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Zweites Kapitel: Die beiden Aladschy

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Als ich aus dem Schlafe erwachte und den Laden aufstieß, drang das helle Tageslicht zu mir herein. Meine Uhr sagte mir, daß ich dritthalb Stunden geschlafen hatte. Halef war schon aufgestanden. Ich fand ihn unten in dem Stalle; er putzte an dem Rappen herum, und zwar mit einem solchen Eifer, daß er meinen Eintritt gar nicht bemerkte. Als er mich dann doch erblickte, fragte er:

»Du auch schon auf? Im Hause schläft noch alles. Aber es ist gut, daß du schon munter bist, denn du hast sehr notwendige Besorgungen vor.«

»So? Was denn?« erkundigte ich mich, obgleich ich sehr wohl wußte, was er meinte.

»Du mußt in die Apotheke gehen.«

»Das hat noch Zeit.«

»Nein, Sihdi. Es dauert sehr lange, bis man solche Kugeln fertig bringt.«

»Woher weiß denn du das?«

»Ich bin nicht so dumm, daß ich es mir nicht denken könnte, Sihdi.«

»Nun, recht magst du haben, zumal ich mir auch noch die Blätter zu kochen habe; aber ich weiß ja nicht, wo die Apotheke ist, und in der ganzen Stadt wird noch niemand auf den Beinen sein, um mir das Haus zu zeigen.«

»So ein Spuren- und Fährtensucher wird doch wohl auch eine Apotheke finden können?«

»Ich will es versuchen.«

Hierauf öffnete ich das Tor und trat hinaus auf den freien Platz. Ich sagte mir, daß die Apotheke nicht in irgend einem Gassenwinkel, sondern möglichst leicht zu erreichen und in der Mitte des Ortes liegen möge, und da befand ich mich ja.

Indem ich von Haus zu Haus blickte, bemerkte ich ein sehr altes, baufälliges Ding, das wohl ein Haus sein sollte. Nur noch an zwei wahrscheinlich auch bereits lockeren Nägeln hing ein langes Brett windschief herab, dessen Inschrift glücklicherweise noch deutlich zu lesen war.

»Hadsch Omrak Doktor hakemi we bazar bahari.«

So stand mit weißer Schrift auf grünem Grund zu lesen. Auf deutsch: »Der Mekkapilger Omrak, Doktor der Medizin und Verkaufsladen von Arzneiwaren.« Dieser Hadschi war also ein Arzt, welcher entweder den Doktortitel wirklich besaß oder sich ihn anmaßte.

Die Türe war verschlossen, aber ein kräftiger Stoß mit der Hand hätte mir sofort Eingang verschafft. Eine Klingel war nicht zu sehen, doch hingen an den beiden Enden eines Strickes zwei Holzdeckel grad so hoch, daß sie von einem erwachsenen Menschen erreicht werden konnten. In der Ahnung, daß dies die Hausglocke vorstellen solle, ergriff ich die Deckel und schlug sie zusammen. Das gab allerdings ein Geräusch, welches ganz geeignet war, einen Schlafenden zu wecken.

Ich mußte längere Zeit das Cymbal schlagen, bevor ich Erhörung fand. Ueber mir wurde ein Laden geöffnet, stückweise, denn die Bretter hingen nicht mehr zusammen; dann kam folgendes zum Vorschein: eine elfenbeingelbe Glatze, eine aus lauter Querrunzeln bestehende Stirn, zwei kleine, schläfrig blinzelnde Augen, eine Nase, welche der Schnauze einer großen, braunen tönernen Kaffeekanne glich, wie man sie bei uns auf den Dörfern sieht, ein breiter, lippenloser Mund, ein gebogenes Kinn, welches gar nicht breiter als die Nase war, und endlich ertönte es zwischen den Lippen hervor:

»Kim dir – wer ist da?«

»Bir chasta – — ein Patient,« antwortete ich.

»Ne asl chastalyk – welche Krankheit?«

»Mibim kyran – ich habe den Magen gebrochen,« erklärte ich frisch von der Leber weg.

»Schimdi, tez – gleich, sogleich!« schrie der Herr »Doktor« mit einer Stimme, der ich entnahm, daß ihm ein solcher Hauptfall noch gar nicht vorgekommen sei.

Der Kopf fuhr in allerhöchster Eile zurück; mir aber, der ich so verwegen war, noch in die Höhe zu blicken, fielen die Bestandteile des Ladens ins Gesicht. Ich war so geistesgegenwärtig, erst dann zur Seite zu springen, als die Bretter bereits auf der Erde lagen.

Nach kaum einer Minute hörte ich hinter der Türe einen Lärm, als ob ein Erdbeben im Anzug sei. Einige Katzen kreischten, ein Hund heulte, Gefäße wurden umgerissen, eine unaussprechlich wundersame Frauenstimme schrie dazwischen; dann flog etwas, was wohl der Arzt selbst war, gegen die Türe, denn sie ging auf, und der gelehrte Herr lud mich mit einer tiefen, tiefen Verbeugung ein, gütigst näher zu treten.

Aber was für eine Gestalt sah ich da vor mir! Dieser »Doktor und Arzneiladen« hätte, in ein heimatliches Rübenfeld gestellt, allen Hänflingen, Stieglitzen, Zeisigen und Spatzen einen so heillosen Schreck eingejagt, daß sie sicher sofort nach Marokko geflogen wären, um niemals in ihrem Leben wiederzukommen.

Sein Gesicht sah jetzt, in der Nähe betrachtet, noch viel vorweltlicher aus als vorher. Es war so voll von Falten und Runzeln, daß es auch nicht eine einzige, noch so kleine glatte Stelle darin gab. Sein Morgenkleid war ein hemdähnliches Ding, welches zwar von der Schulter bis auf die Knöchel reichte, aber die Blöße doch nur halb bedeckte, da es fast nur aus Löchern und ellenlangen Rissen bestand. An dem einen Fuße hatte er einen abgeschlurften rotledernen Pantoffel und an dem anderen einen Reisestiefel aus schwarzem Filz. Doch war auch dieser Filz so luftbedürftig geworden, daß er den Zehen einen ungehinderten Ausblick in alle Gegenden des türkischen Reiches gestattete. Seine Glatze hatte er mit einer alten Nachthaube für Frauen bedeckt, deren hinterer Teil nach vorn, der vordere Teil aber nach hinten zu liegen gekommen war, jedenfalls eine Folge der Eile, mit welcher er meinem gebrochenen Magen hatte Rettung bringen wollen.

»Herr, komm näher!« sagte er. »Tritt herein in die armselige Gesundheitsfabrik deines geringen Dieners!«

Er beugte den Kopf fast bis zur Erde und bewegte sich dabei storchartig rückwärts, bis hinter ihm ein schriller Weheruf erscholl:

»O jazik – o wehe! Kojun, basar sen nassyrlarmüz üzeri – Schaf, du trittst mir ja auf meine Hühneraugen!«

Er fuhr erschrocken empor und zur Seite. Da bekam ich das zarte Wesen zu sehen, welches diese sanften Worte gelispelt hatte.

Dasselbe schien aus einem Gesicht, einem uralten Teppich und zwei nackten, schrecklich schmutzigen Füßen zu bestehen. Dennoch waren diese Füße unendlich anziehender als das Gesicht. Der Besitzer der »Gesundheitsfabrik« war ein wahrer Apollo gegen sein Weibchen. Am liebsten widme ich der Schönheit ihres Antlitzes ein ohnmächtiges Schweigen.

Sie trat vor und verbeugte sich ebenso tief, wie vorhin ihr Gemahl.

»Chosch geldiniz Sultanum – willkommen hoher Herr!« begrüßte sie mich. »Wir sind entzückt, die Morgenröte deines Angesichtes zu schauen. Was wünschest du von uns? Der Wasserfall unsers Gehorsams wird sich über dich ergießen.«

»Sen güzel tscha ilahessi bunum hejranli tschaghlaganün – und du bist die schöne Nymphe dieses entzückenden Wasserfalles!« antwortete ich höflich, indem ich auch ihr eine respektvolle Verneigung machte.

Da klappte sie einige Male die untere Kinnlade gegen die obere, nickte ihrem Gemahl zu, erhob mahnend die rechte Hand, stieß ihm den Zeigefinger gegen die Stirn und sagte:

»Bak, ad komar beni güzel – schau, er nennt mich schön! Dati tschok daha eji katschan seninki – sein Geschmack ist viel besser als der deinige.«

Und sich im huldvollsten Tone an mich wendend, fuhr sie fort, ihrer Stimme einen möglichst lieblichen Klang erteilend:

»Dein Mund weiß angenehm zu sprechen, und dein Auge erkennt die Vorzüge deiner Mitmenschen. Das konnte ich freilich von dir erwarten.«

»Wie? Kennst du mich?«

»Sehr gut. Du hast mit Nohuda, meiner Busenfreundin, und mit Nebatja, die uns Pflanzen bringt, unten am Gesundheitsbrunnen gesprochen, und sie haben uns von dir erzählt. Sodann haben wir dich beim Bascha gesehen. Die Welt ist deines Lobes voll, und mein Herz duftet dir seine Lobgesänge entgegen. Wir weinen bittere Tränen, daß dich die Krankheit zu uns führt. Aber wir haben alle iki bin bir iladschlar[1] studiert und werden dich von deinem Leiden erlösen. Es ist noch kein Mensch von uns gegangen, ohne Hilfe und Rettung zu finden. Darum darfst du dich mir getrost anvertrauen.«

Das klang ja sehr verheißungsvoll. Sie sah ganz so aus, als ob sie diese zehntausend und eine Arznei nicht nur studiert, sondern auch hinuntergeschluckt habe und jetzt noch an der Wirkung derselben laboriere. Diesen beiden Leuten hätte ich mich im Krankheitsfall anvertrauen mögen! Darum sagte ich:

»Verzeihe, o Günesch esch schifa[2], daß ich dich nicht bemühe. Ich bin selbst ein Hekim Baschi, ein Oberarzt meines Landes, und ich kenne meinen Körper. Er bedarf ganz anderer Mittel als der Leib eines hiesigen Menschen. Ich bin nur gekommen, um mir die Mittel zu holen, deren ich zur Heilung bedarf.«

»Jazyk, adschynadschak – das ist schade, jammerschade!« rief sie aus. »Wir hätten den Riß deines Magens untersucht und genau gemessen. Wir besitzen ein Midemelhemi[3], welches wir dir auf die Ecke eines Turbantuches gestrichen hätten. Hättest du es aufgelegt, so wäre das Loch in wenigen Stunden zugeheilt.«

»Vielleicht ist euer Pflaster grad auch das meinige, denn dieses wirkt ganz ebenso rasch. Doch erlaube, daß ich es mir selbst bereite.«

»Dein Wille ist auch der unserige. Komm also herein in die Kammer der Wundersalben und suche dir das aus, was dein Herz begehrt.«

Sie öffnete eine Seitentür und trat vor mir ein. Ich folgte ihr, und hinter mir stelzte auch der glückliche Besitzer dieser Apotheke und dieser »Nymphe des Wasserfalles« herein.

Was ich sah, erfüllte mich mit jener eigenartigen Seelenstimmung, welche man vulgär mit dem Wort »gruseln« zu bezeichnen pflegt.

Ich befand mich in einem Raum, welcher sich wohl eher zu einem Gänsestall als zu einer Apotheke geeignet hätte. Ich stieß mit dem Kopf oben an. Der Fußboden war die liebe Mutter Erde, und die Wände bestanden aus Bretterschwarten, von denen die Rinde nicht abgelöst worden war. An Nägeln hingen ganze Reihen kleiner Leinwandsäckchen, eines neben dem andern. Vom Mittelpunkt der Decke baumelte eine Schnur herab, an welcher eine riesige Klistierspritze angebunden war. Auf einem Brett lagen mehrere wunderlich gestaltete Scheren, alte Schröpfköpfe, Barbierbecken und Zahnzangen mit zolldicken Backen. Auf dem Boden stand allerlei ganzes und zerbrochenes Geschirr, und rundum herrschte ein Geruch, der geradezu unbeschreiblich zu nennen war.

»So!« sagte sie. »Das ist unsere Patientenküche. Jetzt sage uns, aus welchen Mitteln du deine Magensalbe zusammensetzest.«

Der Apotheker drängte sich vor mich hin und sah mir mit höchster Spannung in das Gesicht. Er freute sich sichtlich darauf, mir mein Rezept abzulauschen.

»Habt ihr Sadar in einem dieser Säckchen?« fragte ich.

»Sadar ist da,« antwortete die Holde, sich gegen die Wand richtend.

»Sadar?« bemerkte ihr Mann. »Ilm Lotos komar – die Wissenschaft nennt es Lotos.«

Dieser wirkliche Doktor und Hekim wollte mir zeigen, daß er den lateinischen Namen der Pflanze inne habe. Da derselbe aber leider veraltet war, entgegnete ich:

»Tanam ilm celtis australis komar – die wirkliche Wissenschaft nennt es Celtis australis.«

Er tat den Mund sehr weit auf, sah mich erstaunt an und fragte:

»Gibt es denn zwei verschiedene Wissenschaften?«

»O, mehr als hundert.«

»Allah! Ich kenne nur diese eine. Wie viel willst du von dem Sadar, Herr?«

»Eine große Handvoll.«

»Schön! Ich werde es dir in eine Düte tun. Herr! was willst du noch?«

Unten auf dem Fußboden lag ein Papier. Ich hätte fünfhundert Piaster gewettet, daß dasselbe von der Straße aufgelesen worden war. Sie hob es auf, drehte es zusammen, fuhr mit der Zunge über die Kante, damit es kleben sollte, und tat mir eine Handvoll der Celtis australis hinein. Da ich das Mittel äußerlich anwenden wollte, so erhob ich keinen Einspruch gegen dieses familiäre Gebaren der Apothekerin

»Hast du Alkali?« fragte ich.

Sie blickte mich verwundert an, obgleich das Wort ein bekanntes arabisches war. Er aber zog den Mund zu einem sehr selbstbewußten Lächeln in die Breite und erkundigte sich:

»Von welchem willst du?«

»Das ist mir gleich.«

»Herr, ich habe erfahren, daß deine Heimat im Westen liegt. Ich besitze ein sehr gutes Alkali von dort her, und wenn du es willst, kannst du es haben.«

»Wie nennst du es?«

»Schawell suju.«

»Zeige es mir!«

Er brachte wirklich, wie ich vermutete, ein Fläschchen zum Vorschein, auf welchem zu lesen war: »Eau de Javelle, fabrique de Charles Gautier, Paris.«

»Wie kommst du zu diesem Alkali?« fragte ich ihn.

»Ich kaufte mehrere Fläschchen von einem Kommis voyageur, welcher bei mir war. Er kam aus der Hauptstadt von Fransa, die Praga heißt.«

»Du irrst. Prag ist die Hauptstadt von Böhmen, während die Hauptstadt von Fransa Paris heißt.«

»Effendi, das weißt du alles?«

Da fiel seine Gemahlin schnell ein:

»Sus – schweige! Das habe ich längst gewußt. Du bist ein Dummkopf, aber kein Arzt und Apotheker! Herr, was willst du noch?«

»Hast du Quecksilber?«

»Ja. Wir brauchen es zum Füllen des Barometers und Thermometers, die wir verfertigen.«

»Wie? Ihr macht sie selbst?«

»Ja. Traust du es uns nicht zu?«

»O, sehr gern! Wer so viele Arzneien studiert hat, der kann alles!«

»Nicht wahr? Ja, du bist ein vernünftiger und hochgebildeter Mann. Jetzt haben wir Vorrat aus Saloniki bekommen. Wenn wir einmal kein Quecksilber haben, tun wir Ziegenmilch in die Röhren; die sieht auch weiß aus und zeigt das Wetter genauer an als das Quecksilber.«

»Sprichst du im Ernst?«

»Gewiß. Hast du das noch nicht gewußt?«

»Nein, meine Verehrte.«

»So hast du nun den Beweis, daß wir hier klüger sind, als ihr in den westlichen Ländern. Die Ziegen wissen ganz genau, was für Wetter wird. Wenn es regnen will, rennen sie stracks nach dem Stalle. Also muß die Milch ein gutes Mittel in die Röhren sein.«

»Du bist eine kluge Frau. Das habe ich dir freilich auf der Stelle angesehen.«

»Wie viel willst du von dem Quecksilber, Herr?«

»Ungefähr 500 Gramm. Hast du so viel?«

»Noch mehr.«

»So warte noch. Ich muß erst sehen, ob ihr noch einen Stoff habt, den ich dazu brauche.«

»Welchen meinst du?«

»Kül kurschuni[4]. Das ist freilich ein seltenes Metall. Solltest du es haben?«

»Kül kurschuni haben wir nicht, aber Kül kalaji[5], welches wir brauchen, um eine schöne, weiße Schminke daraus zu bereiten.«

»Auch das geht an. Hast du ein Vikiey davon, so gib es mir und zwei Vikiey Quecksilber dazu.«

»Soll ich es dir auch gleich hier in die Düte gießen?«

»O nein! Das Quecksilber würde uns sofort entwischen.«

»Ach freilich! Es ist wie die Liebe der Männer, die auch sofort verschwindet, wenn – wenn – —«

»Wenn man sie in eine solche Düte schüttet?«

»Ja, aber die Düte ist das Herz. Es vermag eure Liebe nicht festzuhalten. O, die Liebe, die Liebe! Die hat schon manches arme Weib unglücklich gemacht.«

Sie warf einen wütenden Blick auf ihren Mann, riß ihm die Haube vom Kopf, schwang sie auf ihr eigenes Haupt und zürnte:

»Mensch, wie kannst du dich mit einer Zienet müenneslükün[6] schmücken! Willst du die Seele deines Weibes entweihen?«

Er bedeckte seine Glatze schnell mit beiden Händen und schrie:

»Weib, du versündigst dich an der heiligen Würde des Mannes! Weißt du nicht, daß es uns verboten ist, das Haupt unseres Körpers zu entblößen!«

Aber die geistreiche Frau wußte sich zu helfen. Sie antwortete:

»Bunda, jokary kaldyr haß kutuju – da, setze die Mehlschachtel auf!«

Zu gleicher Zeit griff sie nach einer runden Pappschachtel, in welcher sich noch ein Rest feines Mehl befand, und stülpte ihm dieselbe, ohne auf das Mehl zu achten, verkehrt auf das »Haupt seines Körpers«. Sein Angesicht war sofort bepudert; er wagte aber nicht, ein Wort zu sagen, und behielt diese Kotillonmütze ruhig auf dem kahlen Wohnsitz seiner Gelehrsamkeit. Als strenger Moslem, der sein Haupt nicht entblößen darf, war er ganz glücklich, daß es wieder bedeckt war. Welchen Eindruck aber diese Bedeckung auf mich machte, das schien ihm sehr gleichgültig zu sein.

Er kniete auf den Boden nieder und wirrte in den alten Gefäßen herum.

»Was suchst du denn?« fragte ihn seine schönere Hälfte.

»Eine Flasche, um dem Effendi das Quecksilber hinein zu tun; hier ist eine.«

Er erhob sich und reichte seiner Frau die Flasche. Dieselbe war so groß, daß sie wohl seinen ganzen Quecksilbervorrat gefaßt hätte, und vielleicht auch noch mehr. Die Frau hielt sie gegen das Licht, schaute nach dem Inhalt und sagte:

»Da ist ja noch alter Firnis drinnen!«

»Was schadet es?«

»Sehr viel. Nimm Wasser und wasche sie aus!«

Er entfernte sich sehr gehorsam mit der Flasche.

Nach einer Weile, während welcher ich mich mit der gelehrten Frau unterhalten hatte, kehrte er zurück, hochrot im Gesicht vor Anstrengung, und sagte im Ton der Verzweiflung:

»Ich bringe sie nicht rein; versuche du es selbst.«

»Du bist ein Tolpatsch!« sagte sie. »Ihr Männer habt zu nichts Geschick.«

Sie entfernte sich mit der Bouteille. Ich ließ es geschehen, ohne ein Wort zu sagen. Er erzählte mir im Vertrauen einige Beispiele seines großen Eheglückes, bis sie zurückkehrte, noch viel röter, als er vorhin war.

»Effendi,« klagte sie, »die Flasche ist verzaubert. Der Firnis geht nicht heraus.«

»Das habe ich gewußt.«

»Wie? – Wirklich?«

»Ja. Er ist nicht mit Wasser, sondern nur mit Terpentinöl zu entfernen. Der Firnis nimmt kein Wasser an.«

»Das konntest du uns doch sagen!«

»O nein; das hätte euch ja beleidigt.«

»Warum denn?«

»Ein Apotheker muß das wissen; überhaupt weiß das auch einer der nicht grad Chemie studiert hat. Hätte ich euch darauf aufmerksam gemacht, so wäre dies eine Unhöflichkeit gewesen, denn es hätte so geklungen, als ob ich nicht glaubte, daß ihr zweitausend und ein Arzneimittel studiert habt.«

»Da hast du recht. Du bist ein höflicher und sehr rücksichtsvoller Mann. Dafür sollst du nun auch den Firnis umsonst bekommen. Ich schütte dir das Quecksilber darauf. Wo hast du die Wage, Mann?«

»Sie ist im Hof. Ich habe gestern das Kaninchen damit gewogen, welches wir heute essen wollen.«

»Hole sie herein!«

O weh! Eine Apothekerwage, auf welcher man ein geschlachtetes Kaninchen wiegen kann! Als er sie brachte, sah ich, daß er sich den Wagebalken wohl selbst aus Holz zurechtgeschnitzt hatte. Die Zunge war ein Stück Draht, welches sich zwischen den beiden Zinken einer Speisegabel bewegte. Die Schalen bestanden aus einer runden Holzschachtel und ihrem Deckel. Doch war das wunderliche Instrument ganz leidlich ins Gleichgewicht gebracht worden.

Mit dieser Wage wurde mir nun das Verlangte abgewogen, und ich war sehr zufrieden mit dem Preis, den mir die Frau Apothekerin stellte, zumal das Wismut in sehr gut ausgebildeten Rhomboëdern kristallisiert war.

Nachdem ich mir auch Blei gekauft hatte, verließ ich den sonderbaren Laden und erhielt die besten Wünsche für mein Wohlergehen mit auf den Weg.

Von da begab ich mich zu der guten Nebatja, die auch schon wach war und mich mit großer Freude empfing.

Sie zeigte mir ihren Distelkönig, den ich nun beim Tageslicht genau betrachtete. Sie wollte mir ihn schenken, aber ich nahm ihn nicht an. Natürlich bedankte ich mich wegen ihrer Warnung und erklärte ihr, wie wichtig mir dieselbe sein werde. Als ich ihr sagte, daß sie durch dieselbe wohl meine Lebensretterin sei, zeigte sie sich ganz entzückt darüber.

Das brave Weib hatte mir die herzlichste Teilnahme abgerungen. Schon gestern war mir der Gedanke gekommen, wie leicht ich ihr die Zukunft minder schwer machen könne, und jetzt führte ich diesen Gedanken aus.

Ich besaß das Geld, welches bei Manach el Barscha, Barud el Amasat und dem Gefängniswärter gefunden worden war. Eigentlich sollte ich dasselbe abgeben. Aber an wen? An die saubere Behörde von Ostromdscha? Pah! An die Oberbehörde? Persönlich hätte ich dies nicht tun können, denn dazu war keine Zeit vorhanden. Und einen Boten senden? Der Mann hätte sich wohl in das Fäustchen gelacht. Uebrigens waren die drei, denen wir es abgenommen hatten, entflohen. Ihnen das Geld wieder zu geben, dieser Gedanke wäre Wahnsinn gewesen. Ich konnte jedenfalls gar nichts Besseres tun, als es armen, bedürftigen Leuten schenken. Und zu denen gehörte die Nebatja an erster Stelle.

Freilich durfte ich ihr nicht sagen, woher ich es hatte; sie hätte sich vielleicht geängstigt. Die ganze Summe wollte ich ihr freilich nicht geben; ich konnte sicher sein, noch genug ebenso Bedürftige zu finden, und ich wußte, daß der für sie bestimmte Anteil völlig ausreichen würde, um sie vor Not zu bewahren.

Sie war ganz starr vor freudigem Staunen, als ich ihr unter vier Augen das Geld gab. Sie wollte gar nicht glauben, daß eine solche Summe, welche für sie ein Reichtum war, ihr gehören könne. Die Tränen rollten ihr über die Wangen herab. Ganz besonders entzückt war sie davon, daß sie nun einen wirklichen Arzt für ihren Knaben haben könne. Ich mußte mich ihren Worten und Händedrücken mit Gewalt entziehen.

Halef hatte mich unterdessen mit Ungeduld erwartet. Er stand unter dem Tor und rief mir von weitem entgegen:

»Endlich, endlich, Sihdi! Wir haben‘s so eilig, und doch bleibst du so lange fort! Wie steht es denn mit dem Kunststück?«

»Sehr gut. – Ist der Wirt schon wach?«

»Alle sind bereits munter.«

»So will ich an den Herd. Ich muß kochen und schmelzen.«

»Ich werde dabei sein, und du wirst mir alles erklären, damit ich es nachmachen kann.«

»Nein, mein Lieber, mit dem Nachmachen ist es nichts. Es gehören einige Kenntnisse dazu, welche du nicht besitzest, und selbst derjenige, welcher dieselben hat, kann durch eine kleine Unachtsamkeit einen Fehler begehen, welcher ihm oder einem andern das Leben kostet. Darum werde ich niemals jemandem alle vier Ingredienzien nennen oder ihm die Art und Weise der Mischung verraten. Osko mag mir seine Kugelform mitbringen; sie hat das Kaliber der hiesigen Gewehrläufe.«

Unsere Vorbereitungen nahmen nicht mehr als eine halbe Stunde in Anspruch. Die Sadarblätter wurden in verdünntem Eau de Javelle gekocht, und die Lauge ward durch ein altes Leintuch gegossen. Das vorhandene Metall gab acht Kugeln, welche reinen Bleikugeln täuschend ähnlich waren. Außerdem wurden mehrere Bleikugeln gegossen und mit der Messerspitze leicht gezeichnet. Dann ging ich mit Oskos Gewehr hinter das Haus, wobei mich niemand begleiten durfte. Ich lud eine der Quecksilberkugeln in den Lauf, hielt die Mündung, nur anderthalb Fuß entfernt, gegen ein Brett und drückte ab. Der Schuß krachte wie ein gewöhnlicher, aber das Brett war vollständig unversehrt. Am Boden zeigte sich nicht das kleinste Teilchen der zerstiebten Kugel.

Diese Probe war notwendig gewesen, denn nun wußte ich, daß kein Unglück geschehen könne. Einen Verrat hatte ich nicht zu befürchten, da nur Halef, Osko und Omar eingeweiht waren, und diese drei hatten mir ihre Verschwiegenheit zur Genüge bewiesen.

Das war alles noch zur rechten Zeit geschehen, denn als ich zurückkehrte, kam soeben der Kasi-Mufti mit dem Naib und dem Ajak Naib. Sie hatten noch Andere dabei. Als der Erstere mich bemerkte, ging er auf mich zu, zog mich zur Seite und sagte:

»Effendi, ahnst du, weshalb ich komme?«

»Du willst mir melden, wie es mit dem Kodscha Bascha steht.«

»Nein, o nein! Ich möchte dich fragen, ob du deinen kleinen Hadschi um die Erlaubnis gefragt hast, daß ihm jemand eine Kugel durch den Kopf schießen darf.«

»Liegt dir das denn gar so sehr am Herzen?«

»Ja, denn es ist entsetzlich wunderbar. Hat er heute schon seine Kuranblätter gegessen?«

»Frage ihn selbst!«

»Ich will ihn lieber nicht fragen, er könnte es übelnehmen.

Weißt du, sein Messer! Und mit der Peitsche ist er auch so flink und freigebig!«

»Ja, er ist ein wackerer kleiner Kerl.«

»Also sage: hast du ihn gefragt?«

»Ja, noch ehe wir schlafen gingen.«

»Und was hat er geantwortet?«

»Hm! Er schien nicht übel Lust zu haben.«

»Das wäre prächtig, herrlich! Wann kann die Geschichte beginnen?«

»Nur Geduld! Das geht nicht so schnell, wie du es wünschest. Mein Beschützer hat seine Eigenheiten. Uebrigens habe ich dir gestern noch nicht alles gesagt. Wir alle – nämlich meine drei Begleiter und ich – haben die gleiche Eigenschaft. Wir brauchen uns vor keiner Kugel zu fürchten.«

»Was? – Auch du?«

»Wie ich dir sage.«

»So speisest auch du Kuranblätter?«

»Frage nicht zu viel! Solche Geheimnisse verrät man selbstverständlich nicht gern.«

»So könnten wir also ganz nach unserm Belieben auf euch schießen?«

»Ja, wenn euch nämlich euer Leben zum Ueberdruß geworden ist.«

»Wieso? Ich verspüre noch gar nichts von einem solchen Ueberdruß.«

»Dann nimm dich in acht, und schieße ja nicht etwa auf irgend einen von uns, ohne vorher um Erlaubnis gefragt zu haben.«

»Warum denn nicht, Effendi?«

»Wenn wir die Genehmigung dazu erteilen, so kann man es ohne Schaden tun. Wer es aber hinterrücks verübt, dessen Kugel fliegt auf ihn zurück, und zwar genau auf diejenige Stelle seines Körpers, auf welche er bei dem unsrigen gezielt hat.«

»Also wenn ich auf den Kopf deines Hadschi oder auf den deinigen ziele, so fliegt mir die Kugel in meinen eigenen Kopf?«

»Ganz sicher. Willst du es einmal probieren?«

»Nein, Effendi, ich danke! Aber warum habt ihr es denn grad so eingerichtet und nicht anders?«

»Das kann dir dein Scharfsinn sehr leicht sagen: nämlich um etwaiger Feinde willen. Um diese zu bestrafen ist es nicht genug, daß ihre Kugeln uns nicht schaden, sondern sie müssen sich selbst genau so treffen, wie sie uns treffen wollten. Das ist das alte Gesetz der gerechten und genauen Wiedervergeltung.«

»Ewwet, göz itschün göz, disch itschün disch – ja, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Da mag ich nicht euer Feind sein. Wann reitet ihr wieder fort von hier?«

»Du freust dich wohl auf unsere Entfernung?«

»Nein; ich wollte lieber, ihr bliebet immer da. Aber eine große Umwälzung hast du uns gebracht.«

»Jedoch zum Guten!«

»Ja, und dafür sind wir dir dankbar, obgleich man lieber alles lassen soll, wie Allah es gemacht hat.«

»Hat Allah es gewollt, daß der Mübarek euch betrog, und daß der Kodscha Bascha eure Gefangenen befreite?«

»Das wohl nicht.«

»Wie geht es dem Kodscha Bascha?«

»Er steckt fest.«

»Hoffentlich wirst du nichts unternehmen, was geeignet wäre, ihn der gerechten Strafe zu entziehen.«

»Was denkst du von mir! Ich bin ein getreuer Diener des Padischah und tue stets meine Pflicht. Dafür aber könntest du mir nun auch den Gefallen erweisen und dem Hadschi ein gutes Wort geben.«

»Nun, ich will ihn erinnern.«

»Und erlaubst du, daß ich noch einige Leute hole?«

»Ich habe nichts dagegen.«

»Ich bin bald wieder da. Ich muß es dem guten Toma sagen, der es so gern sehen möchte.«

»Wer ist dieser Toma?«

»Er ist einer, welcher Aufträge besorgt, und macht den Boten zwischen hier und Radowitsch.«

»Ein braver Mann?«

»Recht brav. Als du dich gestern entfernt hattest, lobte er dich gar sehr. Ich erzählte ihm, daß dein Hadschi Kuranblätter verspeist und infolgedessen kugelfest ist. Er wollte das so gern auch sehen; er freut sich über euch und ist euer Freund. Darf ich ihn holen?«

»Bringe ihn!«

Er ging eiligen Schrittes davon.

Diese Leute waren so durchsichtig! Mir kam der Verdacht, daß dieser brave Botenmann Toma vielleicht von den beiden Aladschy beauftragt sei, uns zu beobachten und ihnen dann Meldung zu machen.

Bald bemerkten wir die Wirkung der Bemühungen des Kasi-Mufti. Es kam eine Menge von Menschen herbei, deren bewundernden Blicken wir uns dadurch entzogen, daß wir uns in die Stube setzten; aber der »Staatsanwalt« suchte uns dort auf.

Er hatte einen krummbeinigen Menschen bei sich, den er mir mit den Worten vorstellte:

»Sieh, Effendi, das ist der Bote, von dem ich dir erzählt habe.«

Ich faßte den Mann fest ins Auge und fragte ihn:

»Also du gehst zwischen hier und Radowitsch hin und her?«

»Ja, Herr,« antwortete er; »aber ich gehe nicht, sondern ich reite.«

»Wann reitest du das nächstemal?«

»Uebermorgen.«

»Eher nicht?«

Er verneinte, und ich sagte:

»Das ist sehr gut für dich.«

»Warum?«

»Weil dieser Weg heute für dich gefährlich werden könnte.«

»Effendi, aus welchem Grunde?«

»Das ist nun Nebensache: aber wenn du heute reiten wolltest, so würde ich dich warnen.«

»Du reitest ja doch wohl selbst?«

So aufrichtig und ehrlich er mich bisher angeschaut hatte, jetzt bei dieser Frage wurde sein Blick scharf und stechend.

»Allerdings,« antwortete ich unbefangen.

»Wann, Effendi?.«

»Genau um die Mitte des Tages.«

»Das ist keine gute Zeit. Man soll aufbrechen zur Zeit des Nachmittaggebetes, zwei Stunden vor Sonnenuntergang.«

»Das tut man in der Wüste, nicht aber hier. Man reitet nicht gern des Nachts durch unbekannte Wälder, zumal die Aladschy in der Nähe sind.«

»Diese?« fragte er mit ziemlich gut geheucheltem Erstaunen.

»Kennst du sie?« entgegnete ich.

Er verneinte kurzweg.

»Aber du hast von ihnen gehört?« forschte ich weiter.

»Nur wenig. Der Kasi-Mufti hier sagte mir, daß sie dich überfallen wollen.«

»Ich habe es erfahren.«

»Von wem?«

»Von einem guten Freund. Wenn sie klug sind, so lassen sie ihre Hand von mir, denn ich lasse nicht gern mit mir scherzen.«

»Ja, das habe ich gehört, Herr,« lächelte er verschmitzt. »Dich und die Deinigen kann keine Kugel treffen.«

»O, das ist noch nicht alles!«

»Ja, die Kugel fliegt sogar auf denjenigen zurück, welcher sie abgeschossen hat.«

Dabei streifte mich sein Blick mit einem listigen Blinzeln, als ob er mir sagen wollte: »Höre, du bist auch nicht auf die Nase gefallen, ebensowenig wie ich; machen wir uns also nichts weis.« Er war klüger als der »Anwalt des Kasagerichtes«. Dieser letztere mochte das Lächeln auch gesehen und richtig gedeutet haben, denn er fragte ihn:

»Du willst es wohl nicht glauben, Toma?«

»O, wenn der Effendi selbst es sagt, muß man es doch glauben!«

»Das rate ich dir auch. Daran zu zweifeln, wäre eine Beleidigung; du aber bist stets ein höflicher Mann gewesen.«

»Ja, Allah weiß es. Darum denke ich, der Effendi wird auch ein wenig höflich sein und es uns beweisen, daß er kugelfest ist.«

Halef hatte ihn und mich beobachtet. Es war seine Gewohnheit, wenn wir auf einen Menschen trafen, stets in meinem Gesicht zu lesen, wie ich von demselben denke. Jedenfalls sah er es mir jetzt an, daß ich diesem Botenmann keine Freundschaft entgegenbrachte, denn er legte die Hand an den Griff seiner Peitsche und sagte:

»Mann, willst du etwa unsern berühmten Emir belehren, wie er die Höflichkeit üben soll? Wenn du meinst, dies tun zu dürfen, so bin ich bereit, dir sämtliche Paragraphen des Höflichkeitsgesetzes mit dieser Peitsche auf den Rücken zu schreiben. Du wärst mir derjenige Frosch, von welchem wir uns anquacken lassen!«

Er war aufgestanden und machte einige drohende Schritte auf den Mann zu. Dieser wich schleunigst bis an die Türe zurück und rief:

»Dur, dur, ej hadschijim – bleib‘ stehen, bleib‘ stehen, o Hadschi! Es ist mir ja nicht eingefallen, euch ein Gebot zu geben. Laß deine Peitsche im Gürtel! Ich habe kein Verlangen, eine Brüderschaft mit ihr zu schließen.«

»Dann verhalte dich so, daß wir zufrieden mit dir sein können. Wir sind Kinder des einzigen Propheten und Söhne des Padischah und lassen uns nichts gefallen von einem, welcher den Namen Toma führt; denn so kann nur ein Ungläubiger heißen, der von den Wassermelonen des Moslem nur die Schalen essen darf. Uebrigens werden wir euch beweisen, daß wir euch keine Unwahrheit sagten, sondern daß von uns Zeichen und Wunder verrichtet werden, über welche ihr die Maulsperre bekommen werdet. Effendi, wollen wir es tun?«

»Ja, Halef, wenn es dir recht ist.«

»Mir ist es recht. Laß uns hinaus in den Hof gehen!«

Als wir hinaus kamen, war der Hof ganz mit Menschen angefüllt, welche neugierig des Wunders harrten, welches von dem Kasa-Mufti verheißen worden war. Diejenigen, an denen wir vorüber kamen, staunten uns mit weit aufgerissenen Augen an, und die ferner stehenden streckten die Hälse, um jede unserer Bewegungen zu sehen.

Der kleine Hadschi ergriff die Peitsche und schaffte durch rechts und links ausgeteilte Hiebe eine freie Bahn, welche auf einen kleinen Schuppen mündete.

»Sihdi, gibst du mir die Kugeln?« fragte er mich dann leise.

»Nein; denn ich will ganz sicher gehen, um einen Unfall zu verhüten. Zuerst nehmen wir eine wirkliche Bleikugel. Rede du mit den Leuten. Du besitzest ein größeres Rednertalent als ich.«

Er fühlte sich durch dieses Lob außerordentlich geschmeichelt. Seine Gestalt streckte sich, und seine laute Stimme erscholl:

»Ihr Leute und Männer von Ostromdscha, ihr sollt jetzt das unverdiente Glück haben, vier tapfere Männer zu sehen, durch deren Körper keine feindliche Kugel dringen kann. Oeffnet eure Augen und strengt euer Gehirn an, damit euch nichts von dem Wunder entgehe und ihr es erzählen könnt euren Kindern, Kindeskindern und Enkelskindern der entferntesten Urenkel, wenn ihr dann noch lebt. Haltet gute Ordnung und macht keinen Lärm, damit keine Störung entstehe, und sendet mir jetzt den Mann, den ihr für den besten Schützen haltet, mit seiner Flinte her.«

Es entstand ein halblautes Murmeln. Man suchte nach einem solchen Mann, und endlich trat einer vor, welcher sein Gewehr in der Hand hatte. Sonst sah ich überhaupt keinen, der mit einer Flinte bewaffnet war.

»Ist dein Gewehr geladen?« fragte ich ihn laut.

»Ja,« antwortete er.

»Hast du mehrere Kugeln bei dir?«

»Nein, Herr.«

»Es schadet nichts, ich werde dir von den meinigen geben. Aber vorerst mußt du uns zeigen, daß du ein tüchtiger Schütze bist. Siehst du das neue Brett, welches man da an den Schuppen genagelt hat? Es ist ein Ast darin. Versuche einmal, denselben zu treffen.«

Der Mann trat zurück, legte an und schoß. Mehrere der Anwesenden sahen nach und fanden, daß er das Ziel nur um einen halben Zoll gefehlt hatte.

»Das ist nicht ganz gelungen,« sagte ich. »Versuche es noch einmal.«

Ich gab ihm eine der neugegossenen Bleikugeln. Osko lieferte die Munition dazu. Der zweite Schuß war besser: der Mann hatte jetzt sorgfältiger gezielt. Ich gab ihm nun drei der andern Kugeln, nahm heimlich eine Bleikugel in die rechte Hand und sagte:

»Nun versuche, ob du in das Loch treffen kannst, welches du soeben in das Brett geschossen hast. Zeige aber vorher diesen Leuten die Kugeln, damit sie sich überzeugen, daß du richtig ladest.«

Die Kugeln gingen von Hand zu Hand, was einige Zeit in Anspruch nahm, da ein jeder sie sehen und befühlen wollte. Als er sie zurückerhalten hatte, lud er seine Flinte.

»Tritt näher!« gebot ich ihm, indem ich ihn weiter nach dem Ziel hinschob. »Jetzt kannst du schießen.«

Bei diesen Worten stellte ich mich an das Brett. Er ließ das erhobene Gewehr wieder sinken.

»Herr,« sagte er, »wie kann ich denn so das Brett treffen?«

»Warum denn nicht?«

»Du stehst mir ja im Wege!«

»Das tut nichts.«

»Du hast grad deine Brust vor meinem Ziel.«

»So schieße hindurch.«

»O, Herr, dann bist du tot!«

»Nein. Ich will euch ja zeigen, daß die Kugel mich nicht treffen darf.«

Er fuhr mit der Hand an den Kopf, um sich verlegen hinter dem Ohr zu kratzen.

»Das ist es ja eben!« meinte er. »Die Sache ist sehr gefährlich für mich.«

»Wieso?«

»Die Kugel wird von dir abprallen und dann mir durch die Brust gehen.«

»Sei ohne Sorgen. Ich werde sie mit der Hand auffangen und festhalten.«

Ein Gemurmel des Erstaunens ging durch die Reihen der Anwesenden.

»Ist das auch wirklich wahr, Effendi? Ich bin der Ernährer einer Familie. Wenn ich sterbe, so wird nur Allah für sie sorgen.«

»Du stirbst nicht. Ich verspreche es dir beim Barte des Propheten.«

»Wenn du das sagst, so will ich es versuchen, Herr.«

»Schieße getrost!«

Ich hatte Toma, den Boten, scharf beobachtet. Er kam jetzt ganz nahe herbei und wendete kein Auge von mir. Der Schütze legte auf mich an. Er stand nur zehn oder elf Schritte von mir entfernt. Aber er senkte das Gewehr noch einmal und sagte:

»Ich habe noch nie auf einen Menschen gezielt. Herr, – du verzeihst mir doch, wenn ich dich treffe?«

»Ich werde dir nichts zu verzeihen haben, denn du triffst mich nicht.«

»Aber wenn dennoch?«

»So darfst du dir keine Vorwürfe machen, denn ich habe es dir ja befohlen.«

Ich erhob die rechte Hand, ließ aber dabei heimlich die bleierne Kugel in den Aermel rollen, zeigte hierauf die leere Hand und sagte:

»Mit dieser Hand werde ich die Kugel auffangen. Also ich zähle. Bei »drei« kannst du abdrücken.«

Ich ließ den Arm sinken und fing dabei die aus dem Aermel rollende Kugel mit der hohlen Hand wieder auf. Es gab kein Auge, welches nicht auf mich gerichtet war.

»Eins – zwei – drei!«

Der Schuß krachte. Ich griff mit der Hand nach vorn, der Gewehrmündung entgegen, als ob ich die abgeschossene Kugel auffangen wollte, und hielt dann die bereitgehaltene Kugel zwischen Daumen und Mittelfinger empor.

»Hier hast du sie. Oder nimm du sie, Toma! Betrachte sie, ob es nicht dieselbe ist, welche in den Lauf gestoßen worden ist.«

Natürlich sah sie derselben ganz und gar ähnlich. Der Bote stand mit weit offenem Mund da und starrte mich an, gleichsam als wäre ich ein Gespenst. Die Wirkung auf die übrigen Leute war geringer. Man hatte wohl bis zum letzten Augenblick gezweifelt; nun aber war das vermeintliche Wunder dennoch geschehen. Die Kugel wurde weiter gegeben. Als der Schütze sie zurück erhielt, sagte ich so laut, daß alle es hören könnten:

»Jetzt lade sie abermals in den Lauf und ziele nach dem Brett.«

Er tat es und schoß. Die Kugel schlug natürlich ein Loch in das Brett.

»Siehst du, ein solches Loch hätte ich nun in der Brust, wenn ich nicht kugelfest wäre. Jetzt magst du ganz nach Belieben auch auf meine drei Gefährten schießen.«

Daß die Kugel beim zweiten Male die gewöhnliche Wirkung hatte, obgleich ich vorher nicht getroffen worden war, ja sie aufgefangen hatte, das brachte die schlichten Leute in ungeheure Aufregung. Sie kamen herbei, um meine Hand zu betrachten, und konnten nicht genug Worte finden, ihr Erstaunen darüber auszudrücken, daß auch nicht die mindeste Spur einer Beschädigung an derselben zu sehen war.

»Allah onun ile – Allah ist mit ihm!« hörte ich einen sagen.

»Scheïtan sahibi – er hat den Teufel!« entgegnete ein anderer.

»Wie kann der Teufel ihm beistehen, da er den Kuran verspeist? Nein, Allah ist groß!«

Es wurden die verschiedensten Meinungen ausgetauscht, indessen ich dem Schützen drei Kugeln gab und Halef, Osko und Omar an den Schuppen postierte.

Vielleicht hatten diese drei vorher dem Experiment doch nicht getraut. Nachdem dasselbe mir aber nichts geschadet hatte, waren sie ohne Furcht bereit, auf sich schießen zu lassen. Nur die Finte mit dem Auffangen der Kugel mußten sie selbstverständlich unterlassen, da dieselbe ihnen wohl kaum gelungen wäre. Das wollte ich lieber selbst besorgen. Ich stellte mich neben sie hin und griff beim Losdrücken in die Luft, um dann allemal eine Bleikugel zurückzugeben, mit welcher hierauf die Probe gemacht wurde, daß sie durch das Brett schlage.

Als auch die drei Gefährten ihre Kugelfestigkeit bewiesen hatten, erhob sich ein Beifallssturm, der gar nicht zu beschreiben ist. Die Leute drängten sich an uns heran, um uns zu betasten, zu betrachten, zu befragen. Es hätte mehrere Tage bedurft, um alle die Erkundigungen zu beantworten, welche an uns gerichtet wurden. Um dem Andrang zu entgehen, retirierten wir uns in die Stube.

Von dort aus betrachtete ich Toma, den Botenmann. Er hatte seinen Unglauben vollständig aufgegeben, das merkte ich an seinen heftigen, begeisterten Gebärden, mit welchen er jenen Personen, die ferner gestanden hatten, den Vorgang anschaulich zu machen suchte. Ich winkte meinen Hadschi zu mir, zeigte ihm den Boten und sagte:

»Laß ihn nicht aus dem Auge. Und wenn er geht, so folge ihm unbemerkt nach, um ihn zu beobachten.«

»Warum, Sihdi?«

»Ich habe ihn im Verdacht, von den Aladschy beauftragt worden zu sein, uns zu belauern.«

»Ah! Darum also zogst du das eine Auge zusammen, als du ihn betrachtet hast. Ich habe sogleich gedacht, daß du ihm nicht traust. Aber was kann er uns schaden?«

»Er wird den beiden Skipetaren melden, daß wir zur Mittagszeit von hier abreisen.«

»Er sagte doch, daß er nicht reitet.«

»Er hat gelogen, verlaß dich darauf. Wenn er jetzt heimkehrt, so gehst du zur Stadt hinaus und versteckst dich irgendwo an der Straße, welche nach Radowitsch führt. Wenn er vorüber ist, meldest du es mir.«

»Und wenn er nicht kommt?«

»Nun, so kehrst du nach ungefähr zwei Stunden zurück. Es ist anzunehmen, daß er dann nicht reiten wird.«

Nun, erkundigte ich mich nach einem Frisier- und Barbierladen und begab mich dorthin, um mir Haar und Bart stutzen zu lassen. Der Besitzer des Ladens hatte unser Wunder auch gesehen. Im Orient bilden die Stuben der Barbiere einen beliebten Versammlungsort für alle Neuigkeitskrämer; daher war ich gar nicht überrascht, als ich die Stube voll von Menschen fand.

Diese guten Leute lauerten auf jede meiner Bewegungen und verhielten sich, solange der Barbier an mir herumschnitt, tief schweigend.

Einer von ihnen, welcher hinter mir saß, langte immer vor, um die Haarspitzen zu erwischen, welche herunterfielen, bis der Barbier, nachdem seine grimmigen Blicke nichts gefruchtet hatten, ihm einen leidlich kräftigen Fußtritt versetzte und ausrief:

»Dieb! Was hier herabfällt, ist mein Eigentum. Bestiehl mich nicht!«

Auf dem Rückweg trat ich in den Laden eines Strumpfwarenhändlers und auch eines Brillenhändlers. Bei dem ersteren kaufte ich ein Paar lange Strümpfe, welche bis zum Oberschenkel hinauf reichten, und beim letzteren eine Brille mit blauen Schutzgläsern.

In einem dritten Laden erwarb ich mir ein grünes Turbantuch, wie nur die Abkömmlinge des Propheten es tragen dürfen. Somit hatte ich alles, was ich brauchte.

Ich war über eine Stunde fort gewesen. Als ich heimkehrte, war Halef schon wieder da.

»Sihdi, du hattest recht,« meldete er mir. »Der Kerl ist fort.«

»Wann?«

»Nur einige Minuten später, nachdem er nach Hause gekommen war.«

»Also war er schon vorher bereit dazu.«

»Jedenfalls, denn er hätte seine Tiere satteln müssen.«

»Was für Tiere waren bei ihm?«

»Er ritt ein Maultier und führte hinter sich vier beladene Esel, von denen jeder an den Schwanz des vorherigen, der vorderste aber an den Schwanz des Maultieres gebunden war.«

»Ritt er langsam?«

»Nein. Er tat, als ob er Eile habe.«

»Er will seine Botschaft möglichst schnell an den Mann bringen. Nun, uns soll das nichts schaden. Ich reite jetzt weiter, und ihr Andern verlaßt Ostromdscha um Mittag.«

»Und bleibt es bei dem, was du mir vor dem Schlafen gesagt hast?«

»Natürlich.«

»Ich reite den Rih?«

»Ja, und ich nehme dein Pferd. Sattle es und gehe dann wieder hinaus vor die Stadt; nimm aber deine Pantoffeln des Gebetes mit.«

»Warum, Sihdi?«

»Du sollst sie mir borgen, weil ich dir meine langen Stiefel zurücklasse.«

»Soll ich etwa dieselben anziehen?«

»Nein, Kleiner; du könntest mir darin verschwinden. Ich werde dir jetzt alles geben, was du mir aufbewahren sollst, besonders die Gewehre. Dann verabschiede ich mich.«

Dieses Letztere wurde mir freilich schwerer gemacht, als ich gedacht hatte. Der Herbergsvater Ibarek, welcher nun auch nach Hause zurückkehren wollte, versprach mir, die beiden Brüder, welche sich bei ihm eingenistet hatten, gehörig durchpeitschen zu lassen, doch glaube ich nicht, daß der wackere Held den Mut dazu besessen hat.

Endlich, endlich konnte ich in den Sattel steigen. Die beiden Wirte wunderten sich, daß ich nicht den Hengst reiten wollte, erfuhren aber meine Gründe nicht.

Draußen vor der Stadt stand Halef und neben ihm – die Nebatja.

»Herr,« sagte sie, »ich hörte, daß du uns verlassen willst, und ich bin gekommen, dir noch einmal zu danken, hier, wo niemand es sehen kann. Ich werde an dich denken und deiner nie vergessen.«

Ich drückte ihr die Hand und ritt dann schnell von dannen. Es tat mir wehe, ihr in die nassen Augen zu sehen.

Halef folgte mir noch eine Strecke, bis wir an einem Buschwerke vorüber kamen. Dort stieg ich ab und trat hinter die Sträucher.

Der kleine Hadschi hatte das Gefäß mitnehmen müssen, in welchem sich der Sadar-Absud befand. Mit Hilfe eines Läppchens, welches er zu diesem Zwecke mitgebracht hatte, mußte er mir von der Flüssigkeit vorsichtig in das Haar des Kopfes und des Bartes streichen.

»Sihdi, weshalb lässest du denn dein Haupt mit dieser Brühe salben?« fragte er dabei.

»Das wirst du sehr bald sehen.«

»Sollte sich das Haar wirklich dadurch verändern?«

»Ich denke, daß du darob staunen wirst.«

»So bin ich neugierig darauf. Aber da ziehst du diese ewig langen Strümpfe aus der Tasche; willst du sie etwa anlegen?«

»Ja, und deine Gebetspantoffeln ziehe ich darüber.«

Der Kleine trug auf der Reise diese Pantoffeln bei sich, um sie beim Besuch einer Moschee stets bei der Hand zu haben, da man sich der Fußbekleidung entledigen muß.

Als er die »Salbung« meines Hauptes beendet hatte, zog er mir die Reitstiefel aus, und ich zog an Stelle derselben die Strümpfe an. Die Pantoffeln waren mir ein wenig zu klein, aber es ging doch. Als er dann wieder nach meinem Kopf blickte, schlug er verwundert die Hände zusammen und rief:

»O Allah! Welch ein Wunder! Dein Haar beginnt ja, ganz hellblond zu werden!«

»Wirklich? Wirkt die Brühe schon?«

»Stellenweise.«

»So müssen wir an den dunklen Stellen nachhelfen. Hier hast du den Kamm, um die Feuchtigkeit zu verteilen.«

Er setzte das begonnene Werk fort, und als ich mich dann in dem kleinen Taschenspiegel besah, war ich hochblond geworden. Nun setzte ich den Fez auf, und Halef mußte mir das grüne Turbantuch um denselben winden, so daß rechter Hand das ausgefranste Ende desselben herabhing.

»Sihdi, ich begehe da eine große Sünde,« sagte er kleinlaut. »Nur die direkten Nachkommen des Propheten dürfen diese Auszeichnung tragen. Du aber bist nicht einmal ein Anhänger des Kuran, sondern des Kitab el mukaddas[7]. Werde ich diese Entweihung verantworten können, wenn ich einmal über die messerschneideschmale »Brücke des Todes« gehen muß?«

»Ganz gewiß.«

»Ich aber zweifle daran.«

»Sei unbesorgt. Ein Mohammedaner würde sich freilich an den Nachkommen des Propheten versündigen, wenn er deren Abzeichen trüge; ein Christ aber hat diese Regel denn doch nicht zu beobachten. Die Anhänger der Bibel dürfen sich kleiden, wie es ihnen beliebt.«

»So habt ihr es weit besser und bequemer, als wir. Aber einen Fehler begehe ich dennoch. Wenn du selbst dir das Tuch umlegtest, so würde es dein Gewissen nicht beschweren. Da ich es aber tue, ich, ein gläubiger Sohn des Propheten, so werde ich wohl strafbar sein.«

»Habe keine Sorge! Ich will diese Sünde gern auf mein Gewissen nehmen.«

»Und an meiner Stelle in der Hölle braten?«

»Ja.«

»O Sihdi, das gebe ich nicht zu; da habe ich dich doch zu lieb. Lieber brate ich selbst, denn ich glaube, ich halte es besser aus, als du.«

»Traust du dir mehr Kraft zu, als mir?«

»Nein, aber ich bin doch viel kleiner, als du. Vielleicht finde ich eine Stelle, wo ich mich unter und zwischen den Flammen niederstrecken kann, so daß sie mir nicht wehe tun.«

Der Schalk meinte es mit seinem Bedenken gar nicht so ernst. Ich wußte doch, daß er schon längst im Herzen ein Christ geworden war.

Um die Verwandlung zu vollenden, setzte ich nun die Brille auf und schlang die Reitdecke um meine Schultern, ungefähr so, wie ein Mexikaner seine Serape trägt.

»Müdschüzat allahi – Wunder Gottes!« rief Halef aus. »Sihdi, du bist ganz und gar ein Anderer geworden!«

»Wirklich?«

»Ja. Ich weiß nicht, ob ich dich erkennen würde, wenn du so an mir vorüberrittest. Nur an deiner Haltung würde ich es sehen, daß du es bist.«

»O, die wird auch eine andere. Aber das habe ich gar nicht nötig. Die Aladschy haben mich ja noch niemals gesehen. Sie kennen mich nur aus der Beschreibung, und es ist also sehr leicht, sie irre zu machen.«

»Aber der Bote kennt dich!«

»Den treffe ich vielleicht nicht.«

»Ich denke, der wird bei ihnen sein.«

»Schwerlich. Sie wollen uns zwischen hier und Radowitsch auflauern; er aber hatte seine Esel bepackt und will die Waren dort abliefern. Er beabsichtigt also, nach Radowitsch zu reiten. Es ist also anzunehmen, daß er sie unterwegs benachrichtigt und dann weiter reitet.«

»Und glaubst du wirklich, ganz allein mit ihnen zurechtkommen zu können?«

»Ja, gewiß.«

»Die Scheckigen sind aber berüchtigt; vielleicht wäre es besser, wenn ich dich begleiten würde. Ich bin ja dein Freund und Beschützer.«

»Jetzt hast du Osko und Omar zu beschützen. Diese Beiden vertraue ich dir an.«

Das tröstete ihn und erhob sein Selbstgefühl. Darum antwortete er schnell:

»Da hast du vollkommen recht, Sihdi. Was wären die Beiden ohne mich, deinen tapferen Hadschi Halef Omar? Nichts, gar nichts! Uebrigens habe ich den Rih, dem ich meine ganze Seele widmen muß. Mir ist sehr viel anvertraut.«

»So mache dich dieses Vertrauens auch würdig. Weißt du noch alles, was wir besprochen haben?«

»Alles. Mein Gedächtnis ist wie der Rachen eines Löwen, dessen Zähne alles festhalten, was sie einmal gepackt haben.«

»So wollen wir jetzt scheiden. Lebe wohl! Mache keinen Fehler!«

»Sihdi, kränke meine Seele nicht mit dieser Ermahnung. Ich bin ein Mann, ein Held; ich weiß, was ich zu tun habe.«

Er warf den nun nicht mehr zu brauchenden Topf zwischen die Sträucher, schwang sich meine langen Stiefel auf die Achsel und schritt nach der Stadt zurück. Ich aber ritt nach Nordwest, einer gefährlichen und vielleicht verhängnisvollen Zukunft entgegen.

Zunächst hatte ich freilich keine Veranlassung, eine Gefahr zu befürchten. Hätten die Aladschy mich gekannt und erblickt, so wäre an einen heimtückischen Ueberfall, an eine Kugel aus dem Hinterhalt zu denken gewesen. So aber hatte ich im schlimmsten Fall einen offenen räuberischen Angriff zu erwarten, wie jeder andere Reisende auch. Und dazu bot meine jetzige Erscheinung eben nicht viel Verlockendes.

Ich sah aus wie ein armer direkter Nachkomme Mohammeds, bei dem gar nicht viel zu holen war, und wenn ich auch meine Gewehre zurückgelassen hatte, so trug ich doch die beiden Revolver in der Tasche, und diese genügten vollständig, um auch noch mehr als nur zwei Angreifer unschädlich zu machen. Dieselben sahen nur mein Messer und mußten annehmen, daß ich sonst unbewaffnet sei. Das hätte sie jedenfalls zu einer Sorglosigkeit verleitet, die ihnen gefährlich werden konnte.

Die Gegend von Ostromdscha nach Radowitsch ist sehr fruchtbar. Felder und Weiden wechseln mit Waldungen. Die Strumnitza ist die Fee, welche der Gegend diese Wohltat verleiht.

Zur Linken hatte ich die nordöstlichen Berge des Welitza Dagh, und zur Rechten senkten sich die Höhen des Plaschkawitza Planina hernieder. Keinen Menschen traf ich, und erst nach mehr als einer Stunde kam mir ein einsamer Bulgare entgegen, den ich an der Kleidung als solchen erkannte.

Meines grünen Turbans wegen blieb er stehen und verbeugte sich, um mich ehrerbietig vorübergehen zu lassen. Auch der reichste Moslem ehrt den ärmsten, zerlumptesten Scherif; er achtet in ihm den Abkömmling des Propheten, dem es schon bei Lebzeiten vergönnt war, die Himmel Allahs zu schauen.

Ich hielt mein Pferd vor ihm an, erwiderte seinen demütigen Gruß und fragte ihn:

»Allah segne den Ausgangspunkt deiner Reise! Wo kommst du her, mein Bruder?«

»Mein Weg begann in Radowitsch.«

»Und wohin willst du?«

»Nach Ostromdscha, wohin ich glücklich gelangen werde, wenn du mir deinen Segen dazu nicht verweigerst.«

»Er soll dich in vollem Maße begleiten. Bist du vielen Wanderern begegnet?«

»Nein. Der Weg war so einsam, daß ich meine Gedanken ungestört auf die Wohltaten Allahs richten konnte.«

»So hast du gar niemand gesehen?«

»Auf der Straße nur einen einzigen, nämlich den Boten Toma aus Ostromdscha.«

»Kennst du diesen Mann?«

»Alle in Radowitsch kennen ihn, denn er besorgt unsere Botschaften hin und her.«

»Hast du mit ihm gesprochen?«

»Ich wechselte einige Worte mit ihm. Er war in dem kleinen Weiler eingekehrt, welchen du bald finden wirst, da wo der Weg dich über den Fluß führt.«

»Bist du auch dort eingekehrt?«

»Nein, ich hatte keine Zeit dazu.«

»So weißt du vielleicht, wo der Bote einkehrt, wenn er nach Radowitsch kommt?«

»Willst du ihn finden?«

»Vielleicht.«

»Er kehrt in keinem Khan ein, wie du wohl denken magst, sondern bei einem Verwandten, den er dort hat. Wenn ich dir den Namen desselben sagte, so würdest du ihn doch nicht ohne Hilfe finden, da ich dir die Gassen nicht so genau beschreiben kann. Ich bitte dich daher, in Radowitsch dich noch einmal zu erkundigen.«

»Ich danke dir. Allah führe dich!«

»Und dir öffne sich der Himmel!«

Er schritt weiter, und ich setzte meinen Weg ebenso gemächlich fort, wie ich bisher geritten war.

Nun konnte ich mir denken, wie die Sache stand. In Radowitsch hielten sich die beiden Aladschy sicherlich nicht auf, weil es für sie zu gefährlich gewesen wäre; sie hatten also wohl in dem Weiler den Boten erwartet, und was sie ferner unternehmen würden, das kam ganz auf die Mitteilungen des Boten an. Keinesfalls mochten sie zu einem offenen Angriff geneigt sein, und ob sie uns hinterrücks mit Kugeln beschenken wollten, das war nun auch zweifelhaft, da sie uns ja jetzt für kugelfest halten mußten.

Es war noch nicht Mittag; darum meinte ich, daß ich sie noch in dem Weiler treffen könnte. Der Bote hatte ihnen gewiß gesagt, daß ich erst zu dieser Zeit aufbrechen würde. Da hatten sie also noch Zeit genug, sich ein Versteck zu suchen. Ich freute mich natürlich darauf, ihnen ein Schnippchen zu schlagen und an ihnen vorüber zu kommen, ohne von ihnen belästigt zu werden.

Nach ungefähr einer halben Stunde erreichte ich den Weiler, welcher nur aus einigen Häusern bestand. Der Weg machte eine rechtwinkelige Biegung nach der Brücke zu, und ich erhielt dadurch einen Blick nach der hinteren Seite eines Gebäudes, welches nahe der Brücke stand. Dort weideten zwei Kühe, einige Schafe und auch drei Pferde, von denen zwei gesattelt und – weiß und dunkelbraun gescheckt waren.

Ich sah sofort, daß es halbblütige Tiere waren, und schätzte, daß sie von einer Mescherdi-Stute stammen mochten. Diese Pferde sind sehr hart, genügsam, haben einen kräftig aufgesetzten Hals und kräftige Hinterbeine, sind aber trotzdem sehr schnell und ausdauernd. Ein guter Reiter kann einem solchen Roß schon etwas zumuten.

Sollten dies die Pferde der zwei Aladschy sein? Sollten die beiden sich in dem Hause befinden, an welchem ich unbedingt vorüber mußte?

Es lag mir viel daran, mit ihnen zu sprechen, doch mußte das möglichst unauffällig eingeleitet werden, damit nicht etwa ihr Mißtrauen erweckt würde.

Als ich die Krümmung hinter mir hatte, konnte ich nun auch die vordere Seite des Hauses sehen. Es gab da ein auf vier Säulen ruhendes Vordach, unter welchem einige Tische und Bänke standen, roh aus Brettern zusammengenagelt. Sie waren leer – bis auf einen, an welchem zwei Männer saßen. Sie sahen mich kommen. Ueberhaupt schienen sie sorgfältig nach beiden Seiten aufzupassen, denn Leute solchen Schlages müssen stets auf ihrer Hut sein.

Ich sah, mit welch scharfen, mißtrauischen Blicken sie mich beobachteten, und tat, als ob ich vorüberreiten wollte. Da aber erhoben sie sich von ihren Plätzen und traten um einige Schritte vor.

»Dur – halt!« begann der eine, indem er gebieterisch die Hand erhob. »Willst du nicht ein Gläschen Raki mit uns trinken?«

Ich war überzeugt, die Gesuchten vor mir zu haben. Sie mußten Brüder sein – sie sahen einander ungemein ähnlich. Beide – gleich hoch und breitschulterig – waren länger und stärker als ich. Ihre dichten, lang ausgezogenen Schnurrbärte, die Wetterfarbe ihrer Gesichter und ihre Waffen verliehen ihnen ein sehr kriegerisches Aussehen. Ihre Gewehre lehnten an den Tischen. In ihren Gürteln funkelten Messer und Pistolen, und an der linken Seite hatte jeder ein Heiduckenbeil gleich einem Säbel hängen.

Ich schob die Brille auf der Nase zurecht, betrachtete sie mir, wie ein Pädagog einen ungezogenen Jungen betrachten würde, und fragte:

»Wer seid ihr denn, daß ihr einen Enkel des Propheten in seinem frommen Nachdenken stört?«

»Wir sind fromme Söhne des Propheten, ebenso wie du. Darum wollen wir dich ehren, indem wir dir eine Erfrischung anbieten.«

»Raki? Das nennst du eine Erfrischung? Kennst du nicht das Wort des Kuran, welches den Raki verbietet?«

»Ich weiß nichts von ihm.«

»So gehe zu einem Ausleger der heiligen Suren, und laß dich unterrichten!«

»Dazu haben wir keine Zeit. Willst du es nicht lieber selber tun?«

»Wenn du es wünschest, bin ich bereit dazu, denn der Prophet sagt: Wer eine Seele aus der Hölle erlöst, der kommt sogleich nach seinem Tod in den dritten Himmel. Wer aber zwei Seelen rettet, der geht gleich in den fünften Himmel ein.«

»So verdiene dir den fünften. Wir sind bereit, dir in denselben zu helfen. Steige also ab, frommer Mann, und mache uns so heilig, wie du selber bist!«

Er hielt mir den Steigbügel, und der Andere faßte mich beim Arm und zog mich herab, so jeder weiteren Weigerung zuvorkommend.

Als ich nun aus dem Sattel war, hinkte ich gravitätisch zu dem Tisch, an welchem sie gesessen hatten und sich nun wieder niederließen.

»Du schleppst ja ein Bein hinter dir her,« lachte der Eine. »Hast du dich beschädigt?«

»Nein. Es ist mein Kismet,« erwiderte ich kurz.

»So bist du lahm geboren. Da hat es Allah gut mit dir gemeint, denn wen er lieb hat, dem schickt er ein Leiden. Willst du nicht uns unwürdigen Sündern deinen heiligen Namen nennen?«

»Wenn ihr in die Tabellen der Nakyb-el-Eschraf schaut, die in jeder Stadt über uns geführt werden, so werdet ihr ihn finden.«

»Das glauben wir dir. Da wir aber diese Tabellen nicht hier haben, so wirst du uns doch wohl die Gnade erzeigen, deinen Namen uns zu nennen.«

»Nun denn, ich bin Scherif Hadschi Schehab Eddin Abd el Kader Ben Hadschi Gazali al Farabi Ibn Tabit Merwan Abul Achmed Abu Baschar Chatid esch Schonahar.«

Die beiden Wegelagerer hielten sich die Hände vor die Ohren und stießen ein lautes Gelächter aus. Sie schienen gar keine Lust zu haben, sich durch meine Eigenschaft als Scherif imponieren zu lassen. Wären sie griechisch-katholische Skipetaren gewesen, so hätte mich das gar nicht gewundert; da ich aber ihrer Kleidung nach annehmen mußte, daß sie sich zum Islam bekannten, so war zu vermuten, daß sie sich aus den Lehren und Satzungen desselben nur blutwenig machten.

»Woher kommst du denn, du mit dem langen Namen, den kein Mensch sich merken kann?« fragte der Eine weiter.

Ich warf ihm über die Brille weg einen langen, ernsten, ja vorwurfsvollen Blick zu und antwortete:

»Den kein Mensch sich merken kann! Habe ich dir denn nicht soeben meinen Namen gesagt?«

»Allerdings.«

»Also muß ich ihn doch wissen und ihn gemerkt haben.«

Alle beide lachten wieder hellauf.

»Ja du! Das wäre doch auch gar zu schlimm, wenn du nicht deinen eigenen Namen wüßtest. Aber du wirst wohl der Einzige sein, der ihn hat merken können.«

»Er kann nie vergessen werden, denn er ist in dem Buch des Lebens eingetragen.«

»Ah so! Du bist ja Scherif, und von euch kommt keiner in die Hölle. Aber du wolltest doch uns aus derselben erlösen und uns erklären, daß der Raki verboten ist.«

»Das ist er auch, und zwar streng.«

»Und das steht im Kuran?«

»Gewiß und wahr.«

»Hat es denn, als der Prophet die Offenbarungen erhielt, schon Raki gegeben?«

»Nein, denn davon steht in keiner Welt- und Naturgeschichte ein Wort geschrieben.«

»So kann er also auch nicht verboten worden sein.«

»O doch! Das betreffende Wort lautet nämlich: »Kullu muskürün haram« – alles, was trunken macht, ist untersagt, ist verboten, ist verflucht. Also ist auch der Raki verflucht.«

»Er macht uns aber nicht trunken!«

»Wohlan, so ist er euch auch nicht verboten.«

»Und der Wein ist uns gleichfalls nicht gefährlich.«

»So genießt ihn mit Andacht und in bescheidener Menge.«

»Das ist gut! Das hört man gern! Du scheinst kein übler Ausleger zu sein. Wirst du denn betrunken vom Raki?«

»Wenn ich nur wenig trinke, nicht.«

»Und was nennest du wenig?«

»Einen Fingerhut voll, mit einer solchen Flasche Wassers verdünnt.«

Ich zeigte auf die große, dicke Schnapsflasche, welche vor uns stand.

»Ja, dann kannst du allerdings nicht berauscht werden. So will ich dir Wasser holen, und dann trinkst du mit uns.«

Er stand auf und brachte bald einen mit Wasser gefüllten Topf und ein Glas. Er goß das Glas zum vierten Teil voll Wasser und füllte es dann mit Raki bis oben an.

»So,« sagte er, es vor mich hinstellend. »Jetzt ist Wasser dabei. Nun kannst du mit uns trinken, ohne dich an den Geboten des Kuran zu versündigen. Allah segne dein Leben!«

Er setzte die Flasche an den Mund, tat einen langen Zug und gab sie dann seinem Bruder, der sich ebenso reichlich bediente. Ich nippte bescheiden aus meinem Glas.

Dieser Eine schien überhaupt, während der Andere sich schweigend und beobachtend verhielt, das Wort führen zu wollen. Er fragte bald wieder:

»Also, woher kommst du?«

»Eigentlich komme ich von Avret Hissar.«

»Und wo willst du hin?«

»Nach Skopia, um die Gläubigen dort in den Gesetzen und Regeln des Kuran zu unterrichten.«

»In Skopia? Da wirst du nicht viel Freude erleben.«

»Warum?« fragte ich mit schüchternem Befremden.

»Weißt du denn nicht, daß man dort die Frömmigkeit verlacht?«

»Ich habe es vernommen und eben deshalb will ich hinreisen.«

»So wirst du dir die Schwindsucht an den Hals reden, aber keinen Menschen bekehren.«

»Was geschehen soll, das geschieht. Es ist in dem Buch des Lebens verzeichnet.«

»Du scheinst dieses Buch sehr genau zu kennen?«

»Allah kennt es, und nur er allein liest es. Ich hoffe, daß einige Bewohner von Skopia auch darinnen verzeichnet sind.«

»Das bezweifle ich stark. Es sollen viele Skipetaren dort sein, und die taugen nichts.«

»Leider habe ich das auch gehört.«

»Daß die Skipetaren nichts taugen?«

»Jawohl.«

»Wieso denn?«

»Der Scheïtan hat sie besessen. Ich kenne sie nicht, aber sie sollen Diebe, Räuber und Mörder sein. Die Hölle selbst ist noch viel zu gut für sie geschaffen.«

»Hast du denn noch keinen Skipetar gesehen?«

»Ich habe noch nie das große Unglück gehabt, einem dieser Sünder zu begegnen,« antwortete ich mit einem Seufzer. Dazu schnitt ich ein möglichst einfältiges Gesicht. Sie stießen sich unter dem Tisch mit den Füßen an und schienen großes Vergnügen an meiner Albernheit zu haben.

»Aber hast du denn keine Furcht vor ihnen?« fragte er weiter.

»Warum sollte ich mich fürchten? Könnten sie mir etwas Anderes tun, als was mir bereits vorher bestimmt wäre!«

»Hm! Du reisest ja nach dem Land der Skipetaren. Wenn dich nun ein solcher Räuber überfällt?«

»Das wäre jammerschade um seine Mühe. Dies ist mein ganzes Vermögen.«

Sechs Piaster warf ich auf den Tisch, und ich hatte auch die Wahrheit gesagt, denn ich trug nicht mehr bei mir, weil ich dem kleinen Halef mein Geld übergeben hatte.

»Da können sie sich bei dir allerdings nicht viel holen, aber du mußt doch auf der Reise Geld haben!«

»Geld? – Wozu?«

»Nun, um leben zu können.«

»Dazu brauche ich nichts. Hat der Prophet nicht befohlen, gastfreundlich zu sein?«

»Ah, du bettelst?«

»Betteln! Willst du einen Scherif beleidigen? Speise, Trank und ein Nachtlager finde ich überall.«

»Wo hast du denn in letzter Nacht geschlafen?«

»In Ostromdscha.«

»Ah, dort! Das ist uns interessant.«

Beide warfen einander einen Blick zu, welcher heimlich sein sollte.

»Warum? Seid ihr etwa von dort?«

»Das nicht; aber wir hörten, daß in letzter Nacht dort ein großes Feuer gewesen sei.«

»Groß? O nein!«

»Es soll die halbe Stadt niedergebrannt sein.«

»Das hat euch ein großer Lügner gesagt. Einen Brand hat es gegeben, das ist wahr; aber er war ganz unbedeutend und nicht einmal in der Stadt.«

»Wo denn?«

»Oben auf dem Berg.«

»Dort gibt es doch gar kein Haus!«

»Aber eine Hütte.«

»Etwa diejenige des alten Mübarek?«

»Ja, dieselbe.«

»Kennt man denn den Brandstifter?«

»Der Mübarek ist es selbst gewesen.«

»Das glaube ich nicht. Ein solch frommer Mann soll ein Brandstifter sein?«

»O, er ist gar nicht so fromm gewesen, wie er sich gestellt hat.«

»Also wäre es doch wahr, was wir hörten!«

»Was habt ihr denn gehört?«

»Daß er eigentlich ein großer Schlingel, ein Verbrecher sei.«

»Diesmal seid ihr recht berichtet.«

»Weißt du das genau?«

»Ja, denn ich war dabei, als er gefangen genommen wurde. Ich war auch bei dem Feuer und überall.«

»So hast du vielleicht auch die vier Fremden gesehen, welche das alles angestellt haben?«

»Ich habe sogar mit ihnen in demselben Khan gewohnt und geschlafen.«

»Wirklich? Wohl auch mit ihnen gesprochen?«

»Mit allen vieren!«

»Würdest du sie wieder erkennen, wenn sie dir jetzt begegneten?«

»Augenblicklich!«

»Das ist gut, sehr gut. Wir erwarten sie nämlich, denn wir müssen mit ihnen reden. Da wir sie aber noch nicht gesehen haben, so können wir uns sehr leicht irren. Willst du uns nicht auf sie aufmerksam machen, wenn sie kommen?«

»Gern, sehr gern, wenn ich nicht etwa zu lange warten muß.«

»Du hast doch Zeit!«

»Nein, ich muß übermorgen in Skopia eintreffen.«

»Du brauchst nur etwa noch drei Stunden zu warten.«

»Das ist mir viel zu lange.«

»Wir bezahlen dich dafür.«

»Bezahlen? Ah, das könnte der Sache eine andere Wendung geben. Wie viel wollt ihr denn bezahlen?«

»Fünf Piaster, bis sie kommen.«

»Und wenn sie aber nicht oder sehr spät kommen, so daß ich dann nicht weiter reiten kann, weil es dunkel ist?«

»So bezahlen wir für dich hier das Nachtquartier und das Essen.«

»So bleibe ich; aber ihr müßt mir die fünf Piaster sofort auszahlen.«

»Scherif! Denkst du etwa, daß wir kein Geld haben?«

»Nein, sondern ich denke, daß ich keins habe; darum möchte ich solches bekommen.«

»Nun, diese Kleinigkeit können wir sehr leicht vorauszahlen. Da!«

Er warf mir zehn Piaster hin, und als ich ihn erstaunt anblickte, sagte er verächtlich:

»Nimm es nur, wir sind reich.«

Sie waren allerdings gut bei Geld, denn der Geldbeutel dieses Menschen war groß, und es klang darin nach Gold.

Nun wurde ich über meine eigene Person gefragt. Ich mußte mich und meine Begleiter genau beschreiben und dann auch sagen, ob ich gesehen, daß uns die Kugeln nicht getroffen hätten.

Ich erzählte alles, was geschehen war, dann fragte der Skipetar:

»Hast du denn nicht gehört, wann diese vier Männer aufbrechen wollen?«

»Ich war dabei, als der eine von ihnen sagte, daß sie zur Mittagszeit fortreiten würden.«

»Das haben auch wir erfahren; aber wir denken, daß sie dennoch nicht kommen werden.«

»Warum nicht?«

»Weil sie sich fürchten.«

»O, diese Fremden sehen nicht so aus, als ob sie sich fürchten könnten! Vor wem auch sollen sie denn Angst haben?«

»Vor den Skipetaren.«

»Das glaube ich nicht; habe doch nicht einmal ich selbst Angst vor ihnen. Und nun gar diese vier! Ihr sollt nur die Waffen des Einen sehen.«

»Ich habe davon gehört. Man soll ihm jedoch gesagt haben, daß Skipetaren ihm auflauern wollen.«

»Davon weiß ich nichts; wohl aber habe ich von zwei Räubern gehört.«

»Also doch! Was ist‘s mit ihnen?«

»Der alte Mübarek hat zwei Räuber gedungen, diese vier Fremden unterwegs zu töten.«

»Woher weiß man denn das?«

»Aus einem Gespräch, welches belauscht worden ist.«

»Teufel! Wie unvorsichtig! Hat man die Namen der Räuber gewußt?«

»Nein, und ich glaube, man kennt dieselben überhaupt nicht.«

»Und was sagen denn die vier Fremden dazu?«

»Sie lachen.«

»Allah w‘Allah! Sie lachen?« brauste er auf. »Sie lachen über diejenigen, von denen sie angefallen werden sollen?«

»Ja, über wen sonst?«

»Ich meine, wenn es sich um wirkliche Skipetaren handelt, so kann diesen Fremden das Lachen sehr leicht vergehen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Wie? Du glaubst es nicht? Meinst du, daß die Skipetaren schwache Knaben sind?«

»Sie mögen so stark sein, wie sie wollen; diesen vier Männern können sie nichts anhaben, weil dieselben kugelfest sind.«

»Kugelfest? Verflucht! Ich habe niemals daran geglaubt und es stets für ein albernes Märchen gehalten, daß sich ein Mensch kugelfest machen könne. Hast du es aber auch genau gesehen?«

»Sehr genau; ich stand unmittelbar dabei.«

»Die Kugeln trafen nicht? Und der Mensch fing sie sogar auf?«

»Mit der Hand. Dann, als abermals mit denselben Kugeln geschossen wurde, durchbohrten sie das Brett.«

»Es ist kaum glaublich!«

»Aber über fünfhundert Menschen waren dabei, haben es gesehen und sich die Kugeln geben lassen.«

»Dann muß man es freilich glauben. Wenn ich das Kunststück auch machen könnte, ich verzehrte alle Tage einen ganzen Kuran.«

»Es wird sich wohl nicht bloß darum handeln, sondern ich vermute, daß dabei noch gewisse Geheimnisse zu beobachten sind.«

»Ohne Zweifel. Ich gäbe sehr viel darum, wenn ich diese Geheimnisse erfahren könnte.«

»Das wird keiner verraten.«

»Hm! Vielleicht doch.«

»Ich glaube es nicht.«

»Und ich wüßte doch vielleicht zwei Personen, die es erfahren könnten.«

»Wer wären diese?«

»Die Räuber, die ihnen auflauern.«

»O, diese am allerwenigsten!«

»Das verstehst du nicht, obwohl du ein Scherif bist. Ich nehme an, daß die Skipetaren einem von den Fremden das Leben schenken, jedoch nur unter der Bedingung, daß er ihnen das Geheimnis verrate.«

»Dabei vergissest du aber die Hauptsache,« sagte ich mit kühler Ruhe.

»Was wäre dies?« fragte er hastig.

»Daß sich diese Männer gar nicht vor den Skipetaren zu fürchten brauchen; sie sind ja kugelfest, wie ihr nun selbst zugeben werdet.«

»Wir müssen es freilich zugeben, denn wir haben es vorhin aus einem ganz zuverlässigen Mund gehört; aber ich frage dich: sind sie denn auch hieb- und stichfest?«

»Hm! Das weiß ich nicht.«

»So sind sie es auch nicht, denn sie hätten sich jedenfalls dessen gerühmt. Also kann man ihnen doch zu Leibe gehen. Oder meinst du, daß wir, wenn wir diese Skipetaren wären, uns vor diesem Fremden, welcher den Araber reitet, zu fürchten hätten?«

»Im Ringen gewiß nicht.«

»Also sind sie doch nicht so sicher. Aber auch ich bin überzeugt, daß ihnen nichts geschieht, zumal wir ihnen beistehen würden.«

»Ihr wolltet dies wirklich tun?« fragte ich gemächlich.

»Warum zweifelst du? Wir sind ihnen von Radowitsch aus entgegen geritten, wir wollen sie empfangen und sie überraschen. Sie sollen nämlich bei uns wohnen. Wir werden ihre Gastfreunde sein. Wehe dem Menschen, der ihnen ein Leid tun wollte!«

»Hm! Das glaube ich wohl. Aber sie können vielleicht überfallen werden, bevor sie hierher kommen.«

»O nein; da gibt es keinen passenden Ort.«

»Verstehst du das so genau?« fragte ich, indem ich ein recht einfältiges Gesicht zu machen mich bemühte.

»Ja, denn ich bin Soldat gewesen. Weiter oben, nach Radowitsch zu, ist ein passender Ort, nämlich da, wo es durch den Wald geht. Da gibt es große Felsenbrocken zu beiden Seiten des Weges, und das Gehölz ist so dicht, daß man weder rechts noch links entfliehen kann. Wenn sie dort angefallen würden, so wären sie rettungslos verloren.«

In der Pause, welche nun entstand, weil er sinnend vor sich niederblickte, hörte ich jetzt ganz deutlich wimmernde Töne aus dem Hause dringen. Ich hatte sie schon vorhin gehört, aber nicht so deutlich; es schien eine Kinderstimme zu sein. Die Sache wollte mir beinahe verdächtig vorkommen, doch dachte ich mir, daß die Skipetaren es gar nicht hätten wagen können, hier eine Untat zu verüben und dann so ruhig sitzen zu bleiben.

»Wer wimmert denn da drin?« fragte ich.

»Wir wissen es nicht.«

»Ist dieses Haus ein Khan?«

»Nur eine kleine Herberge.«

»Wo ist der Wirt?«

»In der Stube.«

»Ich will einmal nachsehen,« sagte ich, stand auf und ging auf die Türe zu.

»Halt! – Wohin?« fragte der Eine.

»Hinein zu dem Wirt.«

»Geh hier an den Laden!«

Ich erriet sofort, daß sie mich nicht mit dem Wirt allein sprechen lassen wollten. Jedenfalls kannte er sie, und sie fürchteten, von ihm verraten zu werden. Ich hinkte also zu dem offenen Laden und steckte den Kopf hinein. Das Wimmern dauerte fort.

»Konakdschy – Wirt!« rief ich hinein.

»Hier,« antwortete eine männliche Stimme.

»Wer wimmert so da drinnen?«

»Meine Tochter.«

»Warum?«

»Sie hat Zahnweh.«

»Wie alt ist sie?«

»Zwölf Jahre.«

»Warst du bei einem Berber oder Hekim?«

»Nein, ich bin zu arm.«

»So werde ich helfen, ich komme hinein.«

Die beiden Aladschy hatten jedes Wort gehört. Als ich mich jetzt wieder nach der Türe wendete, standen sie auf und folgten mir.

Die Stube sah überaus ärmlich aus, selbst nach dortigen Begriffen. Es war niemand da, als der Wirt und die Patientin, welche wimmernd in einer Ecke hockte. Der Mann saß auf einem Schemel, die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hände gestemmt, und schaute uns gar nicht an.

»Also du bist der Wirt?« fragte ich ihn. »Wo ist die Wirtin?«

»Tot,« antwortete er dumpf, ohne mich anzuschauen.

»Da bist du zu bedauern. Hast du auch noch andere Kinder?«

»Noch drei kleinere.«

»Wo sind dieselben?«

»Draußen am Fluß.«

»Welche Unvorsichtigkeit! Kinder läßt man nicht ohne Aufsicht an das Wasser.«

Jetzt erhob er den Kopf und sah mich verwundert an. Hatte er etwa keine solche Teilnahme erwartet?

»Warum holst du sie nicht zu dir?« fragte ich weiter.

»Ich kann nicht.«

»Aus welchem Grund?«

»Ich darf nicht hinaus.«

»O, wer sollte dir es verwehren?«

Er warf einen finsteren Blick auf die beiden Aladschy, und zugleich bemerkte ich, daß der eine derselben ihm mit dem Finger drohte. Ich tat, als hätte ich nichts gesehen, und ging in die Ecke, sagte der Kleinen einige freundliche Worte und führte sie zu dem offenen Laden hin.

»Komm her!« bat ich in mildem Ton, um ihr Vertrauen zu erwecken. »Ich werde dir sofort die Schmerzen nehmen. Oeffne einmal den Mund und zeige mir den Zahn.«

Sie tat es ohne Zögern. Dem Zahn war nichts anzusehen; vielleicht war der Schmerz ein rheumatischer. Da gab es freilich kein Mittel. Aber ich wußte aus Erfahrung, welchen Einfluß, besonders bei Kindern, die Einbildung übt. Vor allem mußte das Weinen aufhören.

»Nun schließe einmal den Mund, und antworte mir durch Nicken oder Schütteln,« sagte ich. »Hast du noch Schmerzen?«

Sie nickte.

»So paß auf. Ich werde dir eine kleine Weile meine Hand an die Wange legen, dann sind die Schmerzen fort.«

Ich zog den Kopf der Patientin an mich und legte ihr die hohle Hand auf die betreffende Wange, dieselbe leise streichelnd. Vom Lebensmagnetismus verstehe ich allerdings nichts, aber ich verließ mich auf die Einbildungskraft des Kindes und auf das wohltuende Gefühl, wenn eine freundliche, warme Hand einen schmerzenden Backen leise berührt.

»Nun, ist der Schmerz fort?« fragte ich nach einer Weile.

Sie nickte.

»Ganz und gar?«

»Ja ganz!« antwortete sie, indem das Gesichtchen strahlte und ihre Augen mich dankbar anlächelten.

»Sprich nicht, und hole noch eine Weile durch die Nase Atem; dann wird der Schmerz nicht wieder kommen.«

Das war alles so einfach, so selbstverständlich gewesen und doch trat, als ich jetzt wieder hinausgehen wollte, der Mann auf mich zu, ergriff meine Hand und sagte:

»Herr, sie hat schon seit gestern gejammert; es war nicht zum Aushalten, und darum sind die andern Kinder fort. Du kannst Wunder tun!«

»Nein, es ist kein Wunder. Ein sehr einfaches Mittel ist es, welches ich angewendet habe, und es wird helfen, wenn du dein Töchterchen heute noch in der Stube behältst. Deine drei anderen Kinder werde ich holen.«

»Du, Herr, du?« fragte er.

»Freilich, denn du kannst ja nicht.«

Die beiden Aladschy warfen ihm wütende Blicke zu. Er aber bückte sich, als ob er etwas aufheben wollte, kam mir dadurch näher und raunte mir zu, indem er sich wieder erhob:

»Nimm dich in acht! Es sind die Aladschy.«

»Was war das?« schrie der eine der Beiden, welcher vielleicht einen Hauch gehört hatte. »Was hast du gesagt?«

»Ich? Nichts!« antwortete der Wirt möglichst unbefangen.

»Ich habe es doch gehört!«

»Da täuschest du dich.«

»Hund, lüge nicht, sonst schlage ich dich nieder!«

Der Skipetar erhob die Faust – ich packte seinen Arm und sagte:

»Freund, was tust du! Weißt du nicht, daß der Prophet verboten hat, daß der Gläubige sein Gesicht vom Zorn entstellen lasse?«

»Was geht mich dein Prophet an!«

»Ich begreife dich nicht. Du gebärdest dich wie ein schlimmer Mensch und willst doch der Freund dieser vier Fremden sein, die keinen Wurm beleidigen?«

Er ließ den Arm sinken, warf dem Wirt noch einen finsteren Blick zu und antwortete mir:

»Du hast recht, Scherif. Aber ich liebe die Wahrheit und hasse die Lüge; darum wurde ich so grimmig. Komm wieder heraus!«

Ich folgte ihm, und draußen tat ich, als sei es ganz selbstverständlich, mich frei zu bewegen, und hinkte zu dem Fluß hin. Es war kein Zweifel, daß die Aladschy mich so halb und halb als ihren Gefangenen betrachteten. Zurück durften sie mich nicht lassen und vorwärts auch nicht, weil ich sie sonst leicht verraten konnte, selbst wenn ich sie gar nicht kannte und auch keine Verräterei beabsichtigte. Darum mußten sie mich unter ihren Augen behalten.

Unten, ganz nahe am Wasser, saßen drei Kinder, welche ich für diejenigen des Wirtes hielt. Ich gab ihnen die zehn Piaster, welche ich erhalten hatte, und sagte ihnen, daß sie zu dem Vater kommen sollten, weil ihr Schwesterchen gesund geworden sei. Jubelnd sprangen und krochen sie an dem Ufer hinauf und liefen in das Haus hinein. Als ich mich nun wieder an den Tisch setzte, sah ich es den Aladschy an, daß sie einen Entschluß gefaßt hatten.

Hier waren sie nicht ganz sicher vor gefährlichen Begegnungen, und es nahte auch die Zeit, in welcher wir hier erwartet werden konnten; darum erriet ich, daß sie wohl übereingekommen sein mochten, nun aufzubrechen. Und richtig: der Eine, der bisher am meisten gesprochen hatte, sagte:

»Ich habe dir bereits mitgeteilt, daß es nur eine einzige Stelle gibt, an welcher diese Fremden überfallen werden können. Sage uns einmal aufrichtig, wie du ihnen gesinnt bist. Wohl feindlich?«

»Warum sollte ich feindlich gegen sie sein? Sie haben mir ja nichts getan!«

»Also freundlich?«

»Ja.«

»Das freut uns, denn nun kannst du uns ein wenig helfen, für ihre Sicherheit und zugleich auch mit für die deinige zu sorgen.«

»Das werde ich sehr gern tun, obgleich ich nicht weiß, wer sich die Mühe geben sollte, meine Sicherheit zu bedrohen. Sagt mir nur, was ich tun soll.«

»Nun, glaubst du vielleicht auch, daß die Fremden überfallen werden sollen?«

»Ich habe es als ganz sicher gehört.«

»So stecken die Skipetaren nur an der Stelle dort, welche ich erwähnte. Mein Bruder ist der Meinung, und ich stimme ihm bei, daß es sehr gut wäre, wenn auch wir uns dort verstecken würden. Dann könnten wir den Ueberfallenen Hilfe bringen. Bist du bereit dazu?«

»Hm! Mich geht die Sache eigentlich gar nichts an.«

»O doch! Wenn die Skipetaren dort lauern, so werden sie auch dich anfallen, sobald du weiter reitest. Uebrigens wünschen wir, dir einmal so ein echtes und rechtes Skipetarenstückchen zu zeigen, welches du dann in Skopia erzählen kannst.«

»Da machst du mich allerdings neugierig, und ich reite mit.«

»So steige auf!«

»Habt ihr den Raki bezahlt?«

»Nein, der Wirt hat ihn uns umsonst gegeben.«

Umsonst geben müssen! So war es wohl richtig. Ich trat zum Fenster und warf meine wenigen Piaster hinein. Natürlich wurde ich von den Beiden ausgelacht. Der Eine ging hinter das Haus, um die Pferde herbeizuholen, und der Andere blieb bei mir, damit ich ihnen sicher sei.

Als wir dann über die Brücke ritten, wendete ich mich einmal im Sattel um. Vor seiner Türe stand der Wirt und erhob warnend die Hand. Ich dachte nicht, daß ich ihn wiedersehen würde.

Jenseits der Brücke führte die Straße zuerst zwischen Feldern dahin, dann kamen Weiden, hierauf Buschwerk, und endlich ritten wir in einem dichten Wald.

Kein Wort ward gesprochen.

Diese Skipetaren hielten mich ohne Zweifel für einen sehr wenig urteilsfähigen Menschen, denn in dem, was sie gesagt hatten und taten, lagen grelle Widersprüche, die auch einem befangenen Menschen auffallen mußten.

Wenn wirklich Feinde in dem Wald versteckt lagen, so war es doch eine helle Dummheit, die Bedrohten dadurch retten zu wollen, daß wir uns gleichfalls versteckten und dann erst im Augenblick des Kampfes zur Hilfe kamen. Wir hätten vielmehr den Standort der Räuber beschleichen und dann die Bedrohten warnen sollen. Vielleicht konnten sie den gefährlichen Ort umreiten, und wenn das wegen der Dichtheit des Waldes nicht möglich war, so konnten wir zu Fuße vereint den Skipetaren heimlich in den Rücken kommen und ihnen eine prächtige Schlappe bereiten.

Mitten in dem Wald senkte sich der Weg, unter welchem man sich ja nicht etwa eine deutsche Heerstraße zu denken hat, abwärts und machte zugleich eine scharfe Wendung. Rechts und links gab es Felsenstücke, hinter denen man sich verbergen konnte, um dann von dem hohen Rand aus in die Höhlung des Weges hinabzuschießen. Das war ein Platz wie zu einem Ueberfall geschaffen, und wirklich machten die Beiden hier auch Halt.

»Das ist der Ort,« sagte der Eine. »Hier müssen wir uns verstecken. Reiten wir da links die Böschung hinan!«

Er sprach leise, um mich glauben zu machen, daß er wirklich meine, die Skipetaren könnten hier irgendwo verborgen sein. Dann mußten sie uns ja hören und sehen, nicht aber wir sie! Ich kam zu der Ueberzeugung, daß mein Gesicht schon von Natur ein nicht sehr geistreiches sein müsse, denn ihm ein so dummes Aussehen zu geben, dazu reichte meine ungeschulte Verstellung doch jedenfalls nicht aus. Und geradezu albern mußte man ja sein, um diese Burschen nicht sofort zu durchschauen.

Da oben auf dem hohen Rand des Weges standen an dieser Stelle die Bäume weniger dicht, so daß wir noch eine kleine Strecke weit reiten konnten; dann aber mußten wir die Pferde führen.

Nun wurde Halt gemacht. Die Pferde sollten bei einander angebunden werden. Dieser Umstand gefiel mir nicht, denn es war meine Absicht, mich später heimlich zu entfernen. Zu diesem Zwecke mußte mein Pferd von den anderen so weit entfernt stehen, daß die Skipetaren es nicht sehen konnten.

Ich hatte einen sehr hohen, auf der einen Seite ziemlich spitzen Kragenknopf in der Tasche. Diesen zog ich unbemerkt hervor. Dann tat ich, als ob ich meinem bei den Schecken angebundenen Pferd zur Bequemlichkeit den Sattelgurt lockern wolle, schnallte ihn aber viel fester als vorher, so fest, als ich es nur vermochte, und steckte vorher den Knopf unter den Sattel, so daß seine Spitze auf den bloßen Leib des Pferdes zu liegen kam. Der Knopf mußte dem Pferd Schmerzen bereiten. Das Weitere war nun abzuwarten.

Inzwischen hatten die Aladschy sich einen passenden Platz ausgesucht, von welchem aus sie einen Teil der rückwärts liegenden Straßenstrecke überblicken konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Ihre Gewehre lagen neben ihnen, und sie schnallten auch die Wurfbeile los. Ich erriet ihr Vorhaben. Sie glaubten, daß ihre Kugeln uns nichts anhaben könnten und wollten uns mit den Beilen töten.

Diese Leute besitzen eine große Gewandtheit im Werfen dieser Waffe; doch glaubte ich, obgleich ich noch keine in der Hand gehabt hatte, es ihnen gleich tun zu können, da ich ja eine ziemliche Fertigkeit im Werfen des Tomahawk besaß.

Ich setzte mich zu ihnen, und nun wurde die Unterhaltung nur leise geführt. Sie taten ganz so, als ob sie kampfbereit seien, nur um die Fremden, also uns, von den Skipetaren zu befreien. Das Skipetarenstück, welches sie mir in Aussicht gestellt hatten, bestand natürlich nur darin, daß sie sich meiner Mitwirkung versichert hatten, obgleich sie selbst die Mörder waren. Ich mußte im Augenblick des Ueberfalles darob ganz entsetzt sein und konnte dann davon erzählen und mich wegen meiner Dummheit auslachen lassen.

Schon längst hatte mein Knopf gewirkt: das Pferd Halefs war unruhig geworden – es schnaubte und schlug um sich.

»Was ist denn das mit deinem Pferd?« wurde ich gefragt.

»O, nichts!« antwortete ich gleichmütig.

»Nichts soll das sein? Es kann uns verraten!«

»Wie so?«

»Wenn es so fort macht, wie jetzt, so steht zu erwarten, daß die hier versteckten Skipetaren den Lärm hören; dann sind wir verloren.«

Er meinte aber, daß die erwarteten vier Fremden den Lärm hören und dadurch zur Vorsicht gemahnt werden könnten.

»Es wird noch schlimmer werden,« sagte ich.

»Warum denn?«

»Mein Gaul kann‘s nicht leiden, in der Nähe anderer Pferde angebunden zu sein. Das ist so eine Mucke von ihm, die ich ihm nicht abgewöhnen kann. Ich muß ihn immer eine große Strecke von andern entfernt halten.«

»So schaffe ihn fort!«

Ich stand auf.

»Halt! Laß deine Decke und dein langes Messer da. Auch dein Turbantuch.«

»Aber warum denn nur?«

»Damit wir wissen, daß du wiederkommst. Setze den Turban ab!«

Das hätte eine schöne Geschichte gegeben! Sie hätten gesehen. daß ich mein volles Haar trug und also kein guter Moslem, viel weniger ein Scherif sein könne. Darum antwortete ich mit erzwungener Ruhe:

»Was fällt dir ein! Kann ein Scherif jemals sein Haupt entblößen? Ich bin ein Kenner des Mukteka el Ebhur[8], des Mischkat al Masabih[9] und der berühmten Fetavi von Alem Ghiri und von Hamadan. Ich weiß sehr wohl, was dem Gläubigen verboten ist, und jetzt soll ich meine Seele den Lüften übergeben, daß der Sturm sie von dannen treibe?«

»So mag es bei dem Messer und bei der Decke bleiben. Gehe nun!«

Ich band das Pferd los und führte es eine Strecke weit fort. Dort band ich es zunächst nur flüchtig an, dann aber rannte ich in höchster Eile fort, durch Busch und Strauch, bald springend, bald kriechend, bis ich die vorhin zurückgelegte Krümmung des Weges erreichte und nun die Straße betreten konnte, ohne von den beiden Räubern gesehen zu werden. Dort riß ich ein Blatt meines Notizbuches heraus und schrieb darauf:

»Ajry ajry hazyrlamyn. Osko, Omar jawaschly, Halef böjück dört nal gitir, ileri icki bin ademler tahminen – reitet einzeln vorüber. Osko und Omar langsam, Halef in stärkster Karriere, ungefähr zweitausend Schritte weit.«

Diesen Zettel befestigte ich mittels eines Holzpflöckchens, welches ich schnitzte, und des Taschenmessers an den Stamm eines hart am Wege stehenden Baumes, so daß er unbedingt gesehen werden mußte. Freilich konnten auch andere Leute vorher des Weges kommen, aber das war nicht zu ändern; vielleicht ließen sie den Zettel hängen. Uebrigens war Halefs Kommen in jedem Augenblick zu erwarten.

Das hatte kaum zwei Minuten gedauert, und nun rannte ich ebenso schnell wieder zu dem Pferd zurück, um es jetzt fester anzubinden und von dem Knopf zu befreien. Ich war noch nicht ganz fertig damit, so hörte ich schon Schritte. Der eine Skipetar kam, um mich zu suchen.

»Wo bist du so lange?« fragte er in strengem Ton.

»Hier bei dem Pferd,« antwortete ich geistreich, indem ich ihn ganz verdutzt anschaute.

»Das sehe ich! Aber muß das so lange dauern?«

»Nun, bin ich denn nicht mein eigener Herr?«

»Nein, jetzt nicht mehr; jetzt gehörst du zu uns und hast dich nach uns zu richten.«

»Habt ihr mir etwa gesagt, wie lange ich fortbleiben darf?«

»Frage nicht so albern, Esel! Packe dich fort, dahin, wo wir sitzen.«

»Wenn es mir gefällig ist,« erwiderte ich, da mir sein Verhalten trotz meiner Rolle als Scherif zu unausstehlich wurde.

»Dir hat gar nichts gefällig zu sein, verstanden? Wenn du nicht augenblicklich kommst, so helfe ich nach!«

Da trat ich zu ihm heran und sagte:

»Höre, treibe es nicht zu arg! Du nennst mich einen Esel. Wenn du keine Ehrfurcht vor der Abstammung eines Scherif hast, so verlange ich wenigstens Achtung für meine Person. Und wenn du mir sie verweigerst, so werde ich sie mir zu verschaffen wissen.«

Das hatte er mir nicht zugetraut.

»Welch eine Frechheit!« rief er aus. »Mensch, ich Achtung vor deiner lächerlichen Person! Ich brauche dich ja nur anzurühren, so fällst du vor Schreck zu Boden.«

Er faßte mich am linken Arm und drückte mir denselben so derb, daß ein weniger Kräftiger als ich wohl laut aufgeschrien hätte. Aber ich lächelte ihm ruhig ins Gesicht und entgegnete:

»Da müßtest du anders zugreifen, etwa so, so!«

Ich legte meine Hand in der Weise auf seine linke Achsel, daß der Daumen unter das Schlüsselbein zu liegen kam, die anderen vier Finger aber den nach oben und außen ragenden Teil des Schulterblattes erfaßten, welcher mit dem Oberarmknochen das Achselgelenk bildet. Wer diesen Griff kennt und ihn anzuwenden versteht, der kann den stärksten Mann mit nur einer Hand zur Erde zwingen. Ich zog die Hand in schnellem, kräftigem Druck zusammen. Da stieß er einen lauten Schrei aus, wollte sich loswinden, kam aber nicht dazu, denn der Schmerz ging ihm so durch den ganzen Körper, daß er in die Knie brach und auf den Boden niedersank.

Der Schrei rief den andern Bruder herbei.

»Sandar, was ist geschehen?« fragte er.

»Tanry hakky – bei Gott, das begreife ich nicht!« antwortete der Gefragte, indem er sich vom Boden erhob. »Dieser Mensch hat mich mit nur einer seiner Hände niedergerungen. Ich muß die Schulter gebrochen haben.«

»Gerungen? Warum?«

»Weil ich ihn wegen seines langen Fortbleibens auszankte.«

»Alle Teufel! Mensch, was fällt dir ein! Soll ich dich zermalmen?«

Er packte mich an der Brust, um mich zu schütteln. Eine Gegenwehr lag nicht in meiner Scherifrolle; aber mich fassen und schütteln zu lassen, wie einen kleinen Jungen, das war gegen meinen Geschmack. Ich nahm ihn also ebenso bei der Brust, zog ihn erst an mich und stieß ihn dann so rasch auf volle Armeslänge von mir ab, daß er mich loslassen mußte. Nun bückte ich mich ein wenig, legte ihm den Unterarm, aber ohne mit der Hand loszulassen, nach abwärts an den Leib, hob dann den Kerl mit einem blitzschnellen Ruck empor und warf ihn zur Erde.

Er blieb eine Sekunde lang liegen, ganz verblüfft vor maßlosem Staunen, schnellte dann empor und streckte beide Hände nach mir aus.

»Noch einmal?« fragte ich, einen Schritt zurücktretend.

Ich war zornig geworden. Vielleicht hatten meine Augen jetzt einen ganz anderen Ausdruck, als für die Sehwerkzeuge eines salbungsvollen Scherif passend war, denn der Aladschy prallte zurück, starrte mich an und rief dann:

»Mensch, du bist ja ein Riese!«

Ich neigte das Haupt und antwortete in demütigem Ton:

»Das steht wohl so im Buch des Lebens verzeichnet. Ich kann nicht dafür.«

Die beiden brachen in ein lautes Gelächter aus.

»Weißt du, Bybar, der Kerl ahnt gar nicht, was für Kräfte er hat,« sagte Sandar.

Dieser aber betrachtete mich mit mißtrauischem Blick vom Kopf bis zum Pantoffel herab und antwortete:

»Das ist nicht bloß Riesenkraft, er hat auch Uebung. Diesen Griff macht ihm nur einer nach langem Wiederholen nach. Scherif, wo hast du das gelernt?«

1

Alle zehntausend und eine Arznei.

2

Sonne der Heilung.

3

Magenpflaster.

4

Aschblei = Wismut.

5

Aschzinn, auch Wismut.

6

Zierde der Weiblichkeit.

7

»Das heilige Buch« = Bibel.

8

»Zusammenschluß der Meere«, d. i. ein berühmtes Rechtsbuch.

9

Ein theologischer Kommentar in 24 Büchern.

Durch das Land der Skipetaren

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