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Gestrandet

Von Ute Scharmann

Ixiane erwachte und stellte fest, dass ihr alles weh tat, oder doch vieles. Und dass sie Hunger hatte. Und dass sie beobachtet wurde.

Vorsichtig, um nicht von dem Felsen, auf dem sie vor ein paar Stunden gestrandet war, abzurutschen, richtete sie sich auf und sah die Möwe, die auf dem kleinen Nachbarfelsen saß und zu ihr herübersah.

»Wolltest du auch zum Meerjungfrauenkongress?«

»Ja, wie kommst du darauf?«

»Oh, du bist nicht die Einzige, die sich verschwommen hat.

Anscheinend stimmte etwas mit der Ausschilderung nicht. Ist aber nicht weit von hier. Ein paar Kilometer weiter in die Förde hinein und dann liegt auf der rechten Seite das Kongressbecken.«

Ixiane stöhnte innerlich auf. So eine Schlaumeiermöwe. Typisch, die wussten immer alles und das ganz genau. Kein Wunder, von oben hatte man vermutlich einen tollen Überblick.

»Na ja, ich habe da noch ein anderes Problem.«

Oh je, dachte Möbia, typisch! Diese Meerjungfrauen waren dafür prädestiniert, Probleme zu haben. Heute hatte sie schon eine von ihnen gerettet, die sich mit ihrem Muschelohrring in einer Angel verfangen hatte. Warum musste man auch mit Ohrringen ins Wasser gehen?

Vermutlich war dieser Kongress in Wirklichkeit ein Schönheitswettbewerb. Dafür sah dieses vor ihr gestrandete Exemplar allerdings reichlich ramponiert aus. Vielleicht sollte sie direkt wieder wegfliegen und diesen Problemfall für einen anderen Retter auf dem Felsen zurücklassen. Aber da hatte das Fräulein schon mit der Jammertirade begonnen. Hunger hatte sie und irgendein Problem mit dem Scheuerelement ihrer Schwanzflosse.

Mit Schwanzflossen kannte sich Möbia nicht aus, mit Hunger allerdings umso besser.

»Ich guck mich mal nach etwas Essbarem um, und dann können wir ja über dieses Scheuerelement sprechen.«

Sie war schon in der Luft, als sie die Piepsstimme vom Felsen hörte: »Steuerelement!«

Ixiane versuchte, sich etwas bequemer auf dem Felsen einzurichten.

Zu ärgerlich, dass sie am Vortag nicht noch mal bei Wassermann vorbeigeschwommen war, um den Mobilitätscheck machen zu lassen.

Jetzt saß sie hier fest, auf Gedeih und Verderb auf diese Schlaumeiermöwe angewiesen. Bestimmt war der Kongress im Geomar-Becken inzwischen eröffnet worden, und inzwischen hatte auch längst der Themenkreis ›Die Rolle der Meerjungfrau in Oper und Literatur‹ seine Arbeit aufgenommen – ohne sie, die sich doch seit drei Monaten darauf vorbereitet hatte, ihre Thesen zu Realität und künstlerischer Verklärung vorzutragen.

Zu allem Ärger mit der Schwanzflosse war dann beim Aufschwung auf diesen Felsen ihr Nixaphon in den Wellen versunken. Sie konnte niemand zu Hilfe rufen, niemand informieren …

Während Ixiane sich immer mehr bedauerte, hätte sie fast übersehen, dass die Möwe im Anflug war. Diesmal landete sie direkt neben ihr und legte ein appetitlich aussehendes Fischbrötchen vor ihr ab.

»Sorry, ist nur ein halbes. Die Frau, der ich es abgejagt habe, hat gekämpft, als sei es das einzige Fischbrötchen am Schönberger Strand.«

Ixiane besah das Brötchen, und etwas wie Anerkennung für die Schlaumeiermöwe regte sich in ihr.

»Das sieht doch super aus! Brathering mit Salatblättern und Zwiebeln. Also echt, mein Lieblingsfischbrötchen. Sehr schwer zu bekommen. Wie hast du das gemacht?«

»Aus der Luft kein Problem. Objekt erspäht, ein bisschen herumgeflattert und dann: Attacke! Die Brötchen aus der Hand sind die besten, sind immer ganz frisch. Ich hasse diese Papierkorbabsucherei.«

»Das war köstlich. Du solltest ein Catering aufmachen«, schlug Ixiane vor, als sie ihre Mahlzeit beendet hatte.

»Jetzt bleibt noch die Frage, wie ich von diesem Felsen wegkomme.«

»Habt ihr denn nicht so etwas wie einen Abschleppdienst?«

»Ja, schon, aber mein Nixaphon ist mir aus der Tasche gerutscht.«

»Hier?«

»Es muss irgendwo da unten im Wasser sein, und ohne das Steuerelement der Flosse kann ich nicht tauchen.«

»Sieht aus, als hättest du ein ziemlich dickes Problem: totaler Technikausfall sozusagen.«

Möbia hatte sich wieder auf den Nachbarfelsen zurückgezogen und den Kopf unter ihren Flügel gesteckt.

»Hey«, kam die Piepsstimme vom großen Felsen, »willst du jetzt einschlafen?«

»Nein, nachdenken, und dafür brauche ich Ruhe.«

Als sie wieder unter dem Flügel hervorsah, war eine Viertelstunde vergangen und Ixiane inzwischen überzeugt, die Möwe sei in ein Nickerchen abgetaucht.

»Also, ich habe eine Idee«, verkündete Möbia. »Kann aber ein bisschen dauern.«

Weg war sie.

Während sie auf die Möwe wartete, bekam Ixiane Besuch von einer Entenfamilie. »Mama, kiek mol, dor sitt een Fisch mit Hoare!«, rief eines der Entchen im Vorbeischwimmen. Die Entenmama entschuldigte sich umständlich für ihr vorlautes Kind und wünschte einen schönen Tag.

Schöner Tag, dachte Ixiane, wie soll das ein schöner Tag sein, wenn ich hier so auf dem Präsentierfelsen hocke. Komme mir schon vor wie die Kollegin in Kopenhagen.

In der Ferne hörte man das Knattern eines Motorbootes, und als es näherkam, landete die Möwe wieder neben Ixiane.

»Mein Freund Enno.« Mit dem Flügel zeigte sie in Richtung Motorboot. »Er arbeitet bei der Seenotrettung. Er wusste gleich Bescheid, als er mich sah. Du bist nicht die einzige Kongressteilnehmerin, die er heute aufgelesen hat. Er hat ein Schleppnetz dabei, da kannst du reinrutschen, und dann bringt er dich zum Kongressbecken.«

Ixiane konnte ihr Glück kaum fassen. Diese Möwe war schlau und großartig. »Wie kann ich dir nur danken …«

»Da nich für.«

»Und Enno?«

»Der macht seinen Job. Aber … mach keine Sperenzchen mit ihm. Enno ist verheiratet und hat drei nette Kinder …«

»Was denkst du …«

»Na ja, man liest ja so alles Mögliche über euch Meerjungfrauen …«

»Pah«, schnaubte Ixiane und hätte fast wieder Schlaumeiermöwe gedacht.

»Wenn ein Mensch in der Nähe ist, bin ich stumm wie ein Fisch.« Mit diesen Worten glitt sie vom Felsen in das Schleppnetz.

Eine Viertelstunde später war sie im Kongressbecken angekommen. Bevor sie sich in die Werkstatt einschleusen ließ, bestellte sie ein Fischbrötchen für die Möwe und ein Bier für Enno.

Anmerkung

Für alle, die das kleine Entchen nicht verstanden haben, hier die Übersetzung: ›Mama, guck mal, da sitzt ein Fisch mit Haaren.‹

Von Lübeck bis Laboe

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