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Zweiter Aufzug
ОглавлениеErste Szene
Gemach bei Glebof.
Eudoxia ruht mit geschloßnen Augen in einem Lehnstuhl.
Glebof steht zur Seite, düster, in sich gekehrt.
GLEBOF.
Der erstgeborne Teufel, der Regent
Der andern all', heißt Ungenügsamkeit! –
O mir ist weh! – Mein junges Weib ging von mir.
»Stephan,« sprach sie, und blickte stolz auf diese,
»Ich will in meines Vaters Haus zurück.«
»Natalia«, sagt' ich, »warum das mir?« – »Stephan,
Du weißt es ja.« –
Ja wohl, ich weiß es. Oh! – –
Nach einer Trän' in ihrem Auge späht' ich,
Sie sah gelassen aus. Ich schwör': der Schmerz
Besaß die zarte Brust wie ein Tyrann,
Doch weint sie nie! Sie hat gelächelt, als
Des Pfuschers Hand sie folterte. – So ging
Sie ohne Abschied, schweigend, leise, wie
Ein Traum der Unschuld uns verläßt, wenn uns
Die Nacht zurückgetäuscht in alte Reinheit.
O Gott, welch schwarzer Böse wicht bin ich!
Ein König gäbe seine Kron' um sie!
Ein Heil'ger fühlte seine Seligkeit
Erhöhter, säh er sie! – Und ich verwarf sie!
Es ist ein Glück für sie. Nur keine Reu!
In dieser Brust gedeiht bloß Lolch und Schierling.
An unser männlich Werk!
Er nähert sich Eudoxien und berührt sie.
Eudoxia!
EUDOXIA fährt heftig empor.
Zerschmolz das moskowitsche Eis?
GLEBOF.
Die Guten!
Ihr habt sie so gerührt. Bist du denn endlich
Nun bei dir selbst? Kannst du ein ruhig Wort
Vernehmen?
EUDOXIA.
Aus dem Palast weggestoßen
In schale Wüstenei! ...
GLEBOF.
Um eine Buhl'rin.
EUDOXIA.
Gekröntes Gestern, ausgehöhntes Heut!
Beschimpft, zerfetzt ...
GLEBOF.
Ein pflichtgetreues Weib.
EUDOXIA.
Aus tausend Wunden blutend ...
GLEBOF.
Um 'ne Buhl'rin.
EUDOXIA.
Zerrbild 'ner Königin! ...
GLEBOF.
Tod und Elend!
EUDOXIA.
Spott!
Belachte Schmach! Zielscheib' des Ärgernisses!
O Glebof, kalter, frecher, höhn'scher Glebof,
Mir ist hart mitgespielt!
GLEBOF.
Gib dich nur hin
Dem eitlen Wortgeräusch! Verdirb die Zeit,
Die unersetzliche, mit leerer Klage!
Verstöre meinen Plan, zerbrich mein Werk!
Mich dünkt, schon naht auf tück'schen Augenblicks
Windflücht'ger Schwinge das Verderben.
EUDOXIA.
Glebof!
Ach, warum schicktest du den Boten mir
In Susdals Gruft, und hießest mich zum Leben,
Zur Hoffnung neu erwachen? Sieh, die Schlangen,
Die mir das Blut vom Herzen abgetrunken,
Waren eingeschlafen in dem Moderduft
Von Susdals Halle. Weh! Im Strahl des Lichts,
Am Frühlingswehn der Freiheit wachen auf
Die Nattern all', und ach, mein Herz hat Blut noch,
Des Bluts zu viel. Will das nicht enden? Glebof,
Wälz' deine glühnden Blicke nicht so zornig
Auf die zertretene Eudoxia!
Weißt du, wie mir zumut?
GLEBOF.
Und weißt denn du,
Wie mir zumut, seitdem ich hab' getragen
An deiner Liebe Joch?
Weißt du, wie mir zumut, wenn meine Lippen
Auf deinen Lippen ihre Gluten suchten,
Und nur Verwünschung fanden deines Feinds,
Und Sehnsucht nach dem alten Glück? – Weißt du,
Wie mir zumut, wenn lechzend deine Seele
Ich in die meine ganz zu ziehen dürstete,
Und dursten mußt' und dursten, weil dir die
Gedanken nur wandern gingen in des Zaren Haus?
Weißt du, wie mir zumut, wenn ich mir sagte:
Sie liebt dich nicht, sie feilscht mit ihren Küssen
Sich den Genossen!
EUDOXIA.
Glebof!
GLEBOF.
Fluch dem Band,
Das uns verknüpft! – Bei meinem Stamm! Wenn du
Noch säßest auf dem Thron im Kreml, und wenn
Glebof dem Throne nahte, Liebe flehnd,
Du stießest mit dem Fuße mich hinweg,
Und sprächst: »Was willst du, Wurm, von deiner Zarin?«
EUDOXIA.
Stephan!
GLEBOF.
Es mag drum sein! – Das fehlte noch.
Ich hielt mein Herz, und halt's mit eh'rner Faust,
Und will es schrein, so drück' ich's, daß es stumm
In seinen Qualen zuckt. Wir stehn zu hoch
Für Schäferleid und zarten Torenzwist.
Ich bin gefaßt, und will Vernunft von dir.
EUDOXIA.
Sprich, teurer Glebof, was ich soll?
GLEBOF.
Heut abend
Versamml' ich alle Häupter bei Alexis.
Du trittst dann schwarz, in deiner Klostertracht,
Das Kreuz in deiner Linken, und die Krone
In Deiner Rechten haltend, vor den Sohn;
Beugst ihm das Knie, und rufst, wie in Begeistrung:
»Heil unsrem Zar Alexis Petrowitsch!
Huldigt, Bojaren, Eurem wahren Herrn!«
Ich sorge für das übrige.
EUDOXIA.
Bin ich
Denn nicht vorhanden?
GLEBOF.
Das ist Eure Weisheit
Von heute früh.
EUDOXIA.
Warum dem Sohn die Herrschaft?
GLEBOF.
Ich will's! – Und hier die Gründe. Weil nur er
Die Stimmen all' besitzt, sobald die Deine
Mit in des Jünglings Waage fällt. Weil uns
Furchtbare Not einmüt'ges rasches Handeln
Gebietet ... Weil der Sinne Spaltung uns,
Die mind'ste Zögrung in den Abgrund stürzt,
Weil ...
EUDOXIA.
Weil? – Du stockst?
GLEBOF.
Eudoxia, ich muß
Ein großes Wort Dir sagen ...
EUDOXIA.
Sprich.
GLEBOF.
Ich wag'
Das Heil der Sache.
EUDOXIA.
Weil ...
GLEBOF.
– Der Zar noch lebt!
EUDOXIA.
Er lebt?
GLEBOF.
Er lebt. Sei stark. Beweise Dich
Als sein gewes'nes Weib, und fürchte nicht,
Den alle fürchten. Hör' mich aus. Die Memmen,
Sie hätten nichts gewagt an dem Lebend'gen,
So band er alle Geister zauberisch.
Drum hab' ich ihn getötet mit dem Munde.
Nun atmen sie, nun wagen sie, den Arm
Zu regen. Und bevor sein mächt'ger Fuß
Auf Rußlands Boden tritt, ist umgewandelt
Die Form des Reichs, sind Volk und Truppen schon
In Eid und Pflicht genommen, und Verzweiflung
Wird die Bojaren in dem Kampfe stärken,
Der uns bevorsteht. Es gilt Haupt und Leben
Für jeden dann. Unrettbar bloßgestellt
Hat jeder sich.
EUDOXIA.
Er lebt!
GLEBOF.
Seit Jahren sann
Ich auf den Augenblick, wo was zu wagen.
Und wie der Sternekundige nicht müd wird,
Den Lauf der Lichter
Am Firmament zu schaun; Planetenbahnen
Auszustudieren und Kometenirrläuf',
So schaut' ich unverwandt in unsre Nacht,
Auf Rußlands ernsthaft-wandelnde Planeten,
Wildschweifende Kometen, kleine Monde;
In den Gesetzen ihrer Bahnen still
Sie zu erforschen. – Nun, ich weiß genug.
Vom Höchsten bis zum Niedrigsten durchdrang
Gährung die Herzen.
Was Russ' ist, steht zu uns. Und drüben sind
Glücksritter nur und eingedrungne Fremde.
Fern schwimmt der Zar auf seinem Meer. Die Truppen
Sind aus dem Land nach Mecklenburg.
Der Schwede Karl droht an der Grenze. Will
Das Schicksal uns beschützen, hat es jetzt,
Jetzt oder nimmer die Gelegenheit.
EUDOXIA.
Er lebt!
GLEBOF.
Ich hab's gesagt. Werd' ich's bereun?
EUDOXIA.
Was sprichst du da? Kennst du Eudoxien nicht?
Er lebt! Nun jauchze Herz! Weht, Wünsche, weht,
Wie rote Siegesfahnen über Trümmern!
Ich wähnt' ihn tot, da mußt' ich wohl verzweifeln;
Nur seinem Schatten sandt' ich eiteln Haß
Unmächtig nach ins nie erreichte Haus
Der ew'gen Finsternis! Er lebt! Ich kann
Ihn in Gedanken morden, martern! Was
Lebendig, steht in dem Bereich der Rache.
Jetzt schöpf ich Luft, jetzt hoff' ich schöne Tage,
Ich lieb' mein Leben, Zar, weil du noch lebst!
Zu Glebof.
Zum letztenmal vermummt, mit Kreuz und Schleier
Erwart' ich dich.
Sie geht.
Zweite Szene
Glebof. Nachher: Ein Diener. Später: Hauptmann Markof.
GLEBOF.
Das Erste kann geschehn sein.
Er klingelt. Ein Diener tritt ein.
Ist Markof da?
DIENER.
Der Hauptmann harrt schon lange.
Diener ab. Hauptmann Markof tritt ein.
GLEBOF.
Nun Markof?
MARKOF.
Sie sind entflohn.
GLEBOF.
Wie? Beide?
MARKOF.
Beide.
Der Pastetenbäcker und die Litauerin.
GLEBOF.
Schilt unsre Feinde nicht! Laß uns sie schlagen.
Wie war's? Erzähle mir.
MARKOF.
Nach deinem Wort
Begab ich mich mit zwanzig tücht'gen Leuten
In den Palast. Wir hatten, was wir brauchten,
Stumm ihren Mund zu machen. Da vernahm ich,
Fürst Menzikof sei mit der Zarin, gleich
Sobald die Post erscholl vom Tod des Zaren,
Verhängten Zügels fortgesprengt.
GLEBOF.
Schlimm! Schlimm!
So ist uns Petersburg verloren. Wie
Steht's mit den Truppen?
MARKOF.
Nicht zu sicher, Herr.
Die Semenowskyschen sind wie im Sturm.
Sie weinten laut, als sie vernahmen, daß
Ihr Väterchen, wie sie ihn heißen, starb.
Ich sah, die die Montierung sich zerrissen
Vor ungestümem Schmerz.
GLEBOF.
Ich dacht' es fast.
Das Heer ist stets des Helden. Was zu tun?
Sie sollen all' nach Astrachan für jetzt;
Ich will's mit Bauern und Milizen machen.
Sie solln nach Astrachan. Ich will die Ordre
Gleich zeichnen. Folg mir, Markof.
MARKOF.
Menzikof
Hat auch den Zarewitsch entführen wollen.
Doch der hat standhaft sich geweigert.
GLEBOF.
Nun,
So haben wir den Prinzen. Hm! der gilt
Noch mehr als Petersburg. Moskau sei Burg
Und Grab der Tapfern! Kommt Okolnitsch Markof.
Sie gehen ab.
Dritte Szene
Zimmer im Kreml.
Alexis. Euphrosyne.
EUPHROSYNE.
Was wollte nur der Fürst?
ALEXIS.
Weiß nicht, mein Mädchen.
EUPHROSYNE.
Ich hab' ihn niemals so gesehn, sein Antlitz
War häßlicher, als je. Er zerrt' Euch wild
Am Saum des Kleids, und nach der Türe deutend,
Rief er: »Folgt mir nach Petersburg!« Ihr rißt,
Empört von so unwürdigem Begegnen,
Euch los, und standet stolz, den Rücken wendend
Dem schlechten Mann.
ALEXIS.
Du hast nicht recht gesehn.
EUPHROSYNE.
Nicht recht gesehn?
ALEXIS.
Das tat Alexis nicht.
EUPHROSYNE.
Nun freilich tatet Ihr's. Ihr blicktet kühn;
Die Hand am Säbel, Aug' gen Himmel, fest
Auf Euren Füßen ... ach, recht wie ein König!
Ich hätt' die Hand Euch küssen mögen.
ALEXIS.
Kind,
Das war Alexis nicht.
EUPHROSYNE.
Wer war's denn sonst?
ALEXIS.
Ich kann dir das nicht sagen. Doch Alexis
War jener stolze Trotz'ge nicht.
EUPHROSYNE.
Ihr scherzt.
ALEXIS in Tränen.
Es ist ja auch in Rußland lust'ge Zeit.
EUPHROSYNE.
Ihr habt die Laune heut.
ALEXIS.
Bleibst du dabei?
Der Menzikof ist ein verruchter Schalk,
Ein Bube und ein Wolfsherz! Ward vom Zar
Gesetzt zum Hüter seines blöden Sohns.
Ein ungetreuer Knecht! Er goß dem Sohn
Gift in jedweder Stunde Trank, erniedernd
Höchst frevelhaft den Samen Romanows!
Riß Vaters Herz von Sohnes Herzen, tückisch
Begrub er seines Herren Kind in Schmach.
Ein Bau'r empörte sich ob solchen Drangs;
Was tut's dem Zarewitsch? Alexis, wisse,
Vernahm in seinem Geiste nie das Wort
Der Ehre. »Nur der Edle fühlt den Schimpf,
Und Schmerz hört auf, wo niedrer Sinn beginnt.«
Weißt noch? So steht's geschrieben in dem Buch,
Das du mir jüngst des Abends vorgelesen.
Alexis' Brust ist ein zerstörtes Schloß,
Worin ein Frevler hauste. Wüst Getier
Durchkriecht die Trümmer. Ja, der hätt' den Mut
Gehabt, dem mächt'gen Menzikof zu trotzen!
EUPHROSYNE.
Weh, warum schmäht Ihr Euch?
ALEXIS.
Muß ich's denn nicht?
Es sagt's der Zar, ich sag's dem Zaren nach,
Der Zar hat immer recht.
EUPHROSYNE
Ihr seid nicht so.
Ich war ein armes Mädchen, näht' und spann,
Den Schwächling hätt' ich nicht geliebt! Ja, wär' ich
An deinem Platz geboren, sollte mir
Die nächste Sonn' in meiner Feinde Blut
Rot untergehn! Hut in die Stirn gedrückt,
Schwert in der Hand ...
ALEXIS.
Du bist auch tapfer, Mädchen.
Mit mir ist's anders, armes Kind. Alexis
Ist feig!
EUPHROSYNE stampft mit dem Fuße.
Du sollst nicht lügen!
ALEXIS.
Kleine Bosheit!
Es sagt's der Zar, ich sag's dem Zaren nach,
Der Zar hat immer recht.
EUPHROSYNE.
Der Zar! Dein Feind!
ALEXIS.
Der Vater, der den Sohn doch kennen muß.
Ich will dir's auch beweisen. Sieh, den Zaren
Ergreift Gelüst, dem Türken was aufs Haupt
Zu geben, der in Stambul nickt und träumt,
Und gern in Ruhe wär'! Flugs wird getrommelt
Nach Osten zu. Fünfhundert Feuerschlünde
Sie donnern Schreck ins Herz dem Padischach.
Ist's dort vorbei, geht's an den Schweden, der
Uns auch wohl ließe, ließen wir ihn nur
Sein Haferbrot verzehren. Schuß um Schuß!
Der Schwede flieht, man nimmt ihm ein Stück Land.
So gibt es Schlacht auf Schlacht, und Sieg und Ruhm,
Und Orden für die Tapfern. Mich, mein Mädchen,
Sah nie der Batterien gekrauster Dampf.
Ich hab' mich krank gemacht, um wegzubleiben.
Lorbeern von ihm! O pfui! Bei St. Georg!
Riss' auch der Zar die große Gottessonne
Vom Himmel, sprach': »Die Sonne geb' ich dir
Als Ordensstern für deinen ersten Sieg!«
Mich reizt' es nicht. So bin ich nun. Gott helf mir!
Da frag' ich dich, ob das nicht Feigheit ist?
Ein Schuß fallt durch das Fenster. Euphrosyne fliegt mit einem Schrei an Alexis Brust.
Bist du verletzt?
EUPHROSYNE.
O Gott!
ALEXIS.
Doch nicht verletzt?
EUPHROSYNE.
Ach was war das?
ALEXIS.
Ein Schuß, der mir vermutlich
Beschieden war von einem Dienstbeflissnen,
Den Zar der fernem Sorge zu entheben.
Du bist doch wirklich nicht verletzt?
EUPHROSYNE.
Nein! Nein!
Ach, meine Glieder zittern!
ALEXIS lächelnd.
Zarte Heldin!
EUPHROSYNE sich in Alexis Arme aufrichtend.
Und du? Wie ist's mit dir?
ALEXIS.
Was meinst du?
EUPHROSYNE.
Gib
Mir deine Hand.
Alexis reicht ihr die Hand.
Ei, die ist warm. So warm,
Als wie vorher.
ALEXIS.
Nun, warum soll sie kalt sein?
EUPHROSYNE die Hand auf Alexis Brust legend.
Dein Herz, wie ruhig schlägt es!
ALEXIS.
Pocht das deine?
EUPHROSYNE.
Bist du denn nicht erschreckt?
ALEXIS.
Erschreckt? Wovon?
Ah so, der Schuß!
EUPHROSYNE.
Ihn wollten sie ermorden!
O du mein Herz! Dich! Dich! O die Verworfnen!
ALEXIS.
Sie weint und zittert. Wenn man es noch hört,
Da hat's ja keine Not. Beruh'ge dich.
EUPHROSYNE.
Ach, wie wird's enden, Lieber?
ALEXIS.
Hast du Furcht?
EUPHROSYNE.
Schilt mich, ich sollte stärker sein. Ach Lieber,
Wie endet dies?
ALEXIS.
Was soll an mir geschehn?
Das Schreckliche liegt hinter mir. Die Kugel,
Nun ja, sie hätt' mich treffen können. Selig,
Betaut von deiner Augen mildem Guß,
Ruht' aus der Zarewitsch. Sie flog vorbei. –
Tat nicht ihr äußerstes die Wut an mir?
Ward ich nicht abgesperrt von meinen Freunden,
Bewacht, gehegt, wie ein gefährlich Wild?
Wann sah ich einen Menschen? Weht das Lüftchen
Von draußen, das dem Sohn des Zaren Nahrung
Zu frevelnden Gedanken brächte? Ward
Die eigne Mutter nicht dem Sohn versagt,
So oft er auch gefleht, daß er die Hand
Dürft' küssen, die des Knäbleins schwachen Schritt
Gestützt! O meine Mutter! – Euphrosyne,
Gestorben bin ich schon – und Leichen sind
Frei, unantastbar.
EUPHROSYNE.
Du hast einst geatmet!
Vergiß'st du, was gewesen?
ALEXIS.
Das vergab er.
EUPHROSYNE.
Wenn du die ganze Wahrheit ihm bekannt.
Alexis Mein Los verdient' ich, hätt' ich das getan.
Nach einer Pause.
Wir haben in Gedanken uns gewiegt,
Aus Einbildungen uns den Thron gebaut,
Empörung in der Wünsche luft'gem Reich
Gesponnen, bei des Vaters Leben, endlich
Es bis zur Flucht getrieben, um den Arm
Des Kaisers zu gewinnen für die Sache
Notschreinder Fürstensöhne! – Ha, es war
Nicht Recht! – Wer aber wagt, mir's vorzuwerfen?
Ich kam zurück, hab's eingestanden!
EUPHROSYNE.
Nahmst
Großmütig alles auf dein Haupt. Wart Ihr
Der einz'ge Schuldige?
ALEXIS nach einer Pause.
Ich war es nicht.
Es sannen andre mit mir. Heimlich lief,
Gleich einem stillen Feu'r, mein Name durch
Des Reiches Adern. Was da litt und grollte,
War mein Vasall. Genug davon. Du weißt's.
Geh hin. Gib's an.
EUPHROSYNE.
Mitunter denk' ich, hier
Könn' ich auch dazu kommen. Laßt, ich bitt' Euch,
Die Briefe mich verbrennen.
ALEXIS.
Von der Mutter?
Tu's; wenn es dich beruhigt.
EUPHROSYNE.
Gleich geschieht's.
Sie will fort.
ALEXIS hält sie zurück.
Es soll nicht sein. In ihren Zügen lacht
Durch allen wilden Schmerz, und durch den Frevel
Verwegner Plane, wie ein Götterantlitz
Die ganze Zärtlichkeit der Mutter. Mich
Erkiest sie drin zum Ritter ihres Unglücks;
So hat die Mutter ihren Sohn geehrt!
Zwei Menschen lieb ich auf der Welt,
Dich und die Mutter! Jeder Strohhalm ist,
Den Eure Finger rührten, heilig mir.
O wenn ein teures Haupt geschieden ist,
Dann möchten wir das Stäubchen selbst besitzen,
Auf das der Fuß des lieben Toten trat. –
Sie stirbt doch einst! Die Briefe meiner Mutter
Solln nicht verbrannt sein. Still von dieser Not,
Wenn du mich liebhast. Von 'ner andren: Hör,
Ich hab dir lang was sagen wollen. Heut
Ist's neu emporgeregt.
EUPHROSYNE.
Was meint Ihr, Prinz?
Alexis sieht starr vor sich hin.
Nein, sprecht denn auch. Ihr starrt hinaus, Ihr macht
Mir durch das Schweigen bang.
ALEXIS.
Die Welt ist ja
Nur eine Hölle! – – Ha, wozu das Tröpfchen
Von Freude in dem Ozean der Qual? –
Ich bitt' dich, liebe Euphrosyne, sei
Nicht bös, tu' ich dir weh.
Er tritt zu ihr und berührt ihr Haupt.
Senk deine Augen!
Seh' ich in die, vermag ich's nicht. – – Es ist
Durchaus bei mir entschieden. – Einz'ge Liebe:
Du mußt mich heute noch verlassen!
EUPHROSYNE.
Prinz?
ALEXIS.
Du mußt mich heute noch verlassen, Mädchen!
Sei still, und blick nicht auf. – Als ich dich fand
In deiner Fischerhütt', ein köstlich Perlchen
Am Meer, da dacht' ich: willst die Perle fassen
Ins Diadem, daß sie der Neid des Stolzen,
Die Lust der Guten sei, des Herrschers Wonne.
Und nahm die Perle auf vom Strand des Meers,
Und wahrte sie am Busen ...
EUPHROSYNE.
Alexis!
ALEXIS.
Anders
Ist es gekommen! – Meine Perle liegt
In eines Bettlers Hütte!
Fluch dem, der seine Lieb' zu sich erniedrigt!
Ich wollte dich erhöhn, das konnt' ich nicht,
Erniedrigt dich zu sehn, das duld' ich nicht:
Du mußt mich heute noch verlassen, Kind!
EUPHROSYNE.
Seid Ihr zu End'?
ALEXIS.
Er hat gewagt, vor deinem,
Vor der Geliebten Auge, Hand an mich
Zu legen! Er, der Knecht, der in dem Staub
Sich vor Alexis winden müßte, gäb's
Noch Väter, welche ihre Söhne höh'r,
Als ihre Grillen hielten – –
Vor deinen Augen, die vom Glanz der Majestät
Geblendet, schwimmend zucken müßten, staunend:
Ob dieser Glänzende Alexis sei?
Vor deinen Augen schändet mich der Knecht!
Das darf nicht wiederkehren! Geh hinaus,
Verlaß den Kreml. O glaube, niemand hält dich,
Sprichst du: »Auch ich lass' jetzt den Zarewitsch«.
Zeuch einsam, stumm die Straße bis zum Meer,
Wo deine Hütte steht! Dort birg dich, Liebe,
Und harr' ein Weilchen! Bald, bald kommen Träume,
Trosthelle Träume dir. Vom großen Prinzen
Alexis, der in Macht und Herrlichkeit
Saß auf der Väter Stuhl; und – der dich lieber
Gehabt, als all' die Macht und Herrlichkeit! –
Er umfaßt sie.
Willst du wohl wandern gehn, daß bald so schöne,
So sanfte Träume kommen?
EUPHROSYNE.
Ich verlange
Nach Träumen nicht, mein Wachen ist mir süß.
Verbannte Fürsten suchen Einsamkeit,
Und leben dort in Frieden. Frischer grünt
Das Blatt des Baums, die Blume duftet würz'ger,
Kann Blatt und Blume einen König trösten.
Alexis! Deines Mädchens Brust ist nur
Ein Gärtlein, wird dir Rußland nicht ersetzen!
Doch alle Veilchen, die drin blühn, die Rosen,
Die drin sich aufgetan, und jeder Keim,
Der drinnen sproßt, das alles sproßt und blüht
Doch nur für dich! Das arme Gärtchen ist
So glücklich, daß es treu dem König blieb.
Du mußt, mein stolzer Prinz, dem stolzen Ding
Schon seine Laune lassen!
Sie entfernt sich.
Vierte Szene
ALEXIS allein.
Halte fest,
Du Bild dort in den Lüften, goldne Krone!
Halt stand der Faust, wie du dem Blicke standhältst!
Du schimmerst göttlich-lockend.
Weg Phantom!
Nein, bleib Phantom! Dies sind Gedankensünden.
Sie sind uns noch erlaubt. Die andern hat
Der Zar uns wohl verboten. Warum bin ich
Zu herrschen unwert?
Er geht nach dem Getäfel, in welches der Schuß gedrungen ist.
Mörderische Kugel,
Du hättest hier –
Auf seine Brust deutend.
Nicht lauter Tand und schimpfliche Gesinnung
Getroffen. Bei dem Blut der Romanow!
Kam' der Tartar, der Pol' vor Moskaus Tor,
Er sollt' erfahren, daß der Stuhl des Rurik
Von einem Zar besetzt sei. –
Wahn und Schaum!
Hier steht der Knabe mit der leeren Tasche,
Und schwatzt vom großen Lose. Armer Tor!
Wo dreht dein Glücksrad sich? Du hast den Einsatz
Nicht wagen wollen!
Fünfte Szene
Die Flügeltüre im Grunde öffnet sich. Man sieht in eine große, erleuchtete Halle.
Eudoxia steht in der Türe, in Klostertracht, das Kreuz in der Linken, die Krone in der Rechten. Glebof, Dolgoruki, Kikin, der Erzbischof von Rostow hinter ihr. In der Halle viele Bojaren, darunter Lapuchin.
EUDOXIA.
Sohn!
ALEXIS sich umwendend und zurückfahrend.
Was!? Hat das Reich
Der Unterwelt begonnen? Schickt das Grab
In unsre Wüstenei Gesellschaft? Fort!
Ich bin kein Mann für solchen Anblick!
EUDOXIA.
Sohn!
Sohn, komm zu uns, sei dieser Fürsten Herr!
Die Toten stehen auf, die lebten, starben
Ich bin die Mutter, das ist Ruriks Reif!
ALEXIS.
Du bist die Mutter, das ist Ruriks Reif!
DIE BOJAREN.
Heil unsrem Zar!
ALEXIS.
Die Züge sind's, es ist
Der Schlei'r, das Klosterkreuz!
DIE BOJAREN.
Heil unserm Zar!
ALEXIS mit einer wilden Bewegung.
Verräter, tretet ihr zu meinem Feinde?
DIE BOJAREN.
Heil unsrem Zar Alexis Petrowitsch!
ALEXIS.
Das ruft, als wär' es außer mir, doch sind's
Nur arge, list'ge Larven meiner Brust! –
Ich weiß, ihr schwindet, nah' ich mich, in Dunst,
Doch ihr umstrickt mich mit des Zaubers Kunst!
Habt mich! Hier bin ich! Gebt mir meine Krone,
Denn wie dem Vater, eignet sie dem Sohne!
Er eilt durch die Flügeltüre ab, die sich hinter ihm schließt. Trompeten und Pauken hinter der Szene.