Dort stand das neugierige Publikum, welches sich herbei drängte, um sich die Drei zu betrachten.

Ibarek erzählte mit lauter Stimme, daß er glücklich zu seinem Eigentum gelangt sei. Er war des Lobes voll.

Nun nahmen die Kawassen die vier Arrestanten in die Mitte und setzten sich mit ihnen in Bewegung. Die Menge folgte, das gelungene Abenteuer besprechend. Der Abzug wurde viel lauter bewerkstelligt, als der Aufmarsch.

Auch die Herren von der Obrigkeit schlossen sich dem Zug an. Ich blieb mit Halef zurück. Er hatte mir einen Wink gegeben.

»Sihdi, ich habe noch die halbe Fackel,« sagte er; »sie ist zwar verlöscht, aber wir können sie ja wieder anbrennen. Wollen wir uns nicht die Hütte des Alten ansehen?«

»Ja, wir wollen es wenigstens versuchen.«

»Hast du den Schlüssel noch? Ich habe gesehen, daß du ihn einstecktest, als du dem Schurken in der Gerichtsverhandlung die Taschen leertest.«

»Ich habe ihn noch, weiß aber nicht, ob es der Hüttenschlüssel ist.«

»Er wird es schon sein. Welche Schlüssel sollte der Alte sonst noch haben!«

Wir warteten, bis die Anderen sämtlich verschwunden waren, und schlossen dann die Türe auf. Mit Hilfe eines Zündholzes und eines Stückes Papier wurde die Fackel wieder in Brand gesteckt, dann traten wir ein.

Das armselige Gebäude lehnte, wie bereits erwähnt, an einer Mauer. Es schien, von außen betrachtet, nur einen einzigen kleinen Raum zu enthalten; aber als wir uns jetzt im Innern befanden, sahen wir, daß mehrere Stuben hintereinander lagen. Die inneren Räume gehörten zu dem alten Schloß, und die Hütte war in schlauer Weise an die Oeffnung gesetzt worden.

Die vordere Stube war fast leer. Man sah es ihr an, daß sie nur dazu diente, Besuche abzufertigen.

Als wir das zweite Gelaß betreten wollten, bemerkte ich mehrere Fäden, welche oben, unten und in der Mitte quer über den Eingang liefen. Ich berührte den einen vorsichtig mit dem Griff meiner Peitsche, und sofort ertönte das Krachen eines Schusses. Katzen miauten, ein Hund bellte, Raben krächzten und allerlei andere Stimmen wurden hörbar.

»O Allah!« lachte Halef. »Wir befinden uns wahrscheinlich in der Arche des Erzvaters Noah. Aber, Sihdi, ich schlage vor, daß wir nicht weiter eindringen. Warten wir lieber, bis es Tag ist.«

Ich stimmte sehr gern bei. Wenn ich dem alten Mübarek auch keine außergewöhnlichen physikalischen Kenntnisse zutraute, so konnten die seinigen doch vollständig ausgereicht haben, irgend einen wirkungsvollen Apparat zum Unschädlichmachen fremder Eindringlinge zu erfinden. Wir schlossen also wieder zu und löschten die Fackel aus.

Eben als wir den Heimweg antreten wollten, kam eine weibliche Gestalt auf uns zu gehuscht. Ich erkannte ihr Gesicht nicht. Sie aber ergriff meine Hand und drückte, bevor ich es zu hindern vermochte, ihre Lippen darauf.

»Ich sah beim Scheine der Fackel, daß du es bist, Effendi, und muß dir nochmals danken.«

Es war Nebatja, die Pflanzensucherin.

»Was tust du hier oben?« fragte ich sie. »Warst du bereits da, als wir die Gefangenen holten?«

»Nein. Es ist keine Freude für mein Herz, solche unglückliche Menschen zu sehen. Aber ich war im Hofe des Kodscha Bascha, als du verurteilt werden solltest. Herr, du bist tapfer gewesen, aber du hast dir auch einen bösen Feind erworben.«

»Wen? Den Mübarek?«

»Den meine ich nicht, obgleich auch er dich haßt. Ich meine den Kodscha Bascha.«

»Ich glaube wohl, daß er mir nicht seine besondere Liebe schenken wird; aber als Feind brauche ich ihn nicht zu fürchten.«

»Ich bitte dich dennoch, sei vorsichtig!«

»Ist er ein so schlimmer Gast?«

»Ja. Er ist die Obrigkeit, aber im Stillen unterstützt er die Leute des Schut.«

»Ah! Woher weißt du das?«

»Er war oft des Nachts hier oben bei dem Mübarek.«

»Hast du dich nicht getäuscht?«

»Nein. Ich habe ihn beim Mondschein sehr deutlich gesehen, und ich habe ihn in dunkler Nacht an der Stimme erkannt.«

»Hm! Bist du so oft hier oben gewesen?«

»Oft, trotzdem es mir vom Mübarek verboten worden. Ich liebe die Nacht. Sie ist die Freundin des Menschen. Sie läßt ihn mit seinem Gott allein und duldet nicht, daß er im Gebet gestört wird. Auch gibt es Pflanzen, die man nur des Nachts suchen darf.«

»Wirklich?«

»Ja. Wie es Pflanzen gibt, welche nur des Nachts duften, so gibt es überhaupt solche, die nur des Nachts wachen; am Tage aber schlafen sie. Und hier oben gibt es solche Nachtfreundinnen, bei denen ich dann sitze, um mit ihnen zu sprechen und auf ihre Antwort zu lauschen. In der letzten Zeit war mir das schwer gemacht. Heute aber hast du meinen Feind entlarvt; er befindet sich in Gefangenschaft, und da bin ich nun gleich heraufgegangen, um mir nach Mitternacht einen König zu holen.«

»Einen König? Ist das auch eine Pflanze?«

»Ja. Kennst du sie nicht?«

»Nein.«

»Sie ist ein König, denn wenn sie stirbt, so stirbt das ganze Volk mit ihr.«

Ich hatte hier ein ganz eigenartig und tief angelegtes Frauengemüt vor mir. Dieses Weib mußte im Schweiß der Arbeit für ihre Familie sorgen und fand doch noch Zeit, des Nachts stundenlang mit den Pflanzen zu verkehren, mit ihnen zu sprechen und die Geheimnisse ihres Daseins zu erlauschen.

»Wie ist der Name dieser Pflanze?« fragte ich neugierig.

»Es ist die Hadsch Marrjam. Wie schade, daß du sie nicht kennst!«

»Ich kenne sie; aber ich habe nicht gewußt, daß sie einen König hat.«

»Nur wenige Menschen wissen es, und unter diesen wenigen ist selten einer so glücklich, einen König zu finden. Man muß die Hadsch Marrjam sehr lieb haben und ihre Art und Weise ganz genau kennen; dann findet man den König. Das Volk wächst gern auf unfruchtbaren Stellen, an Bergen, Felsenbrüchen und öden Halden. Es steht stets im Kreise, der oft klein, oft auch groß ist, und ganz genau im Mittelpunkt dieses Kreises steht der König.«

Das war mir freilich neu. Hadsch Marrjam heißt »Kreuz Mariens«, und ganz dieselbe Pflanze wächst auch in Deutschland und wird im Volk Marienkreuzdistel genannt. Wie sonderbar, daß der Name auf den Höhen des Erzgebirges gerade so lautet, wie am Babuna- oder Plaschkawitzagebirg in der Türkei!

Die Frau fuhr in ihrem Lieblingsthema fort:

»Diese Distel ist sehr dürr und spröd; sie wird nicht hoch und hat einen dünnen Stengel; aber der König ist breit und wird alle Tage breiter. Sein Stengel ist so dünn wie eine Messerklinge; aber er kann so breit wie zwei Hände werden und trägt oben einen langen, schmalen Distelkopf, auf dessen dunkeln Grund eine helle Zickzackschlange gezeichnet ist. Diese Schlange leuchtet des Nachts.«

»Ist das wahr?«

»Ich belüge dich nicht, Herr. Ich habe es oft gesehen und werde es auch heute wieder sehen. Wenn man den Distelkönig fortnimmt, so gehen alle seine Untertanen ein. Nach Verlauf eines Monats sind sie tot. Sonst aber werden sie sehr alt. Der König, welchen ich heute hole, ist wohl gegen zehn Jahre alt.«

»Aber wenn du ihn holst, so geht ja sein Volk ein!«

»O nein! Es ist ein neuer, junger König gewachsen; da kann man den Alten fortnehmen. Das muß am Sonntag nach dem Neumond geschehen, am heiligen Tag der Christen, deren Himmelskönigin Marrjam ist. An diesem Tag leuchtet der König am schönsten; er leuchtet, selbst abgeschnitten, dann noch einige Nächte. Da hat er seine beste Kraft. Heute ist der erste Sonntag nach Neumond; darum hole ich mir den König in dieser Nacht. Wenn du Zeit hättest, könntest du ihn leuchten sehen.«

»Ich würde mit dir gehen, denn ich interessiere mich außerordentlich für solche Geheimnisse der Natur; aber ich muß leider hinab in die Stadt.«

»So bringe ich ihn dir morgen abend; da leuchtet er auch noch.«

»Ich weiß nicht, ob ich dann noch in Ostromdscha sein werde.«

»Herr, willst du so schnell fort?«

»Ja. Ich kam nicht her, um lange zu verweilen, und meine Zeit ist mir karg zugemessen. Doch sage, welche Kraft schreibt man dem Distelkönig zu?«

»Die gewöhnliche Hadsch Marrjam heilt, als Tee getrunken, die Lungensucht, falls diese nicht gar zu alt geworden ist. Die Distel hat einen Stoff, welcher die winzig kleinen Krankheitstiere tötet, die sich in der Lunge befinden. Von dem König aber sagt man, daß er den Lungensüchtigen noch vom Grab wegnähme.«

»Hast du das probiert?«

»Nein; ich glaube es, denn der Schöpfer ist allmächtig und kann, wenn er will, den kleinsten Pflänzchen eine große Kraft verleihen.«

»So komm morgen zu mir und zeige mir den König, wenn ich noch da bin. Weißt du, wo ich wohne?«

»Ich habe es gehört. Schlafe wohl, Effendi!«

»Gut Glück mit dem König, Nebatja!«

Sie ging.

»Sihdi, glaubst du das von dem König der Disteln?« fragte mich Halef im Weiterschreiten.

»Ich bezweifle es nicht.«

»Ich habe noch nie gehört, daß Pflanzen ihre Herrscher haben.«

»So glaubst du es also nicht. Nun, wenn sie mir diesen Beherrscher der Hadsch Marrjam bringt, wirst auch du ihn sehen.«

Ich ahnte heute nicht, daß ich dem Distelkönig bald mein Leben zu verdanken haben würde. Daß die Pflanzensucherin sich heute seinetwegen hier oben befand, sollte mir zum größten Vorteil gereichen. Uebrigens ist der Distelkönig wirklich keine fabelhafte Pflanze. Ich habe zwischen Scheibenberg und Schwarzenberg im sächsischen Erzgebirge auf einer kahlen, abgeholzten Höhe ein Marienkreuz-Distelvolk gefunden und bin volle vier Tage dort geblieben, um nach dem König zu suchen.

Das Terrain, über welches sich die Disteln ausgebreitet hatten, bildete wirklich einen ziemlich regelrechten Kreis. Ich umwanderte den Umfang desselben und schritt dann verschiedene Radien nach der Mitte zu ab, doch lange ohne Erfolg. Endlich aber fand ich den Gesuchten an einem Punkt, an welchem ich oft vorübergekommen war, ohne den König zu sehen, da er von einem Büschel dichten, dürren Schmeelgrases ganz umgeben war. Er rechtfertigte genau Nebatjas Beschreibung; ich schnitt ihn ab und besitze ihn noch heute. Als ich nach ungefähr vier Monaten wieder nach Annaberg kam, unternahm ich neugierig und trotz Mangel an Zeit die Fußpartie nach dem Fundort – die Untertanen waren eingegangen.

Diesen Beweis von der Wahrheit der Beschreibung Nebatjas hatte ich freilich hier in Ostromdscha noch lange nicht; aber dennoch glaubte ich ihr. Der große Linné erzählt ja mit schöner Anerkennung, daß er seine besten Funde und Beobachtungen infolge von Winken gemacht habe, welche er von einfachen, oft noch weniger als einfachen Menschen erhielt. Das Kind des Volkes hat einen liebevolleren Blick für die Heimlichkeiten der Natur, als der sogenannte bevorzugte Mensch. —

Im Ort angekommen, begaben wir uns zu dem Kodscha Bascha, bei welchem ich das Verzeichnis anfertigte. Seine Augen funkelten, als wir den Inhalt der drei Geldbeutel zählten. Er fragte nochmals an, ob ich ihm die Absendung nicht überlassen wollte, aber ich bestand darauf, daß ich das selbst besorgen werde. Es sollte sich sehr bald zeigen, daß ich daran wohl getan hatte. Aber er drang darauf, jedenfalls um mich zu ärgern, daß die Beutel versiegelt und mit seinem Petschaft gestempelt werden mußten. Ich weigerte mich natürlich keinen Augenblick.

Dann ließ ich mir die Gefangenen zeigen. Sie befanden sich in einem kellerartigen Raum und waren gebunden.

Ich sagte ihm, daß dies eine unnütze Quälerei sei; er aber meinte, daß man mit solchen Burschen gar nicht streng genug verfahren könne, und er werde während der Nacht sogar einen seiner Knechte als Wächter vor die Türe stellen.

Ich fühlte mich also über die Sicherheit der Gefangenen ganz beruhigt und dachte wirklich nicht, daß er sie jetzt nur deshalb gebunden habe, weil zu erwarten war, daß ich kommen werde, um nach ihnen zu sehen.

Von hier aus begab ich mich in den Konak, wo jetzt das verspätete Abendmahl eingenommen wurde. Wir saßen in demselben Zimmer wie am Mittag beisammen. Es ging recht munter her, denn die Ereignisse des Tages gaben genug Stoff zu einem lebhaften Gedankenaustausch, und so war Mitternacht längst vorüber, als wir uns zur Ruhe legten.

Ich bekam die Ehrenstube angewiesen, in welche ich auf einer Stiege gelangte. Da zwei Betten dastanden, nahm ich den kleinen Hadschi zu mir. Ich wußte, wie wohl ihm solcher Freundschaftserweis tat.

Meine Uhr zeigte wenig über zwei, als wir uns anschickten, uns der Kleider zu entledigen. Da pochte es unten an das jetzt verriegelte Tor. Ich öffnete den Laden und blickte hinaus. Es stand jemand am Tor: ich konnte aber nicht erkennen, wer es war.

»Kim dir – wer ist da?« fragte ich.

»O, das ist deine Stimme,« antwortete ein weiblicher Mund. »Nicht wahr, du bist der fremde Effendi?«

»Ja. Und du bist die Pflanzensucherin?«

»Ja, Herr. Komm herab! Ich habe dir etwas zu sagen.«

»Ist‘s notwendig?«

»Gewiß.«

»Werde ich wieder schlafen gehen können?«

»Sogleich wohl nicht.«

»Warte! Ich komme.«

Eine Minute später stand ich mit Halef unten bei ihr.

»Effendi,« sagte sie, »weißt du, was geschehen ist – — oder halt, so viel Zeit hast du wohl noch: siehe da meinen König der Hadsch Marrjam!«

Sie gab ihn mir in die Hand, eine stachelige Distel von zweimal Handbreite, aber wirklich so dünn, wie eine Messerklinge. Die helle Zickzackschlange oben auf der langen, schmalen Krone war trotz der Dunkelheit sehr deutlich zu erkennen. Sie »leuchtete« zwar nicht, aber sie hatte einen ziemlich bedeutenden Glanz, fast wie phosphoreszierend.

»Glaubst du mir nun?« fragte sie.

»Ich habe an deinen Worten gar nicht gezweifelt. Hier ist‘s zu dunkel; ich werde dich früh besuchen, um mir die Distel bei Tageslicht genau zu betrachten. Aber nun sage, was du mir mitzuteilen hast.«

»Etwas sehr Schlimmes: die Gefangenen sind entflohen.«

»Was? Wirklich?«

»Ja, sie sind entflohen.«

»Woher weißt du es?«

»Ich habe es gesehen; ja sogar gehört, was sie sprachen.«

»Wo denn?«

»Droben auf dem Berg, an der Hütte des Mübarek.«

»Sihdi!« sagte Halef. »Da müssen wir fort, augenblicklich fort, hinauf auf den Berg. Wir schießen sie nieder, sonst geht es uns an das Leben.«

»Warte! Wir müssen erst alles wissen. Sage uns, Nebatja, wie viele ihrer waren.«

»Die drei Fremden, der Mübarek und der Kodscha Bascha.«

»Was? Der Kodscha Bascha war dabei?«

»Ja; er selbst hat sie herausgelassen und von dem Mübarek fünftausend Piaster dafür erhalten.«

»Weißt du das gewiß?«

»Ich habe es deutlich gehört.«

»So erzähle, aber alles doch nur kurz! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Ich hatte den Distelkönig geholt und wollte zurückkehren über die Lichtung. Da sah ich vier Männer kommen, in der Richtung aus der Stadt. Ich wollte mich nicht sehen lassen und huschte in die Ecke, welche die Hütte mit der Mauer bildet, an die sie stößt. Die vier Männer wollten in die Hütte treten, welche aber verschlossen war. Drei von ihnen kannte ich nicht; der vierte aber war der Mübarek. Sie sprachen davon, daß der Richter sie nun frei gelassen habe und gleich kommen werde, um sich fünftausend Piaster dafür zu holen. Wenn sie ihn bezahlt hätten, wollten sie fort; aber rächen müßten sie sich an euch. Der eine sagte, du würdest jedenfalls nach Radowich und Istib reiten. Unterwegs sollten euch da die Aladschy überfallen.«

»Wer sind die Aladschy?«

»Ich weiß es nicht. Dann kam der Kodscha Bascha. Weil niemand den Schlüssel hatte, traten sie die Türe mit den Füßen ein. Es wurde Licht gemacht und ein Laden geöffnet, gleich da, wo ich versteckt war. Aus dem Laden kamen Vögel, Fledermäuse und andere Tiere heraus, welche der Mübarek frei ließ. Da fürchtete ich mich und floh und rannte so schnell wie möglich nach der Stadt und zu dir. Das ist es, was ich dir zu sagen habe.«

»Ich danke dir, Nebatja; morgen sollst du deine Belohnung dafür haben. Geh jetzt heim! Ich habe nicht länger Zeit.«

Nun kehrte ich in das Haus zurück. Zu wecken brauchte ich niemanden. Daß man mir gepocht hatte, war ein sicheres Zeichen gewesen, es sei etwas vorgefallen; man war also aufgestanden. Nach kaum zwei Minuten waren wir bewaffnet und unterwegs: Halef, Osko, Omar und ich. Die beiden Wirte hatten die Stadt alarmieren wollen, ich aber hatte es ihnen verboten; denn die Flüchtlinge hätten den Lärm hören müssen und wären durch denselben gewarnt worden. Ich beauftragte die Wirte, im Stillen noch einige wackere Männer zu holen und mit ihnen die nach Radowich führende Straße zu besetzen. So mußten ihnen die Flüchtlinge auf alle Fälle in die Hände laufen, wenn es uns nicht vorher gelang, sie unschädlich zu machen.

Wir Vier eilten zunächst den Bergpfad empor; dann aber, als wir den Wald erreichten, waren wir gezwungen, langsamer zu gehen. Da das Terrain nicht offen war, mußten wir uns in acht nehmen, nicht zu stürzen. Der Weg ging steil bergan, und der Boden war zwischen den Bäumen mit Steinen besät, da das herabströmende Regenwasser allmählich die weicheren Erdbestandteile weggewaschen hatte.

Da war es mir, als ob ich vor uns einen scharfen, spitzen Menschenlaut vernehme, wie wenn jemand im Schrecken ein hohes, kurzes »I« ausstößt. Dann hörte ich einen dumpfen Schall, wie wenn jemand stürze.

»Halt!« flüsterte ich den Andern zu. »Es ist ein Mensch da vor uns. Bleibt stehen, und verhaltet euch ganz ruhig.«

Nach wenigen Augenblicken näherten sich uns langsame Schritte. Sie waren unregelmäßig, denn der Mann setzte den einen Fuß langsamer und auch leiser vorwärts als den andern. Er hinkte. Vielleicht hatte er sich bei dem Fall verletzt.

Jetzt war er ganz nahe vor mir. Die Nacht war nicht hell, und hier zwischen und unter den Bäumen lagerte nun gar eine dicke Finsternis. Darum ließ mich mehr der Instinkt als das Auge eine lange dünne Gestalt erkennen, ganz ähnlich derjenigen des Kodscha Bascha.

Ich faßte ihn bei der Brust.

»Dur we sus – halt und schweig!« gebot ich ihm mit unterdrückter Stimme.

»Ia Allah!« rief er erschrocken.

»Sei still, sonst schlage ich dich nieder.«

»Wer bist du?« fragte er.

»Kennst du mich nicht?«

»Ah, du bist der Fremde! Was willst du hier?«

Vielleicht hörte er es an meiner Stimme, vielleicht auch war meine Gestalt besser zu erkennen, als die seinige – er wußte, wen er vor sich hatte.

»Und du, wer bist du?« fragte ich. »Wohl gar der Kodscha Bascha, welcher die Gefangenen frei gelassen hat!«

»Ej müdschizat! O Wunder!« schrie er laut. »Er weiß es!«

Er machte einen Seitensprung, um sich zu befreien. Ich hielt zwar fest, da ich wohl einen Fluchtversuch erwartet hatte; aber sein alter, morscher Kaftan hielt nicht so fest wie ich. Ein Riß, ich hatte ein Stück des Zeuges in der Hand, und der Mann sprang unter die Bäume hinein, wo eine Verfolgung ganz nutzlos gewesen wäre. Dabei schrie er aus Leibeskräften:

»Hajde, sa-usch kulibeden, choriadscha, tschapuk – fort, fort aus der Hütte, rasch, schnell!«

»O Sihdi, was bist du für ein Dummkopf!« sagte Halef. »Hast den Kerl schon beim Schopf und lässest ihn doch wieder los! Wenn ich das getan hätte, so – —«

»Still!« unterbrach ich ihn. »Zu Vorwürfen haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen schnell zu der Hütte, denn sein Warnungsruf läßt vermuten, daß sie dort sind.«

Da erschallte von oben herab ein fragender Ruf:

»Nitschün, ne deji – warum, aus welchem Grund?«

»Jabandschylar, edschnebiler! Katschyn, koschyn, sytschryn – die Fremden, die Fremden! Flieht, lauft, springt!« antwortete der Flüchtende von der Seite her.

Jetzt befleißigten wir uns natürlich der größtmöglichsten Eile; aber der holprige Weg hielt uns doch zu sehr auf. Wir waren nur wenige Schritte weit fortgekommen, da tat es oben einen Krach: wir sahen einen Feuerstrahl emporschießen, dann wurde es für einige Augenblicke wieder dunkel.

»Sihdi, bir top fischenkler ile – Herr, das war eine Kanone mit Raketen!« meinte Halef, indem er hinter mir her keuchte. »O Allah, es brennt sogar noch!«

Wir sahen jetzt zwischen den Baumstämmen hindurch einen Feuerschein, und als wir dann den freien Platz erreichten, lag die Hütte vor uns, über und über brennend. Und von dort her rief eine Stimme:

»Dort kommen sie! Seht ihr sie? Gebt Feuer!«

Wir waren vom Flammenschein hell erleuchtet und boten also ein sehr sicheres Ziel.

»Zurück!« rief ich und tat zu gleicher Zeit einen Sprung, der mich hinter den nächsten Baum brachte.

Die Andern folgten augenblicklich meinem Beispiel, und just noch zur rechten Zeit, denn es krachten drei Schüsse auf uns, von denen aber keiner traf.

Noch im Sprunge hatte ich das Gewehr emporgenommen. Der Aufblitz der Schüsse mußte mir die Stelle verraten, an welcher sich die Halunken befanden. Ich drückte keine Sekunde später ab als sie und hatte getroffen, denn eine Stimme schrie:

»Ej felaket, bre ha! Jaralanmyschim! – O Unglück, zu Hilfe! Ich bin verwundet!«

»Drauf und dran!« rief der tapfere kleine Hadschi Halef Omar, indem er hinter seinem Baum hervorsprang.

»Halt!« warnte ich, ihn am Arm erfassend. »Sie haben vielleicht zwei Läufe.«

»Mögen sie hundert haben, die Schurken, ich haue sie nieder!«

Er riß sich los, drehte sein Gewehr um und sprang über den hell erleuchteten Platz. Da blieb uns nichts Anderes übrig, als ihm zu folgen. Es war das sehr gefährlich, aber glücklicherweise war da drüben kein Doppelgewehr vorhanden, und zum Wiederladen hatten sie auch keine Zeit gehabt. Wir gelangten mit heiler Haut zu dem Felsen, an welchem die Schüsse gefallen waren; doch war dies auch der einzige Erfolg, den uns der unvorsichtige Sturmlauf einbrachte. Es befand sich niemand mehr da.

»Sihdi, wo sind sie?« fragte Halef. »Hast du eine Ahnung davon?«

»Wo sie sind? Nein! Aber wie sie sind, das weiß ich sehr genau.«

»Nun, wie denn?«

»Gescheiter als wir, vor allen Dingen gescheiter als du.«

»Willst du mich schon wieder tadeln?«

»Du verdienst es. Wir hätten sie ganz sicher ergriffen, wenn du nicht ausgebrochen wärest.«

»Auf welche Weise denn?«

»Wenn wir, gedeckt durch die Bäume, um die Lichtung schlichen, wären wir an sie gekommen.«

»Sie wären auch schon fort gewesen.«

»Das fragt sich. Einem offenen Angriff sind sie natürlich ausgewichen; das heimliche Beschleichen hätte aber wohl Erfolg gehabt, besonders wenn einer von euch zurückgeblieben wäre und einige blinde Schüsse abgegeben hätte. Da hätten sie geglaubt, wir alle seien noch dort.«

»So meinst du, daß wir sie nun nicht bekommen können?«

»Sie sind jedenfalls noch nahe; aber suche sie in dieser Finsternis. Das Feuer erleuchtet nur die Lichtung. Und selbst wenn wir wüßten, wo sie sich befinden, müßten wir sie in Ruhe lassen; sie müßten uns ja kommen hören, und was dann erfolgen würde, kannst du dir denken.«

»Ja, sie würden uns mit Kugeln empfangen, und ich habe mir sagen lassen, daß so eine Kugel zuweilen imstande sei, die Jugend im Wachstum zu hindern. Aber was tun wir nun?«

»Horchen wir!«

Dieser kurze Gedankenaustausch war selbstverständlich nicht mit überlauten Stimmen geführt worden. Es war anzunehmen, daß die vier Männer sich gar nicht weit von uns befanden, und wir durften sie nicht durch unvorsichtiges Sprechen nach unserm Standpunkt locken.

Ueberdies hatten wir uns so gestellt, daß wir uns im Dunkeln befanden.

So lauschten wir eine kleine Weile. Das Geprassel der brennenden Hütte störte uns. Aber nachdem das Ohr sich daran gewöhnt hatte, hörte ich mit ziemlicher Deutlichkeit ein lautes Rascheln. Auch Osko vernahm es, denn er fragte mich:

»Hörst du, daß sie da jenseits durch die Büsche brechen, Effendi?«

»Nach dem Geräusch zu urteilen, ist es im höchsten Fall wenig über hundert Schritte von hier, und da ich annehmen möchte, daß sich unter den Bäumen kein Strauchwerk befindet, so kann der Ring, welchen der Baumwuchs um die Bergkuppe bildet, nach dieser Seite hin gar nicht bedeutend sein. Das haben sie gewußt und darum richteten sie die Flucht dorthin.«

»Wie können sie das wissen? Sie sind doch selbst hier fremd!«

»Manach el Barscha ist schon oft hier gewesen, und der alte Mübarek befindet sich ja bei ihnen.«

Ich ging nun zur Hütte und riß eine Dachstange, welche brennend herabhing, gänzlich los. Da das Holz derselben sehr harzig war, brannte sie wie eine Fackel. Mit dieser Leuchte verfolgte ich die Richtung, welche die Flüchtlinge eingeschlagen zu haben schienen. Meine drei Begleiter schlossen sich mir an, indem sie die Gewehre schußfertig hielten.

Das Prasseln des Feuers hatte mich doch irre gemacht. Die Breite des von Bäumen bestandenen Areales war hier nicht so groß, wie ich gedacht hatte. Wir erreichten schon nach kurzer Zeit die außerhalb desselben beginnenden Büsche und sahen auch ganz deutlich die Stelle, an welcher sich die Flüchtlinge den Weg durch dieselben gebahnt hatten.

Wir folgten ihm und gelangten in demselben Moment ins Freie, als meine Fackel verlöschte.

Da hörten wir unter uns das Wiehern eines Pferdes, und gleich darauf erscholl lautes Pferdegetrappel durch die Nacht.

»Odschurola chowardalar – lebt wohl, ihr Schurken!« rief eine laute Stimme zu uns herauf. »Kyzartsiz jaryn dejil o bir gün dschehennemde – ihr bratet übermorgen in der Hölle!«

Das war sehr deutlich gesagt. Wenn ich noch nicht gewußt hätte, daß man uns auflauern wolle, so hätte ich es nun erraten. Sehr klug waren diese Leute denn doch nicht.

Mein kleiner Halef war höchlichst ergrimmt über diese Beleidigung. Er legte beide Hände an den Mund und brüllte mit aller Kraft seiner Stimme in das nächtliche Dunkel hinein:

»Ata binin schejtanile, jutylyn nenesinadan – reitet zum Teufel, und werdet gefressen von seiner Großmutter! Koschyniz bana kambur üzerinde, on kerre jokarija hem jirmi kerre aschagha – lauft mir nach dem Buckel, zehnmal hinauf und zwanzigmal hinab!«

Er hatte sich in einen solchen Zorn hineingeredet, daß er ihnen noch nachrief:

»Siz haidudlar, öldürüdschülar, kundakdschylar, derisini tschykarmakdschilar, dar adschadschy ipleri – ihr Räuber, ihr Mörder, ihr Mordbrenner, ihr Schinder, ihr Galgenstricke ihr!«

Ein lautes Hohngelächter erscholl als Antwort herauf. Ganz atemlos vor Redeanstrengung fragte mich der Kleine:

»Herr, habe ich es ihnen nicht fein gesteckt? Habe ich es ihnen nicht deutlich gesagt?«

»Ja, so fein, daß sie dich auslachten, wie du ja gehört hast.«

»Sie haben keine Bildung. Sie wissen sich nicht zu benehmen. Sie haben keine Ahnung von dem Gesetze der Höflichkeit und von den Regeln der guten Sitten. Man muß selbst seinen Feind anständig behandeln, und mit schönen, wohlklingenden Komplimenten besiegen.«

»Ja, das hast du eben jetzt bewiesen, lieber Halef. Die Komplimente, die du ihnen nachgerufen hast, waren niedlich.«

»Das war nicht ich, sondern der Zorn. Hätte ich selbst gesprochen, so wäre ich höflich gewesen. Nun sind sie fort. Was ist zu tun?«

»Jetzt gar nichts. Wir stehen nun wieder grad so da, wie vor unserer Ankunft hier in Ostromdscha. Unsere Feinde sind vor uns; sie sind frei und haben sich sogar noch um einen Mann vermehrt. Jetzt kann die Jagd von neuem beginnen, und wer weiß, ob wir jemals wieder so günstige Gelegenheiten bekommen, wie hier.«

»Recht hast du, Sihdi. Diesen Kodscha Bascha sollte man an den Galgen hängen!«

»Er hat sie nicht nur frei gelassen, sondern ihnen auch ihre Pferde wieder gegeben.«

»Meinst du?«

»Selbstverständlich! Du hast doch gehört, daß sie Pferde hatten? Die haben für sie bereit gestanden.«

»Er wird es leugnen.«

»Seine Lügen nützen ihm nichts. Ich habe ihm ein Stück aus dem Kaftan gerissen, und es befindet sich in meiner Tasche.«

»Was aber willst du mit ihm machen? Hast du Gewalt über ihn?«

»Leider nicht.«

»Nun, so nehme ich die Sache in die Hand.«

»Was willst du tun?«

»Das wird sich finden.«

»Keine neue Uebereilung, Halef!«

»Sei unbesorgt, Sihdi! Ich werde mich nicht übereilen, sondern die Sache in der größten Ruhe und Gemächlichkeit erledigen. Müssen wir jetzt nicht nach der Hütte zurückkehren?«

»Ja. Vielleicht ist da noch etwas zu retten.«

Es wurde uns nicht schwer, den Weg, den wir nun kannten, trotz der Dunkelheit zurückzufinden.

Die Wohnung des Mübarek mußte viele das Feuer nährende Stoffe enthalten haben, denn die Flamme stieg sehr hoch empor. Es waren unterdessen Leute angekommen, welche der weithin sichtbare Brand herbeigelockt hatte.

Eben als wir unter den Bäumen hervortraten, kam von der andern Seite, wo der Weg mündete, der Kodscha Bascha herbeigelaufen. Dieser Titel ist übrigens ein sehr eigentümlicher für einen Stadtrichter oder Bürgermeister, denn er bedeutet, wörtlich übersetzt: »Oberhaupt der Ehemänner«. Als dieses Oberhaupt uns erblickte, erhob er den Arm, deutete auf uns und rief:

»Ergreift sie! Haltet sie fest! Sie sind die Brandstifter!«

Ich war über diese Frechheit mehr erstaunt als erzürnt. Der Mensch besaß eine geradezu verblüffende Unverschämtheit. Die Anwesenden, welche alle wußten, wie ich ihm heute mitgespielt hatte, beeilten sich natürlich gar nicht, seinen Befehl auszuführen.

»Habt ihr‘s gehört?« fuhr er sie an. »Ergreifen sollt ihr die Brandstifter!«

Da geschah etwas, dessen er sich wohl schwerlich versehen hatte. Der kleine Halef trat nämlich auf ihn zu und fragte:

»Ne mi iz sewgülüm – was sind wir, mein Liebling?«

»Harakadschilarsiz – Brandstifter seid ihr,« antwortete er.

»Du irrst, Kodscha Bascha. Wir sind etwas ganz anderes. Wir sind Gerber, und um dir das anschaulich zu machen, werden wir dir jetzt ein wenig das Fell gerben, nicht das ganze Fell, denn dazu haben wir keine Zeit, sondern nur denjenigen Teil, über dessen Festigkeit du dich dann königlich freuen wirst, da du ihn zum Sitzen brauchst. Osko, Omar, kommt herbei!«

Die beiden Genannten ließen sich das nicht zweimal sagen. Zwar warfen sie zunächst einen fragenden Blick auf mich, um zu erfahren, wie ich mich zu der Absicht des streitbaren Kleinen verhalten werde; aber da ich weder dafür noch dagegen sprach, sondern mich ganz neutral verhielt, so packten sie den alten Wackelkopf mit kräftigen Armen und legten ihn auf den Boden nieder.

Er merkte, was da vorgehen solle, und erhob ein angstvolles Geschrei.

»Allah, Allah!« rief er. »Was wollt ihr tun? Wollt ihr euch an der göttlichen und menschlichen Obrigkeit vergreifen? Allah wird euch vernichten, und der Padischah wird euch in alle seine Kerker stecken. Man wird euch die Köpfe abschlagen und dann eure Leiber an den Toren aller Städte und Dörfer aushängen!«

»Schweig!« befahl ihm Halef. »Der Prophet hat seinen Anhängern geboten, jedes Schicksal geduldig hinzunehmen, weil es im Buch des Lebens verzeichnet steht. Gestern habe ich darin gelesen, daß du Hiebe bekommen sollst, und weil ich ein gläubiger Sohn des Propheten bin, so werde ich dafür sorgen, daß dieses schöne Kismet an dir in Erfüllung geht. Legt ihn auf den Bauch, wenn er überhaupt einen hat, und haltet ihn fest!«

Osko und Omar befolgten pünktlich diesen Befehl. Zwar wendete der Kodscha Bascha seine ganze Kraft auf, um sich seinem Verhängnis zu widersetzen, aber die beiden kräftigen Männer waren ihm jedoch so überlegen, daß sein Widerstand ihm ebensowenig nützte wie sein fortgesetztes Geschrei.

Gern gestehe ich, daß ich der Sache nicht gar sehr sympathisch gegenüberstand. Prügel auszuteilen, ist nichts Aesthetisches; auch waren wir hier fremd und konnten nicht wissen, wie die anwesenden Einheimischen sich dazu verhalten würden. Es waren ihrer viele da, und es kamen immer mehr. Aber dieses unwürdige Oberhaupt hatte sich überhaupt sehr feindselig gegen uns verhalten; sein Handeln war ungesetzlich gewesen, und nun gar seine Beschuldigung, daß wir die Brandstifter seien, war eine so freche, daß ihm ein Denkzettel gar nichts schaden konnte. Vielleicht wirkten die Hiebe dahin, daß er später ein besserer Ausleger der Paragraphen des Gesetzes wurde.

Was die Leute betraf, welche sich neugierig herbeidrängten und einen Kreis um uns schlossen, so fürchtete ich sie nicht. Der Kodscha Bascha hatte wahrscheinlich keinen Freund, der sich für ihn hätte opfern mögen.

Er wurde also in die bezeichnete Lage gebracht. Osko hielt ihn an den Schultern nieder, und Omar kniete ihm auf die Beine. Als nun der kleine Halef seine Peitsche aus dem Gürtel nahm, ließ sich doch eine laute Stimme vernehmen.

»Wollt ihr es dulden, daß unser Oberhaupt geprügelt werde? Verteidigt den Kodscha Bascha!«

Von einigen Gleichgesinnten, die sich zu dem Sprecher drängten, ward ein drohendes Murmeln erhoben. Sie schoben sich näher heran.

Ich schritt langsam auf sie zu, stieß den Kolben des Gewehres auf den Boden, legte die Arme gekreuzt auf die Mündung und sah ihnen in die Gesichter, ohne ein Wort zu sagen. Sie wichen zurück.

»Hakk, tamam, wuryniz onu, kesyniz onu – recht so, recht so, haut ihn, haut ihn!« riefen mehrere uns freundliche Stimmen.

Halef nickte überaus huldvoll nach der Seite hin, von welcher die Stimmen erschollen waren, und begann sein mildtätiges Werk. Er gab sich demselben mit rührendem Eifer hin. Als er seine Peitsche aus Nilpferdhaut wieder in den Gürtel steckte, gab er dem Bestraften folgenden guten Rat:

»Nun bitte ich dich, in den nächsten Tagen dich ja auf nichts Hartes zu setzen. Das könnte den Glanz deiner Augen, die Schönheit deines Angesichtes, die Harmonie deiner Züge und die Feierlichkeit deiner Rede beeinträchtigen. Du darfst die Wirkung unserer edlen Tat nicht stören und wirst dann von deiner gegenwärtigen Jugend an bis in das späte Alter hinein die Fremden segnen, deren Erscheinen dir so gnadenreich geworden ist. Wir hoffen, daß du den heutigen Tag alljährlich mit andächtiger Feier begehen wirst, und wir werden zu derselben Zeit deiner stets in ganz besonderer Zuneigung gedenken. Erhebe dich und gib mir den Kuß des Dankes, der mir gebührt!«

Ein lautes Gelächter erscholl nach dieser in hohem Ernst vorgetragenen Rede.

Der Kodscha Bascha, von Osko und Omar nun losgelassen, stand langsam auf und legte seine beiden Hände auf die von Halef bereits näher beschriebene Körpergegend. Als der Kleine sich ihm nahte, fuhr er ihn wütend an:

»Mensch, Kerl, Hund! Was hast du getan! Du hast den Leib der Obrigkeit entweiht. Ich werde dich und die Deinen in Fesseln legen lassen – —«

»Ereifere dich nicht!« unterbrach ihn der Kleine. »Wenn du es eine Entweihung nennst, daß du nur zwanzig bekommen hast, so wollen wir den Fehler auf der Stelle verbessern. Legt ihn noch einmal nieder!«

»Nein, nein!« schrie der Bedrohte. »Ich gehe, ich gehe!«

Er wollte sich eiligst entfernen; da aber ergriff ich ihn am Arm.

»Bleib, Kodscha Bascha! Ich habe ein Wort mit dir zu reden!«

»Gar nichts hast du mit mir zu reden, gar nichts!« rief er, indem ich ihn in den Kreis zurückzog. »Ich mag von euch nichts mehr wissen. Ich habe genug von euch!«

»Das ist freilich sehr wahrscheinlich, aber ich will etwas von dir wissen, und darum wirst du noch einige Augenblicke bleiben. Nimm deine Hände da hinten weg! Es ziemt sich nicht, sie dort zu haben, wenn man mit einem Effendi spricht.«

Er versuchte, diesem Befehl nachzukommen, aber es wurde ihm so schwer, daß er abwechselnd bald die rechte, bald die linke Hand eine retrograde Bewegung machen ließ.

»Du hast uns als Brandstifter bezeichnet. Welchen Grund hast du dazu?« fragte ich ernst.

Diese Erkundigung verursachte ihm sichtlich Unbehagen. Blieb er bei seiner Behauptung, so konnten sich die Hiebe leicht wiederholen. Widersprach er sich aber, so stand er als Lügner da. Er kratzte sich also, während er die Rechte jenseits der Hüften hatte, mit der Linken den kahlen Scheitel und antwortete diplomatisch:

»Ich dachte es.«

»Und warum dachtest du es? Ein Kodscha Bascha muß einen jeden seiner Gedanken erläutern können.«

»Weil ihr vor uns hier gewesen seid. Wir sahen es brennen und eilten herbei. Als wir hier ankamen, befandet ihr euch schon da. Ist das kein Grund zum Verdacht?«

»Nein, denn wir können ja ebenso wie ihr herbeigeeilt sein, weil wir es brennen sahen. Aber besinne dich! Sind wir wirklich vor dir hier gewesen?«

»Natürlich! Ihr habt mich ja hier ankommen sehen.«

»Und ich denke, du warst vor uns da.«

»Unmöglich!«

»O doch! Wir sahen dich von hier kommen.«

»Das ist ein großer Irrtum von dir.«

»Gewiß nicht. Wir haben dich erkannt.«

»Herr, du täuschest dich. Ich war daheim und schlief. Da erwachte ich durch ein großes Geschrei. Ich erhob mich, blickte aus der Türe und sah das Feuer auf dem Berg und eilte herbei, denn als Obrigkeit bin ich dazu verpflichtet.«

»Bist du als Obrigkeit auch verpflichtet, flüchtige Verbrecher zu warnen?«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Lüge nicht! Wo sind die vier Gefangenen, welche dir anvertraut worden sind?«

»Selbstverständlich im Gefängnisse.«

»Sind sie gut bewacht?«

»Doppelt. Ein Knecht steht vor der Türe und ein anderer vor dem Hause.«

»Wie viele Knechte hast du?«

»Diese zwei.«

»Was hat denn dieser hier oben zu suchen?«

Derjenige nämlich, welcher vorhin sich für den Kodscha Bascha geäußert hatte, stand ganz in der Nähe. Ich hatte in ihm gleich den Knecht erkannt, dem die Bewachung der Gefangenen anvertraut worden war, und zog ihn jetzt unter den übrigen hervor.

Der Beamte spielte den zornigen.

»Was hast du hier zu stehen?« schrie er den Knecht an. »Willst du augenblicklich fort, heim auf deinen Posten!«

»Laß ihn!« sagte ich. »Es gibt nichts mehr zu bewachen. Die Gefangenen sind frei.«

»Frei?« fragte er, indem er sich den Anschein gab, erschrocken zu sein.

»Verstelle dich nicht! Du weißt es noch viel besser als ich. Du selbst hast sie freigelassen und dafür eine bedeutende Summe von dem Mübarek erhalten.«

Jetzt brachte er zum erstenmal die beiden Hände zugleich nach vorn. Er schlug sie zusammen und schrie:

»Was sagst du? Wessen beschuldigst du mich? Wer bist du, daß du es wagst, einen Kodscha Bascha zum Verbrecher zu stempeln? Geld hätte ich erhalten? Frei hätte ich die Gefangenen gelassen? Ich werde dich arretieren und mit der ganzen Strenge des Gesetzes gegen dich verfahren – — nein, nein, fort, laß mich!«

Diese letzten Worte galten Halef, der ihn beim Arme ergriff und, die Peitsche erhebend, in drohendem Tone fragte:

»Soll ich dir auch noch andere Gegenden gerben? Weißt du noch immer nicht, daß wir auf diese Weise nicht mit uns verhandeln lassen? Sagst du noch ein einziges Wort, welches meinem Ohre nicht behagt, so wird meine Peitsche sich über dich ergießen, wie ein Hagel, der durch die Dächer schlägt!«

Ich wendete mich an die Leute und erzählte ihnen, was ich von der Nebatja erfahren hatte, ohne aber ihren Namen zu nennen. Ich fügte dazu, daß der Kodscha Bascha uns dann begegnet sei und die Verbrecher gewarnt habe.

Da trat einer hervor, in welchem ich einen der Beisitzer des Gerichts erkannte, und sagte:

»Effendi, was du uns hier erzählst, erfüllt mich mit Staunen. Wir haben euch sehr viel zu verdanken, denn ihr habt den größten Verbrecher entlarvt, den es jemals hier gegeben hat. Sollten sie wirklich entflohen sein, er und seine Kumpane, so muß derjenige, der ihnen dazu verholfen hat, auf das allerstrengste bestraft werden. Ich habe dich heute gesehen und gehört; ich glaube, daß du nichts sagst, was du dir nicht vorher überlegt hast. Du mußt also wirkliche Gründe haben, den Kodscha Bascha anzuklagen. Da ich nun der Anwalt bin, also der Oberste nach ihm, so bin ich verpflichtet, an seine Stelle zu treten, wenn er sich seines Amtes unwürdig gemacht hat. Du wirst dich also nun an mich zu wenden haben.«

Der Mann schien brav zu denken, wenn ich ihm auch keine große Entschiedenheit zutraute. Ohne mich lange zu besinnen, antwortete ich ihm:

»Es freut mich, in dir einen Mann zu sehen, dem das Wohl der Bürger am Herzen liegt, und ich hoffe, daß du furchtlos und unparteiisch handeln wirst.«

»Das werde ich tun, doch wirst du mir die Wahrheit deiner Anschuldigung beweisen müssen.«

»Natürlich!«

»Du wirst mir also sagen, woher du weißt, daß der Kodscha Bascha mit den Flüchtlingen hier oben gewesen ist und von dem Mübarek Geld bekommen hat.«

»Nein, das werde ich nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Ich will die Person, welche alles gehört und gesehen hat, nicht in Schaden bringen.«

»Sie wird keinen Schaden haben.«

»Erlaube, daß ich daran zweifle. Du bist ein sehr braver Mann, aber nicht alle Beamten sind so, wie du. Ich kenne euch zur Genüge. Wenn ich fort sein werde, so wird dieser gute Kodscha Bascha wieder schalten und walten nach Belieben. Jener Person, von welcher ich alles erfahren habe, würde es schlecht ergehen. Es ist also besser, ich nenne ihren Namen nicht.«

»Aber dann kannst du deine Rede nicht beweisen!«

»O doch! Das Geld, welches der Kodscha Bascha erhalten hat, wird sich in seiner Tasche oder in seinem Hause finden, und daß er hier oben war und sich mir entriß, das ist auch sehr leicht zu beweisen; denn er hat ein Stück seines Kaftans in meiner Hand gelassen.«

»Das ist nicht wahr!« rief der Beschuldigte. »Schau her! Fehlt etwa ein Stück?«

Er deutete mit beiden Händen nach der Stelle, an welcher ich ihn gefaßt gehabt hatte. Der Kaftan war unversehrt.

»Siehst du, daß du dich irrst!« meinte der Gerichts-Anwalt. »Du scherzest,« erwiederte ich lachend.

»Wieso?« fragte er erstaunt.

»Wenn ich die Klugheit deines Gesichtes mustere, so bin ich überzeugt, daß du gesehen hast, wie der Kodscha Bascha sich jetzt verraten hat.«

»Verraten?«

»Ja. Er will der oberste der Ehemänner sein und macht doch die Dummheiten eines Anfängers im Verbrechen. Hast du gesehen, wohin er zeigte, als er uns jetzt seinen Kaftan wies?«

»Ja freilich!«

»Nun, wohin denn?«

»Nach der oberen Brust, da links.«

»Habe ich euch aber erzählt, aus welcher Stelle ich das Stück gerissen habe?«

»Nein, Effendi.«

»Nun, ganz genau aus derselben Stelle, auf welche er gedeutet hat. Woher weiß er das?«

Der Vertreter des Gesetzes blickte mich sehr verblüfft an und fragte:

»Effendi, bist du vielleicht ein Oberster der Polizei?«

»Warum fragst du so?«

»Weil nur ein solch hoher Beamter so scharfsinnige Gedanken haben kann.«

»Da irrst du dich. Ich wohne nicht im Land des Padischah, sondern im Nemtsche memleketi, dessen Bürger so streng nach den Gesetzen handeln, daß jedes Kind sofort die Unvorsichtigkeit des Kodscha Bascha bemerkt und begriffen hätte.«

»So hat Allah eure Gegend mit mehr Verstand betraut, als die unserige.«

»Aber du siehst wohl ein, daß ich recht habe?«

»Ja, da er nach dieser Stelle deutete, muß er wissen, daß der Kaftan dort verletzt worden ist. Was sagst du dazu, Kodscha Bascha?«

»Ich sage nichts,« antwortete der Gefragte. »Ich bin zu stolz, mit einem Mann, wie dieser Nemtsche ist, noch länger zu verkehren.«

»Aber deine Haltung ist keineswegs eine stolze. Was suchst du mit den Händen hinter dir?« fragte ich ihn lachend.

»Schweig‘!« schrie er mich zornig an. »Es wird ein großes Wehe über dich ergehen, und du wirst noch nach langen Jahren an die Folgen deiner Verleumdung denken müssen. Siehst du denn nicht, daß mein Kaftan gar nicht zerrissen ist?«

»Ganz gewiß. Ich sehe aber auch, daß es ein anderer Kaftan ist. Derjenige, welchen du heute anhattest und also auch vorhin getragen haben wirst, war älter als dieser.«

»Ich habe nur den einzigen.«

»Wollen sehen!«

»Ja, der Kodscha Bascha hat nur diesen einen Kaftan,« bestätigte der Knecht.

»Du hast nur zu sprechen, wenn du gefragt wirst,« belehrte ich ihn. Und mich an den Anwalt wendend, fuhr ich fort:

»Weißt du vielleicht, wie viele Kaftans der Kodscha Bascha hatte?«

»Nein, Effendi. Wer bekümmert sich um das Gewand eines andern?«

»Aber du weißt wohl, wohin er die Pferde der drei Verbrecher geschafft hat? Ich überließ sie ihm.«

»In seinen Stall.«

»Hat er selbst auch Pferde?«

»Ja.«

»Wie viele?«

»Vier. Er hält sie gewöhnlich in seiner Umzäunung, damit sie sich im Freien befinden.«

»Welche Farbe haben sie?«

»Sie sind schwarz, denn er hat eine Vorliebe für Rappen. Nicht wahr, Bascha?«

»Was gehen diese Menschen meine Pferde an!« antwortete der Gefragte.

»Sehr viel, das weißt du wohl auch,« erwiderte ich. »Du hast die Entflohenen mit Pferden unterstützt, und da sie Grund haben, die Farben ihrer bisherigen Rosse zu wechseln, so wirst du ihnen andere gegeben haben. Es wird sehr gut für dich sein, wenn wir dich im Besitz sämtlicher Tiere finden. Hier gibt es nichts zu retten. Die Hütte ist niedergebrannt, und in kurzer Zeit wird es dunkel sein. Der alte Mübarek ist so klug gewesen, sie vor seiner Entfernung anzuzünden, sonst hätten wir wohl viele Beweise schlimmer Taten darin gefunden. Er hat sogar Pulver vorrätig gehabt, sie in Brand zu setzen oder gar leicht in die Luft zu sprengen. Es war von dem Kodscha Bascha eine Verrücktheit, zu sagen, daß wir sie angezündet hätten. Grad uns lag alles daran, sie unversehrt zu finden. Gehen wir also jetzt zu der Wohnung des Gerichtes, um euch zu überzeugen, daß die Gefangenen wirklich fort sind.«

Als wir uns zum Gehen anschickten, sah ich den Hadschi eiligst davonspringen, und gleich darauf erscholl von dem Weg her seine drohende Stimme:

»Halt, du bleibst, sonst steche ich dir das Messer zwischen die Rippen!«

»Laß mich!« rief eine andere Stimme. »Was habe ich mit dir zu schaffen?«

»Gar nichts, aber ich desto mehr mit dir. Du bist gefangen.«

»Oho!«

»Ja, und wenn du dich nicht fügest, so habe ich hier eine Peitsche, welche der Knecht sehr leicht kennen lernen kann, nachdem bereits sein Herr ihre Liebkosungen erfahren hat.«

Aha! Der Knecht hatte sich beeilen wollen, vor uns nach der Wohnung des Kodscha Bascha zu kommen, wohl um die Familie zu warnen und vorzubereiten. Er wurde, wie sein Herr, in die Mitte genommen.

Und zum zweitenmal bewegte sich ein so sonderbarer Zug den Berg hinab. Einige Männer trugen Feuerbrände, um den Weg zu beleuchten. Alle Bewohner des Ortes waren alarmiert, und als wir den Hof erreichten, war er fast ebenso voll wie am Abend.

Das Gefängnis war natürlich leer. Die Pferde der Entflohenen standen in dem alten, baufälligen Stall, aber die Rappen des Kodscha Bascha waren fort. Die beiden Knechte behaupteten, daß sie auf dieselbe unerklärliche Weise verschwunden seien wie die vier Verbrecher.

»Jetzt wollen wir sehen, ob wir das Geld und den Kaftan des Kodscha Bascha finden,« sagte ich zu dem Anwalt.

»Wo willst du es suchen?«

»Bei seiner Frau.«

»Die wird leugnen.«

»Wir wollen es abwarten. Es kommt sehr viel auf den Ton an, in welchem man spricht. Komm mit herein!«

Wir beide traten in das Innere des Hauses, wozu wir bis jetzt niemand die Erlaubnis gegeben hatten, natürlich dem Besitzer schon gar nicht. Der Anwalt kannte die Oertlichkeit. Er tappte im Finstern voran und stieß dann eine Türe auf. Diese führte in eine kleine Stube, welche einen Tisch und einige Holzstühle enthielt. Längs der einen Wand lag ein langes Polster für diejenigen Personen, welche beliebten, sich nach orientalischer Weise zu setzen.

Auf dem Tisch stand eine Tonlampe, und neben demselben saß ein altes Weib.

»Das ist die Frau,« sagte mein Begleiter.

Ihr Gesicht war ängstlich auf uns gerichtet. Ich trat zu ihr, ließ den Gewehrkolben dröhnend auf den Boden niederfallen und fragte in meinem barschesten Ton:

»Jaschly kaftani senin kodschanün werde – wo ist der alte Kaftan deines Mannes?«

Wenn sie bereit gewesen war, zu leugnen, so hatte mein Ton sie ganz verblüfft; denn sie antwortete, nach einer zweiten Türe deutend:

»Sandykda – in der Kiste.«

»Onu getir- bringe ihn!«

Sie ging zu dieser Türe hinaus. Ich hörte einen Holzdeckel klappern, dann kam sie wieder und brachte das geforderte Kleidungsstück. Ich nahm es ihr aus der Hand und entfaltete es. Ein Stück des linken Brustteiles fehlte, und als ich den abgerissenen Fetzen aus der Tasche zog und an den Riß legte, paßte er ganz genau an die Stelle. Die Frau beobachtete unsere Bewegungen mit angstvollen Blicken. Sie war ganz sicher in alles eingeweiht.

»Getir aktscheji – bringe das Geld,« befahl ich ihr in demselben barschen Ton.

»Ne asl aktscha – welches Geld?« fragte sie zögernd.

»Dasjenige, welches dein Mann vorhin von dem Mübarek bekommen hat. Wo ist es? Schnell!« antwortete der Anwalt.

Er gab sich dabei Mühe, einen eben solchen Ton anzunehmen, wie der meinige gewesen war. Sie wurde auch wirklich so eingeschüchtert, daß sie zitternd gestand:

»Auch in der Kiste.«

»Her damit!«

Sie ging wieder in die dunkle Kammer, aber diesmal dauerte es länger bis sie zurückkehrte. Das Geld war tief in der Kiste versteckt worden. Man hatte es in ein altes, zerrissenes Turbantuch gewickelt. Der Anwalt zählte es, und es stimmte auf die Summe, welche die Pflanzensucherin mir genannt hatte.

»Was soll damit geschehen?« fragte er.

»Das mußt du wissen,« erwiderte ich.

»Ich konfisziere es.«

»Natürlich. Du hast es dem Obergericht einzusenden.«

»Gewiß, und das soll geschehen, sobald der Morgen angebrochen ist. Gehen wir nun wieder hinaus?«

»Nein; ich habe erst noch ein Wort mit dieser Frau zu reden, der es sehr schlimm ergehen wird, wenn sie mir die Wahrheit nicht sagt. Die Bastonnade ist für ein Weib in diesem Alter eine lebensgefährliche Sache.«

Da sank sie auf den Boden nieder, hob die Hände empor und rief:

»Nicht die Bastonnade, nicht die Bastonnade, großer, berühmter, gnädiger Effendi! Ich sehe ja, daß alles verraten ist, und werde keine Unwahrheit sagen.«

»So stehe auf! Man darf nur vor Allah knieen. Nicht wahr, dein Gemahl hat die vier Männer fliehen lassen?«

»So ist es.«

»Und ihnen dazu seine Rappen gegeben?«

»Ja, alle vier.«

»Wo sind sie hin?«

»Nach – nach – — nach Radowitsch.«

Da sie stockte, vermutete ich, daß sie jetzt nur teilweise gestand. Darum gebot ich ihr:

»Sage alles! Warum verschweigst du mir die übrigen Orte? Wenn du nicht aufrichtig bist, werde ich dennoch die Bank hereinbringen und dich von den Mägden peitschen lassen müssen.«

»Herr, ich will es sagen. Sie sind nach Radowitsch und wollen von da weiter nach Sbiganzy.«

»Etwa zum Fleischer Tschurak, der dort wohnt?«

»Ja, zu diesem.«

»Und dann nach der Schluchthütte?«

»Herr, du kennst sie?«

»Antworte!«

»Ja, sie wollen dorthin.«

»Und dann weiter?«

»Das weiß ich nicht.«

»Was wollen sie dort?«

»Auch das habe ich nicht erfahren. Mein Mann sagt mir solche Dinge nicht.«

»Aber er kennt den Schut?«

»Vielleicht; ich weiß es nicht.«

»Er hat aber mit dem alten Mübarek stets Heimlichkeiten getrieben?«

»Was sie getrieben haben, das erfuhr ich nie; aber er war oft oben auf dem Berg, und der Mübarek kam des Nachts zu uns.«

»Hast du die Gefangenen heute betrachtet?«

»Ich habe sie gesehen.«

»Kanntest du sie?«

»Nur einen von ihnen, der früher zuweilen hier war.«

»Welchen? Wohl Manach el Barscha?«

»Ich weiß seinen Namen nicht. Er ist Einnehmer der Charadschsteuer in Uesküb gewesen.«

»So war er es. Was weißt du sonst noch von dieser Angelegenheit?«

»Nichts, gar nichts, Effendi. Ich habe dir alles gesagt, was ich selbst weiß.«

»Ich sehe dir an, daß du die Wahrheit sprichst, darum will ich dich nicht weiter quälen. Aber vielleicht hast du schon einmal den Namen »Aladschy« gehört?«

»Auch nicht.«

»Effendi,« meinte der Anwalt, »was ist‘s denn mit diesen?«

»Kennst du sie?«

»Nein, aber ich hörte von den beiden reden.«

»Also zwei sind es? Was hast du über sie vernommen?«

»Es sind die schlimmsten Skipetaren, die es gibt; zwei Brüder in riesiger Gestalt, deren Kugeln niemals fehl gehen und deren Messer stets die Stelle treffen, nach welcher sie gerichtet sind. Ihre Heiduckenbeile sollen entsetzliche Waffen sein. Sie schleudern dieselben so weit, wie eine Kugel fliegt, und treffen damit so sicher den Nacken desjenigen, dem sie den Wirbel brechen wollen, als ob der Scheïtan selbst die Beile geworfen habe. Und auch im Gebrauch der Schleuder hat es ihnen noch niemand gleich getan.«

»Wo ist ihr Aufenthalt?«

»Sie sind überall, wo es gilt, einen Mord oder Raub zu verüben.«

»Waren sie schon einmal hier?«

»In Ostromdscha selbst noch nicht, aber in der Umgegend. Erst kürzlich sollen sie in der Gegend von Kodschana gesehen worden sein.«

»Das ist ja gar nicht weit von hier. Ich glaube, man muß diesen Ort wohl ungefähr in fünf Stunden zu Pferd erreichen können.«

»Es scheint, daß du unsere Gegend sehr genau kennst?«

»O nein, ich schätze nur so ungefähr. Woher die beiden Brüder stammen, weißt du wohl nicht?«

»Man sagt, sie seien oben von Kakandelen her, von den Bergen des Schar Dagh herab, wo die eingefleischten Skipetaren wohnen.«

»Und warum nennt man sie Aladschy?«

»Weil sie zwei Schecken reiten, Pferde, welche den Teufel ebenso im Leib haben, wie ihre Herren. Sie sollen am dreizehnten Tag des Monats Moharrem geboren sein; das ist der Tag, an welchem der Teufel aus dem Himmel verstoßen wurde. Ihre Herren geben ihnen täglich ein vollgeschriebenes Blatt des Kuran im Futter zu fressen; darum sind sie unverwundbar, schnell wie der Blitz, gegen jede Krankheit gefeit und tun niemals einen Fehltritt.«

»O wehe! Dann kann es mir schlimm ergehen.«

»Warum?«

»Der Mübarek hat diese Aladschy herbeigerufen, damit sie mir auflauern und mich töten.«

»Woher weißt du das?«

»Diejenige Person, welche oben an der Hütte alles erlauschte, hat es gehört.«

»Und du glaubst es?«

»Vollkommen.«

»Es läßt sich auch glauben, weil die beiden Unholde in unserer Nähe gesehen worden sind. Effendi, nimm dich in acht! Dreißig Männer wie du vermögen nichts, gar nichts gegen diese zwei Skipetaren. Wenn sie dich erwischen, so bist du verloren. Ich meine es gut mit dir.«

»Nimm meinen Dank für deine Teilnahme; aber ich fürchte sie nicht!«

»Herr, überhebe dich nicht!«

»Nein, das tue ich sicher nicht; aber ich habe einen Beschützer bei mir, auf welchen ich mich verlassen kann.«

»Wer ist denn dieser Beschützer?«

»Der kleine Hadschi, welchen du gesehen hast.«

Der Mann machte ein sehr langes Gesicht, zog die Brauen empor und sagte:

»Der? Dieser Knirps!«

»Ja, doch du kennst ihn nicht.«

»Wahrlich, die Peitsche versteht er vortrefflich zu führen; aber was tut man mit der Karbatsche gegen so gewaltige Helden!«

»Du meintest, dreißig Männer meiner Art hätten sich vor den beiden Schecken zu fürchten; aber ich sage dir, daß fünfzig solcher Burschen, wie sie sind, nichts, gar nichts gegen meinen kleinen Hadschi Halef vermögen. Ich stehe unter seinem Schutz und brauche keinen Feind zu scheuen. Das weiß ich ganz genau.«

»Wenn du das denkst, so ist dir freilich nicht zu helfen, und du bist verloren.«

»O nein! Du mußt wissen, daß der Hadschi täglich nicht nur ein Blatt, sondern eine ganze Sure des Kuran verspeist. Darum würde selbst eine Kanonenkugel von seinem Leibe abprallen. Er ist stich-, hieb- und kugelfest. Um das zu probieren, hat er bereits Messer, Bajonette, Pulver und Zündhölzer verschluckt, und doch ist ihm dies alles so gut bekommen, als ob er einen fetten Pillaw genossen hätte.«

Er schaute mir mit ernstem, forschendem Blick in das Gesicht und fragte nach einer Pause des Ueberlegens:

»Effendi, du scherzest wohl?«

»Ebensowenig, wie derjenige gescherzt hat, welcher zum erstenmal erzählte, daß die Pferde der beiden Skipetaren unverwundbar seien.«

»Aber es ist doch nicht zu glauben!«

»Ich glaube es auch von den Pferden nicht.«

»O, das ist etwas ganz, ganz anderes!«

»Es ist dasselbe.«

»Nein, Herr. Ein Blatt des Kuran ist für ein Pferd nicht gefährlich, es wird leicht verdaut; aber Messer und Bajonette verschlingen! Und gar Pulver und Zündhölzer dazu! Das muß ja den Kerl auseinander platzen machen.«

»Nun, einen kleinen Knall hat es zwar gegeben, aber derselbe verlief sich innerlich, und auch das wäre nicht geschehen, wenn er zwei Suren gegessen hätte – statt nur eine.«

»Herr, es ist mir unbegreiflich, aber der Prophet sitzt im siebenten Himmel, und seiner Macht ist alles möglich. Ich werde mir diesen wunderbaren Hadschi einmal genauer betrachten, als bisher.«

»Tue das! Ich bin überzeugt, daß er sich sogar vor hundert Skipetaren nicht fürchtet.«

»Darf ich es einmal probieren?«

»Wie willst du es anfangen?«

»Ich werde mich mit der Pistole hinter ihn schleichen und es versuchen, ihm eine Kugel heimlich in den Kopf zu schießen.«

»Tue das,« antwortete ich ebenso ernsthaft, wie er es mit seiner Probe meinte.

»Und du denkst, daß er gar nichts merken werde?«

»Nun, merken wird er es schon, denn so heimlich geht die Sache doch nicht ab. Wenn die Kugel von dem Kopf abprallt, so fühlt er es dennoch, das kannst du dir ja denken.«

»Allerdings.«

»Und dann befürchte ich, daß es dir nicht gut bekommen werde.«

»Wieso?«

»Die anprallende Kugel würde wahrscheinlich dich selbst verwunden.«

»Herr, das ist freilich recht gut möglich.«

»Und selbst wenn dies nicht geschehen sollte, so steht doch mit Sicherheit zu erwarten, daß der zornige Hadschi dir sein Messer irgendwohin stößt, wo es deiner Gesundheit nicht zuträglich ist.«

»Weshalb sollte er sich so erzürnen?«

»Ueber deinen Unglauben. Er sieht es überhaupt nicht gern, daß man ohne seine spezielle Erlaubnis dergleichen Proben mit ihm anstellt.«

»So möchte ich es lieber ganz lassen oder wenigstens ihn um Erlaubnis fragen.«

»Tue das!«

»Meinst du, daß er sie mir gibt?«

»Ja, wenn nämlich ich deinen Wunsch befürworte.«

»Tue das, ich bitte dich darum.«

»Ich werde mit ihm sprechen; jetzt aber haben wir wichtigere Dinge vor. Bist du nun von der Schuld des Kodscha Bascha überzeugt?«

»Vollständig.«

»So gebe ich denselben in deine Hand. Auch der beiden Knechte mußt du dich bemächtigen, denn sie haben ihm geholfen. Was mich betrifft, so mag ich mit der Sache nichts weiter zu tun haben.«

»Herr, wie soll ich ohne dich fertig werden?«

»Das mußt du selbst wissen, weil du ja der Kasa-Mufti bist. Indem der Padischah dir dieses wichtige Amt verleihen ließ, hat er dir dazu die nötigen Fähigkeiten zugetraut, und ich denke, daß du sein Vertrauen nicht täuschen wirst.«

»O nein, gewiß nicht. Ich werde ein sehr strenger und gerechter Richter sein. Soll ich auch diese Frau arretieren?«

»Nein, sie hat ihrem Mann gehorchen müssen. Das Weib besitzt keine Seele, es kommt nicht in die höheren Himmel des Paradieses; folglich soll es auch nicht bestraft werden für die Sünden, welche der Mann begeht.«

Das klang so freundlich in die Ohren der Alten, daß sie die herabhängenden Fransen meines Gürtelshawls ergriff und an ihre Lippen drückte. Ihren Dankesworten entzog ich mich, indem ich mich schnell entfernte.

Der »Anwalt des Staates« folgte mir nach, den Kaftan in der Hand und das Geld in der Tasche tragend. Ich bin überzeugt, daß er es von diesem Augenblick an als sein rechtmäßiges Eigentum betrachtet hat. Ja, vielleicht hat er nach meiner Entfernung die kluge Behauptung aufgestellt, daß ich es zu mir genommen hätte.

Draußen hatte man auf uns gewartet, da indessen Andere angekommen waren, nämlich die Helden, welche sich unter dem Befehl der beiden Wirte aufgemacht hatten, um den Flüchtigen einen Hinterhalt zu legen. Ich war sehr neugierig, zu erfahren, was sie ausgerichtet hatten. Natürlich nichts, denn sonst hätten sie ja die Halunken jetzt mitgebracht.

Ibarek trat auf mich zu und fragte, zu meinem stillen Vergnügen, in ganz ernsthaftem Ton:

»Effendi, ihr habt sie nicht?«

»Nein, wie du hier wohl bereits erfahren haben wirst.«

»Wir auch nicht.«

»So! Dann brauchen wir uns wenigstens gegenseitig nichts vorzuwerfen.«

»Gewiß nicht. Wir alle haben unsere Pflicht getan.«

»Nun, wie habt ihr es denn angefangen, eure Pflicht zu tun?«

»Wir sind ausgezogen und haben ihnen aufgelauert.«

»Mein Lieber, das versteht sich ja ganz von selbst, denn das hatte ich dir aufgetragen. Was hast du aber unternommen, um diesen Auftrag auszuführen?«

»Wir beide haben die Nachbarn zusammengeholt und sind dorthin gelaufen, wo du uns hingeschickt hattest.«

»Das ist sehr schön von euch, sehr schön! Ich muß dich loben. – Weiter!«

»Jetzt kommen wir wieder.«

»So! Das sehe ich beinahe. Ist nichts passiert?«

»Nein, Effendi.«

»Auch das ist gut, denn sonst hätte vielleicht gar etwas passieren können. Wie viele Männer hattest du denn bei dir?«

»Wir waren zwölf.«

»Das hätte genügt: Zwölf gegen vier.«

»Und bewaffnet waren wir auch. Wir hätten alles niedergeschossen und niedergestochen.«

»Ja, ich weiß gar wohl, daß Ostromdscha berühmt ist wegen seiner tapferen Bewohner.«

»O, auch die Umgegend!« meinte er.

»Ja wohl! Du bist ja aus derselben. Hat sich denn nichts sehen oder hören lassen?«

»O doch! Mehreres.«

»Was denn? Berichte nur!«

»Wir sahen das Feuer und freuten uns natürlich sehr darüber.«

»Ah! Warum?«

»Weil wir glaubten, ihr hättet die Diebe in der Hütte verbrannt.«

»Nein, so übermäßig tapfer bin ich nicht; übrigens befanden sie sich gar nicht in der Hütte.«

»Dann sahen wir Leute mit einer Fackel durch die Büsche kommen.«

»Das war ich mit meinen Freunden.«

»Dann hörten wir euch rufen und schimpfen.«

»Erkanntet ihr nicht die Stimmen?«

»Sehr wohl. Erst rief der alte Mübarek zu euch hinauf, und dann brüllte dein Hadschi von oben herunter.«

»Also hast du gewußt, daß es der Mübarek war?«

»Natürlich. Wir alle erkannten seine Stimme.«

»So mußtet ihr ihn und seine Begleiter aufhalten.«

»Das ging ja nicht.«

»Doch, sehr leicht. Ihr seid tapfere Leute.«

»Wir durften aber nicht.«

»Warum nicht?«

»Das wäre ja gegen deinen Befehl gewesen.«

»Wie? Was? Inwiefern?«

»Du hattest uns befohlen, ihnen die Straße zu verlegen, und das haben wir auch getan.«

»Weiter!«

»Sie waren aber so klug, nicht auf der Straße zu reiten, sondern über die Brache, welche zwischen der Straße und dem Fluß liegt.«

»Und ihr begabt euch nicht dorthin?«

»Nein. Durften wir unsern Posten verlassen? Ein tapferer Mann hält da, wohin man ihn gestellt hat, bis zum Tode aus.«

Er sagte das in stolzem Selbstbewußtsein und blickte mich so herausfordernd an, als ob er ein ganz besonderes Lob erwartet hätte. Es ist höchst wahrscheinlich, daß ich in diesem Augenblick kein sehr geistreiches Gesicht gemacht habe, denn Halef gab mir einen Stoß und flüsterte mir zu:

»Sihdi, mach‘ den Mund zu. Willst du einen so wackeren Kerl verschlingen?«

Ich war allerdings über die sonderbare Logik einer solchen Verteidigungsrede etwas verblüfft geworden. Und war das ein Wunder? Was soll man mit solchen Leuten machen? Tadeln? Nein. Loben? Noch weniger. Glücklicherweise erschien ein Retter in der Not, nämlich der Anwalt. Diesen – als obrigkeitlichen Leiter der Angelegenheit – hätte der Bericht des tollkühnen Gastwirtes und Herbergsvaters auf das höchste interessieren sollen; aber er hatte gar nicht darauf gehört, sondern ohne Unterlaß den Hadschi betrachtet. Jetzt schob er sich zwischen diesen und mich und sagte leise:

»Effendi, jetzt ist es wohl die beste Zeit!«

»Wozu?«

»Zu deiner Fürsprache bei dem Hadschi, welche du mir versprochen hast. Oder willst du dein Wort nicht halten?«

War das zum Aergern oder zum Lachen? Der gute »Staatsanwalt« interessierte sich viel mehr für die Kugelfestigkeit des Hadschi als für den ihm übergebenen Kriminalfall.

»Am Morgen, wenn wir ausgeschlafen haben, nicht jetzt,« antwortete ich ihm. »Jetzt hast du deine Pflicht zu tun.«

»Wie denn?«

»Dort steht der Kodscha Bascha, und hier hast du den Kaftan am Arm.«

»Ich soll ihm denselben zeigen?«

»Natürlich! Auch das Geld hast du. Diese Leute warten alle darauf, daß er überführt wird, und du zögerst noch? Es scheint nicht, daß du deiner Pflicht genügen willst.«

»O doch, Effendi! Du sollst sogleich erfahren, wie ernst und streng ich mich dieses wichtigen Falles annehmen werde.«

»Ich hoffe es und werde ja wohl hören.«

Die Mägde waren beordert worden, wieder einige der bereits erwähnten Feuer anzuzünden, und so war der Hof wenigstens so weit erleuchtet, daß man die Gestalten zu erkennen vermochte.

Der Anwalt trat vor und rief:

»Ihr Söhne des Kuran und Kinder des wahren Glaubens, ich stehe hier an Stelle des Padischah, dem Allah einst die Freude des Paradieses verleihen möge. Ich habe euch zu verkündigen, daß der Kodscha Bascha überführt ist. Wir haben seinen Kaftan gefunden, aus welchem der fremde Effendi ein Stück gerissen hat. Er wird dem Kodscha Bascha zwar nach dem Wortlaut des Gesetzes den Kaftan bezahlen müssen, was er sehr gern tun wird, denn er ist reich, und das Geld kommt in die Kasse des Gerichtes« – — das sollte natürlich eigentlich heißen, in seinen eigenen Beutel – — »aber er hat damit glänzend bewiesen, daß der Kodscha Bascha oben auf dem Berg gewesen ist. Auch das Geld haben wir gefunden, welches der Bascha erhalten hat, um die vier Halunken frei zu lassen. Ebenso erfuhren wir, daß er ihnen seine vier Pferde zur Flucht gegeben hat. Es ist also kein Zweifel mehr an seiner Schuld, und so frage ich dich denn, edler Effendi, wie viel du für den Kaftan bezahlen willst?«

»Allah akbar – Gott ist groß!« rief Halef neben mir.

Ich war natürlich nicht weniger erstaunt als er. Ich hatte unbedingt als nächste Folge dieser Beweisführung erwartet, daß der Kodscha Bascha als gefangen erklärt würde; anstatt dessen aber war die Wirkung die, daß ich den elenden Kaftan bezahlen sollte. Ich antwortete laut:

»Zu meiner Freude höre ich, o Kasa-Mufti, daß deine Gerechtigkeit ebenso groß wie dein Scharfsinn ist. Darum frage ich dich, wer eigentlich den Kaftan zerrissen hat.«

»Doch du, Effendi!«

»O nein!«

»Herr, ich erstaune! Es ist ja bereits erwiesen und uns allen bekannt.«

»Ich bitte dich um die Güte, mich anzuhören.«

»So sprich!«

»Ist es erlaubt, einen Mann, welcher auf den Wegen des Verbrechens geht, anzuhalten?«

»Ja, das ist sogar die Pflicht eines wahren Gläubigen.«

»So kann ich doch nicht dafür bestraft werden, daß ich den Kodscha Bascha festhalten wollte!«

»Dafür nicht.«

»Und weiter habe ich nichts getan.«

»O doch! Du hast ihm den Kaftan zerrissen.«

»Nein. Ich forderte ihn auf, still zu stehen, und hielt ihn am Kaftan fest. Wäre dieses Kleid zerrissen, wenn sein Besitzer stehen geblieben wäre?«

»Sicherlich nicht.«

»Ist er aber stehen geblieben?«

»Nein, er entsprang.«

»Wer also hat den Kaftan zerrissen?«

Es dauerte eine Weile, ehe er antwortete:

»O Allah! Das ist eine schwierige Frage. Ich möchte über dieselbe weiter berichten.«

»Das ist nicht nötig. Deine Gerechtigkeit reicht aus, um diese Frage zu beantworten.«

»So will ich es mir überlegen.«

»Dazu habe ich keine Zeit und auch keine Lust. Ich gebe zu, daß der Kaftan zerrissen worden ist, und – —«

»O,« unterbrach er mich, »du gibst es zu? So sind wir ja fertig, du bezahlst ihn.«

»Warte noch! Ich frage dich: Ist das Stück aus dem Kaftan gerissen worden, oder ist der Kaftan von dem Stück weggerissen worden? Ich stand still und hielt fest; der Bascha aber riß sich und den Kaftan los.«

Der »Staatsanwalt« blickte sinnend zur Erde, dann rief er laut:

»Hört, ihr Einwohner von Ostromdscha, ihr sollt erfahren, wie gerecht eure Richter sind. Ich entscheide im Namen des Gesetzes, welches im Kuran enthalten ist, daß der Kaftan von dem Stück losgerissen worden ist. Seid auch ihr derselben Meinung?«

Ein vielstimmiges »Ja« antwortete.

»So sollst du mir, Effendi, noch eine Frage beantworten. Du solltest den Kaftan bezahlen, weil wir meinten, daß du ihn zerrissen hättest. Meinst du nicht, daß ihn überhaupt derjenige zu bezahlen hat, welcher ihn zerriß?«

»Ganz gewiß!« antwortete ich, innerlich erfreut über diese unglaubliche Wendung, denn ich ahnte seine Absicht.

»Wer aber hat ihn zerrissen?«

»Der Kodscha Bascha,«

»Wer also hat ihn zu bezahlen?«

»Er selbst.«

»Und wohin kommt das Geld?«

»In die Kasse des Gerichtes.«

»Und wie viel muß er zahlen?«

»So viel, wie der Kaftan im unzerrissenen Zustand wert gewesen ist.«

»So ist‘s richtig. Du sollst ihn nun selbst taxieren. Wie hoch schätzest du ihn?«

»Er war sehr alt und schmierig; ich würde nicht mehr als fünfzehn Piaster dafür bieten.«

»Effendi, das ist zu wenig!«

»Er war nicht mehr wert.«

»Was sind fünfzehn Piaster für eine Kasse des Padischah!«

»Der Padischah nimmt gern auch die kleinsten Beträge an.«

»Du hast vollkommen recht. Aber ist es eines Kodscha Bascha würdig, einen solchen schmierigen Kaftan zu tragen?«

»Wohl kaum.«

»Gewiß nicht. Die Würde seines Amtes erfordert, daß er einen sehr guten langen Rock trägt, und es sollte ein neuer sein. Wie viel aber kostet ein neuer Kaftan?«

»Ich habe im Bazar von Stambul solche Kleidungsstücke zum Preis von dreihundert und auch fünfhundert Piaster gesehen.«

»Das sind noch lange nicht die teuersten. Ein Kaftan für dreihundert Piaster mag einem armen Basch Kiatib genügen; ein Kodscha Bascha aber muß wenigstens einen zu fünfhundert Piaster haben. Meinst du nicht?«

»Ich stimme dir bei.«

»Soll ich nun den Kodscha Bascha nach seinem Rang oder nach demjenigen eines Basch Kiatib taxieren und bestrafen?«

»Nach seinem eigenen.«

»So erteile ich ihm hiermit einen strengen Verweis, daß er seines Amtes so wenig geachtet hat, einen solchen schmierigen Kaftan zu tragen, und verurteile ihn, seiner Würde gemäß, zur Bezahlung eines neuen im Preis von fünfhundert Piaster. Wenn er das Geld nicht bar hat, so werde ich die Summe an seinem Eigentum pfänden und sie an die Kasse abführen. Das habe ich bestimmt und verordnet auf Grund des heiligen Kuran, der unsere Richtschnur ist. Und nun soll der Kodscha Bascha nebst seinen beiden Knechten gefangen genommen und eingesperrt werden. Die Strenge des Gesetzes wird ihn zermalmen.«

Der Bascha erhob kreischend Widerspruch. Ich aber hatte genug; ich mochte nichts mehr hören, kein Wort. Ich winkte meinen drei Gefährten und entfernte mich. Die beiden tapferen Wirte, welche so todesmutig auf ihrem Posten ausgehalten hatten, folgten uns.

Draußen an dem Tore stand eine Frau, welche sogleich auf mich zutrat, als sie mich erblickte. Es war die Nebatja.

»Herr,« sagte sie, »ich habe auf dich gewartet; ich hatte Angst.«

»Um wen? Um mich etwa?«

»O nein. Ich glaube nicht, daß dir etwas Böses widerfahren kann; aber ich sorgte mich um mich selbst.«

»Warum?«

»Ich fürchte die Rache der Herren vom Gericht. Hast du es verraten, daß ich dir alles mitgeteilt habe?«

»Nein, kein Wort.«

»Ich danke dir! So kann ich also ruhig sein?«

»Ganz ruhig. Ich werde auch noch anderweit dafür sorgen, daß deine Not ein Ende hat. Wenn es Tag geworden ist, besuche ich dich.«

»Effendi, du bist mir hoch willkommen, denn dein Erscheinen ist mir wie der Aufgang der Sonne gewesen. Allah gebe dir einen ruhigen Schlaf und glückliche Träume!«

Sie ging von dannen. Da aber dachte ich an etwas, was mir schon da oben auf dem Berg in den Sinn gekommen war. Ich rief sie zurück und fragte:

»Kennst du die Pflanze, welche Hadad (Bocksdorn) genannt wird?«

»Ja, sehr gut. Sie ist dornig und hat bittere Beeren von der Gestalt des Pfeffers.«

»Wächst sie hier?«

»Hier nicht, aber gegen Banja hin.«

»Schade! Ich brauche Blätter dieser Pflanze.«

»Die kannst du bekommen.«

»Von wem denn?«

»Von dem Apotheker, welchem ich Bocksdorn habe holen müssen.«

»Gegen welche Krankheiten verwendet er sie?«

»Als Pflaster gegen Geschwüre. Die Abkochung hilft gegen kranke Ohren und faules Zahnfleisch, gegen das Dunkel der Augen und das Schrunden der Lippen.«

»Ich danke dir! Ich werde mir davon kaufen.«

»Soll ich es dir bringen, Effendi?«

»Nein, ich hole es selbst.«

Die Pflanze hat eine eigenartige Wirkung, welche ich an mir in Anwendung bringen wollte. Nur war ich ungewiß, ob ich dieser Wirkung auch trauen dürfe.

Auf dem Heimweg erzählten die beiden Wirte viel von den Heldentaten, die sie getan hätten, wenn die vier Gesuchten ihnen in den Weg gekommen wären. Ich achtete nicht auf ihr Geschwätz. In unserer Herberge angekommen, stieg ich mit Halef hinauf in unsere Kammer; allein es wurde uns nicht leicht, sofort einzuschlafen. Der verflossene Tag war ein so einflußreicher gewesen, daß der aufgeregte Geist nur schwer zur Ruhe kam.

»Sihdi,« sagte der Hadschi, »wie lange werden wir hier bleiben?«

»Ich habe gar keine Lust, in diesem Nest länger zu verweilen als unbedingt notwendig ist.«

»Ich auch nicht, Sihdi. Ich habe einen Ekel gegen diese Menschen bekommen. Wollen wir nicht am liebsten schon morgen fortreiten?«

»Morgen? Du meinst doch heute, denn der Morgen ist schon nahe, woran ich gar nicht gedacht habe. Schlafen wir aus; dann besuche ich die Nebatja, nachher reiten wir fort.«

»Wenn man uns nicht zwingt, zu bleiben!«

»Ich lasse mich nicht halten.«

»War es recht, daß ich dem Kodscha Bascha die Nilhautpeitsche zu kosten gab?«

»Hm!«

»Oder hätten wir seine Beleidigung etwa ruhig hinnehmen sollen?«

»Nein; in dieser Beziehung gebe ich dir recht. Er hatte die Hiebe redlich verdient.«

»Ein Anderer ebenso!«

»Wen meinst du, Halef?«

»Diesen Kasa-Mufti. Er ist ein Halunke wie der andere. Wie wollte ich mich freuen, wenn du mir erlauben würdest, auch ihm meine Karbatsche fühlen zu lassen!«

»Lieber Halef, du bist ganz auf deine Peitsche versessen; aber bedenke, daß das seine großen Gefahren hat.«

»Herr, sind wir beide dazu geschaffen, diese Gefahren zu fürchten?«

»Ja, bisher hast du stets Glück gehabt.«

»Und werde es auch weiter haben.«

»Auch wenn ich nicht mehr bei dir bin? Es ist mir immer gelungen, dich los zu machen, wenn du dich mit der Peitsche verwickelt hattest. Später ist das nicht mehr möglich.«

»Sihdi, daran mag ich gar nicht denken. Wenn ich von dir scheiden soll, so können sie nur getrost kommen und mich selbst zu Tode peitschen; ich gebe keinen Laut von mir.«

»Und dennoch mußt du dich mit diesem Gedanken von Tag zu Tag vertrauter machen. Einmal muß doch geschieden sein. Dich ruft deine Heimat und mich die meinige, und leider liegen beide so weit entfernt voneinander, daß wir uns trennen müssen.«

»Für immer?«

»Höchst wahrscheinlich.«

»So willst du nie wieder nach Arabien kommen?«

»Was ist des Menschen Wille? Ein Hauch gegen Gottes Ratschluß.«

»So werde ich zu Allah flehen, daß er dich zwingt, wieder zu kommen. Was hast du denn daheim? Nichts, gar nichts, keine Wüste, keine Kamele, nicht einmal Datteln und armselige Koloquinten, die kein Schakal fressen mag.«

»Ich habe mehr als du – Eltern und Geschwister.«

»O, ich habe meine Hanneh, die Zierde der Frauen und Mädchen. Wo aber hast du eine Hanneh? Welches Mädchen bekommst du daheim, wo du fremd geworden bist? Bei den Beni Arab aber kannst du wählen und dir die schönste holen – außer meiner Hanneh. Es mag in deiner Heimat schön sein, aber eine Wüste ist sie doch nicht. Bedenke doch: du darfst nicht einmal einen Menschen, der dich beleidigt, mit der Peitsche schlagen, denn sonst geht er zum Kadi, und du wirst eingesperrt oder mußt fünfzig Piaster Strafe bezahlen. Ich daheim würde sogar den Kadi prügeln, wenn er das verlangte. Und was für Sachen mußt du essen! O Allah!«

»Davon weißt du nichts.«

»O, einiges hast du mir gesagt, und vieles habe ich mir in Stambul über deine Heimat erfragt. Da gibt es Kartoffeln, Tanzboden herum. Sage mir, ob es in einem solchen Land schön sein kann? Sage mir, ob du dich wirklich sehnen kannst, dort zu sein? Sage es mir aufrichtig, Sihdi!«

Der kleine, brave Hadschi hatte keine gute Vorstellung von dem Abendland. Aber was sollte ich ihm antworten? Wenn er auch übertrieb und manches wohl falsch verstanden hatte, so konnte ich ihm im ganzen doch nicht unrecht geben.

»Nun, was sagst du dazu?« wiederholte er, als ich nicht gleich antwortete.

»Von dem, was du sagst, ist vieles falsch. Ferner paßt alles auf sämtliche Länder des Westens, auf mein Vaterland aber wohl am wenigsten. Die Bildung bringt vieles mit sich, was eigentlich nicht zu loben ist, und – —«

»So danke ich für die Bildung, welche nichts Gutes bringt. Meine Bildung besteht darin, daß ich Allah gehorche, dich, meinen Herrn und Freund, liebe und einem jeden Schurken meine Peitsche zeige. Sobald ich die Gegend erreiche, in welcher die Bildung und der Branntwein beginnt, kehre ich um.«

»So würdest du mich also nicht weiter begleiten?«

»Dich? Hm! Ja, wenn ich bei dir sein könnte, und meine Hanneh bei mir hätte, dann würde ich bleiben, mich aber um das Andere niemals kümmern. Wie lange Zeit brauchen wir denn noch, bis wir dieses Gebiet erreichen?«

»Nun, wir hätten, wenn wir durch nichts aufgehalten würden, kaum länger als noch eine Woche zu reiten, bis wir an das Meer gelangen.«

»Und dann?«

»Dann kommt die Trennung.«

»O Sihdi, so schnell?«

»Leider! Du fährst mit dem Schiff nach Stambul und Aegypten, um von da zum Stamm deiner Hanneh zu gehen, und ich reise nach Norden, nach dem Land, dessen Verhältnisse dir so wenig gefallen, welches du aber lieben würdest, wenn du Gelegenheit gehabt hättest, es kennen zu lernen.«

»So schnell hatte ich es mir nicht gedacht; aber ich denke, daß ich noch einen Trost haben darf.«

»Welchen?«

»Daß wir hier nicht so rasch vorwärts kommen werden. Diese vier Burschen, welche da vor uns reiten, werden uns noch viel zu schaffen machen.«

»Das meine ich auch, zumal noch die Aladschy dazu kommen.«

»Die Scheckigen? Hast du Neues über sie vernommen?«

Ich erzählte ihm, was ich von dem famosen Staatsanwalt gehört hatte, und erwähnte auch, daß ihn nun der abergläubische Mann für kugelfest halte.

»Sihdi,« sagte Halef, »das kann mir sehr gefährlich werden!«

»O nein.«

»Gewiß! Wie nun, wenn mir dieser Mensch zur Probe eine Kugel in den Kopf jagt?«

»Das wird er unterlassen, denn er hat Angst vor deinem Messer.«

»Das ist wahr. Uebrigens sind wir nicht lange mehr hier, und ich werde mich in acht nehmen; aber Spaß würde es mir doch machen, wenn wir ihn täuschen könnten.«

»Ich habe auch schon daran gedacht. Es könnte das für uns von großem Vorteil sein.«

»Meinst du?«

»Ja. Unsere Feinde lassen gewiß aufpassen, und da hätten wir freilich wohl Nutzen davon, wenn wenigstens einer oder zwei von uns für kugelfest gälten.«

»Ist das nicht zu machen, Effendi?«

Der gute Hadschi war von diesem Gedanken so elektrisiert, daß er sich in seinem Bett aufsetzte.

»Hm! Vielleicht,« erwiderte ich.

»Sage nicht: vielleicht! Ich kenne dich. Wenn du in diesem Tone redest, so hast du stets einen bestimmten Gedanken oder Entschluß gefaßt. Gibt es nicht ein Taschenspielerstück, welches hier anzuwenden wäre?«

»Mehrere sogar.«

»Sage sie mir!«

»Man könnte das Gewehr mit einer dazu gefertigten Patrone laden; aber das taugt nichts, denn es erregt Verdacht.«

»Weiter!«

»Man ladet das Gewehr und zeigt vorher die Kugel vor. Indem man sie in das Pflaster wickelt, läßt man sie in den Aermel fallen und stößt nur das Pflaster in den Lauf. Doch die Kugel kann leicht daneben fallen, und dann ist die Absicht der Täuschung verraten.«

»Das ist auch nichts. Nein, nicht so! Derjenige, welcher auf sich schießen läßt, darf nicht selbst laden. Der Ungläubige muß laden. Er und alle Andern müssen überzeugt sein, daß wirklich eine Kugel in dem Flintenlauf steckt, und sie muß auch tatsächlich darin stecken. Geht das nicht?«

»Vielleicht.«

»Man müßte einen Panzer haben.«

»Das würde der Schall des Aufschlages verraten. Und wie nun, wenn der Panzer nicht gut gearbeitet wäre?«

»O Allah! Da wäre es mit deinem armen, guten Halef vorbei, Sihdi!«

»Ja freilich, und das darf nicht sein.«

»Dennoch weiß ich, daß du ein Mittel hast; ich sehe es dir an.«

»Ich kenne eines, glaube aber nicht, daß es hier zu haben sein wird.«

»Was ist es?«

»Es gibt zwei Metalle, welche – in den richtigen Mengen miteinander vermischt – eine feste harte Kugel geben, die ebenso wie eine Bleikugel aussieht und auch fast genau so schwer ist. Beim Schuß aber fliegt die Mischung ungefähr zwei Fuß vor der Gewehrmündung in Atomen auseinander.«

»Welche Metalle sind es?«

»Quecksilber und Wismut. Letzteres kennst du nicht; es ist sehr teuer und wird hier wohl kaum zu haben sein.«

»Wo wäre es zu bekommen?«

»Nur in der Apotheke. Ich werde nach unserm Erwachen einmal hingehen.«

»Und bist du auch ganz sicher, daß die Kugel auseinanderfliegt? Sonst wäre es um deinen Hadschi dennoch geschehen.«

»Keine Sorge! Ich würde erst eine Probe machen. Ich habe das Kunststück in einem Zauberbuch gelesen und es dann gleich probiert. Es gelingt ganz vortrefflich.«

»Sind aber dann die Stücke des Metalls nicht zu sehen?«

»Nein. Das Metall zerfliegt in ganz kleine, unsichtbare Teilchen. Viel Effekt würde das Kunststück machen, wenn du eine wirkliche Bleikugel in der Hand hieltest. Beim Schuß tut man dann so, als ob man die aus dem Gewehr kommende Kugel auffangen wolle, und zeigt natürlich statt derselben die andere Kugel vor oder schleudert sie von sich zur Erde.«

»Das tun wir, Sihdi!«

»Wenn ich Wismut bekommen kann, ja; sonst ist es unmöglich.«

»Denkst du vielleicht, daß die Skipetaren es erfahren werden, mir könne keine Kugel schaden?«

»Ich glaube, daß sie gewiß irgend jemand hier haben, von dem sie Nachricht empfangen.«

»Dann wäre es gut, wenn sie dächten, daß auch du von keiner Kugel getroffen werden kannst.«

»Freilich wohl.«

»Also laß auch einmal auf dich schießen.«

»Es kommt darauf an, ob und wie viel wir Munition bekommen können. Uebrigens müssen wir gegen so gewalttätige Leute möglichst listig sein. Ich werde diese Burschen in Beziehung auf mich täuschen.«

»Wieso, Sihdi?«

»Morgen werde ich blondes Haar und einen blonden Bart haben – —«

»Wie willst du das anfangen?«

»Es gibt eine Pflanze, deren Blätter, in Lauge gekocht, dem dunkelsten Haar sofort für einige Zeit eine helle Farbe geben. Solche Blätter sind in der hiesigen Apotheke zu haben.«

»Ah, das ist die Pflanze, von welcher du mit der Nebatja sprachst?«

»Richtig. Also das wird die beiden Burschen täuschen. Ferner werde ich euch voranreiten, um den Weg zu untersuchen.«

»Sie werden dich dennoch erkennen, denn man wird ihnen mitteilen, daß du deinen Rih reitest, einen echt arabischen Rappenhengst mit roten Nüstern.«

»Ich werde ihn eben nicht reiten.«

»Was denn?«

»Dein Pferd. Du aber reitest den Rappen.«

Kaum hatte ich das gesagt, so tat es drüben, wo Halef im Bett gesessen hatte, einen Plumps. Im nächsten Augenblick saß Halef auf dem Rand meines Bettes.

»Was machst du denn, Kleiner?« fragte ich.

»Einen Purzelbaum habe ich gemacht aus meinem Bett heraus und bis herüber zu dir,« antwortete er mit fliegendem Atem. »Ist es dein Ernst, Sihdi; ich soll den Rih reiten?«

»Ich scherze nicht.«

»O Allah, w‘ Allah, l‘ Allah! Den Rih, den Rih soll ich reiten? Welch ein Glück! Ich reise mit dir schon so lange, lange Monde und habe ihn doch erst zweimal reiten dürfen! Weißt du noch, wo das war?«

»Jawohl, so etwas merkt man sich.«

»Und morgen nun zum drittenmal! Vertraust du ihn denn mir auch gern an?«

»Sehr gern. Du bist der Einzige, welcher ihn richtig zu behandeln versteht.«

Wenn er geahnt hätte, daß ich die Absicht hatte, ihm bei unserer Trennung das kostbare Pferd zu schenken, er hätte noch mehrere Purzelbäume geschlagen, vielleicht gar durch die dünne Schilfwand hindurch.

»Ja, mein lieber, mein guter Effendi, ich habe es dir abgelauscht. Rih hat mehr Verstand, als mancher dumme Mensch; er versteht jedes Wort, jeden Laut, jeden Wink. Er ist dankbarer als ein Mensch für alles, was man für ihn tut. Ich werde ihn behandeln wie meinen Freund und Bruder.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Ja, du kannst dich darauf verlassen. Wie lange darf ich denn in deinem Sattel sitzen? Eine ganze Stunde?«

»Noch länger, viel länger. Vielleicht einen ganzen Tag, und es ist möglich, auch noch längere Zeit.«

»Was! Wie! Effendi, Sihdi, Freund und Besitzer meiner Seele! Mein Herz ist voll von Wonne – es will zerspringen. Ich bin nur ein armer, geringer, dummer Ben Arab und du bist der Würdigste der Würdigen; aber dennoch mußt du mir erlauben, daß mein Mund deine Lippen berührt, die mir eine so frohe Botschaft verkündigt haben. Wenn ich dir keinen Kuß gebe, zerplatze ich vor Entzücken!«

»Na, Halef, zerplatzen sollst du nicht; bist du doch nicht zerplatzt, als du Messer, Bajonette, Pulver und Zündhölzer gegessen hattest.«

»Nein, zerplatzt nicht, aber einen innerlichen Krach hat es gegeben,« rief er, lustig lachend. Dann fühlte ich seinen Bart, sechs Haare rechts und sieben links, über meinen Schnurrwichs streichen. Sein Respekt war so tief, daß er einen eigentlichen Kuß gar nicht wagte. Ich drückte den guten, herzensbraven Kerl fest an mich und applizierte ihm einen kräftigen, deutschen »Schmatz« auf die Wange, worüber er nicht etwa vor Wonne außer Rand und Band geriet, sondern er fuhr empor und stand dann mäuschenstill vor mir, bis ich fragte:

»Nun, Halef, reden wir nicht weiter?«

»O Sihdi,« antwortete er, »weißt du, was du gemacht hast? Geküßt hast du mich, geküßt!«

Dann hörte ich ihn einige Schritte tun und in seinen Sachen herumsuchen.

»Was machst du denn?« fragte ich.

»Nichts, gar nichts. Du wirst es morgen sehen.«

Es verging eine Weile, bis ich hörte, daß er wieder an sein Bett trat und sich in dasselbe setzte. Dann fragte er:

»Also einen ganzen Tag oder gar noch länger soll ich den Rih reiten? Warum so lange? Wirst du nicht bei uns sein?«

»Auf diese Frage kann ich dir jetzt noch keine Antwort geben, weil ich jetzt noch nicht weiß, was geschehen wird. Ich werde mich bemühen, mein Aeußeres möglichst zu verändern, und dann – —«

»O, dich wird man dennoch erkennen!«

»Das bezweifle ich, denn die Aladschy haben mich noch gar nie gesehen. Ich bin ihnen nur beschrieben worden.«

»Ja, dann ist‘s möglich, daß du sie täuschest. Aber werden sie nicht etwa selbst herein nach Ostromdscha kommen?«

»Das ist nicht wahrscheinlich.«

»Warum nicht? Meinst du, daß sie hier für ihre Sicherheit zu fürchten haben?«

»Durchaus nicht. Wie sie mir beschrieben worden sind, würden sie im Gegenteil befähigt sein, die ganze hiesige feige Bevölkerung einzuschüchtern. Aber sie dürfen sich hier nicht von mir sehen lassen und lauern uns deshalb im Freien auf; das ist gewiß. Ich werde sogar meine Gewehre nicht mitnehmen, sondern euch überlassen. Ich reite ganz allein und tue, als ob ich ein schlichter Bewohner dieses Landes sei. Jedenfalls bekomme ich sie zu sehen.«

»Auch wenn sie sich versteckt haben?«

»Auch dann. Finde ich einen Ort, der sich zu einem Ueberfall eignet, so werde ich schon nach Spuren suchen, und finden werde ich sie ganz gewiß. Was dann geschieht, das weiß ich freilich jetzt noch nicht.«

»Aber wir müssen doch wissen, was geschehen soll!«

»Natürlich. Ihr reitet ganz einfach in gemächlichem Schritt immer auf der Straße von hier bis Radowitsch. Nach zwei Stunden geht es über den Fluß, und dann nach höchstens drei Stunden seid ihr dort. Hat sich unterwegs nichts ereignet und ist euch auch nichts aufgefallen, so kehrt ihr im ersten Gasthof ein, welcher zu eurer Rechten liegt. Da können drei Fälle eintreten. Entweder bin ich noch da – —«

»So ist‘s ja gut, Sihdi.«

»Oder ich bin wieder fort – —«

»So hast du uns Botschaft zurückgelassen.«

»Oder ich bin noch gar nicht da; dann wartet ihr bis ich komme.«

»Und wenn du aber nicht kommst?«

»Ich komme gewiß!«

»Du bist ein Mensch und kannst dich irren. Es kann dir etwas zustoßen, infolgedessen du unserer Hilfe bedarfst.«

»So reitest du zurück, du allein, am nächsten Tag, aber nicht vor dem Mittag und nicht auf dem Rappen. Dieser bleibt im Khan bei Omar und Osko zurück. Ihn will ich keiner Gefahr aussetzen. Auf diesem Rückweg wirst du schon Zeichen von mir finden. Das ist es, was wir vorher besprechen mußten. Etwas weiteres läßt sich heute nicht sagen. Und nun wollen wir unser Gespräch beenden. Wir bedürfen der Ruhe und wollen versuchen, ob der Schlaf uns erquicken mag.«

»Bei mir kehrt der Schlaf nicht ein; das Kugelkunststück und der Rappe lassen mir keine Ruhe. Gut Nacht, Sihdi!«

»Gute Nacht!«

Ich glaubte es dem lieben Kerl sehr gern, daß er sich in einer bedeutenden Aufregung befand. Es gab drei Geschöpfe, welchen sein Herz gehörte. Daß ich da voran stand, das wußte ich. Dann kam Hanneh, die »Zierde der Frauen und Mädchen«, und hernach Rih, der Rappe. Daß er diesen reiten sollte, das war ein über alle Maßen außerordentliches Ereignis. Ich war überzeugt, daß er nicht schlafen würde.

Und so geschah es auch. Ich selbst war ziemlich aufgeregt und fand keine wirkliche Ruhe. Wenn die gute Nebatja nicht auf den Berg gegangen wäre, um ihre Marienkreuzdistel zu holen, so hätte sie das Gespräch nicht belauschen und mich auch nicht warnen können. In diesem Fall hätte mir morgen der sichere Tod bevorgestanden. Wie nichtig ist doch der Wille des Menschen gegen Gottes Ratschluß! Wenn ich der kühnste, stärkste, klügste und umsichtigste Mensch wäre, ohne Nebatja war ich verloren.

Solche Gedanken pflegen die Türe zu öffnen, durch welche man in die Vergangenheit blickt. Wohl dem Menschen, welcher dann erkennt, daß er zwar selbst bestimmend auf sein Schicksal einzuwirken vermag, daß aber doch eine mächtigere Hand ihn immer hält und leitet, selbst dann, wenn er diese Hand von sich zu stoßen vermeint! So lag ich, abwechselnd sinnend und halb träumend, bis ich endlich doch in Schlummer fiel.

Durch das Land der Skipetaren

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