Читать книгу Das Dorf Band 16: Tief gesunken - Karl Olsberg - Страница 4

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2. Die Sprache der Tiere

„Wann gibt es Fressen?“, fragt Paul, als sie zur Schmiede zurückkehren.

„Hör auf, mich dauernd danach zu fragen“, erwidert Primo genervt.

„Aber ich hab Hunger!“, nölt der Wolf. Dann stößt er ein grollendes Knurren aus. „Da ist ja schon wieder dieses blöde Biest! Na warte, diesmal krieg‘ ich dich!“

Er stürzt sich auf ein Huhn, das auf einem Grasblock in der Nähe herumpickt.

„Hilfe!“, kreischt das Huhn mit einer hohen, heiseren Stimme. „Ein Wolf! Ein Wolf will mich fressen! Wieso tut denn keiner was? Hilfe!“

„Bleib stehen!“, brüllt der Wolf, als er hinter dem fliehenden Huhn her hetzt. „Bleib endlich stehen! Ich will doch bloß spielen!“

Den Rest bekommt Primo nicht mehr mit, weil die beiden außer Hörweite verschwinden.

„Hallo, Golina“, sagt er, als er wieder zuhause ist. „Hallo, Nano. Äh, versteht ihr mich?“

„Primo!“, ruft Golina erschrocken aus. „What’s wrong with you? Why are you barking like a wolf? Is this supposed to be funny?“

„Cool!“, sagt Nano. „You’re sounding exactly like Paul, Dad!“

Primo schüttelt nur den Kopf.

Golina kommt zu ihm und fragt etwas in der seltsamen Sprache, die er noch vor gar nicht so langer Zeit verstanden hat, die ihm nun jedoch genauso unverständlich vorkommt wie das Gestammel der Fremden.

Da Primo nicht weiß, was Golina ihn gefragt hat, zuckt er nur mit den Schultern. Das scheint ihr nicht zu gefallen. Ihre Miene verfinstert sich. Sie sagt noch einmal etwas, laut und energisch. Primo sieht sie nur traurig an. Wie soll er ihr klarmachen, dass er nicht mehr versteht, was sie sagt?

Golina stemmt die Hände in die Hüften und sagt etwas.

„Es ... es tut mir leid, ich ... ich verstehe dich nicht“, stammelt Primo.

Das hat zur Folge, dass Nano einen Lachkrampf bekommt, während Golina wütend ins Schlafzimmer stapft und die Tür hinter sich zuknallt.

Na großartig! Die blöde Ruuna und ihre dämlichen Zaubertränke! Warum war er nur so dumm, schon wieder einen davon auszuprobieren?

Mit gesenktem Kopf verlässt Primo das Haus. Es ist wohl besser, er tritt Golina nicht mehr unter die Augen, bis sich die Wirkung des Tranks gelegt hat und er ihr alles erklären kann. Er beschließt, ein wenig spazieren zu gehen, überquert die Brücke über den Fluss und betritt die Ebene östlich des Dorfs. Dort trifft er auf Jarga, die ihre kleine Schafherde hütet.

„I hope you don’t have your stupid wolf with you“, ruft Jarga. „It always scares my sheep!“

„Ich verstehe leider nicht, was du sagst“, antwortet Primo.

Jarga runzelt die Stirn, während ihre Schafe aufgeregt durcheinanderblöken.

„Hilfe, ein Wolf!“

„Quatsch! Seit wann gehen denn Wölfe auf den Hinterbeinen? Das ist eine Knollnase, genau wie die Schafmutter!“

„Aber der Typ klingt eindeutig wie ein Wolf!“

„Vielleicht ist es ein Wolf im Schafspelz?“

„Blödsinn! Wenn überhaupt, dann ein Wolf im Knollnasenhemd!“

„Hilfe! Rette sich, wer kann!“

Die Schafe rennen in alle Richtungen davon.

„See what you did, you fool?“, schimpft Jarga. „You scared my sheep away with your stupid barking!“

„Ihr müsst keine Angst vor mir haben“, ruft Primo. „Kommt wieder zurück!“

„Der Wolf spricht Schafisch!“, ruft eines der Schafe.

„Umso schlimmer!“, ruft ein anderes.

„Ich bin kein Wolf“, erklärt Primo. „Ich habe nur einen Zaubertrank getrunken, der bewirkt, dass ich die Sprache der Tiere verstehe. Dafür aber nicht mehr die der Knollna... ich meine, der Dorfbewohner.“

„Ich wusste gar nicht, dass Knollnasen überhaupt eine Sprache haben“, sagt eines der Schafe, als es sich Primo misstrauisch nähert.

Auch die anderen fassen allmählich Mut und kommen näher.

„Wenn ... wenn du mich auffrisst, dann sage ich es der Schafmutter!“, droht ein Schaf, das jünger zu sein scheint als die anderen. „Dann kannst du aber was erleben!“

„Keine Angst, ich tue euch nichts“, sagt Primo.

Als sie sieht, dass die Schafe ganz zutraulich auf Primo zukommen, zieht Jarga eine Augenbraue hoch.

„Strange“, sagt sie. „They seem to be trusting you, although they hardly even know you. It’s almost as if you suddenly speak their language ...“

„Ich muss jetzt weiter“, sagt Primo zu den Schafen. „Es war nett, euch kennenzulernen.“

„Tschüss, Knollnase!“, rufen die Schafe und grasen wieder friedlich.

Er läuft ein Stück weiter, bis er eine Herde Kühe erreicht, die ihn misstrauisch ansehen.

„Vorsicht, eine Knollnase im Anmarsch!“, ruft eine von ihnen.

„Wenn der mir an den Euter fasst, nehme ich ihn auf die Hörner!“, meint eine andere.

„Nein, nein“, erwidert die erste Kuh. „Den hier hab ich schon mal gesehen. Ich glaube, der ist harmlos.“

„Aber er hat ein langes Messer, siehst du nicht? Bestimmt will er uns töten und Steaks aus uns machen!“

„Fängst du schon wieder mit diesem Unsinn an, Klara? Die Knollnasen trinken bloß unsere Milch. Sie würden uns niemals essen. Das sind bloß böse Gerüchte.“

„Aber du weißt doch, was mit Mathilde passiert ist“, widerspricht die Kuh namens Klara. „Erst war sie noch auf der Weide, dann war sie plötzlich weg, und hinterher hat es aus dem Dorf so komisch nach verbranntem Fleisch gerochen ...“

„Das bildest du dir bloß ein! Glaub mir, die Knollnasen sind alle Vegetarier, genau wie wir. Die essen nur Gemüse.“

„Hallo!“, sagt Primo.

Die Kühe glotzen ihn an.

„Du ... kannst ja muhen!“, stellt eine von ihnen fest.

„Ja“, bestätigt Primo. „Ich habe einen Zaubertrank getrunken, der es mir ermöglicht, mit Tieren zu sprechen, aber leider nicht mehr mit Dorfbewohnern.“

„Dann kannst du ja unseren Streit schlichten“, sagt die Kuh namens Klara. „Esst ihr Knollnasen Kuhfleisch oder nicht?“

Primo weicht dem Blick ihrer großen Augen aus. „Äh, also, na ja, ich ... ich muss jetzt leider weiter. Auf Wiedersehen!“

„Ich hab’s ja gewusst!“, ruft Klara.

„Gar nichts weißt du“, widerspricht die andere Kuh. „Er hat nicht ‚ja‘ gesagt.“

„Aber er hat auch nicht ‚nein‘ gesagt! Und hast du gesehen, wie der geguckt hat? Ein richtig schlechtes Gewissen hatte er!“

„Unsinn! Du sollst nicht immer so viel denken. Das steht uns Kühen nicht zu!“

„Du kannst ja das denken bleiben lassen. Aber ich lasse es mir jedenfalls nicht verbieten.“

Primo lässt die Kühe allein und erreicht bald eine kleine Gruppe von Schweinen. In der Nähe weiden die beiden Pferde, die Golina und Margi manchmal reiten.

„Hallo“, ruft Primo.

Die Schweine blicken ihn verdutzt an.

„Na sowas, ein Zweibein, das grunzen kann!“, sagt eines von ihnen.

„Ach du liebe Zeit!“, ruft ein anderes. „Meinst du, er hat was gehört?“

„Was soll er denn gehört haben?“

„Na, das, worüber wir uns gerade unterhalten haben, mit der Revolution und so ...“

„Pssst!“, grunzt ein drittes Schwein. „Benutz nicht dieses Wort, sonst schöpft das Zweibein noch Verdacht!“

Das zweite Schwein wendet sich an Primo. „Du, ähm, hast uns doch nicht belauscht? Hast du etwa gehört, wie wir über die Revolution geredet haben und darüber, dass wir euch Zweibeiner aus eurem Dorf ...“

„Sei doch still, du Dummkopf!“, grunzt das dritte Schwein. „Du verplapperst dich noch!“

„Was denn für eine Revolution?“, fragt Primo.

„Da hast du’s!“, sagt das dritte Schwein.

„Revolution?“, fragt das zweite scheinheilig. „Du musst dich verhört haben. Wir haben nicht über eine Revolution gesprochen und schon gar nicht darüber, dass wir euch Zweibeiner mit Hilfe der Kühe und Pferde aus eurem Dorf vertreiben wollen. Wir haben uns bloß darüber unterhalten, dass alle Tiere gleich sind.“

„Aber sagtest du nicht vorhin, einige Tiere wären gleicher als andere, Schorsch?“, wendet das erste Schwein ein.

„Natürlich sind sie das, Orwell“, erwidert Schorsch. „Oder denkst du etwa, wir Schweine stünden mit primitiven Kühen und Pferden auf einer Stufe?“

„Also, ich dachte immer, das mit der Revolution machen wir deshalb, weil die Zweibeiner sich für was Besseres halten und uns Tiere ausbeuten und deshalb ...“

„Wirst du wohl aufhören, dauernd von Revolution zu reden, du Pferdekopf!“, ruft das dritte Schwein. „Da kannst du unsere geheimen Pläne ebenso gut gleich diesem Zweibein ausplaudern ...“

Den Rest des Streits hört Primo nicht mehr, denn auf einmal erklingt aus einer Höhle im Boden nicht weit von ihm ein langgezogenes, dumpfes Stöhnen.

„Unnngh! Miiiir issst ssssooo laaaangweilllig!“

Verblüfft geht Primo näher heran. Anscheinend versteht er jetzt sogar die Nachtwandlersprache.

„Hallo?“, ruft er in die Dunkelheit.

„Unngh! Kommmm heeerrrr!“, erklingt es von unten. „Dannnn kannn ichhhh mmittt diiiir spiiielllen!“

Besonders freundlich klingt die Stimme nicht gerade. Primo entscheidet spontan, dass er keine Lust auf Nachtwandlerspiele hat.

Genau in diesem Moment hört er hinter sich eine zischende Stimme: „Zehn ... neun ... acht ...“

Er dreht sich erschrocken um und blickt in das grimmige Gesicht eines Knallschleichers, der sich von hinten angeschlichen hat.

„Nicht!“, ruft er. „Ich tue dir nichts!“

„Wie? Was?“, zischt der Knallschleicher. „Mist, jetzt hast du mich durcheinandergebracht! Wo war ich noch gleich?“

„Du musst doch nicht gleich in die Luft gehen“, erklärt Primo. „Lass uns in Ruhe über alles reden!“

„Ich glaube, ich war bei fünf“, antwortet der Knallschleicher. „Vier ... drei ... zwei ...“

„Nein!“, ruft Primo.

„Nein? Wo war ich denn dann?“

„Bei ... äh ... zweitausenddreihundertfünfzehn“, sagt Primo schnell.

„Echt jetzt? Bei zweitausenddreihundertfünfzehn? Bist du sicher?“

„Ja, ganz bestimmt.“

„Na gut. Zweitausenddreihundertfünfzehn ... zweitausenddreihundertvierzehn ... zweitausenddreihundertdreizehn ...“

In aller Seelenruhe dreht sich Primo um und spaziert zurück in Richtung des Dorfs, während der Knallschleicher weiterzählt.

Das Dorf Band 16: Tief gesunken

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