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Auf eine Melange in Wien
ОглавлениеAls Mariella mit ihrer Geschichte fertig ist, nimmt sie einen Schluck von ihrer Wiener Melange. Wir sitzen in einer Fensterloge des Café Mozart, gegenüber der Albertina, es ist später Vormittag und draußen scheint die Sonne. Das Café gehört zum Reich der Wiener Cafetiers-Familie Querfeld, die alte Kaffeehäuser mit eleganter Gastlichkeit in die Gegenwart versetzt, ohne ihnen ihr Flair zu nehmen.
Wegen seiner Nähe zu großen Anwalts- und Wirtschaftsprüferkanzleien, Finanzunternehmen und Kommunikationsagenturen sind viele Gäste des Cafés Geschäftsmänner. Doch selbst ein geschneiderter Anzug und polierte Schuhe können das innere Kind eines Mannes nicht verbergen, wenn man einmal weiß, wo man hinsehen muss. Ich hoffe, dass wenigstens ein paar der Männer Mariellas Geschichte und ihr Resümee mitgehört haben und ich weiß natürlich, was sie meint.
Ich bekam erst gestern, ehe ich aus Berlin abreiste, wieder einen dieser Anrufe. Keine Begrüßung. Der Anrufer nannte keinen Namen, nicht einmal einen falschen. »Was kostest du?«, sagte er nur. »Wie groß sind deine Titten?«
Sein Deutsch klang vornehm. Ich fragte mich, was wohl seine eigene Mutter, die Mutter seiner Kinder oder seine Kinder selbst von ihm hielten, könnten sie ihn so reden hören. »Ich vermute, Sie haben sich verwählt«, sagte ich.
»Du bist doch Karolina?«
»Die bin ich. Aber was veranlasst Sie, mich zu duzen? Habe ich es Ihnen erlaubt? Kennen wir uns etwa?«
Mein Anrufer ließ sich davon nicht abschrecken und machte gleich noch einen Fehler. Einen, den ich nicht mehr akzeptiere. »Wie viel kosten Sie?«, fragte er.
Prostituierte sind Frauen, die eine Dienstleistung anbieten. Männer können die Dienstleistungen kaufen, aber nicht die Frau, denn Frauen sind keine Ware. Das schien er nicht zu verstehen, was nicht nur dumm, sondern auch ausgesprochen unhöflich war. Ich hatte genug und legte auf.
Mariella hätte sich schwerer getan, die Höflichkeitsform in der Anrede einzufordern. Sie arbeitet vor allem in Laufhäusern. Das heißt, sie mietet beim Besitzer des jeweiligen Laufhauses ein Zimmer und bietet darin ihre Dienstleistungen an. Ihr Repertoire ist groß. Geschlechtsverkehr in allen Variationen, zudem hat sie sich in ein paar Spezialgebieten einen Namen gemacht. Zum Beispiel im Pegging. Dabei vögelt die Frau den Mann mit einem Strap-on Dildo, den sie sich umschnallt, in den Arsch. Außerdem macht sie Face-sitting, Prostatamassage, Fußerotik, Brustwarzenstimulation und Rollenspiele, und sie ist Fetisch-Spezialistin. Zu unserem Treffen war Mariella gerade von einem Looning-Kunden gekommen, also von einem der Männer, die das Geräusch der Reibung von Körperteilen an einem aufgeblasenen Luftballon oder Schwimmreifen zur Stimulation brauchen. Sie musste mit den Fingernägeln über einen Ballon kratzen und der Mann kam, als der Ballon platzte. »Pop«, sagte er dabei.
Hätte Mariella bei ihrer Version unseres Jobs ein »Sie« verlangt, hätten sie ihre Kolleginnen und Kunden ausgelacht, ganz abgesehen davon, dass es nicht zu ihrer rustikalen Art gepasst hätte. Doch bei mir ist das etwas anderes. Als ich mich vor zwanzig Jahren von Nürnberg auf den Weg ins wiedervereinte Berlin machte, hatte ich noch keine Ahnung, dass ich dort nach einiger Zeit mein vermeintlich »bürgerliches Leben« aufgeben würde. »Bürgerliches Leben« unter Anführungszeichen, weil sich die Frage stellt, was ein bürgerliches Leben bedeutet. Für mich bedeutet es, Verantwortung zu übernehmen, den eigenen Verpflichtungen, sowohl den wirtschaftlichen als auch den menschlichen, nachzukommen und pfleglich mit Mitmenschen umzugehen. Idealerweise sollte jemand sich und seine Wohnung sauber halten und sich um gute Manieren bemühen. Insofern blieb mein Leben bürgerlich, bloß mein Beruf wurde, sagen wir einmal, etwas unorthodox.
In einer Zeitung entdeckte ich einen Bericht über die Beratungsstelle Hydra. Hydra berät Frauen, die in der Prostitution arbeiten und dabei Probleme haben. Ich wollte wissen, worauf ich, wenn ich da einsteigen würde, achten musste, um gesetzeskonform zu handeln. Derartige Anfragen waren bei Hydra damals noch selten, weshalb das Gespräch etwas verwirrend verlief:
»Sie wollen wirklich Prostituierte werden?«
»Ja.«
»Haben Sie Schulden?«
»Nein.«
»Setzt Sie jemand unter Druck? Sie können es mir sagen.«
»Nein.«
»Dann machen Sie doch zuerst eine Therapie.«
Die Beraterin war durchaus kompetent, bloß konnte sie sich einfach nicht vorstellen, dass ich aus Neugierde und eigenem Willen diese Branche kennenlernen wollte.
Ich fragte mich trotzdem, ob ich Sex für Geld machen könnte. Hydra schickte mich schließlich in ein Bordell, wo ich beobachten konnte, wie es lief. Mich störte vor allem eine Sache: Um einen Anrufer auch wirklich als Kunden zu gewinnen, strengten sich die Frauen schon am Telefon an. Sie gurrten in einer Mischung aus vulgären Tönen und Diminutiva. »Bist du der geile Peter mit dem geilen Schwänzi?« So klang das dann.
Nach einigen Gesprächen mit Prostituierten wuchsen auch meine Zweifel weiter. So wie sich manche Männer benahmen, war ich wahrscheinlich doch die Falsche dafür. Ich entschied mich auch in Berlin zunächst wieder für einen sogenannten bürgerlichen Job, bis ich eine Domina kennenlernte.
Das war genau, was ich machen wollte. Mich hatte schon immer die wachsende Kumpelhaftigkeit zwischen den Geschlechtern gestört und nun würde ich zur Begrüßung einen Handkuss verlangen können und wenn ein Mann es falsch machte und seine Lippen meine Hand berührten, würde ich ihn dafür bestrafen können. Ich konnte statt des Handkusses auch einen Kniefall verlangen und der Mann müsste die Spitzen meiner High Heels küssen. Dafür würde ich dann auch noch Geld bekommen. Wunderbar, dachte ich.
Seither biete ich vor allem klassische Dominanz, Rollenspiele wie Gouvernanten- und Fesselspiele und Japan-Bondage an.
Wenn ich von meinen Kunden die Höflichkeitsform verlange, können sie das »Sie« als Teil des Spiels betrachten, obwohl es das eigentlich für mich nicht ist. Ich finde es schade, dass das gute alte »Sie« immer antiquierter wird. Mit Rechtsanwälten oder Steuerberatern sind wir noch per »Sie«, doch im allgemeinen Umgang miteinander duzen wir einander bereits alle, was dem »Du-Wort« seinen Charakter der Privatheit nimmt. Das »Sie« hat auch etwas Reizvolles. Ich mag zum Beispiel die französischen Liebesgeschichten, in denen sich sogar Paare siezen und damit eine Distanz schaffen, die sie vor der verhängnisvollen Kumpelhaftigkeit zwischen Männern und Frauen schützt.
Nach dem erwähnten Telefonat mit dem Danndoch-nicht-Kunden wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, um wie viel schlechter die Manieren der Männer in den vergangenen Jahren geworden waren. Zuerst fragte ich mich noch, ob sie früher wirklich besser gewesen waren, oder ob ich sie nur besser in Erinnerung hatte. Doch dann fielen mir die Gespräche mit Kolleginnen in Berlin auf, die ich besonders oft führe, seit ich als ehrenamtliche Vorstandsfrau von Hydra fungiere. Wir redeten dabei oft über die schlechten Manieren der Männer. Ich hatte noch die Worte einer Kollegin aus Potsdam im Ohr:
Die verlangen jetzt ganz selbstverständlich Sachen, für die ich ihnen vor ein paar Jahren noch eine geknallt hätte, und sie tun es nicht einmal höflich.
Früher benahm sich ab und zu ein Kunde daneben, inzwischen sind schlechte Manieren der Standard.
Es sieht so aus, als würde die Gesellschaft Frauen gegenüber nur vordergründig immer liberaler, während sich die Respektlosigkeit durch die Hintertür einschleicht, weil unter der korrekten Oberfläche genau die umgekehrte Entwicklung stattfindet.
Ich sehe Mariella an. Ihre Figur wirkt, als wären keine zwei Jahre vergangen, seit sie in den Landdiskos ihre Einstellung zur Sexualität entdeckte. Sie ist immer noch zierlich wie ein kaum erwachsenes Mädchen und auch die langen brünetten Haare und das wilde Funkeln in ihren schwarzen Augen hatte sie wohl schon damals. Bloß ihre Tattoos waren früher wahrscheinlich weniger und damals haftete ihr bestimmt noch nicht dieses spezielle Charisma an, das kluge Prostituierte irgendwann entwickeln. Sie strahlen eine Abgebrühtheit aus, die gleichzeitig hart, dunkel, locker und gefühlvoll wirkt.
Ich bin deutlich älter als sie und wohl eher als sie verführbar für den Gedanken, dass früher alles besser war. »Mariella«, sage ich, »bist du sicher, dass die Manieren der Männer schlechter geworden sind, oder bilden wir uns das vielleicht nur ein?«
»Es gibt schon auch die anderen«, sagt Mariella.
Der Kellner wirft uns im Vorbeigehen einen fragenden Blick zu. Ich winke ihn herbei und wir bestellen zu essen. Um uns herum klappern die Kaffeelöffel und mitten in diesem Kaffeehausgemurmel erzählt Mariella weiter. »Einmal gehe ich zu einem Kunden …«