Читать книгу Das Dorf Band 11: Der Graf - Karl Olsberg - Страница 5

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3. Der Besuch des Grafen

Golina sieht verträumt aus dem Fenster. Drei Tage ist es jetzt her, dass der Bedienstete des Grafen im Dorf war. Die Aufregung hat sich längst gelegt. Selbst Hakun, Kaus und Olum verhalten sich wieder halbwegs normal.

Kurz nach dem Notchdienst gab es noch einmal Streit: Um ihr zu beweisen, dass er der wichtigste Dorfbewohner sei, wollte Hakun Jarga ihre Schafe abkaufen. Doch die Schäferin weigerte sich.

„Die kannst du dir gar nicht leisten“, sagte sie.

„Was? Ich soll mir die nicht leisten können? Ich habe viel mehr Smaragde als du!“

„Na und? Wie viele Smaragde hast du denn?“

„Zehn.“

„Na, so ein Pech. Ein Schaf kostet nämlich elf.“

„Was? Wie? Elf Smaragde für ein Schaf? Spinnst du?“

Jarga grinste. „Da siehst du es: Meine Schafe sind viel mehr wert als deine doofen Hühner!“

„Ich habe genug Smaragde, um dir ein Schaf abzukaufen“, sagte Olum. „Ich habe nämlich mehr als der Doofmann da.“

„Wer ist hier ein Doofmann?“

„Gut, dann gib mir elf Smaragde und ich gebe dir ein Schaf“, sagte Jarga.

„Äh, halt, Moment, dann hab ich ja bloß noch einen Smaragd übrig.“

„Richtig, und ich bin dann die reichste Frau im Dorf.“

„Kommt nicht infrage!“, rief Olum. „Was soll ich denn mit deinem doofen Schaf? Ich behalte lieber meine Smaragde.“

„Wie du willst.“

Seit sie erkannten, dass sie mit ihren Smaragden doch nicht alles kaufen können, verhielten sich die drei Neureichen etwas weniger großspurig, und es kehrte wieder Ruhe im Dorf ein.

Golina jedoch kann den seltsamen Besucher nicht vergessen. Wie vornehm er war, und wie höflich! Noch nie zuvor hat sie jemand „werte Dame“ genannt. Sie versucht, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn sie auch so einen Bediensteten hätte, der für sie einkaufen geht, ihr Haus aufräumt und saubermacht, vielleicht sogar für sie kocht. Was für ein herrliches Leben wäre das!

Natürlich weiß sie, dass es ihr gut geht und sie keinen Grund hat, zu klagen. Nano ist ein aufgeweckter Junge, und sie ist sehr stolz auf ihn, ebenso wie auf Primo, der zwar immer wieder Chaos anrichtet und sich in nervenaufreibende Abenteuer stürzt, jedoch mutig und tapfer ist und für sie und das Dorf kämpft. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen ...

Ein Schrei von draußen reißt sie aus ihren Gedanken: „Er kommt zurück! Der Fremde kommt zurück!“

Paul bellt wütend, als hätte er die Worte verstanden. Golina sperrt ihn sicherheitshalber im Haus ein. Im Nu steht sie am Rand des Dorfs, wo sich bereits eine große Gruppe von Dorfbewohnern gebildet hat, um den Besucher zu begrüßen. Einige haben gleich ihre Waren mitgebracht und preisen diese lautstark an:

„Eier! Wunderbare, herrliche, leckere Eier!“

„Milch! Direkt von der Kuh!“

„Fische! Ganz fisch gefrischt ... ich meine, äh, frisch gefischt ...“

„Schafe mit kuschelweicher Wolle! Heute im Angebot, nur zehn Smaragde das Stück!“

Sogar Golinas Mutter hält einen Kuchen hoch und ruft lauthals: „Leckere Torte! Extra für den werten Herrn Graf gebacken!“

Doch der Besucher beachtet sie gar nicht. Er geht direkt auf Magolus zu.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass der werte Herr Priester hier so etwas wie der Dorfvorsteher ist?“, fragt er.

Magolus richtet sich zu voller Größe auf. „In der Annahme geht der werte Herr allerdings recht.“

„Nun gut, ich habe eine Ankündigung zu machen. Mein Herr, der Graf, beabsichtigt, diesem bescheidenen Dorf seine Aufwartung zu machen.“

„Auf was wartet er denn?“, fragt Magolus.

Der Fremde rollt mit den Augen. „‚Seine Aufwartung machen‘ bedeutet, er wird euer Dorf höchstpersönlich besuchen, und zwar morgen Mittag. Ich nehme an, ihr wollt einen angemessenen Empfang vorbereiten. Ich wünsche noch einen angenehmen Tag.“

Damit dreht er sich um und geht.

„Ha!“, sagt Magolus. „Ihr habt es ja alle gehört, ich bin hier der Dorfvorsteher! Der weiß eben, was sich gehört, der vornehme Herr. Los jetzt, alle an die Arbeit! Wir müssen einen Empfang vorbereiten!“

Kurz vor Mittag des nächsten Tages ist alles für den Besuch des Grafen vorbereitet. Tische stehen am Rand der Schlucht, geschmückt mit Blumen und bedeckt mit allen Speisen, die das Dorf zu bieten hat: frischem Brot, gebratenen Hühnchen, Rinder- und Schweinebraten und leckeren Torten. Golina hat als Vorspeise einige Schüsseln mit Pilzsuppe dazu gestellt, obwohl sie befürchtet, dass niemand sie mögen wird. Paul hat sie im Haus eingesperrt. Er scheint Fremde nicht sonderlich zu mögen, und sie hat Sorge, dass er den Grafen anknurren könnte, was ihr entsetzlich peinlich wäre.

Auch Ruuna und Willert sind gekommen, um den Besuch des Grafen zu erleben. Und so stehen sie zusammen mit allen Dorfbewohnern pünktlich zur Mittagszeit an der Brücke und starren nach Osten, als fünf Gestalten über die Ebene auf sie zu spazieren. Vier davon tragen dieselbe Kleidung wie der Bedienstete, der schon zweimal im Dorf war. Zwischen ihnen geht ein Mann, der eine elegante schwarze, mit Gold besetzte Robe trägt. Seine graue Haut lässt ihn ein wenig kränklich erscheinen, doch er schreitet stolz und würdevoll mit hoch erhobenem Haupt zwischen seinen vier Bediensteten auf das Dorf zu.

Als die fünf die Brücke überqueren, begrüßt sie Magolus mit einer Verbeugung.

„Ihr, Verehrtester, müsst der Graf sein“, sagt er zu dem Mann in der schwarzen Robe. „Es ist uns eine Ehre, Euch in unserem bescheidenen Dorf willkommen zu heißen.“

„Die Ehre ist ganz auf meiner Seite“, sagt der Graf höflich und verneigt sich ebenfalls. „Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft!“

Magolus führt die Besucher den Dorfweg entlang zur Wiese neben der Schlucht. Die vier Bediensteten marschieren schweigend vor und hinter ihm, während der Graf seiner Freude über diesen Besuch Ausdruck verleiht.

„Nein, wie entzückend!“, ruft er aus. „Was für ein hübsches Dorf! Ich beneide euch darum, hier wohnen zu dürfen. Diese niedlichen kleinen Häuschen, und dieser wundervolle Kiesweg. Sogar eine Schmiede gibt es hier! Und diese zauberhafte Dorfkirche! Wirklich, ich glaube nicht, dass ich jemals einen hübscheren Ort gesehen habe.“

Golina sieht sich um. Auf einmal erscheint ihr das Dorf viel schöner als sonst. Sie ist glücklich darüber, dass der Graf die Schmiede, in der sie mit Primo und Nano wohnt, extra erwähnt hat. Auch die anderen Dorfbewohner freuen sich sichtlich über das Lob. Besonders Magolus platzt fast vor Stolz.

„Aber das wäre doch nicht nötig gewesen!“, ruft der Graf aus, als sie schließlich die Wiese neben der Schlucht erreichen. „Ihr habt doch nicht etwa dieses Festmahl nur mir zu Ehren vorbereitet?“

„Äh, doch“, sagt Magolus.

Er lädt den Grafen ein, sich ans Kopfende der Tafel zu setzen. Auch für die vier Bediensteten sind Plätze vorhanden, doch sie ziehen es vor, sich links und rechts von ihrem Herrn zu postieren, und stehen die ganze Zeit nur reglos da.

„Lieber Graf, anlässlich Eures Besuchs haben wir dieses kleine bescheidene Festmahl mit Spezialitäten aus unserem Dorf hergerichtet. Falls es Euch mundet, könnt Ihr anschließend einige der Erzeugnisse auch käuflich erwerben.“

Er zeigt auf einige Holzkisten, auf denen die Dorfbewohner ihre Waren ausgestellt haben. Sogar ein kleiner Stand mit Ruunas Zaubertränken ist dabei.

„Nun aber möchte ich den Segen für dieses Mahl sprechen. Notch unser, der du bist im Himmel ...“

Das Gesicht des Grafen verzieht sich, als hätte er etwas Schlechtes gegessen.

„Bitte, bitte, macht nur nicht so ein Aufhebens um meine Person“, unterbricht er Magolus. „Lasst uns doch einfach anfangen, zu essen. Umso eher kann ich Eure köstlichen Waren kaufen!“

„Aber ...“, beginnt Magolus, wird aber sogleich von Hakun unterbrochen, der ihn lautstark auffordert, mit dem Gequatsche aufzuhören, damit man zum geschäftlichen Teil des Besuchs kommen könne.

„Äh, na gut“, sagt der Priester. „Aber bevor wir beginnen, haben wir noch eine kleine Überraschung vorbereitet. Unter der Leitung meiner Mitarbeiterin Birta wird Asimov, unser Golem, für Euch ein kleines Ständchen zur Begrüßung singen. Natürlich nur, wenn es Euch nichts ausmacht.“

„Ein singender Golem? Das ist ja allerhand!“, ruft der Graf erstaunt aus.

„Asimov, bitte!“, sagt Magolus.

„Aber ich hab doch schon gesagt, ich kann nicht singen!“, protestiert der Golem.

„Keine Widerrede!“, herrscht ihn Birta an. „Du musst tun, was ich dir sage!“

„Aber was, wenn jemand durch meinen Gesang zu Schaden kommt?“

„Los jetzt, Golem! Keine Ausflüchte mehr!“

„Na gut. Du hast es so gewollt.“

Der Golem stakst mit steifen Schritten auf die Wiese. Während er rhythmisch Arme und Beine schwingt und auf der Stelle hüpft, beginnt er mit seiner schnarrenden Stimme eine Art Sprechgesang:

„Der Graf, der Graf,

der ist kein Schaf.

Erst tut er freundlich und nett,

dann wandelt er sich komplett.“

Während er singt, fuchtelt Birta aufgeregt mit den Armen und ruft: „Stopp! Aufhören! Das ist ja der ganz falsche Text!“

Doch der Golem ignoriert sie einfach und singt weiter:

„Der Graf, der Graf,

ist gar nicht brav.

Was immer er auch plant,

ist böse, wie mir schwant.

Der Graf, der Graf,

schickt euch in Schlaf,

aus dem ihr nie mehr erwacht,

weil er zu Sklaven euch macht.“

Die Miene des Grafen verfinstert sich während der Aufführung immer mehr. Als Asimov endlich endet, herrscht angespannte Stille. Es ist offensichtlich, dass der Golem ihren Besucher tödlich beleidigt hat.

Das Dorf Band 11: Der Graf

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