Читать книгу Das Dorf Band 15: Der rätselhafte Fall - Karl Olsberg - Страница 4

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2. Ärger

„Primo!“, erklingt Golinas energische Stimme. „Liegst du etwa immer noch im Bett? Steh gefälligst auf und hilf mir mit dem Frühstück! Und dann bringst du Nano zu Birta!“

Primo richtet sich im Bett auf und reibt sich die Augen. Er hat unruhig geschlafen. Düstere Bilder eines Alptraums ziehen durch seinen Kopf wie Nebelschwaden. Er war im Ende, jenem düsteren Ort, mit dem er so viele unangenehme Erinnerungen verbindet. Die Endermen waren alle versammelt und diskutierten lange in ihrer komplizierten, umständlichen Sprache. Schließlich hielten sie die Kreisbahn an, in der Primos Erzfeind Artrax gefangen gehalten wurde, so dass dieser entkommen konnte. Primo schaudert bei der Erinnerung an die violett leuchtenden Augen des bösen Endermans, an sein hämisches, heiseres Lachen nach seiner Befreiung.

Er streckt sich. Gut, dass es nur ein Alptraum war und nicht die Wirklichkeit.

„Primo! Kommst du jetzt endlich, oder muss ich schon wieder alles alleine machen?“

„Ich komme sofort“, ruft er und legt rasch seine Diamantrüstung an.

Sein letztes Abenteuer mit dem unheimlichen Fremden, der eines Tages in der Nähe des Dorfs gesehen wurde, liegt schon eine ganze Weile zurück. Seitdem war es friedlich im Dorf, und seit die Fremden wieder in ihre mysteriöse Kugelwelt zurückgekehrt sind und die Trümmer von Leos Haus von der Wiese neben der Schlucht entfernt wurden, geht das Leben wieder seinen geregelten Gang. Früher hätte Primo das langweilig gefunden und sich nach etwas mehr Aufregung gesehnt. Doch mittlerweile hat er zusammen mit seinem besten Freund Kolle schon so viele Abenteuer erlebt, war schon an so vielen geheimnisvollen, unheimlichen und gefährlichen Orten und hat das Dorf so oft vor der Zerstörung bewahren müssen, dass es für viele Dorfbewohnerleben reicht. Ein wenig Ruhe tut ihm gut.

„Da bist du ja endlich!“, schimpft Golina. „Nano ist schon mit dem Frühstück fertig. Bring ihn bitte zu Birta. Und nimm Paul mit raus. Pass aber auf, dass er nicht wieder Unsinn anstellt!“

„Ja, Golina. Komm, Nano!“

„Ich will aber nicht zu der doofen Birta! Die ist immer so streng und gemein, und dann bestraft sie mich, obwohl ich gar nichts gemacht habe, nur weil Maffi wieder gepetzt hat!“

„Du musst nun mal was lernen, mein Sohn.“

„Muss ich gar nicht. Und außerdem lernen wir da nur dummes Zeug, wie Rechnen und Lesen und Schreiben und solchen Quatsch. Ich würde viel lieber Kämpfen lernen, damit ich ein Dorfbeschützer werden kann, so wie du, Papa.“

„Schluss jetzt!“, ruft Golina. „Du gehst zu Birta in den Unterricht, und damit basta. Und wehe, du bekommst wieder Ärger!“

„Och, Menno!“, mault Nano, doch er folgt Primo aus dem Haus.

Als sie die Dorfstraße entlang gehen, bellt Paul plötzlich und rennt hinter einem Huhn her, das neben der Kirche im Boden scharrte und nun laut gackernd vor ihm flieht. Genau in diesem Moment kommt der Priester Magolus aus der Kirche, das Heilige Buch in der Hand. Er erschrickt, als der kläffende Wolf ihn fast umrennt, und das Buch rutscht ihm aus der Hand und fällt in den Dreck.

„Primo!“, schimpft er. „Kannst du nicht besser auf deinen Wolf aufpassen? Das ist mir ein schöner Dorfbeschützer, der nicht mal mit seinem eigenen Haustier fertig wird!“

„Entschuldige, Magolus“, ruft Primo. „Paul, hierher! Sofort!“

Doch der Wolf hört nicht auf ihn. Er bleibt vor Birtas Haus sitzen und kläfft. Das Huhn hat sich irgendwie aufs Dach des Hauses geflüchtet.

Birta kommt heraus.

„Was ist denn hier los?“, keift sie. „Was soll dieses Gekläffe? Und wieso kommst du schon wieder zu spät, Nano? Maffi ist schon längst da!“

„Entschuldige, Birta“, sagt Primo, der das Gefühl hat, dass sich heute die ganze Welt gegen ihn verschworen hat. „Es ist meine Schuld. Paul ist ausgerissen und hat dieses Huhn verfolgt, das jetzt auf deinem Dach sitzt.“

„Ein Huhn? Auf meinem Dach? Wie kommt es denn dahin?“

„Weiß ich auch nicht. Es sieht so aus, als wäre es dort hinaufgeflogen.“

„Unsinn!“, widerspricht Birta. „Hühner können doch nicht auf Hausdächer fliegen!“

„Vielleicht ja doch. Vielleicht fliegen sie nicht so gern, sondern nur im Notfall, wenn zum Beispiel ein Wolf hinter ihnen herrennt.“

„Quatsch! Ich bin die Lehrerin, und wenn ich sage, Hühner können nicht fliegen, dann können sie nicht fliegen, und damit basta!“

„Und wie ist es dann auf dein Dach gekommen?“

„Ich habe jetzt keine Zeit, hier herum zu diskutieren. Der Unterricht hätte schon längst anfangen sollen. Komm, Nano!“

„Bis später, Nano. Tschüss, Birta!“

Ohne den Abschiedsgruß zu erwidern, packt Birta den unglücklichen Nano und zerrt ihn in ihr Haus.

„Komm, Paul!“, ruft Primo. Doch der Wolf rührt sich nicht von der Stelle, sondern kläfft weiter das Huhn an, das immer noch auf dem Dach sitzt.

In diesem Moment kommt Asimov die Dorfstraße entlang gestapft. Die Katze Mina sitzt wie immer eingerollt auf dem Kopf des Golems, so dass es aussieht, als trüge er eine pelzige Mütze.

„Asimov!“, ruft Primo. „Du kommst mir gerade recht.“

„Das habe ich befürchtet“, erwidert der Golem. „Was ist denn nun schon wieder?“

„Du könntest mir helfen, Paul wieder nach Hause zu locken. Er sitzt da und kläfft das Huhn auf dem Dach an.“

„Das sehe ich. Aber wieso hockt da ein Huhn auf dem Dach?“

„Paul hat es gejagt, und da muss es dort hinaufgeflogen sein.“

„Hm“, macht Asimov. „Ich wollt, ich wär auch ein Huhn.“

„Wieso das denn?“

„Dann hätt ich nicht viel zu tun. Ich legte jeden Tag ein Ei und Sonntags auch mal zwei. Und außerdem könnte ich dann auch auf Dächer fliegen, wo mich niemand mehr nerven kann.“

„Sei nicht albern!“, meint Primo.

„Ha! Das musst gerade du sagen!“

„Also, hilfst du mir jetzt oder nicht?“

„Na schön, was soll ich tun?“

„Du musst einfach nur zurück zur Schmiede gehen.“ Primo läuft zu seinem Wolf und sagt: „Guck mal, Paul, da ist Mina!“

Als der Wolf seine Erzfeindin auf Asimovs Kopf erblickt, stürmt er los und springt laut bellend an dem Golem hoch. Mina faucht und sträubt ihr Fell, rührt sich aber nicht von der Stelle. Sie weiß, dass sie dort oben sicher ist.

„Na toll!“, ruft Asimov. „Ganz toll! Das hab ich also nun davon, dass ich frei bin und keinerlei Anweisungen mehr befolgen muss. Ich hätte im Wüstendorf bleiben sollen. Mit Hunderteinundachtzig konnte man gute Gespräche führen. Aber mir war natürlich klar, dass ihr euch wieder in Schwierigkeiten bringen würdet, wenn ich nicht hier bin und auf euch aufpasse.“ Er schüttelt den Kopf über sich selbst. „Ich bin einfach viel zu gutmütig!“

Grummelnd marschiert er zur Schmiede, gefolgt von dem kläffenden Wolf und Primo.

„Was machst du denn wieder für einen Lärm?“, beschwert sich Golina, als sie das Haus erreichen.

„Ich?“, fragt Primo.

„Kannst du denn nicht einmal dafür sorgen, dass sich Paul vernünftig benimmt?“ Sie wendet sich an den Wolf und ruft in scharfem Tonfall: „Paul, aus!“

Sofort hört der Wolf auf zu kläffen und kommt mit wedelndem Schwanz zu ihr.

„So ist’s brav“, sagt sie und krault sein Fell.

Glücklich blickt Paul zu Golina auf. Primo fragt sich, wie sie es hinbekommt, dass der Wolf immer tut, was sie sagt, während er sich kein bisschen um Primos Anweisungen schert. Andererseits schafft sie es ja auch irgendwie, dass Primo immer macht, was sie will.

„Danke, Asimov“, sagt er.

„Keine Ursache. Für sinnlose, überflüssige und nervenraubende Tätigkeiten stehe ich jederzeit zur Verfügung.“ Damit stapft der Golem davon.

„Du könntest mir mal helfen, Nanos Sachen wegzuräumen“, sagt Golina.

„Du, das ist gerade schlecht“, sagt Primo. „Ich ... ich muss dringend noch einen Kontrollgang durchs Dorf machen. Immerhin bin ich der Dorfbeschützer, und ...“

„Primo!“, sagt Golina und wirft ihm einen Blick zu, der jede weitere Widerrede im Keim erstickt.

Seufzend geht er ins Haus, packt Primos Spielsachen und Kleidung und stopft sie in die große Truhe.

Kaum ist er damit fertig, ist vor dem Haus Geschrei zu hören: „Lass mich los! Du tust mir weh!“

Primo und Golina treten aus dem Haus und begegnen Birta, die den jammernden Nano am Kragen gepackt hält und hinter sich herzerrt. Sie sieht ziemlich zornig aus.

„Was ist denn los, Birta?“, fragt Golina.

„Euer Sohn kommt nicht nur zu spät zum Unterricht, er stört ihn auch und meint, statt aufzupassen müsse er lustige Streiche spielen!“, ruft Magolus’ Assistentin. „Und jetzt hat er auch noch ein Huhn in meiner Bücherkiste versteckt! Ich habe einen Riesenschreck bekommen, als ich sie aufklappte, um das Buch mit den Rechenaufgaben herauszuholen, und mir dieses gackernde Federvieh entgegensprang!“

Primo kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er erinnert sich noch zu gut daran, wie er selbst einmal ein Huhn in Magolus’ Kiste versteckte, in der dieser das Heilige Buch aufbewahrte.

„Findest du das etwa lustig, Primo?“, keift Birta.

„Äh, nein, nein, überhaupt nicht!“

„Schön! Dann wirst du Nano ja wohl hoffentlich angemessen bestrafen!“

„Aber ich habe überhaupt nichts gemacht!“, protestiert Nano.

„Jetzt lügt er auch noch, der freche Bengel!“, schimpft Birta.

„Nun mal langsam, Birta“, sagt Primo. „Bloß, weil ein Huhn in deiner Kiste war, heißt das noch lange nicht, dass Nano es da reingetan haben muss.“

„Hab ich auch nicht“, beteuert Nano.

„Wie soll es denn sonst da reingekommen sein?“, fragt Birta. „Denkst du etwa, ich habe es in die Kiste gesteckt?“

„Nein, äh, aber vielleicht ist es ja selber reingehüpft, als die Kiste gerade offen war und du nicht hingeguckt hast, und ...“

„Das ist ja wohl die Höhe!“, ruft Birta. „Dein Sohn stört andauernd den Unterricht und spielt mir Streiche, und du verteidigst ihn auch noch! Kein Wunder, dass der Junge so ein Flegel ist, wenn er so ein schlechtes Vorbild hat.“

„He, Moment mal! Was willst du damit sagen?“

„Glaubst du, ich weiß nicht mehr, wie du selber mal ein Huhn in der Kiste unseres Obersten Hohepriesters von Allen versteckt hast? Und dann diese ganzen unsinnigen Abenteuer, die du ständig anzettelst. Kein Wunder, dass der Junge nichts als Flausen im Kopf hat. Und ich muss sie ihm dann wieder austreiben!“

„Ich will aber nicht, dass du mir meine Flausen austreibst!“, ruft Nano. „Ich will sie behalten!“

„Es reicht jetzt, Birta!“, mischt sich Golina ein. „Primo ist unser Dorfbeschützer. Er hat mehr als einmal sein Leben riskiert, um uns vor Gefahren zu retten – auch dich. Du solltest ihm dankbar sein!“

„Pah! Wenn Primo nicht dauernd auf Abenteuer aus wäre, würden wir gar nicht in solche Gefahren geraten! Wer war es denn, der in den Wald gestapft ist und dafür gesorgt hat, dass der arme Kolle von einem Nachtwandler gebissen wurde? Wer ist in den Nether gegangen und hat das vermaledeite Drachenei mitgebracht? Wer musste sich unbedingt mit dem Enderman Artrax anlegen und dessen Zorn über unser Dorf bringen, so dass es komplett zerstört wurde? Wer hat eine Hexe hier angeschleppt, die nichts als Unsinn macht und ein riesiges Schleimmonster auf uns loslässt? An allem ist bloß unser großartiger Dorfbeschützer schuld!“

„Verschwinde jetzt, Birta!“, sagt Golina in einem Tonfall, der Pauls Knurren beim Anblick eines Nachtwandlers ähnelt.

Birta klappt den Mund auf und zu, als wisse sie nicht, was sie darauf antworten soll.

„Das ... das wird ein Nachspiel haben!“, sagt sie, dreht sich um und stakst mit steifen Schritten davon.

„Und jetzt zu dir, mein lieber Freund!“, sagt Golina, packt Nano und zerrt ihn ins Haus. „Du hast eine Woche lang Hausarrest! Und glaub bloß nicht, dass du in nächster Zeit Kuchen bekommst!“

„Aber ... aber das ist total ungerecht! Ich habe gar nichts gemacht!“, hört Primo seinen Sohn heulen, während er immer noch vor dem Haus steht und Birta nachschaut, die erhobenen Hauptes die Straße entlang schreitet.

Die Gehilfin des Priesters ist ohne Zweifel eine anstrengende Person und man darf sie nicht allzu ernst nehmen. Doch ihre Worte nagen an Primo. Denn tief in seinem Inneren weiß er, dass sie recht hat: Der meiste Ärger, den er als Dorfbeschützer oft nur in letzter Sekunde vom Dorf abwenden konnte, wäre ohne ihn gar nicht erst entstanden.

Das Dorf Band 15: Der rätselhafte Fall

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