Читать книгу Das Dorf Band 16: Tief gesunken - Karl Olsberg - Страница 5

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3. Der Unbekannte

Als Primo zur Brücke über den Fluss marschiert, sieht er in der Ferne eine einsame Gestalt, die sich dem Dorf aus südwestlicher Richtung nähert. Ist das Olum? Nein, die Gestalt hat keine Angel. Sie trägt seltsame Kleidung, die aus der Distanz schmutzig und zerfetzt wirkt, fast wie die Lumpen eines Nachtwandlers. Wer oder was kann das sein? Ein unbekanntes Monster vielleicht?

Primo zieht sicherheitshalber sein Schwert und läuft auf die Gestalt zu. Es handelt sich offenbar um einen Dorfbewohner, doch Primo hat ihn noch nie zuvor gesehen. Seine Kleidung ist schmutzig und verschlissen und er geht leicht gebückt, so als sei er erschöpft.

Als der Unbekannte Primo mit gezücktem Schwert auf sich zu rennen sieht, erschrickt er, hebt die Hände und ruft etwas Unverständliches.

Primo bleibt stehen und steckt das Schwert wieder ein. Der Mann scheint aus einem weit entfernten Dorf zu kommen, in dem eine ganz andere Sprache gesprochen wird.

„Ich bin Primo“, sagt er. „Hab keine Angst, ich tue dir nichts.“

Der Unbekannte runzelt die Stirn und fragt etwas. Da fällt Primo ein, dass der Fremde ihn nicht versteht, weil er immer noch die Sprache der Tiere spricht. Er macht eine Geste, dass der Mann ihm folgen soll, und geht voraus zum Dorf.

Als die beiden den Fluss überqueren, werden sie von Olum entdeckt, der irgendetwas ruft und ins Dorf eilt, um die anderen zu alarmieren. Bald bildet sich eine Versammlung um Primo und den Unbekannten. Alle reden wild durcheinander. Schließlich tritt Priester Magolus vor, hebt die Arme, um für Ruhe zu sorgen, und sagt etwas. Der Fremde antwortet. Die beiden haben offenbar kein Problem, sich zu verständigen, während Primo bloß tatenlos danebenstehen kann.

Nachdem sie ein paar Worte gewechselt haben, wendet sich Magolus an Primo und fragt ihn etwas.

„Ich ... ich verstehe leider nicht, was du sagst“, erklärt Primo.

Daraufhin geht ein Raunen durch die Menge der Dorfbewohner. Golina, die zusammen mit Nano am Rand der Gruppe steht, schüttelt nur traurig den Kopf.

Gebell erklingt, das sich für Primo wie Worte anhört: „Was ist denn das für eine Knollnase? Der riecht aber merkwürdig! Der ist nicht von hier. Soll ich ihn sicherheitshalber beißen?“

„Lass den Unsinn!“, knurrt Primo. „Hier wird niemand gebissen!“

„Ich meine ja nur“, erwidert der Wolf. Dann bellt er: „Da ist ja wieder der Blechmann mit der fiesen Katze!“

Asimov! Primo fällt ein, dass er sich mit dem Skelett in der Höhle unter dem Dorf unterhalten konnte. Vielleicht kann er ja auch Tiersprache verstehen. Er eilt zu dem Golem, der versucht, Paul mit seinen Metallarmen daran zu hindern, an ihm hochzuspringen.

„Asimov, kannst du mich vielleicht verstehen?“

„Nein“, erwidert der Golem.

Verwirrt blickt Primo ihn an. „Wieso nein? Du hast doch verstanden, was ich gefragt habe, oder etwa nicht?“

„Bloß, weil ich deine Worte verstehe, heißt das noch lange nicht, dass ich auch deine Gedanken nachvollziehen kann. Ich versuche schon seit Langem, euch Knollnasen zu verstehen, aber das ist hoffnungslos. Ihr seid einfach zu seltsam.“

„Aber du kannst die Sprache der Tiere verstehen?“

„Ich habe eine Übersetzungsdatenbank für die meisten Tiersprachen, wie zum Beispiel Wölfisch, Schafisch, Rindisch, Schweinisch, Huhnisch, Fledermäusisch und natürlich Katzisch. Aber die Tiere haben mir auch nicht sagen können, warum ihr so seltsam seid.“

„Asimov, du musst Golina erklären, warum wir beide nicht miteinander reden können!“

„Tut mir leid, aber das ist mir zu hoch. Ich verstehe die Relativitätstheorie und die Schleifenquantengravitation, aber die Beziehung zwischen Mann und Frau ist mir viel zu kompliziert.“

„Du sollst ihr doch bloß sagen, dass ich von Ruuna einen Zaubertrank bekommen habe, durch den ich zwar jetzt mit Tieren sprechen kann, aber nicht mehr mit Dorfbewohnern.“

„Wenn das dein Problem ist, wieso gehst du dann nicht zu Ruuna und lässt dir ein Gegenmittel geben?“

Primo fasst sich an den Kopf. Natürlich! Warum ist er nicht selbst darauf gekommen? Er bedankt sich bei Asimov für den Tipp, ruft Paul zu sich und macht sich auf den Weg zur Hütte der Hexe.

„Wo gehen wir denn hin?“, fragt der Wolf.

„Zu Ruuna und Willert in den Wald“, antwortet Primo.

„In den Wald! Hurra! Da kann ich wilde Hühner und Kaninchen jagen!“

„Bleib lieber bei mir“, ermahnt ihn Primo, doch sobald sie den Fluss durchquert haben, ignoriert Paul die Anweisung, schnüffelt am Boden und folgt aufgeregt bellend einer Spur.

Als Primo an die Tür der Hütte klopft, öffnet ihm Willert.

„Oh, hallo Primo! Was führt dich zu uns?“

„Ich muss dringend mit Ruuna sprechen. Sie muss mir ein Gegenmittel für den Trank brauen, den sie mir gegeben hat.“

„Ruuna ist im Wald, Pilze suchen. Aber warum brauchst du denn ein Gegenmittel?“

„Seit ich diesen blöden Trank getrunken habe, kann ich zwar mit Tieren sprechen, aber Golina versteht mich nicht mehr, und ich sie auch nicht.“

„Bist du denn sicher, dass das an Ruunas Trank liegt?“

„Woran soll es denn sonst liegen?“

„Na ja, du weißt doch, Männer und Frauen sind nun mal sehr verschieden. Manchmal reden sie einfach aneinander vorbei.“

„Nein, das meine ich nicht. Ich verstehe wirklich kein einziges Wort! Es ist, als ob sie eine ganz andere Sprache spricht. Und nicht nur sie, auch die anderen im Dorf! Ich kann mit niemandem mehr sprechen außer mit Tieren und Monstern.“

„Und wieso sprechen wir beide dann miteinander?“, fragt Willert.

Primo starrt ihn verblüfft an. In seiner Aufregung ist ihm gar nicht bewusst geworden, dass er sich mit Willert ganz normal unterhalten kann.

„Hast du etwa auch von Ruunas Trank probiert?“

Willert schüttelt den Kopf. „Nein, das lasse ich lieber. Es reicht mir schon, dass sie hin und wieder mit ihren Experimenten unsere Hütte in die Luft sprengt.“

„Dann ... dann muss die Wirkung des Tranks von selbst abgeklungen sein“, folgert Primo.

In diesem Moment kommt Paul mit wedelndem Schwanz angelaufen.

„Paul, verstehst du, was ich sage?“, fragt Primo.

Der Wolf bellt.

„Hurra, mein Wolf hört nicht mehr auf mich!“, ruft Primo. „Die Wirkung des Zaubertranks ist vorbei!“

Er bedankt sich bei Willert und kehrt zurück ins Dorf. Dort hat sich die Menge inzwischen zerstreut. Als er nach Hause kommt, erlebt er eine Überraschung: Der Unbekannte mit der schmutzigen Kleidung sitzt am Esstisch, ein Stück Brot und einen Teller Suppe vor sich. Golina und Nano sitzen neben ihm.

„Hallo Golina“, ruft Primo. „Hallo Nano. Äh, hallo, Fremder!“

„Hörst du jetzt endlich auf mit diesem dämlichen Gebelle?“, fragt Golina.

„Och, schade“, meint Nano. „Ich fand es lustig!“

„Isch han schon gedaach, ihr sprecht en diesem Dörp all su“, sagt der Unbekannte.

„Was?“, fragt Primo.

„Er dachte, in unserem Dorf bellen alle wie Wölfe“, erklärt Golina.

„Jo, akkurat“, stimmt der Unbekannte zu. „Ming Name es üvrijens Nansen.“

„Ich bin Primo. Woher kommst du, Nansen, und was bringt dich zu uns?“

„Dat es en lange un traurige Geschichte. Ävver isch well se üch trotzdem verzälle.“

Das Dorf Band 16: Tief gesunken

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