Читать книгу Das Dorf Band 15: Der rätselhafte Fall - Karl Olsberg - Страница 5

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3. Das verschwundene Buch

Der Rest des Tages verläuft ereignislos, wenn man davon absieht, dass Nano die ganze Zeit jammert, weil er nicht draußen spielen darf und sich ungerecht behandelt fühlt. Doch schon am nächsten Tag bahnt sich neuer Ärger an. Während Primo, Golina und Nano noch beim Frühstück sitzen, klopft es an der Tür. Als Primo öffnet, blickt er überrascht in die finsteren Mienen von Magolus und Birta.

„Wo ist das Buch?“, fragt die Gehilfin des Priesters.

„Welches Buch?“, fragt Primo.

„Welches Buch wohl? Das Heilige Buch natürlich!“

„Woher soll ich das wissen?“

„Jemand hat es entwendet!“, sagt Magolus. „Gestern Abend hatte ich es noch, doch heute Morgen ist es spurlos verschwunden.“

„Und was habe ich damit zu tun?“

„Wir haben Grund zu der Annahme, dass dein ungezogener Sohn das Buch gestohlen hat, um sich an mir zu rächen“, behauptet Birta.

„Was? Das ist doch Unsinn! Nano war gestern den ganzen Tag zu Hause.“

„Vielleicht hat er sich ja heute Nacht aus dem Haus geschlichen.“

„Hab ich gar nicht“, widerspricht Nano. „Und außerdem, was soll ich denn mit einem Buch? Bücher sind langweilig, erst recht, wenn sie heilig sind!“

„Bevor du hier irgendwelche grundlosen Beschuldigungen aussprichst, Birta, solltest du vielleicht mal gründlich in der Kirche suchen“, mischt sich Golina ein. „Nano mag ja manchmal ungehorsam sein, aber das Heilige Buch hat er ganz bestimmt nicht gestohlen!“

„Ach nein? Wer denn dann?“

„Das werden wir schon noch rausfinden“, sagt Primo. „Falls es nicht doch in der Kirche ist, wie Golina sagt.“

„Magolus und ich haben alles abgesucht. Aber schön, wenn ihr glaubt, dass ihr es besser könnt, dann könnt ihr ja selber suchen.“

„Das machen wir auch“, sagt Primo.

Gemeinsam mit Golina und Nano, den sie lieber nicht alleine zu Hause lassen wollen, marschiert er hinter Magolus und Birta her zur Kirche. Paul begleitet ihn ebenfalls.

Doch als sie die Kirche betreten, sagt Magolus: „Der Wolf bleibt draußen!“

„Aber Paul ist ein guter Spürhund“, meint Nano. „Er wird das blöde Buch ganz schnell finden!“

„Du wagst es, das Heilige Buch zu beleidigen!“, keift Birta. „Das ist eine schwere Sünde! Dafür kommst du in den Nether!“

„Pah, da war ich schon, da ist es gar nicht so schlimm. Und außerdem wohnt da mein Freund Pixel!“

Primo zieht eine Augenbraue hoch. Der Junge hat sich irgendwann diese Fantasiegeschichte ausgedacht, wie er angeblich zusammen mit Kolles Tochter Maffi einen Zombie-Pigman aus der Oberwelt zurück in den Nether begleitet hat, und hält seitdem ziemlich hartnäckig daran fest. Er möchte eben auch ein echter Abenteurer sein wie sein Vater.

„Birta hat recht“, sagt Golina. „Man darf das Heilige Buch nicht mit abfälligen Bemerkungen herabwürdigen. Entschuldige dich gefälligst, Nano!“ Sie wirft ihrem Sohn einen strengen Blick zu.

„Na gut, wenn es unbedingt sein muss“, grummelt Nano. „Entschuldigung, dass ich ‚blödes Buch‘ zu dem langweiligen Buch gesagt habe.“

Birta blickt ihn wütend an, doch Magolus sagt großmütig: „Möge Notch dir deinen Frevel verzeihen. Und jetzt lasst uns das blö..., äh, Heilige Buch suchen.“

Gemeinsam durchsuchen sie die Kirche, doch die ist nicht besonders groß, und es gibt kaum Versteckmöglichkeiten. In der Truhe, in der Magolus seine Sachen aufbewahrt, ist das Buch nicht, ebenso wenig im Zwischengeschoss des Kirchturms und auch nicht auf dem Dach des Turms, von dem aus man einen guten Überblick über das Dorf hat.

Inzwischen hat sich eine kleine Gruppe von Dorfbewohnern vor der Kirche versammelt.

„Was machst du da auf dem Kirchturm, Primo?“, ruft Olum, der Fischer.

„Ich suche das Heilige Buch. Hat es einer von euch gesehen?“

„Was soll ich denn mit einem Heiligen Buch?“, fragt der Fischer.

„Es lesen“, meint Hakun, der Fleischer. „Dann bist du vielleicht anschließend nicht mehr ganz so dumm.“

„Wer ist hier dumm?“, ruft Olum empört.

„Immer der, der fragt.“

„Ich verpass dir gleich eins mit der Angel!“

Die beiden Streithähne werden von Paul unterbrochen, der in diesem Moment schon wieder laut kläffend hinter einem Huhn herjagt.

Magolus erscheint neben Primo auf der Turmspitze.

„Liebe Untertanen, äh, ich meine, liebe Gemeindemitglieder“, ruft er den Versammelten zu. „Wer auch immer von euch das Heilige Buch genommen hat, möge es sofort herausgeben! Wisset, dass es eine schwere Sünde ist, das Wort Notchs zu stehlen!“

Die Dorfbewohner sehen sich ratlos an.

„Vielleicht ist es ja in der Bibliothek“, meint Jarga, die Schäferin. „Nimrod ist doch manchmal etwas zerstreut, womöglich hat er es aus Versehen irgendwo in seine Regale geräumt.“

„Könnte sein, dass Jarga recht hat“, meint Magolus. „Lasst uns in der Bibliothek suchen!“

Primo rollt mit den Augen. In Nimrods Bibliothek herrscht ein solches Durcheinander, dass es Wochen dauern kann, ein bestimmtes Buch zu finden. Doch er muss zugeben, dass es der wahrscheinlichste Ort ist.

Kurz darauf drängt sich das halbe Dorf in der nicht besonders geräumigen Bibliothek, die gleichzeitig das Zuhause von Kolle, Margi, ihrer Tochter Maffi, Kolles Eltern Nimrod und Delfina sowie des alten Lausius ist. Primo hat sich schon häufiger gefragt, wie sie das aushalten, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen – in der etwas kleineren Schmiede erscheint es ihm schon zu dritt oft zu eng.

„Bringt mir bloß nichts durcheinander!“, mahnt Nimrod, als die Dorfbewohner Bücher aus den Regalen zerren und sie wieder zurückstellen.

„Was ist denn hier schon wieder los?“, fragt der alte Lausius, der in einer Ecke sitzt und unverständliche Symbole auf ein Blatt Papier kritzelt.

„Wir suchen das Heilige Buch“, erklärt Primo.

„Und warum sucht ihr es ausgerechnet hier?“

„Weil hier nun mal viele Bücher sind.“

„Aber hat nicht Magolus das Heilige Buch immer bei sich oder in der Kiste in der Kirche?“

„Normalerweise schon. Aber es ist verschwunden.“

Der Alte kratzt sich am Kopf. „Verschwunden? Das Heilige Buch? Das ist merkwürdig. Sehr merkwürdig.“

Primo runzelt die Stirn. „Warum findest du das so merkwürdig?“

„Na, Bücher verschwinden doch nicht einfach so von selbst.“

„Das stimmt.“

„Also muss es jemand genommen haben.“

„Ja, aber wer?“

„Das ist es ja gerade, was merkwürdig ist: Die Einzigen, die sich in diesem Dorf für Bücher interessieren, sind Nimrod und ich, und vielleicht noch Margi und Birta. Aber Nimrod hat schon mehr als genug Bücher, Margi würde niemals ein Buch nehmen, ohne vorher den Besitzer zu fragen, und Birta ist doch sowieso jeden Tag in der Kirche, wo sie im Heiligen Buch lesen kann, so oft sie will.“

„Und du? Was ist mit dir?“, fragt Primo.

„Ich? Ich lese doch nicht solchen langweiligen Kram! Mich interessieren nur spannende Bücher mit vielen Zahlen und Formeln und komplizierten Diagrammen, so wie das hier.“ Er deutet auf ein Buch neben sich mit dem Titel Allgemeine Relativitätstheorie von einem gewissen Albert Einstein. „Echt total interessant. Kann ich dir gerne mal leihen.“

„Äh, danke, aber ich glaube, das kenne ich schon.“

Auf einmal öffnet sich die Tür, und Birta kommt herein, das Heilige Buch in der Hand.

„Ich hab es!“, ruft sie außer Atem. „Ich habe das Heilige Buch gefunden!“

Alle drehen sich nach ihr um.

„Wo war es denn?“, fragt Magolus.

Birta zeigt mit dem Buch anklagend auf Nano.

„Der Junge hatte es! Genau, wie ich es mir gedacht habe!“

„Stimmt ja gar nicht!“, widerspricht Nano.

„Stimmt ja wohl! Ich war gerade in Primos Haus und hab noch mal alles durchsucht, und da hab ich es gefunden, in einer Kiste mit Nanos Spielsachen!“

„Was fällt dir ein, einfach so in unser Haus zu gehen und alles zu durchsuchen?“, fragt Golina scharf.

„Mir blieb ja nichts anderes übrig!“, verteidigt sich Birta. „Ihr streitet doch immer alles ab, wenn euer Sohn Unsinn macht!“

„Das stimmt überhaupt nicht!“, ruft Nano. „Ich habe das Buch nicht genommen! Ehrlich!“

Primo blickt seinen Sohn ernst an. „Hör mir zu, Nano! Es ist schlimm genug, das Heilige Buch zu nehmen und zu verstecken. Aber es ist noch viel schlimmer, es nicht zuzugeben und stattdessen zu behaupten, dass eine Erwachsene lügt. Also frage ich dich jetzt noch einmal: Hast du das Buch genommen?“

„Nein! Ich schwöre es!“

„Ach ja?“, ruft Birta triumphierend. „Und wie kommt es dann in deine Kiste?“

„Woher wissen wir denn eigentlich, dass das Buch wirklich in der Kiste war?“, fragt Golina. „Vielleicht hast du es die ganze Zeit gehabt, Birta, und willst nur meinem Sohn die Schuld in die Schuhe schieben!“

Birta wird erst blass, dann rot vor Wut. „Was? Du wagst es, mir so etwas zu unterstellen? Ich hätte das Heilige Buch an mich genommen, ohne seiner Heiligkeit, dem Obersten Hohepriester von Allen, etwas davon zu sagen? Und dann soll ich auch noch lügen?“

„Hast du denn einen Beweis dafür, dass du das Buch in unserem Haus gefunden hast?“

Birta blickt sich um. „Ihr ... ihr denkt doch wohl nicht, dass ich lüge, oder?“

Gemurmel erhebt sich. Birta ist bei den anderen Dorfbewohnern nicht besonders beliebt, und so gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen.

„Klar lügt sie!“

„Tut sie nicht!“

„Woher willst du das wissen?“

„Und du? Woher willst du wissen, dass ich es nicht weiß?“

„Also ich weiß ja nicht ... Birta ist ziemlich fies, aber eine Lügnerin ist sie eigentlich nicht.“

„Fies? Ich? Das ist ja wohl eine Frechheit! Ich werde dir schon zeigen, wer hier ...“

„Beruhigt euch, liebe Freunde!“, ruft Magolus und hebt die Hände. „Ich kenne Birta nun seit vielen Jahren als meine treue Dienerin, und ich kann mit Sicherheit sagen, dass sie nicht lügt und auch das Heilige Buch nicht entwendet hat. Es kann nur so sein, wie sie sagt: Der Junge muss das Buch gestohlen und in seiner Truhe versteckt haben!“

Anklagend zeigt er auf Nano.

„Nein! Nein, ich war das nicht!“, verteidigt sich dieser.

In diesem Moment hört man draußen wildes Kläffen. Eine genervte metallische Stimme ruft: „Geh weg, du blöder Köter! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht an mir hochspringen sollst? Von deinem Sabber kriege ich noch Rostflecken!“

„Asimov!“, ruft Primo. „Vielleicht hat er etwas gesehen. Lasst ihn uns fragen.“

Alle stürmen nach draußen. Während Golina Paul beruhigt, befragt Primo den Golem.

„Asimov, hast du jemanden gesehen, der heute Nacht in die Kirche gegangen ist und das Heilige Buch genommen hat?“

„Nein.“

„Und hast du gesehen, wie Birta vorhin in unser Haus gegangen ist?“

„Ja.“

„Hatte sie das Heilige Buch bei sich?“

„Beim Reingehen oder beim Rausgehen?“, fragt Asimov zurück.

„Sowohl als auch.“

„Beim Reingehen hatte sie es nicht. Beim Rausgehen schon.“

„Ha!“, ruft Birta triumphierend. „Das beweist ja wohl, dass ich nicht gelogen habe!“

Primo denkt laut nach.

„Wir wissen, dass Magolus das Buch gestern Abend noch hatte. Ich kann bezeugen, dass Nano das Haus nicht verlassen hat, solange wir noch wach waren. Danach hat Asimov niemanden beobachtet, der in die Kirche gegangen ist, um das Buch zu stehlen. Wie also soll es in unser Haus gekommen sein?“

„Ich möchte darauf hinweisen, dass meine Aussage, was die Nacht betrifft, lückenhaft ist. Ich marschiere nachts die Dorfstraßen entlang. Dabei komme ich regelmäßig auch an der Kirche vorbei, doch ich habe sie nicht die ganze Zeit im Blickfeld. Der Täter könnte sich also durchaus versteckt gehalten haben, während ich an ihm vorbeimarschiert bin, und sich dann in die Kirche geschlichen haben, während ich ihn nicht beobachten konnte.“

„Ha!“, ruft Birta erneut.

Primo seufzt. Er sieht seinen Sohn sorgenvoll an. Kann es wirklich sein, dass Nano das Buch gestohlen hat, nur um Birta zu ärgern? Hätte er selbst das in Nanos Alter gemacht? Ganz auszuschließen ist es nicht.

„Also schön“, sagt er. „Nano wird zwei Wochen Hausarrest bekommen und in der Zeit keinen Kuchen!“

„Das reicht aber nicht!“, keift Birta. „Er muss viel härter bestraft werden!“

„Aber ich habe nichts gemacht!“, beteuert Nano unter Tränen.

Primos Blick fällt auf Maffi. Nano zankt sich oft mit ihr, aber niemand weiß besser, was er den ganzen Tag treibt, als sie.

„Maffi, weißt du, ob Nano das Buch gestohlen hat?“, fragt er.

„Du musst die Wahrheit sagen!“, ermahnt Margi sie.

Maffi schüttelt den Kopf. „Nein, ich weiß es nicht.“

„Und glaubst du, dass er es getan hat?“

Wieder schüttelt das Mädchen den Kopf. „Nano ist zwar ganz schön blöd, aber so blöd auch wieder nicht!“

„Selber blöd!“, sagt Nano und streckt ihr die Zunge heraus, doch er scheint gleichzeitig erleichtert zu sein, dass sie zu ihm hält.

„Du behauptest also auch, dass ich lüge?“, ruft Birta. „Und das, obwohl Asimov meine Aussage bestätigt hat? Na wartet, ihr beiden, im nächsten Unterricht könnt ihr was erleben!“

„Ha, ich kann aber gar nicht zum Unterricht kommen“, ruft Nano. „Ich hab nämlich Hausarrest!“

„Kann ich auch Hausarrest haben?“, fragt Maffi ihre Mutter.

„Von wegen Hausarrest!“, ruft Birta. „Der Schulbesuch ist davon natürlich ausgenommen! Ihr erscheint beide morgen pünktlich zum Unterricht, sonst setzt es was! Ich lasse euch Strafarbeiten schreiben, bis ihr schwarz werdet, da könnt ihr sicher sein! Und bis morgen schreibt ihr mir beide hundertmal den Satz: ‚Ich darf das Heilige Buch nicht an mich nehmen, ohne den Obersten Hohepriester von Allen zu fragen, und ich darf nicht behaupten, dass meine Lehrerin lügt‘! Und wehe, ich finde darin Fehler!“

Damit scheint die Sache nun erledigt zu sein, und die Versammlung löst sich auf. Doch Primo geht mit einem unguten Gefühl im Bauch zurück nach Hause.

Das Dorf Band 15: Der rätselhafte Fall

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