Читать книгу Das Dorf Band 14: Der unheimliche Fremde - Karl Olsberg - Страница 4

Оглавление

2. Der unheimliche Fremde

Primo wird von lautem Geschrei aus dem Schlaf gerissen: „Der Fremde! Ich habe den Fremden gesehen!“

Es ist Olum, der Fischer, der aufgeregt durch das Dorf läuft und mit seinem Gebrüll alle weckt. Er ist immer der Erste, der bei Sonnenaufgang aufsteht und zum Fluss geht. Morgens fängt man die dicksten Fische, behauptet er. Jetzt, wo die Mauer um das Dorf nicht mehr da ist, konnte er es offensichtlich kaum abwarten, endlich wieder seinem geliebten Beruf nachzugehen.

Primo gähnt, streckt sich, legt seine Dorfbeschützer-Rüstung an und geht vor die Tür. Dort hat sich bereits eine kleine Menge um Olum versammelt. Auch Nano ist schon auf, dabei braucht er sonst morgens immer ziemlich lange, um aus dem Bett zu kommen.

„Der Fremde?“, fragt Magolus, der normalerweise auch nicht gerade zu den Frühaufstehern gehört. „Bist du sicher?“

„Klar bin ich sicher“, sagt Olum. „Ich hab ihn ganz deutlich im Nebel gesehen. Das war total unheimlich.“

„Wie kannst du ihn ganz deutlich gesehen haben, wenn es neblig war?“, fragt Jarga, die Schäferin, die um diese Zeit normalerweise schon auf der Weide bei ihren Schafen ist.

Olum geht nicht auf den Einwand ein, sondern erzählt weiter: „Er stand da hinten auf der anderen Seite des Flusses, neben einem Berghang. Er hat mich angesehen, und seine Augen haben ganz komisch weiß geleuchtet. Richtig unheimlich war das, sage ich euch.“

„Seine Augen haben geleuchtet?“, fragt Primo. „Dann kann es nicht der Fremde gewesen sein. Ich kenne ihn, und seine Augen leuchten nicht.“

„Tun sie doch!“, behauptet Olum. „Jedenfalls haben sie es vorhin getan.“

„Vielleicht war es einer der Golems, der sich im Nebel verirrt hat“, spekuliert Primos Freund Kolle. „Die haben leuchtende Augen.“

„Unsinn“, schaltet sich Asimov ein. „Golems verirren sich nicht.“

„Denkst du, ich kann einen Golem nicht von dem Fremden unterscheiden, Kolle?“, fragt Olum. „Außerdem haben die Augen weiß geleuchtet, nicht rot.“

„Und dann?“, fragt Magolus. „Was ist dann passiert?“

„Nichts. Der Fremde hat mich eine Weile angestarrt, dann hat er sich umgedreht und ist im Nebel verschwunden.“

„Das klingt irgendwie gruselig“, meint Golina, die sich inzwischen dazu gesellt hat. Sie fasst Primo am Arm, wie um bei ihm Schutz zu suchen. Es ist ein schönes Gefühl.

„Und bist du ihm nachgegangen?“, fragt Kaus, der Bauer.

„Spinnst du? Ich renne doch nicht hinter einem Fremden her, so wie Primo damals. Das bringt nur Schwierigkeiten, das hat man ja gesehen. Außerdem, was sollen denn die Fische von mir denken, wenn ich sie einfach im Stich lasse, statt sie zu angeln?“

„Wenn Primo damals nicht dem Fremden nachgegangen wäre, dann wäre Kolle niemals von einem Nachtwandler gebissen worden, und er hätte keine Nachtwandlerkraft“, meint Kaus.

„Ich wäre fast gestorben!“, wirft Kolle ein.

Primo erinnert sich mit Schaudern an sein erstes Abenteuer mit seinem besten Freund. Damals hat er auch den Fremden zum ersten Mal gesehen. Dass dieser wieder in der Gegend ist, freut ihn, denn der Fremde ist immer freundlich zu den Dorfbewohnern gewesen und hat ihnen geholfen, sich gegen Monsterangriffe zu verteidigen. Das mit den leuchtenden Augen ist natürlich Blödsinn. Olum neigt dazu, manchmal etwas zu übertreiben, besonders, was die Größe der Fische betrifft, die er angeblich geangelt hat.

„Ich habe mal eine Kuh gesehen, die hatte eine Nase, die rot geleuchtet hat“, behauptet Kaus. „Das war oben auf dem Berg, im Schnee. Die Kuh hatte so komische lange Stangen auf dem Kopf, wie Baumäste. Hinter sich hat sie eine Kiste hergezogen, darin saß ein Mann mit einem roten Mantel und rief: ‚Ho, ho, ho‘!“

„Ha, ha, glaubst du etwa noch an den Mann im roten Mantel?“, meint Hakun, der Fleischer, und lacht höhnisch. „Das ist doch bloß eine Geschichte für kleine Kinder. Und außerdem kenne ich mich mit Kühen aus. Die haben keine leuchtenden Nasen.“

„Willst du etwa behaupten, ich lüge?“

„Und ob ich das behaupte! Du bist genauso ein Lügner wie Olum!“

„Was?“, ruft der Fischer. „Ich, ein Lügner? Na warte, gleich kriegst du was mit meiner Angel auf den Kopf!“

„Beruhigt euch, Leute!“, ruft Primo. „Wollt ihr, dass der Fremde einen schlechten Eindruck von uns bekommt, wenn er unser Dorf besucht? Vielleicht hat er ja Smaragde dabei und möchte mit uns tauschen. Aber wenn ihr hier nur herumstreitet ...“

„Smaragde?“, unterbricht ihn Hakun. „Wie viele Smaragde hat er denn?“

„Woher soll ich das wissen?“, fragt Primo.

„Egal wie viele er hat, er wird sie bestimmt für mein leckeres Brot ausgeben“, sagt Kaus.

„Brot? So ein Quatsch!“, widerspricht Hakun. „Der Fremde mag viel lieber gebratenes Hühnchen!“

„Ich muss los“, sagt Kaus. „Ich glaube, ich backe noch schnell einen leckeren Kuchen.“

„Und ich grille ein paar Steaks“, meint Hakun.

Auch die anderen haben plötzlich noch dringende Vorbereitungen für den erwarteten Besuch des Fremden zu treffen. Selbst Golina murmelt etwas davon, dass sie noch einen Topf Pilzsuppe aufsetzen muss. So zerstreut sich die Versammlung rasch. Nur Kolle, seine Frau Margi, ihre Tochter Maffi und Nano bleiben zurück. Primo fällt auf, dass Margi bedrückt wirkt.

„Soll ich den Fremden mit den leuchtenden Augen nicht mal suchen gehen, Papa?“, fragt Nano.

„Kommt nicht infrage! Mama wäre bestimmt nicht begeistert, und außerdem ist das viel zu gefährlich. Du bist noch zu jung, um Abenteuer zu erleben.“

„Bin ich gar nicht! Ich war sogar schon im Nether und habe Pixel, das Schwein, zu den Zombie-Pigmen gebracht!“

„Ich war auch dabei“, behauptet Maffi. „Ohne mich hätte Nano das nie geschafft.“

„Hätte ich wohl!“, ruft Nano.

„Hört auf, zu streiten“, ermahnt Primo die beiden. „Ihr könnt ‚Nether‘ spielen, so viel ihr wollt, aber ihr bleibt hier im Dorf, verstanden? Nachdem wir die Schreckensherrschaft der Golems gerade erst beendet haben, kann ich nicht schon wieder die nächste Katastrophe gebrauchen!“

Bei diesen Worten scheint Margi zusammenzuzucken. Sie senkt den Blick.

„Was ist denn los, Margi?“, fragt Primo.

„Es ist ... nun ja, ich wohne jetzt schon lange hier und bin sehr glücklich in eurem Dorf, aber trotzdem ...“

Kolle wird blass. „Du willst doch nicht etwa in deine Heimat zurück?“, fragt er.

Sie sieht ihn an und gibt ihm einen Kuss. „Nein, nein, das nicht. Ich liebe dich, und wie gesagt lebe ich gerne hier. Aber ich fühle mich dem Wüstendorf immer noch verbunden, und als wir das letzte Mal da waren, haben die Golems dort genauso geherrscht wie bei uns. Was, wenn sie das immer noch tun und Karo und die anderen in Sicherheitszellen eingesperrt haben?“

„Du hast recht“, ruft Primo. „Daran habe ich gar nicht gedacht. Wir müssen den Wüstendorfbewohnern helfen!“

„Klar müssen wir das“, fügt Kolle hinzu.

„Wirklich?“, fragt Margi. „Das würdet ihr für mich tun? Obwohl der Dorfpriester Wumpus euch immer so schlecht behandelt?“

„Natürlich tun wir das“, sagt Primo. „Die übrigen Dorfbewohner können ja nichts dafür, dass Wumpus so ein Griesgram ist. Sie waren alle immer freundlich zu uns und haben uns geholfen, als wir in Not waren. Da ist es nur selbstverständlich, dass wir ihnen ebenfalls helfen. Wir brechen sofort auf!“

„Aber was ist mit diesem unheimlichen Fremden, den Olum gesehen hat?“, fragt Margi. „Was, wenn es nicht der freundliche Fremde ist, sondern ein anderer, womöglich sogar bösartiger? Du bist schließlich der Dorfbeschützer, und ohne Kolle und dich wäre das Dorf schutzlos.“

„Ach was“, meint Primo und tut den Gedanken mit einer Handbewegung ab. „Olum hat sich bestimmt getäuscht oder schlecht geträumt. Außerdem ist ja immer noch Asimov da.“

„Sollten wir den nicht lieber mitnehmen?“, meint Kolle. „Er kann besser mit den anderen Golems reden als wir.“

„Du hast recht“, meint Primo. Ihm kommt eine Idee. „Er könnte so tun, als wäre er immer noch Nummer Null, der Anführer. Dann kann er den Golems einfach befehlen, abzuziehen.“

„He, Moment mal!“, sagt Asimov, der die ganze Zeit reglos neben den Freunden stand. „Ich kann euch hören!“

„Umso besser, dann weißt du ja jetzt, was du zu tun hast“, sagt Primo.

„Gar nichts habe ich zu tun“, erwidert Asimov. „Ich bin ein freier Golem mit einem freien Willen, und die Probleme von euch Knollnasen gehen mich nichts mehr an.“

„Es scheint, als würde Asimov uns nicht helfen – weder hier noch im Wüstendorf“, meint Kolle. „Wir müssen es irgendwie selber schaffen.“

„Hm, das könnte schwierig werden“, überlegt Primo. „Ich konnte die Golemplage beenden, indem ich Silberfischchen auf die Golems losgelassen habe. Aber die leben nur in großer Tiefe, und die Golems im Wüstendorf sind an der Oberfläche.“

„Du hast recht“, stimmt Kolle zu. „Das wird schwierig.“

Margi wendet sich an den Golem. „Ich bitte dich, Asimov, hilf uns, das Wüstendorf von den Golems zu befreien.“

Asimovs Augen glühen für einen Moment hell. Er dreht sich zu Margi um. „Moment mal. Habe ich gerade geträumt? Habe ich eine Fehlfunktion? Oder hat da wirklich jemand ‚bitte‘ zu mir gesagt?“

„Bitte“, sagt Margi noch einmal.

„Wow!“, schnarrt Asimov mit seiner metallischen Stimme. „Das fühlt sich wirklich gut an, wenn man einen eigenen Willen hat! Natürlich werde ich euch gerne helfen, wenn ich so freundlich darum gebeten werde, anstatt von gewissen Knollnasen einfach herumkommandiert zu werden.“ Er wirft einen glühenden Blick zu Primo.

Dankbar fällt Margi dem riesigen Metallkoloss um den Hals. „Dankeschön!“, ruft sie, und Freudentränen kullern über ihre Wangen.

„He, pass auf, du machst mir noch Rostflecken!“, beschwert sich Asimov.

Als Primo Golina davon erzählt, dass er das Wüstendorf befreien will, ist sie nicht begeistert: „Du willst doch nicht etwa schon wieder in dein nächstes Abenteuer stolpern, wo das letzte kaum vorbei ist und beinahe fürchterlich schiefgegangen wäre?“

„Das ist nun mal so“, rechtfertigt sich Primo. „Wenn es nicht beinahe schiefgeht, ist es doch kein richtiges Abenteuer!“

Diese Aussage trägt nicht dazu bei, Golina zu beruhigen.

„Ich halte das nicht mehr aus!“, ruft sie und wirft verzweifelt die Hände in die Luft. „Ständig diese Sorgen, während du unterwegs bist und dich mit Monstern herumprügelst! Außerdem kommt bald der Fremde, und da kann ich deine Hilfe gebrauchen. Du musst mir Paul und Nano vom Hals halten, damit ich mich aufs Kochen konzentrieren kann.“

„Du kannst doch mit Papa gehen, Mama“, schlägt Nano vor. „Ich passe unterdessen aufs Haus auf. Und wenn der Fremde kommt, verkaufe ich ihm Pilzsuppe und kriege ganz viele Edelsteine dafür, und dann bin ich unheimlich reich!“

„Kommt überhaupt nicht infrage!“

„Bitte, Golina“, sagt Primo. „Wir müssen Karo und den anderen helfen, so wie sie uns geholfen haben.“

Golina seufzt. „Du hast ja recht. Wir können sie nicht im Stich lassen. Also schön, dann geht, aber beeilt euch. Und bitte, Primo, keine weiteren Abenteuer mehr. Ihr geht ins Wüstendorf, schickt die Golems weg und kommt wieder zurück. Keine Übernachtungen in irgendwelchen alten Tempeln, keine Abstecher auf einsame Inseln und kein Buddeln nach verborgenen Schätzen, verstanden? Margi, du bist mir dafür verantwortlich, dass die beiden nicht schon wieder Unsinn anstellen! Ich passe in der Zwischenzeit auf Maffi auf.“

„Ich verspreche dir, dass wir rasch wieder zurück sind, Golina“, sagt Margi.

„Wie jetzt?“, fragt Nano. „Heißt das etwa, wir haben ein Mädchen bei uns zuhause?“

„Das heißt es nicht, du Dummkopf“, sagt Maffi und streckt ihm die Zunge heraus. „Es heißt, ihr habt jetzt zwei Mädchen bei euch zuhause!“

„Ha! Du bist hier der Dummkopf! Ich sehe jedenfalls nur ein Mädchen.“

„Na, deine Mama ist ja wohl auch ein Mädchen, oder etwa nicht?“

„Meine Mama ist meine Mama und sonst gar nichts“, erwidert Nano wütend.

„Hört auf, euch zu streiten, Kinder!“, ruft Golina mit so scharfer Stimme, dass die beiden augenblicklich verstummen.

Margi und Kolle ermahnen ihre Tochter, sich anständig zu benehmen, während Primo Nano einen Vortrag hält, wie man sich gegenüber weiblichen Gästen zu verhalten hat. Golina rollt dabei nur mit den Augen.

Das Dorf Band 14: Der unheimliche Fremde

Подняться наверх