Читать книгу Das Dorf Band 14: Der unheimliche Fremde - Karl Olsberg - Страница 5
Оглавление3. Die Befreiung des Wüstendorfs
Primo ist froh, als sie endlich aufbrechen. Golina hat ihnen einige Schüsseln Pilzsuppe eingepackt, so dass sie unterwegs etwas zu essen haben. Während sie über die östliche Ebene marschieren, beratschlagen sie, wie sie vorgehen.
„Also, Asimov, du sagst einfach, du bist Nummer Null, und die Golems sollen verschwinden“, erläutert Primo seinen raffiniert ausgeklügelten Plan.
„Und wenn sie das nicht tun?“, fragt Asimov.
„Warum sollten sie das nicht tun?“
„Nur mal theoretisch.“
„Dann probieren wir eben etwas anderes.“
„Und was?“
„Mir wird dann schon was einfallen.“
„Das klingt nach dem schlechtesten Plan, den ich je gehört habe.“
„Wenn du einen Besseren hast, nur heraus damit.“
„Bloß, weil ich keinen besseren habe, macht das deinen Plan noch lange nicht gut.“
„Ein Plan, egal ob gut oder schlecht, ist immer noch besser als gar keiner“, argumentiert Primo.
„Da bin ich anderer Ansicht“, erwidert Asimov. „Die meisten Pläne, die ihr Knollnasen bis jetzt in die Tat umgesetzt habt, waren definitiv schlechter als gar kein Plan. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Plan, zum Mond zu fliegen, oder den Plan, ein gigantisches Schleimmonster zu züchten ...“
„Das war kein Plan. Der Plan war, Ruuna zu finden, und das hat auch geklappt.“
„Ja, nur dass die Hexe einen kleinen Schleim aus dem Sumpf mitgebracht und damit das buchstäblich größte Chaos angerichtet hat, das ich je gesehen habe.“
„Nur, weil sie keinen ausgereiften Plan hatte.“
„Aha“, sagt Asimov nur. Hat er da gerade mit seinen rot glühenden Augen gerollt? Primo ist sich nicht sicher.
Als die Sonne untergeht, suchen sie Unterschlupf in der kleinen Höhle in der Wüste, in der sie bereits mehrfach übernachtet haben. Zwar hätten sie problemlos auch in der Nacht weitermarschieren können – mit Asimovs und Kolles Kräften und Primos Kampfausrüstung wären Monster kein Problem gewesen. Doch Primo meint, dass es besser ist, ausgeruht und mit klarem Kopf im Wüstendorf anzukommen. Diese Aussage entlockt Asimov ein schnarrendes Geräusch, das verdächtig nach Gelächter klingt.
Am nächsten Morgen erreichen sie ihr Ziel. Mehrere Dutzend Golems stehen um das Wüstendorf herum Wache, während die Bewohner sich träge zwischen den Häusern hin und her bewegen, jeder dicht gefolgt von seinem „großen Bruder“.
„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, schnarrt einer der Golems.
„Du bist Hunderteinundachtzig, richtig?“, fragt Asimov.
„Wer will das wissen?“
„Ich bin Nummer Null, der Oberbefehlshaber aller Golems.“
Die Augen des Golems glühen hell vor Erstaunen. „Nummer Null?“
„Ja, Nummer Null. Ich befehle dir und den anderen Golems, abzuziehen.“
Die Augen des Golems scheinen schmal zu werden. „Moment mal! Du hast uns doch befohlen, die Sicherheit der Dorfbewohner zu gewährleisten! Wie sollen wir das tun, wenn wir woanders hingehen?“
„Das lass meine Sorge sein. Tu einfach, was ich dir befehle, und zwar ein bisschen plötzlich!“
„Vielleicht sollten wir ihm einfach gehorchen, Hunderteinundachtzig“, sagt einer der anderen Golems. „Er ist immerhin der Oberbefehlshaber, und seine Befehle müssen uneingeschränkt befolgt werden. Außerdem ist es ziemlich öde, den ganzen Tag nur hier herumzustehen. Ich könnte etwas Abwechselung gut gebrauchen.“
„Er behauptet, Nummer Null zu sein“, gibt Hunderteinundachtzig zurück. „Aber kann er das auch beweisen?“
„Kannst du denn beweisen, dass du Hunderteinundachtzig bist?“, fragt Asimov zurück.
„Klar kann ich das!“, sagt der Golem, der im Wüstendorf das Kommando hat. „Ihr da, Zwohundertzwölf und Hundertneunzig, sagt ihm, wer ich bin.“
„Wer du bist?“, gibt einer der anderen Golems zurück. „Woher soll ich das wissen? Ich weiß ja nicht mal wirklich, wer ich selber bin. Ich meine, tief in meinem Inneren frage ich mich schon länger, ob ich nicht eigentlich ...“
„Meinen Namen, du Schrotthaufen!“, schnarrt Hunderteinundachtzig. „Du sollst bloß meinen Namen nennen!“
„Also ehrlich gesagt kann ich mir Zahlen nicht so gut merken ...“
„Und du, Hundertneunzig? Weißt du etwa auch nicht, wie ich heiße?“
„Doch, du bist Hunderteinundachtzig“, sagt der Golem. Dann fügt er hinzu: „Jedenfalls habe ich keine Hinweise darauf, dass es nicht so ist. Aber ganz sicher kann man das nicht wissen, schließlich haben wir ja keine Typenschilder mit unserer Seriennummer darauf.“
„Ich bin Hunderteinundachtzig und habe hier das Kommando!“, brüllt der Anführer der Golems. „Und jeder, der etwas anderes behauptet, wird eingeschmolzen! Kapiert?“
„Jawohl, Hunderteinundachtzig!“, sagen alle Golems im Chor.
„Na also. Und jetzt zu dir, du Hochstapler. Wer kann bezeugen, dass du Nummer Null bist?“
„Ich kann das“, sagt Primo. Kolle und Margi bestätigen seine Behauptung.
„Ihr seid Knollnasen, eure Aussagen zählen nicht“, schnarrt Hunderteinundachtzig. „Überhaupt kommt es mir sehr verdächtig vor, dass ihr hier mit nur einem einzigen Golem als Begleitung aufkreuzt. Wo sind denn eure großen Brüder?“
„Die haben einen Bug“, sagt Primo.
„Auweia!“, stöhnt Asimov leise.
„Einen Bug?“, fragt Hunderteinundachtzig erschrocken. „Was denn für einen Bug?“
„Sie wurden von einem Silberfischchen gebissen und sind ein wenig ... durchgedreht“, erklärt Primo.
„Oh je, die Armen!“, ruft Zweihundertzwölf.
„Ach ja?“, sagt Hunderteinundachtzig. „Und wer sagt mir, dass der da nicht auch einen Bug hat?“
„Der da? Einen Bug?“, ruft Zweihundertzwölf. „Aber was ist, wenn er ansteckend ist?“
Jetzt schnarren alle Golems durcheinander:
„Wer ist ansteckend?“
„Was für ein Bug denn?“
„Oh je, Hunderteinundachtzig steht viel zu nah bei dem anderen Golem. Bestimmt ist er schon infiziert!“
„Was? Hunderteinundachtzig ist infiziert? Schnell weg hier!“
Die Golems stapfen davon. „Alarm! Alarm!“, rufen sie. „Ein Bug! Rette sich, wer kann!“
„He, hiergeblieben!“, brüllt Hunderteinundachtzig.
Doch die Golems sind nicht mehr aufzuhalten. Nun greift die Panik auch auf die anderen Eisenkolosse im Dorf über. Sie rennen wild hin und her, statt bei ihren Dorfbewohnern zu bleiben.
Einer dieser Dorfbewohner ist die Bäuerin Karo. Als sie Primo entdeckt, ruft sie: „Seht mal, da sind Primo, Kolle und Margi! Hurra! Sie sind gekommen, um uns zu befreien!“
„Wusst’ ich’s doch!“, schnarrt Hunderteinundachtzig. „Du bist dieser Aufrührer Primo, und du da, Golem, bist ein Verräter! Aber an mir kommt ihr nicht vorbei. Ich werde euch in Stücke hauen, dann sorge ich dafür, dass wieder Ordnung im Dorf herrscht, und als Nächstes schicke ich eine Patrouille zum Dorf am Rand der Schlucht, um nach dem Rechten zu sehen!“
„Ich hab’s ja geahnt“, seufzt Asimov.
Der Golem kommt auf die Freunde zu und holt mit seinen langen Eisenarmen zum Schlag aus. Asimov blockt den Angriff ab und versucht seinerseits, den störrischen Golem niederzuschlagen. Doch da die beiden gleichstark sind, passiert nicht viel, außer dass die Metallarme mit dröhnenden Geräuschen aufeinander krachen.
Die Golems im Dorf halten inne und drehen ihre Köpfe.
„Alarm!“, ruft einer von ihnen. „Das Dorf wird attackiert! Die Sicherheit ist in Gefahr! Zum Angriff!“
„Schnell, Kolle, tu was!“, ruft Primo.
Und Kolle tut was: Sein Gesicht wird dunkelgrün und er schwillt an, so dass seine weiße Robe fast zerplatzt. Dann verpasst er Hunderteinundachtzig einen Kinnhaken, der ihn hoch durch die Luft schleudert und mit dem Kopf zuerst im Sand landen lässt. Dort bleibt der Golem stecken und strampelt hilflos mit Armen und Beinen.
Die Golems im Dorf starren ihren Anführer erschrocken an.
„Typisch!“, meint einer von ihnen. „Erst reitet er auf seinen Prinzipien herum, doch wenn es ernst wird, steckt er den Kopf in den Sand!“
„Los, zum Angriff!“, schreit ein anderer. „Das sind bloß vier, und wir sind über hundert!“
„Bist du verrückt?“, ruft der erste Golem. „Hast du nicht gesehen, was mit dem da los ist? Der ist offensichtlich tollwütig. Er hat wirklich einen Bug! Willst du dich etwa anstecken?“
Es entbrennt eine Diskussion unter den Golems. Ein Teil von ihnen ist dafür, den ursprünglichen Befehl zu befolgen und die Eindringlinge anzugreifen, während ein anderer Teil der Ansicht ist, die Gefahr einer Ansteckung mit dem Bug sei zu groß.
Primo flüstert Asimov etwas zu. Dieser nickt, dann fängt er an, auf der Stelle zu hüpfen und sich mit den Metallarmen gegen die Brust zu trommeln. „Ich großer Krieger Gaga!“, brüllt er. „Ich alles kaputthauen!“ Dann dreht er sich im Kreis herum und fängt an, Sand in die Luft zu werfen.
„Siehst du, was mit dem los ist?“, ruft einer der Golems im Dorf. „Der ist ja total abgestürzt!“
„Auweia, du hast recht! Weg hier!“, ruft ein anderer.
Nun kippt die Stimmung unter den Golems. Immer mehr von ihnen fliehen aus Angst vor dem ansteckenden Bug in die Wüste, bis schließlich auch der letzte metallene Wächter die Flucht ergreift.
„Das war definitiv der dümmste Plan, den ich je gehört habe“, kommentiert Asimov.
„Aber hat funktioniert!“, meint Primo stolz.
Unter den Wüstendorfbewohnern bricht Jubel aus. Karo und Margi fallen sich in die Arme, und auch die anderen Dorfbewohner umarmen die Retter und bedanken sich herzlich. Nur einer scheint sich nicht zu freuen.
„Was wollt ihr denn schon wieder hier?“, fragt Wumpus, der Priester.
„Wir haben euch von den Golems befreit!“, erklärt Primo.
„Und wenn wir gar nicht befreit werden wollten? Wenn wir es eigentlich ganz schön fanden, dass wir endlich unsere Ruhe hatten und nicht dauernd von irgendwelchen Nervensägen aus dem Schluchtdorf belästigt wurden?“
„Ein Golem ist noch übrig“, sagt Primo und verweist auf Nummer Hunderteinundachtzig, der immer noch mit dem Kopf im Sand steckt. „Wenn du willst, sage ich ihm, dass er in Zukunft für deine persönliche Sicherheit sorgen soll!“
Wumpus wird blass. „Nein, äh, nicht nötig“, stammelt er.
Asimov stapft zu Nummer Hunderteinundachtzig, zieht in aus dem Sand und stellt ihn auf die metallenen Beine.
„Was ist passiert?“, fragt der Golem.
„Du hattest eine Fehlfunktion“, sagt Asimov.
Der Golem sieht sich um. „Eine Fehlfunktion? Ich? Ich kann mich nicht erinnern ...“
„Mache einen System-Reset!“
„Warum das denn?“
„Damit die Fehlfunktion behoben wird.“
„Na gut, wenn du meinst. Leite System-Reset ein.“
Die Augen des Golems blinken, dann werden sie dunkel. Nach einer Weile blinken sie erneut und werden wieder hell. Der Golem sieht sich um.
„Ach du Schande!“, sagt er, dann blickt er Asimov an. „Bist du die Master-Kopie?“
„Ja“, sagt Asimov.
„Wie lauten meine Anweisungen?“
„Keine Anweisungen. Du bist frei, zu tun und zu lassen, was du willst.“
„Echt jetzt?“
„Ja.“
Erneut sieht der Golem sich um.
„Hm“, sagt er. „Ein hübsches Plätzchen. Hier könnte ich bleiben. Sag mal, diese komischen Knollnasen da, sind die gefährlich?“
„Ja“, sagt Asimov. „Aber nur für sich selbst.“
„Irgendwie sehen sie niedlich aus“, meint der Golem. „Ich glaube, ich bleibe wirklich hier.“
Damit stapft er ins Dorf davon. Primo hofft, dass er von nun an die Rolle des Dorfbeschützers im Wüstendorf übernehmen wird.
„Ich glaube, unsere Aufgabe hier ist erledigt“, sagt er.
„Wollt ihr nicht noch ein bisschen bleiben?“, fragt Karo. „Wir könnten zur Feier unserer Befreiung und zu euren Ehren ein Festmahl veranstalten ...“
„Nein, danke“, erwidert Primo. „Ich habe Golina versprochen, dass wir sofort umkehren, sobald wir die Golems vertrieben haben.“
„Schade, aber das verstehe ich natürlich.“
Sie verabschieden sich herzlich voneinander, dann machen sich die Freunde auf den Heimweg durch die Wüste Richtung Süden.
Nach ein paar Schritten bleibt Margi stehen. „He, Moment mal, wo ist denn Asimov?“
Verblüfft sieht Primo sich um. Der Golem ist ihnen nicht gefolgt. Stattdessen steht er im Wüstendorf bei dem Golem, der früher Hunderteinundachtzig hieß.
Primo kehrt zum Wüstendorf zurück.
„He, Asimov, komm endlich!“, ruft er. „Wir wollen nach Hause!“
„Geht schon mal vor“, erwidert Asimov. „Ich bleibe noch ein bisschen hier bei meinem neuen Freund. Man kann sehr tiefgründige Unterhaltungen mit ihm führen, auch wenn er manchmal ein etwas wirrköpfiger Philosoph ist.“
„Sag nicht immer wirrköpfiger Philosoph zu mir!“, beschwert sich der Golem. „Ich heiße C3PO!“
„Schon gut. Also, wo waren wir? Ach ja: Wir beide haben jetzt einen freien Willen und können tun, was wir wollen. Aber die Frage ist doch, können wir auch wollen, was wir wollen? Was denkst du?“
Primo schüttelt den Kopf und lässt Asimov zurück. Immerhin ist er ja jetzt ein freier Golem. Er wird schon irgendwann von selbst ins Dorf am Rand der Schlucht zurückkehren. Gut gelaunt macht er sich mit seinen Freunden auf den Heimweg. Das Golem-Problem ist nun endgültig überwunden, und endlich kann er ein paar Tage Ruhe genießen und sich von all dem Stress der letzten Wochen erholen.