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1. Dezember 1802

IN SICHERHEIT

Kloster Malgarten bei Bramsche,

zwei Stunden vor Mitternacht

Es war stockdunkel und kalt im Kloster Malgarten. Nur in einer der Klosterzellen brannte noch ein kleines Kerzenlicht in einer alten Laterne, von draußen kaum zu sehen. Aber wer hätte es auch sehen sollen? Die Menschen in der Umgebung hatten sich in ihren Höfen und Hütten vor dem Winter verkrochen, und die Nonnen, die im Kloster Malgarten beteten, lebten und arbeiteten, schliefen längst. Alle, bis auf eine junge Nonne, die mit umgehängter dicker Decke über der Ordenstracht an ihrem kleinen Tisch saß und mit klammen Fingern eine Mischung aus Wachs und Ruß knetete.

Endlich war sie zufrieden und steckte sich den kleinen Knubbel in den Ärmel, damit er weich blieb. Sie stand auf, griff nach der Laterne und ging leise zur Tür. Die Scharniere hatte sie noch gestern geölt, deshalb konnte sie die Tür fast lautlos öffnen. Sie horchte. Nichts. Der Flur lag dunkel und kalt vor ihr. Die Nonne machte sich auf den Weg nach unten. An der Treppe zögerte sie. Drei der Stufen quietschten, also begann sie fast lautlos zu zählen.

„Eins, zwei – großer Schritt – vier, fünf, sechs, sieben – großer Schritt – neun – großer Schritt.“ Geschafft! Die letzten Stufen nahm sie lautlos. Sie wandte sich am Fuß der Treppe nach rechts und ging zur Tür des Äbtissinnenhauses. Zum Glück trug sie den Schlüssel in ihrer Tasche, ebenso wie die Schlüssel zur Kirche und zu den Wirtschaftsgebäuden. Die Nonne seufzte. Bald war hier alles vorbei, dabei liebte sie das Leben in Malgarten, und das Kloster sowieso.

Mit kleinen Schritten überquerte sie den Platz vor dem Äbtissinnenhaus und schlich dann durch die Grabstätten vor der Kirche. Sie fürchtete sich nicht vor den Toten; die Lebenden, die Wegelagerer und Diebe, die draußen vor den Toren Malgartens lauerten, machten ihr viel mehr Angst. Entschlossen steckte sie den Kirchenschlüssel ins Schloss und drückte die Klinke hinunter. Das Kerzenlicht erleuchtete kaum einen Umkreis von ein paar Metern, aber ihre Augen hatten sich inzwischen an das ständige Halbdunkel gewöhnt, und sie wusste genau, wo sie hinwollte.

Endlich, da waren sie, die Figuren, die die Geburt Jesu darstellen sollten. Ein Schnitzer aus Bramsche, der nahe gelegenen Siedlung, hatte sie vor Jahren dem Kloster geschenkt, und die Äbtissin hatte sie – wie jedes Jahr vor Weihnachten – gestern in der Kirche aufstellen lassen. Die Nonne nahm die heilige Maria in die Hand und sah sich noch einmal um. Sie war allein. Sie zog ein kleines Messerchen aus ihrer Tasche und drehte die Figur um. Dann schob sie mit der Spitze des Messers ein winziges Stückchen Holz nach hinten. Darunter kam ein Hohlraum zum Vorschein. Den hatte die Nonne in den vorangegangenen Nächten geschnitzt, als die Krippe noch in der Sakristei gestanden hatte. Sie legte das Messer weg und zog ein kleines Holzplättchen am Boden der Figur hervor, das sie in ihrer Kutte vorbereitet hatte. Sie steckte es in den Hohlraum und schob den Holzspan wieder davor. Mit der Wachs-Ruß-Masse aus ihrem Ärmel verklebte sie den Span. Zur Sicherheit zerrieb sie noch etwas von der Masse unter dem Sockel. So verfuhr sie auch mit allen anderen Figuren, damit sie von unten gleich aussahen. Nach einer letzten Kontrolle machte sie sich auf den Rückweg.

Jetzt stand ihrer Abreise in ein anderes Kloster nichts mehr im Wege. Zurück in ihrer Klosterzelle ließ sie sich auf das Bett sinken und dachte über alles nach.

Zehn Jahre war es nun her, dass sie als Nonne hierher ins Kloster gekommen war. Damals hatte ihr Vater, ein verarmter Landadliger, ihr eine kleine Schatulle in die Hand gedrückt und mit Tränen in den Augen gesagt: „Falls du es dir anders überlegst. Oder wenn du mal etwas brauchst. Nimm das mit, für Notfälle.“

„Aber“, hatte sie damals gestottert, „ich darf doch keine weltlichen Güter mit ins Kloster nehmen.“

„Kind, es sind unruhige Zeiten. Niemand muss es erfahren. Betrachte es als Leihgabe deiner Eltern, bitte.“

Und so hatte sie die kleine Schatulle seit Jahren in ihrer Zelle unter den Holzbodendielen versteckt. Darin befanden sich drei Silbertaler und die Goldkette mit dem kleinen Kreuz, die ihr bei ihrer Geburt umgelegt worden war. Außerdem eine Abschrift ihrer Geburtsurkunde und ein Brief ihrer Eltern, in dem sie schrieben, dass sie jederzeit wiederkommen könne. Aber die Nonne fühlte sich berufen, Gott zu dienen. Sie hatte ihre Eltern nur noch zweimal gesehen. Demnächst würde sie sie vielleicht besuchen dürfen, bevor sie dann ins neue Kloster eintrat.

So, dachte sie, die Schatulle ist in Sicherheit. Sie hatte endlich ein absolut sicheres Versteck gefunden. Das Holzplättchen in der Marienfigur war ein Hinweis für den glücklichen Finder. Vielleicht sollte sie zur Sicherheit noch einen zweiten Hinweis in ihrer Bibel unterbringen? Wer weiß, ob jemals jemand den Holzspan finden wird.

Aber das konnte sie später auch noch tun. Erstmal musste das genügen.

Und das alles nur, weil die Wege nicht mehr sicher sind, dachte die Nonne. Die Schatulle mit in das neue Kloster zu nehmen traute sie sich nicht. Selbst Kirchenleute wurden überfallen, so groß war die Not im Land. Sie legte sich angezogen aufs Bett und zog die dicke Decke über sich. Bis zum ersten Morgengebet waren es nur noch wenige Stunden. Mit einem Psalm auf den Lippen schlief sie lächelnd ein.


EINE GEHEIMNISVOLLE ENTDECKUNG

Heute Nachmittag, Kloster Malgarten

Josefine und Johannes, genannt Josie und Jo, die zehnjährigen Zwillinge des Forstverwalters und seiner Frau, rannten die Treppe im Torhaus hinunter.

„Wir sehen uns nochmal die Krippe an“, rief Jo mit einem Blick ins Wohnzimmer.

„Ist gut, aber fasst nichts an!“, sagte die Mutter und las weiter in ihrem Buch.

„Nö, wir doch nicht“, lachte Josie, schnappte sich die Winterjacken, warf ihrem Bruder seine zu, und weg waren sie. Sie rannten den gepflasterten Weg zur Kirche, öffneten das Friedhofstor und liefen weiter zur Kirchentür. Nach einem kurzen Blick hinein flüsterte Jo: „Keiner da. Komm.“

An den großen Tannen in der Kirche, die extra fürs Weihnachtsfest aufgestellt worden waren, brannten glänzende Lichterketten. Sie gingen bis zum Krippentisch, auf dem der Küster die Figuren in eine Landschaft aus Tannenzweigen und Christsternen gestellt hatte.

„Schön, oder?“, fragte Josie, die sich wie jedes Jahr freute, wenn endlich die Figuren aufgestellt wurden. Josie war eine Leseratte, die spannende und romantische Geschichten liebte. Die Weihnachtsgeschichte fand sie immer besonders faszinierend. Im Gegensatz zu ihrem dunkelhaarigen, fünf Minuten älteren Zwillingsbruder war Josie blond und hatte sehr lange Haare, die sie am liebsten als Pferdeschwanz trug. Und sie war nicht nur viel zurückhaltender als ihr Bruder, sondern auch wesentlich vorsichtiger.

„Ja.“ Ihr Bruder Jo war zwar kein Draufgänger, aber er war ein echter Junge und, was Josie toll fand, ein Mathe-Ass. Was wiederum manchmal störte, war Jos Neugier. Und diese Neugier war sozusagen der Startschuss für die folgenden Abenteuer.

Jo ging näher an die Krippe heran. Dann ruckelte er an einem Zweig.

„Was machst du?“, zischte Josie. „Wir sollen nichts anfassen.“

„Die Maria steht schief“, flüsterte Jo.

„Lass sie doch.“

„Nein, warte mal, ich hab’s gleich.“ Er beugte sich vor und zog am Zweig unter der Figur. Plötzlich wackelte die Maria und fiel mit einem leisen „Tock“ zur Seite. Direkt zwischen Ochs und Esel.

„Du …, du …“, keuchte Josie, aber ihr Bruder schüttelte nur abwehrend den Kopf und beugte sich noch weiter vor. Mit den Fingerspitzen erreichte er die Figur und zog sie Stück für Stück zu sich nach vorne.

Er griff danach und sah sie sich mit seiner Schwester fasziniert an. Plötzlich stutzte Josie. „Gib mal her“, flüsterte sie.

„Nein, ich stell sie lieber zurück.“

„Nein!“, zischte sie und nahm ihm die Figur aus der Hand. „Du hast sie kaputt gemacht. Da unten hat sich was gelöst.“

„Was? Wo?“

„Na hier.“ Sie kratzte mit dem Fingernagel an dem Sockel, als sich ein Holzspan von der Größe eines Daumennagels löste und zwischen die Tannenzweige fiel. Josie hielt die Figur mit klopfendem Herzen fest. „Da ist ein Loch drin“, sagte sie.

„Seh ich auch. Sieh mal nach …“ Weiter kam er nicht, weil sie hörten, dass die Kirchentür geöffnet wurde. Jo riss Josie die Krippenfigur aus der Hand und beugte sich vor. Kaum stand die Muttergottes an ihrem Platz, als die Kinder die Pendeltür hörten. Sie sahen sich um. Der Küster! Jo und Josie lächelten erleichtert.

„Na, Kinder? Gefällt euch die Krippe?“, fragte er freundlich.

„Ja, sehr.“

„Ich schließe hier gleich ab. Muss nur noch das Licht ausmachen, aber ihr könnt ja morgen wiederkommen.“

„Machen wir“, sagte Jo. Er zog Josie am Ärmel hinter sich her.

Als sie draußen waren, sagte er aufgeregt zu seiner Schwester: „Da war was drin, in dem Loch, hast du das auch gesehen?“

„Nein“, sagte Josie, „ich habe doch gar nicht richtig geguckt.“

„Halt, ihr beiden“, ertönte die Stimme des Küsters von der Kirche her. „Habt ihr die Krippenfiguren angefasst?“

„Wieso?“

„Na, ich dachte, die stünden irgendwie anders … Die sind sehr alt, wisst ihr. Mehr als zweihundert Jahre. Also, nicht anfassen!“ Er ging weiter zur Sakristei.

„Kriegsrat?“, flüsterte Jo.

Seine Schwester nickte.

Am Abend saßen sie an Jos Kinderzimmerfenster oberhalb des Tores und überlegten. Jos Fenster zeigte zum Kloster hinaus, das von Josie zur Straße. Es hatte begonnen zu stürmen und zu regnen. Niemand war draußen auf dem Klostergelände. Bei dem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür, sagte ihr Opa immer. Auf einmal krachte es von irgendwoher, und der Strom fiel aus. Jo und Josie blieben ganz ruhig. Es konnte gut sein, dass der Strom innerhalb von Minuten wieder da sein würde. Das kam hier öfter vor. Sie hatten die Arme auf dem Fensterbrett abgestützt und blickten immer noch nachdenklich in die Nacht.

Plötzlich stieß Josie ihren Bruder an und deutete nach unten. Der Strahl einer Taschenlampe bewegte sich unter ihnen durch das Tor. Den Träger der Lampe konnten sie nicht erkennen. Zielstrebig bewegte er sich Richtung Kirche, bis er im Dunkeln verschwand. Sie drückten sich die Nasen an der Scheibe platt, da gingen die Lampen wieder an. Plötzlich ertönte von der Kirche Geschrei, und ein Mann rannte von dort aus in ihre Richtung, genau auf das Torhaus zu. Sie sahen nur noch, wie er unter dem Torbogen hindurch in Richtung Straße rannte.

Was war geschehen?

Die drei Klosterkids

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